Das Wunderbare und andere Novellen - Heinrich Mann - E-Book

Das Wunderbare und andere Novellen E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Eine Novellensammlung aus dem Frühwerk von Heinrich Mann: Sei es ein wundersames, fast vergessenes Erlebnis, eine exquisite und geheimnisvolle Gemme, die einst einer Fürstin gehörte, oder das tragische Ende einer von Sehnsucht geplagten jungen Frau – alle Novellen vereint die sprachliche Besonderheit und die oft geheimnisvollen und teilweise melancholischen Geschichten. -

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Heinrich Mann

Das Wunderbare und andere Novellen

 

Saga

Das Wunderbare und andere Novellen

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1897, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726885095

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Das Wunderbare

Im vorigen Spätsommer berührte ich auf einer Reise die kleine Stadt N. Es war meine erste Rückkehr dorthin, seit ich das Gymnasium der Stadt verlassen hatte, und ich war dort fremd geworden. Von meinen ehemaligen Schulfreunden lebte niemand mehr in N. als Siegmund Rohde, der, soviel ich wußte, Rechtsanwalt und Stadtrat war. Ich hatte ihn gut gekannt. Wir waren durch all das Gemeinsame verbunden gewesen, das gewöhnlich die Schulfreundschaften knüpft. Wir zeichneten uns, als gefällige Rivalen, in den gleichen Fächern aus, besaßen dieselben literarischen Neigungen, spürten bei unsern Lehrern dieselben Lächerlichkeiten auf. Vor allem liebten wir die Kunst mit gleicher Leidenschaft und Ausschließlichkeit. Wenn wir von ihr sprachen, so fühlte jeder sein bestes Feuer aus dem Geiste des anderen noch glänzender und wärmer zurückstrahlen. Wir ermutigten und bewunderten uns gegenseitig. Niemals ließen wir den Gedanken zu, daß einer von uns sich je einer anderen Tätigkeit widmen könne als der Kunst. Siegmund sah den lebenslänglichen »Dienst des Ideals« als etwas Selbstverständliches an, das durch keine fremden Einflüsse beeinträchtigt werden könne. Was mich selbst betrifft, so scheint es mir, daß ich zuweilen ein wenig skeptischer war.

Als ich sodann das Gymnasium mit der Akademie vertauschte, bezog er die Universität, um die Rechte zu studieren; »vorläufig«, wie er sagte, da er seinen Vater doch ganz sicher noch für seine eigentlichen Pläne zu gewinnen hoffte. Wir hatten sodann in vielen Jahren nur das Allgemeinste voneinander gehört, und nun sollte ich ihn in dem alten Kreise wiedersehen, wo er am Ende doch seine dauernden Lebensaufgaben gefunden hatte, und wo er wahrscheinlich sein Leben beschließen würde. Ich gestehe, daß ich nicht ohne Voreingenommenheit war. Denn wenn ich an den sinnenden Knaben von damals, mit den halblangen Haaren, den weichen, etwas mädchenhaften Bewegungen dachte, fragte ich mich, wie sehr er sich von innen und außen verändert haben müsse, um den Platz im Leben auszufüllen, den er innehatte als kleinstädtischer Rechtsanwalt und Stadtverordneter. Natürlich würde er breit und stark von Körper, und von Geist verhältnismäßig magerer geworden sein. Zum Überfluß hatte ich vernommen, daß er verheiratet sei, und sofort hatte ich mir seine Frau als eine der alltäglichen Provinzdamen vorgestellt, die selbst den geistig ehrgeizigen Mann allmählich und sicher in ihre eigene Sphäre herabziehen. Die unablässigen kleinen Sorgen für die Familie, für die Wesen, die er um sich her geschaffen und die einen Teil seines Lebens ausmachten, hatten ihn wohl seit langem verhindert, das innere Ich zu beschäftigen und zu bilden, von dessen Pflege ich meinerseits niemals eine ernstliche Abhaltung erfahren hatte. Wie sehr er mir also entfremdet sein mußte, hieß mich doch eine gewisse schmerzliche und sicher auch eitle Neugier, die Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen, um auch in diesem Falle die Veränderungen mit Augen zu sehen, die das Leben uns bei jeder Rückkehr vorbehält.

