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Ein Jahr ist vergangen, seit der Kampf um die Macht von Gottes Gnade entschieden wurde.
Inzwischen haben sich zwei Lager gebildet. Die Engel und Menschen haben sich in der Höhle des Tores zu Gottes Gnade niedergelassen und leben unter der Führung einer verschwiegenen Priesterin. Sie kam aus dem Licht von Gottes Gnade und trat mit der Botschaft, von Gott gesandt worden zu sein, an die Schöpfung heran.
Die dämonischen Neo-Angels hingegen haben in Methos ihren König gefunden.
Eine unausgesprochene Kriegserklärung liegt in der Luft.
Doch König Methos wird von den neuen Erzengeln vor das himmlische Gericht gebracht.
Die Priesterin sieht ihre Chance, die Lager zu vereinen und Frieden zu schaffen.
Während dieser Zeit taucht eine junge Frau ohne Erinnerungen, Zugehörigkeit oder einer Ahnung, wer sie überhaupt ist, auf und schließt sich der Priesterin an.
Dann war da noch Vaith...
Abseits dieser Unruhen wird in einer vergessenen Dimension ein uraltes Wesen des Himmels aus seinem vermeintlich ewigem Grab befreit und an die Kette genommen.
Glutrote Augen erblicken zum ersten Mal die irdische Sphäre.
Der zweite Teil der apokalyptischen Erzählung um das Vermächtnis des Engels Nekro
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Ein Jahr war vergangen, seit ein bis dahin unbekannter Dämon den Engel Nekro tötete und mit seinem Fleisch genährt, eine völlige Wende in den prophezeiten Ablauf der Apokalypse brachte.
Eine neue Rasse, die sich selbst den Namen „Neo-Angels“ gab, breitete sich mehr und mehr trotz des himmlischen Widerstandes der Engel aus. Diese Entwicklung brachte auch besondere Einzelschicksale hervor und diese wiederum wurden zu tragenden Säulen der irdischen Geschichte. Sie selbst begriffen ihre enorme Wichtigkeit nicht und doch spielten sie ihren vorgesehenen Part im göttlichen Spiel zwischen Himmel und Hölle.
Allerdings waren ihre Taten nur der Anfang – oder doch das vorzeitige Ende?
Der Engelsmörder und erster Neo-Angel Methos versuchte auf seine Art eine Machtposition zu erlangen. Immer an seiner Seite, Aphila, die Schwester Methos'. Man kann ohne Zweifel von einer äußerst intensiven Geschwisterbeziehung bei den beiden sprechen. Nicht zuletzt, weil Methos ihren Geliebten – einen Menschen, der sich als mächtiger Erzengel Raphael herausstellte – tötete und sich ihn einverleibte. Während dies geschah stellte sich Aphila, die dem magischen Bann eines mächtigen Artefaktes namens Runenschlüssel verfallen war, dem in Ungnade gefallenen Engel Vaith. Dieser gehörte wie sein Bruder Nekro den Engeln einer neuen Ordnung an, welche Gott nach der Entledigung seiner bis dahin treuen Diener an deren Platz setzte. Doch seine Lösung, die „alten“ Engel zu Menschen ohne Wissen über ihre tatsächliche Herkunft und der ihnen innewohnenden Macht zu machen, wurde vom Teufel als Chance aufgegriffen und so leitete er den menschlich gewordenen Michael.
Die Fäden der Schicksale führten zusammen und so wurde Aphila zur Erlöserin der alten Engel sowie zur Trägerin des Runenschlüssels. Vaith dagegen verfiel nach dem Tod seines Bruders dem Gedanken nach Rache, welche ihn in einen unstillbaren Blutrausch versetzte. Dies kam dem Teufel als weitere Option in seinem noch immer unklaren Plan sehr gelegen. Er gab dem Machthungrigem, was er begehrte und brachte ihn damit in seine Hände. Außerdem trafen Michael und Lucifer offenbar entgegen der Abmachung mit dem Teufel aufeinander, woraufhin dieser die Notbremse zog und beide weit weg in eine andere Zeit schickte, um die Räder der apokalyptischen Prophezeiung noch eine Weile still stehen zu lassen.
Diese Konstellation führte schließlich zu einem erbitterten, gleichgestellten Kampf zwischen Aphila und Vaith. Letztlich entriss Vaith der tödlich verletzten Aphila den Runenschlüssel sowie all ihre Magie – was sie von einem Neo-Angel zu einem Menschen werden ließ.
Vaith benutzte den Runenschlüssel um die Macht von „Gottes Gnade“ zu entfesseln. Zu seiner Überraschung war damit kein weiterer Machtschub verbunden – sondern eine Konfrontation mit seinem verstorbenen Bruder Nekro. Dieser nahm ihn hart für seine im Rahmen seiner Rachegelüste begangenen Sünden ins Gericht. Nach der Verbüßung aller niederen Sünden kam es zu einer schicksalsschweren Entscheidung für Vaith. Seine größte und machtvollste Sünde war der direkte Pakt mit dem Teufel gewesen und selbst Nekro war sich nicht sicher, ob diese überhaupt wiedergutzumachen war.
Um diese letzte Sünde hinter sich lassen zu können, ging Vaith mit Nekro eine Art Symbiose ein. Dabei übernahm Nekros Seele den Körper Vaiths, auf dass seine Präsenz als reiner Engel das teuflische Brandmal ausradiere. Nach der Verschmelzung betrat er erneut den Schauplatz des Kampfes mit Aphila und gab auf Nekros Geheißen den Runenschlüssel an sie zurück. Er selbst verließ daraufhin mit dem Engel Lamal, der ihn herzlich begrüßte das Schlachtfeld und ließ Aphila zurück, die kurz vor ihrem nahenden Tod von Gottes Gnade erfasst und scheinbar mit ihrem verlorenen Geliebten Raphael wieder zusammengeführt wurde.
Dies alles war zu Beginn dieser Geschichte ein Jahr her.
Eng umklammerten Methos' Körper die kalten Ketten, fixierten ihn an den harten, schmucklosen Stuhl. Jeweils zwei dieser Ketten waren an seinen Handgelenken und den Fußknöcheln befestigt. Eine starke, magische Energie durchfloss jede einzelne dieser und bannte ihn an seinen Aufenthaltsort. Doch er lächelte, das Lächeln eines Wahnsinnigen.
