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Liebe – die einzige Variable, die man nicht kontrollieren kann ...
Komplizierter als Raketenwissenschaft ist nur die Liebe. Das sieht Luft- und Raumfahrtingenieurin Esther auch bei ihrer besten Freundin Jinny, die immer wieder auf ihren untreuen Ex reinfällt. Um der Sache ein Ende zu bereiten, beschließt sie, Jinny zu verkuppeln. Blöd nur, dass diese ausgerechnet Esthers nervigen Nachbarn Jonathan süß findet. Dabei ist er so was von unausstehlich - oder etwa doch nicht?
Chemistry Lessons – Der zweite Band der Romance-Reihe über MINT-Frauen und die Suche nach Liebe.
»Das Leben ist zu kurz, um es an billige Schuhe zu verschwenden – oder an Männer, die dich nicht zu schätzen wissen.«
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Seitenzahl: 439
Dating-Theorie 1: Gegensätze ziehen sich an
Esther ist mehr als genervt von ihrem Nachbarn Jonathan: seine Hipster-Beanie, dass er die Wäsche im Trockner vergisst, sein nerdiges Gerede über Filme und seine absurd komplizierte Kaffeebrühmethode – sie haben wirklich gar nichts gemeinsam!
Dating-Theorie 2: Forced Proximity führt zu Schwierigkeiten
Blöderweise braucht sie Jonathan, um ihre beste Freundin von ihrem toxischen Ex abzulenken. Gleichzeitig hat Esther als Raumfahrtingenieurin das wissenschaftliche Hintergrundwissen, das er dringend zum Schreiben seines Drehbuchs benötigt. Also treffen sie eine Abmachung: Er datet Jinny, und sie hilft ihm beim Schreiben. Perfekt, oder?
Dating-Theorie 3: Liebe ist komplizierter als Raketenwissenschaft
Doch je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto mehr verwandelt sich ihre Abneigung in Anziehung. Und ehe Esther sich versieht, hat Jonathan ihr Leben ins Chaos gestürzt …
Susannah Nix ist eine mit dem Rita Award ausgezeichnete Bestsellerautorin, die mit ihrem Mann in Texas lebt. Wenn sie mal gerade nicht schreibt, vertreibt sie ihre Existenzangst mit Lesen, Stricken, Krafttraining, Weintrinken oder mit zwanghaftem Seriengucken.
Im Aufbau Taschenbuch liegt bereits der erste Band der Chemistry Lessons »The Love Code. Wenn die widersprüchliste Theorie zur großen Liebe führt« vor.
Katharina Naumann ist Autorin, freie Lektorin und Übersetzerin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Emily Henry, Jojo Moyes und Anna McPartlin übersetzt.
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Susannah Nix
Dating and other Theories. Wenn der präziseste Plan zum romantischen Verhängnis wird
Roman
Aus dem Amerikanischen von Katharina Naumann
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Kapitel dreiunddreißig
Kapitel vierunddreißig
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Impressum
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Der Trockner war voller Klamotten.
Verdammter Mist.
Esther Abbott blies sich die Ponyfransen aus der Stirn, stemmte die Hände in die Hüften und starrte die Wäsche an. Sie hasste es, anderer Leute Klamotten zu berühren. Wäschewaschen war schon unangenehm genug, ohne die schmuddeligen Socken und die versiffte Unterwäsche eines Fremden auseinanderpulen zu müssen. Aber entweder, sie riss sich zusammen, oder sie würde darauf warten müssen, dass der Besitzer die Wäsche selbst abholte. Und sosehr sie es hasste, anderer Leute Zeug anfassen zu müssen, schätzte sie ihre eigene Zeit und Bequemlichkeit über alle Maßen.
Sie schob ihre Hände in den Wäschetrockner und verzog das Gesicht. Uah. Die Wäsche war nicht einmal mehr warm, was bedeutete, dass sie schon eine ganze Weile hier drin sein musste. Immerhin war es trockene Wäsche. Nasse Wäsche, die den ganzen Tag in der Waschmaschine gelegen hatte, wäre noch weit ekliger.
Esther wusste genau, wer der Schuldige war. Die vielen karierten Hemden waren ein todsicherer Hinweis. Es gab nur eine Person im ganzen Haus, die so oft Flanellhemden trug.
Jonathan Brinkerhoff.
Der Typ aus Apartment sechs, direkt neben ihrem. Der Typ mit den nervigen Windspielen auf seinem Balkon, die sie wachhielten, wenn auch nur ein kleines Lüftchen wehte. (Spoiler: In Los Angeles war es immer windig.) Der Typ, der gern auf besagtem Balkon saß und rauchte, so dass giftige Rauchschwaden in ihre Wohnung drangen, wenn sie die Balkontür offen stehen ließ. Der Typ, der es nicht schaffte, seinen bescheuerten Lexus innerhalb der Linien seines Parkplatzes abzustellen, so dass sie ihren Prius nur noch mit übermenschlicher Geschicklichkeit in ihre Lücke manövriert bekam.
Alles an Jonathan ging ihr auf den Wecker, von den albernen Strick-Beanies über die altmodische Brille bis hin zu seinem bescheuerten Drei-Tage-Bart. Aber ganz besonders hasste sie, dass er seine Klamotten stundenlang im Trockner vergaß, als wäre er der Einzige auf der Welt, der ihn benutzen musste. Als wohnte er nicht zusammen mit den Bewohnern von achtzehn weiteren Wohneinheiten in einem Haus, die sich alle dieselben zwei Maschinen teilen mussten.
Eine der anderen, netteren Mieterinnen – vielleicht Mrs. Boorstein, die circa fünfzigjährige Sachbearbeiterin aus der Zwölf – hätte Jonathans Kleider vielleicht gefaltet und sie in ordentlichen Stapeln auf dem Tisch liegen lassen. Aber Esther war nicht nett. Jedenfalls nicht zu Leuten, die es nicht verdienten. Sie hatte keinerlei Toleranz für Inkompetenz oder Egoismus. Wer die unausgesprochenen Wäscheraumregeln brach, würde nicht auch noch zur Belohnung für sein schlechtes Benehmen die Wäsche zusammengelegt bekommen. Der Typ sollte gefälligst froh sein, dass sie seine Klamotten nur auf die schmutzige Oberfläche der Maschine legte, statt sie direkt auf den Fußboden zu werfen. Und wie sehr hasste sie es, dass sie jetzt wusste, welche Unterwäschemarke er trug? Sehr. Sie hasste es sehr.
»Oh, hey, das sind meine«, sagte Jonathan, der genau in dem Moment hereinkam, als Esther einen Arm voller Boxershorts an ihre Brust gedrückt hielt.
Natürlich.
Sie spürte einen Anflug von Verlegenheit, und das machte sie nur noch ärgerlicher. Es war schließlich seine Schuld, dass sie seine Unterhosen in den Armen hielt. Wenn man seine Wäsche stundenlang liegen ließ, verdiente man es, dass Fremde darin herumwühlten. So lauteten nun mal die Gesetze hier unten. Das wusste ja wohl jeder.
»Lass mich sie dir abnehmen«, sagte Jonathan und trat einen Schritt näher.
Esther ließ die Unterhosen auf den Trockner plumpsen und ging aus dem Weg, damit er sein Zeug einsammeln konnte.
»Ich war so mit Schreiben beschäftigt, dass ich sie völlig vergessen habe«, erklärte er und ließ eine Socke zu Boden fallen, als er die Sachen aus dem Trockner holte. Er hatte keinen Korb mitgebracht, daher umschlang er den Wäscheberg umständlich. Was war nur mit ihm los? Wie konnte man so unfähig sein? »Ich habe an einem Drehbuch gearbeitet, und wenn ich so richtig in etwas vertieft bin, verliere ich jegliches Zeitgefühl.«
Esther biss die Zähne zusammen. Dass er Drehbuchautor war, wusste sie bereits, weil er es in jede einzelne Unterhaltung mit ihr hatte einfließen lassen. Und dabei war es ja nicht so, dass sie ständig miteinander redeten. Sie hatten vielleicht ein halbes Dutzend Mal ein paar Worte miteinander gewechselt, und jetzt hatte er schon zum dritten Mal erwähnt, dass er Drehbuchautor war.
