Dein Herz - Dietrich Grönemeyer - E-Book
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Dietrich Grönemeyer

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Beschreibung

Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer über unser wunderbares Lebens- und Sinnesorgan: Das Herz Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer nimmt sich des Volksleidens Nummer 1, der Herz- und Kreislaufkrankheiten, an. Für Grönemeyer ist das Herz mehr als ein zuckender Muskel, mehr als ein bloßes Organ. Sein Ansatz als Arzt wie als Autor ist ganzheitlich. Dietrich Grönemeyer informiert anschaulich und fundiert – von der Funktionsweise des gesunden Herzens über Herzkrankheiten wie Bluthochdruck, Infarkt und Arteriosklerose bis hin zu praktischen Tipps und Informationen zu Diagnostik, Therapie und vor allem Prävention. Doch der erfahrene Arzt schlägt auch Brücken zur Geistesgeschichte, zu Literatur, Poesie, Symbolik, Religion und dem uralten Wissen der Medizin anderer Kulturen. Er erzählt aus eigener Erfahrung als Patient und zeigt, welche Rolle die Seele bei Herzerkrankungen spielt und wie wichtig menschliche Wärme und Zuwendung sind, wenn das Herz sich meldet. Ein Buch über das Herz, das von Herzen kommt. »Dieses Buch ist einfach schön.« Financial Times Deutschland »Ein ungewöhnliches Herz-Buch für Neugierige, die sich auch für Kunst und Literatur interessieren.« Gesundheitstipp

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Seitenzahl: 388

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Dietrich Grönemeyer

Dein Herz

Eine andere Organgeschichte

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Inhalt

InnenlebenTagebuch eines HerzkrankenDas Herz als Symbol [...]Statt eines VorwortsDas Herz fühlt – eine LebenserfahrungIn der Mitte das HerzAlles kommt vom Herzen herEine fast wartungsfreie PumpeDas Zentrum und der ewige FlussDie Musik des HerzensAntrieb aus dem NichtsErbe aus UrzeitenGeh aus mein Herz und suche FreudWelch herzliche SympathieStress ist lebensnotwendigDem Herzen ein Schnippchen schlagenWas das Herz erregtDie körpereigene »Zellbatterie«Wenn das Herz stolpertLebensretter EKGAlles fließt – panta rheiDie Arterien: vom Herzen wegEin Irrtum wird korrigiertDie Venen: zum Herzen hinVon den Großen zu den KleinenDas Unsichtbare sichtbar machenIm Selbstversuch zum NobelpreisGegen den StromDas kommunizierende System: der BlutkreislaufWenn der Fluss sich ändertDer Gefäßverkalkung vorbeugenMit Druck durch den KörperUnd nun, drückt der Druck?Dem Herzen zuliebeWenn der Fluss versiegtWenn das Herz schmerzt: Angina PectorisMit Sprengstoff gegen den Herzschmerz: NitroglyzerinHilfe mit dem Luftballon: die DilatationDie Umleitung führt zum Ziel: der BypassWenn nichts mehr geht: der HerzinfarktSchlagen Frauen-Herzen anders?Was tun im Ernstfall?Wie ein Affe im Käfig: der SchlaganfallGefällt wie ein BaumZeit ist HirnNur nicht schlappmachenEntzündungen des Herzens: die KarditisWenn der Herzmuskel schwächelt: die MyokarditisGegen die ImpfmüdigkeitWenn die Klappen klappern: die EndokarditisNichtbakterielle Entzündungen: das rheumatische FieberWenn der Beutel zu eng wird: die PerikarditisKraft- und saftlos: die HerzinsuffizienzDu bist mein einzig HerzVon Göttern, Menschen und ÄrztenDer Sonne am nächstenDie Reise zum IchGöttlich erwecktVernünftig betrachtetGesundheit – Krankheit, und was dazwischen?Man sieht nur mit dem Herzen gutVerstand gegen HerzTief bewegtHerzkrank – der Ursachen sind vieleAngina PectorisSymptomeDiagnoseTherapieAngina PectorisArterioskleroseSymptomeDiagnoseTherapieArteriosklerose –BlutdruckerkrankungenHoher BlutdruckNiedriger BlutdruckEntzündliche Erkrankungen des HerzensEndokarditisMyokarditisPerikarditisFehlbildungen des HerzensOstium-secundum-TypForamen ovaleKammerseptumdefektHerzinfarktSymptomeDiagnoseTherapieHerzinsuffizienzSymptomeDiagnoseTherapieHerzklappenerkrankungenSymptomeDiagnoseTherapieHerzrhythmusstörungenAllgemeine UrsachenAllgemeine SymptomeAllgemeine DiagnoseAllgemeine TherapieLangsame (bradykarde) HerzrhythmusstörungenSchnelle (tachykarde) HerzrhythmusstörungenSchlaganfallSymptomeDiagnoseTherapieVor- und NachsorgeWas man nicht vergessen sollteKann auch guttun: StressSchlaf in himmlischer RuhHilfe zur Selbsthilfe bei SchlafstörungenLiebe und Sexualität wirken heilendDas Doppel-Herz der SchwangerschaftKeine Angst vor SportWie messe ich mein Übergewicht?Wie lese ich einen Beipackzettel?Wichtige Herz-Medikamente und VitalstoffeBlutgerinnungshemmende MittelHerzhafte ErnährungAngina PectorisArterioskleroseBluthochdruckHerzinfarktHerzinsuffizienzHerzrhythmusstörungenSchlaganfallNaturheilkunde und BewegungFunktionelle HerzbeschwerdenArterioskleroseBluthochdruck (Hypertonie)Niedriger Blutdruck (Hypotonie)Koronare Herzkrankheit und Angina PectorisHerzinsuffizienzHerzinfarktSchlaganfallNützliches Wissen rund um Diagnostik und TherapieKleines ABC der LaborwerteKleines ABC der Untersuchungsmethoden, Eingriffe und OperationenAngiographieAuskultationBypassComputertomographieDilatation/StentElektrokardiogrammHerzkatheter/KoronarangiographieHerzschrittmacher/DefibrillatorKernspintomographieNuklearmedizinTransplantationUltraschallDie Innenansicht: Bilder aus dem KörperRöntgen: Herz und LungeHerzkatheterUltraschall des HerzensComputertomographie des Herzens (CT)Kernspintomographie des Herzens (MRT)Positronen-Emissions-Tomographie (PET)Magnetokardiographie (MKG)Herz-Kreislauf: Zahlen und FaktenAllgemeine Kennwerte zum HerzBlutdruckHerzfrequenz (HF)Schlagvolumen (SV)Epidemiologie kardiovaskulärer ErkrankungenTodesursachen in DeutschlandHand aufs HerzWeiterführende InformationenAllgemeinDeutschlandÖsterreichSchweizÜbergreifende Informationen zu Herz und KreislaufDeutschlandÖsterreichSchweizArzt- und ZentrensucheDeutschlandÖsterreichSchweizBlutdruckBlutgefäße und SchlaganfallKinderkardiologie und HerzfehlerLaborOrganspende und TransplantationPatientenverfügungPrävention, Rehabilitation und ErnährungStatistiken zum Thema HerzWiederbelebung und Erste HilfeGlossar zu herzmedizinischen BegriffenAbkürzungsverzeichnisLiteraturDas Herz im Kontext der Kulturen in Philosophie, Religion und ÄsthetikAllgemein Herz-Kreislauf-ErkrankungenAngina PectorisArterioskleroseAuskultationBallondilatation und StentBypassDefibrillatorEntzündliche Erkrankungen des HerzensHerzfehlerHerzinfarktHerzkatheterHerzklappenoperationHerzrhythmusstörungenHerzschrittmacherHerztransplantationSchlaganfallBildnachweisRegisterDankNOTFALL