„Angeklagter Neo-Angel, der auf den Namen Methos hört, Sie wissen sich dem himmlischen Gericht der 8 Erzengel der neuen Ära gegenüber. Es darf schon zum Auftakt dieses Prozesses mit einer für Normalsterbliche höllischen Strafe gerechnet werden, der Herr selbst ist über Ihre Taten erbost – wie, frage ich Sie, können Sie da noch lächeln?“, wunderte sich der oberste der himmlischen Richter von seinem Podest auf Methos hinunterschauend. Jeweils links und rechts neben ihm saßen die restlichen Richter. Alle 8 waren von Kutten verhüllt, doch Methos spürte ihre ängstlichen, verachtenden Blicke deutlich auf sich. Er erwiderte: „Ihr fühlt euch alle so stark, weil ihr mich mit vereinter Kraft gerade so festhalten könnt und zugleich seid ihr zu feige mir eure Gesichter zu zeigen. All das betont bloß die Lächerlichkeit mit der ihr Engel immer noch versucht eine aussichtslose Situation zu retten.“
Da hörte man ein amüsiertes Schnauben vom obersten Richter: „Den Mut muss man erst einmal haben. Mit den 8 Ketten der neuen Erzengel festgesetzt, nicht fähig vor den Folgen seiner Vergangenheit zu flüchten und dann solche Äußerungen zu bringen. Es ist doch sehr offensichtlich, wer sich hier in einer aussichtslosen Situation befindet.“ Ehe er sich hätte weiter über Methos' Verhalten aufregen können, wurde er von dem ihm nächsten Richter leicht an der Schulter berührt, der ihm etwas zuflüsterte. „Natürlich, wir sollten den Prozess nun ordnungsgemäß durchführen. Dem Angeklagten wird Folgendes zur Last gelegt: Mord am Engel Nekro, was für sich schon ein schweres Verbrechen gegenüber der gesamten himmlischen Instanz darstellt. Doch diese Tat hat eine große Welle weiterer, schwerwiegender Ereignisse ausgelöst, welche auf bis heute unkalkulierbare Weise den natürlichen Fortlauf des irdischen Geschehens massiv beeinträchtigen. Jede Schädigung eines Engels auf irdischem Boden nach genannter Tat, kann dem Angeklagten zu Lasten gelegt werden. Dies folgt aus der eindeutigen Betrachtung, dass mit dem Mord an dem Engel Nekro der Auftakt zu jeder weiteren Eskalation der irdischen Konfrontationen zwischen Vertretern des Himmels und der Vertreter der Hölle gegeben war.“ Das Lächeln auf Methos' Lippen wurde noch etwas ausgeprägter: „Ihr schmeichelt mir. Erzählt ruhig weiter.“ Ohne auf Methos zu achten, fuhr der Richter fort: „Zu diesem Ergebnis kommt das Gericht durch den verdeckten Ermittler, der in der Gestalt des Engels Lamal die irdische Lage an der Front beobachtete und auswertete.
Dieser führte allen Anklagepunkten voraus die letzte Tat des Angeklagten als Grund für eine schnellstmögliche Gewahrsamnahme. Bei dieser handelte es sich um den Mord und anschließenden Verzehr des Erzengels Raphael. Das Gericht sah, wie der Ermittler, die sofortige Gefangennahme des Angeklagten als zwingendnotwendige Maßnahme.“
Nun brach ein leises, abgrundtief böses Lachen aus Methos heraus. Er fühlte sich geschmeichelt, die Schilderung seiner Vergehen stimmte ihn hungrig. „Sagt, meine verehrten Kuttenträger – es erfreut mich, dass ihr schon jetzt die wichtigsten Punkte meiner späteren Biografie festhaltet, um mir bei eurer Anpreisung gerecht zu werden – wenn ich bald des höchsten Thron besteige. Doch sagt, habt ihr eine Ahnung, wer ich bin?“ Der Richter, der zuvor die Klageschrift vorgetragen hatte war verstummt. Getuschel brach unter den Richtern um ihn herum aus. Gerade als der oberste Richter ansetzen wollte: „Ruhe, Ruhe, der Angeklagte sagt nur etwas wenn – “ Nun aber war Methos' Zeit gekommen: „ – Wenn er genug von diesem himmlischen Theater hat. Dies ist nun geschehen und ich sehe mich gezwungen euch weltfremden Wesen eine Neuigkeit zu vermitteln; Eure Vorkehrungen waren nie in der Lage mich ernsthaft zu halten!“ Während er dies sagte, breitete sich ein dunkelbläulicher Schimmer um seinen in Ketten gelegten Körper aus. Das Tuscheln der Richter wurde Zunehmens lauter, der oberste Richter sprang erschrocken auf, beugte sich vor. Der blaue Schimmer verstärkte sich, an den Ketten schlängelten sich schließlich blaue Flammen entlang, hoch zu den Verankerungen jener Ketten. Methos selbst richtete sich gemächlich, aber bestimmend auf. Er ballte seine Hände zu Fäusten und sprengte mit einem kraftgeladenen Aufschrei die Ketten von sich ab.
Von der Befreiung ihres Angeklagten überrumpelt, rief der oberste Richter: „K-Ketten, mehr Ketten, schnell!“ Mit dem Finger auf Methos zeigend. Prompt flogen weitere solcher von den Erzengeln geschmissen auf ihn zu. Er aber zeigte Geschick, schnappte sich die ihm zufliegenden Ketten und umwickelte sie um seinen Arm. Als er schwungvoll an diesen zog, flogen die Werfer vom Podest herunter zu ihm. Augenblicklich züngelten die Flammen auf den Ketten hinüber zu den himmlischen Richtern auf dem Boden. Schreiend versuchten diese sich zu erwehren, doch es war zu spät – die Flammen umhüllten sie, brannten sich durch ihre Kutten und ihre Engelskörper. Methos kam jetzt Schritt für Schritt dem Podest näher, dort stand nur noch der oberste Richter. Methos hatte nicht nachgezählt, wie viele die Flammen nährten und wie viele wohl geflohen waren. Das kümmerte ihn auch nicht. Im Vergleich zu dem ihm bekannten Erzengel, der im Jahr zuvor gegen seine Schwester gekämpft hatte, waren diese hier ohnehin nur Abfall.
Methos breitete seine Flügel aus, sprang und landete direkt vor dem zurückweichenden Richter. „Bleib mir fern, Sohn des Teufels!“, brüllte dieser heraus. Methos aber schnaubte und kam näher. Scheinbar war der Richter von Methos' Präsenz wie gelähmt, denn statt zu fliehen oder sich zu wehren, ging er zitternd auf die Knie. „Was bist du?...“, fragte er dem Ende entgegen sinnend. Methos beugte sich zu dem Knienden herunter und sprach in dessen verhülltes Gesicht: „Ich bin der neue Gott.“
Die nächsten Minuten war das himmlische Gericht von albtraumhaften Schreien des Richters und Geräuschen wie von einem wilden Tier beim Fressen erfüllt.
