Das Wunder der Liebe - Barbara Cartland - E-Book

Das Wunder der Liebe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Ophelias bösartige Stiefmutter, eine verführerische Schönheit, lässt keine Gelegenheit aus, ihr das Leben zur Hölle zu machen, direkt unter den Augen ihres Vaters. Eines Tages trifft sie in ihrem Salon zufällig den Grafen Rochester, einem engen Freund des Prinzregenten, der gekommen ist, um ihrer Stiefmutter einen Besuch abzustatten, wie so viele Verehrer vor ihm. Doch der Zufall will, dass Ophelia Graf Rochester nicht nur die Wahrheit über Ophelias Leben erfährt, sondern auch über das Geheimnis seines Verwalters. Er entschlieβt sich, Ophelia zu helfen – mit schicksalshaften Folgen.

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Das Wunder der Liebe

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2017

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

1. ~ 1802

Graf Rochester warf seinem Diener die Zügel zu und stieg aus der eleganten offenen Kutsche.

Die Tür von Lord Langstones Stadthaus in der Park Lane wurde geöffnet, ein Diener in blauer Livree trat ehrerbietig zur Seite.

Graf Rochester kannte die Farben der Langstones - dieses stumpfe Blau mit verhaltenem Gelb - nur zu gut, trat er doch in jedem Pferderennen gegen Lord Langstone an und trug, wie in allen Sportarten, an denen er sich beteiligte, den Sieg davon.

Die Blicke der Diener in der Marmorhalle waren voll Bewunderung.

Nichts schätzen die Engländer höher ein als einen Sportsmann, und in Rennkreisen galt Graf Rochester unbestritten als der ,König des Sports’, während er sich auch anderweitig hervortat, worüber allerdings nur im Flüsterton gesprochen wurde.

„Ist Lady Langstone da?“ fragte er den Butler, der auf ihn zugeeilt kam.

„Ja, Mylord“, antwortete dieser. „Ich werde Seine Lordschaft anmelden.“

„Tun Sie das“, sagte Graf Rochester und folgte dem Butler über die geschwungene Treppe in den langgestreckten Salon, der schon so viele vornehme Gäste beherbergt hatte.

Der Raum, der über die ganze Vorderfront des Hauses lief, war wie geschaffen für Einladungen und Empfänge. Sonnenschein fiel durch die Fenster und spielte in den Kristallüstern, große Blumengestecke erfüllten die Luft mit süßem Duft.

Erst als der Butler die Tür hinter ihm schloß und der Graf schon mitten im Raum stand, merkte er, daß er nicht allein war.

In der entgegengesetzten Ecke stand eine junge Frau und steckte gerade Blumen in eine Vase.

Auch sie merkte jetzt erst, daß jemand hereingekommen war. Sie drehte sich um und sah ihn mit großen und zu seinem Erstaunen sehr erschreckten Augen an.

Der Graf war daran gewöhnt, daß ihn Frauen aller Altersstufen mit den verschiedensten Blicken bedachten, aber daß man ihm mit Angst begegnete, das war er nicht gewöhnt.

Seine Anwesenheit schien dem jungen Mädchen äußerst peinlich zu sein. Hastig raffte es die Blumen zusammen, die es noch nicht in die Vase gesteckt hatte, und wollte den Salon verlassen.

Als das junge Mädchen näherkam, sah der Graf, daß es von einer seltenen Lieblichkeit war.

Der Graf schätzte es auf siebzehn, allerhöchstens achtzehn Jahre. Es trug ein schlichtes, etwas altmodisches Kleid, das in der Taille mit einem blauen Samtband zusammengehalten war.

„Ich sollte mich vielleicht vorstellen“, sagte der Graf, als das Mädchen ein paar Schritte vor ihm stehenblieb.

„Ich - ich weiß, wer Sie sind, Mylord“, stammelte das Mädchen. „Ich sollte nicht hier sein. Ich habe mich wohl in der Zeit vertan.“

„Kaum“, entgegnete der Graf. „Ich bin zu früh dran.“

Er war in einem solchen Tempo durch den Park gefahren, daß er zwanzig Minuten früher als mit Lady Langstone verabredet angekommen war.