Hans Magnus Enzensberger

Innenleben

Es schmilzt uns es blutet es lacht uns im Leibe

Wir tragen es auf der Zunge

Wir schütten es aus

Wir machen ihm Luft

Wir grüßen von ihm

Wir essen es in Aspik

Es ist steinern es ist weich

golden hart brennend gespickt

halb leicht tief gut oder schwer

gebraten gebrochen erweitert verfettet

Wir bringen etwas darüber und tragen etwas darunter

Wir legen die Hand darauf

Wir schließen etwas darin ein

Wir drücken etwas daran

Wir nehmen uns etwas dazu

Wir haben etwas darauf

Wir hängen es an etwas hin

Es hat Klappen Blätter und Damen

Es hat Fehler Schläge Gründe Beutel und Gruben

Anfälle Kammern und Lüste

Wir lassen uns etwas daran wachsen

und etwas darein schneiden

und etwas daran greifen

Ein Stein fällt uns davon herunter

Wir machen eine Mördergrube daraus

Wir haben es auf dem rechten Fleck

Erich Kästner

Tagebuch eines Herzkranken

Der erste Doktor sagte:

»Ihr Herz ist nach links erweitert.«

Der zweite Doktor klagte:

»Ihr Herz ist nach rechts verbreitert.«

Der dritte machte ein ernstes Gesicht

und sprach: »Herzerweiterung haben Sie nicht.«

Na ja.

Der vierte Doktor klagte:

»Die Herzklappen sind auf dem Hund.«

Der fünfte Doktor sagte:

»Die Klappen sind völlig gesund.«

Der sechste machte die Augen groß

und sprach: »Sie leiden an Herzspitzenstoß.«

Na ja.

Der siebente Doktor klagte:

»Die Herzkonfi guration ist mitral.«

Der achte Doktor sagte:

»Ihr Röntgenbild ist durchaus normal.«

Der neunte Doktor staunte und sprach:

»Ihr Herz geht dreiviertel Stunden nach.«

Na ja.

Was nun der zehnte Doktor spricht,

das kann ich leider nicht sagen,

denn bei dem zehnten, da war ich noch nicht.

Ich werde ihn nächstens fragen.

Neun Diagnosen sind vielleicht schlecht,

aber die zehnte hat sicher recht.

Na ja.

Das Herz als Symbol findet sich auch in einer der wichtigsten bildlichen Darstellungen der Romantik. Caspar David Friedrichs (1774–1840) sehnsüchtiger Blick geht durch einen herzförmigen Ausschnitt zwischen zwei Kreidefelsen auf das Meer. Vor diesem Ausschnitt, also gleichsam auf dem Herzen, symbolisieren die farben Rot und Schwarz die beiden romantischen Leitmotive Liebe und Tod.

Statt eines Vorworts

Hilflos sitze ich am Bett meiner Tochter, innerlich aufgewühlt, kraft- und ratlos. Was soll nun, was muss geschehen? Kein Stein will mehr auf den anderen passen. »Ganz klein mit Hut« liegt meine Tochter im Bett, seit Tagen hat sie fast 41 Grad Fieber. Tapfer versucht sie, mit ihrer frechen Mütze cool zu bleiben. Erschrecken, Verwunderung, Angst verraten ihre Blicke. Eben haben uns die behandelnden Ärzte mitgeteilt: Verdacht auf Myokarditis – Herzmuskelentzündung. Ein Schock, von dem wir uns langsam erholen müssen, weiß ich doch aus eigener leiblicher Erfahrung, was die Diagnose bedeuten kann.

Meine Tochter war gerade aus Südamerika zurückgekehrt. Nach einer eitrigen Mandelentzündung entwickelte sich das Fieber, Tag für Tag, eine Woche lang. Keine Antibiotika zeigten Wirkung. Kurzfristige Entfieberung konnte nur durch fiebersenkende Mittel und Wadenwickel erzielt werden; eine nachhaltige und deutliche Fiebersenkung war erst durch Kortison in hohen Dosen zu erreichen.

Wie habe ich meine Tochter bewundert, wie sie tapfer kämpfend diese Fieberschübe mit beängstigendem Schüttelfrost und Schwitzen bei der Entfieberung durchgehalten hat, vier-, fünfmal am Tag. Dieses Leiden und die eigene Hilflosigkeit waren zum Weinen. Als Vater konnte ich die nötige ärztliche Distanz nur schwer, im Grunde gar nicht aufbringen. Ärzte unseres Vertrauens hatten die Behandlung mit Empathie, Gewissenhaftigkeit und Erfolg übernommen.

Die beginnende Herzmuskelentzündung wurde gestoppt, meine Tochter erst einmal zufrieden entlassen. Danach aber kamen die Fragen: Was ist eine Herzmuskelentzündung? Warum ist sie lebensbedrohlich? Welche Folgen kann sie haben? Was sind Herzrhythmusstörungen? Wie sieht eigentlich das Herz aus, und wie wird es versorgt? Wie ist das mit den Gefühlen und dem gelegentlich pochenden Herzen, den Angelegenheiten zwischen Herz und Seele? Welche Rolle spielen diese Zusammenhänge und besonders das Herz in der Gedankenwelt, der Philosophie, der Literatur, Kunst, Religion und Medizin unserer und anderer Kulturen?

Fragen über Fragen, die sich auch mir plötzlich auf eine ganz neue Weise stellten und auf die ich in diesem Buch nach Antworten suchen möchte. Dabei geht es mir nicht um eine Bereicherung der kardiologischen Fachliteratur und auch nicht der geisteswissenschaftlichen. Diesen Beitrag leisten andere, hochqualifizierte Wissenschaftler. Aber vielleicht kann meine durchaus persönliche Betrachtung dazu anregen, sich wieder etwas mehr und vor allem umfassender mit dem Herzen zu beschäftigen. Deshalb habe ich versucht, »eine andere Organgeschichte« zu erzählen, für mich und für alle, die ihr Herz verstehen wollen.

Wer aber einfach nur das ein oder andere nachschlagen möchte, kann in den dritten, vierten und fünften Teil des Buches schauen, wo einzelne Herzkrankheiten, Therapieansätze und Behandlungsmethoden noch einmal ausführlich erklärt werden. Auch Hinweise zur Selbsthilfe oder Verständnishilfen für das Lesen eines Beipackzettels finden sich dort. Auf die vielfältigste Weise will das Buch so immer wieder auftauchende Fragen beantworten. Und ganz bewusst werden dabei die Grenzen der medizinischen Wissensbereiche im engeren Sinne überschritten. Denn wer sich auf das Thema erst einmal einlässt, merkt schnell, dass es mit dem Herzen mehr auf sich hat, als wir Ärzte uns allein zu erklären vermögen. Auch als Therapeuten sollten wir uns psychologisch, philosophisch und kulturgeschichtlich beraten lassen, wenn wir verstehen möchten, was das heißt: In der Mitte … das Herz.

Dietrich Grönemeyer

Das Herz fühlt – eine Lebenserfahrung

Ich erinnere mich noch gut, welches Jubelgefühl, welche herzerfrischende Stimmung mich erfasste, als ich, ein kleiner Junge, zum ersten Mal das Lied »Geh aus mein Herz und suche Freud« hörte. Geradezu hineingerissen wurde ich von dieser Melodie. Einzelne Passagen konnte ich nach kurzer Zeit mitsingen: »Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide«. Es war, als wenn diese Musik mein Herz füllen und streicheln würde. Alles vibrierte, flimmerte; ein Zauber, der bis heute nichts von seinem Reiz verloren hat. Ein flüchtiger Gedanke daran, und wohlige Stimmung macht sich breit. Erste Herzensfreude, herüberstrahlend aus der Kindheit!

