Das verflixte Corona-Jahr - Alexandra von Gutthenbach-Lindau - E-Book

Das verflixte Corona-Jahr E-Book

Alexandra von Gutthenbach-Lindau

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Beschreibung

Niemand hätte gedacht, was das Jahr 2020 für den Tourismus bereit halten würde. Die Autorin begleitet als Hurtigruten-Reiseleiterin das ganze Jahr hindurch Gäste auf ihrer Traumreise entlang der norwegischen Küste. Das Coronavirus zerstörte in dieser Hinsicht alles. Von der noch zu Beginn des Jahres unbeschwerten Reiselust, musste sich der gesamte Tourismus einem Shutdown beugen, seine Wiederauferstehung flammte kurzzeitig auf um dann erneut in den Stillstand gezwungen zu werden. Die Autorin verbrachte das Jahr 2020 in einem ständigen Wechselspiel zwischen Hoffnung und Verzweiflung mit ungewissem Ausgang. Dieses Tagebuch erzählt von der Unbeschwertheit des Reisens auf den Hurtigruten-Touren Anfang 2020, hin zur wachsenden Bedrohung und der Euphorie des Neuanfangs, und wieder zurück zum bis heute anhaltenden Schwebezustand, dem der Tourismus ausgesetzt ist. Dabei schildert die Autorin nicht nur viele persönliche Momente der Reise von Bergen nach Kirkenes, sondern auch die Emotionen, die sie während des Shutdowns und nach dem erneuten Stillstand des Tourismus erlebte.

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Seitenzahl: 267

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Inhalt

Die Silvester-Tour - Auftakt zu einem ungewöhnlichen Jahr Seite

Die Januar-Tour - Die Bedrohung wächst Seite

Die Februar-Tour – Kurz vor der Katastrophe Seite

März bis Juli – Im Shutdown Seite

Die Juli-Tour – Ein neuer Anfang Seite

Die August-Tour – Am Ende einer kurzen Episode Seite

August bis Oktober – Die Hoffnung schwindet Seite

Meiner Mutter gewidmet,

die mich stets in allem unterstützt hat

Meinem Vater gewidmet,

der aus dem Himmel schützend die Hand über mich hält

Die Silvester-Tour - Auftakt zu einem ungewöhnlichen Jahr

MS Kong Harald, 31. Dezember 2019, Silvester

Ungewöhnlich, dass ich ein Tagebuch mitten in einer Tour beginne. Aber der Jahreswechsel 2019 auf 2020 markiert einen so ganz anderen Auftakt, als wir alle erwartet haben.

Bereits am Morgen hat die Crew das ganze Schiff festlich geschmückt. Überall hängen Luftschlangen und fröhliche Girlanden mit den Zahlen des neuen Jahres. Vor dem Restaurant ist bereits das Getränkeaufgebot für den Abend aufgebaut. Wer will, kann Champagner vorbestellen, unsere Stimmung ist ausgelassen, wir plaudern hier und da über das bevorstehende Silvestermenü am Abend. Wir befinden uns an Tag drei der Tour in Trondheim, der Winter hat alles fest im Griff, also packen mein Kollege und ich uns nach dem Frühstück dick ein und gehen auf einen Sprung in die Stadt. Ordentlich kalt ist es und wir gönnen uns in einem der kleinen Cafés im Stadtteil Bakklandet eine große Tasse wärmenden Kaffee. In Trondheim herrscht festliche Stimmung, die Weihnachtsdekoration ziert noch die Stadt. Gemütlich. Auch einige Gäste unserer Gruppe haben sich im Café zu uns gesellt und wir plaudern über die Reise, die bevorstehenden Tage im Winterwonderland und die Frage, ob wir wohl Nordlicht sehen werden.

Am Nachmittag zittern wir uns am Leuchtturm Kjeungsjær vorbei, der Wind bläst ordentlich und treibt uns die Tränen in die Augen. Im Moment halten sich auch die Gäste bevorzugt drinnen auf, die wenigsten haben damit gerechnet, dass es so extrem kalt ist. Natürlich ist sich jeder bewusst, in welcher Jahreszeit man unterwegs ist, aber wenn der eisige Fahrtwind hinzukommt, zeigt sich dann doch, wer wirklich winterfest ist.