Nach seinem Mahl suchte sich der äußerst zufriedene Methos einen Weg aus dem Gericht und landete auf einem offenen Gelände. Er stand auf Wolken, rechts von dem Ausgang des Gebäudes war eine seltsame Konstruktion aus verschiedenen Lupen und Linsen angebracht, links von ihm wiederum schien ein Gittertor den Weg aus dem Himmel zu weisen. Als Methos auf dieses zuging, erkannte er eine einzelne Person davor stehend. Es war ebenfalls ein Engel wie es schien, wie die Richter in eine Kutte gehüllt. Doch statt auch ihn niederzumetzeln, spürte Methos bei diesem Anblick ein für ihn sehr fremdes Gefühl. Er kramte in seinem Kopf nach einer Möglichkeit dieses ihm so fremde Empfinden in ein Wort zu fassen. Der Engel bewegte sich nicht, Methos aber nahm die durchdringenden Augen wahr, die ihn im Verborgenen so anstarrten, dass selbst ihm Gänsehaut kam. „Du solltest mal besser nach deinen Freunden im Gericht sehen, denen scheint es nicht so gut zu gehen“, brachte Methos in gezwungen lässiger Art heraus. Doch zu seinem Erstaunen musste er nach seinem Satz schwer schlucken. Es war für ihn Zeit, diesen Ort zu verlassen.
Mit einem kräftigen Schubs stieß er das Himmelstor auf. Er verkniff es sich, zu dem noch immer stillstehenden Engel hinter sich zu schauen. Gerade, nachdem er seine Flügel ausspannte und mit einem beherzten Sprung dem Himmel ins Irdische entfloh, wurde ihm bewusst, dass das Gefühl Ehrfurcht genannt wurde.
In diesem Moment, schon zu weit für Methos' Ohren, sagte Lamal mit fester Stimme: „Ich werde schon noch einen Weg finden, dich auf deinem dunklen Pfad zu stoppen – Methos, erster der Neo-Angels.“
Wie ein nasser Sack, hing die namenlose Frau mittig an den Armen ihrer Finder herab. Sie hatten sie an einer Oase in der Wüste entdeckt und mitgenommen. Ihr Körper war stark geschwächt, auch war ihr Verstand nicht in guter Verfassung. Zwar war sie eine erwachsene Frau, doch bis auf grundlegende Fähigkeiten wie die Sprache, waren ihr alle Persönlichkeitsmerkmale genommen. Ihre erste verfügbare Erinnerung nachdem sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte, war das tödliche Wasser mit dem sich ihre Lunge zuvor gefüllt hatte.
Als die beiden engelhaften Träger ihrerseits landeten, waren sie am Eingang einer steinernen Höhle angelangt. An diesem standen zwei Männer in sommerlicher Bekleidung, anders als ihre Begleiter mit ihren eines Pfarrers ähnlichen Gewandes in hellblau. Einer der Männer machte ein paar Schritte auf sie zu: „Ismael, Kazaan – was habt ihr uns da denn angeschleppt? Eine neue Bedienstete?“ Seine stahlblauen Augen griffen sie mit seinem starren Blick regelrecht an. „Bleib geschmeidig, wir haben sie draußen an der Oase nördlich von hier gefunden. Das arme Ding ist völlig am Ende – aber sie scheint Magie in sich zu tragen“, antwortete der Mann rechts von ihr. Sofort erweichte sich der Blick des Fragenden: „Wenn das so ist, immer rein mit ihr. Wir können jeden Funken davon gebrauchen.“ Mit einem Nicken beendete der Mann, der zuvor geantwortet hatte die Konversation und die Frau spürte, wie sie mit einem sanften Ruck zum Weitergehen ermuntert wurde. Nur schwerfällig wollten ihre Beine reagieren. Ohne die Hilfe der zwei Männer wäre sie kaum einen Meter ohne zu stürzen gekommen. Sie atmete angestrengt, dieser einfache Gang in die Höhle hinein war eine brutale Herausforderung für diesen Körper, der genauso gut einem übergroßen Säugling hätte gehören können.
Endlich zum anderen Ende des Ganges gekommen, staunte sie nicht schlecht; diese Höhle war gigantisch und dennoch gut gefüllt mit Leuten. Es war sowas wie ein improvisiertes Feldlager. Hier und dort gab es Zelte und Lagerfeuer. Auffällig war allerdings, dass manche Leute in einem von Zäunen abgegrenzten Bereich waren. Diese trugen im Gegensatz zum Rest der Personen hier keine Flügel und waren alle unterschiedliche Arbeiten verrichtend… Jetzt erst fiel ihr das überhaupt auf. Irgendwie hatte sie diese Flügel als selbstverständlich betrachtet, dabei besaß sie selbst keine. Hieß das nun, sie würde jetzt hinter die Abgrenzung gebracht werden?
Doch stattdessen führten die - sie schon bald vollkommen nur noch mit sich herumschleppenden - Engel, sie zur entgegengesetzten Richtung. Ein innerlicher Schauer überkam die Frau, als ihr bewusst wurde, zu einer Erhöhung, einer Art schmucklosen Thron geführt zu werden. Auch hier standen Wachen, aber sehr viel zahlreicher und in den gleichen Gewändern gekleidet wie ihre Begleiter. Beim Nähertreten wurden sie auch hier wieder gestoppt. Einer der Männer streckte autoritär seine flache Hand vor die drei aus und sprach: „Halt! Keinem Menschen ist ohne ausdrückliche Erlaubnis der Zutritt zur Priesterin gewährt!“ Doch das war ihrem rechten Begleiter nur ein amüsiertes Lächeln wert: „Ach, Ashka. Willst dich wieder wichtig tun? Du siehst doch, dass wir einen Neuzugang dabei haben. Würde ich unsere schwerbeschäftigte Priesterin wirklich mit einer Nichtigkeit belästigen?“ Die Wache antwortete nicht sonderlich überzeugt: „Wer soll das sein? Diese Menschenfrau da zwischen euch? Wollt ihr mich verhöhnen? Sorgt erst einmal dafür, dass sie euch nicht wegstirbt, ehe ihr nach einer Audienz fragt!“ Missmutig verzog ihr Fürsprecher seine Miene. Vor einem weiteren Ansatz meldete sich aber ihr zweiter Begleiter zu Wort: „Lass gut sein Ismael, Ashka hat doch Recht. Sieh sie dir doch mal an, wir haben ihr eine atmende Wasserleiche mitgebracht. Bringen wir sie erst einmal zu den Menschen, die sollen sich um sie kümmern.“
Ein mitleidiger Blick Ismaels wanderte auf die Frau und nach einem kurzen Zögern kehrte er dem Thron den Rücken und hievte ihren erschlafften Körper auf seine Schultern. „Gut, ich bringe sie dorthin, besorge du ihr bitte halbwegs passende Kleidung, wir können sie der Priesterin schlecht nackt vorstellen.“ Lächelnd stimmte Kazaan zu und so brachte Ismael die Namenlose herüber zum Menschengebiet. Sie fühlte die Wärme von seinem Körper ausgehend und lag sehr komfortabel gebettet auf seinen Flügeln, dass sie kaum mehr ihre Augen aufhalten konnte und döste schließlich vor sich hin.