Oder Jahre später. Jeder kennt es, dieses phantastische Herzrasen, die glückliche Aufgeregtheit, wenn man sich zum ersten Mal verliebt. Ein Blick, Bruchteile einer Sekunde haben genügt, ein Empfinden der Glückseligkeit zu wecken. Von den Augen mitten ins Herz. Berauschende Freude nach dem erwiderten Lächeln und dazu »Wackelpuddingbeine«, Schmetterlinge im Bauch, trockener Mund und feuchte Hände: ein wundervolles Gefühl mit »mentalem Herzflimmern«, unvergesslich fürs Leben – wieder so eine Erfahrung, die Bleibendes stiftet, weil sie uns das Herz spüren lässt.

Irgendwann, in späteren Jahren, müssen wir dann aber auch die ganz andere Herzenserfahrung machen, Beklemmung, Druck und Angst. Das Berufsleben zumeist bringt dies in der modernen Welt mit sich. Überforderung, Ungerechtigkeit, Betrug treffen uns so, dass es einem im wahrsten Sinne des Wortes das Herz abschnürt. Jahrelang haben wir an einem Projekt gearbeitet, und plötzlich müssen wir erleben, wie ein anderer, einer, dem wir womöglich vertrauten, die Erfolge unter seinem Namen präsentiert, während wir noch vergebens nach den verschwundenen Unterlagen suchen. Viele müssen solche und ähnliche Erfahrungen immer wieder machen; und nicht immer sind unsere Herzen dem gewachsen. Vielfach reagieren sie mit Beklemmung, mitunter auch mit Infarkt, krankhaftem Herzflimmern oder Herzmuskelentzündungen. Das meiste davon lässt sich heute glücklicherweise wieder ausheilen. Was aber bleibt, ist die Erinnerung an den Druck auf Herz und Seele, an das schmerzhafte Empfinden in der Brust.

Ohne die Erfahrung von Liebe und Leid ist unser Herz nicht zu verstehen. Als bloßer Muskel lässt es sich nicht behandeln. Auch als Ärzte werden wir immer wieder daran erinnert. Erschüttert denke ich daran, wie mein Vater schrie, nachdem mein Bruder, der zweite von uns dreien, in seinen Armen gestorben war. Vergebens hatten wir versucht, seine Leukämie zu besiegen. Der Medizin waren Grenzen gesetzt. Damals musste ich schweren Herzens erkennen und verstehen lernen, dass leben zu dürfen eine Gnade und Sterben unser ständiger Begleiter ist. Am Ende hat das mein Herz erleichtert und befreit. Das Herz meines Vaters aber blieb gebrochen. Der Verlust hinterließ bis zu seinem baldigen Tod einen flimmernden Herzschmerz. Erst allmählich konnten wir das verstehen.

Auch dank solcher Erfahrungen weiß ich heute, dass unser Herz nicht nur eine Pumpe ist, so wie wir es in der medizinischen Ausbildung lernen. Als ein sogenanntes psychosomatisches Organ reagiert es auf seelische Erschütterungen, auf positiven oder negativen Stress. Es schlägt den Takt des Lebens in einem sehr viel umfassenderen Sinn. An ihm hängen Anfang und Ende, auch wenn uns das oft erst in der Not bewusst werden mag. Wer einmal am Bett eines Herzkranken gesessen hat, weiß, wie viele Fragen da plötzlich auftauchen und dass dem Patienten, dem Menschen, mit anatomischen Erklärungen allein nicht geholfen ist. Wenn jemand beispielsweise Tage um Tage mit 41 Fieber gerungen hat, weil er eine Herzmuskelentzündung hatte, will er danach nicht nur hören, dass es sich um eine Myokarditis handelte, nicht bloß erfahren, welche Ursachen und Folgen das haben könnte, er will auch wissen, was das Herz überhaupt ist, was es mit unserer Seele und den Gefühlen, dem Glück der Liebe und mit den Ängsten des Todes zu tun hat. Seit Jahrtausenden schon kreisen die Gedanken der Menschen um diese Fragen, in der Philosophie, in der Kunst sowie in der Literatur und natürlich in der Medizin. Keine Kultur, in der der Herz-Kult nicht eine zentrale Rolle spielt, in der das Herz nicht in die Mitte des Lebens rückte. Wer vom Herzen spricht, berührt immer das Ganze und den Einzelnen zugleich, Empfindung und Verstand zusammen.

Das Organ hat seine eigene Geschichte. Und wer sie verstehen will, der muss die Grenzen der Naturwissenschaft überschreiten. Denn wir Menschen leben nicht nur vom Schlag unseres Herzens, wir fühlen es auch, wir spüren, dass es lachen und weinen, Purzelbäume schlagen oder zerreißen kann. Jeder erfährt das auf seine Weise durch Freude, Liebe, Schmerz und Leid. In zahllosen Kunstwerken, in Bildern, in Versen und Romanen ist diese Erkenntnis aufgehoben. Nur die Wissenschaft hat dies lange nicht wahrhaben wollen. Zum Glück aber gibt es unterdessen auch hierzu neueste Studien, die nun sogar naturwissenschaftlich beweisen: Das Herz fühlt!

Paul Klee (1879–1940), Herzdame. Das Gemälde entstand 1922 und hängt heute in Luzern (Sammlung Rosengart).

Teil I

In der Mitte das Herz

Alles kommt vom Herzen her

Die Funktionsweise des gesunden Herzens

Das Herz ist die leibliche und die psychische, auch die mythische Mitte unseres Lebens, der Motor des Daseins, das gefühlte Zentrum des Ichs, der Seele und der Leidenschaft. Herz und Gefühl, Liebe, Freude und Schmerz gehören für uns zusammen. Über alle Grenzen hinweg besteht hier ein seltener Gleichklang der Kulturen seit Anbeginn. Seit jeher hat das Herz die Phantasie der Menschen beschäftigt, galt es ihnen als Symbol des Lebens und der Stärke. Bereits in steinzeitlichen Höhlenmalereien finden wir symbolische Andeutungen des Herzens, zum Beispiel im spanischen Altamira auf der Höhlenzeichnung eines Stieres oder auf den Fresken von El Pindal.

Schon in der Frühgeschichte und bei den Naturvölkern rankten sich Mythen und magische Rituale um das Herz, gab es erste Worte für das treibende Organ des Lebens. Die Indianer aus dem Mato Grosso in Brasilien sollen sogar über zwei verschiedene Worte für das Herz verfügt haben, über eines für das eigene und ein zweites für das Herz der anderen. Menschliche Beziehungen wurden als Herzensangelegenheit begriffen. Bei Freunden konnte man von der Kraft des Herzens profitieren, bei Feinden musste man sie fürchten und besiegen. Deshalb zelebrierten Naturvölker wie die Sioux-Indianer oder die Aschanti in Westafrika rituelle »Herzmahlzeiten«. Um die eigene Kraft, die körperliche und die geistige, zu verdoppeln, wurden die Herzen der Gegner verzehrt. Künstlerisch sublimiert, ohne den kannibalischen Vollzug, lässt sich dieser mythische Gehalt noch in der christlich-abendländischen Kultur finden. Siegfried etwa, auch der strahlende Held des »Nibelungenlieds«, kann die Sprache der Vögel erst verstehen, nachdem er das Herz des Drachen Fafnir verschlungen hat, wie man in der nordischen »Edda« lesen kann.

Das angeblich erste Herzmotiv der Weltgeschichte in den Höhlen von El Pindal in Spanien. Angeblich deshalb, weil es inzwischen Anlass zu der Vermutung gibt, dass ein begeisterter Forscher die Konturen im vorigen Jahrhundert mit roter Farbe nachgezeichnet, wenn nicht gar selbst eingefügt hat.