Unser Jahreswechselaufenthalt findet dieses Jahr in Rørvik statt. Das erste Mal, dass ich in dem kleinen Örtchen das neue Jahr begrüße. Mit uns am Kai wird die MS Nordkapp liegen, für uns geradezu ein Highlight, da sich seit dem Fahrplanwechsel im Juni 2019 nicht mehr zwei Schiffe zeitgleich im Hafen befinden. Die gegenseitigen Besuche, die wir bis dahin so geschätzt haben, sind Geschichte. Aber nicht heute. Als wir in Rørvik anlegen, hat die Nordkapp bereits festgemacht. Knapp zweieinhalb Stunden haben wir hier nun Gelegenheit eine Runde durch Rørvik zu gehen oder eben unser Nebenschiff zu besuchen. Ich wähle zusammen mit meinem Kollegen letzteres, auch in der Hoffnung, dass dort mehr Feierstimmung zu finden ist. Ein wirkliches Partyprogramm findet man zu Silvester auf den Schiffen ja nicht, aber oft denken sich die Expeditionsteams Programmpunkte aus, um den Gästen die Zeit zwischen Festdinner und Mitternacht zu verkürzen. Auf der Kong Harald ist das dieses Jahr nicht der Fall und alle warten ein wenig verloren, dass nun bald das Feuerwerk starten möge. Auf der Nordkapp neben uns ist das anders. Hier wurden die Gäste in den letzten Tagen animiert, aus allerhand Bastelmaterialien Hüte zu kreieren, die heute an Silvester in einer Modenschau präsentiert und anschließend prämiert werden. Hier herrscht ausgelassene Stimmung und das Multecafé auf Deck sieben bebt vor Musik. Alle Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt, die Gäste klatschen zur Musik und bejubeln die ausgefallenen Hutmodelle. Euphorische Stimmung.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht gehen wir zurück auf unser Schiff und versammeln uns langsam draußen, um gemeinsam auf das neue Jahr um Mitternacht anzustoßen. Mittlerweile hat es kräftig zu regnen begonnen, entsprechend drängeln sich alle unter den überdachten Flächen bis das Feuerwerk beginnt. Ein paar Sekunden vor Mitternacht zählen wir von zehn herunter, Schlag null Uhr hornen nicht nur die Hurtigrutenschiffe, sondern auch alle anderen, die hier festgemacht haben. Im strömenden Regen stehen wir alle an der Reling und schauen auf das grandiose Feuerwerk, Raketen schießen nicht enden wollend in den Himmel und explodieren als tanzende Lichter hoch über uns. Wir stoßen an. Frohes Neues. Willkommen 2020. Dass die Bedrohung zu diesem Zeitpunkt bereits über uns schwebt, wissen wir noch nicht. Dass dieses Jahr völlig anders verlaufen wird als geplant, wird in wenigen Wochen traurige Gewissheit.

MS Kong Harald, 01. Januar 2020

Wir sind in der Polarnacht angekommen. Kein Tageslicht mehr ab heute, denn gegen 7:30 Uhr überschreiten wir den Polarkreis. Für uns bedeutet das den ewigen Kampf mit der Müdigkeit wieder aufzunehmen. Dem Körper fehlt eben das Sonnenlicht. Gleichzeitig beunruhigt uns der Wetterbericht. Im Winterhalbjahr muss man ja immer mal mit Stürmen rechnen, aber das, was im Moment in punkto Windgeschwindigkeiten an der norwegischen Küste unterwegs ist, kann man den Gästen kaum noch schmackhaft machen. Zudem rollen ständig neue Stürme auf die Küste zu, kaum dass der Sturm davor abgeklungen ist. Unsere offene Seestrecke ist heute der Vestfjord, die Vorhersage nennt die Windstärke zehn mit ungünstiger Windrichtung. Starker Wind muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es ordentlich schaukelt, vielmehr ist entscheidend, ob der Wind uns von hinten schiebt oder uns mit einer Mischung von vorne und von der Seite entgegen bläst, denn das ist meist Spuckwetter. Gut, heute soll es also Spuckwetter sein.

Es dauert auch nicht lange nach der Abfahrt von Bodø, bis die Brücke entsprechend durchsagt, dass es ungemütlich werden kann. Wir warten. Viele Gäste verabschieden sich in ihre Kabinen und es schaukelt auch wirklich heftig, kurz nachdem wir uns auf den Vestfjord hinaus wagen. Ordentliche Schieflage. Nichts bleibt mehr auf den Tischen. Wir wechseln uns ab zwischen stampfen und rollen, sind Spielball der offenen See. Die Gäste, die sich noch in den öffentlichen Bereichen aufhalten, werfen sich zuweilen ängstliche Blicke zu. Sämtliche Drehstühle auf Deck vier tanzen den Geistertanz und drehen sich im Takt der Wellen. Die Gischt spritzt ordentlich und selbst auf Deck sieben bekommt man davon noch einiges ab. Keine Option mehr nach draußen zu gehen, die Aussendecks sind abgeriegelt. Im Nachhinein könnte man fast meinen, dass auch das Wetter am ersten Tag des Jahres bereits dessen Charakter skizziert. Stürmische Zeiten kommen auf uns zu.

Zum Dinner hat sich der Sturm immer noch nicht beruhigt und viele Gäste verzichten auf das Abendessen. Mein Kollege und ich gründen an diesem Abend einen Cracker-Rundbring-Service, klopfen an die Kabinentüren, finden tröstende Worte für die Seekranken. In Stamsund klappt es gerade so mit dem Anlegen und manch einer atmet aufgrund der Schaukelpause auf. Die dauert aber nur kurz, denn zügig machen wir uns auf den Weg weiter nach Svolvær. Also wieder raus auf den Vestfjord. Bis zum Hauptort der Lofoten wird der Seegang deutlich weniger, aber keiner unserer Gruppe lässt sich an diesem Abend nochmal außerhalb seiner Kabine blicken.