„Ich - ich muß jetzt gehen.“

Der Graf trat dem Mädchen in den Weg.

„Ehe Sie gehen“, sagte er, „müssen Sie mir verraten, wer Sie sind. Sie wissen schließlich auch, wer ich bin.“

Das Mädchen sah zu ihm auf, und sein Blick wurde noch ängstlicher.

„Ich bin Ophelia Langstone, Mylord“, antwortete es.

„Etwa Lord Langstones Tochter?“ fragte der Graf.

„Ja, Mylord.“

„Aber dann doch aus erster Ehe, oder?“

„Ja, Mylord.“

„Ich nehme an, daß Ihre Stiefmutter Sie diesen Winter in die Gesellschaft einführen wird, oder gehen Sie noch in die Schule?“

Ophelia Langstone zögerte.

„Nein, Mylord“, erwiderte sie schließlich. „Meine Stiefmutter wird mich nicht in die Gesellschaft einführen.“

Der Graf zog die Augenbrauen in die Höhe. Er kannte Lady Langstone. Die Idee, dieses auffallend hübsche, liebliche Mädchen in die Gesellschaft einführen zu sollen, mußte ihr gräßlich sein.

Ophelia Langstone warf einen Blick auf die Tür, dann sah sie wieder den Grafen an.

Dieser wartete ab. Ophelias Schönheit beeindruckte ihn. Sie schien nicht in die Gegenwart zu passen, sondern aus der Vergangenheit herüber gerettet worden zu sein. Sie hatte nichts mit der grellen, aufdringlichen Schönheit zu tun, die von einer Herzogin von Devonshire oder einer Mrs. Fitzherbert kreiert worden war.

Das kleine, ovale Gesicht mit der geraden Nase und den schön geschwungenen Lippen war ausgesprochen klassisch. Auch hatte Ophelias Blick etwas Vergeistigtes, was bei einem so jungen Mädchen höchst erstaunlich war.

Der Graf war ein Frauenkenner, hatte ein Auge für Pferde und einen untrüglichen Gaumen, wenn es um Speisen und Weine ging. So viel Anmut und Liebreiz glaubte er jedoch noch nie gesehen zu haben.

Ophelia warf wieder einen furchtsamen Blick zur Tür. Es machte den Eindruck, als habe sie Angst, es könne jemand hereinkommen.

„Darf ich Sie um einen Gefallen bitten, Mylord?“ fragte sie leise.

„Natürlich“, entgegnete der Graf erstaunt. „Worum handelt es sich denn?“

„Erinnern Sie sich an Jem Bullet?“

Der Graf runzelte die Stirn. Der Name kam ihm bekannt vor.

„Jem Bullet?“ wiederholte er.

„Er hat vor einigen Jahren als Jockey bei Ihnen gearbeitet, Mylord.“

„Richtig!“ rief der Graf. „Jem Bullet. Ein guter Mann. Er hat etliche Rennen gewonnen.“

„Könnten Sie dann nichts für ihn tun?“

Der Graf traute seinen Ohren nicht.

„Etwas für ihn tun?“ wiederholte er. „Soviel ich weiß, ist er doch gar nicht mehr bei mir angestellt.“

„Er hatte einen Unfall.“

„Stimmt“, sagte der Graf. „Jetzt erinnere ich mich. Er hatte einen Unfall, und ich habe ihn in den Ruhestand versetzt.“

„Ohne Rente.“

„Das stimmt nicht!“ Der Ton des Grafen war scharf. „Miß Langstone, ich habe nie, und das ist die Wahrheit, einen Mann oder eine Frau, die mir gute Dienste geleistet haben, in den Ruhestand geschickt, ohne ihre Zukunft sicherzustellen.“

„Bei Jem Bullet aber nicht“, sagte Ophelia in leicht kritisierendem Ton.

Der Graf wollte protestieren, doch genau in dem Moment hörte man draußen Schritte, und Ophelia Langstone schrak zusammen.

„Bitte“, flüsterte sie. „Bitte, sagen Sie meiner Stiefmutter nicht, daß ich mit Ihnen gesprochen habe.“

Ophelia lief zur Tür.

Diese ging auf und zu ihrer großen Erleichterung stand lediglich der Butler auf der Schwelle.