Ein Geruch, der ihren Magen knurren ließ, holte sie wieder in den Wachzustand zurück. „Ah, du bist aufgewacht. Dann gebe ich dir jetzt eine Portion Suppe. Danach wirst du dich besser fühlen“, sprach eine Frau in Lumpen vor ihr. Sie befand sich nicht mehr auf dem Rücken des Engels, sondern spürte ein Tierfell unter sich, darunter lugte Stroh hervor. Auch war sie nicht länger nackt, sie trug jetzt etwas wie ein Nachthemd, nur war der Stoff dicker – in ihrer schläfrigen Kraftlosigkeit fühlte sie sich wie in einer schweren Rüstung. Vorsichtig hievte sie sich hoch und setzte sich auf. Die Wärme des Lagerfeuers über dem die Suppe köchelte, strahlte ihr ins Gesicht. „Was ist das hier? Wie komme ich hierhin“, wisperte sie. Die Lumpenfrau antwortete: „Du bist hier im Menschengehege. Die Engel nennen es Wohnbereich – aber die reden auch über uns als Bedienstete, obwohl wir eher Nutzvieh oder Sklaven für sie sind. Einer dieser Engel hat dich zu mir gebracht – ich bin übrigens Clara. Wie darf ich dich nennen?“ Ihr Gegenüber schüttelte jedoch mit dem Kopf: „Tut mir leid, ich habe keinen Namen – oder zumindest kenne ich ihn nicht. Alles ist so vernebelt in meinem Kopf, als sei ich nur ein Teil eines Großen und dieses hätte meine Identität mitgenommen. Wenn ich versuche durch den Nebel auf mich zu schauen, kriege ich bloß Kopfschmerzen.“ Resignation machte sich in ihr breit. Sie war gerade wissend genug, um zu überleben. Es wunderte sie fast, dass sie nicht vergessen hatte, wie man atmet. Clara schaute sie nachdenklich an, während sie ihr eine Schüssel mit heißer Suppe reichte: „Du Arme. Nicht zu wissen, wer du bist. Andererseits – was haben Persönlichkeiten in der heutigen Zeit schon noch für Bedeutungen? Wir sind am Ende. Die menschliche Welt wurde ausradiert und wir paar Wenigen werden behandelt, wie wir einst unser Schlachtvieh behandelten. Vielleicht tust du ganz gut daran, dich selbst neu definieren zu dürfen. Lass dir Zeit, finde für dich selbst einen Namen. Das mag das größte Geschenk sein, dass einem Menschen am Rande der Menschheitsauslöschung gegeben werden kann. Jetzt iss aber erstmal deine Suppe, anschließend zeige ich dir das Gehege etwas.“
Die Namenlose löffelte die Suppe und die in sie hineinströmende Wärme breitete sich wie pure Lebenskraft in ihr aus. Sie fragte sich, ob es nicht möglich war, dieser Welt wie Clara sie beschrieb auch eine Suppe zu geben und alles konnte wieder gut sein. Löffel um Löffel fühlte sie, wie ihr Körper seine Funktion besser erfüllte. Gestärkt wurde ihre Neugier über diesen Ort größer. Nach ihrem Mahl stand sie vorsichtig, aber standhaft auf und Clara führte sie wie von ihr angekündigt im Gehege herum. Viel gab es allerdings nicht zu sehen. Ein paar Leute waren damit beschäftigt Ausrüstung für die Jagd oder auch zerfetzte, schmutzige Kleidung nutzbar zu bearbeiten. Clara kommentierte dazu: „Ab und zu dürfen die Männer heraus, um Wild zu jagen. Natürlich nur in Begleitung von mindestens zwei der Engel. Auch wenn es kaum mehr als vielleicht Echsen zu fangen gibt – Dämonen oder gar Neo-Angels können überall auftauchen. Die Welt da draußen ist vom Bösen verseucht, Gott ist tot oder hat versagt. Oder er mag uns nicht mehr.“ Bei Letzterem kicherte Clara seltsam hysterisch, fing sich aber sogleich wieder. Die Frau aber schaute sie fragend an.
Da verstand Clara: „Oh, du weißt gar nichts davon. Mädchen, wir befinden uns nicht einfach in Sklaverei – das hier ist die Welt nach der Apokalypse. Das Zeitalter der Menschen ist vorbei. Die neuen Herren der Schöpfung sind himmlischer und höllischer Natur. Da gibt es Dämonen, im Grunde nicht mehr als monsterhafte Tiere mit etwas besserem Verstand. Dann noch Neo-Angels. Das waren – soweit die Gerüchte stimmen – auch mal Dämonen, wurden aber durch das Fressen von Engelsfleisch zu Mutanten. Die haben weit mehr Ähnlichkeit mit Engeln als ihrer Herkunft, einzig durch die schwarzen Flügel merkt man den Unterschied.
Schon verrückt, diese Wesen und Engel unterscheiden sich im Aussehen kaum, vielleicht kommt das nicht von ungefähr.“ Wieder überkam sie ein verstörtes Kichern.
„Tja – und dann sind da die alten und neuen Engel“, Claras Blick wurde glasig: „Die Engel der alten Zeit stammen noch aus der Welt, als wir Menschen noch das Recht auf die Erde hatten und sie uns unterstützten. Die neuen Engel dagegen sehen uns als seelenlos an. Scheinbar ist allen Engeln erfolgreich erzählt worden, die menschlichen Seelen seien allesamt ins Himmelsreich gewandert. Ich frage mich gerne mal, ob ich demnach ein verrückter, leerer Körper bin oder vergessen wurde.“ Ihr Ton wurde düster und Clara schien in ihre ganz eigene Gedankenwelt zu versinken. Ein Seufzen überkam sie, sie wandte sich wieder der Frau zu: „Jedenfalls gehört diesen jetzt die Welt. Wir sind nur noch zum Benutzen da, bis alle Menschen ausgestorben sind. Wir sind eine überholte Rasse. Ab und zu finden sie da draußen noch Überlebende, aber das sind dann bloß Wracks wie du sie hier arbeiten siehst. Sie können noch das tun, was sie zum Leben brauchen – aber versuch mal mit ihnen zu reden… Es ist traurig.“ Plötzlich flammte etwas in Claras Augen auf: „Umso verwunderter und dankbar bin ich über dich.
Der Engel sagte mir bewusst, als er dich abgab, dass du etwas Besonderes bist und ich dich „normal“ behandeln soll. Ich denke, ich verstehe ihn dabei.“
Sie gingen noch zum Schlafplatz und zur improvisierten „Küche“, wo Clara ihr erklärte, dass die gefundenen Lebensmittel erst durch Abkochen oder andere Verfahren essbar gemacht werden mussten. „Dabei wirst du mir ab jetzt helfen. Man muss schon etwas Verständnis dafür aufbringen, wie man was zubereitet und ich denke da kann ich dir weit mehr zutrauen als…“, ihr Blick schweifte kurz zum beschäftigt arbeitenden Rest der Gehege-Bewohner. „Ja, das wird wohl machbar sein“, bestätigte die Namenlose mit dem ersten Lächeln in ihrem neuen Leben.
