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Wie wird wissenschaftliches Wissen vor dem Hintergrund seiner zunehmenden ökonomischen und politischen Bedeutung in modernen Gesellschaften im Social Web an der Schnittstelle klassischem Wissenschaftsjournalismus und Laienkommunikation vermittelt und ausgehandelt? Die vorliegende Studie geht dieser Frage nach und bedient sich dazu des Beispiels der aktuell wissenschaftlichen, politischen, ethischen und für viele Menschen sehr persönlich relevanten Debatte um Reproduktionsmedizin, die anhand einer systematischen Literaturrecherche aufgearbeitet wird. Mit einer qualitativen und quantitativen Framing-Analyse von journalistischen Onlineangeboten auf fünf Nachrichtenportalen und entsprechenden Leserkommentaren werden Zusammenhänge und Unterschiede zwischen beiden Kommunikationsformaten überprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass der Schwerpunkt der Medienberichte auf der ereignisorientierten Darstellung politischer Konflikte oder der Aufbereitung von wissenschaftlichem Expertenwissen liegt. Obwohl Leser von der thematischen Einordnung durch Journalisten beeinflusst werden, stellen sie in ihren Kommentaren alltagsweltliche Fragen mehr in den Vordergrund. Dabei nutzen sie interaktive Funktionen in erster Linie zur reinen Meinungsäußerung und seltener zu Aushandlungsprozessen oder zum Austausch persönlicher Erfahrungen. Obwohl sie das öffentliche Informationsangebot über das Thema Reproduktionsmedizin erweitern, bleibt eine Kluft zwischen unwidersprochenem Expertenwissen und Laienkommunikation.
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Seitenzahl: 412
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Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Dank
1 Einleitung
2 Wissenschaft, Medien und Gesellschaft
2.1 Die Wissensgesellschaft
2.2 Wissenschaftskommunikation
2.3 Analyse medialer Wissensvermittlung
3 Internet, Journalismus und Anschlusskommunikation
3.1 Traditionelle Massenmedien und das Internet
3.2 Anschlusskommunikation im Social Web
3.3 Analyse von Leserkommentaren
4 Die Debatte über Reproduktionsmedizin
4.1 Der Verlauf der Debatte über Reproduktionsmedizin
4.2 Dimensionen der Debatte über Reproduktionsmedizin
4.3 Akteure in der Debatte über Reproduktionsmedizin
5 Anlage der Studie
5.1 Fragestellungen und Hypothesen
5.2 Inhaltsanalysen
6 Die Darstellung der Reproduktionsmedizin in Medienberichten
6.1 Inhalte der Medienberichte über Reproduktionsmedizin
6.2 Framing der Reproduktionsmedizin in Medienberichten
7 Leserkommentare zur Reproduktionsmedizin
7.1 Inhalte der Leserkommentare zur Reproduktionsmedizin
7.2 Framing von Reproduktionsmedizin in Leserkommentaren
7.3 Leserkommentare vs. Medienberichte
7.4 Netzwerke in Leserkommentaren
8 Die Debatte über Reproduktionsmedizin im Social Web
8.1 Mediales Framing in der Debatte über Reproduktionsmedizin
8.2 Leserkommentare in der Debatte über Reproduktionsmedizin
9 Wissenschaftliches Wissen in neuem Gewand
9.1 Funktionen von Leserkommentaren
9.2 Wissenschaftliches Wissen im Social Web
10 Schlussbemerkungen
Anhang
Literatur
Tab. 1: Studien aus der systematischen Literaturanalyse
Tab. 2: Strukturdimensionen der Framing-Analyse
Tab. 3: Themen und Perspektiven in Artikeln
Tab. 4: Variablen in den Clustern der Frame-Elemente
Tab. 5: Korrelationen der Frame-Elemente des Frames „medizinischer Nutzen“
Tab. 6: Korrelationen der Frame-Elemente des Frames „politische Bedenken“
Tab. 7: Korrelationen der Frame-Elemente des Frames „Wissenschaftskritik“
Tab. 8: Korrelationen der Frame-Elemente des Frames „Einordnung und Abwägung“
Tab. 9: Zusammenhänge zwischen Perspektiven in Artikeln und Leserkommentaren
Tab. 10: Einfluss der Problemdefinition in den Artikeln auf die Leserkommentare
Tab. 11: Einfluss der Problemdefinition im Artikel auf die Leserkommentare
Tab. 12: Einfluss der kausalen Interpretation in den Artikeln auf die Leserkommentare
Tab. 13: Einfluss der Handlungsempfehlung in den Artikeln auf die Leserkommentare
Tab. 14: Ergänzungen der Artikel durch Leserkommentare
Tab. 15: Zusammenhang zwischen Vielseitigkeit von Artikeln und Leserkommentaren
Tab. 16: Einfluss der Artikelmerkmale auf persönliche Informationen in Leserkommentaren
Tab. 17: Einfluss der Artikelmerkmale auf Reaktionen durch die Kommentatoren
Tab. 18: Einfluss der Artikelmerkmale auf Bezugnahmen unter Kommentatoren
Abb. 1: Framing als mehrstufige Wirkungskette
Abb. 2: Modell zur Analyse von Leserkommentaren
Abb. 3: Mehrstufiges Auswahlverfahren der Artikel für die Inhaltsanalyse
Abb. 4: Artikel über Reproduktionsmedizin im Zeitverlauf
Abb. 5: Kommentatorennetzwerk auf
Zeit.de
Über Jahre hinweg hat mich das Projekt Dissertation begleitet. Diesen Weg konnte ich nur dank der Unterstützung vieler toller Menschen gehen und erfolgreich zu Ende bringen. Zu aller erst möchte ich Nicole Zillien danken, die mich in das Projekt „Intro – Internetforen zur Reproduktionsmedizin“ geholt hat, an das meine Arbeit anschließt. Sie hat mich während der gesamten Zeit auch über das Projekt hinaus in allen Belangen unterstützt und beraten. Dann möchte ich natürlich meinen Gutachtern für die Betreuung und den reibungslosen Ablauf des Verfahrens danken. Meinen Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Kommunikationswissenschaft in Münster sowie allen Freunden, die mich vor allem in der anstrengenden letzten Phase der Arbeit ermutigt und wichtiges Feedback gegeben haben, gilt ebenfalls mein Dank. Insbesondere soll an dieser Stelle die fleißige Kodierarbeit von Sarah Kohler hervorgehoben werden, die mein Projekt bereits als studentische Hilfskraft begleitet hat.
Nicht zuletzt wäre weder der Beginn noch die Vollendung der Dissertation möglich gewesen, ohne die Unterstützung aus meinem privaten Umfeld. Dafür danke ich ganz besonders, Bernd und Renate Haake, Jürgen Tripp und Lina Haake, die auf eine ganz eigene Weise ihren Beitrag geleistet hat.
Gianna Haake
Münster, Januar 2015
Vor einigen Jahren war ich mit meiner wenige Monate alten Tochter, die gerade ihre ersten Zähne bekam, beim Kinderarzt. „Medizinisch gesehen gibt es keinen Zusammenhang zwischen Durchfall und Zahnen“, erklärte mir dieser und fügte hinzu: „Aber meine Kinder hatten alle Durchfall als die ersten Zähne kamen.“ Dieses Beispiel illustriert die Konflikthaftigkeit mit der sich Menschen in einer Gesellschaft, in der Wissen eine zunehmend wichtiger werdende Ressource darstellt, konfrontiert sehen, und die selbst vor Experten nicht Halt macht. Unterschiedliche Rationalitäten prallen tagtäglich aufeinander, wenn zu den eigenen Erfahrungen und dem tradierten, überlieferten Wissen auch wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bildungs- und Mediensystem für jeden zugänglich sind.
Insbesondere das Internet ist zu einer wichtigen Informationsquelle geworden, die einen großen Beitrag dazu leistet, dass die Menge der verfügbaren Informationen sich ständig potenziert. Nicht selten führt der erste Schritt zu einer medizinischen Diagnose oder die Unsicherheit aufgrund widersprüchlicher Informationen die Patienten in das zu jeder Zeit mit geringem Aufwand erreichbare Internet. So lag es nahe, auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Durchfall und Zahnen im Internet zu recherchieren. Die entsprechende Google-Suche nach den Begriffen „Durchfall & Zahnen“ liefert vor allem Ergebnisse, die auf Berichte in den Onlineausgaben klassischer Massenmedien und auf Foren, in denen sich Eltern untereinander austauschen, verlinken1. Erst weitere Treffer führen zu Internetseiten von Ärzten und Wissenschaftlern2. Damit ist eine weitere Besonderheit des inzwischen nicht mehr so neuen Mediums beschrieben: es integriert die verschiedensten Wissensformen. Sie stehen dabei nicht nur auf unterschiedlichen Webportalen nebeneinander, sondern beziehen sich aufeinander: Leser kommentieren redaktionell erstellte Artikel, Wissenschaftler modeneren Foren. Dies verweist auf ein Charakteristikum moderner Gesellschaften: Wissenschaftliches Wissen wird nicht mehr ausschließlich durch seine Urheber kommuniziert, sondern überwiegend durch Journalisten, die es professionell für ein Laienpublikum aufbereiten und durch Laien selbst, die ihre eigenen Erfahrungen weitergeben. Zudem eröffnen die neuen Medien den Menschen die Möglichkeit, Wissen nicht nur entweder zu kommunizieren oder zu rezipieren, sondern öffentlich in einem wechselseitigen Kommunikationsprozess sowohl die Rolle des Kommunikators als auch des Rezipienten einzunehmen.