Esther war Raumfahrtingenieurin – buchstäblich Raketenwissenschaftlerin –, aber sie redete nicht bei jeder Gelegenheit mit irgendwelchen wildfremden Leuten darüber, die sie zufällig traf. Obwohl Raumfahrtingenieurin natürlich viel cooler war als Drehbuchautor. In Los Angeles wimmelte es nur so von Drehbuchautoren. Man konnte kaum ein Kaugummi ausspucken, ohne gleich zwei von ihnen zu treffen.
Er war noch nicht einmal ein richtiger Drehbuchautor, sondern nahm nur am Graduiertenprogramm an der University of California teil – eine Tatsache, die er bereits zweimal erwähnt hatte – und war also im Prinzip ein Student. Wenn er je ein Drehbuch verkauft hätte oder sogar ein Film von ihm im Kino gelaufen wäre, hätte er es mit Sicherheit bereits erwähnt. Vermutlich mehrmals.
»Die Maschine gehört ganz dir«, verkündete er, als wäre es besonders großzügig von ihm, dass er nicht mehr den gesamten Waschkeller in Beschlag nahm. Er sammelte seine restlichen Kleider auf, ließ dabei eine weitere Socke fallen und machte sich auf den Weg zur Tür.
»Du hast da was fallen lassen«, bemerkte Esther.
Er blieb stehen, drehte sich um und schaute hilflos von dem riesigen Wäschehaufen in seinem Arm zu der einsamen Socke auf dem Fußboden. »Meinst du, du könntest vielleicht, äh …?«
Sie bückte sich, hob die Socke vom Boden auf – igitt – und legte sie auf den Wäscheturm, den er balancierte.
»Danke«, sagte er. »Du weißt, dass du keinen Weichspüler benutzen solltest?«
»Wie bitte?«
Er wies mit dem Kinn auf die Flasche mit dem Weichspüler. »Das Zeug verhindert, dass der Stoff Feuchtigkeit aufnehmen kann. Ich benutze ein chemiefreies Waschmittel, das biologisch abbaubar ist und keine Rückstände hinterlässt.«
Unglaublich. Dieser Typ, der nicht einmal die Grundregeln des Wäscheraums kannte, hielt ihr einen Vortrag über Weichspüler.
Sie lächelte ihn schmallippig an. »Du weißt, dass alles Chemie ist, oder? Sogar Wasser. So etwas wie chemiefrei gibt es nicht.«
Er runzelte die Stirn, so dass sich seine Brauen zusammenzogen. »Ich meinte natürlich schlechte Chemie. Das Zeug, das sie in kommerzielle Waschmittel tun.«
»Okay.« Wenn das so weiterging, würden Esthers Backenzähne bald nur noch die Größe von Tic Tacs haben. »Danke für den Hinweis.«
»Man sieht sich«, sagte Jonathan, der ausgesprochen zufrieden mit sich wirkte, als er ging.
Sie verdrehte die Augen, säuberte das Flusensieb des Trockners – denn natürlich hatte er das nicht getan – und holte ihre nasse Ladung aus der Waschmaschine. Dann steckte sie vier Münzen in den uralten Trockner, und als er rumpelnd zum Leben erwachte, stellte sie einen Handy-Timer auf eine Dreiviertelstunde. Denn sie nahm Rücksicht auf die Leute, mit denen sie die Maschine teilte, und sie wusste, wie man einen verdammten Timer stellte.
Während sie wieder hinauf zu ihrer Wohnung ging, begann ihr Handy »Pocketful of Sunshine« zu plärren, den Klingelton, den sie ihrer besten Freundin zugewiesen hatte.
Jin-Hee Kang, die allen außer ihren koreanischen Eltern nur unter dem Namen Jinny bekannt war, war so ziemlich der einzige Mensch, den Esther kannte, der noch gern telefonierte. Ihre anderen Freunde kommunizierten fast ausschließlich über Messenger oder Social Media. Aber Jinny nicht. Sie liebte es zu plaudern.
Esther trat die Wohnungstür hinter sich zu und fischte das Handy aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. In ihrer Wohnung stank es wieder nach Zigarettenrauch. Jonathan musste aus der Waschküche direkt auf den Balkon gegangen sein, um eine zu rauchen. »Hey, was gibt’s?«, sagte sie ins Telefon, ging zur Balkontür und schlug sie zu.
»Was machst du heute?«, fragte Jinny.
Es war Sonntag, und das Einzige, was Esther heute vorhatte, war, Wäsche zu machen, das Katzenklo zu säubern und vielleicht ein paar TV-Shows zu schauen, die sie aufgenommen hatte. Sie warf einen Blick auf ihr Spiegelbild in der Glastür: das schmutzigbraune Haar war zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden, auf der Spitze ihrer langen Nase bildete sich ein Pickel, und sie trug ein ausgeleiertes Tanktop über abgeschnittenen Jeans. Ihre Waschtag-Uniform. »Ich habe später eine Verabredung zum Tee mit Prinz Harry und der Queen, aber ich kann das auch verschieben.«
»Ich brauche einen Pooltag. Kann ich vorbeikommen?«
»Klar.«
Esther wohnte in Palms, Los Angeles, in einem älteren Gebäude mit Innenhof, in dem es einen Pool gab. Jinny hingegen war ganz in die Nähe gezogen, nach Mar Vista, in ein neueres, größeres Wohnhaus, das weder einen Hof noch einen Pool hatte. Wenn das Wetter gut war, kam sie daher meist bei Esther vorbei, um mit ihr abzuhängen. Und in Los Angeles war das Wetter ungefähr achtzig Prozent der Zeit gut, was bedeutete, dass sie sehr viele Wochenenden gemeinsam in Esthers Hof am Pool verbrachten.
»Mit Mimosas«, fügte Jinny hinzu.
»Oh-oh. Was ist passiert?« Immer, wenn eine von ihnen eine beschissene Woche gehabt hatte, mixten sie einen Krug voll Mimosa, ließen die Beine ins Wasser hängen und tranken die Orangensaft-Champagnermischung aus Sektflöten.
»Erzähle ich dir gleich, wenn ich bei dir bin.«
Esther öffnete ihren Kühlschrank, um sich einen Überblick zu verschaffen. »Ich habe noch eine Flasche Champagner vom letzten Mal übrig.«
»Gut«, sagte Jinny. »Bin in dreißig Minuten da – bringe den Orangensaft mit.«
Jinny tauchte haargenau dreißig Minuten später vor Esthers Wohnung auf, in einem blauen Sommerkleid und mit den dazu passenden Flipflops. Sie hatte eine Flasche Simply Orange und eine Schachtel Donuts dabei.
»O Gott«, sagte Esther und zog angesichts der Donuts eine Braue hoch. »Ist jemand gestorben?«
Jinny legte ihr Zeug auf Esthers Ikea-Esstisch ab. »Nur meine Selbstachtung.« Sie war vierundzwanzig wie Esther, aber ihre kleine Gestalt und die makellose Haut ließen sie weit jünger wirken. Wenn sie in eine Bar ging, musste sie stets ihren Ausweis zeigen, außerdem machten sich gern unangenehme Typen an sie ran, die glaubten, sie gehe noch zur Schule.
»Was bedeutet das?«, fragte Esther.
Jinny zog einen Schmollmund. »Versprich mir, dass du nicht sauer wirst, wenn ich es dir sage.«
»Warum sollte ich sauer sein?«, fragte Esther. Eine finstere Ahnung machte sich in ihr breit.
»Ich habe sozusagen irgendwie mit Stuart geschlafen.«
»Was?«
Stuart war Jinnys Ex-Freund – von dem sie sich gerade erst frisch getrennt hatte. Sie hatten vor einer Woche Schluss gemacht, und Esther hatte sich sehr zurückhalten müssen, keine Party zu veranstalten, um diese Tatsache zu feiern. Der Typ war eine Arschgeige der allerfeinsten Sorte, und das war er auch schon gewesen, bevor er Jinny betrogen hatte.
Dabei hatte sich Esther wirklich Mühe gegeben, ihn zu mögen. Sie hatte es sogar eine Weile lang geschafft. Er war charismatisch und attraktiv, und obwohl er Jinny intellektuell nicht das Wasser reichen konnte, lag es auf der Hand, was sie an ihm mochte. Zumindest anfänglich.