„Herr, gib mir die Güte und das Verständnis um das Volk unter meiner Hand zu dem so erhofften Frieden zu führen“, flüsterte die Priesterin in ihren privaten Gemächern und küsste in voller Hingabe an ihren göttlichen Führer den Rosenkranz in ihrer Hand. Er war eine der letzten Relikte aus einer Zeit, bevor die Erde selbst zur Hölle wurde. Nun herrschte schon ein Jahr der Konflikt zwischen den himmlischen und dämonischen Fraktionen. Die Priesterin hatte sich nach ihrer Einweihung als geheiligte Außerwählte Gottes um eine Beendigung der Anfeindungen bemüht.
Ein Diener trat ein. „Herrin, es wurde eine junge Frau von den Engeln Ismael und Kazaan hergebracht“, sagte er und kniete hastig nieder. Sie musste schmunzeln, ihre Diener waren manchmal so schusselig wenn es um Manieren ging. „Beim nächsten Mal, bittest du vorher um Einlass. Was wäre gewesen, wenn du mich gerade beim Überstreifen meiner Tracht erblickt hättest?“, fragte sie und näherte sich dem Ohr des noch immer knienden Dieners. Dieser schaute sie verunsichert an. „Ich sage es dir“, sie ging ganz nah an sein Ohr und flüsterte: „Dann hätte ich dir die Augen ausstechen müssen.“ Ein Zucken durchfuhr den Mann, sie zwinkerte ihn süffisant an – wissend, dass er dies unter ihrer Kapuze nur erahnen konnte und stand auf. „Also, warum belästigst du mich wegen einer weiblichen Lebensform mehr in unserem Lager? Weist sie Besonderheiten auf?“, fragte sie wieder mit dem Rücken zu ihm. Der Diener brauchte einen Moment, dann erklärte er unbeholfen: „Sie soll magische Kraft besitzen – nicht, dass sie etwas davon gezeigt hätte und sie sieht auch sehr menschlich aus – aber die Engel waren davon überzeugt.“
„Das klingt wahrlich ungewöhnlich. Vielleicht einer der nicht erwachten, alten Engel. Lass sie zu mir kommen, ich werde mir das persönlich ansehen“, befahl die Priesterin. Sofort stolperte ihr Diener aus ihrem Gemach heraus. Sie überlegte laut: „Jede magische Verstärkung ist wohlgesehen. Ich frage mich, wer sie wohl ist? Niemand von uns hat auch nur ahnen können, dass die Befreiung der alten Engelsriege damals solche Wege gehen würde.“ Es raschelte am Leinentuch, welches als improvisierte Tür zu ihrem Zeltgemach gedacht war. „Zumindest setzt er Kritik nach seinem Verständnis schnell um – herein!“, rief sie. Der Diener kam abermals hinein und zerrte ein hageres, ausgezehrtes Mädchen hinter sich her. Mit tadelndem Ton richtete sich die Priesterin an ihn: „So behandelt man aber keine Dame. Das arme Ding ist ja ganz verstört von deiner Behandlung.“ Sofort ließ er sie los, als habe er sich an ihrem Arm verbrannt. „Hinfort“, sagte sie bestimmend und blitzschnell waren sie nur noch zu zweit.
„Verzeih diese grobe Herangehensweise. Ich mag die Erlöserin für sie sein, aber die Ehrfurcht vor meiner Macht lässt viele der Ihren in unbegründete Angst münden. Jedoch ist das auch ein willkommenes Mittel um sich Respekt unter diesem Haufen zu verschaffen“, sprach die Priesterin zu dem Mädchen. Dieses blickte gebannt zu Boden. „Hab keine Angst, ich bin wirklich nicht böse – streng durchaus, aber rein. Ich bin die Priesterin, ein Titel der mir durch die Macht Gottes selbst verliehen wurde. Er gab mir die Möglichkeit dazu, diesen Ort hier zu kreieren. Ein Ort, an dem alle Lebewesen zusammen leben können. Neue, wie alte Engel, Menschen – und sogar Neo-Angels“, erzählte sie in fast feierlichem Überschwung. Da blickte das Mädchen mit noch immer leicht gesenktem Kopf auf: „Neo-Angels? Aber die sind doch gefährlich…“ Ihr weißes Haar lag wie ein Schleier zu beiden Seiten an ihrem Gesicht herunter. Es wirkte skurril ein so junges Gesicht unter den Haaren, die einer Greisin hätten gehören können, zu sehen. Die Priesterin erklärte: „Ja, das war einmal so. Die seelenlosen Menschen glauben das auch immer noch, weil sie in ihrem Denken sehr eingeschränkt sind. Ich habe aber die Reue in den Augen der Neo-Angels gesehen. Sie waren unter einem wirklich schrecklichen Neo-Angel – dem ersten ihrer Art – zu einer gewalttätigen Armee vereint worden, aber nach seinem Verschwinden vor einiger Zeit ist ihre Tötungslust geschwunden, ihre Loyalität ihm gegenüber ist gebrochen und stattdessen leben sie nun unter meiner Hand mit den Engeln und Menschen zusammen.“
Das Mädchen starrte erneut zu Boden. „Warum verdeckt Ihr euer Gesicht unter dieser Kapuze?“, fragte sie in kindlicher Neugier. Die Priesterin trug tatsächlich ähnlich wie die Engel ein Gewand, welches allerdings einen weit tieferen Blauton besaß und ihr Gesicht lag gut verborgen unter einer tief gezogenen Kapuze. „Nicht Jedem ist es vergönnt mein Antlitz zu erblicken. Ihnen würde das Licht Gottes vermutlich die Seele ausbrennen“, meinte sie. „Du musst mich übrigens nicht so förmlich ansprechen. Ich gehe mit meinen Untergebenen zwar bewusst hart um, aber ich habe das Gefühl, wir beide sind auf einer Wellenlänge“, fügte sie hinzu. Sie trat nun direkt vor das Mädchen und schaute sie durchdringend an: „Jetzt bist du dran, wer bist du – und was bist du?“ Ihr Gegenüber wirkte verunsichert, als läge die Antwort weit weg des eigenen Verständnisses. „Ein Mensch bist du nur bedingt, ich fühle die Magie tief in dir verborgen, ein Engel bist du aber auch nicht. Ich weiß, wie sich die Ketten um die wahre Gestalt der alten Engel bemerkbar machen – aber da ist nichts dergleichen. Du bist etwas völlig Neues für mich“, grummelte die Priesterin mehr für sich selbst vor sich hin. Die Unbekannte sagte: „Ich, ich weiß es nicht. Diese Engel haben auch gesagt, dass da was in mir ist – aber ich… Wie soll ich mich ohne auch nur einen Namen zu haben, kennen?“ Die Priesterin war überrascht: „Du kennst deinen Namen nicht?“, das Mädchen schüttelte den Kopf. Plötzlich spürte die Priesterin hinter sich an der Wand eine vertraute Energie. Sie drehte sich um und keuchte auf: „Das gibt es ja nicht!“ Dann hastete sie zu der Wand, die wie ein Tor mit unzähligen Symbolen und Verzierungen aussah und betastete die darauf soeben aufglühenden Zeichen. „Das Tor zu Gottes Gnade scheint dich zu mögen. Es hat sich schon seit fast einem Jahr nicht mehr bemerkbar gemacht, obwohl ich jede Nacht dazu bete“, kurz schien sie mit ihren Gedanken, weit, weit weg abzudriften. Dann löste sie sich von der Wand und selbst durch das Dunkel der Kapuze war ein Aufleuchten in ihren Augen zu sehen:
„Es ist entschieden; Vom heutigen Tage an, ist dein Name Hope!“ Jetzt sah sie das Mädchen mit großen Augen an. „Gottes Gnade ist jene Kraft, durch die uns allen die Hoffnung auf ein Leben nach der Apokalypse gegeben wurde und wenn es auf dich reagiert – dann ist das ein gerechtfertigter Name für dich, oder?“, argumentierte sie. Die frisch getaufte Hope nickte kurz und wenn man genau hinsah, trat ein Lächeln auf ihre Lippen.
