Dem Leben einen Sinn geben - Dalai Lama - E-Book
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Dalai Lama

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Beschreibung

Der Bestseller des Dalai Lama zum Sinn des Lebens Der Dalai Lama erklärt in diesem Ratgeber und zugleich Weisheitsbuch die Voraussetzungen für ein sinnvolles Leben - und was jeder dafür tun kann. Wir alle sind Sinnsucher und wollen ein glückliches und erfülltes Leben führen. Der Dalai Lama zeigt in diesem Buch, wie uns das gelingt, und ermutigt dazu, dem Leben eine spirituelle Ausrichtung zu geben.  Der Friedensnobelpreisträger bringt uns die zentralen Themen des Buddhismus näher: - Geduld, - Selbstvertrauen, - Achtsamkeit, - Weisheit. Wenn wir diese inneren Qualitäten gezielt entwicklen, können wir mit belastenden Emotionen und negativen Gedankenspiralen besser umgehen und uns schließlich davon befreien. Nur so können wir auf Dauer friedvoll leben. Und friedvoll zu leben führt schließlich auch dazu, dass wir am Ende friedvoll sterben können. Inspirationen zur Meditation helfen dabei, sich in Mitgefühl und Achtsamkeit zu üben. So erfahren wir, was es bedeutet, zielgerichtet zu leben und den Buddhismus in unseren Alltag zu bringen. Denn unser persönliches Glück liegt allein in unseren Händen!

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Seitenzahl: 338

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Dalai Lama

Dem Leben einen Sinn geben

Die Freude, friedvoll zu leben und zu sterben

Aus dem Englischen von Peter Kobbe

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wir alle wollen ein glückliches und erfülltes Leben führen. Der Dalai Lama erklärt in diesem Buch, wie uns das gelingt und ermutigt dazu, dem Leben eine spirituelle Ausrichtung zu geben. Denn durch diese können wir lernen, uns von belastenden Emotionen zu befreien und uns von negativen Gedanken zu verabschieden. Der Friedensnobelpreisträger geht auf die zentralen Themen des Buddhismus ein und zeigt den Weg zu einer tiefen, spirituellen Praxis. Inspirationen zur Meditation helfen dabei, sich in Mitgefühl und Achtsamkeit zu üben und so zu erfahren, was es bedeutet, zielgerichtet zu leben.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

Der Erleuchtungsgeist

In Frieden sterben

Zielgerichtet leben

Achtsam leben

Geduld

Selbstvertrauen gewinnen

Die Meditationspraxis

Weisheit

ANHANG

Zur Transkription und Aussprache der Sanskrit-Ausdrücke

Literaturhinweise

Anmerkungen

Vorwort des Herausgebers

Dieser Band der Bibliothek Tibets wurde von folgendem Team ins Englische übersetzt und herausgegeben: von Ehrwürden Geshe1 Lobsang Jordhen, einem Absolventen des Instituts für buddhistische Dialektik, Dharamsala, der seit 1989 für Seine Heiligkeit den Dalai Lama2 als ordensgeistlicher Assistent und persönlicher Übersetzer tätig ist; von Lobsang Chophel Gangchenpa, der ebenfalls am Institut für buddhistische Dialektik studiert hat und seit über zehn Jahren als buddhistischer Übersetzer arbeitet – zunächst an der Bibliothek tibetischer Werke und Archive in Dharamsala und später in Australien; und von Jeremy Russell, dem Chefredakteur der Zeitschrift Chö-Yang, die Stimme tibetischer Religion und Kultur, die vom Ministerium für religiöse und kulturelle Angelegenheiten der tibetischen Exilregierung publiziert wird.

Einleitung

Ich biete diese Unterweisungen für jene an, die nicht viel Zeit oder Gelegenheit zu umfassendem Studium haben. Ich habe nichts zu sagen, was nicht schon zuvor gesagt wurde. Lesen Sie also dieses Buch nicht einfach, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern versuchen Sie meine Erläuterungen zur Umwandlung Ihres Geistes zu nutzen. Es reicht einfach nicht aus, etwas schon zuvor gehört oder gelesen zu haben; Sie sollten sich wiederholt bemühen, es in Ihrer spirituellen Praxis anzuwenden, denn nur dann werden Ihnen diese Unterweisungen wirklich nützen.

Der Buddha selbst sagte: »Begeht keinerlei Missetaten; sammelt alle vorzüglichen Eigenschaften an; wandelt euren Geist vollständig um – das ist die Lehre des Buddha.« Wir sollten seinen Rat befolgen, weil dem innersten Empfinden nach keiner von uns Leid will; wir alle wollen Glück. Leid ist das Ergebnis irriger und negativer, Glück hingegen ist das Ergebnis positiver Handlungen. Negativität können wir jedoch nicht durch positives Handeln ersetzen, indem wir bloß unser körperliches oder verbales Verhalten ändern. Dies erfordert eine Umwandlung des Geistes.

Wir gehen im Leben auf intelligente Art an die Dinge heran, indem wir uns Ziele setzen und dann ausfindig machen, ob diese auch realisierbar sind. In der buddhistischen Praxis besteht unser Ziel darin, Nirvana und den Zustand von Buddhaschaft zu erlangen. Als Menschen besitzen wir glücklicherweise die Fähigkeit, diese Ziele zu erreichen. Der Erleuchtungszustand, nach dem wir streben, ist die Befreiung von der Last störender Emotionen. Die eigentliche Natur des Geistes ist rein; die störenden Emotionen, die ihn plagen, sind nur vorübergehende Mängel. Wir können jedoch negative Emotionen nicht beseitigen, indem wir bestimmte Gehirnzellen entfernen. Selbst die fortgeschrittenste Operationstechnik kann diese Aufgabe nicht leisten. Das lässt sich nur durch eine Umwandlung des Geistes erreichen.

Der Buddhismus lehrt, der Geist sei die Hauptursache für unsere Wiedergeburt im Existenzkreislauf. Aber der Geist ist auch der Hauptfaktor, der uns die Befreiung aus diesem Geburts- und Todeskreislauf ermöglicht – indem wir die negativen Gedanken und Emotionen eindämmen und die positiven fördern und entwickeln. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass diese Aufgabe Jahre der Ausdauer und harten Arbeit erfordert. Wir können keine sofortigen Ergebnisse erwarten. Denken Sie an all die großen Meister der Vergangenheit. Auf ihrer Suche nach spiritueller Verwirklichung nahmen sie bereitwillig ungeheure Entbehrungen auf sich. Die Geschichte von Buddha Shakyamuni3 ist dafür eines der besten Beispiele.