MS Kong Harald, 02. Januar 2020

Das Wetter bleibt unverändert schlecht, aber wenigstens erwartet uns die offene Seestrecke heute erst am späten Abend, so dass sie den Tag nicht allzu sehr beeinträchtigt. Wir sind im Winterwonderland, allerdings nach dem Prinzip „Fifty Shades of Grey“. Der Himmel ist zugezogen, Dämmerung gibt es so gut wie nicht und damit bleibt uns auch das magische Licht der Arktis in der Polarnacht verwehrt. Keine wirkliche Option sich draußen aufzuhalten. Mein Kollege und ich machen es sich am Morgen an unserem Sprechstundenplatz gemütlich und wie jeden Tag dauert es nicht lange, bis Gäste unserer Gruppe mit Fragen Schlange stehen. Das ist ein ungewöhnlicher Zustand für eine Silvesterreise, da wir bei dieser Tour kein Vorprogramm haben und der Kontakt mit den Gästen schwerer Zustande kommt. Das ist diesmal vollkommen anders. Unsere Truppe ist extrem kommunikationsfreudig, das macht natürlich auch uns Reiseleitern richtig Spaß. Wir plaudern über kommende Ausflüge, wiederum über das Nordlicht, wie man es fotografiert, über den Sturm gestern und manch einer kommt auch einfach nur vorbei um mit uns einen Kaffee zu schlürfen.

In Tromsø am Nachmittag starten die Ausflugsteilnehmer begierig zu ihrer Hundeschlittentour, einer der meist begehrten Ausflüge. Ich spare mir allerdings einen Rundgang durch Tromsø, da mir heute Morgen unerwartet eine Sonderaufgabe zugeteilt wurde. Während der Reise findet ja immer die ein oder andere Veranstaltung statt, zum Beispiel die „Ladys Night“. Man kann nicht von der Hand weisen, dass es ein Event ist, um den Verkauf im Shop anzukurbeln. Allerdings werden eben auch Hintergründe der Shop-Brands erläutert, wie sie hergestellt werden und welche Idee hinter jeder Brand steckt. Schon am Morgen hat die Shopmanagerin mich gebeten, doch den deutschsprachigen Teil des Events zu moderieren und hat mir die Moderationstexte an die Hand gegeben. Die Fakten einigermaßen im Kopf zu behalten, ist meine hübsche kleine Tagesaufgabe und ich finde das Ganze tatsächlich spannender, als ich mir vorgestellt habe. Auch ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, was sich an unternehmerischen Ideen hinter Dale, Oleana und Hasla verbirgt und bin überrascht, welche Gründungsmotivation die Hersteller hatten.

Da wir uns seit heute im sogenannten Nordlichtoval befinden, gieren wir am Abend natürlich darauf, das erste Nordlicht zu sehen. Den ganzen Nachmittag schon haben wir mit entsprechenden Apps die Wolkenvorhersage gecheckt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Himmel einigermaßen klar ist, wechselt halbstündig. Ebenso springen die Werte des Sonnenwinds lustig hin und her. Um Nordlicht zu sehen brauchen wir nicht nur wenigstens geringe Bewölkung, sondern der Sonnenwind muss mit ordentlich Geschwindigkeit, Dichte und einer negativen Polarität punkten. All das befindet sich heute in einem lustigen Wechselspiel mit einem Himmel zwischen klar und zugezogen. Alles ist drin. Vorsichtshalber setze ich die Kamera schon mal in Alarmbereitschaft. Da man im Winter bereits lange genug mit dem Anziehen verbringt, muss man die Zeit, bis man an Deck bereit steht, ja nicht noch damit verlängern, was schon im Vorfeld erledigt werden kann. Bis 22 Uhr tut sich nichts. Immer wieder geben wir die Nordlicht-Scouts. Raus auf Deck sieben und in den Himmel schauen.

Auf einmal tut sich was. Ein zarter Schleier zeigt sich am Himmel. Nordlicht oder nur eine Wolke? Unser Auge ist da ja nicht unser zuverlässigster Partner. Also schnell ein Foto machen. Zeigt die Kamera grün? Ja, es ist Nordlicht. Noch ist es zart, aber die Erfahrung zeigt, dass es oft ein wenig braucht, bis es sich ordentlich aufgebaut hat. Nachdem nun auch die Brücke eine Durchsage gemacht hat, füllt sich mehr und mehr das Aussendeck. Und tatsächlich: das Nordlicht lässt uns nicht hängen. Stärker und stärker wird es und bald tanzt es über unseren Köpfen. Im Moment ist die Sonne ja eher zurückhaltend damit, ihren Wind ins Weltall zu spucken und unseren Planeten mit elektronisch geladenen Teilchen zu beschießen. Wir befinden uns im Sonnenminimum und die Aktivität unseres Sterns ist mehr von der Sorte Couchpotato, deshalb fällt Nordlicht im Vergleich zu vor fünf Jahren im Moment in punkto Stärke eher spärlicher aus. Doch auch ein vergleichsweise spärliches Nordlicht reicht, um vollkommen fasziniert an Deck zu stehen, in den Himmel zu starren und zu fühlen, wie die Glückshormone durch den Körper fließen. Bis weit nach Mitternacht stehen wir draußen, dann ist die Show vorbei und wir fallen selig in unsere Betten.