Vor diesem Hintergrund behandelt die vorliegende Studie die Frage, wie wissenschaftliches Wissen im Internet vermittelt und ausgehandelt wird. Sie bedient sich dazu des Beispiels der Debatte um Reproduktionsmedizin im Onlinejournalismus und den zugehörigen Leserkommentaren. Das Thema Reproduktionsmedizin wird gewählt, weil es einerseits auf wissenschaftlichem Wissen basiert, das sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter entwickelt hat, und andererseits sowohl als ethisches Thema in der öffentlichen Debatte wie auch als persönliche Erfahrung für zahlreiche von ungewollter Kinderlosigkeit betroffene Paare existiert. Leserkommentare sind von großem Interesse, weil sie die Schnittstelle zwischen massenmedialer Kommunikation und interpersonaler Kommunikation im Internet darstellen. Durch ihre Einbindung in die Webseiten der traditionellen Medienunternehmen erzielen sie eine große Sichtbarkeit innerhalb der Unendlichkeit des neuen Mediums und sind gleichzeitig durch den vorgegebenen journalistischen Input thematisch fokussierte Beiträge, die isolierte Aussagen sowie wechselseitige Kommunikation zulassen.
Der konkreten Studie und ihrem Gegenstand sind die Kapitel 2 und 3 vorangestellt. In ersterem wird die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens in modernen Gesellschaften, das sowohl von ökonomischer wie auch von politischer Relevanz ist, anhand ausgewählter Theorien der Wissensgesellschaft herausgearbeitet. Es leitet sich daraus die Frage nach der Vermittlung wissenschaftlichen Wissen ab. Ein weiterer Abschnitt behandelt daher den Forschungsstand zur gängigsten Form der Wissenschaftskommunikation über professionelle Anbieter, die Wissenschaftsjournalisten. Abschließend werden mit der Wissenssoziologischen Diskursanalyse und dem Framing-Ansatz Verfahren zur Analyse von gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen vorgestellt, die für inhaltsanalytische Studien mit Fokus auf wissenschaftliches Wissen unter neuen technologischen Voraussetzungen besonders geeignet erscheinen.
In den letzten Jahren wurden die Theorien der Wissensgesellschaft durch die rasanten Entwicklungen im Bereich der Kommunikationstechnologie befeuert. Diese haben bei einigen Autoren dazu geführt, ein Bild des Web 2.0 als „egalisierender Wissensmultiplikator“ (Kajetzke & Engelhardt 2010: 7) zu entwerfen. Das nächste Kapitel beschäftigt sich daher mit der Kommunikation in den neuen Medien, wobei zunächst auf den engen Fokus der Wissenschaftskommunikation verzichtet wird, da Wissen in allen Bereichen dieses Speicher- und Kommunikationsmediums relevant ist. Es beleuchtet sowohl die Rolle klassischer Nachrichtenanbieter wie der Zeitungsverlage als auch neue, interaktive Kommunikationsformen und greift in diesem Zusammenhang ökonomische und politische Fragen aus dem vorausgegangen Kapitel auf. Die besondere Rolle von Leserkommentaren wird herausgearbeitet und erste Überlegungen zu deren Analyse angestellt, indem Erkenntnisse über Akteure und Inhalte zusammengefasst werden.
Es folgt Kapitel 4, in dem das ausgewählte thematische Beispiel für die Studie vorgestellt wird. Dazu wird die öffentliche Debatte um Reproduktionsmedizin anhand einer systematischen Literaturrecherche von Studien, die sich mit Debatten in Medien, Politik und Gesellschaft über die Fortpflanzungstechnologien beschäftigt haben, aufgearbeitet. Ausgehend vom historischen Verlauf und mit Blick auf aktuelle Auseinandersetzungen lassen sich sechs inhaltliche Dimensionen der Debatte innerhalb unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche identifizieren, denen unterschiedliche Rationalitäten zugrunde liegen. Das Aufgreifen dieser Dimensionen durch die Medien findet besondere Berücksichtigung. Schließlich wird auch die Stellung verschiedener Akteure zur Reproduktionsmedizin diskutiert, wobei eine analytische Trennung zwischen Experten und Laien auf diesem Gebiet den Abschluss bildet.
Daran schließt der empirische Teil der Arbeit an. Dazu werden in Kapital 5 zunächst Forschungsfragen und Hypothesen formuliert, um dann deren Operationalisierung zu erläutern. In einer offenen, eher qualitativen Erhebung wird die journalistische Berichterstattung zum Thema Reproduktionsmedizin auf fünf Nachrichtenportalen deutscher Zeitungen analysiert und daraus ein Schema für die anschließende, stärker standardisierte Inhaltsanalyse der Leserkommentare entwickelt. So wird eine Zusammenführung der Daten möglich, die neben der getrennten Betrachtung von journalistischen Angeboten und den Inhalten der Leserbeiträge auch einen Abgleich beider Kommunikationsformen und die Analyse von Bezugnahmen erlaubt.
Eine Auswertung der durchgeführten Analysen findet sich in den folgenden zwei Kapiteln. Kapitel 6 beinhaltet die entsprechenden deskriptiven Ergebnisse zu Perspektiven, Akteuren, Bewertungen, Stilmitteln und Frames in der Darstellung von Reproduktionsmedizin in journalistischen Onlineartikeln. Diesen werden in Kapitel 7 die Ergebnisse zur Darstellung von Reproduktionsmedizin in Leserkommentaren gegenübergestellt, um gefundene Gemeinsamkeiten ebenso wie Unterschiede sichtbar zu machen.
Die nächsten beiden Kapitel diskutieren die Ergebnisse vor dem Hintergrund der vorausgegangenen theoretischen Überlegungen aus den Kapiteln zwei bis vier. Das Kapitel 8 legt dabei den Schwerpunkt auf das Framing von wissenschaftlichem Wissen über Reproduktionsmedizin im Onlinejournalismus einerseits und in Leserkommentaren andererseits. Kapitel 9 geht dann auf die Funktionen, die Leserkommentare als eine spezielle Form der Anschlusskommunikation in der Wissensgesellschaft haben können, und auf den Umgang mit wissenschaftlichem Wissen im Social Web ein.
Das letzte Kapitel stellt abschließend einige zentrale Erkenntnisse der Studie heraus. Zudem soll es ausgehend von den Ergebnissen der durchgeführten Fallstudie auf mögliche allgemeinere Schlussfolgerungen und den weiteren Forschungsbedarf zu wissenschaftlichem Wissen im Social Web verweisen.
1 z.B. den Artikel „Die Zähne kommen“ auf RP online (http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/schwanger-schaft/die-zaehne-kommen-wenn-babys-leiden-aid-1.2318575; Stand 17.02.2014) und die Diskussion „Durchfall beim Zahnen“ im Forum gofeminin.de (http://forum.gofeminin.de/forum/bebeestla/_f185720_bebeestla-Durchfall-beim-Zahnen.html; Stand 17.02.2014)
2 wie die Seite Wunschkinder.net, die von dem Facharzt Dr. Elmar Breitbach ins Leben gerufen wurde
Die Begriffe Wissens- oder auch Informationsgesellschaft deuten auf den Hintergrund, vor dem heutzutage Kommunikationsprozesse in industrialisierten Staaten ablaufen, hin. Sie stehen im Mittelpunkt verschiedener soziologischer Analysen der modernen Gesellschaft. In der vorliegenden Studie soll die Wissensgesellschaft als Beobachtungsperspektive dienen, die den Umgang mit wissenschaftlichem Wissen ins Zentrum der Analyse rückt. Gemein ist den Theorien der Wissensgesellschaft die Annahme eines gestiegenen Stellenwertes von Informationen und Wissen in modernen Gesellschaften und die Überzeugung, dass Wissen und Technik entscheidend an der Formation und Transformation der Gesellschaft beteiligt sind (vgl. Degele 2000: 20). Der Stellenwert des Wissens und die Handhabung von Informationen dienen ihnen als eine Achse, anhand derer sie gesellschaftliche Entwicklungen beschreiben. Dieser Fokus zieht zwangsläufig eine Schwäche des theoretischen Konzepts der Wissens- und Informationsgesellschaft nach sich, die Denis McQuail (2005) als das Fehlen einer politischen Dimension beschreibt. Um diese erfassen zu können, ist in den weiteren Abschnitten dieses Kapitels insbesondere die Rolle der Wissenschaft und der Medien in der Wissensgesellschaft zu hinterfragen. Zudem sind Möglichkeiten zu erörtern, wie sich gesellschaftliche Kommunikationsprozesse analysieren lassen.