Wer das Herz hat, dem gehört das Leben; und was er tut, das liegt ihm nachher auch »auf dem Herzen«, wie wir heute noch sagen. Philosophisch begründet wurde die Vorstellung schon von den alten Ägyptern. Für sie war das Organ nicht nur ein Muskel, sondern das Zentrum der Gefühle, der Vernunft sowie der Schuld, die man womöglich auf sich geladen hatte. Als herzlos galt, wer nichts von Wahrheit und Gerechtigkeit wissen wollte. Bei der Mumifizierung wurde das Herz, anders als die übrigen inneren Organe, dem Toten mit auf die Reise ins Jenseits gegeben. Vor dem Eintritt in die Ewigkeit sollte es von dem Totenrichter Osiris gewogen werden. War es zu schwer mit Schuld beladen, drohten Strafen in der Unterwelt: ein Mythos, den nachfolgende Kulturen auf vielfältige Weise adaptierten. Noch in der mittelalterlichen christlichen Volksreligion wurde der Brauch des »Seelenwiegens« gepflegt. Auch in den uralten Veden, den religiösen Dichtungen der Inder, ebenso wie in Homers »Ilias« oder den Glaubensvorstellungen verschiedener Kulturen, im Judentum, im Islam, im Buddhismus, in den unterschiedlichsten Denkmodellen und Welterklärungsversuchen wird unser Bewusstsein, das menschliche Selbstverständnis, mit dem Herzen verbunden. Deshalb auch ließen seit dem frühen Mittelalter Aristokraten über viele Jahrhunderte ihren Körper und das Herz getrennt bestatten. In Deutschland geschah das zum letzten Mal 1954 nach dem Tod der bayerischen Kronprinzessin Antonie von Luxemburg, deren Herz in Altötting begraben liegt. Geradezu nationalmythische Bedeutung erlangte im 19. Jahrhundert die Heimholung des Herzens von Frédéric Chopin (1818–1849): Während sein Körper auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris begraben ist, ruht sein Herz in der Warschauer Heiligkreuzkirche.

Die Gehirne berühmter Menschen werden nach ihrem Tod bisweilen präpariert, um sie für die Forschung aufzubewahren. Mit dem Herzen dagegen pflegt die Nachwelt einen eher rituellen Umgang. Denn, so sagt Arthur Schopenhauer (1788–1860): »Im Herzen steckt der Mensch, nicht im Kopf.« Das »primum mobile« des Organismus, wie es Schopenhauer nennt, ist zur Metapher des Menschseins schlechthin geworden. Aus ihm beziehen wir die menschliche Orientierung, lange bevor der Kopf, die Ratio, unser Handeln und Verhalten zu bestimmen vermag. »Selbst in dem Leibe des Menschen/Gilt das Herz vor der Hand; die belebende Kraft ist im Herzen«, heißt es in den »Metamorphosen« des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr. – 17 n. Chr.). Anders gesagt: Am Anfang war nicht das Wort, sondern das Herz, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Oft unterscheiden die Philosophen daher die Logik des Herzens vom scharfen Verstand. Selbst der Aufklärer Immanuel Kant (1724–1804), Präzeptor der kritischen Vernunft, schrieb, dass »das Herz dem Verstande die Vorschrift« gibt.

Hippokrates (um 460-370 v. Chr.), dem wir als Ärzte bis heute durch unseren Eid verpflichtet sind, hatte um 400 v. Chr. das Gehirn als das Organ des Verstandes ausgemacht, nachdem es zuvor als bloßes Füllwerk, als eine müllartige Absonderung anderer Organe angesehen worden war, doch war damit der Ort der Seele noch nicht bestimmt – nicht unter den Ärzten. Dieses Problem bedurfte philosophischer Lösung, etwa durch Platon (427–348/47 v. Chr.), der einen Kompromiss fand, indem er die niederen seelischen Eigenschaften in Bauch und Unterleib, die Vernunft und unsterbliche Seele im Kopf, den Mut und die Gefühlswelt aber im Herzen verortete. Diese Drei-Seelen-Lehre wurde erst durch seinen Schüler Aristoteles (384-322 v. Chr.) modifiziert. Der griechische Rationalist machte das Herz zum existentiellen Mittelpunkt des Menschen, wo wir bis heute den Sitz der Seele vermuten.

Die Überzeugung von der gestaltenden Kraft des Herzens gehört sozusagen zu den weltanschaulichen Prämissen der Menschheit. Jede Epoche, jede Kultur hat dieser aus der Erfahrung erwachsenen Erkenntnis auf ihre Weise Ausdruck verliehen. Weiter noch als die Ägypter, für die das Herz der Knoten war, der das Jenseits, das Göttliche und die Menschen verbindet, dachten die Inder, wenn sie glaubten, das Herz sei ein unendlicher Raum, in dem »der Herr des Weltalls« wohne und die Seele die Welt schaffen würde. Das Gleiche drückte auch Augustinus (354–430) in einem ganz anderen Kulturkreis aus, als er davon sprach, dass »die Liebe und das Licht Gottes in unsere Herzen« gegossen sei. In einem Gemälde von Stefan Lochner hält der Kirchenvater symbolisch »das Herz der Liebe« in der Hand.

Stefan Lochner (1400–1451), Die Heiligen Ambrosius, Cäcilia und Augustinus: Das Herz des Augustinus wird vom Liebespfeil Gottes durchbohrt.

Da wie dort, bei den Denkern des Altertums wie bei denen der jüngeren Geistesgeschichte, wurde und wird dem Herzen die höhere Vernunft, die Offenbarung des Menschlichen, die eigentliche, die »Herzensbildung« zugeschrieben. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), ein Zeitgenosse Kants, ging bei seinen Überlegungen davon aus, dass das fühlende Herz, insbesondere die Liebe und Leidenschaft, der »theoretischen Vernunft« überlegen sei. Das Prinzip sittlicher Orientierung sei nicht durch Morallehren erkennbar, sondern angeboren. Gott verlangt das Diktat des Herzens. Ganz ähnlich Voltaire (1694–1778), der seinem Leser zurief: »Bedenke, dass die ewige Weisheit des Allerhöchsten mit eigener Hand deinem innersten Herzen die natürliche Religion eingeprägt hat.«

Wesentliche Impulse unseres Handelns kommen nach den Vorstellungen vieler Kulturen aus dem zentralen Organ des Le bens, aus dem denkenden sowie aus dem fühlenden Herzen. Diese Einheit ist existenzbestimmend vom Anfang bis zum Ende, individuell und in unserem Verhältnis zueinander. Das Herz als Organ hat eine Bedeutung, die weit über das naturwissenschaftlich Fassbare hinausgeht. Reagierte es doch ständig und bisweilen durchaus bedrohlich auf emotionale Reize. Dass da nicht nur symbolische Verbindungen bestehen, haben Ärzte und Psychologen wie Sigmund Freud (1856–1934) oder C. G. Jung (1875–1971) Anfang des vorigen Jahrhunderts herausgefunden. Nicht zuletzt mit den Mitteln der Psychoanalyse konnten sie nachweisen, dass Gefühle und Gedanken oder gar traumatische Ereignisse, selbst wenn sie aus der Kindheit herrühren, sowohl das Bewusstsein als auch das Unbewusste beeinflussen und seelische sowie körperliche Reaktionen auslösen – negative, die der Behandlung bedürfen, aber auch positive, die wir uns viel zu selten bewusst machen.

Wenn wir ein anderes Herz direkt schlagen hören, regelmäßig und unbeirrbar, wenn wir es gar Haut an Haut spüren können, beruhigt uns das ungemein und schafft sofort ein Gefühl der Nähe und Geborgenheit. Als Fötus lagen wir unter dem Herzen der Mutter, geschützt und in Sicherheit; nach der Geburt lagen wir ihr am Herzen. Die emotionale Erinnerung dar – an begleitet uns ein Leben lang. Und immer dann, wenn wir jemandem so nahe kommen – körperlich oder seelisch –, dass wir seinen Herzschlag spüren oder hören, fühlen wir uns plötzlich wieder geborgen und froh, wie immer es uns sonst eben gehen mag. Überschäumende Fröhlichkeit erfasst uns in den Momenten glücklicher Verliebtheit, wenn unsere Herzen synchron zu schlagen beginnen, die Seelen im Gleichklang schwingen, zwei Menschen »ein Herz und eine Seele« sind.