MS Kong Harald, 03. Januar

Tag sechs ist angebrochen und was sollte ich heute anderes tun als meine Gäste zum Nordkapp zu begleiten. Dass der Ausflug stattfindet, ist in den Wintermonaten nicht selbstverständlich. Immer wieder mal macht das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Heute nicht. Im Gegenteil. Der Wettergott hält allerfeinstes arktisches Licht für uns bereit. In der Dämmerung machen wir uns auf den Weg quer über die Insel Magerøya, der Himmel strahlt in Gold-, Rot- und Lilatönen. Dazu gesellen sich Wolken, die die unter dem Horizont stehende Sonne gleich mit einfärbt. Das ist es, das berühmte magische Licht, das eine ganz besondere Aura hat, das vom Sonnenstand rein physikalisch vergleichbar mit der Stunde vor dem Sonnenaufgang und der Stunde nach dem Sonnenuntergang in mitteleuropäischen Breiten ist und das trotzdem so ganz anders und besonders ist. Ein Licht, bei dem alles zusammenspielt: das Wissen, auf welcher geographischen Breite man sich befindet, die Kälte, das, was unser Auge in unserem Kopf abbildet, die Weite der Natur. Nur alles im Zusammenhang macht diese Magie des arktischen Augenblicks aus.

Am Nordkapp angekommen, stehen wir alle geradezu andächtig am Globus und saugen diese Magie in uns auf. Der eiskalte Wind lässt uns kaum atmen, aber auch er gehört zu diesem Gesamterlebnis dazu. Nach einer halben Stunde müssen wir uns allerdings in der Nordkapphalle zu einer kurzen Aufwärmpause versammeln. Auch durch die dickste Kleidung pfeift dieser Wind durch. Kurz durchatmen und erneut wieder hinaus in die erbarmungslose Kälte. Während der Polarnacht muss man die wenigen Stunden der Dämmerung nutzen, vor allem, wenn Licht und Wolken eine solche Vorstellung geben wie heute. Um 13 Uhr ist Schluss. Die Sonne ist jetzt wieder so weit unter den Horizont gerutscht, dass die Dämmerung der stockfinsteren Nacht weicht. Und wir sind endgültig durchgefroren. Auf der Rückfahrt zum Schiff kuscheln wir uns im Bus in unsere Sitze.

Nach Ablegen in Honningsvåg fahren wir hinaus auf die Barentssee. Ein neuer Sturm rollt auf die Küste zu, wir Glückspilze. Auch heute dürfen wir mit Windstärke zehn kämpfen und viele Gäste erinnern sich schlagartig an ihre Schaukelerfahrung mit dem Vestfjord. Und heute Abend winkt das Nordkapp-Buffet. Werden viele zum Essen kommen und werden wir alle unsere Teller heil an den Tisch bringen? Es wird dann tatsächlich nicht so schlimm wie erwartet, denn der Wind schiebt uns. Ein Segen. Manchen Gästen steht trotzdem die Angst im Gesicht, viele haben ja nur mäßige Erfahrung mit Seegang und wissen auch nicht, was Schiffe aushalten können. Also müssen wir den ein oder anderen beruhigen, dass man sich auf dem Schiff auch bei starkem Seegang durchaus sicher fühlen kann.

Vor Mitternacht lässt der Sturm endlich nach und kaum hat er die Wolken weggeweht, gibt es Nordlichtalarm. Wo ich mich gerade darauf eingestellt hatte, für heute Feierabend zu machen. Manchmal glaube ich, Nordlicht kann riechen, dass man sich gerade ausgezogen hat. Natürlich ziehe ich alles wieder an, in der Hoffnung, dass es noch am Himmel tanzt, wenn ich fertig damit bin, mich in tausend Schichten zu hüllen. Ich habe Glück. Nicht nur, dass Miss Aurora heute gewillt ist, eine längere Vorstellung zu geben, sondern dass auch noch die Corona über unserem Schiff steht. In ein paar Wochen wird dieses Wort einen bitteren Beigeschmack haben, auch wenn es in punkto Nordlicht etwas völlig anderes meint. Denn wer die Nordlichtcorona sieht, befindet sich direkt im Zenit der Feldlinien, an denen sich die elektrisch geladenen Teilchen der Sonne entlang hangeln und durch ihr Auftreffen auf die Atmosphäre zum Leuchten angeregt werden. Um die Corona zu sehen, muss man Glück haben und wir haben heute zu den Glücklichen gezählt.