An dieser Stelle soll im Wesentlichen auf zwei Theorien der Wissensgesellschaft Bezug genommen werden. Schon früh hat Daniel Bell (1979) eine Analyse der ökonomischen Bedingungen in der von ihm als „post-industriell“ bezeichneten Gesellschaften vorgelegt. Sein Werk hat „die Diskussion um die Zukunft der Industriegesellschaft […] nachhaltig geprägt“ (Steinbicker 2010: 27). Auf seinen Betrachtungen und Prognosen bauen viele weitere Modelle auf. Eine der bedeutendsten unter ihnen ist das Werk von Nico Stehr (1994). Sein handlungsorientierter Ansatz trägt über eine ökonomische Analyse hinaus zu einem besseren Verständnis gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse und wissensbasierter Handlungen bei. Auch die Netzwerkgesellschaft von Manuel Castells (2001) soll kurz vorgestellt werden, da sie zwar keine Theorie der Wissensgesellschaft im engeren Sinne ist, sich jedoch intensiv mit dem Informationsaustausch im Internetzeitalter beschäftigt.
Offensichtlich ist die zunehmende Bedeutung von Information und Wissen bei den schneller werdenden Kommunikationswegen, dem Überfluss der zur Verfügung stehenden Daten und der Globalisierung von Informationsflüssen. Verschiedene Theorien zur Informations- oder Wissensgesellschaft heben jeweils spezifische Merkmale hervor. Bereits Ende der 1960er-Jahre weisen Robert Lane (1966) und Peter Drucker (1969) auf die Entwicklung des Wissens zur Grundlage der Wirtschaft hin. Daniel Bell (1979) macht die Wissensgesellschaft ebenfalls vorrangig an ökonomischen Größen fest, wie etwa dem Ressourceneinsatz für Ausbildung und Forschung und den in speziellen Dienstleistungsbereichen beschäftigten Personen. In der Wirtschaft nimmt insbesondere theoretisches Wissen eine zentrale Stellung ein (vgl. ebd.: 30f). Schon bei Marx und Engels findet sich das Wissen als Produktivkraft.
„Aber für einen vernünftigen Zustand, der über die Teilung der Interessen, wie sie beim Ökonomen stattfindet, hinaus ist, gehört das geistige Element allerdings mit zu den Elementen der Produktion und wird auch in der Ökonomie seine Stelle unter den Produktionskosten finden. Und da ist es allerdings befriedigend, zu wissen, wie die Pflege der Wissenschaft sich auch materiell belohnt, zu wissen, daß eine einzige Frucht der Wissenschaft, wie James Watts Dampfmaschine, in den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz der Welt mehr eingetragen hat, als die Welt von Anfang an für die Pflege der Wissenschaft ausgegeben.“ (Engels 1844 nach Marx & Engels 1956: 509.)
Der Weg in die Wissensgesellschaft zeichnet sich mit der Fortentwicklung der Wissenschaft bereits ab, „deren Fortschritt ist so unendlich und wenigstens ebenso rasch als der der Bevölkerung“ (ebd.: 521). Doch unterschätzt der Unternehmer nach Engels den wahren Wert der Wissenschaft, da deren Kosten für ihn nicht kalkulierbar sind. Dagegen betrachtet Bell (1979) Wissen als eine Sozialinvestition der Gesellschaft, deren Wert abschätzbar ist. Seine Definition von Wissen beschränkt er auf das, „was objektiv bekannt ist, ein geistiges Eigentum, das mit einem (oder mehreren) Namen verbunden ist und durch ein Copyright oder eine andere Form sozialer Anerkennung (z. B. Veröffentlichung) seine Bestätigung erfährt“ (ebd.: 178). Wenn Bell von „theoretischem Wissen“ (ebd.: 177) spricht, so geht es ihm in erster Linie um jene Art des Wissens, das auf Urteile aus Forschung und Wissenschaft sowie Darstellungen aus Lehrbüchern und Unterricht zurückgeht: das wissenschaftliche Wissen. Wissenschaftler übernehmen demnach eine Funktion der kapitalistischen Unternehmen (vgl. Steinbicker 2010: 28): Sie handeln, dieser Argumentation zufolge, mit ihrer Ware Wissen auf einem sich ausdehnenden Wissensmarkt.
Seine gesellschaftliche Anerkennung erlangt das wissenschaftliche Wissen vor allem durch die Anwendung neuer Technologien, die die Forschung hervorbringt. Die modernen Gesellschaften basieren stärker denn je auf dieser Objektivierung des Wissens. Ihre gesamte Organisation ist daher auf ein Expertensystem angewiesen, um die alltäglichen Lebensbedingungen aufrecht zu erhalten, was den wissenschaftlichen Experten zu einer besonderen Machtposition verhilft. Durch ihren Erkenntnisvorsprung stehen ihnen mehr Handlungsmöglichkeiten offen (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 12). Bell (1979) zählt für die USA Ende der 1960er-Jahre 300.000 Personen zur tonangebenden Oberschicht der „Wissensklasse“ (ebd.: 228). Auf der von ihnen geleisteten Forschung und Entwicklung basieren das Wirtschaftswachstum und das politische Handeln in der Wissensgesellschaft. Lange Zeit dominierte daher die Vorstellung, Experten sollten die Öffentlichkeit erziehen, Kontroversen verhindern und Entscheidungsfindungsprozess erleichtern (vgl. Limoges 1993: 417). Verbreitet werden die Ansichten von Experten in der Regel über Massenmedien, die von den Fachleuten auch gezielt als Sprachrohr genutzt werden, um ihre eigenen Erkenntnisse und Meinungen einem breiten Publikum zu vermitteln (vgl. Peters et al. 2008: 21ff). Obwohl Bell (1979) Wissen von Neuigkeiten und Nachrichten abzugrenzen versucht, scheinen die traditionellen Medien doch auch Wissen „als Sammlung in sich geordneter Aussagen über Fakten oder Ideen, die ein vernünftiges oder ein experimentelles Ergebnis zum Ausdruck bringen und anderen durch irgendein Kommunikationsmedium in systematischer Form übermittelt werden“ (ebd.: 176f), aufzubereiten. In besonderem Maße trifft das wohl auf die Wissenschaftsberichterstattung zu, die systematisch gewonnene Erkenntnisse thematisiert. Die Überlegungen zur Informations- bzw. Wissenschaftsgesellschaft haben daher zu einer medienzentrierten Theorie geführt (vgl. McQuail 2005: 108).
Seit der Wissensdefinition des US-amerikanischen Soziologen hat sich jedoch das Medienangebot erweitert und damit die Produktion und Distribution von geistigem Eigentum verändert. Im Internet stehen dem Nutzer unzählige Informationen zur Verfügung, deren Quelle häufig nicht mehr nachvollziehbar ist. Sie werden von verschiedenen Nutzern verbreitet, verändert und mit eigenem Wissen ergänzt. Da die Hürden, Informationen zu veröffentlichen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen, massiv gesunken sind, kann eine Veröffentlichung kaum mehr unmittelbar mit sozialer Anerkennung gleichgesetzt werden, die bei den klassischen Medien mit dem positiven Urteil und der Entscheidung zur Publikation durch Journalisten oder Verleger einhergegangen ist. Andererseits entwickeln sich neue Formen, um den Wert des zugänglichen Wissens abzuschätzen. Verschiedene Arten der Bewertung und Kommentierung sind heute in die meisten Onlineinformationsangebote integriert.
Durch den erleichterten Zugang zu Massenkommunikationsmitteln, aber unter anderem auch die Ausweitung des Erziehungswesens erhalten neben dem Staat nun Klienten, Bürger und Wähler gleichfalls neue Handlungsmöglichkeiten (vgl. Stehr 2000: 188). Denn bei Nico Stehr drückt sich Wissen als Handlungskompetenz aus, beispielweise in der Fähigkeit zu sprechen, Ermessensspielräume zu nutzen oder Widerstand zu mobilisieren (vgl. Stehr 1994: 194ff). Die Zunahme von Wissen beim Individuum sieht er als konstitutives Merkmal der Wissensgesellschaft an. Wissen ist dabei Fähigkeit zum sozialen Handeln (vgl. Stehr 2001: 8). Ein anschauliches Beispiel liefert das medizinische Wissen des Arztes, das zu großen Teilen eben auch prozedurales Wissen ist und durch Erfahrungen unter bestimmten Umständen und in gewissen Situationen erworben wurde (vgl. Vogt 2007: 584). Es „lässt sich nur als ein soziales und kollektives Phänomen verstehen, das tief in die Handlungspraxis eingelassen ist.“ (ebd.) Stehr beschreibt, wie wissenschaftliches Wissen zunehmend gegenüber anderen Formen des Wissens an Bedeutung gewinnt, da es in besonderem Maße in der Lage ist, neue Handlungsoptionen zu generieren. Eine Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche findet statt, die Wissenschafts- und Bildungspolitik differenziert sich aus und Herrschaftsstrukturen verändern sich durch das Vorhandensein von Spezialwissen (vgl. Stehr 1994: 36f). Wissen drängt die früheren Produktionsfaktoren Eigentum, Arbeit und Boden zurück und vermindert damit nach Stehr den Stellenwert des ökonomischen Systems insgesamt.