Sie huschte an ihm vorbei und verschwand.

„Lady Langstone bitten Mylord in ihr Boudoir“, sagte der Butler steif.

Der Graf hatte damit gerechnet und folgte dem Butler wortlos.

Von Ophelia war nichts mehr zu sehen. Nur noch die Stille des Hauses umgab den Grafen.

Jem Bullet, dachte er.

Jetzt erinnerte er sich wieder an den kleinen, gelenkigen Mann, der einen Sieg nach dem anderen für ihn geholt hatte.

Er erinnerte sich auch an den Unfall. Und daran, wie er enttäuscht gewesen war, als man ihm gesagt hatte, Jem Bullet werde wohl nie wieder reiten können.

Aber natürlich hatte er für seine Zukunft gesorgt. Das hatte er von eh und je für alle getan, die in seinem Dienst gestanden hatten.

Es war ihm ein Rätsel, wie Ophelia Langstone zu dieser Fehlinformation hatte kommen können. Außerdem fand er es merkwürdig, daß sie sich Gedanken um die Dienstboten anderer Leute machte.

Wenn er es sich genau überlegte, wußte er eigentlich herzlich wenig über die Langstones. Lediglich, daß ihm Lady Langstone seit geraumer Zeit schöne Augen machte.

Von gewissen Frauen, und Lady Langstone gehörte offensichtlich zu ihnen, mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht zu werden, war für den Grafen nichts Neues. Er empfand es jedoch als ausgesprochen erleichternd, daß die Mütter offensichtlich eine Begegnung zwischen ihm und ihren heiratsfähigen Töchtern zu verhindern suchten.

Er stand in dem Ruf, ein Lebemann erster Güte zu sein, und es hätte ihn gewundert, wenn nicht sogar gestört, hätte man ihn in der ,Höflichen Gesellschaft’ empfangen, wie er sie zu nennen pflegte.

Nur seine engsten Freunde, und davon gab es wenig, kannten ihn wirklich.

Daß er den Namen eines der größten Lebemänner der Geschichte angenommen und sich absichtlich dessen Charakter und Talente zu eigen gemacht hatte, war typisch.

Sein eigentlicher Name war Gerald Wilmot gewesen. Als er mit einundzwanzig Jahren von König George III. in den Adelsstand erhoben und befragt worden war, welchen Namen und Titel er anzunehmen wünsche, hatte er nicht eine Sekunde gezögert.

„Graf Rochester, Majestät“, hatte er geantwortet.

Der einzige Erbe des zweiten Grafen von Rochester war mit elf Jahren gestorben, und aus diesem Grunde waren Name und Titel ohne Nachfolge geblieben.

Und diese Nachfolge hatte nun Gerald Wilmot angetreten. Schon als Schüler hatte er die reichlich unzüchtigen Gedichte des französischen Lyrikers Villon mit dem größten Vergnügen gelesen, vielleicht vor allem deshalb, weil er aus einer Biographie gewußt hatte, daß der zweite Graf Rochester ein großer Verehrer dieses Mannes gewesen war und ihn gern zitiert hatte.

Sein Vater, John Wilmot, war ein durch und durch guter Mensch gewesen, während seine Mutter an nichts und niemandem ein gutes Haar gelassen und an allem herumgenörgelt hatte. Diese Tatsache war vielleicht mit ein Anlaß gewesen, warum Gerald Wilmot sich mit dem zweiten Grafen Rochester identifiziert hatte: Er hatte seine Mutter zu noch größerer Kritik herausfordern wollen, indem er ihr berechtigten Grund dazu gab.

Der zweite Graf Rochester war ein Mann gewesen, der als geistvoll, tapfer, menschlich, sorglos und ausschweifend beschrieben wurde.

Sein großer Bewunderer Gerald Wilmot wäre ein Jahrhundert später wohl kaum in seine Fußstapfen getreten, hätte seine Mutter ihn nicht pausenlos zurechtgewiesen und bei jedem harmlosen Bubenstreich ein Theater gemacht, als habe ihr Sohn das größte Verbrechen begangen. Sie hatte ihn durch ihr abwertendes Verhalten dazu getrieben, Eskapaden zu unternehmen, die er unter normalen Umständen nie unternommen hätte.

