Dein Licht ist Dunkelheit und Nacht - Liudger Gottschlich - E-Book

Dein Licht ist Dunkelheit und Nacht E-Book

Liudger Gottschlich

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Beschreibung

Gottesferne, Glaubensverlust, Gebetstrockenheit – was auf den ersten Blick wie ein spiritueller Betriebsunfall aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung oft als das genaue Gegenteil: intensive, nie gekannte Gottesnähe, verwandelndes Feuer, geistliche Fruchtbarkeit. Allerdings unter der schwarzen Decke erlebter Dunkelheit und Nacht. Die Erfahrungen der "Dritten Woche" sind kein Ausrutscher auf dem geistlichen Weg, sondern eine entscheidende Etappe, in die und durch die hindurch Gott selber führt. Hier geschehen eine Umwandlung und Tiefenheilung der Seele, die eine ganz neue Form der Gottesbeziehung begründen. Es wird wirklich Leid in vielen Formen durchlebt. Doch das lässt sich eher bewältigen, wenn man Ursache, Sinn und Ziel kennt – oder wenigstens erhoffen kann. Dazu möchte dieses Buch beitragen, ergänzt durch Vorschläge zur geistlichen Gestaltung dieser Zeit für Betroffene und BegleiterInnen.

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Liudger Gottschlich

Dein Licht ist Dunkelheit und Nacht

Die »Dritte Woche« der Exerzitien

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Igna Kramp CJ, Stefan Kiechle SJ und Stefan Hofmann SJ

Band 101

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Liudger Gottschlich

Dein Licht ist Dunkelheit und Nacht

Die »Dritte Woche« der Exerzitien

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei unseren Büchern auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2024 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN 978-3-429-05984-2

ISBN 978-3-429-06695-6 (PDF)

ISBN 978-3-429-06696-3 (ePub)

Inhalt

Einladung

I. Exerzitientage – Geistlicher Lebensprozess

II. Der Beginn der Dritten Woche

III. Die Dritte Woche im Zusammenhang des Exerzitienwegs

Befähigung zur Gottesschau

Das »Seelen- oder Herzenshaus«

IV. Die Dritte Woche als Phase im geistlichen Lebensprozess

1. Sinn und Ziel

Der Abendmahlssaal: Sklavendienst

Getsemani: Die Heilung des menschlichen Willens

Passion/Sterben

2. Praxis

Die aktive Phase der Dritten Woche

Konsequenz: Leiderfahrungen von außen

Die passive Phase der Dritten Woche

3. Aufgaben und Möglichkeiten der Begleitung

V. Die Dritte Woche in Exerzitientagen

1. Sinn und Ziel

2. Praxis

3. Aufgaben und Möglichkeiten der Begleitung

VI. Maria

VII. Das Schlusswort

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Einladung

»Hier mit viel Kraft beginnen und mich anstrengen, um Schmerz zu empfinden, traurig zu sein und zu weinen. ... Gleich beim Aufwachen ... strenge ich mich an, während ich mich erhebe und ankleide, ... indem ich mich nicht darum bemühe, frohe Gedanken herbeizubringen, sondern indem ich mich selbst eher in Schmerz und Qual und Zerbrochenheit versetze, indem ich die Mühen, Plagen und Schmerzen Christi in häufiges Gedächtnis bringe ... .« (EB 195, 203, 205)

So lauten die praktischen Vorgaben für die Stimmung und das angestrebte Erleben in der Dritten Exerzitienwoche. Dazu legt Ignatius den Beginn auf die Mitternacht (vgl. EB 190) und schließt begleitende Fastenregeln an (vgl. EB 210–217). Also: Anstrengung, Schmerz, Qual, Tränen, Zerbrochenheit, Mühe, Plage, Dunkelheit und Verzicht erwarten mich hier. Miterlebtes Leiden steht im Mittelpunkt. Passion.

Wirklich einladend klingt das zunächst nicht. Warum sollte ich so etwas wollen oder mich sogar darum mühen? Das erinnert oberflächlich doch sehr an die unseligen Auswüchse einer falschen Sühne- oder Leistungstheologie, die lange das Leiden als Kennzeichen des Christlichen propagiert und die Gläubigen entsprechend geknechtet hatte.