Dann waren Esther immer mehr Kleinigkeiten sauer aufgestoßen. Wie zum Beispiel seine Angewohnheit, eine Hand an Jinnys Nacken zu legen und sie so herumzudirigieren. Eigentlich eine triviale Angelegenheit, aber sie war Esther eben unangenehm aufgefallen. Er behandelte Jinny, als sei sie ein Kind oder ein Haustier. Dann bemerkte sie, dass er Jinny ständig bat, ihm Dinge zu holen – noch einen Drink, etwas zu essen, das Handy, das er im Nebenzimmer hatte liegen lassen –, aber er selbst tat ihr solche Gefallen nie. Oft redete er über Jinny hinweg und machte dabei zweifelhafte »Komplimente«, die er als Scherz abtat.
Als Esther zum ersten Mal mitbekam, wie er Jinny sagte, sie solle sich entspannen, nachdem sie sich über einen seiner kleinen »Witze« auf ihre Kosten geärgert hatte, wusste Esther Bescheid. Stuart war eine wandelnde Red Flag.
Vielleicht misshandelte er sie nicht – noch nicht –, aber das Potenzial war vorhanden. Er hatte alle Voraussetzungen.
Das einzige Mal, dass Esther und Jinny je gestritten hatten, war vor ein paar Monaten gewesen, als Esther ihr gesagt hatte, was sie von Stuart hielt. Dass er ein narzisstisches Arschloch sei, das sie emotional ausnutzte und sie schließlich zutiefst verletzen würde, wenn sie sich nicht verdammt noch mal schnellstens von ihm trennte.
Zu sagen, dass das nicht besonders gut ankam, wäre wohl eine Untertreibung. Jinny hatte Esther gesagt, sie solle sich um ihren eigenen Scheiß kümmern, und redete eine Woche lang kein Wort mehr mit ihr. Der Streit war erst vorbei gewesen, als sich Esther entschuldigt hatte und versprach, in Zukunft netter zu Stuart zu sein. Es war ihr sehr schwergefallen, aber was blieb ihr anderes übrig? Hätte sie Jinny diesem Arsch kampflos überlassen sollen? Man konnte eben niemandem genau das sagen, was er nicht hören wollte. Jinny war einfach zu verknallt gewesen, um zu erkennen, was Stuart wirklich für ein Mensch war.
Bis sie herausfand, dass er sie mit einer Kollegin betrog. Esther war stolz auf Jinny gewesen, weil sie ihn so schnell und entschlossen aus ihrem Leben geworfen hatte. Nur dass sie offenbar doch nicht ganz so entschlossen war.
Jinny schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass du sauer werden würdest.«
Esther atmete tief durch und gab sich alle Mühe, ruhig und gefasst zu wirken. »Ich bin nicht sauer. Aber ich habe Fragen. Nummer eins: Wie kann man sozusagen mit jemandem schlafen?«
Jinny wandte peinlich berührt den Blick ab. »Man schläft ganz normal mit jemandem, und dann bereut man es hinterher ein bisschen, aber nicht richtig.«
Das war übel. Sehr, sehr übel. »Aber er hat dich betrogen. Ich dachte, du wärst fertig mit ihm?«
»Das war ich auch. Ich meine, ich bin fertig mit ihm. Auf jeden Fall. Völlig fertig. Für immer.« Sie nickte im Takt ihrer Worte und mühte sich sichtlich, überzeugend zu klingen. Nicht sehr überzeugend.
»Abgesehen davon, dass du mit ihm geschlafen hast.«
Jinny inspizierte die Donuts. »Ja, abgesehen davon.«
»Also frage ich noch einmal: Was ist passiert?«
Jinny seufzte und nahm sich einen Donut mit Schokoglasur. »Du erinnerst dich, dass er mir ständig Nachrichten geschickt hat?«
Esther sah sie böse an. »Ich habe dir doch gesagt, du solltest ein Kontaktverbot durchsetzen.«
»Er war supersüß und hat sich ständig entschuldigt!«, sagte Jinny, den Mund voller Donut.
»Aber darauf bist du natürlich nicht reingefallen, oder?« Selbstverständlich war sie das; auf genau so etwas fiel sie immer rein. Stuart hatte mit ihr gespielt wie ein Kater mit seiner Beute.
»Nein! Ich war ganz streng mit ihm. Aber gestern Abend waren seine Nachrichten dann plötzlich so aufregend, und wir haben vielleicht ein bisschen gesexted …«
Esther kniff die Augen zu. »Eklig.«
»Und das hat mich irgendwie angemacht …«
»Doppelt eklig.«
»Und dann ist er vor meiner Tür aufgetaucht, und …«
»Okay, gut, ich verstehe das Prinzip. Bitte keine Einzelheiten.« Wie ein Kater mit seiner Beute. Stuart war ein Parasit. Er würde immer einen Weg finden, um sich an einen Wirt heranzumachen.
Jinny stopfte sich den Rest Donut in den Mund und ging zum Kühlschrank, um den Champagner zu holen. »Hör mal, er kann wirklich überzeugend sein, okay? Es ist schwierig, Nein zu ihm zu sagen.«
»Aber nächstes Mal tust du es trotzdem, oder?«, fragte Esther und holte zwei Sektflöten.
»Absolut. Nimm du den Orangensaft.« Jinni hängte sich ihre Tasche über die Schulter, in der sich immer die wichtigsten Dinge für einen Pooltag befanden – Handtuch, Sonnenbrille, Sonnencreme und ein Trash-Magazin –, und griff nach der Schachtel mit den Donuts.
Esther schob sich die Sonnenbrille ins Haar und schnappte sich Orangensaft und Sektflöten. »Wenn du ihn zurücknimmst, wird er dich wieder betrügen. Einmal Fremdgänger, immer Fremdgänger.«
Jinny kam mit Champagner und Donuts hinterher. »Ich weiß.«
Esther bedachte sie mit einem Blick voll gesunder Skepsis. Jinny neigte zu Rückfällen. Sie würde Stuart immer dann wieder in ihr Bett lassen, wenn sie sich einsam fühlte. Wenn nicht bald jemand anders kam, der sie ablenkte, und zwar schnell, dann konnte es sogar sein, dass sie nachgab und Stuart ernsthaft wieder zurücknahm. Das hatte sie schon bei ihrem letzten Freund so gemacht. Sie hatte es ganze drei Mal nicht geschafft, ihn abzuschütteln, dabei war er nicht annähernd so geschickt gewesen wie Stuart.
»Wie bist du denn mit ihm verblieben?«, fragte Esther, als sie die Treppe hinuntergingen.
Wie in vielen alten Gebäuden in dieser Gegend lagen die Wohnungen alle im zweiten Stock und bildeten ein Rechteck um den Hof in der Mitte. Unter den Apartments lagen die Wäscheräume, die Briefkästen, Lagerräume und die Anwohnerparkplätze. Der Innenhof war bei Weitem das Schönste an Esthers Wohnhaus – dank der Bemühungen von Mrs. Boorstein, die gern im Garten arbeitete. In den Beeten blühten stets hübsche Blumen, und es kostete den geizigen Vermieter keinen Cent.
»Ich habe ihm klargemacht, dass es ein einmaliger Ausrutscher war«, sagte Jinny, als sie in den Hof traten.
Die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche des Pools, die heute in einem dunklen Aquamarin leuchtete. Sie gingen nie wirklich ins Wasser, denn der letzte Mieter, der in diesem Pool geschwommen war, hatte danach eine Ohrenentzündung gehabt. Selbst wenn beides in keinem Zusammenhang zueinander stand, wollte Esther lieber nichts riskieren.
Sie stellte die Flöten und den O-Saft auf den rostigen Metalltisch im Schatten. Jinny zog eine der Liegen näher an den Tisch, Esther füllte die Gläser zur Hälfte mit Champagner und goss sie dann mit Orangensaft auf. Eins der Gläser reichte sie Jinny. »Willst du ihn denn zurück?«
Jinny nahm das Glas, wich Esthers Blick aus und setzte sich auf die Liege. »Wir waren sechs Monate zusammen. Ich liebe ihn.«
»Genug, um ihm seine Affäre zu verzeihen?«
Jinny schaute in ihren Schoß, runzelte die Stirn und zog den Rock über ihren Beinen zurecht. »Habe ich dir gesagt, dass er geweint hat, als ich mit ihm Schluss gemacht habe?«
»Nein.« Gut. Das Arschgesicht verdiente es zu weinen. Esther hoffte, dass er sich jede verdammte Nacht in den Schlaf weinte.
