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Das Weihnachtsgeschenk E-Book

Jeffery Deaver

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Beschreibung

Eine packende Kurzgeschichte vom Meister der intelligenten Spannung

Es ist Heiligabend, doch für die neunzehnjährige Carly hält dieses Weihnachtsfest einen großen Schrecken bereit: Ihre Mutter ist spurlos verschwunden, obwohl sie wusste, dass Carly sie am heutigen Tag besuchen würde. Die junge Frau ist verzweifelt und bittet die Polizei um Hilfe. Lincoln Rhyme und Amelia Sachs ermitteln.

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Story

Es ist Heiligabend, doch für die neunzehnjährige Carly hält dieses Weihnachtsfest einen großen Schrecken bereit: Ihre Mutter ist spurlos verschwunden, obwohl sie wusste, dass Carly sie am heutigen Tag besuchen würde. Die junge Frau ist verzweifelt und bittet die Polizei um Hilfe. Lincoln Rhyme und Amelia Sachs ermitteln.

 

 

Autor

Jeffery Deaver gilt als einer der weltweit besten Autoren intelligenter psychologischer Thriller. Seit seinem ersten großen Erfolg als Schriftsteller hat der von seinen Fans und den Kritikern gleichermaßen geliebte Jeffrey Deaver sich aus seinem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine Bücher, die in 25 Sprachen übersetzt werden und in 150 Ländern erscheinen, haben ihm zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht.

 

 

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Jeffery Deaver

Das Weihnachtsgeschenk

Story

Deutsch von Stefan Lux

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Die Geschichte ist der Storysammlung »Todesreigen« entnommen. Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Twisted« bei Simon & Schuster, Inc., New York.

 

E-Book-Ausgabe 2016 Copyright der Originalausgabe © 2003 by Jeffery Deaver Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2005 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH Copyright dieser Ausgabe © 2016 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de Umschlagmotiv: © plainpicture/Anja Weber-Decker

ISBN 978-3-641-21174-5V003

www.blanvalet.de

www.randomhouse.de

Das Weihnachtsgeschenk

»Wie lange wird sie schon vermisst?«

Der füllige Lon Sellitto – der seine Diät wegen der Feiertage ausgesetzt hatte – zuckte die Schultern. »Das ist ja irgendwie das Problem.«

»Nur zu.«

»Irgendwie ist es …«

»Das hast du bereits gesagt«, meinte Lincoln Rhyme den Detective des NYPD erinnern zu müssen.

»Ungefähr vier Stunden. Knapp.«

Rhyme antwortete nicht. Ein Erwachsener galt grundsätzlich nicht als vermisst, wenn nicht mindestens vierundzwanzig Stunden vergangen waren.

»Aber es gibt einige besondere Umstände«, fügte Sellitto hinzu. »Du musst wissen, über wen wir hier reden.«

Sie befanden sich in einem improvisierten Labor zur Tatortuntersuchung – dem Wohnzimmer von Rhymes am Central Park West gelegenen Stadthaus. Das Labor war schon seit Jahren in einem provisorischen Zustand, verfügte aber über bessere Ausstattung und Materialien als die meisten Kleinstadt-Polizeireviere.

Um die Fenster herum war eine geschmackvolle grüne Girlande drapiert, und vom Rasterelektronenmikroskop baumelte Lametta herab. Die Stereoanlage spielte heiter Benjamin Brittens A Ceremony of Carols. Es war Heiligabend.

»Es ist bloß … sie ist so ein Schatz. Carly, meine ich. Und ihre Mutter weiß, dass sie vorbeikommen will, ruft aber nicht an, dass sie weggefahren ist, oder hinterlässt irgendeine Nachricht. Was sie sonst immer tut. Ihre Mutter – sie heißt Susan Thompson – ist ein ziemlich zugeknöpfter Typ. Es passt überhaupt nicht zu ihr, dass sie einfach so verschwindet.«

»Sie besorgt dem Kind ein Weihnachtsgeschenk«, vermutete Rhyme. »Und wollte die Überraschung nicht verderben.«

»Aber ihr Auto steht noch in der Garage.« Sellitto deutete mit dem Kopf zum Fenster, vor dem seit Stunden ein Konfettiregen dicker Schneeflocken niederging »Bei dem Wetter würde sie wohl kaum zu Fuß gehen, Linc. Und bei den Nachbarn ist sie auch nicht. Das hat Carly überprüft.«