Als ich dann im Grunde eines parkähnlichen Gartens vor dem Tore der Stadt das freundliche weiße Haus betrat, das er bewohnte, fand ich mich angenehm enttäuscht. Die ursprüngliche Einrichtung des geräumigen Salons, in den man mich führte, war offenbar von dem Möbelmagazin der kleinen Stadt geliefert, aber hier und da zeigte sich, von einem feineren Geschmack hinzugefügt, ein Schmuckgegenstand, ein Kunstwerk, Einzelheiten, die wiederholte Reisen und einen oft unterbrochenen, nie ganz aufgegebenen Zusammenhang mit den Strömungen einer höheren Kultur bezeugten.

Die Gattin meines Freundes trat ein und ich bemerkte gleich, das Zimmer paßte auf sie. Ihr Anzug entbehrte nicht eines gewissen persönlichen Geschmacks. Die sympathisch ruhigen Züge ihres Gesichtes wurden von einer anmutigen Frisur zur Geltung gebracht. Die graziöse Gelassenheit ihrer Bewegungen vermochte die Gewohnheit des raschen Umherwirtschaftens nicht ganz zu verbergen. Ihre Unterhaltung war von angenehmer Zwanglosigkeit, ohne besonders fesselnd zu sein. Sie rief ihre beiden Knaben herein, hübsche, frische Jungen, von denen der jüngere lebhaft an meinen Jugendfreund erinnerte. Ich war inzwischen wirklich begierig geworden, Rohde selbst wiederzusehen. Er wurde erst in einer halben Stunde aus dem Büro zurückerwartet.

Es dunkelte schon, als man von weitem die Gartenpforte knarren hörte. Ich sah einen hochgewachsenen breiten Mann, dessen stark verwischte Taillenlinie den Körper dennoch nicht formlos erscheinen ließ, durch die Kieswege herbeikommen. Er ging elastischen, selbstbewußten Schrittes. Hier und da blieb er stehen und neigte sich prüfend über einen Rosenstrauch.

Wir begrüßten uns sehr herzlich, ohne daß er überrascht gewesen wäre, mich so plötzlich ankommen zu sehen. Er war, wie er sagte, selbst an häufige und unerwartete Ortsveränderungen gewöhnt. Auch fragte er nicht viel. Er schien das unruhige Leben, aus dem ich kam, zu kennen, den Dingen, die mich beschäftigten, keineswegs fremd geworden zu sein. Er sprach, während wir mit der Familie zu Tische saßen, über die Entwicklung der Kunst, über die neue Richtung der Geister. Seine Beobachtungen waren scharf und klug, ohne das Unbestimmte, Nebelhafte, das denen des Jünglings angehaftet hatte, doch auch ohne Begeisterung. Er drückte mit Wärme seine Liebhabereien auf dem Gebiete der Ideen und Formen aus, allein das nahm sich in seinem Munde wie die Gegenstände einer allenfalls entbehrlichen Muße aus. Die Hauptsache mochte dagegen der Bau des kleinen Kanals sein, den die Stadt beabsichtigte, und die anderen kommunalen und öffentlichen Angelegenheiten, denen er sich zuwandte.

Seine Gattin mischte sich diskret ins Gespräch. Sie wußte ihm den Übergang zu einem Lieblingsthema zu vermitteln, und ihm, wenn er sprach, Aufmerksamkeit zu erweisen. Sie schien ergeben und voll Bewunderung für den Mann.

Die Knaben wurden entlassen, nachdem wir uns erhoben hatten. Als sie ihren Gatten nach einer Weile unsere gemeinsamen Erinnerungen berühren hörte, zog auch die Frau sich bald zurück.

Wir saßen in einer offenen Veranda. Die weiche Luft der Sommernacht zog herein, durchsättigt von dem starken, aus vielen Düften zusammengeflossenen Atem des Gartens. Das Mondlicht, dem ein ganz leichter Nebel seine Kälte nahm, umspielte die Wipfel der alten Bäume, ließ eine Seite der Allee zauberhaft erglänzen, um die andere in desto tieferes Dunkel zu stürzen. Die harten Unterschiede von Licht und Schatten gaben dem Garten eine ungeahnte Ausdehnung. Er senkte sich langsam, bis weithin, in der Tiefe, ein weißes Stückchen Mauer inmitten des dunklen Laubwerks aufleuchtete.

Wir lehnten uns in den Schatten hoher, kühl hauchender Blattpflanzen. Keine Blume war hier zu sehen, außer einer bescheidenen mattgefärbten Winde, die sich durch einen der offenen Bogen schlang. Und diese duftlose Blüte schien alle die unendlichen schweren Düfte von draußen mitzubringen.