„Gut, ich freue mich, dich bei uns begrüßen zu dürfen – Hope. Ich werde dir noch schnell erklären, um was sich unser Lager kümmert. Es gibt derzeit zwei Gefahren für unser Lager. Das sind einmal die Engel der Zeit vor der Beendigung der Apokalypse. Etwas am biblisch bekannten Plan ist schief gegangen und so zog Gott an mehreren Stellen die Notbremse. Er sperrte die Engel in menschliche Körper ein und kettete ihre wahren Wesen tief in sie ein. Diese Ketten wurden letztes Jahr bei einer Vielzahl der „alten“ Engel gesprengt. Bei dieser Befreiung aber, wurde eine magische Energiewelle in die Welt hinaus gesendet, welche die Ketten der nicht anwesenden Engel lockerte. Das Problem dabei ist – sie haben ihre menschliche Gestalt behalten, doch ihr Geist ist durcheinander gebracht worden. Die Barriere zwischen ihren falschen Identitäten als Menschen und ihr Bewusstsein als Engel ist geschwächt worden und verwirrt sie. Auch sind zumindest Teile ihrer himmlischen Kraft dabei freigesetzt worden. Diese Mischwesen stellen eine Bedrohung dar. Das ist auch der Grund, warum ich dich auf diese Ketten überprüfte. Mir ist es möglich, diese Ketten zu lösen und den vollwertigen Engel zu erwecken“, sie schaute zu Hope, welche mit offenem Mund zu versuchen schien, all das möglichst in den Kopf zu kriegen. Mitfühlend sprach die Priesterin: „Das ist alles etwas viel, aber es ist wichtig zum Überleben hier. Die andere Gefahr geht von den letzten Neo-Angels da draußen aus, welche noch immer auf ihren Meister warten. Sie sind zwar wenige, aber stark – und bereit sich in einen blutigen Kampf mit uns zu stürzen. Es braucht Einfühlungsvermögen, aber ich denke, man kann sie davon überzeugen endlich mit der Narretei aufzuhören und sich uns anzuschließen. Methos, ihr Herr und Meister ist fort und wird nie wieder seine Schwingen über uns alle ausbreiten!“
Bei dem Namen des Neo-Angels zuckte Hope zusammen. „Dieser Name beinhaltet das pure Verderben“, wisperte sie. Ein warmes Lächeln glitt über des Priesterins ungesehenes Gesicht: „Du hast ein feines Gespür. Dann bist du dazu geeignet. Mein Diener soll dir die zwei Engel zur Seite stellen, die dich gefunden haben und mit dir zum Aufenthaltsort der übrigen Neo-Angels aufbrechen. Du wirst sie bekehren. Du wirst unser aller Hoffnung auf Friede.“ Hope begann merklich zu zittern: „Ich soll?“ Sie bekam jedoch keine weitere Antwort, sondern wurde von dem Rascheln des Leinentuches übertönt. Erneut war der Diener eingetreten. „Was gibt es?“, fragte die Priesterin harsch. Er sagte: „Entschuldigt die Störung, es ist Besuch für Euch da, Herrin.“ Sie war überrascht, „Besuch“ war hier nicht gerade üblich. Mit einem Nicken schickte sie Hope heraus und gab dem Diener noch schnell Anweisungen zu ihrem Verbleib, dann gab sie dem Gast Erlaubnis einzutreten.
Schwarze Schwingen glitten über den gewittrigen Himmel. Methos war auf dem Weg zurück zu seiner Armee, es durften Monate vergangen sein, seit er „entführt“ worden war. Er hatte sich nicht sonderlich gewehrt, als die Engel ihn mitnahmen. Sie konnten nicht wissen, wie viel Macht er inzwischen angestaut hatte. Ihm kam das ganz recht, mal einen Blick auf das Hoheitsgebiet seiner Feinde zu werfen. Sein Eindruck bestätigte bloß, was er seit dem letztjährigen Kampf zwischen seiner Schwester und dem neuen Erzengel vermutete – der Himmel war am Ende.
Das Komplott um Michael und Lucifer schien das Gleichgewicht vollkommen zerstört zu haben. Der Teufel hatte seinen Sieg bereits sicher, davon war Methos überzeugt. Das himmlische Gericht war ein Haufen Schwächlinge gewesen, einzig dieser komische Typ am Tor war Methos zwar unheimlich gewesen – er hatte bald das Gefühl wäre er ihm zu nahe gekommen, hätte ihn seine Aura verbrannt – aber er ließ sich nicht beirren. Niemand war mehr in der Lage, ihm gefährlich zu werden.
Er näherte sich seinem Reich und begab sich in den Sturzflug. Unter ihm befanden sich breite Felsschluchten, in eine davon flog er hinein, ehe er mit dem Spreizen seiner Flügel den Fall abbremste. Von der Wucht des Drucks dessen wurden Steinbrocken aus den Felsen zu beiden Seiten herausgesprengt. Ja, so fühlte sich Macht an. Bei jedem folgenden Flügelschlag, der ihn die Schlucht entlang führte, erbebte die Schlucht. Der Vulkan in Sichtweite war sein Ziel. Ein passendes Heim, für den König der Neo-Angels. Allmählich wurde der Grund unter ihm brüchiger und das hervortretende Magma des Vulkanes zischelte wild zur Begrüßung des wiedergekehrten Meisters. Methos nahm etwas an Höhe an, da der Eingang zur Höhle, die innerhalb des Vulkanes abgetrennt vom flüssigen Inneren lag, sich auf einer Anhöhe befand. Ehe er jedoch ankam, grummelte der Himmel und mehrere Blitze schossen aus den zornigen Wolken auf Methos' unmittelbare Nähe herab. Ein Blitz streifte eine seiner Flügelspitzen, Das grelle Licht blendete ihn und durch den Donner fiepte es in seinen Ohren. Während einzelne Federn brannten, erreichte er im Sinkflug gerade noch das Einstiegsloch. „Selbst der irdische Himmel sieht mich als Bedrohung“, schmunzelte Methos und zupfte sich die brennenden Federn ab.