Nur das eigene Herz, das kann man selbst nie schlagen hören, auch wenn man manchmal meint, es klopfe einem »bis zum Hals«. Was es mit diesen Tönen auf sich hat, ob und wann sie Anlass zur Sorge geben sollten, muss der Arzt mit dem geräuschverstärkenden Stethoskop heraushören, auskultieren, wie wir in der Medizin sagen. Bei keiner Untersuchung sonst lässt sich unmittelbarer erfassen, was uns erweckt und am Leben erhält. Dabei hatte sich der Anstoß zur Entwicklung dieses nützlichen Geräts eher zufällig ergeben, aus der Prüderie des 19. Jahrhunderts. Damals nämlich war es keineswegs üblich, dass man Patienten, geschweige denn Frauen, nackt untersuchte. In Pariser Krankenhäusern schüttelte man die Patienten und klopfte ihnen heftig auf die Brust bei Verdacht auf Wasseransammlung in der Lunge oder legte bei intensiver Lungenuntersuchung vielleicht einmal das Ohr auf den Rücken und den seitlichen Brustkorb. So geriet der französische Arzt René Théophile Laennec 1816 in eine Zwickmühle, als er eine hübsche junge Frau mit großem Busen auf Herz und Lunge untersuchen musste. Ihre Oberweite und das darüber liegende Leinenhemd machten eine Klopfschalluntersuchung (Perkussion) des Herzens, wie sie seit 1761, erfunden von dem Wiener Arzt Leopold Auenbrugger (1722–1809), üblich war, unmöglich. Laennec selbst umschrieb die Situation später sehr diplomatisch: »Da sie [die Patientin] recht beleibt war, ließen sich mit dem Abklopfen des Brustraumes mit der Hand keine Erkenntnisse gewinnen. Das Alter und Geschlecht der Patientin erlaubten es mir nicht, die von mir oben beschriebene Untersuchung durchzuführen. Doch fiel mir in dieser Situation ein bekanntes akustisches Phänomen ein: dass man nämlich, wenn man das Ohr an das Ende eines Holzbalkens legt, noch das leise Kratzen einer Nadel am anderen Ende hören kann. So verfiel ich darauf, dass dieses physikalische Phänomen mir im vorliegenden Falle von Nutzen sein könnte.« Da er sein Ohr nicht einfach auf die Brust der Dame legen konnte – das wäre schlicht ein Skandal gewesen –, rollte Laennec ein Papierheft zum Trichter: Das Stethoskop, wörtlich übersetzt »Brustspion«, war erfunden. Schnell wurde dann das Papier durch einen Glaszylinder ersetzt und später mit einer Scheibe, einer Membran und zwei Schläuchen zum Weiterleiten des Schalls ausgestattet. Heute gehört das Stethoskop zu den Statussymbolen der Ärzte, ist es zum Zeichen ihrer medizinischen Kunst geworden.

Auf dem Gemälde von Théobald Chartran legt der französische Arzt und Erfinder des Stethoskops René Laennec (1781–1826) sein Ohr an den Brustkorb eines Patienten, um dessen Herz abzuhören.

Eine fast wartungsfreie Pumpe

Schlag um Schlag hält das Herz den Kreislauf des Lebens in Gang. Durch rhythmische Kontraktionen, durch den Wechsel von Systole und Diastole, Anspannung und Entspannung, pumpt es große Mengen Blut durch den Körper und die Lunge, versorgt so Muskeln, Gehirn, Organe und Gewebe. Der lebensnotwendige Sauerstoff oder Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße, Mineralien und Vitamine werden zu den Zellen getragen, Abfallprodukte abtransportiert. Unaufhörlich, ohne Unterbrechung muss dieser Kreislauf in Bewegung gehalten werden – einzig und allein durch das pumpende Herz. Es ist eins der ersten Organe, die in der Entwicklung des Embryos angelegt werden. Selbst wenn auf dem Ultraschallbild noch nicht mehr zu sehen ist als eine zuckende Ansammlung sich teilender Zellen: Das Herz schlägt schon ruhig, rhythmisch und fortdauernd.

Wer das im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung auf dem Monitor beobachten kann, wird von Staunen und nicht selten von einem Gefühl atemloser Andacht ergriffen. Gut erinnere ich mich an den Schauer, der mir über den Rücken lief, als ich zum ersten Mal meinen noch ungeborenen Sohn, dieses winzige Wesen mit seinem pulsierenden Herzen, auf einem Bildschirm sah. Damals war ich noch Student; und später habe ich es auch als Radiologe immer wieder erlebt: Niemand kann sich der Faszination dieses menschlichen Werdens entziehen. Vor allem der Herzschlag der Mütter macht meist spürbare, wenigstens empfundene Sprünge des Glücks beim Anblick dessen, was da in ihnen, in der Geborgenheit ihres Leibes zu leben beginnt, angetrieben von einem noch unvorstellbar kleinen Motor, dem Herzen.

Maria mit dem Kind –

ein zentraler Bestandteil katholischer Theologie, der anders als in der evangelischen Kirche der Weiblichkeit Ausdruck verleiht. Hier in einer zeitgenössischen Madonnendarstellung von Egbert Nocke, in der der Kopf des Kindes im Herzen der Mutter liegt. Mutter und Kind sind ein Herz und eine Seele, so könnte man meinen.

Gläubige wie weniger gläubige, selbst ungläubige Menschen fühlen sich für Momente von einem Wunder der Schöpfung ergriffen, heute mehr denn je, da uns moderne bildgebende Verfahren wie die Ultraschalluntersuchung Einblicke erlauben, wie man sie sich früher nicht vorzustellen wagte. Dass dabei auch eine gewisse Vorsicht geboten ist, weil wir bisher nicht wissen, wie beispielsweise die hohen Schallwellen langfristig auf die Zellen im Allgemeinen und auf die Entwicklung des Gehörs im Besonderen wirken, sollte man bedenken.

Ohne unser Zutun entwickelt sich das Herz (lateinisch cor, griechisch kardía), soweit es denn gesund ist, zu einem kräftig agierenden Muskel. Denn nichts weiter ist dieses Organ rein anatomisch betrachtet. Anders jedoch als die Bein- oder Armmuskulatur können wir seine Tätigkeit nicht bewusst steuern. Selbsttätig erfüllt der Herzmuskel seine wesentliche Aufgabe: Blut zu pumpen. Deshalb bezeichnen wir das Herz umgangssprachlich gern als »Pumpe«. »Mit meiner Pumpe ist etwas nicht in Ordnung«, sagen wir, wenn wir körperlich Herzphänomene wie unregelmäßige Schläge wahrnehmen, oder »das ist mir auf die Pumpe geschlagen«, wenn wir unangenehme Ereignisse mit dem Herzen zu spüren meinen. Schließlich ist dieser robuste Muskel, diese Pumpe, auch ein besonders empfindsames Organ. Das Herz kann uns vor Angst »in die Hose rutschen« oder vor Traurigkeit schmerzen. Auch auf Freude, Liebe und Hass oder auf Wut reagiert es mit empfindlichen Ausschlägen, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Der Mutige spürt »Herzensstärke«, der Unsichere zittert vor »Herzensangst«. Dies, die Wechselfälle des Lebens zu verkraften, ist die zweite große Aufgabe des Herzens. Auch dafür brauchen wir das starke Zentrum unserer Existenz; darauf muss Verlass sein.