Die Art, wie ich die Lebensverhältnisse meines Freundes bei meiner Ankunft ins Auge gefaßt, hatte sich im Laufe des Abends beträchtlich geändert. Mir schien es, daß wir andern, mitten in den Bewegungen der Zeit Stehenden, kaum etwas vor ihm voraus hatten, der das Beste, was es dort draußen gab, aufmerksamen Geistes sammelte, um es hier in seinem Winkel fortzupflanzen. Es drängte mich, etwas Ähnliches auszusprechen.

»Ich beglückwünsche dich zu deinem Familienleben. Du mußt glücklich sein?«

»Ich habe es nicht schlecht getroffen.«

»Dein Jüngster ist ganz dein Bild, wie ich es kannte.«

»Er erinnert mich oft an unsere Jugend.«

»Du selbst erinnerst mich daran. Denn in deiner vorteilhaften bürgerlichen Stellung bist du doch ein wenig der Künstler von damals geblieben – nur daß du nicht mehr, wie wir damals taten, die Ideale im Munde führst.«

Er lächelte zurückhaltend.

»Man muß das Wunderbare nicht zum Alltäglichen machen.«

»Das Wunderbare?«

»So nenne ich es für mich. Ich meine das, was man nicht kennt und woran man nicht glaubt in der bürgerlichen Gewöhnlichkeit, in der man alles genau kennt und weiß. Ich meine das Ferne, Sinnlose, ganz Unmögliche, bloß Geträumte, dessen man sich, auch wenn man es erlebt hat, nur wie an einen Traum erinnert.«

Ich schwieg erstaunt über die verdeckte Erregung in seinen Worten und erwartungsvoll. Er war aufgestanden und vor den Fensterbogen getreten, durch den der Windenzweig hereinhing. Er hob ihn auf und fuhr fort:

»Die Blüte, an die ich denke, ähnelt dieser, nur ist sie noch soviel heller und zarter. Man wagt sie nicht zu berühren. Sie erträgt nur den Kuß eines reineren Lichtes. Sie windet sich, zahllos zwischen stillem Grün, im weiten Bogen über den blauen See. Am Ufer schlingt sie sich fort, den Fels hinan inmitten roter Büsche und umstrickt mit ihren blassen Armen droben das weiße Haus. Die Marmorterrassen leuchten unter dem straff gespannten Blau des Himmels, wie roter Edelstein flimmern die Granatblüten, der See erglänzt diamantklar. Aber mild und mäßigend legt sich über all die Helligkeit der Schleier der Blüten, deren Weiß einen Hauch aller Farben in sich trägt.«

Er hatte sich umgewandt und meinen immer mehr erstaunten Blick gewahrend, lächelte er.

»Ich phantasiere nicht und es ist keine Ideallandschaft, die ich beschreibe. Es ist ein Erlebnis.«

Ich bat:

»Erzähle.«

Er erzählte:

»Die Erfüllung meines jugendlichen Herzenswunsches war mir, wie du weißt, versagt worden. Ich entschädigte mich für die erste große Enttäuschung meines Lebens auf den Universitäten durch ungeregelte und wilde Genüsse. Mit vierundzwanzig Jahren endlich, als nicht mehr junger Student, sah ich meiner Tollheit durch einen tüchtigen Blutsturz ein Ende gemacht. Leidlich ausgeheilt ward ich noch für ein Jahr zur Pflege meiner Gesundheit nach dem Süden geschickt.

Der schlimme Winter, den ich überstanden hatte, ging zu Ende, allein ich genoß das wundervolle Erblühen des italienischen Frühlings nicht wie jemand, der es zum ersten Male erlebt. Mein Empfinden war sehr stumpf, meine Gedanken niedergeschlagen. Ich kam mir blasiert vor. Die tiefe Ernüchterung war bei mir eingetreten, die die ersten, banalen aber heftigen Erlebnisse im Jüngling zurücklassen. Man glaubt der ganzen Flachheit und der Lüge des Lebens auf den Grund zu sehen und hofft nicht, irgendeinen verlorenen Glauben zurückzuerhalten. Dazu kam die körperliche Mattigkeit der Genesung, die sich in einem gleichgültigen Hindämmern gefällt.

So konnte mich das hastige Treiben der Städte nicht fesseln. Das Fremdartige der Umgebung bemerkte ich kaum. Eine Welt von Kunst zog undeutlich und eindruckslos an meiner Seele vorüber. Wer mir gesagt hätte, daß mein erstes Zusammentreffen mit den ersehnten Meisterwerken so vor sich gehen werde! Ich erinnere mich einmal, in einer Florentiner Kirche, lange Zeit vor einem Bilde des Fra Angelico gestanden zu haben. Von dem Haupte der Madonna, das ganz leidende Anmut war, floß ein weicher Glanz über die schüchternen Gestalten, die zu ihr emporblickten. Am Ende ging ich, ohne die Neugier, mehr zu sehen, hinaus. Ich taumelte ein wenig und glaube, daß mir die Tränen nahe waren.

