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Was machst du, wenn dir dein Spiegelbild die Zunge ausstreckt? - Genau!
Du gehst den Wald retten.
Auf einer Party voller Fremder lernt die junge Rahrah den attraktiven Honarosch kennen. Kurz darauf findet sie sich mitten in der Krise einer mystischen Welt wieder - die in ihr die letzte Hoffnung sieht.
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Der Mann im Spiegel
Die Digitalanzeige meines Weckers zeigte 7:15 Uhr, als ich wach wurde und gemütlich zum Badezimmer schlenderte. Plötzlich bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass mein Spiegelbild etwas reflektierte, was mir merkwürdig vorkam. Doch da ich noch völlig verpennt war und eigentlich im Spiegel nur eine verwuschelte Schlafmütze mit dunklen Augenringen erwartete, schenkte ich dem unbedeutenden Ereignis keine weitere Beachtung.
Sind meine Haare nicht etwas dunkler als das was ich da im Spiegel gerade meinte gesehen zu haben?
Egal. Im Halbschlaf trippelte ich zur Küche und stellte mich, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand, die ich mir gerade gemacht hatte, erneut vor den Badezimmerspiegel.
Und ich sah genau das, was ich erwartet hatte.
Ungekämmt, mit noch ganz kleinen Augen die mir trüb entgegenblickten, grinste ich mich schelmisch an.
"Wie immer siehst du heute besonders gut aus," sagte ich zu meinem Spiegelbild und streckte ihm die Zunge heraus. Ich ließ sie gleich draußen, da ich einen bläulichen Belag darauf feststellte. Nachdem ich die Tasse auf der Ablage unter dem Spiegel abstellte, versuchte ich mit einer Zahnbürste diesen herunterzuputzen, während ich mich dabei fragte, woher dieser wohl käme.
Zufrieden mit dem Ergebnis einer endlich reinen Zunge und zusätzlich geputzten Zähnen, klappte ich die Zunge wieder zurück in meinen Mund und starrte in meine nun etwas größer gewordenen dunklen Augen.
Dann fiel es mir wieder ein. Ich hatte am gestrigen Abend auf einer Party zu der meine Freundin Gira mich geschleppt hatte, einen blauen Begrüßungsdragee erhalten.
Mein Spiegelbild eindringlich betrachtend, ließ ich die gestrigen Ereignisse Revue passieren.
Ich war also auf dieser komischen Vernissage gewesen. Irgendeine Freundin von Gira, die ich nicht kannte, wollte unbedingt Giras Meinung zu ihren Kunstwerken und Gira hatte mich mitgeschleift, damit ich endlich jemanden kennenlerne. Ich war wenig begeistert. Nachdem Gira mich über einige Kunstwerke aufgeklärt hatte, war sie fünf Minuten später aus meinem Blickfeld und in der Menge verschwunden gewesen. Ich fühlte mich völlig verloren im Gewimmel dieser mir vollkommen fremden Leute und tat so, als ob ich mich für eine Statue eines Mannes auf einem sich wütend aufbäumenden Stier mit dem Titel „Pamplonas Hero“ besonders interessieren würde und mir das alleine auf einer Party voller Leute zu sein, nichts auszumachen schien.
"Nehmen Sie, bitte!", wurde ich plötzlich von einer männlichen Stimme neben mir aufgefordert. Hinter einer Kristallschale mit blauen Dragees befand sich ein attraktives Männergesicht. Lächelnd betrachtete der Fremde, wie ich zögernd nach einem Dragee gegriffen hatte.Ein freundliches Augenzwinkern dieses äußerst attraktiven, jungen Mannes, den ich auf ca. Anfang dreißig schätzte, ließ mich alle Schüchternheit vergessen. Ich ließ den Drops zwischen den Fingern rollen und betrachtete ihn. Das Licht des Kronleuchters, der strahlend und würdevoll von der Decke hing und alle Partygäste mitsamt Tanzfläche und Buffet darin eintauchen ließ, spiegelte sich auf der glasierten Oberfläche. Ich musste an eine große Perle denken, die aus einer Märchenwelt zu stammen schien.
"Da sind doch keine dabei mit seltsamen Gewürzen oder illegalen Stoffen darin?", hatte ich mit einem unbekümmerten Lächeln gefragt, das lockerer wirkte, als ich mich gefühlt hatte. Denn ich lehne prinzipiell Rauschmittel jeder Form ab. Was ich am wenigsten gebrauchen könnete, war, wenn ich mich irgendwann zufällig bei YouTube peinlich singend auf einem Tisch herumtanzen sehen würde, ausgezogen bis auf Slip und Schuhe. Und das alles nur, weil irgendwelche Rauschmittel oder Ähnliches mich in diese Situation getrieben hätten.
Der Mann, immer noch ein warmes Lächeln um seinen Mund spielend, hatte den Kopf geschüttelt.
"Keine Sorge, schöne Frau. Schauen Sie sich um." Mit einer ausschweifenden Armbewegung Richtung Partygäste hatte er mich auf diese aufmerksam gemacht.
"Sehen Sie hier irgendjemanden, der sich irgendwie merkwürdig benimmt?" „Und ich.weiß, dass einige von Ihnen die MagicBlues probiert haben."