Motiviert durch das Mitgefühl mit allen empfindenden Wesen, wurde Buddha Shakyamuni vor mehr als 2500 Jahren in Indien geboren. Er kam als Prinz zur Welt. Schon als Kind war er hinsichtlich seines Wissens wie auch seines Mitgefühls innerlich reif. Er erkannte, dass wir alle von Natur aus Glück wollen und nicht leiden möchten. Leid kommt nicht immer nur von außen. Es ist nicht nur mit Problemen wie Hungersnot und Dürre verbunden. Wäre dies der Fall, dann könnten wir uns vor Leid schützen, indem wir beispielsweise Nahrungsvorräte anlegen. Aber Leiden wie Krankheit, Altern und Tod sind Probleme, die mit dem eigentlichen Wesen unserer Existenz verknüpft sind, und wir können sie nicht durch äußere Bedingungen bewältigen. Und was noch wichtiger ist: Wir haben diesen ungezähmten Geist in uns, der für alle möglichen Probleme anfällig ist. Er wird von negativen Gedanken wie etwa Zweifel und Wut geplagt. Solange unser Geist von dieser Vielzahl negativer Gedanken heimgesucht wird, wird er unsere Probleme nicht lösen, auch wenn wir weiche, bequeme Kleidung besitzen und köstliche Nahrung zu essen haben.

Buddha Shakyamuni sah all diese Probleme, und er sann über das Wesen seiner eigenen Existenz nach. Er stellte fest, dass alle Menschen Leid erdulden, und er erkannte, dass wir dieses Elend aufgrund unseres undisziplinierten Geisteszustands erfahren. Er erkannte, dass unser Geist so ungestüm ist, dass wir oft nachts nicht einmal schlafen können. Angesichts dieser Vielzahl von Leiden und Problemen war er weise genug, nach einer Methode zur Bewältigung dieser Probleme zu fragen.

Er kam zu dem Schluss, ein Leben als Prinz in einem Palast biete keinerlei Möglichkeit, Leid zu beseitigen. Es war allenfalls ein Hindernis. Darum gab er alle Annehmlichkeiten des Palastes auf, einschließlich der Gesellschaft seiner Frau und seines Sohnes, und begann das hauslose Leben.4 Im Verlauf seiner Suche fragte er viele Lehrer um Rat und hörte ihre Unterweisungen. Er fand, dass ihre Lehren von einigem Nutzen waren, aber sie verhalfen nicht zu einer endgültigen Lösung des Problems – Leid zu beseitigen. Sechs Jahre lang unterzog er sich strenger Askese. Indem er sämtliche Annehmlichkeiten aufgab, die er als Prinz genossen hatte, und sich strenger asketischer Übung widmete, konnte er sein meditatives Verständnis stärken. Unter dem Bodhi-Baum5 sitzend, überwand er die hinderlichen Kräfte und erlangte Erleuchtung. Später gab er Unterweisungen, auf der Grundlage eigener Erfahrung und Verwirklichung begann er das Rad der Lehre zu drehen.6

Wenn wir über den Buddha reden, reden wir nicht über jemanden, der von Anfang an ein Buddha war. Er begann genauso wie wir. Er war ein gewöhnliches empfindendes Wesen, musste die gleichen Leiden mit ansehen wie wir: Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Er hatte allerlei Gedanken und Gefühle, Empfindungen von Glück und von Schmerz, geradeso wie wir. Aber infolge seiner starken und ausgeglichenen spirituellen Praxis erreichte er die verschiedenen Stufen des spirituellen Weges zur Erleuchtung.

Wir sollten uns sein Beispiel vor Augen halten. Wir haben dieses Leben als freie und von Glück begünstigte Menschen begonnen, und wir sind zwar vielfältigen Leiden unterworfen, aber wir besitzen menschliche Intelligenz. Wir verfügen über Unterscheidungsfähigkeit. Wir sind auf die unermesslich tiefgründige Lehre des Buddha gestoßen, und – was noch wichtiger ist – wir haben die Fähigkeit, sie zu begreifen. Seit Buddha Shakyamunis Zeit bis heute haben buddhistische Praktizierende sich von ihm und späteren erhabenen Lehrern inspirieren lassen.

Wir sind zwar als gewöhnliche Menschen geboren. Dennoch müssen wir, bevor wir sterben, diese kostbare Gelegenheit zur unerschütterlichen Verwirklichung des Dharma, der Lehren des Buddha, zu nutzen versuchen. Können wir dies tun, dann werden wir uns vor dem Tod nicht fürchten müssen. Ein guter Dharma-Schüler kann ohne Bedauern friedvoll sterben, weil sein oder ihr menschliches Potenzial voll verwirklicht ist. Wenn wir hingegen als Menschen unfähig sind, eine positive Prägung in unserem Geist zu hinterlassen, und nur negative Handlungen ansammeln, wird unser menschliches Potenzial am Ende wirkungslos vertan sein. Wer für den Schmerz und die Vernichtung von Menschen und anderen empfindenden Wesen verantwortlich ist, gleicht mehr einer bösen Macht als einem menschlichen Wesen. Machen Sie daher aus diesem menschlichen Leben etwas Lohnendes und nicht etwas Zerstörerisches.

In dieser Welt führt man bisweilen Kriege im Namen der Religion. Das geschieht, wenn wir die Religion letztlich als bloßes Etikett auffassen, also ihre Bedeutung nicht wirklich in die Tat umsetzen. Mithilfe der spirituellen Praxis sollen wir unseren ungebärdigen Geist disziplinieren. Wenn wir uns von negativen Gedanken leiten lassen, ohne uns jemals zu bemühen, sie umzuwandeln, und den Dharma dazu benutzen, unseren Stolz zu verstärken, kann er zum Grund für einen Krieg werden. Nutzen wir hingegen die spirituelle Praxis zur Umwandlung unseres Geistes, dann besteht keinerlei Möglichkeit, dass er zu einer Konfliktursache wird.

Bei zu vielen Menschen beschränkt sich der Dharma nur auf ein Lippenbekenntnis. Anstatt den Dharma zu nutzen, um bei sich selbst negative Gedanken zu beseitigen, betrachten sie den Dharma als einen Besitz und sich als den Eigentümer. Sie benutzen den Dharma, um den Krieg zu führen und andere destruktive Handlungen zu begehen. Ob wir uns nun zum buddhistischen, hinduistischen, christlichen, jüdischen oder moslemischen Glauben bekennen – wir sollten uns nicht bloß mit dem Etikett der jeweiligen Konfession zufriedengeben. Vielmehr geht es darum, die in diesen verschiedenen religiösen Überlieferungen enthaltene Botschaft herauszuholen und sie dazu zu verwenden, unseren undisziplinierten Geist umzuwandeln. Kurzum, als Buddhisten sollten wir dem Beispiel von Buddha Shakyamuni folgen.