»Ja, ich hatte deswegen beinahe ein schlechtes Gewissen.«
»Wag es ja nicht, ein schlechtes Gewissen zu haben. Er hat dich betrogen. Außerdem war er ein Wichser.«
Jinny zog sich ein Haargummi vom Handgelenk und band sich das schulterlange schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. »So schlimm war er nun auch wieder nicht.«
Esther starrte sie über den Rand ihrer Sektflöte hinweg an. »Er ist an deinem Geburtstag nach Mexiko zum Surfen gefahren.«
»Das war ein einziges Mal. Und danach hat er sich schlecht gefühlt.«
»Er hat auch am Valentinstag nichts für dich gemacht. Und als er diese Konzerttickets gewonnen hat, ist er statt mit dir mit einem seiner Surf-Buddys gegangen.«
Jinny seufzte und nippte an ihrem Mimosa. »Ja, okay. Er war irgendwie scheiße.«
Immerhin gab sie es zu. Esther glitt aus ihren Flipflops und zog sich einen Stuhl heran, um ihre Füße darauf legen zu können. Ihre stämmigen Beine waren leichenblass, eine Blässe, die durch den blauen Lack auf ihren Zehennägeln noch unterstrichen wurde. »Du kannst so viel bessere Männer haben«, sagte sie und schob sich die Sonnenbrille vor ihre Augen.
Mit finsterem Blick holte Jinny eine Zeitschrift aus ihrer Tasche. »Das wird man sehen.«
Obwohl sie so ein wunderschöner, großartiger Mensch war, hatte Jinny ein furchtbar schlechtes Selbstwertgefühl. Da half es nicht, dass Stuart mit der Präzision eines Fachmanns sofort ihre Unsicherheiten entdeckt und sie sorgsam zu seinem eigenen Vorteil genährt hatte. Sie war nicht in der Lage gewesen zu sehen, wie mies er sie behandelte, denn auf einer gewissen Ebene schien sie nicht zu glauben, dass sie Besseres verdient hatte.
Esther hasste diesen Typen wirklich. »Du warst immer viel zu gut für ihn. Ehrlich, ich habe nie verstanden, was du in ihm gesehen hast.«
Jinny schaute sie jetzt über ihr Sektglas hinweg an. »Ähm, er ist total heiß?«
»Du bist heiß, meine Liebe. Ihr hattet im Prinzip nichts gemeinsam, abgesehen von der Tatsache, dass ihr beide gut ausseht.«
»Wir arbeiten beide in der Technikbranche.«
Esther schnaubte in ihren Mimosa. »Der Apple-Store zählt nicht als Technikbranche.«
»Er hat mein iPad repariert!«
»Er steht auf Outdoor-Kram wie Fahrradfahren und Wandern und Campen, und du hasst es, draußen zu sein.«
»Ich hasse es nicht, draußen zu sein.« Jinny wedelte unbestimmt mit der Hand. »Ich bin ja jetzt auch draußen.«
»Am Pool liegen und Mimosas trinken zählt nicht als Outdoor-Aktivität.«
»Wenn du meinst.«
»Ich sage ja nur, Don’t go for second best, baby.«
Jinny schob die Sonnenbrille hoch und blinzelte. »Zitierst du jetzt Madonna?«
»Es ist ein sehr passender Song. Madonna weiß, wie’s läuft.«
»Deine Freundin Madge war mit Sean Penn verheiratet, also wollen wir mal nicht so tun, als wäre ihr Urteilsvermögen unfehlbar.«
Über ihnen knallte eine Tür, und sie schauten beide auf. Jonathan trat aus seiner Wohnung. Na toll. Wie oft sollte Esther dem Typen heute noch begegnen?
Seine Schritte hallten im Hof wider, als er die Treppe hinunter trottete. Dann sah er sie, hielt inne und nickte ihnen halbherzig zu. »Hey.«
Esther nickte zurück, ebenso halbherzig.
»Hi!«, rief Jinny und winkte.
Jonathan nickte erneut, steckte die Hände in die Taschen und ging weiter zu seinem Auto.
Esther hatte den Typen noch nie lächeln sehen. Was bei ihm einem Lächeln am nächsten kam, war eine gequälte Grimasse.
»Der ist süß«, flüsterte Jinny, als er außer Hörweite war.
Esther schaute sie von der Seite an. »Wer?«
»Na, dein Nachbar. Dieser Wieheißternoch Brinkerhoff.«
»Jonathan? Uh. Nein. Der ist nicht süß.« Angeberische Hipster mit Beanie, die auf dem Bauernmarkt einkaufen gingen, waren einfach nicht Esthers Typ. Rein objektiv gesehen konnte er vermutlich als attraktiv durchgehen – solange er den Mund nicht aufmachte. Er war einfach so verdammt nervig, dass sie sein Aussehen nicht von seiner Persönlichkeit trennen konnte.
»Doch, das ist er«, beharrte Jinny. »Er sieht aus wie der junge Jake Gyllenhaal. Erzähl mir nicht, du hättest das nicht auch bemerkt.«
»Er sieht nicht aus wie Jake Gyllenhaal.« Esther mochte Gyllenhaal nicht einmal, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, den Schauspieler gegen diesen unfairen Vergleich verteidigen zu müssen.
»Na komm schon, er hat tolles, dickes, welliges dunkles Haar …«
»Das er ständig unter dieser blöden Beanie versteckt.«
Jinny schniefte. »Ich mag Männer mit Beanies.«
Natürlich. Stuart trug ständig Beanies. Wie übrigens die Hälfte aller Männer unter dreißig in L. A., aber trotzdem – es war absolut gerechtfertigt, das zu verabscheuen.
»Außerdem hat er diese gefühlvollen blauen Augen«, fügte Jinny hinzu.
Gefühlvoll? Wovon faselte sie da? Esther kräuselte die Nase. »Du weißt doch gar nicht, wie seine Augen hinter dieser Hipster-Brille aussehen.«
»Ich liebe seine Brille! Typen mit Brille sind superheiß. Oh!« Jinny streckte die Hand aus und gab ihr einen Klaps auf den Arm. »Dev Patel.«
Esther starrte sie an. »Dev Patel ist Inder.«
»Das weiß ich doch, Mann.«
»Und sieht weder so aus wie Jake Gyllenhaal noch wie Jonathan, die übrigens beide weiß sind.«
Jinny legte ihre Zeitschrift beiseite, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Es liegt an den Haaren. Jonathan hat dasselbe tolle Haar, das auch Dev Patel hat. Man will ihm mit den Fingern durch die Locken fahren.« Sie wackelte mit ihren Fingern, um ihre Aussage zu unterstreichen. »Und dieser Bart. Mein Gott, ich steh auf Bärte.«
Stuart hatte einen Bart. Obwohl seine Haare goldbraun waren, nicht so wie Jonathans, die einen dunklen, beinahe schwarzen Braunton hatten.
Esther verengte die Augen und versuchte herauszufinden, ob Jinny wirklich an Jonathan interessiert war oder ob sie Stuart auf ihn projizierte. »Wie lange hast du schon Gefühle für meinen Nachbarn?«
Jinny zuckte die Achseln und griff nach ihrem Mimosa. »Ich fand ihn schon immer süß.« Ihr Handy vibrierte, und sie griff danach, um einen Blick auf das Display zu werfen. »Wenn mich Stuart doch nur in Ruhe lassen würde.«
Esther runzelte die Stirn. »Was will der denn schon wieder?«
Jinny legte das Handy wieder hin, ohne auf die Nachricht zu antworten. »Vergebung. Versöhnung. Mehr Sex. Such dir was aus.«
»Ich sag nur Kontaktverbot!«
»Danke, Euer Ehren, aber das ist nicht nötig. Es ist ja nur Stuart.«
Stuart, der den größten Teil des halben Jahres, in dem er mit Jinny ausging, dafür gesorgt hatte, dass sie ihren eigenen Instinkten nicht mehr traute. Der ihr das Gefühl vermittelt hatte, er sei zu gut für sie, und sie solle gefälligst dankbar sein für das bisschen Aufmerksamkeit, das er ihr schenkte. Der sie herumschubste wie ein Kind.