Hätte Rhyme die Kontrolle über seinen Körper besessen – und nicht nur über seinen linken Ringfinger, die Schultern und den Kopf –, dann hätte er wohl mit einer ungeduldigen Geste in Richtung von Detective Sellitto reagiert, einem Drehen der Hand beispielsweise oder nach oben gerichteten Handflächen. Aber wie die Dinge lagen, musste er sich einfach auf seine Worte verlassen. »Und wie ist diese Nicht-wirklich-vermisste-Person zu einem Fall für dich geworden, Lon? Ich spüre genau, dass du den barmherzigen Samariter gespielt hast. Du weißt doch, was man über gute Taten sagt, oder? Sie bleiben niemals ungestraft … Mal ganz abgesehen davon, dass die Sache jetzt irgendwie auf meinen Schultern zu landen scheint, stimmt’s?«

Sellitto griff nach einem weiteren hausgemachten Weihnachtsplätzchen. Es hatte die Umrisse von Santa Claus, dessen mit Puderzucker bestreutes Gesicht irgendwie grotesk wirkte. »Die sind ziemlich gut. Möchtest du eines?«

»Nein«, brummelte Rhyme. Dann wanderte sein Blick zu einem Regal. »Aber mit einem kleinen weihnachtlichen Vergnügen könnte ich deiner Verkaufsmasche etwas aufmerksamer folgen.«

»Vergnügen … Oh, klar.« Er ging quer durch das Labor, fand die Flasche Macallan im Regal und goss einen kräftigen Schluck in einen Becher. Der Detective steckte einen Strohhalm hinein und befestigte den Becher in dem Halter an Rhymes Rollstuhl.

Rhyme nippte an seinem Drink. Ah, himmlisch … Thom, sein Betreuer, und Amelia Sachs, die Partnerin des Kriminalisten, waren auf Einkaufstour. In ihrer Gegenwart wäre Rhymes Getränk sicher schmackhaft, aber – angesichts der Uhrzeit – zweifellos nichtalkoholisch ausgefallen.

»Also gut. Hier kommt die Geschichte: Rachel ist eine Freundin von Susan und ihrer Tochter.«

Um eine gute Tat für Freunde der Familie ging es also. Rachel war Sellittos Freundin. Rhyme sagte: »Und die Tochter heißt Carly. Siehst du, ich hab zugehört, Lon. Sprich weiter.«

»Carly …«

»Wer ist wie alt?«

»Sie ist neunzehn. Studentin an der NYU. Betriebswirtschaft. Sie ist mit einem Typen aus Garden City zusammen …«

»Ist irgendetwas davon wichtig, außer ihrem Alter? Von dem ich nicht mal sicher bin, dass es wichtig ist.«

»Sag mal, Linc: Bist du an Feiertagen immer so gut gelaunt?«

Noch ein Schluck Whisky. »Rede weiter.«

»Susan ist geschieden und arbeitet für eine Werbeagentur in der City. Sie wohnt draußen im Nassau County …«

»Nassau? Nassau? Könnte möglicherweise die Polizei dort draußen die richtige Adresse für die Angelegenheit sein? Du verstehst doch, wie das funktioniert? Dieser Kurs über Zuständigkeiten an der Akademie …«

Sellitto hatte jahrelang mit Lincoln Rhyme zusammengearbeitet und besaß einige Erfahrung darin, die Ruppigkeiten des Kriminalisten an sich abprallen zu lassen. Er ignorierte den Kommentar und fuhr unbeirrt fort: »Sie nimmt ein paar Tage frei, um das Haus für die Feiertage herzurichten. Rachel meint, dass Susan mit ihrer Tochter eine typische Problem-Phase durchmacht – du weißt schon, die beiden kommen schwer miteinander klar. Aber Susan gibt sich Mühe. Sie will es dem Mädchen einfach schön machen, eine große Weihnachtsparty. Jedenfalls wohnt Carly in einem Apartment im Village, in der Nähe der Uni. Gestern Abend erklärt sie ihrer Mutter, dass sie heute Morgen vorbeikommen und ein paar Sachen bringen will, ehe sie zu ihrem Freund fährt. Susan sagt, gut, dann können sie zusammen Kaffee trinken, bla bla bla … Bloß, als Carly dort auftaucht, ist Susan nicht da. Und ihr …«