Denke ich über Buddha Shakyamunis Leben nach, habe ich bisweilen ein unbehagliches Gefühl. Obwohl Buddha Shakyamunis Lehre auf mehreren Ebenen interpretiert werden kann, ist aus dem historischen Bericht klar ersichtlich, dass Buddha Shakyamuni sich sechs Jahre lang harter Übung unterzog. Dies zeigt, dass man den Geist nicht umwandeln kann, indem man bloß schläft und sich entspannt und sämtliche Annehmlichkeiten des Lebens genießt. Es zeigt uns: Nur dadurch, dass wir hart arbeiten und über lange Zeit Entbehrungen auf uns nehmen, können wir erleuchtet werden. Es ist nicht leicht, innerhalb kurzer Zeit und ohne Mühe all die spirituellen Stufen und Verwirklichungen zu erreichen. Selbst der Buddha, der Begründer dieser Lehre, musste solche Entbehrungen auf sich nehmen. Wie können wir also erwarten, spirituelle Höhen zu erreichen und erleuchtet zu werden, indem wir lediglich bestimmte Übungen durchführen und eine erholsame Zeit verbringen? Wenn wir die Geschichten von den großen spirituellen Lehrern der Vergangenheit lesen, stellen wir fest, dass sie spirituelle Verwirklichung durch sehr viel Meditation, Einsamkeit und Übung erlangt haben. Sie versuchten nicht, den Weg irgendwie abzukürzen.

Wenn wir wirklich aus tiefstem Herzen Zuflucht zum Buddha nehmen, müssen wir uns sein Beispiel vor Augen halten. Kommt die Zeit, sich ernsthaft zu bemühen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, so ist es ganz entscheidend zu wissen, wie man dabei vorgeht. Erleuchtung können wir nämlich nicht einfach durch Bemühung und Entbehrungen erlangen. In der buddhistischen Überlieferung brauchen wir Vertrauen und Hingabe, doch diese müssen mit Intelligenz und Weisheit verknüpft sein. Selbstverständlich werden wir durch Hingabe und Vertrauen eine bestimmte spirituelle Entwicklung erreichen können, aber um Nirvana und Erleuchtung zu erlangen, werden wir auch Weisheit benötigen.

Um jene positiven Eigenschaften zu entwickeln, die wir gegenwärtig nicht haben, und die bereits vorhandenen zu stärken und zu entfalten, sollten wir die verschiedenen Ebenen der Weisheit verstehen. Es ist wichtig, dass wir unsere Intelligenz und Weisheit auf den richtigen Gegenstand konzentrieren können. Wenn ein hochintelligenter Mensch keine entsprechende Gelegenheit erhält, wird er oder sie diese Intelligenz nicht auf das richtige Thema richten können. Um Weisheit zu entwickeln, müssen wir die Gelegenheit finden, unsere Intelligenz auf einen geeigneten Aspekt der Lehre anzuwenden. Daher bat uns Buddha Shakyamuni, ihm nicht einfach nur zu vertrauen. Er löste nicht alle unsere Probleme, indem er sagte: »Habt Vertrauen zu mir.« Er begann mit der Darlegung der Vier Edlen Wahrheiten7; und auf dieser Basis gab er verschiedene, mehrere Ebenen umfassende Unterweisungen und legte so die Stufen des Weges dar, denen man folgen kann.

Schon die Sammlung der Worte des Buddha, die ins Tibetische übersetzt wurden, füllt mehr als 108 Bände; das veranschaulicht, in welchem Umfang er lehrte. Außer diesen gab es viele Unterweisungstexte des Buddha, die nicht ins Tibetische übersetzt wurden. Echtes Vertrauen und echte Weisheit sind die Frucht angemessenen Studiums. Wir sollten versuchen, diese Unterweisungen zu verstehen und in die Tat umzusetzen. Das wird uns helfen, Weisheit zu entwickeln – umso mehr, wenn wir uns in Mitgefühl üben. Nach und nach werden wir unseren Geist disziplinieren können. In der buddhistischen Philosophie glauben wir nicht, dass die Dinge durch irgendeinen äußeren Faktor hervorgerufen oder angeregt werden. Auch glauben wir nicht, dass die Dinge aus dauerhaften Ursachen entstehen. Wir bringen die Erfahrung von Glück und Leid sowie deren Ursachen mit unseren eigenen Handlungen in Zusammenhang. Und die Qualität unseres Handelns hängt vom Zustand unseres Geistes ab – davon, ob er diszipliniert oder undiszipliniert ist.

Probleme und Leiden entstehen aufgrund eines undisziplinierten Geisteszustands. Daher liegt unser persönliches Glück genau genommen in unseren eigenen Händen. Die Verantwortung ruht auf unseren eigenen Schultern; wir können nicht erwarten, dass uns jemand einfach Glück verschafft. Der Weg, Glück zu erleben, besteht darin, dessen Ursachen zu erkennen und sie zu entwickeln sowie die Ursachen des Leids zu erkennen und sie zu beseitigen. Wissen wir, was in die Tat umgesetzt werden und was aufgegeben werden muss, dann werden wir ganz natürlich Freude erfahren.

Die Wurzel des Leids ist Unwissenheit, was hier gleichbedeutend ist mit der irrigen Auffassung von einem Selbst.8 All die Abertausend Leiden, die uns widerfahren, entstehen aufgrund dieser irrigen Auffassung, dieses falschen Verständnisses. Wenn es daher heißt, der Buddha habe aus Mitgefühl alle falschen Ansichten aufgegeben, dann bedeutet dies, dass er von dem Mitgefühl durchdrungen war, zum Nutzen aller empfindenden Wesen zu wirken. Um empfindenden Wesen zu nützen, gab er verschiedene, mehrere Ebenen umfassende Unterweisungen, die frei von falschen Ansichten und negativen Gedanken sind. Daher werden jene, die diese Unterweisungen befolgen, indem sie die richtige Anschauung begreifen und sie in die Tat umsetzen, das Leid beseitigen. Wir erweisen Buddha Shakyamuni unsere Ehrerbietung, weil er solch großartige Unterweisungen gegeben hat.

Der Buddha ist eine verlässliche Zuflucht, weil er zu Beginn Mitgefühl entwickelt und dann sein ganzes Leben damit verbracht hat, Mitgefühl wachzurufen, zu entfalten und zu hegen. Ob ein bestimmter Mensch vertrauenswürdig ist oder nicht, hängt auch im alltäglichen Leben davon ab, ob er oder sie Mitgefühl besitzt. Hat jemand kein Mitgefühl, werden wir uns auf die betreffende Person wahrscheinlich nicht verlassen, selbst wenn sie intelligent und hochgebildet ist. Bildung allein reicht nicht aus; die grundlegende Eigenschaft, die bewirkt, dass Menschen für andere empfindende Wesen hilfreich sind, ist Mitgefühl. Wenn jemand Mitgefühl besitzt oder eine Gesinnung an den Tag legt, die von dem Wunsch getragen ist, empfindenden Wesen zu nützen, können wir uns ihm oder ihr zuversichtlich anvertrauen. Die bedeutendste Eigenschaft des Buddha ist die Gesinnung, die von dem Wunsch getragen ist, empfindenden Wesen zu nützen – das Mitgefühl. Weil er jene positiven Eigenschaften in sich entwickelt hat, vermag er deren Bedeutsamkeit zu erläutern. Solch einem Lehrer können wir uns anvertrauen, weil er in diesen Qualitäten Erfahrung hat.