Wie der zweite Graf Rochester bezog auch Gerald Wilmot mit einundzwanzig Jahren einen Sitz im Oberhaus. Eine weitere Parallele war seine Vorliebe für die Marine.

Nachdem im März 1802 der Vertrag von Amiens unterzeichnet und die Marine stark vernachlässigt worden war - Tausende von Matrosen waren entlassen oder auf halben Sold gesetzt worden -, hatte Gerald Wilmot diese Politik auf das heftigste kritisiert.

Jedoch schon vorher hatte er sich durch große Tapferkeit und Eigeninitiative ausgezeichnet.

Er hatte während der französischen Revolution eine große Anzahl von Emigranten in Sicherheit gebracht und sie damit vor der Guillotine bewahrt.

Schon in Eton hatten ihn seine Schulkameraden den Draufgänger Wilmot genannt, und dieser Spitzname hatte ihn auch während seiner ganzen Studienzeit in Oxford begleitet.

Und jetzt nannte man ihn den Draufgänger Rochester, und das gefiel ihm.

Daß er in dem illustren Kreis verkehrte, der sich um den Prinzen von Wales gebildet hatte, verstand sich von selbst. Die Königin schob ihm sogar bis zu einem gewissen Grad die Schuld am ausschweifenden Leben des Prinzen zu.

Wenn der zweite Graf Rochester ein Teufel in Bezug auf Frauen gewesen war, so stand Gerald Graf Rochester seinem Vorbild in nichts nach.

Sein Erfolg bei Frauen war kein Wunder. Er war nicht nur groß und athletisch, er sah auch fabelhaft aus und hatte den Blick eines Draufgängers, das Lächeln eines Zynikers und die scharfe Zunge eines Mannes mit beißendem Humor.

In einem unterschieden sich die Grafen Rochester allerdings.

Von John Rochester, dem zweiten Grafen Rochester, existierten Gedichte, die so hingebungsvoll und zart waren, daß man nie hätte annehmen können, ihr Verfasser sei ein Verehrer des frechen, freizügigen Villon gewesen. Doch John Rochester hatte sich unsterblich in eine gewisse Elizabeth Barry verliebt gehabt und diese Dame so angebetet, daß aller Zynismus von ihm abgefallen war.

Gerald Graf Rochester war noch nie in seinem Leben wirklich verliebt gewesen. Auch nie hatte eine Frau ihn so fasziniert, daß er in ihren Bann geraten war. Für ihn waren sie Amüsement und weiter nichts. Wußte er doch, wie seine Mutter seinem Vater das Leben zur Hölle gemacht hatte!

Schon als Knabe hatte er sich geschworen, nie wegen einer Frau zu leiden. Und so sprang er mit einer Schnelligkeit und manchmal Rücksichtslosigkeit von Affäre zu Affäre, daß natürlich die ganze Gesellschaft darüber redete.

„Und noch etwas“, pflegten Mütter zu ihren Töchtern zu sagen, „solltest du je auf einem Fest diesem Draufgänger Rochester begegnen, so wirst du ihm aus dem Weg gehen. Falls du das nicht tust, wirst du am nächsten Morgen aufs Land geschickt.“

Doch die weltgewandten Damen der Gesellschaft, Frauen, die gute Partien gemacht hatten, sich in ihren Ehen aber langweilten, schielten voll Begierde nach ihm.

Sie machten es ihm allesamt leicht. Und weil er um keine Frau werben mußte, war er anspruchsvoller und wählerischer geworden als in seiner frühen Jugend.

Damals hatte ihm fast jede Frau gefallen, und er hatte auch jede genommen - bis sie ihn gelangweilt und er wieder gewechselt hatte.

Die Langeweile war für ihn nach wie vor das wichtigste und ausschlaggebende Kriterium, und genau aus diesem Grund hatte er den Avancen einer Lady Langstone bisher widerstanden.

Dazu kam, daß seine Aufmerksamkeit im Moment Lady Harriet Sherwood galt. Diese Frau amüsierte ihn, weil sie ein wildes und unberechenbares Temperament hatte.

Doch Circe, wie sich Lady Langstone nannte, hatte nicht nachgegeben.