Esther sah sie misstrauisch an. »Du denkst ernsthaft darüber nach, oder? Ihn zurückzunehmen?«
Jinny antwortete nicht.
Jonathan tauchte wieder im Hof auf. Jetzt trug er einen Zwanzig-Kilo-Sack mit Mulch auf der Schulter. Er ging um den Pool herum und ließ den Sack neben Esthers Liege zu Boden fallen, direkt vor einem Beet mit frisch gepflanzten Begonien.
»Was machst du da?«, fragte sie und schaute über den Rand ihrer Sonnenbrille zu ihm hinüber.
»Mrs. Boorstein hat mich gebeten, Rindenmulch für die neuen Pflanzen zu besorgen.« Er wischte sich die Hände an den Jeans ab und ging zurück zum Carport.
Jinny beugte sich vor und gab Esther erneut einen Klaps auf den Arm. »Er hilft der süßen alten Dame beim Gärtnern? Das ist ja so hinreißend!«
Esther war sich nicht ganz sicher, ob Mrs. Boorstein es begrüßt hätte, als süße alte Dame bezeichnet zu werden, musste aber gegen ihren eigenen Willen zustimmen, dass das tatsächlich irgendwie hinreißend war.
Sie hörten das Geräusch einer Kofferraumklappe, die zugeschlagen wurde, und erneut erschien Jonathan, wieder mit einem Sack Mulch auf der Schulter. Er ließ ihn neben den ersten fallen und bückte sich dann, um ihn ein paar Meter nach links zu schieben, so dass an jedem Ende des Beetes ein Sack lag.
Sein Hintern war dabei genau in Esthers Blickfeld, und sie musste zugeben, dass es schlimmere Anblicke gab.
Na gut. Also hatte er einen anständigen Körper. Aber er nervt dich zu Tode, weißt du noch?
Jinny gab ihr einen dritten Klaps, und Esther riss sich von dem Anblick los und wurde ein wenig rot.
»Süßer Arsch«, formte Jinny mit den Lippen und machte eine kleine Kopfbewegung in Jonathans Richtung.
Esther schüttelte den Kopf und ordnete ihre Gedanken so weit, dass sie in der Lage war, die Augen zu verdrehen. »Ich wusste nicht, dass du im Garten hilfst«, sagte sie, als sich Jonathan wieder aufrichtete und seinen Hintern aus ihrem Blickfeld brachte.
»Nur bei den schweren Sachen. Mrs. B. würde es nie erlauben, dass ich ihre Pflanzen anfasse.« Er wischte sich ein Stück Rindenmulch von der Schulter. »Sie kommt nachher, um das hier zu verteilen. Sagst du ihr dann, dass ich oben bin, für den Fall, dass sie noch mal meine Hilfe braucht?«
Da war ein kleines Stück Rinde in seinem Bart. Esther überlegte kurz, ihn darauf hinzuweisen, entschied sich dann aber dagegen. »Klar«, sagte sie.
Er nickte erneut und schlurfte die Treppe hinauf und in seine Wohnung.
Jinnys Handy vibrierte. Sie nahm es in die Hand und starrte mit gerunzelter Stirn aufs Display.
»Schon wieder Stuart?«, fragte Esther leicht beklommen.
»Ja.« Jinny schaltete das Handy aus und steckte es in ihre Tasche.
»Du solltest mit Jonathan ausgehen«, sagte Esther.
Jinny sah sie prüfend an. »Ich dachte, du hasst ihn.«
»Ich habe ja nicht gesagt, dass ich ihn daten will. Du bist diejenige, die ihn süß findet.« Er war vielleicht nervig, aber so weit Esther es beurteilen konnte, war er immerhin kein manipulativer Dreckskerl. Damit war er schon tausendmal besser als Stuart.
Jinny schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht mit ihm aus.«
»Warum nicht?«
»Weil er nicht mal weiß, wer ich bin. Ich frage keinen absolut Fremden, ob er mit mir auf ein Date geht.«
»Ich könnte euch zwei verkuppeln.«
Jinnys Blick verdunkelte sich. »Wag es bloß nicht. Du weißt genau, was ich von Blind Dates halte.« Während ihrer gesamten Highschoolzeit hatte Jinny nur auf Dates gehen dürfen, die ihre Mutter für sie arrangiert hatte, und seitdem war sie allergisch gegen Verkupplungsversuche.
Der Timer auf Esthers Handy bimmelte, und sie fischte es aus ihrer Tasche, um ihn auszuschalten. »Ich muss meine Wäsche rausholen.« Sie stand auf und zeigte mit ihrem Handy auf Jinny. »Du weißt, wie er aussieht, es wäre also kein Blind Date.«
»Dann eben ein arrangiertes Date. Egal.« Jinny zog eine Grimasse. »Man kann die Liebe nicht erzwingen. Man muss von ihr gefunden werden.«
»Wenn du meinst.« Esther verdrehte die Augen und machte sich auf den Weg in den Wäscheraum.
Jinny war eine unverbesserliche Romantikerin, Esther konnte mit diesem Mist nichts anfangen. Sie glaubte weder an Schicksal noch an Liebe auf den ersten Blick oder an »auf immer und ewig«. So etwas wie Seelenverwandte gab es nicht, auch keine guten Feen, die auf einen aufpassten, und ganz sicher würde niemals ein Prinz auf seinem Schimmel angeritten kommen, um sie mitzunehmen. Sie bewahrte sich ihren Glauben für Dinge auf, die man empirisch beweisen konnte und die sich vorhersehbar verhielten – und zwar gemäß den Gesetzen der Natur.
Märchen waren schön und gut, solange sie zwischen zwei Buchdeckeln blieben, aber es war gefährlich, an sie zu glauben. Esthers Mutter war das beste Beispiel. Sie hatte geglaubt, ein perfektes, märchenhaftes Leben zu führen, bis ihr Prinz einfach ging und sie völlig unvorbereitet in der Realität zurückließ. Fünfzehn Jahre später ließ sie sich immer noch treiben und wartete auf den nächsten Prinzen, der sie retten sollte.
Prinzen waren für die Tonne. Man musste sein Glück selbst finden. Wenn man etwas wollte, konnte man eben nicht einfach auf seinem Hintern sitzen bleiben und darauf warten, dass es einem in den Schoß fiel. Man musste dafür sorgen, dass es wahr wurde.
Zwei Tage später faselte Jinny immer noch von Stuart. Esther wusste, dass sie mit ihm schrieb. Wie lange würde sie noch standhalten, wenn Stuart bettelte und sie mit seinem magischen Sexappeal verführte? Esther hatte das ungute Gefühl, dass sie schon am Wochenende wieder zusammen sein würden.
Sie hatte sich das Hirn zermartert, wie sie die beiden voneinander fernhalten konnte, aber ihr fiel einfach nichts ein. Wenn sie zu viel Druck ausübte, würde Jinny vermutlich sauer und reagierte trotzig. Das war das letzte Mal passiert, als Esther versucht hatte, sie zur Vernunft zu bringen. Man musste vorsichtig vorgehen – und schnell, bevor es zu spät war.
Esther dachte noch immer darüber nach, als sie am Mittwoch von der Arbeit nach Hause kam. Sie ging gerade an Jonathans Apartment vorbei, da hörte sie, wie der Riegel aufgeschoben wurde. Sie ging schneller und wühlte in ihrer Tasche nach den Schlüsseln. Vielleicht schaffte sie es noch in ihr Apartment, bevor er herauskam und ihr wieder eine Unterhaltung aufdrängte …
»Hey«, sagte er und trat hinter ihr aus der Wohnungstür.
Verdammt.
Esther lächelte ihn über die Schulter hinweg höflich an. »Hi.«
War es denn zu viel verlangt zu hoffen, dass er woanders hinmusste und kein Interesse an einer Unterhaltung hatte? Sie fischte den Wohnungsschlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss.
»Ich habe was für dich«, sagte er.
Sie erstarrte mit der Hand auf dem Türknauf. Knapp vorbei.