Buddha Shakyamuni, auf den der Buddhismus zurückgeht, ist ein zutiefst glaubwürdiger, ein unfehlbarer Mensch, auf den wir uns sicher verlassen können. Und doch reicht es nicht, dass er unfehlbar ist; wir sollten wissen, wie wir seinem Beispiel folgen können. Wir müssen wissen, wie wir den falschen Weg aufgeben und wie wir uns auf positive Wege begeben und ihnen folgen können. Auch ohne direkte Erfahrung mit diesen Unterweisungen gilt: Mit einem gewissen Verständnis dieser Dinge können wir uns besser mit Leiden und Problemen auseinandersetzen, wenn wir damit konfrontiert sind.

Wir können uns gut vorstellen, dass sich zwei Individuen, wenn sie mit dem gleichen Problem konfrontiert sind, in ihrer Einstellung und der Art, mit der Situation fertigzuwerden, grundlegend voneinander unterscheiden werden, je nachdem, ob sie über ein Verständnis des spirituellen Weges verfügen oder nicht. Statt Leiden und Probleme zu mildern, wird die Person, der spirituelles Verständnis fehlt, sie wahrscheinlich durch Wut, Eifersucht und so fort verschlimmern. Die Person, die über eine gewisse spirituelle Einsicht, ein gewisses spirituelles Verständnis verfügt, wird aufgrund ihrer mentalen Einstellung offener und unvoreingenommener auf die Situation reagieren können. Mit einem gewissen Verständnis hinsichtlich der Unterweisungen des Buddha sowie einer gewissen Erfahrung hinsichtlich dieser Unterweisungen werden wir zwar möglicherweise das Leid nicht beenden können, aber in einer besseren Lage sein, mit unseren Problemen zurechtzukommen. Daher werden wir in unserem täglichen Leben aus den Unterweisungen wirklichen Nutzen ziehen.

Die Bereiche des Existenzkreislaufs9 sind vergänglich wie Herbstwolken. Das Kommen und Gehen empfindender Wesen kann man als Szenen in einem Drama auffassen. Die Art, wie empfindende Wesen geboren werden und sterben, hat Ähnlichkeit mit der Art, wie Charaktere eines Theaterstücks auf die Bühne kommen und von ihr abtreten. Aufgrund dieser Vergänglichkeit haben wir keine bleibende Sicherheit. Heute haben wir das Glück, als Menschen zu leben. Verglichen mit dem Dasein der Tiere und jener Wesen, die in der Hölle leben, ist das menschliche Leben sehr kostbar. Aber selbst wenn wir es als kostbar betrachten – das Leben endet schließlich mit dem Tod. Führen wir uns den gesamten Verlauf der menschlichen Existenz vom Anfang bis zum Ende vor Augen, so stellen wir fest, dass es kein dauerhaftes Glück und keine Sicherheit gibt.

Schon unsere Geburt ist mit Leid verbunden. Danach stehen wir Problemen gegenüber: Krankheiten befallen uns, wir altern, wir bekommen nicht, was wir wollen, und geraten in Situationen, die wir nicht wollen. Einige der Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, sind womöglich durch Menschen verursacht, etwa der Krieg. Aber solange wir im Existenzkreislauf geboren werden und solange störende Emotionen unseren Geist vergiften, werden wir keinen dauerhaften Frieden, kein dauerhaftes Glück finden. Alle Teile eines Giftbaums – seine Früchte, Blüten, Wurzeln, Blätter und Zweige – werden natürlicherweise vom Gift durchtränkt sein. Da unsere ganze Existenz dem Einfluss störender Emotionen ausgesetzt ist, ergibt es sich zwangsläufig, dass uns früher oder später Leid widerfährt und wir mit Problemen zu kämpfen haben. Weil die Leiden der Krankheit und des Todes dem Wesen des Existenzkreislaufs entsprechen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir krank werden und sterben. Mögen wir also Krankheit und Tod nicht, dann sollten wir dem Existenzkreislauf ein Ende setzen. Wir sollten dem ein Ende machen, hier abermals geboren zu werden. Solange die drei wichtigsten störenden Emotionen – Begierde, Hass und Unwissenheit – in uns wohnen, werden wir ständig einer Flut unbefriedigender Erfahrungen ausgesetzt sein. Wenn störende Emotionen in unserem Geist aufkommen, geht uns der innere Frieden verloren. Darum lautet die entscheidende Frage: Wie können wir sie beseitigen?

Störende Emotionen sind dem Geist nicht wesensgleich. Andernfalls müssten, sobald der Geist vorhanden ist, immer auch die störenden Emotionen vorhanden sein. Aber das ist nicht der Fall. Beispielsweise kann jemand generell ein sehr hitziges Temperament haben – aber bleibt der oder die Betreffende den ganzen Tag lang hitzig und wütend? Selbst übellaunige Menschen lächeln hin und wieder und entspannen sich. Daher sind selbst starke störende Emotionen vom Geist nicht untrennbar. Im Grunde sind beide voneinander getrennt.

Störende Emotionen sind durch Unwissenheit bedingt. Genauso wie der Tastsinn unseren ganzen physischen Körper durchdringt, durchdringt die Unwissenheit sämtliche störenden Emotionen. Es gibt keine störende Emotion, die nicht mit Unwissenheit verknüpft ist. Daher müssen wir untersuchen, was diese Unwissenheit ist. Sie ist der sehr wirkungsvolle negative Geisteszustand, der alle störenden Emotionen herbeiführt. Sie wirft uns in den Existenzkreislauf. Zwar ist die Unwissenheit oder die irrige Auffassung von einem Selbst sehr stark. Dennoch ist sie nur falsches oder im Irrtum befindliches Bewusstsein. Andere Geistesverfassungen oder Bewusstseinslagen können als positive Gegenkraft zu dieser Unwissenheit dienen. Verlassen wir uns auf die positiven Aspekte des Bewusstseins, dann können wir die Unwissenheit beseitigen. Die Natur des Geistes ist Klarheit und Gewahrsein. In unserer Grundnatur gibt es keine störenden Emotionen. Sie sind nur zeitweilige Behinderungen des Geistes. Daher können die störenden Emotionen aus der Grundnatur des Geistes entfernt werden. Eines Tages wird der Geist erleuchtet sein, weil seine Natur Klarheit und Gewahrsein ist.