MS Kong Harald, 04. Januar 2020

Und wieder ist er da, der Wendetag. Wir sind in Kirkenes. Mein Kollege darf heute Schneemobil fahren. Ich vertrete mir nur kurz vor dem Schiff die Beine. Es ist ungewöhnlich warm in Kirkenes. Im Winter fällt das Thermometer ja doch ab und zu gerne auf minus dreißig Grad, aber im Moment ist hier mit zwölf Grad plus geradezu Hochsommer. Verrückte Wetterwelt. Und auch der nächste Sturm wartet bereits auf uns. Auch heute gibt es eine Durchsage, dass wir Schaukelfreuden entgegen sehen. Allerdings glauben wir zu diesem Zeitpunkt noch, dass es zwar schlimmer werden wird als gestern, jedoch auszuhalten. Wir täuschen uns gewaltig. Bereits als wir kurz hinter Kirkenes sind, also noch im Varangerfjord, eben noch nicht mal auf der Barentssee, werden wir ganz gut durchgerüttelt. Schon jetzt suchen sich die meisten zügig einen Platz und manch einer versucht zu selbigem seine Tasse Kaffee irgendwie zu balancieren. Überall im Schiff sichert die Crew, was man sichern kann. Das ist immer ein Zeichen, dass deutlicher Seegang zu erwarten ist. Vor Vardø wird der Sturm so heftig, dass es kaum noch möglich ist, sich auf den Beinen zu halten. Unser Schiff stampft sich durch das Wasser, zwischenzeitlich hat man das Gefühl, man fährt Achterbahn. Auch wenn ich sehr seefest bin, kann ich durchaus auf diese extremen Schaukeleien verzichten. Auf einmal wird es ruhiger. Legen wir in Vardø an? Wir können es uns kaum vorstellen. Wir checken unsere Position auf Marine Traffic. Schleichfahrt. Wir nutzen aus, dass Vardø auf einer Insel liegt und verschaffen uns eine kurze Atempause, indem wir uns zwischen Insel und Festland bewegen. Welch Wohltat. Im Schiff ist es leer geworden, denn viele haben sich auf ihre Kabine zurückgezogen und warten im Bett liegend auf Wetterberuhigung. Diesen Gefallen tut uns die Barentssee nicht. Kaum ist unsere Position wieder ungeschützt, schüttelt uns die See erneut kräftig durch. In dieser Stärke habe auch ich das lange nicht erlebt. Die Brücke informiert uns, dass es besser sei, wenn alle sich auf ihre Kabinen zurückziehen, das tun auch wir Reiseleiter jetzt. Aber selbst im Bett hat man Schwierigkeiten, sich überhaupt in einer Position zu halten. Zu allem Überfluss kommt der Wind aus einer ungünstigen Richtung für uns. Wo wir gestern noch geschoben wurden, weht uns der Sturm heute mit voller Wucht entgegen.

Kurz vor 18 Uhr gibt es eine erneute Durchsage. Das Abendessen entfällt, zumindest die ersten Sitzungen. Es ist unmöglich zu servieren. Auch daran lässt sich die Stärke des Seegangs ablesen, da ich den Service zuweilen bewundere, wie er scheinbar mühelos auch bei heftigem Schaukeln das Essen sicher an den Tisch bringt. Dass das Abendessen entfällt, ist auch für mich eine neue Erfahrung. Gelegentlich habe ich das schon von Kollegen gehört, aber auf meinen bisherigen Touren war dann doch immer irgendwie möglich, das Dinner stattfinden zu lassen. Heute versucht die Crew wenigstens in einer offenen Sitzung um 20 Uhr Nahrung bereit zu stellen. Wenn wir Båtsfjord erreichen, lässt uns die Barentssee immerhin eine halbstündige Schaukelpause. Ich bin gespannt, wie viele den Weg ins Restaurant finden werden. Und mein Magen könnte auch langsam etwas vertragen. Während viele meiner Kollegen der Nahrungsaufnahme bei mehr als Windstärke zehn nicht mehr so zugetan sind, hat mich in sechs Jahren als Reiseleiterin noch kein Seegang vom Essen abgehalten.

Um 20 Uhr finden wir uns im Restaurant ein. Welch eine Wohltat beim Laufen wieder eigenmächtig die Richtung zu bestimmen. Erstaunlich viele von unserer Gruppe haben es uns Reiseleitern gleich getan und freuen sich auf das abendliche Menü, auch wenn es heute besonders zügig serviert wird, damit das Dessert im Magen ist, bevor wir uns erneuten Schaukelfreuden zuwenden. Erst morgen früh um 5 Uhr, wenn wir Honningsvåg erreichen, werden wir wieder in geschützten Gewässern unterwegs sein.

Kaum haben wir Båtsfjord verlassen, geht es auch schon wieder los mit der Schaukelei, noch heftiger als zuvor. Mehrmals erfolgen Durchsagen, dass man sich sicher fühlen kann und unser Schiff das aushält. Es knarrt und ächzt überall. Unheimlich. Es ist nicht daran zu denken in den Schlaf zu finden, die gesamte Nacht treiben wir ungewollt Bettsport. Festkrallen, stabilisieren, zur Toilette hangeln. Mehr als dösen ist bis kurz vor fünf nicht drin.

MS Kong Harald, 05. Januar 2020

Rrrrrrrrrrrrrring. Noch nie hab ich den Wecker so verflucht. Heute müssen sich wohl alle nach gefühlten fünf Minuten Schlaf aus dem Bett quälen. Kaffee in Mengen ist heute bei den meisten das Maß aller Dinge. Da kommt uns der Energie-Kaffee vor Hammerfest gerade recht. Das darin enthaltene Chilli weckt unsere Lebensgeister wieder. Im Nu ist die bereitgestellte Menge vertilgt, fast jeder lässt seinen Becher zweimal nachfüllen, so dass aus der Küche bald Nachschub angefordert werden muss.

Weil heute Sonntag ist, ist es in Hammerfest wie ausgestorben. Die Norweger sind wohl noch im Weihnachtsferien-Modus. Wir stapfen mit einigen Gästen durch den Schnee zur Kirche, die für uns heute zumindest als Besichtigungsobjekt tabu ist, da ein Gottesdienst stattfindet. Wir sehen uns stattdessen auf dem gegenüberliegenden Friedhof um und begutachten die Kapelle, das einzige Gebäude, das die deutschen Besatzer im zweiten Weltkrieg haben stehen lassen, als der Rückzug angeordnet wurde. Der Rest der Stadt wurde niedergebrannt. Bedrückend, was unsere Nation da einst angerichtet hat. Umso erstaunlicher, dass die Norweger inzwischen wieder ein normalisiertes Verhältnis zu uns Deutschen haben, auch wenn es verständlicherweise lange gedauert hat.

