Deine Freundin, die Essstörung. - Paulina Tsvetanova - E-Book

Deine Freundin, die Essstörung. E-Book

Paulina Tsvetanova

0,0

Beschreibung

Dieses Buch erzählt die berührende Geschichte dreier Frauen, deren Leben durch eine Essstörung geprägt war. Paulina Tsvetanova, Christina Wallintin und Patricia Maria Uhlig teilen ihre persönlichen und professionellen Erfahrungen mit Magersucht, emotionalem Essen und Bulimie. Der Ratgeber soll Betroffenen und Angehörigen Mut machen, Inspiration und praktische Hilfe für eine nachhaltige Heilung und authentische Persönlichkeitsentfaltung bieten. Diese Trilogie ist ein unersetzlicher Begleiter in einer Zeit, die trotz Body Positivity, nach wie vor von krankmachenden Schönheitskonzepten, reizüberfluteter Selbstoptimierung und versagensängstlichem Leistungsdruck geprägt ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 187

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

I. Meine Freundin die Magersucht

von Paulina Tsvetanova

1.1. Vorwort

1.2. Angst und ihre Überwindung

1.3. Meine Leidenschaft für Krankheiten

1.4. Die nackte Panik, die Angst vor dem eigenen Herzen oder das pulsierende Leben

1.5. Warum kann ich meine Angst loslassen?

1.6. Das Nichts oder die Flucht in ein Hoffnungsland

1.7. Der Wunsch nach dem Kind in mir

1.8. Die verlorene Kindheit und der Baum des Lebens

1.9. Sterben lernen

1.10. Mein Freund, der Tod – Von der Sehnsucht nach Stille und Leere

1.11. Gefälligkeiten, Zugeständnisse, Anerkennungssucht

1.12. Mama und der abwesende Papa

1.13. Meine Eltern oder Wir gegen die Anderen

1.14. Meine Heimat – meine Eltern?

1.15. Ani und unsere Konflikte

1.16. Über das Dasein als Zwilling und das Teilen der Magersucht

1.17. Silent Escape

1.18. Gespräch zweier Ungeborener (Meine Zwillings schwester und ich)

1.19. Eine Liebeserklärung an meinen Körper

1.20. Und zuallerletzt...

1.21. Über Paulina Tsvetanova

II. Der Aromen-Code

von Christina Wallintin

2.1. Vorwort

2.2. Emotionales Essen – zwischen Teller und Gefühls welt

2.3. Die Entfaltung des Bewusstseins: Eine Reise der Selbstentdeckung

2.4. Der Weg der eigenen Verleugnung: Final Countdown

2.5. Der Zusammenbruch und Beginn meiner Heilungsreise

2.6. Meine Gegenwart: innere Balance

2.7. Bonus: Tipps & Tricks im Alltag

2.8. Schlusswort

2.9. Über Christina Wallintin

III. Vom Drama zum Sama

von Patricia Maria Uhlig

3.1. Vorwort

3.2. Dein neuer Blick auf Dich und Deine Kompensation

3.3. Deine neue Lebenseinstellung

3.4. Deine ersten seelengeführten Schritte

3.5. Dein Herz kennt Deinen Weg

3.6. Meditation für Deinen Seelenplan

3.7. Emotionslösetechnik

3.8. Hilfe: Meditation Morgenroutine Bewusstsein

3.9. Transformiere die Gefühle, die Du nicht fühlen willst

3.10. Das, was Dich wirklich nährt

3.11. Entscheidungs-Meditation

3.12. Meditation: Dein Himmel auf Erden. Potenzialentfaltung. Durch Mut und Erlaubnis die Freude in mein Leben einladen.

3.13. So findest Du das Ziel Deines Herzens, das wofür sich Dein Herz längst entschieden hat

3.14. So integrierst Du Deine Körperwahrnehmung in Deinen Heilungsprozess

3.15. Meditation: Ich freue mich in meinem Körper zu sein

3.16. Finde Deine Bestimmung

3.17. Meditation Bestimmung erschaffen und finden

3.18. Deine Lebenslüge: Tacheles

3.19. Alltagshilfe: Nutze diesen praktischen Teil täglich

3.20. Meditation: Angstfreies Leben

3.21. GEWINNSPIEL

3.22. Meditation: Reverse Engineering

3.23. Schlusswort

3.24. Über Patricia Maria Uhlig

Liebe Leserin, lieber Leser,

das vorliegende Buch besteht genau genommen aus drei Büchern. Es ist eine Trilogie über drei Krankheiten, die Ärzte unter dem ICD-Code F50 zusammen fassen: Essstörungen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen.

