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Wie reagieren wir auf PRISM und andere Überwachungsmechanismen? Wie lassen sich die ambivalenten Forderungen zur Transparenz im Internet zusammenfassen? In "Dataismus" wagt Alexander Pschera eine Theorie des Digitalen und unterzieht darin die anonyme Moral des Internets einer scharfen Kritik und entwirft ein Modell der Transparenz, mit dem er sich der Welt und ihren jüngsten Entwicklungen ohne Scheuklappen stellt.
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Seitenzahl: 26
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Alexander Pschera
DATAISMUS. KRITIK DER ANONYMEN MORAL
Die Diskussion um die Datenspionage durch die NSA wird einseitig geführt. Das PRISM-Programm ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite sind die Löcher im Netz, die Wikileaks und Vatileaks. Der Staat spioniert uns mit PRISM aus, aber auch wir spionieren den Staat aus, wenn wir geheime politische Akten und Dokumente im Netz frei zugänglich machen oder wenn wir dieses Vorgehen befürworten. PRISM verletzt die souveränen Rechte der Person, Wikileaks verletzt die souveränen Rechte des Staates, der die Rechte der Bürger nur dann vertreten kann, wenn er die Chance hat, intakt zu bleiben. Zu einer intakten Staatsgestalt gehört die Wahrung staatlicher Geheimnisse. Eine Kritik der Datenmoral muss an beiden Seiten ansetzen, will sie glaubwürdig sein. Entweder ist beides legitim, oder keines von beiden.
Was die Diskussion um die NSA unglaubwürdig macht, ist die asymmetrische Moral, die hier zum Tragen kommt. Datendiebstahl und Datenschmuggel werden als Fortsetzung des investigativen Journalismus mit anderen Mitteln gesehen, und nicht als Regelverstoß. Das staatliche Sammeln und Auswerten privater Daten dagegen wird nicht als eine Maßnahme präventiver Sicherheitspolitik interpretiert, sondern ausschließlich als ein Akt staatlicher Willkür.
Wikileaks beruht auf einer Gesetzesübertretung und bricht mit Übereinkünften der Diplomatie, auf denen Politik seit Jahrhunderten beruht und die Politik als ein koordiniertes Zusammenleben von Staaten erst möglich machen: Diskretion, Verschwiegenheit, Strategie. Wikileaks wurde aber selbst in konservativen Medien unter der Überschrift »Das Zeitalter der Geheimnisse ist vorbei«1 als ein Durchbruch in ein neues Zeitalter der Aufklärung begrüßt. Die Regierungen sollten sich auf »digitale Transparenz« einstellen, hieß es. Das Netz sei ein weiterer Schritt in der Geschichte der Aufklärung, der Wissen für alle mit sich brächte. In den gleichen Medien wird jetzt dieselbe Transparenz als »Datenausbeutung durch Ökonomie und Geheimdienste«2 kritisiert. Es werden informationelle Selbstbestimmung und personale Autonomie eingefordert.
Der Bürger darf das Netz nutzen, um den Staat zu kontrollieren. Der Staat darf das gegenüber seinen Bürgern nicht. Dieser Widerpruch läßt sich nicht mit dem Hinweis darauf beseitigen, dass neue Technologien eben positiv oder negativ eingesetzt werden können. Beim Netz geht es um etwas Grundsätzlicheres: nicht um den Einsatz einer Technologie, sondern um das Teilhaben an einem neuen technologischen Raum, der nicht teilbar ist. Das Netz revolutioniert diesen Raum genauso radikal, wie die Ideen von 1789 die Gesellschaft revolutioniert haben. Es geht um die Frage, welche Moral in der Sphäre der totalen Datentransparenz gilt, auf wieviel Recht auf Privatheit wir uns noch berufen können, wenn wir fordern, den Politikern und Päpsten die Masken vom Gesicht zu reißen. Es ist unmoralisch, selbst maskiert zu sein, um die anderen zu demaskieren.
Eine Aussage wie: »Das Zeitalter der Geheimnisse ist vorbei« gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Sphäre des Privaten. Es geht um die Moral der Netzmaschine. Sie kann nicht nur dann gut sein, wenn sie dem Zweck der Desavouierung öffentlicher Mandatsträger dient. Eine solche Haltung ist eine subjektive Instrumentalisierung und Moralisierung des Netzes. Sie richtet am demokratischen Haus mehr Schaden an als das staatliche Herumschnüffeln in privaten Email-Accounts. Es ist außerdem moralisch mehr als fragwürdig, den Staat einerseits durch völlige Transparenz kontrollieren zu wollen und andererseits vom Staat zu fordern, er solle das Recht der Menschen auf Datenschutz sicherstellen. So Ranga Yogeshwar im FAZ-Interview vom 12.6.2013: »Da sage ich: Diese Dinge gehören heute zu den obersten Aufgaben eines Staates. Der muss auch andere Menschenrechte garantieren, also auch dieses«.