Tiefer gehend hörte er schon von Weitem die gequälten, hungrigen Dämonen in ihrem tiefen Schlund. Sie waren Teil seiner Experimente, dass sie noch da waren erfreute ihn – das bedeutete seine Forscher hatten ihre Arbeit auch ohne ihn weitergeführt. Es gab nicht nur blutrünstige Hohlköpfe unter den Neo-Angels.
Ohne diese Genies wäre er nicht zu dem dunklen Gott geworden, der er nun war – das wusste er. Ihnen standen auch die Menschensklaven zu, an denen er beim Weitergehen vorbei kam. Wimmern und Weinen ertönte aus ihren Gehegen. Methos blieb kurz stehen und ergötzte sich an dem Leid. Langsam trat er an eins der Gitter. Die Menschen drängten sich alle ans andere Ende zur Wand. Besonders bei einer Frau ganz rechts roch Methos ihre Furcht. „Du da, herkommen!“, befahl er ihr. Doch sie drückte sich so dicht an die Wand wie es nur ging. Methos' Blick schweifte einmal über den Rest der Gruppe und mit einem kurzen Zucken zweier Finger veranlasste er zwei Männer in ihrer Nähe sie zu packen und unter ihren verzweifelten Schreien stemmten sie sie zu ihm ans Gitter. Er packte grob ihren rechten Arm und krallte sich bestimmend in ihr Fleisch. Sie schrie unter den Schmerzen auf. Er beugte sich vor und leckte jene Stelle unter Hochgenuss ab. Sie zitterte unter Todesangst – und eben dieser Angstschweiß schmeckte ihm so sehr. Ihre verheulten, hellbraunen Augen rundeten den Moment zu einem Feinschmeckererlebnis ab. Dann löste er seinen Griff, was sie veranlasste panikartig von ihm wegzukriechen. Das musste reichen, es war Zeit seine Soldaten aufzusuchen.
Der Durchgang zur inneren Halle war wie immer unbewacht. Ein weiteres Zeichen für den Schrecken, den Methos und seine Krieger in der Welt verbreiteten – es traute sich ohnehin Niemand hier hinein. Die innere Halle bestand aus mehreren unebenen Felsflächen auf unterschiedlichen Höhen. Unter den Flächen brodelte die Lava hungrig vor sich hin, außerdem wurden rechts auf einer etwas tieferen Ebene die vor einigen Monaten entdeckten Mischlinge aus Mensch und Engel gehalten. Wie Methos anhand ihrer Ausstrahlung vermutete, gehörten sie mal ursprünglich zu den alten Engeln, wie er sie aus seinem menschlichen Dasein noch kannte. Jetzt waren sie nur noch Menschen mit Magie inne, ihre Flügel hatten die Neo-Angels ihnen gestutzt. Es gab kein Entkommen mehr, nur das bloße Kämpfen ums Überleben – was nicht Wenige von ihnen zu Kannibalen machte und das wiederum nutzten die Neo-Angels zu ihrer Unterhaltung, veranstalteten Kämpfe zwischen ihnen und der Verlierer sicherte das Überleben des Restes – mit seinem Körper.
Methos sah sich um, es saßen eine Handvoll seiner Soldaten verstreut auf den einzelnen Felsen. Er hob feierlich die Arme und rief: „Höret her, ihr sündigen Teufel! Euer Meister ist zurück!“ Alle anwesenden Köpfe wandten sich ihm zu, Getuschel wurde laut. Einzeln waren Triumphschreie zu hören. „Meister, Meister Methos! Ihr lebt“, frohlockte ein schmächtiger Junge auf der Felsebene, der Methos am nähesten stand. „So ist es, mein Junge. Kniet nieder vor dem Gott des Wahnsinns und der Dunkelheit!“, trällerte Methos lautstark in die Halle.
Zu seiner Verwunderung kniete sich jedoch nur der Junge nieder, der Rest schaute ihn entgeistert an. Er räusperte sich: „Ich sagte, kniet nieder. Zollt eurem totgeglaubten Meister etwas Respekt!“ Der Junge beäugte ihn kniend und flüsterte ihm zu: „Meister, es gibt da ein Problem.“ Methos' Miene verfinsterte sich: „Problem?“ Ein Kopfnicken des Jungen ließ seinen Blick zur höchsten Ebene der Halle wandern. Dort war ein steinerner Thron zu sehen, ein bereits besetzter, steinerner Thron. Aus einem Seufzer wurde ein amüsiertes Gackern, als Methos begriff. „So, so. Da hat sich Jemand ermächtigt mich abzulösen“, schlussfolgerte er. Seine Schwingen breiteten sich aus und mit einem kräftigen Flügelschlag, der den Felsen unter ihm zerbarste, flog er dem Thron entgegen. Er spürte zahlreiche Augenpaare seinen Flug beobachten. Als er auf der höchsten Ebene landete, musste er grinsen. Da saß eine halbe Portion auf dem Thron! „Du hast dir also mein Reich unter den Nagel gerissen, hm? Wer bist du?“, fragte Methos. Der junge Mann schaute ihn mit starrem Blick ins Gesicht, den Kopf schief zu ihm gedreht: „Ein Toter wagt es den Herrn über alle Neo-Angels anzusprechen? Ihr solltet froh sein, dass ich Euch es nicht zur Last lege, dass Ihr eure Armee einfach verlassen habt. Von Engeln entführt worden – was für eine Schande!“ Der Jüngling spuckte Methos vor die Füße.