Im ersten Teil begebe ich mich auf die teils schmerzvolle, teils erlösende Reise in meine Vergangenheit, um herauszufinden, wie ich magersüchtig wurde. Es ist eine persönliche, emotionale, authentische Geschichte. Meine Geschichte. Ich beschreibe auch, wie mich diese Krankheit bis heute prägt und einen großen Einfluss auf mein Leben hat.

Im zweiten Teil verknüpft Christina Wallintin psychologische Erkenntnisse mit ihrer eigenen Krankheitsgeschichte. Patricia Maria Uhlig nimmt Dich im dritten Teil mit auf eine spirituelle Erkenntnisreise, die Dich wieder mit Dir selbst verbindet.

Es sind drei Leben, drei Erkrankungen, drei Herangehensweisen und doch wiederkehrende Themen. Uns eint, dass die Erfahrung mit dieser Krankheit unser Leben und die Wahl unseres Berufes maßgeblich geprägt hat. Wir wollen Betroffenen Mut machen und beschäftigen uns auf professioneller Ebene mit den Auswirkungen von Essstörungen. Ich feiere mit meiner Mode das pure Leben. Christina begleitet als Mentorin Menschen bei ihrer Selbstverwirklichung. Patricia Maria gründete die Soulleading Academy, die Menschen hilft, ihrer Seelenstimme zu vertrauen und ihr mutig zu folgen.

Dieses Buch ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich hoffe, Du findest darin Zuversicht und Inspiration.

Deine Paulina

Bitte nutze zur Bearbeitung der Aufgaben die Kommentar- oder Notizfunktion deines e-Readers oder ein seperates Blatt Papier.

I. Meine Freundin die Magersucht

von Paulina Tsvetanova

Vorwort

In diesem Buch packe ich aus. Eine der traumatischsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens war meine inzwischen vergangene Magersucht. Mit zwölf wurde ich magersüchtig. Davor war ich ein Kind. Ich kann mich nicht erinnern, wie meine Kindheit war, warum ich zwischen zwölf und zweiundzwanzig daran erkrankt war und wie mich diese tückische psychosomatische Krankheit fast das Leben gekostet hätte.

Es ist ein Buch für Betroffene und Angehörige aus der Perspektive einer Überlebenden, die sich selbst heilte, trotz oder gerade wegen aller schlechten medizinischen Prognosen. Die bewusst Ja zum Leben sagte und sich gegen den Tod entschied.

Die Reise ist aber noch nicht zu Ende: Einmal magersüchtig, immer magersüchtig, heißt es. Denn selbst wenn du wieder ein ganz normales Gewicht hast, nie wieder Kalorien zählst und dich nie wieder gewogen hast, heißt es lange nicht, dass du emotional die Magersucht bekämpft hast.

Es geht darum, echte Grenzen, Gefühle und Bedürfnisse zuzulassen, ohne Scham, Schuld oder Pflicht. Deinen Körper zu spüren, ohne extreme Erfahrungen.

Es geht darum zu begreifen, dass Selbstverletzungen nicht unbedingt sichtbar sein müssen. Den inneren Druck, nicht zu genügen, immer mehr liefern zu müssen, gefallen, unterhalten zu wollen, das süße, gut erzogene, intelligente, vorbildliche Mädchen und immer stark sein zu wollen – all das gilt es aufzugeben. Es wohlig schön, gemütlich, entspannt mit sich zu haben, sich endlich zu genießen und wertzuschätzen, ohne Belohnung für eine erbrachte Leistung. Ohne nach einem glücklichen Moment sich selbst zu bestrafen. Sich verwöhnen zu lassen, auch wenn du es nicht verdient, auch wenn du nicht dafür hart gearbeitet hast. Müdigkeit, Erschöpfung und die eigenen Schwächen, Ängste und Unsicherheiten anzunehmen. Sich gegen die Perfektion zu entscheiden, weil Authentizität genau das Gegenteil von Perfektion ist.