Beide Modelle der Wissensgesellschaft ziehen also ökonomische Größen heran, um die bedeutende Rolle von Information und Wissen zu untermauern. Die Frage nach dem Primat von wirtschaftlichen oder informationsgebundenen Determinanten für die gesellschaftliche Entwicklung, die sich in diesem Zusammenhang stellt, soll hier nicht abschließend beantwortet werden. Zum einen ist durch die Informationsökonomie noch nicht zufriedenstellend geklärt, inwieweit Informationen selbst als eine ökonomische Größe aufgefasst werden können (vgl. Degele 2000: 35). Zum anderen zeigt Bell (1979) auf, dass im Laufe der Diskussion um unterschiedliche Gesellschaftsmodelle eher Abstand von der Vorstellung genommen wurde, einzelne Faktoren, wie etwa der Stellenwert des Wissens, würden kausal als dominierende Faktoren die soziale Entwicklung bestimmen. Es ist daher ausreichend, die zunehmende Bedeutung von Wissen als eine Eigenschaft moderner Gesellschaften festzustellen, ohne eindeutig zu klären, ob damit ein grundlegender Strukturwandel stattfindet oder neue Entwicklungsmechanismen ablaufen. Dafür, dass keine neue Gesellschaftsformation entstanden ist, spricht, dass „the entire information society idea can be understood within the framework of the processes that have characterized American capitalism“ (Schement & Curtis 1995: 25f). Demnach hat es keine revolutionären Brüche in der kapitalistischen Entwicklung oder den sozialen Beziehungen gegeben (vgl. McQuail 2005: 105). So gingen Marx und Engels davon aus, dass auch der Wissenschaftler als abhängiger Lohnarbeiter im Dienste der bürgerlichen Klasse arbeitet (vgl. Marx & Engels 1848 nach ebd. 1956: 465). Vielmehr hat sich nach Schiller (1984) ein Technokapitalismus entwickelt, dessen Schwerpunkt die Wissensindustrie bildet.
Unabhängig davon, ob sich eine neue Gesellschaftsform entwickelt hat, ist der Begriff der Wissensgesellschaft für sozialwissenschaftliche Analysen insbesondere dann fruchtbar, wenn es um fokussierte Analysen geht, die die Bedeutung des Wissens als ein charakteristisches Kennzeichen der gesellschaftlichen Entwicklung in den Blick nehmen. Über einen modernen Glauben an Wissenschaft und Technik als Problemlösungsinstanz hinaus deutet der Begriff auf den praktischen Einsatz von Wissen und Information im sozialen Reproduktionsprozess hin. So hält Weingart (2008) fest, dass die systematische und kontrollierte Reflexion zum weit verbreiteten Handlungsprinzip heutiger Gesellschaften wird. Sie geht bis zu dem Punkt, an dem Wissen sich selbst thematisiert und in Frage stellt (vgl. Lehmann 2007: 35). Diese Art der Verwissenschaftlichung findet sich nicht nur im Wirtschaftssystem, sondern auch in der alltäglichen Lebensführung, wenn es beispielsweise um die wissenschaftliche Analyse der Kindererziehung oder der Sexualität geht, die ihre popularisierte Verbreitung über die Massenmedien erfährt (vgl. Weingart 2008: 29). Dabei kommt es zu einer Verschiebung von gesellschaftlichen Normen. Lebensqualität wird nun auch an immateriellen Werten wie Bildung, Gesundheit und Kultur gemessen (vgl. Steinbicker 2010: 28).
Wissenschaftliches oder Expertenwissen ist jedoch nicht ohne weiteres praktisch anwendbar, da es häufig nicht eindeutig ist. Selbst erprobte Technologien können unter speziellen Bedingungen versagen oder auch aus kulturellen Erwägungen abgelehnt werden. Dies gilt beispielsweise auch für die Medizin, wo selbst die Problemdefinition, ob oder welche Krankheit vorliegt, nicht immer klar ist (vgl. Vogt 2007: 585). Über eine Millionen klinisch abgesicherte Studien machen medizinisches Wissen selbst für den Arzt hyperkomplex und verlangen nach Reduktion (vgl. ebd.: 583). Nach der Wissenschaftstheorie von Karl Popper (1966) gründet Wissenschaft auf Vermutungen, die systematische überprüft und kritisiert werden. Dadurch ist es immer nur vorläufiges Wissen und häufig konfligierend.
„Der wissenschaftliche Diskurs ist entpragmatisiert, er vermag keine definitiven oder gar wahren Aussagen (im Sinne von bewiesenen kausalen Sätzen) für praktische Zwecke anzubieten, sondern nur mehr oder weniger plausible Annahmen, Szenarien oder Wahrscheinlichkeitsaussagen.“ (Stehr & Grundmann 2010: 97)
Er lässt einen politischen Spielraum, der nicht selten entgegengesetzte Handlungsorientierungen einschließt (vgl. ebd.: 84). Spätestens, wenn der Urheber nicht mehr erreichbar ist, wird die Reproduktion von Wissen selbst zur gesellschaftlichen Aufgabe und auch seine Interpretation liegt bei der Gesellschaft (vgl. Stehr 1994: 224).
An dieser Stelle wird die politische Dimension der Wissensgesellschaft relevant. Wenn Handeln auf der Grundlage von wissenschaftlichem Wissen neue Spielräume schafft, die auf der gesellschaftlichen Ebene politisch ausgefüllt werden müssen, bedeutet dies letztendlich mehr Planung mittels politischer Prozesse. Dies eröffnet verschiedenen Interessensgruppen die Möglichkeit, in Entscheidungsprozesse aktiv einzugreifen, indem sie sich direkt an die politischen Entscheidungsträger wenden oder den Weg über die Öffentlichkeit wählen. Öffentlichkeit kann „als eine symbolisch-sinnhaft vortypisierte, allgemein zugängliche und vertraute Themenwelt“ (Rühl 1993: 96) beschrieben werden, die entsteht, weil Akteure unterstellen, dass Kommunikationsangebote verbreitet und akzeptiert sind und das kommunizierte Wissen aktuell und reflexiv ist (vgl. Merten & Westerbarkey 1994: 198). Massenmedien liefern die notwendige gemeinsame Informationsbasis. Indem mehrere Individuen in ihrer Kommunikation Bezug auf den gleichen Sachverhalt nehmen, bilden sich Verbindungen zwischen ihnen heraus (vgl. Gerhardt 2012: 25). Innerhalb dieser Öffentlichkeit nehmen Personen situativ unterschiedliche Rollen als „Hersteller, Bereitsteller, Annehmer oder Verarbeiter von Publizistik“ (Rühl 1993: 99) ein. Können sich soziale Gruppen oder Institutionen öffentlich Gehör verschaffen, so haben sie die Möglichkeit, ihr Wissen oder ihre Vorstellungen beispielsweise des menschlichen Körpers „als universal, natürlich, gesund, normal und/oder wünschenswert durchzusetzen“ (Alkemeyer 2010: 296) und durch diese Deutungsmacht Körper abzuwerten, die nicht mit ihren Bildern konform gehen.
Experten nehmen in solchen Auseinandersetzungen keine neutrale Rolle ein, obwohl ihr rationaler Sachverstand in der Öffentlichkeit noch immer als unparteiisch angesehen wird (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 97). Sie stehen selbst „bestimmten wirtschaftlichen Interessen und politischen Zielen nahe“ (ebd.: 96). Die Vorstellung einer kleinen gebildeten Elite, die Risiken abwägt und wesentliche gesellschaftliche Entscheidungen trifft, ist mit modernen Demokratievorstellungen jedoch nicht vereinbar. Eine tiefgreifende Analyse von sozialen Ungleichheiten und Herrschaftsverhältnissen in der Wissensgesellschaft findet allerdings in den meisten Theorien nicht statt (vgl. Bittlingmayer & Tuncer 2010: 352). Zwar geht durch die Weitergabe von Wissen dessen Wert für den ursprünglichen Inhaber nicht verloren, womit alle von einer Diffusion profitieren, doch erfolgt die Verteilung des Gewinns nicht gleichmäßig (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 16). Wer über ökonomische Macht verfügt, hat eher Zugang zu vorhandenem Wissen oder die Möglichkeit zur Generierung neuen Wissens, kann Kommunikationsflüsse eher kontrollieren und somit Einfluss auf die Verteilung von Wissen nehmen. Wird Wissen als Produktionsfaktor anderen ökonomischen Größen gleichgesetzt, ohne diese speziellen Merkmale zu berücksichtigen, so wird der Zusammenhang zwischen ökonomischer und kommunikativer Macht vernachlässigt. Ob Klienten, Bürger und Wähler mit den von Stehr (2000) benannten neuen Handlungsmöglichkeiten also tatsächlich neue Macht erhalten haben, bleibt fraglich. Stehr thematisiert jedenfalls nicht, wie diese Handlungsoptionen praktisch eingesetzt werden können, wenn materielle Ressourcen fehlen.
