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In seinem Appell an die Welt entwirft der Dalai Lama eine neue säkulare Ethik als Basis für ein friedliches Jahrhundert. Nicht Religionen werden die Antwort geben, sondern die Verwurzlung des Menschen in einer Unterschiede überwindenden Ethik. Ein herausfordernder wie mutmachender Text eines bescheidenden wie bedeutenden Mannes unserer Zeit.
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Seitenzahl: 50
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DER APPELL DES
DALAI
LAMA
AN DIE WELT
Erste Auflage 2015
© 2015 Benevento Publishing,
Eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11-15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Weitere Informationen unter:
www.redbullmediahouse.com
www.beneventobooks.com
Umschlaggestaltung und Typografie: Frank Behrend, Peter Feierabend
Foto Umschlag, Foto Innen: Bigi Alt
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
ISBN 978-3-7109-5000-1
DER APPELL DES
DALAI
LAMA
AN DIE WELT
MIT FRANZ ALT
Ethik ist wichtiger als Religion
»Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe«, sagte mir der Dalai Lama schon vor über 20 Jahren. Und: »Von seinen Feinden kann man am meisten lernen. In einem gewissen Sinne sind sie unsere besten Lehrer.« So weise und gleichzeitig realistisch spricht der wohl prominenteste und zugleich auch einer der ältesten Flüchtlinge der Welt nach 56 Jahren im indischen Exil. Obwohl er seit 1959 außerhalb seiner von China besetzten Heimat leben muss, hegt er keinen Hass gegenüber Chinesen und gegenüber den chinesischen Führern. Im Gegenteil. »Selbstverständlich bete ich auch für die kommunistischen Führer in Peking«, sagt er, der sich selbst manchmal einen »kommunistischen Buddhisten« oder einen »buddhistischen Kommunisten« nennt, und fügt lachend hinzu: »In Europa würde ich die Grünen wählen, weil die Umweltproblematik unsere Überlebensfrage ist.«
In 33 Jahren sind wir uns über 30 Mal begegnet und haben 15 Fernsehinterviews miteinander geführt. Selten hatte ich einen so empathischen und humorvollen Gesprächspartner. Keiner hat mehr gelacht als er. Nicht zufällig gilt er Umfragen zufolge als sympathischster Mensch der Welt. Dem Religionsführer wurde in den letzten Jahren eine religionsübergreifende Ethik immer wichtiger. Und heute sagt er sogar etwas für einen Religionsführer Einmaliges: »Ethik ist wichtiger als Religion. Wir kommen nicht als Mitglied einer bestimmten Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren.« Immer häufiger spricht er bei seinen weltweiten Vorträgen über eine »säkulare Ethik jenseits aller Religionen«. Albert Schweitzer nannte dasselbe Anliegen »Ehrfurcht vor allem Leben«.
Diese säkulare Ethik des Dalai Lama sprengt nationale, religiöse und kulturelle Grenzen und skizziert Werte, die allen Menschen angeboren und allgemein verbindlich sind. Das sind nicht äußere, materielle Werte, sondern innere Werte wie Achtsamkeit, Mitgefühl, Geistesschulung sowie das Streben nach Glück. »Wenn wir selbst glücklich sein wollen, sollten wir Mitgefühl üben, und wenn wir wollen, dass andere glücklich sind, sollten wir ebenfalls Mitgefühl üben. Wir alle sehen lieber lächelnde als finstere Gesichter«, sagt der Dalai Lama.
Eine der zentralen Überzeugungen das Dalai Lama: In unserem Streben nach Glück und unserem Wunsch, Leid zu vermeiden, sind sich alle Menschen gleich. Daraus resultieren die größten Errungenschaften der Menschheit. Deshalb sollten wir anfangen, auf der Grundlage einer Identität zu denken und zu handeln, die in den Worten »wir Menschen« wurzelt.
Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, in Somalia und Nordafrika, 20 Millionen Flüchtlinge weltweit, Bürgerkriege in Nigeria und in Afghanistan, der Klimawandel und die Umweltkrise, die globale Finanzkrise und der Welthunger: Der Dalai Lama meint, dass wir ohne eine säkulare Ethik all diese Probleme nicht lösen können. Er erklärt und entfaltet seine revolutionären Thesen dazu im folgenden Gespräch. Was der Dalai Lama dabei vorschlägt, ist eine Revolution der Empathie und des Mitgefühls – eine Revolution aller bisherigen Revolutionen. Ohne Empathie und Mitgefühl hätte die Evolution gar nicht stattgefunden.
Erschüttert über den islamistischen Terroranschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift »Charlie Hebdo« und auf einen jüdischen Supermarkt in Paris sagte der Dalai Lama im Januar 2015: »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen. In den Schulen ist Ethik-Unterricht wichtiger als Religionsunterricht. Warum? Weil zum Überleben der Menschheit das Bewusstsein des Gemeinsamen wichtiger ist als das ständige Hervorheben des Trennenden.« Diese Erkenntnis wirkte wie eine Initialzündung für das folgende Interview.
Hier ist seine neue Botschaft, welche die Welt verändern kann.
Am 6. Juli 2015 wird der Friedensnobelpreisträger 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass erscheint dieses kleine Buch in allen Weltsprachen gleichzeitig.
Franz Alt
Baden-Baden, im März 2015
Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Religionen waren und sind oft intolerant. Um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, wird Religion oft missbraucht oder instrumentalisiert – auch von religiösen Führern. Deshalb sage ich, dass wir im 21. Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen. Ich spreche von einer säkularen Ethik, die auch für über eine Milliarde Atheisten und für zunehmend mehr Agnostiker hilfreich und brauchbar ist. Wesentlicher als Religion ist unsere elementare menschliche Spiritualität. Das ist eine in uns Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung – unabhängig davon, welcher Religion wir angehören.
Nach meiner Überzeugung können Menschen zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte, nicht ohne Ethik. Der Unterschied zwischen Ethik und Religion ähnelt dem Unterschied zwischen Wasser und Tee. Ethik und innere Werte, die sich auf einen religiösen Kontext stützen, sind eher wie Tee. Der Tee, den wir trinken, besteht zum größten Teil aus Wasser, aber er enthält noch weitere Zutaten – Teeblätter, Gewürze, vielleicht ein wenig Zucker und – in Tibet jedenfalls – auch eine Prise Salz, und das macht ihn gehaltvoller, nachhaltiger und zu etwas, das wir jeden Tag haben möchten. Aber unabhängig davon, wie der Tee zubereitet wird: Sein Hauptbestandteil ist immer Wasser. Wir können ohne Tee leben, aber nicht ohne Wasser. Und genau so werden wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach Mitgefühl – und nicht ohne das Grundbedürfnis nach Wasser.