Es ist eine Aufklärung über die Spätfolgen der Magersucht. Eine sehr tragische Spätfolge ist beispielsweise Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit. Wie absurd, während der Magersucht und einige Jahre nach der Genesung hatte ich panische Angst davor, schwanger zu werden und Mutter zu sein. Zugleich wollte ich nicht erwachsen werden, ich sehnte mich danach, ein Kind zu sein. Emotional und intellektuell war ich immer eine alte Seele. Viel erwachsener als mein physisches Alter. Als hätte ich das fruchtbare Alter unterbewusst übersprungen, als wäre ich von einem Kind gleich zu einer reifen Frau geworden. Die Magersucht ist die Sehnsucht nach dem Kind, nach dem Nie-Erwachsen-Werden-Wollen. Die Angst vor der Verantwortung des Erwachsenseins.

Eine dramatische Folge meiner Magersucht ist zum Beispiel, dass ich mit achtundzwanzig in die Wechseljahre kam. Ich hatte nur vier Jahre meines Lebens einen regelmäßigen Zyklus. Danach nie wieder natürlich, nur durch Hormonersatztherapie. Ist es nicht unfair, dass ich so lange für mein Leben gekämpft habe, mich dafür bewusst entschieden habe und zum Schluss den Preis bezahle, keine leiblichen Kinder bekommen zu können, kein Leben schenken zu können? Bedenke, solltest Du akut an Magersucht leiden: Der Preis, den du dafür eines Tages bezahlen wirst, ist viel zu hoch.

Der Kindheitstraum, Modedesignerin zu werden, ist langsam, aber sicher vorerst gestorben mit Beginn der Magersucht. Zugleich bin ich aber durch die Magersucht und später, durch die Heilung davon, erwachsen geworden. Mit der Erfüllung des Kindertraumes, Modedesignerin zu werden, wurde meine alte Magersucht getriggert. Also ist der Kinderwunsch eigentlich der Kindheitstraum?

Magersucht bedeutet: Angst vor dem Leben, Sehnsucht nach dem Tod, Streben nach Kontrolle, der Wunsch, emotional genährt zu werden. Essen ist Leben. Dieses Buch vereint zentrale Themen hinter der Magersucht. Es ist kein Coaching- oder Ratgeberbuch. Meine Freundin, die Magersucht, sie hat mir die wichtigsten Lebenslektionen bisher gelehrt.

Und heute? Wie fühlt sich meine Existenz heute an? Mein Motto lautet: Iss, trink und trage deine neuen Kleider. Ich bin das pralle Leben. Die pure Lebensfreude. Die reine Sinnlichkeit. Ich staune oft, wie viel Leidenschaft und Lebensfreude in mir steckt und ich in anderen entfachen kann. Ich kann manche Menschen wahrlich zum Leben erwecken. Ich habe Lebenshunger.

Angst und ihre Überwindung

Mein altes Angstmuster sah ungefähr so aus: Wenn ich Angst habe, dann wird alles gut sein, dann habe ich die Kontrolle. Ich muss zum Beispiel immer vor einem Arztbesuch Angst haben, damit der Arzt nichts findet. Die Angst ist meine Bestätigung dafür, dass ich gesund bin. Ohne Angst laufe ich Gefahr, dass ich direkt in eine Krankheit stolpere. Wenn ich eine Sache beeinflussen kann, macht es mir Angst. Aber bedenke, diese Angst kann ihr Gesicht ändern und damit hält sie dich abhängig. Sie zeigt sich als Hypochondrie, begleitet von allen möglichen psychosomatischen Symptomen, entweder renne ich ständig zum Arzt oder ich zeige ein Verdrängungs- und Fluchtverhalten, gehe also gar nicht zum Arzt. Oder ich habe Flugangst. Oder Panikattacken. Oder Kontrollzwänge. All das sind Facetten der vergangenen Magersucht.