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte sie sich um. »Ach ja?«
»Warte mal«, sagte er und hob einen Finger. Dann verschwand er in seiner Wohnung.
Na toll. Was sollte das jetzt? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er irgendetwas besaß, was sie interessieren könnte. Und wie lange sollte sie hier draußen auf dem Gang stehen und auf ihn warten? Sie wollte einfach nur in ihre Wohnung, sich die klobigen Oxford-Schuhe von den Füßen schleudern, die Strumpfhosen ausziehen, die sie den ganzen Tag getragen hatte, und ein Bier trinken. War das etwa zu viel verlangt für das Ende eines langen, nervigen Arbeitstages?
Sie würde ihm noch fünf Sekunden geben, dann würde sie hineingehen.
Fünf … vier … drei … zwei …
Jonathan tauchte im Gang auf, Umschläge und eine Zeitschrift in der Hand. »Hier, der Postbote hat einiges von deinem Zeug aus Versehen bei mir geworfen.«
Oh. Er benahm sich tatsächlich nachbarschaftlich.
»Danke.« Ein bisschen beschämt nahm Esther die fehlgeleitete Post entgegen. Sie hatte sich schon gewundert, warum die Astronomy diesen Monat noch nicht gekommen war. Es war nett von ihm; immerhin gab es sicher viele Arschlöcher, die das Zeug einfach in den Müll geworfen hätten, um sich die Mühe zu sparen.
»Das ist nicht gerade leichte Lektüre.« Er steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. »Bist du Astronomin oder so?«
»Luftfahrtingenieurin. Über Astronomie lese ich nur zum Spaß.«
Er nickte. »Das ist cool. Du kennst dich bestimmt gut mit Naturwissenschaften aus.«
»Ein bisschen, ja.«
Er nickte erneut und trat von einem Fuß auf den anderen. »Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
Neiiiiiin.
»Du weißt ja, dass ich Drehbücher schreibe …«
Bitte. Nicht.
»Ich arbeite da ein einem Sci-Fi-Script für eines meiner Seminare, und ich habe praktisch die ganze Geschichte schon geplottet, aber ich brauche dringend Hilfe, was die wissenschaftlichen Grundlagen betrifft. Nur damit es ein bisschen realistischer wird – na ja, nicht wirklich realistisch, aber zumindest plausibel.«
Warum wurde sie nur so bestraft? Was hatte sie getan, um das hier zu verdienen?
»Könntest du eventuell einen Blick darauf werfen? Und vielleicht ein paar Anmerkungen machen? Nur was den wissenschaftlichen Teil angeht. Was meinst du?«
Mist. Gab es eine Möglichkeit, aus dieser Sache herauskommen, ohne unhöflich zu sein?
»Ich kenne mich nicht mit Filmen aus«, wich sie aus. »Gibt es niemanden in deinem Seminar …?«
Er schüttelte den Kopf. »Du musst gar nichts vom Drehbuchschreiben verstehen, das erledige alles ich. Aber der Einzige, den ich kenne, der ein bisschen was von Naturwissenschaften versteht, ist mein Kumpel Greg. Und er hat nur ein Semester Medizin studiert, bevor er zu Englisch gewechselt ist. Außerdem hat er absolut keine Ahnung von Physik, und ich brauche jemanden, der weiß, was es mit Schwerkraft und Schub und Asteroiden auf sich hat. Damit kennst du dich aus, oder?«
Esther schluckte. »Ähm …« Sie spürte ihr Handy in ihrer Tasche vibrieren – Gott sei Dank, eine Unterbrechung. »Entschuldige«, murmelte sie. »Ich muss da eben ran …«
Es war eine Nachricht von Jinny: Stuart fleht mich an, ihn zurückzunehmen. Sag mir, dass ich das nicht tun soll.
»Eine Sekunde«, sagte Esther zu Jonathan und hackte mit den Daumen auf ihrem Display.
FANG BLOß NICHT WIEDER WAS MIT DEM FREMDGEHENDEN ARSCHGESICHT STU AN.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jonathan.
»Ja. Ich musste nur kurz eine Katastrophe abwenden.« Esther sah von ihrem Handy auf und direkt in Jonathans Augen.
In seine gefühlvollen Augen.
Jinny fand ihn süß. Jinny mochte ihn.
Wenn er sie bitten würde, mit ihm auszugehen, würde sie Ja sagen. Und wenn sie mit ihm ausginge, würde sie vielleicht Stuart vergessen. Sie würde sich daran erinnern, dass es noch andere Männer auf der Welt gab, und sich nicht dazu herablassen, sich mit einem Arschloch zufriedenzugeben.
Jonathan war irgendwie cringe, klar, aber eigentlich wirkte er recht nett. Er hatte noch nie etwas absichtlich Unfreundliches getan oder gesagt, wenn sie dabei war, und er hatte sicher nicht die sozialen Fähigkeiten, um jemanden zu manipulieren. Dass er ständig herummansplainte, schien sein ungeschickter Versuch zu sein, Hilfe anzubieten, was man aus einer gewissen Perspektive gesehen wahrscheinlich als süß bezeichnen konnte. Er war die Art Typ, der älteren Damen beim Gärtnern half. Wie schlimm konnte er schon sein?
»Also, was mein Drehbuch angeht …«, sagte Jonathan und rieb sich den Nacken.
»Ich mach es, wenn du was für mich tust«, sagte Esther.
Er zog die Brauen zusammen. »Okaaay. Und das wäre?«
»Du bittest meine Freundin Jinny um ein Date.«
Er öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Seine Brauen waren jetzt eine einzige, dunkle Linie. »Ähm …«
»Du hast doch keine Freundin, oder?«
»Nein, aber …«
»Jinny ist echt nett, total normal und außerdem wunderschön.« Das stimmte alles. Dieser sozial ungeschickte Drehbuchtyp konnte sich glücklich schätzen, mit so jemand Tollem wie Jinny ausgehen zu dürfen. Und Jinny würde es guttun, jemand Netten zu daten, denn das schien Jonathan zu sein: nett.
Er sah skeptisch drein. »Und warum musst du ihr dann ein Date besorgen?«
»Weil sie gerade mit einem Mistkerl Schluss gemacht hat, und ich befürchte, dass sie ihn sonst zurücknimmt.«
»Sollte sie das nicht selbst entscheiden?«
Eine edle Sichtweise, aber das hier war eine Notsituation, daher musste man Notmaßnahmen ergreifen. »Ich versuche nicht, sie daran zu hindern, ihre eigene Entscheidung zu treffen. Ich versuche nur, ihr eine weitere Option zu bieten. Ihr zu zeigen, dass es da draußen noch andere Männer gibt, die sie mögen, und dass sie keinen solchen Creep daten muss.« Esther verengte die Augen. »Du bist doch kein Creep, oder?«
»Nein!«, sagte er, dann runzelte er die Stirn, als wäre er sich nicht ganz sicher. »Ich meine, ich glaube nicht?«
Sie zeigte warnend mit dem Zeigefinger auf ihn. »Ich weiß, wo du wohnst, denk dran. Wenn du sie also verletzt …«
Er hob beschwichtigend die Hände. Seine Finger waren mit schwarzen Tintenflecken bedeckt. »Ich habe nicht gesagt, dass ich bereit bin, mit ihr auszugehen. Ich kenne sie doch gar nicht.«
»Sie hängt immer mit mir am Pool ab. Du hast sie letztes Wochenende gesehen, erinnerst du dich?«
»O ja.« Sein Mund verzog sich zu etwas, das beinahe aussah wie ein Lächeln. »Ja, sie ist süß.«
Volltreffer! Es war perfekt. Jinny mochte ihn, er mochte sie. Sie tat beiden einen Gefallen, indem sie sie miteinander verkuppelte. Sie war praktisch Mutter Teresa. »Also machst du es?«
Er runzelte erneut die Brauen und rieb sich das Kinn. Aus der Nähe betrachtet wirkte sein Bart viel weniger struppig. Und seine Augen hatten einen wirklich beeindruckenden Blauton. »Das kommt mir irgendwie seltsam vor. Warum muss ich sie fragen? Kannst du nicht einfach ein Blind Date für uns arrangieren oder so?«
Esther schüttelte den Kopf. »Sie hasst Blind Dates. Sie würde sich nie darauf einlassen.«
»Aber ich kenne sie nicht einmal. Meinst du nicht, dass sie es komisch findet, wenn ein Fremder sie einfach so aus heiterem Himmel um ein Date bittet?«
Dieser Typ ging eindeutig nicht oft aus und hatte keine Ahnung, wie oft Männer Frauen ansprachen, die sie kein bisschen kannten. Was irgendwie wieder süß war. Naiv, aber süß. Ein bisschen wie ein Gentleman aus einem Jane-Austen-Roman, der eine formelle Vorstellung brauchte, bevor er damit beginnen konnte, eine Lady zu umwerben. »Ihr seid euch doch schon oft über den Weg gelaufen. Das ist nicht komisch.«
»Und wenn sie Nein sagt?«
Sie hatte ihn beinahe am Haken. Er brauchte nur noch einen kleinen Schubs. »Sie wird nicht Nein sagen, weil sie dich auch süß findet.«
»Wirklich?« Seine Augen leuchteten auf wie ein Weihnachtsbaum, was verdammt niedlich war. Na gut. Jinny hatte recht. Er war süß.