Gegenwärtig verfügen Sie möglicherweise in diesem Punkt über keine persönliche Erfahrungsgewissheit. Aber wenn Sie lernen und von Logik und Analyse Gebrauch machen, werden Sie nach und nach die innere Gewissheit gewinnen, dass es möglich ist, die Behinderungen des Geistes auszuräumen. Generell gilt: Es gibt einen Zustand – Nirvana –, der von störenden Emotionen frei ist, und wir können diesen Zustand in unserem Geist erreichen. Da wir kein Leid wollen und es möglich ist, ihm ein Ende zu setzen und Nirvana zu erreichen, ist es durchaus zweckmäßig, über Leid zu meditieren. Wenn wir begreifen, dass der gesamte Existenzkreislauf von der Natur des Leids geprägt ist, werden wir uns auf das Üben der drei Schulungen einlassen – Sittlichkeit, Meditation und Weisheit. Dann werden wir, ganz gleich, wie schön manche Dinge zu sein scheinen, begreifen, dass auch sie von der Natur des Leids geprägt sind.

Im Streben nach Nirvana sollten wir danach trachten, in Zukunft einen besseren Daseinszustand zu erlangen. Bevor wir dies tun, müssen wir die Bedeutsamkeit dieses gegenwärtigen Lebens voll und ganz erkennen. Wenn uns die Nützlichkeit dieses gegenwärtigen Lebens nicht einsichtig ist und wir auch nicht verstehen, wie man mithilfe von Mitgefühl und Herzensgüte ein gutes Leben führt, mag es zwecklos sein zu erörtern, wie man in künftigen Leben höhere Qualitäten erlangt. Da es möglich ist, Befreiung aus dem Existenzkreislauf zu erreichen, ist es unbedingt erforderlich, den Geist im Streben nach Buddhaschaft zu schulen. Solch eine Motivation können wir entwickeln, indem wir uns darauf besinnen, dass alle empfindenden Wesen uns insofern gleichen, als sie Glück wollen und kein Leid. Daher können wir uns innerlich verpflichten, eine gewaltige Anzahl empfindender Wesen dahin zu bringen, den unübertrefflichen höchsten Zustand von Buddhaschaft zu erreichen. Zu diesem Zweck müssen wir mit dem Weg vertraut werden, der zu Buddhaschaft führt; und dies erfordert Übung in den beiden zusammengehörigen Qualitäten Methode und Weisheit.10

In den Schriften heißt es: Der Buddha, der Dharma und die spirituelle Gemeinschaft sind die Zuflucht für jene, die Befreiung ersehnen. Ganz allgemein gibt es viele Arten, wie wir Zuflucht suchen. Wenn wir von der Hitze der Sonne versengt werden, nehmen wir im Schatten eines Baumes Zuflucht. Wenn wir Hunger haben, nehmen wir zu Nahrung Zuflucht. Auf ähnliche Weise nehmen wir in der Hoffnung auf zeitweiligen Nutzen oder Lohn bei ortsgebundenen Göttern und Geistern Zuflucht. In all den verschiedenen religiösen Traditionen stehen uns verschiedene Möglichkeiten der Zufluchtnahme offen. Für Buddhisten ist Nirvana oder der wirkliche Zustand der Leidensbeendigung die eigentliche Zuflucht.

Was ist dieses Nirvana, dieser Zustand des Friedens? Obwohl wir nicht leiden wollen, widerfährt uns Leid, weil unser Geist von störenden Emotionen überwältigt ist und wir aufgrund dieses undisziplinierten Geisteszustands negative Handlungen ansammeln. Daher ist der undisziplinierte Zustand unseres Geistes die Ursache des Leids. Wenn wir die Ursachen beseitigen können, die zu störenden Emotionen führen, werden wir den Zustand der Leidensbeendigung erreichen, den man Nirvana oder Befreiung nennt, einen Zustand wahren oder dauerhaften Glücks. Deshalb ist der Dharma unsere eigentliche Zuflucht.

Um den Zustand der wahren Beendigung des Leids zu erreichen, müssen wir dem wahren Weg folgen. Dies macht erforderlich, dass wir positive Eigenschaften in uns entwickeln. Wir beginnen mit der Erkenntnis, dass unser Geist zu Unwissenheit, Verwirrung und irrigen Auffassungen neigt. Mit zunehmender Einsicht in die wahre Natur der Phänomene werden wir zunächst zu zweifeln beginnen, ob die Dinge eine inhärente Existenz haben. Wir werden zu der Einsicht gelangen, dass Objekte, an denen wir hängen, die wir vorher für absolut vortrefflich hielten, keinerlei inhärente oder substanzielle Existenz haben. In ähnlicher Weise haben Dinge, die uns in Wut versetzen, keine inhärente oder unabhängige Existenz. Indem wir uns mit diesem Verständnis vertraut machen, werden wir unsere Erkenntnis vertiefen. Schließlich werden wir direkt jene Weisheit entwickeln können, die die Leerheit, die wahre Natur der Phänomene, erkennt. Das ist so, wie wenn man in der Dunkelheit ein Licht anzündet. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unseren Geist schlagartig erleuchten können und dabei die Finsternis der Unwissenheit zerstreuen – ungefähr so, wie wir eine elektrische Lichtquelle einschalten. Innere Qualitäten muss man Schritt für Schritt entwickeln.

Andere Religionen besitzen viele vortreffliche Anweisungen, wie man Liebe und Mitgefühl entwickelt, aber keine andere religiöse Überlieferung erklärt und begründet, dass die Dinge keine inhärente Existenz haben und dass alles jeweils von etwas anderem abhängt. Nur die buddhistische Überlieferung erklärt und begründet einen Zustand der Befreiung, den man durch wirkliche Einsicht in Leerheit, die wahre Natur aller Phänomene, erreicht. Daher sind nur der Buddha, der Dharma und die spirituelle Gemeinschaft oder die Drei Juwelen die unfehlbare Zuflucht für jene, die Befreiung oder Nirvana ersehnen. Dies hat der mitfühlende Buddha Shakyamuni gelehrt.

Wir sollten zu den Drei Juwelen so Zuflucht nehmen wie jemand, der sich in einer verzweifelten Lage nirgendwo sonst hinwenden kann. Es gibt verschiedene Arten von Vertrauen. Eine davon ist das reine oder klare Vertrauen, mit dem man die Qualitäten von Buddha, Dharma und spiritueller Gemeinschaft hoch schätzt und anerkennt. Dann gibt es das Vertrauen, das eine Form von zuversichtlicher Erwartung ist. Als Nächstes folgt das strebende Vertrauen. Dieses ist bedeutsamer, denn mit dieser Art von Vertrauen begnügen wir uns nicht damit, die Qualitäten des Buddha, des Dharma und der spirituellen Gemeinschaft zu würdigen und anzuerkennen, sondern bemühen uns selbst, Buddhaschaft zu erreichen und die Qualitäten des Dharma zu erlangen und ein Mitglied der spirituellen Gemeinschaft zu werden. Wenn Sie fähig sind, sich so zu bemühen, können Sie sicher sein, dass Sie in Ihrem künftigen Leben unter günstigen Voraussetzungen wiedergeboren werden. Sofern Sie in Ihrem täglichen Leben ernsthaft praktizieren, brauchen Sie nichts zu bereuen, wenn Sie schließlich sterben. Zum Zeitpunkt Ihres Todes kommt es darauf an, dass Sie imstande sind, eine rechtschaffene Einstellung und eine reine und positive Motivation aufrechtzuerhalten. Sie werden dazu imstande sein, weil Sie in Ihrem Leben praktiziert haben. Sollten Sie hingegen in Ihrem Leben nicht viel Zeit gehabt haben, sich auf spirituelle Aktivitäten einzulassen: Wenn Sie zum Zeitpunkt Ihres Todes wachsam bleiben und versuchen, Ihren Geist heilsamen Qualitäten zuzuwenden, wird Ihnen das bestimmt helfen, eine Wiedergeburt unter günstigen Voraussetzungen zu erlangen.