Meine Leidenschaft für Krankheiten

Mein Schaffensdrang wird von meinen Neurosen gespeist. Körperliche Symptome, ob psychosomatisch sei dahingestellt, bestimmen den Tagesablauf. Falls ich sie am Tag zuvor nicht mehr hatte und die Hoffnung hegte, dass diese nie wieder kommen, dann bestrafe ich mich selbst durch Leiden. Es folgen Sorgen und Selbstvorwürfe, weil ich nicht zum Arzt gehe, um es abzuchecken, denn es kann lebensgefährlich sein. Ob Gewicht oder Puls oder Blut auf dem Papier nach dem Stuhlgang – es ist immer der gleiche Mechanismus der Selbstkontrolle. Ich hatte schon panische Angst davor, meine Haare zu verlieren, Angst vor HIV, vor einer Schwangerschaft, vor Herzversagen, vor Kontrollverlust in Form von Schwindelangst, vor Brustkrebs und vor vielem anderen.

Krank sein oder sich krank fühlen – das macht für mich keinen Unterschied. Das Krankheitsgefühl kommt automatisch und ohne Zweifel, sobald ein Symptom da ist. Je häufiger das Symptom da ist, desto mehr werde ich in meiner Angst bestätigt. Man belohnt sich unterbewusst, wenn man das Symptom nicht mehr hat. Aber das ist ein Trugschluss. Er dauert nur an bis zum nächsten Tag, wenn das Symptom erneut da ist. Und dann ist der Tag wieder versaut. Wovon hängt mein inneres Empfinden für Gesund- und Kranksein ab? Wessen Expertise vertraue ich am meisten?

Sich nicht normal, nicht richtig zu fühlen begleitet mich bei meiner täglichen Körperbegutachtung. Selbstbestrafung mit Freudeentzug – als wäre man glücklicher, wenn man davor lange genug traurig war. Mich nervt die Hartnäckigkeit, mit der mein Körper, (oder besser gesagt meine Psyche) an der Vorstellung von Kranksein hing und immer noch hängt. Der Hunger (und mit ihm die Spätfolgen, wie die permanenten Sorgen um die eigene Körpergesundheit) verdrängten meinen Hunger auf die verlorene Kindheit, eine Kindheit, die ich nie richtig gelebt habe.

Nicht schwanger sein können – schon wieder etwas, das mein Körper nicht konnte, wo er nicht normal funktionierte. Den Fehler suche ich im Körper, der mich vermeintlich von meinem Glück abhält. Ein Wunder, dass dieser Körper immer noch da ist, nach den vielen Jahren der Quälerei, die ich ihm angetan habe. Warum funktioniert er nicht so wie ich will, wie ich meine zu wissen, wie ich meine wollen zu müssen? Das, was ich will und nicht das, was ich denke, wollen zu sollen. Wo fängt Gesundheit an und ist Gesundheit nur die Abwesenheit von Krankheit? Ist nur ein gesunder Körper ein wertvoller Körper?

Mein Leben ist häufig ein bemitleidenswertes Wechselspiel zwischen planlosem Hin-und-Her-Gerenne und erschöpfter Apathie. Man braucht keinen Ausgleich, sondern eine Basis. Burnout ist nicht Batterie leer, sondern Ladekabel defekt.

„Die Hypochondrie ist die einzige Krankheit, die ich nicht habe“, behauptete einst der englische Komiker Tony Hancock. Der Hypochonder (in dem Fall ich) ist ein Suchender, den letzten Mysterien auf der Spur. Einer, der Wissen anhäuft und dabei nur noch mehr die Orientierung verliert. Einer, der uns alle an Vergänglichkeit und Tod gemahnt. Der Hypochonder hat eine Leidenschaft für Krankheiten.

Außergewöhnliche Ärzte verdienen außergewöhnliche Patientinnen. Aus jedem Unsinn Wahrheit schöpfen, aus jeder Narrheit Vernunft – werde endlich dein eigener Arzt!

Die nackte Panik, die Angst vor dem eigenen Herzen oder das pulsierende Leben

Sternenklarer, kalter Himmel. Es ist eigentlich alles in Ordnung und doch darf ich wieder nicht schlafen. Warum, warum, warum? Okay, vor dem Schlafengehen habe ich Kaffee getrunken, sprach wieder über meine Kinderlosigkeit, was in unserer Hundeerziehung alles falsch läuft. Ich hätte nichts trinken dürfen. Habe ich zu spät gegessen oder mit den Gesprächen übertrieben, mit dem Yoga, der Sauna? Was war zu viel? Aber lag es daran? Es war ein schwacher Filterkaffee und Alkohol habe ich nicht getrunken. Die anderen durften, ich nicht. Wie schnell schlägt mein Herz? Schneller als gestern? Warum bin ich so aufgedreht?