Allerdings hat sich diese Erkenntnis psychosomatischer Zusammenhänge im medizinischen Alltag erst langsam und nicht selten gegen erhebliche Widerstände durchsetzen müssen. Manchmal schien es fast, als würde die gesamte Menschheitserfahrung geradezu ausgeblendet. Ungeachtet dessen, was jene, die sich mit der Seele befassten, über deren Verbindung mit dem Herzen im Laufe der Geschichte herausgefunden haben, versteifte sich die Schulmedizin gerade in der jüngeren Geschichte auf eine rein naturwissenschaftliche Auffassung unseres zentralen Organs. Zu einem war das sicher eine der üblichen Abwehrreaktionen gegenüber dem Neuen, Unbekannten, in diesem Fall der Psychologie und der Psychoanalyse; zum anderen mag es, insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch aus der Hoffnung resultiert haben, sich mit dem immer rascheren naturwissenschaftlichen Fortschritt einer gleichsam mathematisch zuverlässigen Diagnostik und Behandlung annähern zu können. Nur noch das Messbare, das apparatemäßig Erfassbare sollte gelten. Doch wie auch immer, auf jeden Fall haben sich die Erkenntnisse über den Zusammenhang von Psyche und Herzfunktion – das muss ich auch als bekennender Schulmediziner festhalten – langsamer durchgesetzt, als es im Interesse der Patienten wünschenswert gewesen wäre. Erst 1949 wurde unter Leitung von Alexander Mitscherlich (1908–1982) in Heidelberg die erste deutsche Abteilung für psychosomatische Medizin gegründet. Wenig später entstand die biopsychosoziale Richtung der Medizin, wesentlich begründet durch Thure von Uexküll (1908–2004). Dass sie bis heute unterschätzt wird, ist wiederum kritisch anzumerken.

Doch der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, schon gar nicht in der Medizin. Seit kurzem gibt es die Disziplin der Psychokardiologie, ein medizinisches Fachgebiet, das die klassische Kardiologie mit der Psychologie vereint. Vor wenigen Jahren noch als Hokuspokus abgetan, finden neueste Studien dazu heute immer mehr Gehör. Spektakuläre Erkenntnisse und praktische Ergebnisse lassen auch hartgesottene Skeptiker umdenken. Ein Beispiel: Frauen, meist nach den Wechseljahren, können an einem sogenannten Broken-Heart-Syndrom (gebrochenes Herz) erkranken. Sie erleben dann die gleichen Vernichtungsgefühle und körperlichen Reaktionen wie bei einem Herzinfarkt, ohne dass bei der Herzkatheteruntersuchung die entsprechenden Durchblutungsstörungen der Gefäße zu finden sind. Auch der Herzmuskel zeigt sich weitgehend unauffällig. Nur die linke Herzkammer erweitert sich spontan. Der Ausfluss der Hauptschlagader erscheint relativ verengt, da sich die Herzspitze wie eine Aussackung (Aneurysma) erweitert und zu wenig Blut ins Gefäßsystem gepumpt wird. Tako-Tsubo wird dieses Krankheitsphänomen auch genannt, weil japanische Forscher, als sie das Phänomen entdeckten, die Form der betroffenen Herzen an eine kugelförmige Tintenfischfalle erinnerte. Ausgelöst wird die Erkrankung durch psychische Dauerbelastung oder ein plötzliches negatives Ereignis, das dazu führt, dass der Herzmuskel mit Stresshormonen überflutet wird. Die Folge: Der Muskel erlahmt und »leiert« aus. Es kommt zu den beschriebenen Störungen bei der Blutversorgung. Dass solche Attacken »nur« seelisch bedingt sind und meist glimpflich verlaufen, ändert nichts an dem Erleben von Bedrohung und den Angstzuständen der Patientinnen. Sind sie doch im Zentrum ihres Körpers getroffen: an der Pumpe, die alles versorgt – am fühlenden Herzen, in der menschlichen Mitte.

Das Zentrum und der ewige Fluss

Wann immer etwas zu bezeichnen ist, das zentrale Bedeutung hat, belegen wir es mit dem Bild des Herzens. Jede Kultur, jedes Staatswesen, jede Familie, jede Gemeinschaft besitzt ein Herz im übertragenen Sinn. Gesellschaften werden davon geprägt und entsprechen dem mit ihren Ritualen. Seit Menschengedenken wird das Zentrum der Macht als das Herz der Gemeinschaft begriffen. Baulich ist es meist im Herzen einer Stadt angesiedelt. Dass die meisten Hauptstädte, die pulsierenden Zentren der Länder, dann doch nicht in der geographischen Mitte liegen, müssen wir bei näherem Hinsehen oft mit Erstaunen feststellen. Die spontane Vorstellung will es so: Herz und Mitte gehören für uns zusammen, obwohl das anatomisch gesehen bestenfalls annähernd zutrifft. Schlägt doch das Herz eher links von der Mitte, hinter dem Brustbein auf Höhe der zweiten bis fünften Rippe, eingebettet in den Herzbeutel, der aus Bindegewebe besteht. Seitlich grenzen der rechte und der linke Lungenflügel an das Herz, unterhalb ist der Herzbeutel mit dem Zwerchfell verwachsen.

Das Herz sitzt in der Regel leicht nach links versetzt hinter dem Brustbein und ist durch den knöchernen Brustkorb vor äußeren Einflüssen geschützt. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich die großen Gefäße, die Lunge, das Zwerchfell, die Leber und die Milz.

Das Herz selbst ähnelt nur annähernd seiner symbolischen Darstellung. Es hat die Form eines etwa männerfaustgroßen, asymmetrischen Kegels, spitz nach unten zulaufend. Die deutlich erkennbare Asymmetrie wird von den beiden Herzhälften bestimmt. Das Gewicht des Herzens beträgt bei einem gesunden Erwachsenen gut 300 Gramm. Das schwerste Herz, von dem wir wissen, wurde 1854 entdeckt und wog über zwei Kilo. Meist liegt das Gewicht von vergrößerten Herzen aber deutlich darunter, zwischen 1300 und 1500 Gramm. Im Gegensatz zur herkömmlichen Meinung sind diese extrem vergrößerten Herzen aber keine »Sportlerherzen«, sondern Resultate krankhafter Prozesse, Spätfolgen von Streptokokken-Angina, Rheuma, Syphilis oder Herzschwäche. Das Sportlerherz ist dagegen nicht krankhaft. Meist schlägt es ein Leben lang ausdauernder als andere Herzen, ist doch der Muskel kräftiger und leistungsfähiger, dank kontinuierlicher sportlicher Belastung. Plötzliche Todesfälle wie der des berühmten Radprofis und Tour-de-France-Gewinners Marco Pantani 2004 sind trotz anders lautender Berichte meist nicht auf ein Sportlerherz zurückzuführen, sondern auf unklare plötzliche Herzstillstände (sudden cardiac death), verursacht beispielsweise durch Rhythmusstörungen bei Überlastung, durch nicht ausgeheilte Vireninfektionen oder durch Medikamentenmissbrauch, sprich Doping. Bei Pantani war es wohl Kammerflimmern durch Kokainabusus. Aber auch anabole Steroide wie das männliche Geschlechtshormon Testosteron, das fatalerweise immer noch genommen wird, wenn man sich ein schnelleres Muskelwachstum erhofft, können zum Herztod führen, da sie den Herzmuskel und seine Funktion nicht unbeeinflusst lassen.

Aufgebaut als ein Hohlmuskel, besteht das Herz aus zwei Hälften, der rechten und der linken, die beide wiederum in eine Vor- und eine Hauptkammer geteilt sind – genauer: in den Vorhof und die Kammer. Zwischen den Hälften liegt die Herzscheidewand, die sich dann nochmals in die Vorhofscheidewand und die Kammerscheidewand unterteilt.

Schematischer Schnitt durch das Herz bei geschlossenen Vorhofkammerklappen. Vorhöfe (grün hervorgehoben), Kammern mit Klappenaufhängungen schließen an.

Das Blut fließt in jeder Herzhälfte nur in eine Richtung – nicht durch die Scheidewand in die rechte oder die linke Herzhälfte. Zwischen den Vorhöfen und den Kammern sowie den sich an die Kammern anschließenden Gefäßen befinden sich insgesamt vier Herzklappen, die man sich wie Rückschlagventile vorstellen kann. Sie regeln das Ein- und Ausströmen des Blutes. Die Herzscheidewand wiederum verhindert, dass ankommendes sauerstoffreiches und abfließendes kohlendioxidreiches Blut vermischt werden.