Im Gegensatz zu anderen Autoren rückt Manuel Castells (2001) ebenfalls ausgehend von grundlegenden Veränderungen in der Arbeitswelt und der Wirtschaft die Besitzverhältnisse stärker in den Fokus. Er geht von einer „drastischen Neuorganisation von Machtbeziehungen“ (ebd.: 529) aus. „Wenn das Internet zur allgegenwärtigen Infrastruktur unseres Lebens wird, so wird die Frage, wem diese Infrastruktur gehört und wer den Zugang zu ihr kontrolliert, zum Schauplatz einer entscheidenden Schlacht für die Freiheit“ (Castells 2005: 291). Für Castells sind es Netzwerke, die im Zeitalter neuer Informations- und Kommunikationstechnologien alte Strukturen ablösen. In ihnen wird Information und Wissen kollaborativ hergestellt und verwaltet. Als bestes Beispiel für die Sammlung und Verbreitung von Informationen über Netzwerke kann das Internet genannt werden, durch das sogar soziale Strukturen in ein Mediennetzwerk verlagert werden. Wer Verbindungen zwischen den Netzwerken, wie etwa Finanzströme, kontrolliert, verfügt über die eigentliche Macht. Außen vor bleiben nach Castells (2005) insbesondere jene Bevölkerungsteile, die je nach Klassenzugehörigkeit, Bildungsstand, Generation oder Weltregion keinen Zugang zum Internet oder seiner Gestaltung haben. Die erhoffte Demokratisierung der Kommunikation im Internetzeitalter hat sich bisher jedenfalls nicht verwirklicht. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass bestimmte Personengruppen aus der Wissensgesellschaft ausgeschlossen sind, weil sie keinen Zugang zu und keine Kontrolle über Wissensund Informationsströme haben, die für wirtschaftliche und politische Prozesse entscheidend sind. Wissen wird zum bevorzugten Machtinstrument, um Kontrolle über soziales Handeln auszuüben (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 56). Die Macht, die das Wissen im konkreten Fall verleihen kann, ist dabei von der Verfügbarkeit alternativer oder rivalisierender Wissensformen abhängig (vgl. ebd.: 55).
Im Umkehrschluss ist für Laien das Verständnis aktueller Entwicklungen gerade auch in der Wissenschaft zur Grundlage ihrer Beteiligung an demokratischen gesellschaftlichen Debatten geworden (vgl. Edwards 2005: 64). „Lebenschancen, Lebensstil und soziales Einflussvermögen eines Individuums hängen fast unmittelbar von seinem Zugang zum jeweiligen Wissensbestand der Gesellschaft ab“ (Stehr & Grundmann 2010: 15). Neben dem formalen Weg über das Bildungssystem, stellen auch die Medien eine Institution dar, die Wissen reproduziert, interpretiert und kommuniziert.
„An die Stelle überlieferter symbolischer Ordnungen treten massenmedial vermittelte, ausgedehnte und beschleunigte Welterfahrungen einerseits, die wissenschaftliche und professionelle Wissensproduktion und deren Sedimentierung in die außenwissenschaftliche Deutungs- und Handlungspraxis andererseits. Diese permanente Erzeugung und Verstreuung von Wissen ist zur allgegenwärtigen Tradition der modernen Gesellschaften geworden.“ (Keller 2005: 13f)
In politischer Hinsicht birgt die Wissensgesellschaft also sowohl Chancen als auch Gefahren für die Demokratie, die unmittelbar mit dem Zugang zu Informationen und der Beteiligung an deren Bereitstellung zusammenhängen.
Der Laie sieht sich dabei drei nach ihren Quellen zu unterscheidenden Wissensformen gegenüber: (1) seinem eigenen Alltagswissen, (2) dem massenmedial vermittelten Wissen und (3) dem Expertenwissen. Alltagswissen wird dem Menschen aus seinem eigenen sozialen Umfeld überliefert oder durch eigene Erfahrungen gewonnen und überprüft. Es wird am ehesten von Stehrs Definition von Wissen als Handlungskompetenz erfasst, weil die lebensweltlichen Wissensvorräte in besonderem Maße handlungswirksam sind (vgl. Guenther & Schmidt 2008: 174). Dabei sind der Ursprung immer biografische Erfahrungen des Einzelnen und es kann auch als Erfahrungswissen, „Weltwissen“ (Wirth 1997: 149) oder mit dem Begriff des „narrativen Wissens“ (Kübler 2009: 108) beschrieben werden.
Als Erfahrungswissen kann es dann den Bereich des Alltags durchaus verlassen und zum Beispiel über Medien kommuniziert werden. Dabei erfährt es eine Objektivierung, da medial vermitteltes Wissen nach Adolf und Stehr (2008) kodiert, gespeichert und übermittelt, also „symbolisch geronnen[…]“ (ebd.: 65) ist. Bell (1979) trägt mit seiner Definition von Wissen ebenfalls zum Verständnis von medial vermitteltem Wissen bei. Die hier getroffene Unterscheidung konzentriert sich jedoch konkret auf massenmedial vermitteltes Wissen, das nicht einfach in einem Medium gespeichertes und durch dieses übertragenes Wissen, sondern von einem Kommunikator für eine Zielgruppe (meist journalistisch) aufbereitetes Wissen ist. Typisch für medial vermitteltes Wissen ist nach Kübler (2009), dass es instrumentalisiert und kommerzialisiert wird, indem es an Formate und Interessen angepasst wird.
Expertenwissen entspricht dagegen als einziges Bells Definition theoretischen Wissens. Wissenschaftliches Wissen ist im engeren Sinn also Expertenwissen. Allerdings soll es hier definiert werden als jenes Wissen, dass auf Experten bzw. auf die systematische Wissensgenerierung der Wissenschaft zurückgeht. Es behält jedoch seinen Status als wissenschaftliches Wissen auch dann noch, wenn es vom Expertenwissen zum medial vermittelten Wissen wird, weil beispielsweise Journalisten eine Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Laienpublikum einnehmen. Das „von den Wissenschaften geschöpfte und von ihnen approbierte Wissen“ (Kübler 2009: 115) wird in der Regel höher bewertet als alltägliches Wissen.
Wie die drei Wissensformen ineinander greifen, sei an einem Beispiel illustriert: Ein unter ungewollter Kinderlosigkeit leidendes Paar liest einen Zeitungsartikel, in dem ein Arzt darüber berichtet, dass nach medizinischen Erkenntnissen Rauchen und Übergewicht die Erfolgschancen einer künstlichen Befruchtung beeinträchtigen. Beide entscheiden sich, das Rauchen aufzugeben und ihr Gewicht zu reduzieren. Das Expertenwissen des Arztes ist wissenschaftliches Wissen, das medial vermittelt und durch Laien angewendet wird. Mit seiner Anwendung wird es zum Erfahrungswissen. Im Gespräch mit einer Freundin oder in einem öffentlich zugänglichen Onlineforum, kann das Paar nun sowohl das wissenschaftliche Wissen aus den Medien wiedergeben als auch eigenes Erfahrungswissen vermitteln, je nachdem auf welche Quelle es rekurriert. Individuelle Kommunikationshandlungen, die öffentlich – beispielsweise im Internet – erfolgen, erzeugen (häufig nicht intendierte) Strukturen und liefern so einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wissensbestand (vgl. Guenther & Schmidt 2008: 170). Gleichzeitig sind die unterschiedlichen Wissensformen teilweise nur schwer vereinbar. Internetnutzer betonen etwa die Autonomie ihres in der Form von Inhalten bereitgestellten Wissens gegenüber journalistischen oder akademischen Wissensvorräten (vgl. ebd.: 184). In diesem Spannungsverhältnis nimmt wissenschaftliches Wissen keineswegs einen Sonderstatus ein, sondern wird wie andere Wissensformen „auf bestimmte Ziele und Zwecke hin bewertet“ (Engelhardt & Kajetzke 2010: 367). So genügt wissenschaftliches Wissen nicht immer dem Anspruch alltäglicher Handlungskontexte, eindeutige Erklärungen zu liefern (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 101). Für Heidenreich (2002) ist gerade die Infragestellung etablierter Normen charakteristisch für das Wissenschaftssystem. In einigen Bereichen wird daher die Forderung nach der „lokalen Expertise“ (Weingart 2001: 347) der Laien laut, welche besser an die gesellschaftliche Realität angepasst ist als das universalistische, disziplinär fraktionierte, wissenschaftliche Wissen. Wenn es um Entscheidungsfindungsprozesse unter Bedingungen der Unsicherheit geht, haben die Laien womöglich bessere Voraussetzungen, weil sie – anders als Wissenschaftler – in ihrem Alltag immer wieder praktische Entscheidung auf der Grundlage ihres Wissens treffen müssen (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 99). Alltagswissen liefert Antworten, wo Wissenschaft vor allem neue Fragen aufwirft. Wissenschaftliches Wissen verdrängt also andere Wissensformen nicht vollständig (vgl. Stehr 1994: 252). Eher lässt sich von einer Pluralisierung des Wissens sprechen. Zudem besteht ein enger Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem und alltäglichem Wissen, da ersteres weit über das Wissenschaftssystem hinaus von großer Bedeutung ist. Ein Indiz hierfür ist die enger werdende Kopplung zwischen der Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen wie der Politik, der Wirtschaft und der Medien, die nun zunehmend auf wissenschaftliches Wissen zurückgreifen (vgl. Weingart 2001: 33).