Irgendwas lässt mich nicht müde sein. Angst, dass ich wieder nicht schlafen kann. Ich fühle mich rastlos. Ich finde keine Ruhe. Ich will endlich müde sein und nur schlafen. Es gibt sie noch, diese Nächte, wo ich ganz normal schlafe. Ich spüre, wie mein Körper schwer wird, wie ich gähne, wie sich alles entspannt. Am nächsten Tag bin ich stolz darauf, aber auch besorgt. Denn, dann darf ich das heute nicht mehr. Wenn ich einmal glücklich bin, dann kommt das große Unglück. Und diese quälenden Gedanken über meinen Puls, ob er normal ist. Diese permanente Selbstkontrolle im Ohr. Jede Nacht lausche ich dem mal mehr, mal weniger. Was habe ich bloß am Herzen? Bin ich krank? Muss ich den Notarzt anrufen? Es ist doch eine schlimme Krankheit. Siehste, heute Nacht ist es wieder da. Dieser Teufel verfolgt mich unaufhörlich, die nackte Panik. Dass ich daran sterben könnte. Ein Symptom nach dem anderen. Und wieder von vorne. Kreislauf. Teufelskreis. Psychosomatik. Ja, es fühlt sich total physisch an. Wie kann es sein, dass es psychisch ist. Ich habe jede Nacht Angst ins Bett zu gehen. Angst, dass es wieder auftritt. Angst, dass ich eine Panikattacke im Schlaf bekomme. Angst, dass ich nicht mehr aufwache oder an einem Herzinfarkt im Schlaf sterbe.

Am Folgetag werde ich fix und fertig sein. In ein paar Stunden muss ich aufstehen. Rast das Herz, wenn ich mich umdrehe? Ich bin wie gelähmt. Ich muss ein paar Mal Pipi machen, die Blase drückt mehr als sonst. Meine Füße sind kalt und zittern. Ich will keine Tabletten nehmen, ich schaffe es auch ohne. Dem auf den Grund gehen. Was will mir mein Herz flüstern? Warum ist mein Herz so laut? „Ich komme so selten zu Wort, ich möchte nur ruhig und gesund sein.“ Was weckt mich immer wieder auf? Mein Herzschlag oder die Angst. Wovor?

Endlich raus aus diesem Körper. Ich möchte nur noch nach Hause. Aber wo ist mein Zuhause? Angst vor dem Tod und vor dem Leben.

Es gibt Nächte, in denen der Puls ganz langsam schlägt und ich trotzdem hellwach bin und grübele. Und wiederum welche, wie heute, in denen ich spüre, dass er beschleunigt ist, ich nicht schlafen kann, und dennoch sehr ruhig und gelassen bin. Vielleicht weil ich mir gerade die Frage stelle, wie viel Lebenszeit ich noch mit dem Thema verbringen will. Ist es wirklich wichtig, wie hoch mein Puls ist? Und warum darf er nicht schneller sein? Was ist wirklich wichtig? Am Ende des Tages kann ich nichts kontrollieren. Das Herz hat einen eigenen Willen. Es ist außerhalb meiner Macht. Ich habe da nichts zu melden. Solange ich am Leben bin, schlägt das Herz in seiner eigenen Dynamik. Ich will mich nicht mehr so wichtig nehmen. Ich will aufhören, mich so sehr zu beobachten und immer etwas zu suchen, das außerhalb der Norm ist. Es ist so eine große Arroganz zu behaupten, dass meine ständige Kontrolle irgendjemandem irgendwas bringt. Einerseits gehe ich nicht zum Arzt und lasse mich nicht durchchecken, weil ich den Ärzten nicht vertraue, andererseits traue ich mir selbst genauso wenig. Ich lasse mich ständig von meinem inneren Arzt durchchecken, der überhaupt nicht kompetent ist! Ich will verdammt noch mal endlich mit den Sorgen um meine Gesundheit aufhören! Das schlimmste Szenario, eine Ohnmacht im Krankenhaus, das tritt nie ein. Ich verpasse so das Leben, verdammt noch mal! Ich will mich mit dem Körper anfreunden und nur gesund sein. Habe ich es überhaupt verdient, gesund und fröhlich zu sein?