Am Nachmittag erarbeiten wir uns auf der offenen Seestrecke Loppa ein Sturmzertifikat. Nicht, dass ich die Dinger mit Leidenschaft sammle, aber wenn Windstärke und Wellenhöhe ein gewisses Maß überschreiten, darf man diese hübsche Papiertrophäe mit nach Hause nehmen. Täglich hören wir, dass das ein oder andere Schiff der Hurtigrutenflotte wieder mal in einem der Häfen ein längeres Päuschen einlegt, wenn die Wettervorhersage sich in Sphären aufschwingt, die die Weiterfahrt zu gefährlich machen. Die meisten Gäste unserer Gruppe nehmen die Dauerschaukelei mittlerweile mit Humor, aber manch einer, der den Großteil der Tour in liegendem Zustand mit Spuckbeutel verbringt, fühlt sich mehr als genervt. Verständlich.

MS Kong Harald, 06. Januar 2020

Was uns Sorgen macht, ist die Wettervorhersage für die kommenden Tage. In der Regel vermeide ich ja in punkto Wetter allzu weit in die Zukunft zu schauen, denn erfahrungsgemäß können sich gerade im Winter die Prognosen stündlich verändern. Doch die Stürme reißen nicht ab. Schon wieder muss sich die Westküste auf einen Orkan vorbereiten. Wir hoffen im Stillen, dass die Vorhersage sich noch zu unseren Gunsten entwickeln wird. Nicht nur wir auf dem Schiff sind die nicht enden wollenden Stürme leid, sondern auch die Landbevölkerung will nicht länger Mülltonnen festbinden und auch sonst alles festzurren, was sich ab Windstärke zehn am nächsten morgen irgendwo anders befindet, als vorgesehen. Wir hoffen, dass es in den nächsten Tagen endlich besser wird.

Die zauberhafte Landschaft genießen wir heute so gut es geht, die noch andauernde Polarnacht ist kein hilfreicher Partner dabei, zumal es außerdem kräftig schneit. Zuweilen muss man sich bemühen überhaupt wahrzunehmen, wo der Fjord endet und die Uferlandschaft beginnt. Unsere Laune kann das nicht schmälern und nachdem wir in Stokmarknes abgelegt haben, schmeißt unser Hoteldirektor eine Runde Waffeln für das ganze Schiff. Wenn es draußen kalt ist, braucht der Magen etwas Süßes.

MS Kong Harald, 07. Januar 2020

Zurück am Polarkreis und damit ist endlich wieder die Sonne da. Zumindest klettert sie wieder über den Horizont. Sehen können wir sie trotzdem nicht, da die Wolkendecke weiter konsequent dicht hält. Zeit, ein wenig Stimmung an Deck zu machen. Da kommt die Lebertran-Zeremonie gerade recht. Zu voll aufgedrehter Musik tanzen wir übers Deck und mehr und mehr Gäste finden im windig, ungemütlichen Wetter den Weg nach draußen. Fast alle schlucken den Löffel Lebertran und tragen die Trophäe, den Hurtigrutenlöffel, mit in ihre Kabine. Wie auf jeder Tour müssen wir etliche unserer Gäste davon abhalten, den abgeleckten Löffel in der Jackentasche zu verstauen. Lebertran hat die unangenehme Eigenschaft für Wochen jeden Stoff mit seinem Fischgeruch zu kontaminieren. Bei kräftigem Wind wie heute ist es sowieso ein gewisses Wagnis den gefüllten Löffel zum Mund zu führen. Je länger man zögert, umso grösser ist die Gefahr, dass die Jacke für den Rest der Tour in einer luftdichten Tüte wohnen muss, es sei denn man bevorzugt herzhaft tranigen Fischgeruch in seiner Kabine.

Den Rest des Tages aber bevorzugen die meisten Gäste die Innenräume des Schiffes, denn der Wind wechselt sich mit Nieselregen ab. Nasskaltes Schmuddelwetter. Auch der Wetterbericht für morgen begräbt unsere Hoffnung auf eine erträgliche Überfahrt der Hustadvika, der offenen Seestrecke, die durch ihre Strömungsverhältnisse gerne die Schiffe tanzen lässt. Für das Vestkapp sieht es nicht besser aus. Es ist ebenfalls eine der Landmarken an der Strecke, mit denen nicht zu spaßen ist. Jetzt an Tag zehn befinden wir außerdem, dass wir bereits genug geschaukelt sind. Niemand von uns hat Lust auf eine weitere schlaflose Nacht. Die steht uns allerdings auch heute noch einmal bevor, denn nach dem Abendessen wartet die offene Seestrecke Folda auf uns. Langsam reicht es. Es passiert mir so gut wie nie, dass ich mich auf das Ende einer Tour freue, aber gelegentlich bin ich doch dankbar, wenn meine nächtliche Erholungsphase länger als zwei Stunden beträgt. Diese Nacht ist das nicht der Fall.