Trotz meiner Trägheit hatte ich, da alles mich unbefriedigt ließ, unaufhörlich ein planloses Gefühl des Suchens. So reiste ich in kleinen Strecken, stets nur wenige Tage an einem Orte verweilend.

Zu Beginn des Sommers befand ich mich irgendwo im Gebirge und wußte kaum, wie ich dorthin gelangt war. Mein Quartier hatte ich auf einer abgelegenen Höhe, in einer einsamen Wirtschaft, mehr Bauernhof als Gasthaus. Doch blieb ich wenig daheim. Ich machte, langsam und ohne Absicht vor mich hin gehend durch Gegenden, die ich nicht sah, Besuche in Ortschaften, die ich nicht einmal den Namen nach kennenlernte. Fand ich mich dann gelegentlich wie durch Zufall wieder zum Hause zurück, so war es mir eher unerwünscht. Es war, als suchte ich etwas Fremdes, das ich ahnte und nicht fand.

Einmal hatte ich den gebahnten Weg verloren, im weiten Pinienwald, der sich langsam, endlos erhob. Meine Teilnahmslosigkeit ward durch das große Schweigen ringsumher besiegt, das mich aufhorchen machte. Ich folgte gespannt der seltsamen Anziehung, die die unbekannte Ferne auf uns ausübt – bis ich es lichter vor mir werden sah. Der Wald, der mich unablässig zur Höhe geführt hatte, lief am schroffen Felsrand aus. Drunten sah ich, von dichtem Grün vielfach verdeckt, das Blau eines Sees aufblinken. Viel weniger steil als die diesseitigen Felsen, setzten drüben die ganz bewachsenen Berge, langsam und zögernd, ihren Fuß ins Wasser. An einer Stelle, wo sie weiter zurücktraten, schien ihnen ein Garten vorgelagert zu sein. Auf halber Bergeshöhe darüber bemerkte ich ein weißes, anscheinend im älteren Villenstil erbautes Haus. Es mochte nicht groß sein, doch leuchtete es vor einer dunklen Wand von Zypressen.

Das einsame Haus über dem See, am Rande des engen, verborgenen Tales, machte mich unruhig. Kein Murmeln des Wassers war zu hören, und diese heimliche, versunkene Stille ließ es wie Sehnsucht in mir aufdämmern. Ich lugte, von dem vorspringenden Felsen geneigt, hinab und meinte über dem warmen Grün die Luft zittern zu sehen. Es mußte dort drunten mildwarm und lauschig sein. Das Leben mußte dort langsamer und sanfter fließen. In Ahnungen verloren, spähte ich in dem engen Kreise der Berge nach einer Gelegenheit zum Abstieg. Ich entdeckte wohl eine leidlich schräge Senkung, vermochte sie aber, wie ich in den Wald zurück darauf zulaufen wollte, lange Zeit nicht zu finden. Der Weg war wie verzaubert. Endlich kam ich dann, nach einiger Gefahr und langem Klettern, unten an. Wie aus Scheu vor dem Geheimnis dieser Sommerstille zögerte da mein Fuß, das kleine Tal zu betreten. Nur die Bienen summten in der warm duftenden Luft. Dicht über dem Wasser, das nun in der Nähe kristallhell glänzte, auf dem schmalen, ganz mit Schlingpflanzen überwachsenen Pfade, der sich nahe an den Fels schmiegte, schlich ich ein Stückchen fort. Hier und da mußte ich mich bücken, um unter einem überhängenden Block hindurchzuschlüpfen. Verworrenes Gestrüpp zog sich das Ufer hinab und tauchte ins Wasser. An vielen Stellen wuchs Schilf hinein, und große weiße Rosen lagen davor inmitten der durchsichtig grünen Reflexe.

Bald war das Gestade ein wenig breiter. Ich hatte den See so weit umschritten, um zu bemerken, daß er sich in seiner Mitte noch mehr verengte. Die Vorsprünge, die das Ufer auf beiden Seiten bildeten, waren durch die zusammengewachsenen Kronen von Ulmen und Ölbäumen miteinander verbunden. So war ein dichtes, regelmäßiges Laubgewölbe entstanden. Hier bemerkte ich zum erstenmal die blasse Winde. Ich sah nun wohl, daß sie sich überall am Ufer hinzog, hier aber rankte sie sich, auf dem matten graugrünen Grunde des Olivenlaubes, in anmutigem Bogen über den See.