»… Auto steht noch in der Garage.«

»Genau. Also wartet Carly eine Zeit lang, aber Susan erscheint nicht. Also ruft sie die Jungs vor Ort an, aber niemand will etwas unternehmen, ehe sie nicht mindestens vierundzwanzig Stunden vermisst wird. Da erinnert Carly sich an mich – ich bin der einzige Cop, den sie kennt – und ruft Rachel an.«

»Wir können nicht für jeden eine gute Tat vollbringen. Nur weil es gerade zur Jahreszeit passt.«

»Lass uns dem Mädchen ein Weihnachtsgeschenk machen, Linc. Stell ein paar Fragen, schau dir das Haus an.«

Rhyme hatte ein missmutiges Gesicht aufgesetzt, aber in Wirklichkeit war er fasziniert. Wie er Langeweile hasste … Und tatsächlich war er während der Feiertage oft schlechter Stimmung – denn es lag immer eine willkommene Zerstreuung in den anregenden Fällen, zu denen ihn das NYPD oder das FBI als Berater oder forensischen Wissenschaftler hinzuzogen, als »Kriminalisten«, wie es im Fachjargon hieß.

»Also … Carly ist völlig durcheinander, verstehst du?«

Rhyme zuckte die Schultern, eine der wenigen körperlichen Ausdrucksformen, die ihm nach dem einige Jahre zurückliegenden Unfall an einem Tatort, der ihn zum Tetraplegiker gemacht hatte, noch möglich waren. Dann glitt Rhyme mit seinem einen funktionierenden Finger über das Steuerungsfeld und bewegte den Rollstuhl damit so, dass er Sellitto direkt gegenübersaß. »Wahrscheinlich ist ihre Mutter inzwischen zu Hause. Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, lass uns das Mädchen anrufen. Ich werde ein paar Fakten sammeln und mir eine Meinung bilden. Was kann das schon schaden?«

»Großartig, Linc. Warte einen Moment.« Der hochgewachsene Detective ging zur Tür und öffnete sie.

Was war das?

Ein Mädchen im Teenageralter trat ein und schaute sich vorsichtig um.

»Oh, Mr. Rhyme, hallo. Ich bin Carly Thompson. Herzlichen Dank, dass Sie mich empfangen.«

»Ah, Sie haben draußen gewartet«, sagte Rhyme und bedachte den Detective mit einem scharfen Blick. »Hätte mein Freund Lon hier mich früher eingeweiht, dann hätte ich Sie auf eine Tasse Tee eingeladen.«

»Oh, schon gut. Ich möchte nichts.«

Sellitto zog vergnügt eine Augenbraue hoch und holte einen Stuhl für das Mädchen.

Sie hatte langes blondes Haar, eine athletische Figur und war kaum geschminkt. Ihre Kleidung orientierte sich am MTV-Chic: ausgestellte Jeans und schwarze Jacke, dazu klobige Stiefel. Das Bemerkenswerteste an ihr war in Rhymes Augen allerdings ihr Gesichtsausdruck: Carly zeigte nicht die geringste Reaktion auf seine Behinderung. Manche Leute verstummten, manche plapperten sinnlos herum, andere fixierten ausschließlich seine Augen und wirkten verzweifelt – als stelle ein Blick auf seinen Körper den Fauxpas des Jahrhunderts dar. Jede dieser Reaktionen kotzte ihn auf ihre Weise an.

Sie lächelte: »Ich mag die Dekoration.«

»Wie bitte?«, fragte Rhyme.

»Die Girlande auf der Rückseite Ihres Rollstuhls.«

Der Kriminalist drehte sich ein Stück, konnte aber nichts sehen.

»Da ist eine Girlande?«, fragte er Sellitto.