Ihre banalen Taufnamen Adelaide Charlotte hatte sie schon vor vielen Jahren abgelegt, um sich als Circe immer wieder von neuem ihre Macht über die Männer zu beweisen.

In gewisser Weise war sie das weibliche Gegenstück des Grafen. Sie nahm sich einen Liebhaber nach dem anderen. Immer dann, wenn ein Mann so in ihren Bann geraten war, daß er zu allem bereit gewesen wäre, interessierte er sie nicht mehr, sie ließ ihn fallen und sah sich nach dem nächsten Opfer um.

Sie war eine Frau - das mußte der Graf zugeben - die ihn wegen ihrer Verderbtheit reizte.

Sie hatte gierige, sphinxhafte Augen, dunkelrote Haare und sinnliche Lippen, die mehr als vielversprechend lächeln konnten. In ihrem ganzen Wesen wirkte sie wie eine Schlange.

Von den Frauen der Gesellschaft wurde sie gefürchtet und gehaßt. Rücksichtslos riß sie Ehemänner und Söhne aus deren Familien, brach Herzen und ruinierte Karrieren, ignorierte die Skandale, die sie anzettelte, und ging immer als Siegerin hervor.

Es kursierten derart viele Geschichten über sie, daß der Graf manchmal dachte, sie sei sein weiblicher Gegenspieler im Zweikampf der Liebe und er könne verlieren, wenn er sich nicht sehr in Acht nahm.

Nicht daß er auch nur auf die Idee gekommen wäre, sich diesbezüglich mit einer Frau messen zu wollen. Die Zeiten, wo er sich noch in seinem Ruf gesonnt hatte und darauf bedacht gewesen war, noch ausschweifender zu sein, als man es ihm nachsagte, waren vorbei. Er war nach wie vor ein Draufgänger, aber kein Mensch mehr, der sich durch eigene Begierden, geschweige denn durch die Begierden von anderen gängeln ließ. Wenn er eine Frau begehrte, so nahm er sie, aber er hatte nicht die geringste Absicht, sich auf Kosten anderer zu vergnügen.

Am Abend zuvor hatte ihn Circe Langstone wie beiläufig eingeladen, sie doch am Nachmittag zu besuchen, und er hatte sofort gewußt, wie er diese Einladung aufzufassen hatte.

„Ein paar Freunde kommen zum Tee zu mir“, hatte sie gesagt. „Wenn Sie nichts anderes vorhaben, wäre es nett, wenn Sie auch dabei sein würden.“

Daß die Freunde im letzten Moment leider abgesagt haben würden, war dem Grafen sofort klar gewesen.

Die Smaragde um ihren Hals hatten fast ebenso böse geglitzert wie ihre grünen Augen. Er hatte sie angesehen und hatte plötzlich gedacht, daß es doch recht amüsant sein könnte. Warum sollte er nicht selbst herausfinden, wie sie wirklich war und ob sie ihren schlechten Ruf zu Recht besaß.

Der Ruf einer Frau konnte durch die kleinste Kleinigkeit ruiniert sein. Die geringste Abweichung von der Konvention wurde sofort aufgebauscht, die Geschichten, die man daraus machte, wurden übertrieben und von Mal zu Mal theatralischer erzählt.

Aber bei Circe brauchte man nicht zu übertreiben. Sie strahlte das Böse förmlich aus, und die Seitenblicke unter den getuschten Wimpern waren so gekünstelt wie das vielversprechende Lächeln und die geheimnisvollen Reden, die sie von sich gab.

Die Auftritte, die sie sich jeweils verschaffte, waren jedoch zugegebenermaßen perfekt, und der Graf hatte plötzlich das Gefühl gehabt, daß es vielleicht ein Fehler war, sich nicht die gesamten Talente vorspielen zu lassen.

„Ich will morgen neue Pferde testen“, hatte er entgegnet. „Wenn sie mir zusagen, was ich erwarte, und ich sowieso in der Park Lane bin, erlaube ich mir, Ihre Einladung anzunehmen.“

Aus seiner Antwort hatte der übliche Zynismus gesprochen, und seinem Blick hatte Circe Langstone entnommen, daß der Graf durchaus fähig war, ihre Einladung zu ignorieren, beziehungsweise nicht in dem Maß darauf einzugehen, wie sie es wünschte.