Während ich mit ganz versunkenem Blick dem Spiele des Laubschattens auf dem Glitzern des Wassers folgte, überkam mich die Begier, unter diesem lebenden Blütenkranze auf einem Kahne so fortzugleiten, als müßte dies das Tor zu einem seltsamen Lande sein, wohin es mich zog und von dem ich nichts wußte.

Langsam, den Kopf gesenkt, hatte ich meinen Weg fortgesetzt. Als ich wieder aufblickte, waren die Berge weit vom Ufer zurückgetreten. Ich stand vor dem Garten, der sich hinanzog bis zu der Höhe, wo das weiße Haus aus grüner Hülle hervorschimmerte. Von der Villa abwärts traten leuchtende Terrassenstufen aus dem Laubwerk hervor, das sie immer dichter umwölkte und in der Tiefe ganz verschlang. Denn die Vegetation des Gartens, an der Sonnenseite des windstillen, rings eingeschlossenen Tales, hatte sich mit fesselloser Üppigkeit entwickelt. Die Taxushecken waren verwildert, herüber und hinüber verschlang sich das gelbliche Laub der Limonen, das silbergraue der Oliven mit dem dunkleren der Granaten, mit dem schwärzlichen der Orangen. An Stellen, wo sich von einer früher vertieften Nische noch unbestimmte Umrisse abzeichneten, lauschten verwitterte Marmorbilder aus der grünen Wildnis: eine Flora im weiten blumenumsäumten Gewand, ein faltig grinsender Faun, spähend vorgeneigt. Inmitten einer kleinen Lichtung, halb untergetaucht im hohen, hellen Gras, aus dem Narzissen blickten, sammelte ein vielfach zerbrochenes, kunstvoll gemeißeltes Becken den dünnen, grünschillernden Strahl der Fontäne. Kaum, daß man sein Plätschern vernahm. Ein steinerner Knabe fing mit süßtraurigem Lächeln das versiegende Wasser in seiner Hand auf.

Ragende, uralte Zypressen säumten die Lichtung. Den Berg hinan aber machte das wildwuchernde Gebüsch, daß das Auge den Weg verlor. Nur die weiße Winde war da, um den Blick zu leiten. Vom Ufer kam sie her, sie überstieg die Taxusmauern und schwankte von Zweig zu Zweig. Sie machte Umwege, um den Brunnen zu umkränzen, die grauen Steinbilder mit ihren lebenden Blüten zu verjüngen. Aber dann fand sie immer wieder den Weg zu den Terrassen – und droben mochte sie in das Haus eintreten, das vielleicht niemand gesehen hatte als sie. Der schwermütige Reiz des Verwunschenen lag über allem, was ich zwischen den barocken Arabesken des verrosteten hohen Gatters erblickte. Nie hätte ich dies Gatter in seinen Angeln zu drehen gewagt.

Mich beschlich, je länger ich stand, das Gefühl von etwas Unheimlichem, als sollte sich eine Hand von rückwärts auf meine Schultern legen. Leicht zusammenschauernd wandte ich mich, und entdeckte glücklicherweise sogleich ein Zeichen menschlicher Nähe. Ein kleines, hellfarbig angestrichenes Boot lag, an einem schmalen Landungssteg befestigt, auf dem stillen Wasser. Mein Auge verfolgte sogleich die glänzende Fläche, die es durchziehen würde, um drüben im grünen Schatten unterzutauchen. Kaum widerstand ich der Versuchung, den Strick zu lösen. Wer verbot es mir, wer konnte sich hierher zurückgezogen haben? Vielleicht ein Mensch, den die Welt durch schlimme Erfahrungen zum Einsiedler gemacht hatte, vielleicht ein Kranker – wie ich. Wer es auch sein mochte, ich fühlte Sympathie für ihn. Indes ich hierüber sann, hatte ich den See bis dorthin umschritten, wo der Weg endete und das Wasser den schroffen Fels bespülte. Ein Plätzchen zum Ruhen suchend, gewahrte ich im Schilf einen schwarzen Körper. Aus dem wirr darüberhängenden Gebüsch vermochte ich einen flachen, ziemlich schweren Kahn herbeizuziehen. Er erwies sich als morsch und schlecht instand gehalten, aber wenigstens würde niemand mir seine Benutzung verwehren. So entleerte ich ihn, wie es ging, vom Wasser und vertraute mich den wankenden Brettern an.