»Ja, wirklich.«
»Das hat sie dir gesagt?«
»Das hat sie mir gesagt.«
Zweifel schlichen sich in seinen Blick. »Irgendwie ist das trotzdem komisch.«
O mein Gott. Was brauchte es denn noch, um ihn dazu zu bringen einzuwilligen? Erpressung? Denn Esther würde zu diesem Mittel greifen, wenn es nötig war. »Soll ich dein Drehbuch lesen oder nicht?« Die sanfte Tour funktionierte nicht; es war an der Zeit, einen anderen Ton anzuschlagen.
Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Dann nickte er. »Ja, okay. Ich mache es.«
YES! Nicht ganz genügend Enthusiasmus für Esthers Geschmack, aber das musste reichen. »Du wirst es ernst nehmen und ihr eine echte Chance geben. Nicht nach dem ersten Date einfach verschwinden.«
Er kratzte sich den Hinterkopf. »Was bedeutet ›eine echte Chance‹ denn genau?«
Esther schürzte die Lippen und dachte über diese Frage nach. Wie lange würde Jinny brauchen, um über Stuart hinweg zu kommen? Ein einziges Date reichte womöglich nicht aus. Es musste genug sein, um Stuart für immer aus ihrem Hirn zu verbannen. »Drei Dates«, sagte sie schließlich.
Jonathan riss die Augen auf. »Drei? Auf keinen Fall.«
»Das ist der Deal. Tu’s, oder lass es bleiben.« Ein Date würde er vielleicht halbherzig hinter sich bringen. Bei drei würde er sich wenigstens etwas mehr Mühe geben. Theoretisch zumindest.
»Okay, zwei.«
»Drei«, wiederholte Esther. Jetzt, da sie ihn dazu gebracht hatte, ihrem Plan zuzustimmen, hatte sie die Oberhand. Und sie würde keinen Millimeter weichen.
Sein Mund verzog sich schmollend. »Dann musst du mir aber wirklich mit meinem Drehbuch helfen. Nicht nur ein paar Notizen hinkritzeln oder das anstreichen, was nicht stimmt, sondern richtig mit mir arbeiten und mir Ideen liefern, damit die Geschichte funktioniert.«
Herrgott. Was Esther nicht alles für Jinny zu tun bereit war. Wehe, sie wusste das nicht zu schätzen. »Ich werde alles an Wissenschaft aus dem Drehbuch rausquetschen, was geht. Deal?«
»Ja.« Er nickte. »Okay.«
Esther streckte ihm die Hand hin. Er zögerte kurz und ergriff sie dann.
Es war offiziell. Sie würden es tun.
»Wir müssen schnell sein«, sagte sie, »damit Jinny keine Zeit hat, wieder mit Stuart zusammenzukommen.«
»Wie schnell?«, fragte Jonathan.
Esther grinste ihn an. »Was machst du heute Abend?«
Aus seinem Gesicht wich alle Farbe. »Heute Abend?«
Sie mussten ein wenig tricksen, damit die Sache klappte.
Jonathan konnte Jinny nicht einfach so anrufen, um sie einzuladen, weil er offiziell ihre Nummer nicht hatte. Soweit Jinny wusste, kannte er schließlich nicht einmal ihren Namen. Also musste er sie persönlich um ein Date bitten. Was bedeutete, dass sie ein »zufälliges Treffen« arrangieren mussten.
Man hätte meinen sollen, ein Drehbuchautor sei in der Lage, sich ein einfaches Meet-Cute auszudenken, aber er war noch weniger als nutzlos auf diesem Gebiet.
»Warum gibst du mir nicht einfach ihre Nummer, damit ich sie anrufen kann?«, fragte er achselzuckend. »Ich verstehe nicht, warum das so kompliziert sein muss.«
»Weil es auf keinen Fall so aussehen darf, als würde ich versuchen, euch zu verkuppeln«, erinnerte ihn Esther. »Woher sollst du sonst ihre Nummer haben, wenn nicht von mir?«
Er zuckte erneut die Achseln.
Nutzlos. Zum Glück war Esther eine Meisterstrategin. Sie hatte ihrem älteren Bruder auf die Sprünge geholfen, seit sie sieben Jahre alt war. Sie hatte das im Griff.
BEI MIR, SOFORT, schrieb sie an Jinny. Ich bestelle bei diesem hawaiianischen Laden.
Jinny liebte dieses Restaurant, und sie lieferten nicht nach Mar Vista.
Bin schon unterwegs, schrieb Jinny beinahe sofort zurück. Ich nehme die Kalua Ramen mit Schweinefleisch.
Sobald sie sicher war, dass Jonathan genau wusste, was er zu tun hatte, scheuchte Esther ihn aus der Wohnung, damit sie endlich diese verdammten Strumpfhosen ausziehen konnte. Statt des weiten Blümchenkleids, das sie zur Arbeit getragen hatte, zog sie eine Jogginghose und ihr Lieblingssweatshirt an. Sie löste ihr langes, welliges Haar aus dem ordentlichen Arbeitsdutt, ließ sich aufs Sofa sinken und band es zu einem lockeren Messy Bun zusammen.
Ihre große, schwarzweiße Katze Sally Ride, deren Zeichnung sie aussehen ließ, als trüge sie einen Smoking, sprang auf ihren Schoß, um ihre Ration Kopfkraulen einzufordern. Gehorsam streichelte Esther die schnurrende Katze und wartete, dass Jinny kam.
Fünf Minuten später klopfte es an die Tür, und Sally huschte eilig ins Schlafzimmer.
»Nimm mal mein Handy«, sagte Jinny und drückte es Esther in die Hand, als sie an ihr vorbei in die Wohnung trat.
»Okay.« Esther starrte auf das Display und schloss die Tür. »Warum?«
Das Handy vibrierte in ihrer Hand: eine Nachricht von Stuart. Lass mich heute Abend vorbeikommen, Baby. Ich vermisse mein kleines Liebeshäschen.
Eklig.
»Deshalb«, sagte Jinny und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Bitte mach, dass ich nicht darauf reagiere.«
Esther legte das Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch neben der Tür. »Er will spontanen Sex heute Nacht? Es ist mitten in der Woche.«
»Manche Menschen haben Sex an Wochentagen, weißt du.« Jinny öffnete den Verschluss ihrer Bierdose und nahm einen Schluck.
»Klingt anstrengend. Ich habe ja kaum genug Energie, mich selbst zu ernähren, wenn ich nach Hause komme.«
Jinny ließ sich mit ihrem Bier auf das rote Ikea-Sofa fallen. Esthers gesamte Wohnung war mit Ikea möbliert. Sie hatte sich praktisch eins der Wohnzimmer aus dem Katalog zusammengekauft.
»Es ist echt Folter«, stöhnte Jinny. »Ich versuche ja, ihm zu widerstehen, aber jedes Mal, wenn er schreibt, erinnere ich mich daran, wie sehr ich ihn vermisse. So langsam werde ich schwach.«
Manchmal konnte Esther Jinny wirklich nicht verstehen. Klar, Stuart war heiß, und vielleicht war er sogar so gut im Bett, wie Jinny behauptete. Aber egal, wie gut er war oder wie sehr sie glaubte, ihn zu lieben – Esther konnte sich nicht vorstellen, jemals einem Mann zu verzeihen, der sie betrogen hatte.