"MagicBlues?" Mein Blick war prüfend umhergewandert. Doch alle Partygäste hatten sich völlig normal verhalten.
"MagicBlues ist ein Produkt von mir. Ich möchte sie demnächst herstellen lassen. Aber bevor ich viel Geld dafür investiere, möchte ich wissen, wie meine Dragees bei den Leuten ankommen. Bis jetzt haben sie einem jeden hier gemundet."
Ich wurde nun neugierig und steckte das gute Stück, das kaum größer als ein M & M war in meinen Mund und ließ es auf meiner Zunge zergehen.
Ich weiß noch, ich war etwas verwundert gewesen über seine eigenartige Ausdrucksweise die mir plötzlich etwas, wie soll ich sagen, "mittelalterlich" vorgekommen war. Jedenfalls ließ ich mich zu einem lächelnden „vorzüglich“ hinreißen, was den jungen Mann scheinbar sehr erfreut hatte. Tatsache war aber gewesen, dass ich den Geschmack nicht einordnen konnte, da ich ihn nicht kannte und dennoch war es so gewesen, als hätte ich das köstlichste Mahl meines Lebens gegessen.
"Was genau hat das mit den MagicBlues auf sich?"
Er beugte sich rasch vor, sein Mund ganz dicht an meinem Ohr: "Sie heißen nicht umsonst Magic," Den wohligen Schauer, den sein Atem in mir ausgelöst hatte, werde ich nie vergessen.
"Jeder hundertste Drops der verspeist wird, entführt in eine Welt, von der andere Menschen nur zu träumen wagen und Geschichten darüber schreiben werden."
"Also doch ein Rauscherzeugnis! Aber es ist köstlich!"Ich drehte mich einmal im Kreis, wobei er galant meine Hand geführt hatte.
"Und, wie soll das funktionieren?"
Zuerst kam nur ein Zungenschnalzen, während er mit seinem Zeigefinger eine verneinende Geste vor meinen Augen vollzog.
"Das erfährt nur derjenige, der den hundertsten MagicBlue probiert hat."
Ich lachte. Hielt das Ganze für einen nicht besonders geistreichen Werbegag. Doch weil ich davon ausgegangen war, dass die Zielkaufgruppe dieser Drops hauptsächlich Kinder sein sollten, vielleicht jene, die ihr Mittagessen nicht aufaßen, hätte ich diese Idee vielleicht doch für ziemlich originell gehalten, das Produkt an den Mann... äh, das Kind zu bringen.
Dann erinnerte ich mich, wie ich spürte ich, dass mir jemand von hinten an die Schulter tippte. Nachdem ich mich umgewandt hatte, blickte ich in zwei freundliche blaue Augen eines blonden Herren. Genau wie der Herr mit den Dragees, war auch dieser Mann in einem schwarzen Anzug gekleidet gewesen und trug eine weiße Krawatte.
"Ja bitte?" Ich hatte den blonden Typen wohl etwas entgeistert angestarrt, denn dieser war unverzüglich einen Schritt zurückgewichen.
Sein Lächeln wirkte irritiert und entschuldigend. "Ich wollte nur wissen, ob ich ihnen einen Drink bringen darf.“
Ich befand es etwas merkwürdig, von einem fremden Mann angesprochen zu werden, obwohl ich bereits in einem Gespräch mit jemand anderem war, der ebenfalls in der Lage gewesen wäre, mir ein Getränk bringen zu können. Mit einem leichten Räuspern wollte ich mich wieder an meinen dunkelhaarigen nicht mehr ganz so fremd wirkenden Gesprächspartner wenden. Doch dieser war nicht mehr dagewesen. Als wäre er vom Erdboden verschluckt worden.
Wohl in diesem Moment doch noch einen Drink benötigend, nickte ich peinlich berührt dem blonden Herrn scheu zu: "Eine Cola bitte. Das wäre jetzt nicht schlecht" Ich war völlig aus der Fassung gewesen.
Mit einem leicht unsicheren "Selbstverständlich!" auf den Lippen bewegte er sich in Richtung Buffet. So war mir etwas Zeit eingeräumt worden, mich nach den Mann mit den MagicBlues umzusehen. Ich fand ihn nicht mehr. Nicht einmal seinen Namen wusste ich. Der Rest der Party war für mich eher ereignislos gewesen. Der blonde Typ, Edwin war sein Name, hatte scheinbar bemerkt, dass ich die meiste Zeit nach etwas bzw. jemanden Ausschau gehalten hatte und mich mit einer fadenscheinigen Ausrede zurückgelassen.
Ich war zwar pikiert gewesen, aber nicht wegen Edwin. Der interessierte mich nun wirklich nicht.
Es war wegen dem MagicBlues Vertreiber, der sich einfach so, sang- und klanglos und ohne ein Wort des Abschieds, aus meinem Leben wieder so schnell entfernt hatte, wie er erschienen gewesen war. So etwas fördert nun wirklich nicht das Selbstbewusstsein einer Frau.
Ich wandte mich aufmerksamer meinem Erscheinungsbild im Spiegel zu und schüttelte die peinlichen Erinnerungen von gestern Abend ab. Ich wollte an etwas Schönes denken.