„Dies macht es einerseits möglich, dass die Wissenschaft unter Druck gerät, größere Relevanz und Zugänglichkeit zu zeigen. Andererseits wird es dadurch Laien ermöglicht, sich ein Verständnis des wissenschaftlichen Wissens anzueignen und so zu Experten zu werden in Debatten, in denen Handlungsdruck besteht, gleichzeitig aber Wissen gefragt ist.“ (Stehr & Grundmann 2010: 104)
Bislang unbefriedigend beantwortet ist die Frage, was es für die Menschen in gegenwärtigen modernen Gesellschaften bedeutet, mit immer mehr wissenschaftlichem Wissen konfrontiert zu sein (vgl. Bührmann 2010: 343). Daran schließt die Frage an, wie speziell Laien mit dieser Situation umgehen. Eine Reaktion könnte die Ausbildung von Laien-Netzwerken sein, in denen diese ihr jeweils eigenes Wissen miteinander teilen und so eine alternative Informationsquelle als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Alltag schaffen. Unter Laien sind hier all diejenigen zu fassen, die sich nicht professionell mit der Produktion und Distribution von Wissen befassen. „Laien können also durchaus sachkundig sein, müssen aber nicht zwangsläufig gewissen Routinen und professionellen Standards folgen“ (Schmidt 2011: 190). Bisher ist jedoch wenig über die Vermittlung insbesondere wissenschaftlich fundierten Wissens durch Laien bekannt.
Charakteristisch für die Wissensgesellschaft ist der zunehmende Stellenwert wissenschaftlichen Wissens nicht nur als ökonomische Ressource, sondern auch als Grundlage für individuelle und gesellschaftliche Entscheidungsfindungsprozesse. Dabei zeichnen sich zwei gegenläufige, aus den Theorien der Wissensgesellschaft ableitbare Entwicklungstendenzen ab: einerseits eine Verfestigung hierarchischer Wissensstrukturen, in denen die Wissenschaft – und damit die Experten – eine Sonderstellung einnimmt und andererseits eine Auflösung alter Strukturen durch die potenzielle Beteiligung aller an der Produktion und Distribution von Wissen. Um diese Phänomene beschreiben zu können, richtet sich der Blick der Sozialwissenschaften auf Fragen nach Wissensformen und Wissensvermittlung. Eine Schlüsselposition kommt in entsprechenden Beobachtungen den Medien zu, die eine breite Distribution des Wissens erst möglich machen. Bevor jedoch neue Kommunikationswege für die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens diskutiert werden, soll zunächst die Wissenschaftskommunikation innerhalb der klassischen Massenmedien beschrieben werden, wo Journalisten eine Gatekeeper-Funktion erfüllen und weitgehend über Inhalte und Darstellung entscheiden.
Im Folgenden geht es um die Rolle der Medien in modernen Gesellschaften und insbesondere ihre Rolle bei der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Sicht der Kommunikationswissenschaft und der Mediensoziologie. Obwohl die ursprünglichen Theorien der Wissensgesellschaft eher am Rande auf die Medien verweisen, wurde ihre „gesellschaftliche Zentralität“ (Adolf & Stehr 2008: 71) und ihre entscheidende Rolle etwa als „Katalysator für den Wandel des Umgangs mit Wissen“ (Lehmann 2007: 37) immer wieder hervorgehoben. Von Interesse sind hier vor allem Erkenntnisse dazu, über welche wissenschaftlichen Themen wie berichtet wird und welche Rolle Experten und Laien in solchen Darstellungen spielen.
Unbestritten ist die Funktion der Massenmedien, Aufmerksamkeit zu lenken. Gerade in der Informationsgesellschaft mit ihrem Überangebot an Informationen ist Aufmerksamkeit ein knappes Gut. Aufgrund der unendlichen Zahl von Ereignissen, über die potenziell berichtet werden kann, und der gleichzeitigen Begrenzung technischer und zeitlicher Ressourcen ist die Aufmerksamkeitsspanne der Medien selbst nur kurz (vgl. Weingart 2001: 256). Nur vermeintlich Bedeutsames wird von den Medien ausgewählt. Welcher Umfang und welche Platzierung einem ausgewählten Thema dann in der Berichterstattung zugewiesen werden, gibt schließlich dem Rezipienten einen Hinweis darauf, wie groß die Bedeutung ist, die dem Thema zukommt (vgl. Tewksburry & Althaus 2000: 458). Damit ist jedoch die enorme Komplexität eines Ereignisses außerhalb der Medienrealität noch nicht abgebildet. Durch so genannte Frames wird die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf ganz bestimmte Aspekte des Geschehens und weg von anderen Aspekten gelenkt (vgl. Entman 1993: 54). Die mediale Darstellung von Ereignissen, die der direkten Erfahrung jedes Einzelnen entzogen sind, ist über das Framing von Inhalten mit einem gewissen Einfluss auf die Verteilung von Wissen und die Richtung von Einstellungen verbunden (vgl. Bauer 2005a: 9). Ein bestimmtes Framing, der soziale Kontext und der Verwertungszusammenhang bilden die jeweils spezifischen Bedingungen, unter denen sich gesellschaftliche Akteure mittels ihrer Medienrezeption Wissen aneignen (vgl. Degele 2000: 44). Ergänzt wird die individuelle Medienaneignung durch Gespräche über Medien mit anderen Rezipienten. Das hat zur Folge, dass Massenmedien im Zusammenspiel mit der Alltagskommunikation die öffentliche Meinung bestimmen (vgl. Bauer 2005a: 9). Durch ihr Kommunikationsangebot aktivieren sie Wissen, machen es anschlussfähig und verleihen ihm Wertschätzung; das Wissen wird gesellschaftlich konstituiert (vgl. Degele 2000: 45). Da sich die Reflexivität wissenschaftlichen Wissen so in der Wissensgesellschaft zunehmend durchsetzt, fällt den Medien in modernen Massendemokratien auch die Aufgabe zu, als Forum für die Reflexion der öffentlichen Meinung zu fungieren (vgl. Weingart, Salzmann & Wörmann 2008: 382).
Die herausragende Bedeutung der Medien bei der Vermittlung wissenschaftlich-technologischer Informationen kann nach Bonfadelli (2005) durch mehrere Studien als erwiesen betrachtet werden. Denn die wenigsten Menschen haben direkte Erfahrungen mit wissenschaftlicher Forschung oder ihren Erkenntnissen. Entsprechende Ereignisse aus diesem Bereich gelten daher als „unaufdringlich“ (Schäfer 2007: 15). Die Realitätsbeschreibung der Wissenschaft ist in diesem Fall für die Menschen ein Teil der medialen Realität (vgl. Weingart 2001: 239). Ein durchgängiges Muster für den Zusammenhang zwischen Medienberichterstattung und Wissen in der Bevölkerung etwa über Biotechnologie ist jedoch nicht festzustellen (vgl. Bonfadelli 2005: 51).