Das heißt: Aus der Lunge fließt durch vier Lungenvenen mit Sauerstoff angereichertes (arterielles) Blut in den Vorhof der linken Herzhälfte. Von dort aus gelangt es durch die Mitralklappe in die linke Kammer. Die Mitralklappe hat ihren Namen erhalten, weil ihre Form der liturgischen Kopfbedeckung von Bischöfen – der Mitra – ähnelt. Anschließend strömt das Blut durch einen Ausflusstrakt, die Aorten- oder Taschenklappe und die Hauptschlagader (Aorta), in den großen, den Körperkreislauf und von dort weiter ins Gewebe und die Organe. Hier wird dem Blut – genauer den roten Blutkörperchen – der Sauerstoff zum Funktionieren der Körperprozesse entzogen. Beim Verbrauch in den Zellen entsteht als Abfallprodukt unter anderem Kohlendioxid (CO2). Das nunmehr sauerstoffarme und kohlendioxidreiche (venöse) Blut, das dann aus dem Körper in die rechte Herzhälfte zurückkommt, fließt zunächst in den Vorhof, danach durch eine weitere Klappe, die den Vorhof von der Kammer trennt. Mit drei Segeln verhindert diese Trikuspidalklappe den Rückfluss des Blutes in dem rechten Vorhof. Anschließend wird das Blut zur erneuten Anreicherung mit Sauerstoff in den kleinen, den Lungenkreislauf gepumpt. Um dieses System ohne Unterbrechung in Bewegung zu halten, muss der Herzmuskel Kräfte freisetzen, mit denen man auch ein kleines Wasserkraftwerk betreiben könnte. Immerhin beträgt die durchschnittliche Pumpleistung 7200 Liter pro Tag, ca. 2,5 Millionen Liter im Jahr, 180 Millionen Liter in einem siebzigjährigen Leben; und das alles bei meist wartungsfreiem Betrieb.

Das Herz-Kreislauf-System

Die Musik des Herzens

Wo so viel Bewegung herrscht, entstehen Schwingungen, die sich auf die Brustkorbwand übertragen, so dass wir sie als Herztöne, als akustische Signale der Herzaktion, wahrnehmen können. Im Normalfall hört der Arzt dabei zwei Töne. Der eine ist dumpf und kommt zustande, wenn sich die Muskulatur zusammenzieht. Der zweite ist lauter und kürzer. Er entsteht, wenn die Blutsäule gleich nach dem Schließen der Taschenklappen in den Gefäßen vibriert. Mit Hilfe eines besonderen elektronischen Stethoskops lassen sich aber manchmal sogar bis zu vier Herztöne unterscheiden. Bei dem dritten Herzton hört man das in die Herzkammer einströmende Blut, der vierte ist nur selten als Ton der Kontraktion, des Zusammenziehens der Vorhofmuskulatur, wahrzunehmen. Sind außer diesen noch weitere Geräusche zu hören, lässt dies auf Veränderungen der Herzfunktion schließen. So ist zum Beispiel bei einem Geräusch in der Diastole, der Ruhephase des Herzens, ein Defekt der Herzklappen zu vermuten, etwa nach einer antibiotisch unzureichend behandelten Streptokokken-Angina mit anschließender Herzinnenhautentzündung (Endokarditis).

Das gesunde Herz indessen schlägt gleichmäßig, bei einem Erwachsenen normalerweise zwischen 60- und 80-mal pro Minute, 100000-mal am Tag, 36 Millionen Mal im Jahr und 2,5 Milliarden Mal während eines siebzigjährigen Lebens. Dabei sorgt die genau abgestimmte Abfolge von Kontraktionen oder Schlägen in den Vorhöfen und Kammern dafür, dass pro Schlag jeweils ca. 80 Milliliter Blut in den Körper und Lungenkreislauf gepumpt werden. Wenn man davon ausgeht, dass das Herz in einer Minute durchschnittlich 70 Mal schlägt, kann man leicht ausrechnen, dass pro Minute mehr als fünf Liter Blut transportiert werden, was in etwa dem gesamten Blutvolumen des Körpers entspricht. Macht man sich gar die Pumpleistung in einer Stunde klar, so sind es ca. 336 Liter, die der Herzmuskel bewegt. Und das ist noch nicht alles. Denn die Pumpleistung erhöht sich bei körperlicher Anstrengung deutlich, bis auf das Fünffache unter extremen Umständen. Wie alle Muskeln muss das Herz, um diese Leistung erbringen zu können, auch selbst ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt werden. Das übernehmen die Herzkranzgefäße (Koronargefäße). Sie entspringen aus dem Anfangsteil der Hauptschlagader knapp oberhalb der Aortenklappe, die den Blutfluss aus der linken Herzkammer regelt. Als rechte und linke Herzkranzarterie verzweigen sie sich über den gesamten Herzmuskel.

Herzkranzgefäße: arteriell (rot), venös (blau).

Antrieb aus dem Nichts

Je genauer man sich das Herz anschaut, desto mehr erstaunt seine perfekte Konstruktion, ein verblüffend einfaches Funktionssystem und zugleich ein raffiniert gebautes Organ, Hightech der Anatomie, wenn man so will. Und ein ungelöstes Rätsel der Entwicklungsgeschichte noch immer. Bis heute wissen wir nicht wirklich, wie denn der Sinusknoten, der verborgene Taktgeber des Herzens, gestartet, wie und wodurch er programmiert wird. Es scheint, als seien uns der Herzschlag und sein Rhythmus geschenkt, woher und von wem auch immer. Arthur Schopenhauer gab seinerzeit eine metaphysische Erklärung: »Unermüdlich ist allein das Herz; weil sein Schlag und der Blutumlauf nicht unmittelbar durch die Nerven bedingt, sondern eben die ursprüngliche Äußerung des Willens sind.« Dieser Wille aber ist wiederum das nicht fassbare Prinzip einer idealistischen Philosophie. Eine »von Gott dem Menschen eingepflanzte Urkraft«, wie es der Amsterdamer Arzt, Chemiker und Naturforscher Johan Baptista van Helmont (1579–1644) definierte. Kann das sein? Oder wird der Herzschlag etwa durch eine vis vitalis, die in vielen Kulturen vermutete Lebenskraft, das Qi, die »Lebensenergie« des chinesischen Taoismus, erzeugt?

In den Nerven sei sie zu finden, die Lebenskraft, formulierte William Cullen (1710–1792), ein schottischer Arzt, der im 18. Jahrhundert den Begriff der Neurose prägte. Möglicherweise ist es aber auch unser vegetatives Nervensystem, das durch Spannung und Entspannung wie ein Uhrwerk unser Herz bewegt. Dagegen spräche freilich, dass ein aus dem Körper entnommenes Herz längere Zeit noch schlägt, obwohl Nerven und Gefäße abgetrennt wurden. Das autonom schlagende Herz, vielleicht doch ein Lebewesen, das eigenständig »lebt und spricht«, wie die ägyptischen Priester dachten? Haben die Azteken deshalb in rituellen Opferzeremonien Jünglingen das Herz herausgerissen – zu Ehren ihrer Gottheiten?

Fragen über Fragen und keine bündige Erklärung bisher für das Schlagen des Herzens. Entzieht sich dieses Phänomen unserem Verstand? Wird dieser Rhythmus womöglich außerhalb von uns erzeugt, durch Anziehungskräfte, wie wir sie bei Ebbe und Flut kennen? Oder ist das Herz ein sich selbst organisierendes autarkes System im menschlichen Körper, das sich kontinuierlich regeneriert, im Sinne der Chaostheorie Ordnung aus der Unordnung schafft? Ein eigener Kosmos, der über ein eigenes vernetztes Nervensystem verfügt, das vom Gehirn unabhängig ist, sich mit notwendigen Mikronährstoffen versorgt und diese speichert, gar über eine eigene Hormonproduktion verfügt oder im Bindegewebe Elektrizität erzeugt und, wie moderne Neurokardiologen annehmen, ein eigenes Gehirn, ein Herzgehirn besitzt, das fühlt, speichert und steuert?