»Ja, wusstest du das nicht? Und eine rote Schleife.«

»Das muss ich der Freundlichkeit meines Betreuers verdanken«, brummte Rhyme. »Exbetreuer, wenn er so was noch mal probiert.«

Carly begann: »Ich hätte Sie und Mr. Sellitto ja nicht belästigt … Ich hätte niemanden belästigt, aber es kommt mir unheimlich vor, dass Mom einfach so verschwunden ist. So was hat sie noch nie getan.«

Rhyme erklärte: »In neunzig Prozent solcher Fälle stellt sich alles als Irrtum heraus. Und nicht als irgendein Verbrechen … Und es sind nur vier Stunden?« Wieder ein Seitenblick auf Sellitto. »Das ist gar nichts.«

»Bloß dass Mom, was immer man sonst über sie sagen kann, total zuverlässig ist.«

»Wann haben Sie zuletzt mit ihr gesprochen?«

»Gestern Abend ungefähr um acht Uhr, glaube ich. Morgen will sie diese Party geben, für die wir Pläne gemacht haben. Ich wollte heute Morgen bei ihr vorbeischauen und eine Einkaufsliste und etwas Geld mitnehmen. Jake – das ist mein Freund – und ich wollten einkaufen und es uns dann gemütlich machen.«

»Vielleicht konnte sie keine Verbindung zu Ihrem Handy bekommen«, gab Rhyme zu bedenken. »Wo war Ihr Freund? Könnte sie bei ihm eine Nachricht hinterlassen haben?«

»Bei Jake? Nein, ich hab auf dem Weg hierher mit ihm gesprochen.« Carly zeigte ein zerknirschtes Lächeln.

»Sie findet Jake ganz in Ordnung, wissen Sie.« Nervös spielte sie mit ihren langen Haaren und drehte sie um ihre Finger. »Aber wirklich gute Freunde sind sie nicht. Er ist …« Das Mädchen entschied sich, die Details der ablehnenden Haltung nicht weiter auszuführen. »Jedenfalls würde sie nicht bei ihm anrufen. Sein Vater ist … schwierig.«

»Und heute hat sie sich freigenommen?«

»Ja.«

Die Tür öffnete sich, und Rhyme hörte, wie Amelia Sachs und Thom mit knisternden Einkaufstüten eintraten.

Die hochgewachsene Frau, mit Jeans und Bomberjacke bekleidet, trat ins Zimmer. Auf ihrem roten Haar und den Schultern lag Schnee. Sie schenkte Rhyme und Sellitto ein Lächeln. »Fröhliche Weihnachten und so weiter.«

Thom ging mit den Einkaufstüten den Flur hinunter.

»Ah, Sachs, komm rein. Es sieht so aus, als hätte Detective Sellitto unsere Dienste angeboten. Amelia Sachs, Carly Thompson.«

Die Frauen schüttelten einander die Hand.

Sellitto fragte: »Möchten Sie ein Plätzchen?«

Carly lehnte ab. Auch Sachs schüttelte den Kopf. »Ich hab sie verziert, Lon … ja, ich weiß, Santa Claus sieht aus wie Boris Karloff. Ich möchte im Leben kein Weihnachtsplätzchen mehr sehen.«

Thom erschien in der Tür, stellte sich Carly vor und ging dann in die Küche. Rhyme wusste, dass er von dort mit Erfrischungen zurückkommen würde. Ganz im Gegensatz zu Rhyme liebte sein Betreuer die Feiertage, was zu einem guten Teil daran lag, dass er beinahe täglich den Gastgeber spielen konnte.

Während Sachs die Jacke auszog und aufhängte, fasste Rhyme die Lage und die bisherigen Ausführungen des Mädchens zusammen.

Nickend nahm die Polizistin alle Fakten auf. Sie wiederholte, dass ein so kurzes Verschwinden kein Grund zur Sorge war. Aber einer Freundin von Lon und Rachel würden sie gern helfen.

»Und ob wir das wollen«, erklärte Rhyme mit einer Ironie, die allen außer Sachs entging.

Keine gute Tat bleibt ungestraft …

Carly fuhr fort: »Ich war heute Morgen ungefähr um halb neun bei ihr. Sie war nicht zu Hause. Das Auto stand in der Garage. Ich hab bei allen Nachbarn gefragt. Sie war nicht dort, und niemand hatte sie gesehen.«

»Könnte sie das Haus schon in der Nacht verlassen haben?«, fragte Sellitto.

»Nein, sie hatte heute Morgen Kaffee gekocht. Die Kanne war noch warm.«

Rhyme sagte: »Vielleicht ist etwas Unerwartetes im Büro dazwischengekommen, und sie wollte nicht mit dem Wagen zum Bahnhof fahren und hat deshalb ein Taxi genommen.«