Das sind Selbstgespräche aus meinem Tagebuch. Mehrere Jahre, nachdem ich nicht mehr an Magersucht erkrankt war. Trotzdem. Was steckt dahinter? Selbstkasteiung durch Angst. Es ist einfach, krank zu sein. Ich habe Angst vor meinem Herzen. Vor meinem Körper. Vor der Fülle im Bauch. „Das ist nicht normal“, der ultimative Satz meines Vaters aus meiner Kindheit. Angst, dass ich nicht normal bin. Zu Hause erniedrigt, abgelehnt, verspottet – was muss ich tun, um die Liebe und Anerkennung meiner Eltern zu verdienen? Normal werden? Ich habe Angst vor mir selbst. Angst zu sterben, Angst vor der Nacht. Angst, dass ich nicht aufwache. Das wäre doch viel schöner, als in diesem Zustand zu verbleiben. Ich muss mir eingestehen, dass ich Angst vor dem Leben, nicht vor dem Tod habe. Die Angst vor dem Leben. Die Sehnsucht nach dem Tod. Das Streben nach Kontrolle. Der Puls erinnert mich daran, dass ich am Leben bin. Das Leben, das ich in mir nicht spüren darf. Das Leben, das ich nicht in der Lage bin zu schenken. In den Schlaf überzutreten bedeutet, sich fallen zu lassen. Kompletter Kontrollverlust. In sich hineingehen. Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes.

Warum kann ich meine Angst loslassen?

Weil ich eigentlich keine Kontrolle über sie habe. Weil ich keine Kraft mehr habe, dagegen anzukämpfen. Weil ich spüre, was ich verpasse, wenn ich Angst habe. Darin sehe ich keinen Sinn mehr. Ich habe keine Lust, noch mehr Lebenszeit damit zu verschwenden. Die Angst hat mich jahrelang so viel Lebensqualität und -freude gekostet. Die gibt mir keiner zurück. Ich habe viel mehr Mut und Vertrauen in meinen Körper als ich dachte. Ich darf Menschen begleiten, ermutigen und aufbauen. Ich habe eine soziale Aufgabe, die ich nur erfüllen kann, wenn ich meine Angst im Griff habe. Ich kann mich ohne meine Angst endlich seelisch und körperlich entfalten. Ich darf mich selbst dafür belohnen, dass ich meine Angst überwunden habe. Ich habe verstanden, warum sie gut war. Nun darf sie gehen.

Das Nichts oder die Flucht in ein Hoffnungsland

Deutschland ist meine Wahlheimat. Der Ort, der mich vor meiner Familie retten sollte. Der Ort, an dem ich erwachsen geworden bin und an dem ich mich für Selbstheilung vor der Magersucht entschieden habe. Meine Fluchtgeschichte im zarten Alter von siebzehn Jahren, als ich schwerst an Magersucht erkrankt war, prägte mein bisheriges Leben mehr als alles andere.

Es ist egal, aus welchem Grund man flieht. Flucht ist Flucht. Sie hinterlässt Spuren und Narben in der Seele. Der Verlust der Heimat ist eine Art Tod. Neue Heimaten zu erschaffen ist eine Art Wiedergeburt.

Flucht ergreifen. Alles hinter sich lassen. Nur so kann ich mich der Herausforderung stellen, ins Unbekannte starten, mir eine Residenz auf ungesichertem Grund aufbauen. Nicht zurückblicken. Neue Verbindungen schaffen. Hoffen auf eine bessere Zukunft. Ankommen. Mit Nichts in der Fremde versuchen Fuß zu fassen, in eine unbekannte, gefährliche Welt geworfen. Dem sicheren Heimatnest entrissen. Aber war ich dort wirklich geborgen?