Die Stufen des Weges zur Erleuchtung und die in ihnen enthaltenen Lehren zu studieren ist für unseren Geist sehr nützlich. Beim Studieren gewinnen wir den Eindruck, dass wir uns im Sinne der Unterweisungen ernsthaft bemühen sollten. Wir haben das Gefühl, durch solches Bemühen spirituell bestimmt Fortschritte machen zu können. Möglicherweise können wir sogar Erleuchtung erlangen. Daher sollten Sie nicht denken, Sie seien nicht intelligent genug, um solche Lehren studieren zu können. Wenn Sie sich selbst entmutigen, werden Sie nie mehr Gelegenheit haben, solche Anweisungen zu studieren. Es heißt, dass alle empfindenden Wesen, auch die winzigsten Insekten, Buddhanatur besitzen. Da wir als Menschen geboren sind, haben wir die Gelegenheit und Befähigung, die Lehre des Buddha zu verstehen. Versuchen Sie die vorliegenden Unterweisungen beim Anhören bzw. Lesen auf Ihren Geist zu beziehen. Versuchen Sie, die schadhaften Zustände Ihres Geistes aufzuspüren und den Entschluss zu fassen, sie durch das Entwickeln positiver Eigenschaften zu verbessern. Wenn Sie Ihre Fehler nicht klar zu erkennen vermögen, werden Sie keine Verbesserung erzielen können. Generell können Menschen eigene Fehler nur durch besondere Aufmerksamkeit einsehen. Deshalb behaupten wir normalerweise, nichts Unrechtes getan zu haben. Also ist es äußerst wichtig, sich zu prüfen. Wir sind gewohnt, unser tägliches Leben zu führen, ohne sonderlich darauf achtzugeben, was wir gerade tun. Daher sollten Sie sich mit dieser Unterweisung so befassen, dass sie zur Klärung Ihres Geistes beiträgt. Viel Erfahrung habe ich nicht. Aber gestützt auf die wenige, die ich habe, kann ich Ihnen mit Gewissheit versichern, dass Sie solche Fortschritte machen können, wenn Sie es versuchen.

Wir haben dieses kostbare Dasein als freier und von Glück begünstigter Mensch erlangt, aber es wird nicht für immer andauern. Früher oder später müssen wir dem Tod ins Auge sehen. Wenn wir dann in einen ungünstigen Existenzzustand fallen, wird es sehr schwierig sein, eine Gelegenheit zu finden, den Dharma zu üben. Wir werden fortwährend von vielfältigem Leid geplagt werden. Darum ist es äußerst wichtig, sofort mit der spirituellen Praxis zu beginnen, um den Impuls aufrechtzuerhalten, jetzt und in Zukunft heilsame Eigenschaften zu entwickeln und die negativen zu beseitigen. Indem wir dies tun, werden wir auch eine gewisse Verwirklichung und ein gewisses Verständnis des wahren Weges und der wahren Leidensbeendigung erlangen. Haben wir diese beiden erst einmal gründlich begriffen, dann werden wir voll und ganz erkennen, inwiefern der Buddha ein einwandfreier und verlässlicher Lehrer ist. Wir werden auch seine Lehren besser verstehen.

Es reicht nicht aus, als Mensch oder Gott in günstigen Existenzzuständen geboren zu sein. Solange wir die störenden Emotionen in unserem Geist nicht zähmen und beseitigen, werden wir keine Gelegenheit finden, Freude und dauerhaften Frieden zu genießen. Haben wir erst einmal ein gewisses Verständnis gewonnen, was mit dem wahren Weg und der wahren Beendigung des Leids gemeint ist, werden wir begreifen können, dass es mächtige Gegenkräfte zu den störenden Emotionen gibt und dass man diesen ein Ende bereiten kann. Zu diesem Zeitpunkt entwickeln wir vielleicht ein starkes Streben, Nirvana zu erlangen, die Beendigung unseres persönlichen Leids. Aber auch das reicht nicht aus. Wir müssen weiter voranschreiten, um eine Gesinnung zu entwickeln, in der wir den Wunsch haben, Buddhaschaft zu erlangen – zum Wohle aller empfindenden Wesen, um alle Wesen aus dem Leid zu befreien. Ich habe versucht, diese Lehren anhand meiner Erfahrungen zu erläutern, was meinem Gefühl nach für Ihren Geist wohl am wirksamsten ist. Als spirituelle Übende sollten wir weitblickend sein. Von einer festen Grundlage ausgehend, sollten wir etwas von spirituellem Wert aufbauen. Selbstverständlich wird das einige Zeit beanspruchen, aber wenn wir zunächst einmal weitblickend sind und in unserem stetigen Bemühen nicht nachlassen, werden wir nach und nach etwas Lohnendes errichten können. Das Ziel, die Buddhaschaft, scheint womöglich weit entfernt zu sein, doch wenn es um unsere tägliche Praxis geht, sollten wir mit den Grundlagen beginnen und auf diesem Fundament aufbauen. Schließlich werden wir Erleuchtung erreichen. Und um zu praktizieren, müssen wir wissen, was wir tun sollen und wie wir es tun sollen. Deshalb lesen wir Unterweisungen wie diese oder hören sie uns an.

1. Kapitel

Der Erleuchtungsgeist

Der Buddhismus legt großes Gewicht auf innere Erforschung, auf Schulung, die der Entwicklung des Geistes dient. Aus buddhistischer Sicht ist das Lehren und Studieren des Dharma nicht bloß eine theoretische Beschäftigung. Wir studieren und lehren den Dharma, um unseren ungebärdigen Geist zu disziplinieren. Auf diese Weise können wir unsere Buddhanatur erwecken. Wir haben das Potenzial, jene Faktoren auszuräumen, die unseren Geist behindern, und die außerordentlichen Kräfte zu erlangen, die daraus erwachsen.