Doch jetzt war er da, und alles war so gelaufen, wie der Graf es erwartet hatte - mit Ausnahme von Ophelia.

 Die Spielregeln waren genau eingehalten worden: Erst einen Moment warten im Salon, dann die Aufforderung, in das Boudoir von Mylady zu kommen.

Aber Ophelia paßte nicht in den Spielplan, und noch als die Tür zum Boudoir geöffnet wurde, dachte der Graf an Jem Bullet und fragte sich, wieso der Mann angeblich keine Rente bekam.

In ihrem kleinen Zimmer im ersten Stock machte sich Ophelia die schlimmsten Vorwürfe. Wie hatte sie so ungeschickt und dumm sein können, sich vom Grafen Rochester im Salon überraschen zu lassen.

Falls es ihrer Stiefmutter zu Ohren kam, würde diese rasen vor Zorn. Ophelia konnte nur hoffen, daß Bateson, der Butler, den Mund hielt.

Sie hatte an diesem Tag mehr Blumen zu arrangieren gehabt als gewöhnlich, was für Ophelia der Beweis war, wie wichtig der Besuch des Grafen für ihre Stiefmutter war.

Die Wichtigkeit der jeweiligen Männerbesuche konnte Ophelia genau nach der Menge der Blumen bemessen, die zusätzlich zu denen gekauft wurden, die jeden Montag vom Land hereinkamen.

Heute waren Blumen geliefert worden wie noch selten. Nachdem Ophelia das Boudoir ihrer Stiefmutter dekoriert hatte, hatte sie sich im Salon an die Arbeit gemacht und dabei offensichtlich die Zeit vergessen.

Wie habe ich bloß so ungeschickt sein können, fragte sie sich immer wieder.

Sie sah ängstlich in den Spiegel, sah aber nicht das eigene Gesicht, sondern das der Stiefmutter, das wie so oft wutverzerrt war.

Wie Ophelia diese Frau fürchtete, die den Platz ihrer Mutter eingenommen hatte. Wie sie unter ihr zu leiden hatte!

Sie wurde nicht nur für jede Lächerlichkeit bestraft, sondern vor allem deshalb, weil sie wie ihre verstorbene Mutter aussah und viel zu hübsch für die Stieftochter einer Lady Langstone war.

Als sie das Internat verlassen hatte, hatte sie bereits geahnt, welches Leben ihr bevorstand. Ihre Befürchtungen waren jedoch nicht halb so unangenehm gewesen wie die Wirklichkeit.

Seit drei Monaten lebte Ophelia nun schon mit einer Frau, die allein schon ihren Anblick haßte, unter einem Dach und glaubte bereits jetzt, es nicht mehr ertragen zu können.

Nichts, was sie tat, war recht. Ihre Stiefmutter brauchte sie nur anzusehen, und schon wurde ihr Blick finster und ihr Mund bekam einen harten, häßlichen Zug.

Sich an ihren Vater zu wenden, war sinnlos. Ganz gleich, was sie vorgebracht haben würde, ihre Stiefmutter hätte es abgestritten, und er hätte ihr geglaubt.

Nach zwei Jahren Ehe war er nach wie vor von blinder Liebe zu dieser Frau erfüllt, die ihn gleich nach dem Tod von Ophelias Mutter umgarnt hatte.

Ophelia wußte es nicht, aber einer stattlichen Anzahl von Leuten war es mehr als klar, daß George Langstone für Circe Drayton genau zum richtigen Zeitpunkt Witwer geworden war.

Ihr erster Mann, ein Trunkenbold und Verschwender, war bei einem Duell getötet worden, und ihr Liebhaber war spurlos verschwunden, weil er sie nicht hatte heiraten wollen.

Die Männer, die sich um ihre Gunst bemüht und sie besucht hatten, wenn ihr Mann nicht zu Hause war, die ihr sogar Kleider und Schmuck geschenkt hatten, hatten sich zurückgezogen, denn keiner war bereit gewesen, ihr einen zweiten Ehering an den Finger zu stecken. Mittellos, ohne Freundinnen und mit einer sehr prekären Stellung in der Gesellschaft hatte sich Circe verzweifelt nach jemandem umgesehen, der sie aus der mißlichen Lage retten würde, und hatte George Langstone gefunden.