Es wäre ein fataler Irrtum, Ignatius dort einzureihen. Dieser rationale Mystiker nimmt mich hier mit in eine spirituelle Tiefe und Umwandlung, in der die Leiderfahrung nicht das Ziel, sondern ein unumgänglicher Durchgang (Dritte Woche) zu einer wesentlich größeren, ungeahnten Freiheit und Gottesnähe wird (Vierte Woche). So wie die Passion Jesu mit ihrem Leiden, den Schmerzen, der gespürten Gottesabwesenheit eben nicht das Ende war, sondern Passage zur unerwartbaren Auferstehung, so ist das Mit-Durchleben und Mit-Durchleiden der Passion nicht Zweck an sich, sondern ein wichtiger Umwandlungsprozess durch die Hand Gottes, der dadurch die Tür zum versprochenen »Leben in Fülle« (vgl. Joh 10,10) weit öffnet und es anfanghaft verkosten lässt (vgl. EB 2.4).

Was zunächst völlig sinnlos scheint, führt in Wahrheit zum letzten Sinn der Nachfolge. Was oberflächlich schwarz aussieht, kann im Glauben schneeweiß sein. Die theologische Wahrheit, dass unser Glaube sich oft in Paradoxa äußert, gilt genauso für die geistliche Ebene. Auch dies meint Ignatius in seinem regelmäßig (absichtlich) falsch verstandenen Wort, dass ich jenes, was ich weiß sehe, für schwarz glaube, wenn es die Kirche als Garant der überlieferten Glaubenswahrheit verbürgt (vgl. EB 365).

Dieses Paradoxon ist eine gleichbleibende Erfahrung aller, die sich ohne Vorbehalt Gott überlassen. So formulierte schon ein Beter vor über 2000 Jahren:

»Würde ich sagen: Finsternis soll mich verschlingen und das Licht um mich soll Nacht sein!

Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht ist die Finsternis.« (Ps 139,11f.).1

Wer also die Einladung Jesu zur Nachfolge rückhaltlos annimmt, wird mit ihm auch durch eine Passion, durch verschiedene Formen von Leid und vielleicht sogar durch zutiefst empfundene Gottverlassenheit gehen. Aber: an seiner Hand, in seiner Gegenwart, unter seiner Führung. Nicht allein, selbst wenn ich das nicht spüre. Nicht in den Untergang, sondern in ein neues, erfüllendes Leben, mit einer völlig neuen Form der Gottesnähe und -beziehung. Damit das möglich wird, braucht die Seele diesen durchaus schmerzlichen Umwandlungsprozess der Dritten Woche. Diese Erfahrung ist also kein Rückschritt auf dem geistlichen Weg, sondern ein Zeichen besonderer Gottesnähe, wie viele Mystiker bezeugen.

Dieses Buch basiert auf langjähriger persönlicher Erfahrung und möchte Ermutigung sein, die Einladung anzunehmen. Hilfe, zu verstehen, was genau in diesem Prozess geschieht. Und Vorschläge machen, diese Zeit zu gestalten. Oder einfach nur durchzustehen.Weil es sich lohnt!

Jakobsleiter

nur geträumt

die sprossen

hoch ins blau

steige lieber

die steinigen stufen hinab

in die lichtscheue

deiner katakomben

und wenn du

ganz zu grunde

gegangen bist

erwartet dich dort

der engel

(Andreas Knapp)2

I. Exerzitientage – Geistlicher Lebensprozess

Um im Folgenden Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir zuerst unterscheiden zwischen begrenzten Exerzitientagen einerseits und einer unbestimmt dauernden Phase im geistlichen Lebensprozess andererseits, die von der Passionsthematik geprägt sind und deshalb manchmal beide einfach als »Dritte Woche« bezeichnet werden. Es gibt aber unterschiedliche Gewichtungen.