MS Kong Harald, 08. Januar 2020

Wir sind zurück in Trondheim und schielen schon wieder auf den Wetterbericht. Kaum zu glauben, dass nicht weit südlich von uns der Sturm tobt, wo in Trondheim heute die Sonne über der klirrend kalten Stadt scheint. Um 10:30 Uhr liegen wir immer noch am Kai und wir ahnen bereits, dass auf der Brücke erörtert wird, ob wir überhaupt weiter fahren. In dem Fall, dass wir ablegen, müssen wir mit Windstärke zwölf rechnen. Gegen 11 Uhr haben wir Gewissheit. Die Reise endet in Trondheim, es ist zu gefährlich, die Weiterfahrt zu riskieren. Nicht lange und unsere halbe Gruppe steht in unserer Sprechstunde Schlange. Wie geht es jetzt weiter? Werden wir unsere Rückflüge morgen erreichen? Bleiben wir auf dem Schiff oder werden wir ins Hotel umquartiert? Wir wissen es noch nicht. Es beginnt ein Organisationsmarathon. Während Hurtigruten alle Möglichkeiten eruiert, wie die Gäste zurück nach Hause kommen, versucht das Expeditionsteam ein Notausflugsprogramm aus dem Boden zu stampfen und bindet dabei auch uns externe Reiseleiter ein. Wir fungieren als deutsche Übersetzer, da deutsche Guides in so hoher Zahl und noch dazu im Winterhalbjahr kaum aufzutreiben sind. Während wir Reiseleiter zu Aushilfsguides werden, kann das Expeditionsteam in engem Kontakt mit Hurtigruten bleiben, denn 450 Flüge von Trondheim nach Bergen müssen irgendwo hergezaubert werden. Zwischenzeitlich zieht unser Schiff vom Hurtigrutenkai zum Ila Pier um, dem eigentlichen Kreuzfahrtterminal, damit wir die Liegeposition nicht tagelang blockieren. Denn auch die neuen Gäste müssen statt in Bergen hier in Trondheim zusteigen.

Der erste Ausflug führt am Nachmittag ins Sverresborg Freilichtmuseum. Auch ein neues Gefühl, dass man um diese Zeit noch in Trondheim weilt, wo wir im Normalfall doch spätestens um 13:15 Uhr die Stadt mit unserem Schiff wieder verlassen. Das Freilichtmuseum liegt außerhalb und wer hier ein paar Stunden verbringt, begibt sich auf eine Zeitreise. Nicht nur die Grundmauern der ersten steinernen Festung des Landes gibt es hier zu sehen, die von König Sverre bereits im 12. Jahrhundert erbaut wurde. Auch zahlreiche historische Gehöfte aus der Region fanden hier ihren Platz, sowie die Trondheimer Altstadt aus dem 18. Bis 20. Jahrhundert, die man hier für die Nachwelt erhält. Kunterbunt reihen sich die Häuschen hier aneinander. Wer mag, schaut beim Zahnarzt oder in der Apotheke vorbei oder inspiziert den Kramladen, alles liebevoll arrangiert und wie aus einer anderen Zeit. Gleich nebenan kann man einige Hütten der Südsamen bestaunen und auch noch im Fjorddorf vorbei schauen, das sogar eine Stabkirche aus dem 12. Jahrhundert besitzt, die Stabkirche von Haltdalen. Sie steht hier seit 1937 und ist nicht nur die älteste des Landes, sondern auch die nördlichste authentische.

Am späten Nachmittag erfahren wir, wie der Heimflug morgen organisatorisch ablaufen wird. Da so kurzfristig nicht für alle Gäste Flüge zur Verfügung standen, hat Hurtigruten kurzerhand drei Maschinen gechartert, die uns morgen nach Bergen bringen werden. Von dort reisen alle mit ihren planmäßigen Flügen nach Hause. Bereits jetzt hängen am Infobrett die Namenslisten, wer in welcher Maschine fliegt. Unsere Gruppe ist gleichmäßig auf alle drei Flüge verteilt, da sich die Startzeit aber nur um jeweils zehn Minuten unterscheidet, können wir unsere Schäfchen gut zusammen halten.

Nach dem Abendessen geht es weiter mit dem Sonder-Ausflugsprogramm. Das Museum Rockheim hat seine Öffnungszeit extra für uns verlängert. Auf dieses Musikmuseum freue ich mich ganz besonders, denn hier wollte ich schon jahrelang einmal vorbei schauen, aber die Öffnungszeiten waren mit der Liegezeit unseres Schiffes eher nicht kompatibel. Das Museum ist interaktiv und umfasst die gesamte norwegische Musikgeschichte. Natürlich hat man da als Nicht-Norweger gewisse Bildungslücken, aber durchaus auch das ein oder andere A-ha - Erlebnis, im wahrsten Sinn des Wortes. Knöpfchen drücken ist hier Programm und wer mag, zaubert per Fernbedienung Videoclips aus der Musikgeschichte der letzten fünfzig Jahre an die Wand. Dazu gibt es allerhand Deko aus den einzelnen Jahrzehnten, alte Musikinstrumente und natürlich das rote Cadillac aus den 50er Jahren, mit dem man am liebsten gleich auf Spritztour fahren würde. Für die Death Metal Liebhaber gibt es einen eigenen Raum, in dem man stilechte Konzertatmosphäre genießen kann. Nichts für schwache Ohren. Ich muss nach zwei Minuten in ruhigere Museumsteile flüchten. Fast bis 23 Uhr halten wir uns im Museum auf, komponieren stümperhaft eigene Songs mit den Mischpulten und geben uns dem Multimedia-Zirkus hin, bis uns der Bus zurück zum Schiff bringt.