Er war leichte Beute gewesen, dieser charmante, gutmütige, sportliche Mann, der obendrein wohlhabend war und immer nur das beste von den Menschen dachte.

Circe hatte alle List angewandt, hatte alle Reize spielen lassen und sich - wie manche behaupteten - sogar irgendwelcher Zaubermittel bedient, um diesen Mann zu bekommen.

Wer auch immer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, Circe habe den Satan persönlich um Hilfe gebeten, mochte dies aus Gehässigkeit getan haben, aber das Gerücht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.

„Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, diese Frau ist eine Hexe“, sagte eine Frau zu einer anderen. „Und wie hätte Henry - und Sie wissen, was für ein gutgläubiger Mensch er ist - wie hätte er sich gegen Hexerei wehren sollen?“

Wenn es nicht Henry war, so war es Leopold oder Alexander, oder Michael oder Lionel.

Wie die Karnickel vor der Schlange gerieten die Männer in Circes Bann und ließen sich von ihr versklaven, bis sie nicht mehr erwünscht waren.

Witzigerweise hatte ausgerechnet Harriet Sherwood das Interesse des Grafen für Lady Langstone geschürt.

„Sie ist eine ekelhafte Person“, hatte sie in sehr heftigem Ton gesagt. „Jetzt hat sie John in ihren Bann gezogen, und ich gehe jede Wette ein, daß das nicht mit rechten Dingen zu geht. Da ist Zauberei im Spiel.“

„Das glaubst du doch nicht im Ernst“, hatte der Graf lachend erwidert.

„Aber du kennst doch John!“ hatte Lady Harriet gerufen. „Einen lieberen Bruder könnte ich mir gar nicht wünschen. Die Seele von einem Menschen. Ruhig und vernünftig und immer besorgt um seine Frau und seine Familie.“

„Dann war es vielleicht höchste Zeit, daß er einmal einen Seitensprung macht“, hatte der Graf spöttisch bemerkt.

„Einen Seitensprung? Mit vierunddreißig?“ Lady Harriet war entsetzt gewesen. „In dem Alter dürfte man doch über das hinaus sein. Aber es ist nicht seine Schuld. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Er hatte keine Möglichkeit, ihr zu entkommen.“

Lady Harriet war wegen ihres Bruders so aufgebracht gewesen und hatte so schlecht über Circe Langstone gesprochen, daß der Graf neugierig geworden war.

Die herausfordernden Blicke, die sie ihm schon seit langer Zeit zugeworfen hatte, waren ihm natürlich nicht entgangen. Auch hatte er ihre Taktik durchschaut, auf die so viele Männer hereinfielen. Wenn sich Circe Langstone für jemanden interessierte, pflegte sie ihn in regelmäßigen Abständen zu übersehen - was dann prompt zum Erfolg führte.

Bisher hatte der Graf sie lediglich mit halbgeschlossenen Augen beobachtet und ihre Bemühungen spöttisch belächelt. Doch jetzt ließ er sich endlich mit ihr ein. Allerdings - wie er sich selbst ermahnte - nur in Grenzen. Er wollte im Grunde nur wissen, ob sie tatsächlich so falsch war, wie sie auf ihn wirkte.

Doch für Ophelia war der Graf ein weiteres Glied in der langen Kette von Liebhabern.

Daß ihr Vater auf so brutale Weise betrogen wurde, tat Ophelia weh. Diese Frau, die im Bett ihrer Mutter schlief und deren Schmuck trug, besaß nicht einmal den Anstand, ihre Affären heimlich zu betreiben.

Circe Langstone haßte ihre Stieftochter und das wußte Ophelia, deren Abscheu vor der Stiefmutter so tief war, daß Haß im Vergleich dazu ein mildes Gefühl gewesen wäre.

Sie lehnte die zweite Frau ihres Vaters ab, fürchtete sie aber gleichzeitig.

Und so konnte sie jetzt nur hoffen und zu Gott beten, daß Graf Rochester nichts von dem peinlichen Zusammentreffen im Salon erzählte.