Keiner weiß es bisher, keiner kann es sich erklären. Und dennoch geschieht immer das Gleiche: Kaum haben sich eine Eizelle und ein Spermium verbunden, beginnen schon nach wenigen Tagen einige Zellen zu pulsieren. Der Sinusknoten startet das Leben und hält es von nun an in Bewegung, nicht nur fortdauernd, sondern auch angepasst an die jeweiligen Lebensumstände. »Unwillkürlich« reagiert er auf unterschiedliche Beanspruchung und Befindlichkeiten des Körpers. Das heißt: Den Herztakt gibt der Sinusknoten zwar autonom vor, aus sich heraus, hinsichtlich der Frequenzwahl aber agiert er keineswegs autonom, sondern körpergesteuert. So kann er dem Herzen beispielsweise nicht von sich aus den Befehl geben, schneller zu schlagen, weil wir vor einer Gefahr davonlaufen müssen, oder langsamer zu schlagen, weil wir einem entspannenden Musikstück lauschen. Woher aber kommen die entsprechenden Befehle dann?

Funktional betrachtet, ist der Sinusknoten so etwas wie der Steuermann des Herzens, der oberste elektrische Taktgeber, der natürliche Herzschrittmacher. Der Begriff »Knoten« ist dabei etwas irreführend, weil man von ihm in Wahrheit nichts sehen oder ertasten kann. Vielmehr versteckt sich hinter der Bezeichnung ein ungefähr kirschkerngroßes Gebiet im rechten Vorhof, dessen spezialisierte Zellen in der Lage sind, sich selbst elektrisch zu erregen. Die so erzeugten elektrischen Signale werden dann über winzige Verteilerstrecken, das Erregungsleitungssystem, an die Herzmuskelzellen weitergegeben, die sich daraufhin gemeinsam in einer bestimmten, präzise koordinierten Abfolge zusammenziehen und entspannen. Der Herzschlag entsteht. Da dieses Erregungssystem durch elektrische Impulse angetrieben wird, kann man es, wenn es stillsteht, auch durch elektrische Stimulation wieder zum Laufen bringen, was sehr oft, aber nicht immer, gelingt. Viele Fälle des plötzlichen Herztods durch ein elektrisches Chaos der Herzerregung (Kammerflimmern) mit mechanischem Stillstand des Herzens und des Blutkreislaufs könnten jedoch vermieden werden, wenn an öffentlich stark frequentierten Orten wie in Fußballstadien, Bahnhöfen oder Flugplätzen mehr fachkundig bediente Defibrillatoren, auch Elektroschockgeräte genannt, für die Wiederbelebung zur Verfügung stünden.

Erbe aus Urzeiten

Als Rhythmusgeber des Herzens muss der Sinusknoten die Frequenz des Herzschlags und damit die Leistung der Pumpe bei der Blutversorgung des Körpers immer wieder den unterschiedlichsten Bedingungen, verschiedensten Einflüssen anpassen. Körperliche Belastungsänderungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie wechselnde psychische Zustände. Dass unser Herz bisweilen zu rasen beginnt, ist aber zunächst ein Resultat der Entwicklungsgeschichte. Der Mensch hat jahrtausendelang in einer Umwelt gelebt, in der er ständig großen Bedrohungen ausgesetzt war. Tauchte plötzlich ein Säbelzahntiger auf, musste schnell gehandelt werden, Anspannung erfasste den Körper, schlagartig erhöhte sich der Energiebedarf. Die Sinnesorgane, Augen und Ohren, meldeten die wahrgenommene Gefahr an das Gehirn, woraufhin ein bestimmtes Hormon, das Adrenalin, verstärkt ausgeschüttet wurde. Wie ein Feuermelder wirken diese Botenstoffe. Die Moleküle des Stresshormons sorgen für Alarm im Blut. Schlagartig, im buchstäblichen Sinne mit dem Herzschlag, wird jede Zelle informiert und in Abwehrfunktion versetzt.

Binnen kurzem bringt das Adrenalin so alle Körperfunktionen auf Trab, das Herz pumpt schneller, mehr Sauerstoff erreicht die Muskeln, Energiereserven werden aus Leber und Muskeln in Form von Zucker mobilisiert, die Muskeln spannen sich an, damit sie rascher reagieren können zum Absprung oder zur Verteidigung. Auch das Sehen wird schärfer, das Gehör verbessert sich, der Mensch agiert schneller – hoffentlich schnell genug, um der Gefahr noch rechtzeitig zu entkommen. Diese Art von Beschleunigung des Herzschlags hat unser Überleben als Art gesichert. Als Verhaltensmuster ist es in unser Erbgut eingegangen, auch wenn es unterdessen nicht mehr die Säbelzahntiger, sondern Überforderung, Stress, Mobbing und andere Formen psychischer Belastung sind, die das körperliche Krisenmanagement auslösen, den Herzschlag antreiben und unser Herz schlimmstenfalls rasen lassen.

Heute wie damals, im Schlafen wie im Wachen, immer unterliegt die Aktion des Sinusknotens – und damit der Eigenrhythmus des Herzens – den Einflüssen unseres gesamten unbewussten vegetativen Nervensystems. Alles, was wir tun, geistige wie körperliche Tätigkeit, verändert den Herzschlag. Jede Gefühlsschwankung wird registriert und in Herzrhythmus umgesetzt. Gleich, ob es um Angst oder Freude, Druck oder Entlastung geht, immer kommt es zu einer Anpassung, und immer geschieht sie als unbewusster Reflex, vermittelt über Zehntausende von Kilometern jener vegetativen Nervenbahnen, die zwischen dem Gehirn, dem Rückenmark, den Organen und dem Herzen verlaufen.

 

Sicherlich hat auch Ihr Herz schon einmal schneller geklopft, nicht nur bei körperlicher Anstrengung, sondern weil Sie verliebt, aufgeregt, erschrocken waren. Oder Ihr Herzschlag ist wieder langsamer geworden, weil Sie jemand in den Arm genommen hat. Wie sensibel unser Herz reagiert, kann jeder selbst erleben; und das Wissen darum kann jedem helfen, mit mancher Herzattacke fertig zu werden. Auch wenn es unabhängig von unserem Willen schlägt, ist das Herz doch ein Organ, mit dem wir sehr viel bewusster leben sollten, als wir das gemeinhin tun. Wir brauchen ja nur auf die eigene Sprache zu hören, um zu erkennen, wie sehr wir nicht nur körperlich auf das Herz angewiesen sind. Oder weshalb sonst sollten wir »herzliche« Grüße versenden, uns etwas »zu Herzen nehmen«, von »Herzen ergriffen« sein oder »Herzschmerz« erleiden, wenn wir uns unglücklich verlieben. Und warum gar sollte uns das »Herz brechen«, wenn wir verlassen werden, schmerzlichen Verlusten nachtrauern; warum sagen wir von einem bösen Menschen, dass er »herzlos« sei, während wir dem guten das »große Herz« nachrühmen? Das alles zeigt doch, dass unser Herz sehr viel mehr ist als ein Muskel, der sich sezieren lässt. Um es zu begreifen, muss man es ganzheitlich betrachten, gleichsam als ein Sinnesorgan der besonderen Art, als das mit der sensibelsten Wahrnehmung überhaupt. Denn, so heißt es in Antoine de Saint-Exupérys (1900–1944) zauberhafter Erzählung vom »kleinen Prinzen«, »man sieht nur mit dem Herzen gut«.