Kaum dort angekommen, vermisst einer unserer Gruppengäste sein Handy. Es ist mindestens das fünfte Mal, dass wir auf dieser Tour nach einem verlorenen Mobiltelefon fahnden. Zum letzten Mal gesehen hat der Gast das Ding im Rockheim Museum, also rufe ich kurzerhand dort an, ob sich das Telefon irgendwo gefunden hat. Keiner mehr da. Das war zu befürchten, da wir quasi dort die Türe abgeschlossen haben, als wir das Museum verließen.

Bereits um 11 Uhr morgen früh holt uns der Transferbus ab um uns zum Flughafen zu bringen. Das Museum öffnet um die gleiche Zeit und ich hoffe inständig, dass die Mitarbeiter deutlich früher da sind um nach dem verlorenen Handy zu suchen. Für heute können wir nichts mehr tun.

MS Kong Harald, 09. Januar 2020

Bereits um 9 Uhr rufe ich im Museum Rockheim an und wir haben Glück. Die Mitarbeiter sind bereits da und das verlorene Handy wurde gefunden. Flugs bestellen wir den Gästen ein Taxi, so dass sie das Mobiltelefon schnell abholen können.

Als die Transferbusse vorfahren, geht alles hoppla hopp. Es ist so ein ganz anderer Ausschiffungstag. Koffer im Eiltempo verladen, einsteigen und ab zum Flughafen. Und der ächzt heute unter der Masse der Fluggäste, die für Trondheim doch eher ungewöhnlich sind. In der Terminalhalle stapeln sich die Passagiere, für unsere Charterflüge wurden extra Sonderschalter eingerichtet. Ein paar Gäste finden sich erst nach längerem Suchen auf der Passagierliste, die Aufregung ist bei einigen groß. Dafür, dass nur wenig Zeit blieb um die Flüge zu organisieren, finden wir Reiseleiter, dass das eine logistische Meisterleistung ist. Die Gäste sind solche Situationen natürlich eher nicht gewohnt und gleiten schneller in nervöse Zustände ab als wir Reiseleiter, für die diese Situationen zum Berufsalltag gehören.

An den Gates ist es so voll, dass es einer Touristen-Überschwemmung gleich kommt, Bodenpersonal läuft hektisch umher um der Masse Herr zu werden. Ein geradezu paradiesischer Zustand angesichts der Tatsache, was dieses Jahr im weiteren Verlauf noch zu bieten hat. Neunzig Minuten später sitzen wir im Flieger und rollen Richtung Runway. Netterweise fliegen wir kurz nach dem Start noch einmal übers Schiff und genießen den herrlichen Blick auf die Innenstadt von Trondheim. In Bergen angekommen beruhigt sich die Aufregung und die Gäste kommen zunehmend wieder in ihren Entspannungsmodus. Auch wir Reiseleiter fliegen nun nach Hause und bereiten uns auf unsere nächste Tour vor. Schon in zehn Tagen werde ich zurück nach Bergen fliegen um dort die nächste Gruppe in Empfang zu nehmen.

Die Januar-Tour - die Bedrohung wächst

Bergen, 19. Januar 2020

Hallo Bergen. Die erste „Nordlicht und Sterne“ Themenreise dieses Jahres erwartet mich, bei der nicht nur eine Reiseleiterkollegin dabei sein wird, sondern auch zwei Lektoren, die während der Reise eine Reihe von Vorträgen zu allen Themen halten, die sich mit dem Universum befassen. Die beiden Lektoren werden erst morgen mit den Gästen anreisen, aber meine Kollegin fliegt wie ich schon heute nach Bergen. Da sie nur zwanzig Minuten später als ich landet, beschließe ich, im Terminal auf sie zu warten. Während ich in der Ankunftshalle herumschlendere, fällt mir ein gelbes Schild auf: Vorsicht, Coronavirus! „Da scheint Wohl jemand hysterisch besorgt zu sein, dass man da ein Schild aufhängen muss“, denke ich. Viren sind doch nichts neues und überall, wo wir uns bewegen, kommen wir mit Viren und Keimen in Berührung, gerade befinden wir uns in der jährlichen Influenzazeit. Ich habe bereits in den Nachrichten davon gehört, dass in China ein neuartiges Virus ausgebrochen sein soll, aber ich neige nicht zu Panikreaktionen, deshalb nehme ich die Nachricht zwar zur Kenntnis, aber ich denke über das Ganze nicht weiter nach. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es nur noch acht Wochen bis zur Katastrophe sind.

Nach zwanzig Minuten ist meine Kollegin da. Wir sind lange nicht zusammen gefahren und nach unserem Check-In im Airport Hotel legen wir erstmal eine Plauderrunde ein. Im Duty-free-Shop haben wir uns eine Flasche Sekt gegönnt, die wir dabei schlürfen. Da die Gäste morgen erst am Nachmittag anreisen werden, können wir ausschlafen. Wir plappern über die bevorstehende Tour, freuen uns auf die Lektoren und rätseln, wie wohl die Gruppe sein wird.

Bergen, 20. Januar 2020