Tatsächlich haben Rezipienten ganz unterschiedliche kognitive Strategien, Medieninhalte zu verarbeiten, so dass eine bestimmte Darstellung beim Publikum zu unterschiedlichen Vorstellungen führen kann. Ziel der Wissenschaftsberichterstattung ist in der Regel die Vermittlung von Wissen und die Förderung einer positiven Einstellung gegenüber der Forschung. So argumentieren zumindest Wissenschaftler, und die haben einen großen Einfluss auf die Darstellung ihrer Arbeit in den Medien. „Implizit beanspruchen Wissenschaftler im Verhältnis zu Journalisten also die Autorenrolle und weisen den Journalisten die eines reinen Informationsvermittlers zu.“ (Peters et al. 2008: 21) Investigativer Journalismus ist in diesem Feld kaum vorhanden, stattdessen nehmen die Pressestellen von Forschungseinrichtungen die Berichterstattung im Großen und Ganzen als unkritisch wahr (vgl. ebd.: 26f). Die Zurückweisung neuer Erkenntnisse oder Technologien wird von Seiten der Wissenschaftler und Journalisten oft mit einem mangelnden Verständnis gleichgesetzt, dem mit Aufklärung durch die Medien zu begegnen ist (vgl. Edwards 2005: 64). Außer Acht gelassen wird, dass Personen eine kritische Position auf Grundlage ihrer eigenen begründeten Einstellungen oder Interpretationen beziehen können (vgl. ebd.). Gerade diejenigen Gesellschaften, die am ehesten als Wissensgesellschaften gekennzeichnet werden können, haben eher ein aufgeklärt kritisches Verhältnis zur Wissenschaft (vgl. Weingart, Salzmann & Wörmann 2008: 38). Denn die Menschen ordnen ihr Wissenschaftsverständnis in einen breiteren sozialen und politischen Kontext ein (vgl. Edwards 2005: 63). Weniger als die Hälfte der Deutschen stimmen der Aussage zu, der Nutzen der Wissenschaft sei größer als ihre schädlichen Folgen (vgl. Europäische Kommission 2005: 57). Eine Veränderung solch grundsätzlicher Einstellungen erreichen Medienberichte so gut wie nie (vgl. Schult 1990: 236).
Die meisten Studien, die sich mit der Darstellung von Wissenschaft und Technik in den Massenmedien beschäftigten, beziehen sich ausschließlich auf die Presse (vgl. Kepplinger, Ehmig & Ahlheim 1991: 97). Zunächst kann die Platzierung von Wissenschaftsthemen auf Titelseiten als ein Indikator für die zunehmende Präsenz dieses Themenbereichs in den Printmedien gelten (vgl. Schäfer 2007: 10). Insgesamt beträgt der Anteil wissenschaftlicher Artikel in deutschen Tageszeitungen aber nur etwa 5 % (vgl. Weingart, Salzmann & Wörmann 2008: 392). Für das Thema Biotechnologie geht Bonfadelli (2005) davon aus, dass der Einfluss der Presse etwas stärker ist, als der des Fernsehens. Darüber hinaus scheinen Leser der Qualitätspresse am ehesten die jeweilige Deutungen des von ihnen genutzten Mediums zu übernehmen (vgl. Bauer 2005b: 85). Zusammen mit den Regional- und Wochenzeitungen bieten die Qualitätszeitungen die größte Breite an unterschiedlichen Frames und Bewertungen in der Wissenschaftsberichterstattung über – auch als „Life Science-Anwendungen“ bezeichnete – Biowissenschaften (vgl. Blöbaum & Görke 2006: 323). Dagegen sind fast 60 % der Artikel aus Boulevardzeitungen dem Verantwortungsframe zuzuordnen, der überwiegend einzelne Abstufungen zwischen Freiheit und Regulierung der Wissenschaft thematisiert. Über alle Medien hinweg ist der Fortschrittsframe, der Life Science-Anwendungen ausschließlich positiv im Sinne einer nützlichen Weiterentwicklung rahmt, dominant. Allgemein waren biotechnologische Themen Gegenstand zahlreicher Studien zur Wissenschaftskommunikation (u. a. Bonfadelli 2005; Böcking 2009; Kohring & Matthes 2002; Leonarz 2006). Weitere Frames finden neben Blöbaum, Görke und Wied (2004) auch eine Reihe von weiteren Autoren, die Framing-Studien zur Wissenschaftsberichterstattung über Biotechnologien durchgeführt haben (u. a. Dahinden 2006; Kohring & Matthes 2002; Leonarz 2006; Peters et al. 2008). An dieser Stelle kann nicht im Einzelnen auf die teilweise sehr spezifischen Frames eingegangen werden. Stattdessen werden sie in Kapitel 8.1 insoweit dargestellt, wie sie zum Vergleich mit den Ergebnissen der vorliegenden Studien dienen.
Auf die Darstellung wissenschaftlicher Themen wirken sich Informationsquellen und unterstellte Publikumserwartungen ebenso wie die Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Journalisten und die zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten aus. Denn die Weitergabe von Informationen und mit ihr die Darstellung der Realität ist von diesen äußeren Rahmenbedingungen abhängig, zu denen die organisatorischen und technischen Gegebenheiten des einzelnen Mediums gehören (vgl. Weingart 2001: 238). Aus systemtheoretischer Sicht liegt die Funktion des Wissenschaftsjournalismus in der Fremdbeobachtung des Wissenschaftssystem und der Beobachtung des Interdependenzverhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft (vgl. Kohring 2005: 283ff). Daher müssen Wissenschaftsberichte für andere Gesellschaftsbereiche relevant sein. Zudem müssen sie sich gegenüber der Konkurrenz durch andere Medien und der Konkurrenz anderer Ressorts innerhalb des eigenen Mediums durchsetzen, was im Fernsehen über den Druck der Einschaltquoten direkt spürbar ist. Den verschiedenen Medien kommt daher eine jeweils eigene Rolle zu. Zeitungen greifen häufiger neue Themen und Argumentationen auf, die dann vom Fernsehen weiter verbreitet werden (vgl. Bauer 2005b: 69). Die kognitive Leistung der Medienaneignung ist hier größer als bei anderen Medien, doch letztendlich ist auch die Presse auf die Vermittlung von Wissen an Laien ausgerichtet und wählt eine entsprechend verständliche und einfach strukturierte Darstellungsweise (vgl. Schäfer 2007: 14). Sie ist dafür auf die Verwendung von Metaphern, Analogien und Veranschaulichung angewiesen (vgl. Weingart 2001: 251). Ein Beispiel ist das Bild der Kinder aus dem Reagenzglas, das für den Bereich der Reproduktionsmedizin deutlich macht, wie abstrakte Prozesse auf einfache Begriffe reduziert werden.
Im Internet finden sich nicht nur journalistische Darstellung von Wissenschaftsthemen, sondern auch Texte von Wissenschaftlern oder Laien. Dies hat zur Folge, dass die Rezipienten selbst zu einer stärkeren Selektion gezwungen sind und ihre Auswahl in noch größerem Maße von eigenen Interessen und Vorlieben der Medienwahl bestimmt ist. 44 % der deutschen Internetnutzer geben in der ARD/ZDF Onlinestudie 2013 an, Informationen zu Wissenschaft, Forschung und Bildung zumindest gelegentlich online abzurufen. Damit ist das Interesse an diesem Themenkomplex über ein Jahrzehnt hinweg relativ stabil geblieben und rangiert gleich hinter Nachrichten und aktuellen Serviceinformationen (vgl. Eimeren & Frees 2013: 365). Amerikanische Studien stützen diese Ergebnisse auch für die USA, wo 66 % der Internetnutzer nach Informationen zu Gesundheit und Medizin und 60 % von ihnen Informationen über Wissenschaft und Technik online suchen (vgl. Purcell, Rainie, Mitchell, Rosenstiel & Olmstead 2010: 35).
Das Medium und die damit verbundenen Produktions- und Rezeptionsbedingungen müssen als Teil des sozialen Kontexts und der Rahmung, innerhalb der die Inhalte präsentiert werden, berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist neben dem Medium an sich auch die Darstellungsform in eine Analyse von Wissenschaftsberichterstattung einzubeziehen. Informationsorientierte Formate wie Nachrichten, Reportagen oder Dokumentationen grenzen sich von fiktionalen Formaten ab, indem sie Bezug auf ein Ereignis nehmen, das gegenüber der medialen Darstellung autonom ist (vgl. Hickethier 2001: 193). Für einige Mischformen, wie etwa die Doku-Soap, ist diese Annahme jedoch in Frage zu stellen, da kaum von einer spontanen technischen Erfassung der Ereignisse als vielmehr von einer bewussten Inszenierung auszugehen ist, wodurch die Medien das Ereignis weitgehend mitbestimmen. Mediengattungen sind also in der Regel nicht trennscharf und orientieren sich alle an Erzählstrukturen, die das Verständnis der dargestellten Abläufe erleichtern sollen. Medien erlauben daher kein ungehindertes und unverändertes Fließen des Wissens von Experten zu Ratsuchenden (vgl. Stehr & Grundmann 2010: 59).
Rezipienten entnehmen ihr Wissen über bestimmte Themen ebenso den Medien, wie sie für eine Einschätzung gesellschaftlicher Akteure auf Medienberichte zurückgreifen. Die Darstellung, die sie dort vorfinden, spiegelt zu einem gewissen Grad die Beziehungen zwischen Journalisten und jenen Akteuren wider, denen Zugang zur journalistisch hergestellten Medienöffentlichkeit gewährt wird. Von Interesse ist daher, (1) welche Akteure überhaupt im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema Eingang in die Berichterstattung finden, (2) welche Meinungen sie dort äußern und (3) inwieweit ihre Deutungsmuster darüber hinaus Eingang in die mediale Darstellung im Allgemeinen finden. Gerhards und Schäfer (2007) verwenden dafür die Ausdrücke „Standing“, „Positionierung“ und „Framing“ (ebd.: 214).