„Wie soll der Fisch überleben, wenn ihn jemand aus dem Wasser herausholt?”, schreibt Ahmad Hashish in seinem „Tagebuch eines nutzlosen Flüchtlings. Eine Erzählung von demselben Planeten, auf dem Sie leben”. Aus dem Nichts kommen, heißt es in seinem Fall, kein vorgefasstes Prinzip zu haben, keine Strategie, keine Arbeitsmethode, kein Material, keine Idee. Die Vergangenheit zählt nicht mehr. Man kommt in eine neue, unbekannte Situation und kann erstmal nur reagieren. Eigentlich will man lieber agieren statt reagieren. Sich das Nichts anzusehen hat zur Folge, dass selbst unscheinbarste Kleinigkeiten eine Wichtigkeit bekommen. Man fängt an, versteckte Muster, Ornamente, Signaturen, Botschaften auf dem Weg zu entdecken. Man findet Hilfe in den banalsten Dingen und greift nach einem Strohhalm wie ein Ertrinkender, der verzweifelt an seine letzte Hoffnung festklammert. Wenn man im Nichts sitzt, ist es naheliegend, dass man in alle Richtungen Ausschau hält und versucht, das aufzufangen, was einem von allen Seiten zufliegt. Das Leben geht immer weiter. Die Wahllosigkeit lässt einen alles aufsaugen wie ein Schwamm. Man wartet und nimmt so vieles achtsam wahr. Wann ist eine Flucht zu Ende?

Der Wunsch nach dem Kind in mir

Kinder kriegen. Warum? Wozu? Wie stark ist die Sehnsucht danach und bin ich bereit, um jeden Preis alles dafür in Kauf zu nehmen: Eizellspende, Pflegekind, Adoption, alleinerziehend sein? Lerne ich meine Aufgaben auch ohne Kind? Ist es mein Wunsch oder der soziale oder biologische Druck, Torschlusspanik, Fomo – fear of missing out? Ja, ich habe die Option, es zu probieren, aber kann ich die Enttäuschung verkraften, wenn es nicht klappt? Wer hat Kinderkriegen jemals bereut (Stichwort regretting motherhood), egal wie anstrengend es ist? Warum soll ich Kinder kriegen, nur weil ich es kann? Warum soll ich keine kriegen, weil ich es nicht kann? Kinder haben wollen, weil nicht können? Das, was wir wollen, können wir oft nicht. Und das, was wir können, wollen wir wiederum nicht, absurd, oder? Versuche ich durch meinen Kinderwunsch, die Sehnsucht nach dem verlorenen Zwilling, den Trennungsschmerz zu stillen? Ist es der Neid, die Eifersucht, das Mangeldenken, dass meine Zwillingsschwester ein Kind hat und ich nicht? Ihr wurde ein Wunder geschenkt, wieso mir nicht?!

Leben schenken. Vor allem weil mir selbst das Leben wieder geschenkt wurde. Ich möchte das Leben zurückgeben. Habe ich ein schlechtes Gewissen, dass mir das Leben wieder geschenkt wurde und ich trotzdem nicht dankbar genug dafür war? Muss ich etwas zurückgeben, weil mir das Leben geschenkt wurde? Jemanden prägen, bemuttern wollen. Sich verschenken. Das, was ich nie an Liebe und Fürsorge bekommen habe, geben wollen. Sich verewigen wollen, die eigenen Gene ins Universum streuen. Die Sucht danach, gesehen, anerkannt und geliebt zu werden, ohne Wenn und Aber. Endlich wieder Infantilität. Kindseinwollen. Kindbleibendürfen. Die verlorene Kindheit. Die verlorene Heimat. Die einmalige Verbindung, bis der Tod mich vom Kind scheidet. Existenziell und organisch verbunden sein, für jemanden unersetzlich, unaustauschbar sein, so wie damals mit meiner Zwillingsschwester. Wurzeln schlagen, Heimat finden, zu Hause ankommen. Kein Partner oder Freund dieser Welt kann Heimat- und Kindersatz in einem sein. Jede Form von Kinderwunsch ist authentisch und berechtigt. Es gibt keine rationalen Antworten auf diese abstrakten Fragen. Es bleibt immer die Sehnsucht. Du musst dein inneres Kind adoptieren.

Die verlorene Kindheit und der Baum des Lebens

Innerer Dialog nach einem Gespräch mit einem Portier namens Angel am Central Park.

„Jedes Mal wenn ich zum Frauenarzt gehe, werde ich daran erinnert, dass ich den Tod in mir trage.“

„Warum?“

„Weil ich kein Leben gebären kann.“

„Bedeutet das, dass man automatisch den Tod in sich trägt, wenn man kein Kind zur Welt bringen kann?“

„Darling, we all carry death within us.”

„Why?“

„Weil der Tod das einzige Wahre ist. Mit der Geburt nähern wir uns ständig mehr und mehr dem Tod.“