Methos' Augen wurden schmaler, ihm die Herrschaft in seiner Abwesenheit abzusprechen war eine Sache, ihn als Schwächling hinzustellen und zu glauben, die Engel wären in der Lage gewesen, ihn gegen seinen Willen mitzunehmen oder gar zu töten – hier übertrat dieser Dummkopf eine Grenze. „Da unterschätzt Jemand den ersten Neo-Angel dieser Welt aber auf kritische Weise. Wenn du es aber so willst, nun gut. Ich verlange hiermit meinen Thron und das damit verbundene Reich zurück“, sagte Methos sehr gelassen. Der thronende Neo-Angel aber wirkte gelangweilt. Plötzlich aber trafen sich die Augen der beiden und Methos spürte wie sein Körper versteifte. Er versuchte sich zu bewegen, es misslang. Das war es also, sein „Nachfolger“ beherrschte eine Art Lähmung. Dieser stand nun endlich vom Thron auf, zog sein golden glänzendes Schwert – Runen pulsierten darauf – und ohne jede Chance für Methos glitt die Schneide dreimal durch seinen Körper. Der erste Schlag fuhr durch den Hals, der zweite glitt von seiner rechten Schulter quer über seine Brust herunter zum Herzen, der Letzte wanderte vom Herzen durch den Unterleib und endete am Anfang des rechten Beines. Das Schwert war weder auf Widerstand getroffen, noch hatte Methos es als schmerzende Schnitte empfunden, es war mehr als hätte die Klinge an den Stellen Wärme ausgestrahlt. Auch war an der Klinge kein Blut zu erkennen. Erneut sahen sich beide an. Da ging ein weiterer Impuls durch das Schwert und für einen kurzen Augenblick leuchtete das Schwert violett.
Jetzt spürte Methos es, die drei Schnitte waren sehr wohl erfolgreich. Sein Kopf löste sich vom Hals und auch die zwei anderen Einschnitte wirkten, sie ließen seinen Körper unter einem Schmatzen auseinanderfallen. Der junge Neo-Angel lachte verhalten: „Sogar ein selbsternannter Gott kommt gegen dieses Schwert nicht an. Ich habe dem Engel wohl zu danken. „Engel? Ein Engel gab dir dieses Schwert?“, kam es von Etwas auf Höhe seiner Füße. Böses ahnend, blickte er langsam hinunter – und direkt in die grinsende Fratze des abgetrennten Kopfes. „Ich sagte doch, du unterschätzt mich“, meinte Methos während sich sein Unterleib wieder mit dem Brustbereich verband und die Einschnitte augenblicklich verheilten. Der obere Körperteil gesellte sich dazu. Nun stand ein kopfloser Körper vor dem jungen Mann. Offenbar nicht glaubend, was er sah, reagierte er nicht, als die Hand des Methos nach ihm griff und sich fest um seinen Hals legte. Erschrocken griff er sich an die Gurgel, dabei fiel das Schwert zu Boden. Erst als es auf dem Boden klirrend zum Erliegen kam, realisierte er wohl, wie er soeben seine letzte Rettung verspielt hatte.
Vom noch immer abgetrennten Kopf wurde er gefragt: „Wer gab dir dieses Schwert und warum?“ Doch es kam keine Antwort, nur ein gewürgtes Gurgeln zusammen mit einem schwächlichen Versuch, sich zu befreien. Die umklammernde Hand hob ihn hoch, die Füße des Buben hingen in der Luft. Als Methos jedoch glaubte aus dem Gurgeln Wörter herauszuhören, lockerte er den Griff, seine freie Hand griff zum Boden und packte ihn an seinen Haaren. Jetzt war Methos' Kopf in der Lage seinem Gegenüber in die Augen zu schauen. „Sag schon, woher stammt das Schwert?“, wiederholte er die Frage. Endlich antwortete sein Opfer: „Das weiß ich nicht, ich kenne ihn nicht.“
Ein tiefer Seufzer entfuhr Methos' Kopf. „Dann eben so“, sagte er im genervten Tonfall. Dann hielt seine Hand den Kopf näher an den noch immer im Würgegriff Gefangenen. Methos' Augenlider zuckten einen Moment, dann drang er in den Verstand des Mannes ein. Bilder von der Trostlosigkeit, Hilflosigkeit der Neo-Angels nach Methos' Verschwinden, anschließend von wilden Orgien mit den gefangenen, menschlichen Frauen. Doch dann erschien die gesuchte Szene. Ein Mann, komplett von seinem Gewand verdeckt, bei dessen Aura jeder Neo-Angel aus reinem Instinkt schon zurückwich. Er trat vor den Thron und sagte: „Als Geschenk für den neuen König der dunklen Engel. Setzt es mit Bedacht gegen Jenen ein, der euch des Thrones berauben will.“ Dann rammte er ein, aus seinem Gewand hervortretendes, Schwert in den Boden. Methos erkannte in ihm den Engel, der ihm vor dem Verlassen des Himmels begegnet war. Das reichte für ihn, er zog sich aus den Gedankenbildern zurück. Anschließend setzte er sich seinen Kopf wieder auf, der sofort wieder absolut fest saß.
„Dieser Engel sollte von mir beobachtet werden“, sagte Methos mehr zu sich selbst. Er blickte den schon blau anlaufenden Neo-Angel an: „Und dich, brauche ich nicht mehr. Außerdem-“, sein Blick wanderte zum Boden: „Hast du mein unheiliges Blut vergossen.“ Seine Hand zuckte, es knackte – Methos fühlte die Bruchstelle des Genicks. „Guten Appetit!“, rief er und warf den Körper in hohem Bogen auf die unterste Ebene, sollte er den dort herrschenden Hunger stillen.
Methos selbst bückte sich, hob das goldene Schwert auf. Er setzte sich auf den Thron und betrachtete das Schwert, als sei es das Einzige, was seine Langeweile im Zaum halten konnte.
„Der König ist zurück“, flüsterte er lächelnd.
Der Diener an Hopes Seite drückte ihr einen vollgepackten Rucksack in die Hand: „Ich habe mir erlaubt, Euch alles Nötige für die Reise auf den Weg zu geben.“ Sie nahm ihn unter unsicherem Blick an. Die Audienz bei der Priesterin hatte ihren Eindruck auf ihr hinterlassen. Sie besaß zudem jetzt einen Namen. Hope, wie edel dies für eine dahergelaufene Frau wie sie war. Eigentlich fühlte sie sich wie ein streunendes Tier. Heimatlos und eine aus dem Nichts geborene Persönlichkeit.
Sie wurde zu den zwei Engeln, die sie gefunden hatten geführt. Inzwischen konnte sie die beiden unterscheiden; Ismael war einen Kopf größer als Kazaan, dafür war dieser breiter gebaut. Von der Statur unterschieden sie sich dagegen nicht. Obwohl sie wie die anderen Engel um das Gemach der Priesterin diese Gewänder trugen, verbargen sie hingegen nicht ihre Gesichter unter einer Kapuze. Kazaan hatte kurze, strubblige, kastanienbraune Haare. Er wirkte grundsätzlich gleichgültig, etwas distanziert. Ismael dagegen drückte in seiner ganzen Art Weltoffenheit aus. Seine Augen waren außergewöhnlich, fast schon unheimlich. Sie waren strahlend weiß, dabei hatte er jedoch solch einen warmen Ausdruck in ihnen, das alles was daran erschreckend sein konnte, eher beruhigte. Seine Haare waren schulterlang und schwarz. Die beiden wirkten schon wie ein ungewöhnliches Paar. Doch was wusste Hope schon davon.