Geschlossene Exerzitientage, sei es im Rahmen der 30-tägigen oder 10-tägige speziell zur Dritten Woche, dienen dazu, sich die Folgen der Wahl (Ende der Zweiten Woche) klar vor Augen zu halten und in das kommende Leiden hineinzuschmecken als Prüfung, ob diese evtl. doch vorschnell oder oberflächlich getroffen war, oder doch im vollen Bewusstsein der Konsequenzen. Ebenso wollen sie ermutigen, den gewählten Weg jetzt konsequent ohne Zögern unter die Füße zu nehmen und den Blick schärfen für das Leid der Schöpfung heute.

Wer im geistlichen Lebensprozess die Einladung zur Kreuzesnachfolge erhält und annimmt, wird Mitleiden, Dunkelheit und erlebte Gottesferne mit Jesus über längere Zeit bis in den letzten Abgrund durchleben und erleiden. Das ist kein Hineinschmecken mehr, sondern der Kelch wird bis zur Neige ausgetrunken, wie es Jesus allen prophezeit, die seine Leidensgemeinschaft teilen wollen (vgl. Mt 20,22f.). Erst dadurch kann der Umwandlungsprozess wirklich in der Tiefe greifen.

Dies ist in erster Linie ein Praxisbuch.3 Es will helfen, die Erfahrungen der Dritten Woche zu verstehen und damit umzugehen. Dementsprechend unterscheiden sich die Erklärungen und Hinweise zur Gestaltung der jeweiligen Zeit.

II. Der Beginn der Dritten Woche

Woran erkenne ich, dass sich die Dritte Woche einstellt? In Exerzitientagen ist klar, wann das Thema »dran ist«. Aber in meinem geistlichen Prozess? Sind Leiderfahrungen ein Kriterium dafür? Nur sehr bedingt.

Es ist durchaus möglich, dass eine Leiderfahrung zum Katalysator für das Geschehen der Dritten Woche wird. Aber nicht jedes Leid, das mich aktuell trifft, führt automatisch in diese dunkle Phase hinein. Leid kann jederzeit in jeder Phase des Exerzitienwegs auftauchen und verlangt dann vorrangig eine eigene Bearbeitung. Ist es halbwegs bewältigt, setzt sich der Prozess an der Stelle fort, an der er unterbrochen wurde.

Außerdem beschäftigt sich auch schon die Erste Woche sehr eingehend mit dem Thema Leid. Auch hier gibt es massive innere Leiderfahrungen. Da allerdings geht es um Leid aus der Vergangenheit. Entweder durch erlittene schuldhafte Verwundungen, die sich bei näherer Beschäftigung damit schmerzlich bemerkbar machen. Oder um eigene Schuld und Sünde, die das Leben prägt, jetzt eine ehrliche Auseinandersetzung fordert und geheilt werden will.

In der Dritten Woche dagegen geht es um aktuelles oder zukünftiges Leid, das durch eine konsequent gelebte Nachfolge unabwendbar auf jeden Christen zukommt. »Ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn. Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister, und der Sklave, dass es ihm geht wie seinem Herrn. Wenn man schon den Herrn des Hauses Beelzebul nennt, dann erst recht seine Hausgenossen.« (Mt 10,24f.; vgl. auch Joh 15,20).

Eine Leiderfahrung an sich ist also kein sicheres Merkmal dafür, dass die Dritte Woche beginnt.

Ein guter Hinweis ist der Punkt, an dem ich mich in meinem geistlichen Prozess befinde; also welche Phasen ich bereits durchschritten habe.

Die Dritte Woche setzt einen langen geistlichen Weg voraus: Nach dem Durchleben von Fundament und Erster Woche zunächst eine wirklich klare Entscheidung für die Nachfolge unter dem »Banner Christi« (vgl. EB 136–148); dann längere Zeit das Ein- und Ausüben eines christlichen Alltagslebens nach den Maßstäben der Bergpredigt mit wachsender Vertrautheit und Verbindung mit dem Herrn; schließlich, wenn man wirklich reif dafür ist, die bewusste, sehr sorgfältig getroffene Wahl der zukünftigen Lebensführung und die kompromisslose Übergabe an Christus. Erst danach wird eine Einladung in die unmittelbare Kreuzesnachfolge geschehen.