»Du könntest seine Nummer blockieren«, schlug sie vor und setzte sich Jinny gegenüber auf das Sofa, die Füße unter den Po gezogen.
Jinny nahm einen weiteren Schluck Bier. »Ich habe darüber nachgedacht. Aber ich ertrage die Vorstellung nicht, den Kontakt einfach so abzubrechen. Wenn ich weiß, dass er mir immer noch Nachrichten schreibt, ich aber nicht weiß, was er sagt.« Ihr Blick glitt hinüber zu ihrem Handy auf dem Tisch, als würde sie magisch davon angezogen.
Herrje, sie war wirklich ziemlich hinüber. Zum Glück war Esther heute Jonathan über den Weg gelaufen. Keine Sekunde zu früh.
Sally tauchte wieder aus dem Schlafzimmer auf und kam zum Sofa, um an Esthers Zehen zu schnüffeln. Esther kraulte ihr den Kopf. »Du weißt doch aber, was er sagt. Du musst doch nicht seine Nachrichten lesen, um zu wissen, was er will.«
»Ich mag die Aufmerksamkeit irgendwie«, gab Jinny zu. »Nach dem, was er getan hat, verdient er es, zu Kreuze zu kriechen.«
Sie beugte sich vor, um Sally zu streicheln, die zurückwich. »Warum will deine Katze nicht mit mir befreundet sein?«
Esther zuckte die Achseln. »Sie mag niemanden außer mir. Sie ist wählerisch.«
»Willst du damit sagen, dass ich nicht gut genug bin für deine Katze?«
»Nein, aber sie weiß, woher ihr Fressen kommt. Sie hat keine Zeit für Leute, die ihr nicht die Gourmet-Lachshäppchen reichen, an die sie gewöhnt ist.«
»Das ist einleuchtend«, sagte Jinny. »Dann lass ich das mal durchgehen, Sally.«
An der Tür ertönte ein Klopfen, und Sally flitzte erneut ins Schlafzimmer. Diesmal war es der Uber-Eats-Fahrer.
»Gott, wie das duftet«, sagte Jinny und half Esther dabei, das Essen auszupacken. »Ich bin völlig ausgehungert. Sex-Dates auszuschlagen, ist harte Arbeit.«
»Das glaub ich dir sofort«, entgegnete Esther säuerlich und ging in die Küche, um Besteck und Servietten zu besorgen.
Jinny öffnete einen der Behälter. »Du hast doch den Kesselmais bestellt, oder?«
»Dieses Popcorn aus dem Kessel? Natürlich. Ich bin doch keine Amateurin.«
Sie hatten gerade mit Essen angefangen, als es erneut an der Tür klopfte. Genau aufs Stichwort.
»Du lauschst, wann unser Essen geliefert wird«, hatte Esther gesagt. »Sobald der Fahrer weg ist, warte zwei Minuten, dann komm mit der Post rüber.« Sie hatte ihm ihre falsch eingeworfene Post wiedergegeben, damit er sie rüberbringen konnte, wenn Jinny da war.
»Hat der Lieferbote was vergessen?«, fragte Jinny und zählte die Plastikbehälter.«
»Ich glaube nicht.« Esther ging zur Wohnungstür. »Vielleicht habe ich die falsche Quittung unterschrieben.« Sie öffnete die Tür und tat überrascht. »Oh! Jonathan. Hi.«
»Hey«, sagte er wenig begeistert.
Sie hob die Brauen und wartete darauf, dass er erklärte, warum er gekommen war. Vermassel es nicht, du Trottel.
»Hey«, murmelte er erneut. Na super. »Der – äh – der Postbote hat diese Briefe aus Versehen bei mir geworfen.« Er hielt ihr die Umschläge hin.
»Danke!«, sagte Esther und versuchte, freundlich zu klingen. »Da hat er wohl unsere Briefkästen verwechselt, ich habe nämlich auch Post für dich gekriegt. Komm doch rein.« Sie trat einen Schritt zurück und winkte ihn über die Schwelle.
Jonathan hatte die Hände tief in die Taschen geschoben und schlurfte über die Schwelle wie ein Kind, das gegen seinen Willen in die Kirche muss. Bisher lieferte er keine wirklich überzeugende Vorstellung.
Esther tat so, als sähe sie den Stapel Briefe auf dem Ikea-Regal an der Tür erst jetzt richtig. »Ich weiß doch, dass ich sie hier irgendwo hingelegt habe … aha! Da sind sie ja. Sorry, ich wollte sie dir gerade bringen, aber dann kam Jinny vorbei, und ich habe es irgendwie vergessen. Das hier ist übrigens meine Freundin Jinny«, fügte sie hinzu und wedelte mit der Hand, als wäre ihr das gerade erst eingefallen. »Jinny, Jonathan. Jonathan, Jinny.«
»Hey«, murmelte Jonathan.
Jetzt mach schon, dachte Esther. Bemüh dich mal. Es würde nicht funktionieren, wenn er sich benahm, als wollte er gar nicht hier sein.
Jinny trat vor und streckte ihm die Hand hin. »Hallo, schön, dich kennenzulernen.« Was ein Glück, dass wenigstens eine von den beiden soziale Fähigkeiten besaß.
Jonathan starrte eine Sekunde lang ihre Hand an, als wüsste er nicht, was er damit tun sollte. Und dann endlich – endlich – schien eine Art Automatismus einzusetzen, und er trat ebenfalls vor und ergriff sie. »O ja. Ich habe dich hier schon mal gesehen.«
»Sag ihr, du hättest sie hier schon mal gesehen«, hatte Esther ihm vorher eingeschärft. »Sie wird geschmeichelt sein, dass du sie bemerkt hast.«
Jinnys Lächeln wurde breiter. »Ich bin oft hier. Bin ein Fan von Esthers Pool. Esther ist auch okay, aber vor allem lockt mich der Pool.«
Jonathan nickte und entspannte sich ein wenig. »Ja, verständlich. Ich hoffe trotzdem, du bist vorsichtig, ist ne ziemlich dreckige Angelegenheit.«
»Esther oder der Pool?«, fragte Jinny mit unbewegter Miene.
Jonathan lachte. »Das Poolwasser natürlich. Über Esther weiß ich zu wenig.«
Hey, wer hätte das gedacht? Der Typ konnte ja doch lächeln.
»Das ist ja lustig«, sagte Esther. »Man merkt, dass du schreibst. Wusstest du, dass Jonathan Drehbücher schreibt?«, fragte sie, an Jinny gewandt.
»Wirklich?«, sagte Jinny und spielte überzeugend die Beeindruckte. »Das ist ja cool.«
»Es riecht gut hier drin«, sagte Jonathan. »Wolltet ihr beide gerade essen?«
Esther nickte. »Wir haben bei Mahalo bestellt. Ist angekommen, kurz bevor du geklopft hast.«
»Deren Kesselmais ist nicht von dieser Welt.«
»Deiner Meinung. Willst du welchen?«, bot Esther an.
Jonathan schüttelte den Kopf und schaffte es dennoch, so auszusehen, als sei er in Versuchung. »Nein, ich will euch nichts wegessen.«
»Schon gut, ich bestelle immer viel zu viel.« Esther ging in die Küche, um Besteck für ihn zu holen. »Du solltest zum Mais ein paar Rippchen essen.«
»Ja, okay«, sagte Jonathan. »Danke.«
»Willst du ein Bier?« Esther öffnete den Kühlschrank. »Man kann Rippchen nicht ohne Bier essen.«
»Klar.«
Jinny kam zu ihr in die Küche. »Was tust du da?«, flüsterte sie.
»Ich hole ihm ein Bier.«
»Aber du magst ihn nicht mal.«
»Nein, aber du.« Esther zuckte die Achseln. »Vielleicht hattest du ja recht. Vielleicht war ich ihm gegenüber zu hart. Er ist mein Nachbar – ich sollte ein bisschen nachbarschaftlicher sein, oder?« Sie hielt Jinny das Bier, eine Gabel und einen Teller hin. »Bring ihm das.«
Esther blieb noch eine Weile in der Küche und tat so, als räumte sie auf, während Jinny zurück zu Jonathan ging.