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Entgegen der verbreiteten Auffassung, dass Wahrheitsansprüche in der Demokratie unangemessen seien, begründet Nida-Rümelin die These, dass ohne normative Wahrheitsansprüche die demokratische Gesellschaft und Politik undenkbar seien. Die demokratische Ordnung beruht auf normativen Überzeugungen, wie die der Toleranz aus Respekt und der gleichen Freiheit aller Menschen. Wenn diese Überzeugungen zur Disposition stünden, wäre auch die Demokratie als Lebensform obsolet.
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Seitenzahl: 26
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Fachbereich
POLITISCHE THEORIE / PHILOSOPHIE
Demokratie und Wahrheit
Von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin
Ich möchte in diesem Vortrag der Frage nachgehen, ob die Wahrheit einen Ort hat in der Demokratie. Oder anders formuliert: Ob Wahrheitsansprüche verträglich sind mit der Demokratie. Die meisten sind der Auffassung – nein. Die meisten sind heute und in der Vergangenheit der Auffassung, dass die Demokratie ja gerade darin besteht, dass es lediglich um Interessen geht. Dass wir Interessen vortragen, zum Beispiel teilweise auch organisiert in Interessensverbänden – Gewerkschaften, dem Unternehmerverband usw. – und dass wir einen Modus des friedlichen Austragens dieser Interessen gefunden haben.
Man könnte sagen, Demokratie sei feindselig gegenüber dezidierten, normativen Überzeugungen, gegenüber Auffassungen von richtig und falsch. Dies alles sei gewissermaßen zurückgestellt und durch ein Spiel der Interessen ersetzt. Diese Spiel ist befriedend, es verhindert dass es zum Bürgerkrieg eskaliert, dass Interessenkonflikte am Ende in Mord und Todschlag enden.
Eine Variante dieser Auffassung sagt, die unterschiedlichen kulturellen Prägungen in der multikulturellen Demokratie brauchen einen Modus vivendi, das heißt, wir sollten die eigene und die andere, die fremde Lebensform als gleichrangig betrachten. Wir sollten keine Werturteile über sie fällen. Wir müssen uns im wechselseitigen Respekt begegnen. Und mit all dem bin ich natürlich einverstanden und halte dennoch an der These fest: Die Wahrheit hat einen Ort in der Demokratie. Mehr noch – ich spitze zu: Die Demokratie ist ohne normative Wahrheitsansprüche, allerdings spezifische normative Wahrheitsansprüche, gar nicht lebensfähig.
Um einen Titel indirekt von Karl Popper aufzugreifen – die offene Gesellschaft und ihre Feinde: die Demokratie wird gegenüber ihren Feinden, ihren fundamentalistischen Gegnern kapitulieren, wenn sie nicht deutlich macht, dass es um mehr geht als lediglich um ein Spiel der Interessen.
Ich will das in diesem Vortrag sehr kompakt begründen. In einzelnen Schritten zwischendurch müssen wir uns auch darüber verständigen, was wir eigentlich unter Wahrheit verstehen wollen, das heißt wir brauchen einen philosophischen Exkurs über Wahrheitstheorie. Ich kann das hier nicht so ausführlich machen wie ich es in einem Buch „Demokratie und Wahrheit” gemacht habe, in dem ich die Argumente im einzelnen einschließlich der Problematik der Begründung von Normen, ethischen Werten behandelt habe. Was ich hier vortrage, ersetzt also nicht die Lektüre, aber es soll wenigstens eine Orientierung bieten, damit Sie sich dann in den Details der Argumente nicht verlieren.
Ich hole mal weit aus, aber ganz bewusst. Ich beginne, wie es einer Karikatur des Philosophen entspricht, bei Platon. Platon, der an bestimmten Stellen seines Werkes, nämlich dort wo es besonders komplex und schwierig wurde, zu Metaphern gegriffen hat, der Bildern vorstellt und mit diesen Bildern natürlich viel vermitteln will, aber offenkundig auch solches, das sich nicht so einfach hinschreiben lässt, hat an einer zentralen Stelle der Politeia, des großen politik-philosophischen Werkes, das Bild einer Höhle gezeichnet, das berühmte Höhlengleichnis,