Es freut mich, dass Menschen sich für die Lehren des Buddha interessieren, ohne notwendigerweise selbst Buddhisten zu sein. Die unterschiedlichen philosophischen Darstellungen unserer vielfältigen religiösen Überlieferungen sind dazu bestimmt, den verschiedenen geistigen Veranlagungen und Bedürfnissen gerecht zu werden, die wir bei den Menschen vorfinden. All diesen unterschiedlichen Methoden und Praxisformen ist ein Ziel gemeinsam: den Individuen zu helfen, gute Menschen zu werden und ein besseres Leben zu führen. Daher ist Eintracht zwischen den verschiedenen religiösen Überlieferungen von höchster Bedeutung. Und um diese Eintracht zu erreichen, brauchen wir mehr Verständnis für die Situation unserer Mitmenschen.

Weil dies eine buddhistische Unterweisung ist, rezitieren wir am Anfang eine Strophe, deren erstes Verspaar die Zufluchtnahme zum Buddha, Dharma und der spirituellen Gemeinschaft betrifft:

Bis ich erleuchtet bin, nehme ich Zuflucht

zum Buddha, dem Dharma und der spirituellen Gemeinschaft.

Weil es sich um eine Unterweisung des Großen Fahrzeugs, des Mahayana11, zur Befreiung aller Wesen von Leid handelt, beziehen sich die letzten beiden Zeilen dieses Verses auf das Entwickeln des Erleuchtungsgeistes:12

Möge ich durch das Lesen oder Anhören dieser Unterweisung

um aller umherirrenden Wesen13 willen den Zustand eines Buddha erreichen.

Der Erleuchtungsgeist besteht in dem Vorsatz, Buddhaschaft zu erreichen, um alle Wesen im Universum von Leid zu befreien. Um den Erleuchtungsgeist zu entwickeln, müssen wir meditieren; er lässt sich nicht durch bloßes Wunschdenken und Beten entfalten. Er lässt sich nicht dadurch entfalten, dass man lediglich ein intellektuelles Verständnis seiner Bedeutung gewinnt. Er lässt sich auch nicht dadurch entfalten, dass man einfach Segnungen empfängt. Wir müssen ihn durch Meditation entwickeln und ihn uns auf lange Sicht immer wieder zur Gewohnheit machen. Damit wir immer weiter über den Erleuchtungsgeist meditieren können, müssen wir zuerst voll und ganz erkennen, welcher Nutzen darin liegt, ihn zu entwickeln. Wir müssen ein starkes Verlangen danach haben und eine dringende Notwendigkeit darin sehen, den Erleuchtungsgeist zu entwickeln.

Wenn wir Freude daran haben, wird unsere Meditation umso eher erfolgreich sein. Die edle Gesinnung, anderen nützen zu wollen, ist äußerst wirkungsvoll. Sie ist die wichtigste Quelle von Glück, Mut und Erfolg im Leben. Wenn unser Geist voller Argwohn und Groll ist, haben wir automatisch den Eindruck, dass andere schlecht von uns denken. Diese negativen Gefühle färben auf all unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen ab. Meistens bereiten sie uns Kummer. Das ist ganz natürlich. Daher gilt schon für dieses Leben: Je uneigennütziger wir sind, desto glücklicher werden wir sein. Je mehr wir von Groll und Hass beeinflusst sind, desto unglücklicher, elender werden wir sein.

Ob wir nun Glück für uns oder für andere erstreben und ob wir vorübergehendes oder langfristiges Glück erstreben – wir brauchen diese edle Gesinnung des Mitgefühls schon in diesem Leben. Ebenso müssen wir Herzensgüte entwickeln, wenn wir in Zukunft für mehrere Lebensspannen eine günstige Wiedergeburt als Mensch oder Himmelswesen14 erreichen wollen. Eine höhere Wiedergeburt ist das Ergebnis bestimmter Handlungen – etwa anderen Wesen nicht das Leben zu nehmen. Eine höhere Wiedergeburt beruht darauf, dass man im vorherigen Leben alle Handlungen unterlässt, die dem Körper, dem Leben, den Besitztümern, Freunden und Beziehungen anderer schaden, und die zehn heilsamen Handlungen ausübt (Lebenserhaltung, Mildtätigkeit, Wahrung eines ethisch verantwortbaren Sexualverhaltens, wahrheitsgemäßes Sprechen, auf Harmonie bedachtes Sprechen, liebenswürdiges Sprechen, besonnenes Sprechen, Freigebigkeit, Hilfsbereitschaft und rechte Ansichten). Wir sammeln die zu einer solchen Wiedergeburt führenden positiven Ursachen an, indem wir aufhören, anderen Schaden zuzufügen. Solches Handeln wurzelt in einer gütigen Einstellung gegenüber anderen.

Wenn wir einen Arzt zurate ziehen, verordnet dieser den meisten von uns Ruhe. Aber was bedeutet es, sich auszuruhen? Es bedeutet mehr, als bloß im Bett zu liegen. Ruhe bedeutet, geistig entspannt zu bleiben. Ob der Arzt uns dies nun ausdrücklich klarmachen kann oder nicht – wenn er uns Ruhe verordnet, meint er, dass wir nicht nur körperliche Betätigung vermeiden, sondern auch geistig entspannt und unbesorgt sein sollten. Dann werden wir wirklich zur Ruhe kommen. Geistige Entspannung ist das Ergebnis einer positiven geistigen Einstellung und positiver Gefühle. Wenn unser Geist von negativen Einstellungen beeinträchtigt wird und wir Groll in uns hegen, ist geistige Entspannung unmöglich. Wenn wir uns also ausruhen sollen, um körperlich gesund zu werden, lautet der Rat: »Sei ein warmherziger Mensch« – denn das ist die beste Methode, Besorgnis zu vermeiden.

Aus ebensolchen Gründen fragte der große indische Heilige und Gelehrte Atisha jedes Mal, wenn er jemandem begegnete: »Ist dein Geist gut gestimmt?« Ganz so, wie wir heutzutage sagen: » Wie geht es dir?« Er fragte nicht wirklich, ob der Mensch, mit dem er redete, warmherzig sei, sondern wie es ihm oder ihr gehe, wie es ihm oder ihr an dem betreffenden Tag ergangen sei. Aber die Frage so zu stellen wie er hat eine tiefere Bedeutung. Ich glaube nicht, dass Atisha die Menschen bloß von einem religiösen Standpunkt aus so ansprach. Er fragte mit seiner Anrede: »Bist du gut ausgeruht? « So wie wir fragen könnten: »Hast du gut geschlafen? « Denn Ruhe ist die Frucht eines positiven Geistes.

Offenkundig lohnt es sich also, Herzensgüte zu entwickeln. Die Frage ist nur, wie man das bewerkstelligt. Bei der Geistesschulung ist mit Herzensgüte der Erleuchtungsgeist gemeint – die beste, höchste und endgültige Erscheinungsform von Herzensgüte. Er ist eine grenzenlos gütige Gesinnung, die durch Weisheit ergänzt wird. Die Schriften legen dar, dass es im Erleuchtungsgeist zwei Bestrebungen gibt. Er ist eine Geistesverfassung, die erstens durch das Bestreben, die Ziele anderer zu verwirklichen, herbeigeführt wird, und die zweitens durch das Bestreben, Buddhaschaft zu erreichen, unterstützt wird.