Auf das Standing eines Akteurs nehmen Journalisten Einfluss, indem sie nicht nur gegenüber Inhalten sondern auch gegenüber Akteuren eine Gatekeeper-Funktion erfüllen. In der Wissenschaftsberichterstattung sind die wichtigsten Informationsquellen der Journalisten die Wissenschaftler. Entsprechend wird ihnen viel Platz in der Berichterstattung eingeräumt. Bei Fernsehbeiträgen über molekulare Medizin zum Beispiel machen sie über 60 % der gezeigten Akteure aus (vgl. Milde & Ruhrmann 2006: 444). Als Handlungsträger und Experten übernehmen sie im Rahmen des journalistischen Konzepts die Wissensvermittlung, während beispielsweise Patienten, die nur ein Viertel der Akteure innerhalb der Berichterstattung ausmachen, eher als dramaturgisches Element auftreten (vgl. ebd.: 451). Vertreter aus den gesellschaftlichen Bereichen Politik, Wirtschaft und Ethik sind in der medialen Wissenschaftskommunikation ebenfalls selten vertreten. Dabei wären sie gerade, wenn es um die Einbettung wissenschaftlicher Erkenntnisse in gesamtgesellschaftliche Abläufe geht, geeignete Ansprechpartner.
„Sobald das konkrete Thema den Kreis der Wissenschaft verlässt, die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Nutzenabwägungen und Risiken erörtert werden, verlieren auch die (naturwissenschaftlichen) Fachwissenschaftler ihren Expertenstatus. Dann wären vielleicht Theologen, Soziologen, Pädagogen, oder andere Geistes- und Sozialwissenschaftler gefragt. Dass die befragten Journalisten auf diese Quellen nicht bzw. nur in geringem Umfang eingehen, ist ein Hinweis darauf, dass die Themenbehandlung eher eindimensional erfolgt.“ (Blöbaum & Görke 2006: 326)
Neben der Auswahl der Quellen bemängeln die Autoren die Quellentransparenz. In mehr als der Hälfte der von Blöbaum, Görke und Wied (2004) untersuchten Wissenschaftsberichte werden überhaupt keine Quellen benannt. Damit gehen Kontextinformationen verloren, die dem Publikum Hinweise auf den Entstehungszusammenhang einer Information liefern und Grundlagen für eine Bewertung bilden. Ein weiterer Orientierungspunkt könnten Meinungen, also die Positionierung von Akteuren, sein. Doch Meinungsäußerungen sind in Wissenschaftssendungen eine Seltenheit (vgl. von Bullion 2004: 94). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund problematisch, dass wissenschaftliches Wissen häufig konfligierend ist und unterschiedliche Standpunkte zu einem Thema keine Seltenheit sind. Dann „sind [es] jedoch die involvierten Laien und die breite interessierte Öffentlichkeit, die schlussendlich über die Glaubhaftigkeit verschiedener Vorschläge entscheiden.“ (Stehr & Grundmann 2010: 84). Dies dürfte ihnen nicht nur aufgrund der geringen Kontextualisierung in den Medienberichten schwerfallen, sondern auch weil es für zivilgesellschaftliche Akteure schwierig ist, Entscheidungen außerhalb der Medien in einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren, wenn sie Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen oder politischen Schlussfolgerungen hegen. Im Internet sind Diskussionen unter Einbeziehung aller interessierten Bürger dagegen theoretisch vorstellbar, auch ohne dass der Journalist als Vermittler notwendig ist. Es stellt sich daher die Frage, ob sich das Framing im Internet von demjenigen in den traditionellen Massenmedien unterscheidet.
Zusammenfassend lässt sich die Wissenschaftsberichterstattung als eine auf Verständlichkeit und Komplexitätsreduzierung ausgerichtete Vermittlung von Wissen aus dem Wissenschaftssystem an ein breites Laienpublikum beschreiben. Dadurch findet die Fragilität und Konflikthaftigkeit von wissenschaftlichem Wissen kaum Eingang in die Berichterstattung. Die dargestellten Ergebnisse aus früheren Studien zeigen zudem, dass eine Einbettung in den außerwissenschaftlichen Kontext nur selten stattfindet. Dennoch sind die Massenmedien das Instrument, mit dem im Bereich der Wissenschaftskommunikation die öffentliche Meinung für oder gegen ein Forschungsvorhaben oder eine neue Technologie mobilisiert werden kann (vgl. Weingart 2008: 41).
Um die Prozesse der Wissensvermittlung zu verstehen, bedarf es in erster Linie also einer Analyse öffentlicher Kommunikation. Verschiedene Forschungstraditionen haben sich der Beobachtung und Beschreibung solcher Kommunikationsprozesse gewidmet. Zwei von ihnen werden im Folgenden diskutiert, da sie sich als besonders geeignet für eine Analyse der Darstellung und Diskussion von wissenschaftlichem Wissen erwiesen haben: die Wissenssoziologische Diskursanalyse, weil sie Wissen in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig den Blick auf die gesellschaftlichen Prozesse seiner Erzeugung und Distribution richtet, sowie die Framing-Analyse, weil sie auch auf einer untergeordneten Ebene einzelner Diskursfragmente die Identifikation von Deutungsmustern zulässt und bereits in vielen Studien zur Wissenschaftsberichterstattung eingesetzt wurde (u. a. Blöbaum, Görke & Wied 2004; Dahinden 2006; Kohring & Matthes 2002; Leonarz 2006). Diese Ansätze finden in der vorliegenden Studie auch deshalb besondere Berücksichtigung, weil das Forschungsinteresse auf die Analyse von Kommunikationsinhalten gerichtet ist. Damit sind andere Theorien und Ansätze zum gesellschaftlichen Umgang mit wissenschaftlichen Informationen und der Wissensvermittlung, die eher auf die Nutzung von Informationsangeboten und deren Verarbeitung durch die beteiligten Akteure abzielen, wie etwa die Wissenskluftforschung, im gegebenen Fall weniger geeignet.
Zu einer der einflussreichsten Ansätze zur Analyse gesellschaftlicher Kommunikation zählt die Diskursanalyse (vgl. Schäfer 2008: 368). Sie beruht auf den grundlegenden Annahmen, dass eine kritische Grundhaltung gegenüber dem Text eingenommen werden muss und die vordergründige Bedeutung zu hinterfragen ist, dass Wirklichkeit durch Diskurse gesellschaftlich konstruiert ist, dass Vorstellungen der Welt kulturell und historisch bedingt sind, und dass Machtverhältnisse in der Sprache und im Handeln legitimiert und verfestigt werden (vgl. Bonfadelli, Dahinden & Leonarz 2002: 135).
„Der Bezug auf den Begriff ‚Diskurs‘ erfolgt dann, wenn sich die theoretischen Perspektiven und die Forschungsfragen auf die materiale Konstitution und Konstruktion von Welt im konkreten Zeichengebrauch, auf zugrunde liegende Strukturierungen der Bedeutungs(re-)produktion und auf die gesellschaftlichen Effekte dieser Prozesse beziehen. Diskurse lassen sich als soziohistorische Versuche verstehen, verbindliche Wissens- und Praxisorientierungen in sozialen Kollektiven zu institutionalisieren.” (Keller 2007a: 199)
Viele diskursanalytische Untersuchungen beziehen sich auf den Diskursbegriff von Foucault, dem es insbesondere um die Machtbeziehungen ging, auf denen Diskurse beruhen und die sie reproduzieren. Laut Foucault (1978) sind Diskurse Kampffelder, auf denen Auseinandersetzungen um Wissensansprüche und Handlungsmacht stattfinden, indem auf der Grundlage von Macht Wahrheit produziert wird. Dabei entstehen wahre Diskurse, die jene soziohistorischen Regeln definieren, denen die Wirklichkeitskonstruktion der Akteure zu folgen hat. In modernen Gesellschaften ist nach Foucault der wissenschaftliche Diskurs ein solch wahrer Diskurs (vgl. ebd.: 52). In der Konkurrenz um Deutungen und Klassifikationen müssen die Akteure die Regeln zur Strukturierung ihrer Kommunikation zwangsläufig einhalten, um Einfluss auf die Differenzbildungen zu nehmen, auf denen Wirklichkeitskonstruktionen aufbauen. Unterschiedliche Wirklichkeitsund Wahrheitsdefinitionen können bestimmten sozialen Kollektiven oder Institutionen zugerechnet werden, in deren Aussagesystem und Sprache sie sich wiederfinden. „Diskurse sind Systeme von Differenzbildungen, d.h. von internen und außenbezogenen Abgrenzungen, die vorübergehend gesellschaftlichinstitutionell stabilisiert werden." (Keller 2007a: 206)