Hilfreich ist dabei wie überall eine qualifizierte »Zweitmeinung«. Geistliche Begleiter Innen sehen hier oft sehr viel klarer als ich selbst. Überhaupt sollte die Phase der Dritten Woche möglichst nicht alleine gelebt werden. Geistliche Begleitung kann hier überlebensnotwendig sein, wie wir noch sehen werden.

Dabei ist der Eintritt in die Dritte Woche kein Automatismus und keine zwangsläufige Notwendigkeit für jeden. Auch wenn es Ignatius nicht ausdrücklich formuliert, sondern am Ende der Zweiten Woche wohl die Bereitschaft der Seele als selbstverständlich vorauszusetzen scheint, wird hier noch einmal eine Entscheidung fällig! Das Mitleiden der Passion Jesu bleibt eine Einladung, die ich auch ablehnen kann. Gott achtet unsere Freiheit.

Jeder mental gesunde Mensch wird natürlich erst einmal zögern und sich fragen, ob er das wirklich will. Mit brennendem Herzen und fliegenden Fahnen rennt nur jemand in seine Passion, der ideologisiert und verblendet ist. Der (unbewusste) Versuch, dem Schlimmsten auszuweichen, ist zutiefst menschlich. Wir müssen nur nach Getsemani auf die Jünger schauen (vgl. Mt 26,36–46). Ihre bleierne Müdigkeit ist ein typischer Flucht- bzw. Abwehrmechanismus, der häufig neben anderen im geistlichen Leben vorkommt.

Um diese Falle zu umgehen, die eine persönliche Betroffenheit vermeidet und dadurch die Entscheidung blockiert oder ganz verhindert, gibt Ignatius jene zu Anfang zitierten Anweisungen mit auf den Weg. So öffne ich mich auch emotional für das Passionsgeschehen und die ganze Person wird wirklich mit hineingenommen. Ich leide voller Empathie mit dem Herrn. Dadurch werde ich existentiell begreifen (und nicht nur distanziert denken): Das geht auch mich an! Leidensgemeinschaft bedeutet, der Herr will mich unmittelbar in das Geschehen mit hineinnehmen. Die Passion auch an mir geschehen lassen. Und – genauso wichtig: Er traut mir den Weg durch die Passion zu!

Dadurch wächst der Mut, seine erschreckende Einladung anzunehmen und aktiv zu werden.

III. Die Dritte Woche im Zusammenhang des Exerzitienwegs

Befähigung zur Gottesschau

Jeder Mensch trägt die Sehnsucht nach einem sinnvollen und erfüllten Leben in sich. Jesus verspricht dieses »Leben in Fülle« in seiner Gegenwart und Nachfolge. Dafür will Ignatius mich durch seine Exerzitien bestärken und befähigen, denn ich bin zunächst ohne Weiteres nicht in der Lage dazu. Ich brauche Übung und Zeit für einen notwendigen Wachstums- und Wandlungsprozess, dessen verschiedene Phasen inhaltlich den »Wochen« des Exerzitienbuches entsprechen.Warum?

»Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.« (Mt 5,8). Das ist die Voraussetzung: ein reines Herz. Wobei die »Gottesschau« nicht einfach ein distanziertes An-Sehen meint. Schon im AT meint »Schauen« eine Begegnung mit Gott, die den Menschen in eine personale Beziehung mit ihm bringt. Darin liegt die Erfüllung seiner Sehnsucht. Gleiches aber wird nur durch Gleiches erschaut und erkannt, sagt die Theologie. Deshalb braucht es eine Angleichung des Menschen an Gott, eine Umwandlung, die nur Gott selbst leisten kann.

Ursprünglich lebte der Mensch in dieser erfüllenden und zutiefst beglückenden Gottesbeziehung. Nur dafür wurde er geschaffen. Gott will nicht alleine glücklich sein.Weil der Mensch aber selber sein wollte wie Gott und nicht nur als Geschöpf auf ihn ausgerichtet, hat er diese Beziehung zerstört und sich selbst an Got