Nun, was meinen wir, wenn wir »durch Weisheit ergänzt« sagen? Nehmen wir die Zufluchtnahme zum Buddha als Beispiel. Ein solcher Geisteszustand könnte beinhalten, dass man den Buddha als höchste Zuflucht akzeptiert, die von allen Mängeln frei und mit allen Qualitäten ausgestattet ist. Er könnte darin bestehen, einfach zu akzeptieren, dass der Buddha ein kostbares und heiliges Wesen ist. Er könnte ganz von gläubigem Vertrauen getragen sein. Man kann jedoch bei der Zufluchtnahme auch ganz anders vorgehen, indem man die Natur eines solchen Buddha und die Möglichkeit seiner bzw. ihrer Existenz analysiert und erforscht. Aufgrund einer solchen Untersuchung können wir verstehen lernen, dass ein solcher Buddha möglich ist. Wir lernen die Natur des Buddha verstehen: dass er oder sie einen Geist mit einzigartigen Qualitäten besitzt, der frei von allen Behinderungen ist. Und nachdem wir die Bedeutung eines solchen erhabenen Buddha erfasst haben, können wir ein tiefes, auf Überzeugung beruhendes Gefühl der Zufluchtnahme zum Buddha entwickeln. Dieses ist viel stärker und gefestigter als bloßer Glauben.

Den Erleuchtungsgeist entwickelt man auf ähnliche Weise. Es kann also durchaus einen Bodhisattva15 geben, der die Leerheit nicht verstanden hat, aber zugleich von ganzem Herzen bestrebt ist, die Zielsetzungen und Wünsche empfindender Wesen zu verwirklichen. Gestützt auf dieses Streben, könnte die betreffende Person eine Gesinnung entwickeln, in der sie um aller empfindenden Wesen willen nach Buddhaschaft strebt. Aber wenn wir im üblichen Wortsinn von Erleuchtungsgeist reden, beruht dieser darauf, dass man gründlich nachforscht, ob die Leiden der zahllosen empfindenden Wesen beseitigt werden können, und, sofern dies zutrifft, die dazu erforderlichen Mittel bestimmt. Auf solche Überlegungen und Gedanken gestützt, untersuchen wir die Bedeutung von Erleuchtung, wie sie in den folgenden Verszeilen dargelegt wird:

Mitgefühl, das sich auf empfindende Wesen richtet,

und Weisheit, die sich auf Erleuchtung richtet.

Wenn wir den edlen Erleuchtungsgeist entwickeln, der von dem Wunsch getragen ist, um der empfindenden Wesen willen Erleuchtung zu erlangen, und durch das Wissen gesteigert ist, dass Erleuchtung möglich ist, wird er zu einer wundervollen und mutigen Gesinnung.

Es macht auch viel aus, wenn das Mitgefühl von Weisheit gestärkt wird – der Einsicht in Leerheit, das Nichtvorhandensein von inhärenter Existenz. Im Allgemeinen entwickeln wir durch Konzentration auf ein hilfloses empfindendes Wesen den heftigen Wunsch, dass er oder sie von Leid frei sein möge, weil uns sein oder ihr Leid unerträglich ist. Aber bei tiefgreifenderer Analyse werden wir erkennen können, woher dieses Leid kommt. Wir werden einsehen, dass man seine Ursachen beseitigen und in der betreffenden Person Gegenmittel mobilisieren kann. Wir werden in dem oder der Betreffenden all diese Möglichkeiten erkennen können. Aber wir werden auch sehen, dass er oder sie wirklich verworrene Vorstellungen davon hat, auf welche Weise die Dinge existieren, und nicht weiß, wie man solche positiven Gegenmittel entwickelt. Wir können nicht nur erkennen, dass dieser Person zurzeit Leid widerfährt, sondern wir erkennen überdies, dass sie sich auf viele negative Handlungen einlässt. Der oder die Betreffende wird von Mängeln beherrscht, die in der Zukunft zur Erfahrung unaufhörlichen Leids führen werden.

Da wir die Möglichkeit, das Leid zu beseitigen, klar erkennen, aber auch wissen, dass die empfindenden Wesen sich aus Unwissenheit dennoch nicht mithilfe geeigneter Maßnahmen vom Leid befreien können, entwickeln wir eine sehr starke Empfindung von Anteilnahme und Mitgefühl. Es geht uns dabei so, als sähen wir eine Person, die ein Problem hat, das sie längst mit Leichtigkeit hätte lösen können, dies aber nicht tut, entweder weil sie die entsprechenden Mittel und Wege nicht kennt oder weil es ihr an Initiative mangelt. Wenn wir ein von Leid geplagtes empfindsames Wesen betrachten, sollten wir wissen, dass er oder sie ebenso wenig wie wir leiden will. Wir entwickeln den Wunschgedanken: »Wie gut wäre es, wenn dieses Leid beseitigt werden könnte; möge dieses Leid ein Ende finden.« Wenn wir uns auch über die Wege und Mittel im Klaren sind, die zum Zustand der Leidensfreiheit führen, und das Leid anderer im Licht dieses Wissens sehen, ist unser Mitgefühl viel intensiver.

Wenn wir uns im Erleuchtungsgeist schulen, sollten wir uns in diesen zwei Bestrebungen schulen: dem Streben nach Buddhaschaft und dem Streben, anderen nützen zu wollen. Die Quelle des Strebens, anderen zu nützen, und des Erleuchtungsgeists, der um andere mehr besorgt ist als um sich selbst, ist das Mitgefühl. Indem wir echtes Mitgefühl entwickeln, üben wir uns in einer Geisteshaltung starker Anteilnahme den empfindenden Wesen gegenüber, die von Leid geplagt werden; und in einer Geisteshaltung, für die empfindende Wesen in all ihrem Leid sich als angenehm und liebenswert erweisen. Aber gleichzeitig sollten wir den Grundcharakter jenes Leids erkennen können, von dem diese empfindenden Wesen geplagt werden. In beiden Haltungen sollten wir uns jeweils gesondert schulen.

Um genau erkennen zu können, worin Leid besteht, sollten wir erst einmal über das Leid nachdenken, das wir selbst durchmachen. Es fällt auf diese Weise viel leichter, Leid zu erkennen. Daher sagen wir oft, dass eine mitfühlende Geisteshaltung und die Entschlossenheit, aus den Leiden des Existenzkreislaufs freizukommen, wie die zwei Seiten einer Münze sind. Das Nachdenken über unser eigenes Leid und die Schulung unseres Geistes in der Beseitigung des Leids entspricht der Entschlossenheit, frei zu sein. Wenn wir denselben Wunsch, Leid zu überwinden, auf andere empfindende Wesen beziehen, entwickeln wir Mitgefühl.