Den 6 großen pflegerischen Risiken professionell begegnen - Nicole Ott - E-Book

Den 6 großen pflegerischen Risiken professionell begegnen E-Book

Nicole Ott

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Beschreibung

In der Risikomatrix des Strukturmodells spiegelt sich längst wider, dass Pflegebedürftige bzw. Patienten oft multimorbid sind, also an mehr als einem Risiko leiden (können). Was fehlt? Ein Handlungsleitfaden, der Pflegefachkräften Schritt für Schritt durch die gravierendsten Risiken multimorbider Pflegekunden führt, pflegewissenschaftliche Erkenntnisse, Assessments, Expertenstandards kurz vorstellt und zeigt, was jede Pflegefachkraft tun muss, um die Sicherheit und das Wohlbefinden ihres Pflegekunden zu maximieren. Hier ist er: Mit diesem Buch werden Pflegefachkräfte und Auszubildende bei ihrem professionellen Tun unterstützt. Sie erhalten zeitsparend, effektiv und basierend auf den allerneuesten Erkenntnissen alles zur Identifizierung des individuellen Risikos mittels fachlicher Einschätzungsinstrumente und zur darauf basierenden Maßnahmenplanung.

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Nicole Ott ist Unternehmensberaterin für Einrichtungen im Gesundheitssektor. Als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Qualitätsmanagerin und langjährige Einrichtungsleitung kennt sie Abläufe in der Pflege von Grund auf. Ihr Fachwissen gibt sie als Fachautorin und Dozentin der Erwachsenenbildung weiter. Sie ist im gesamten Bundesgebiet für Auftraggeber der privaten Wirtschaft und öffentliche Trägerschaften tätig.

 

 

 

» Der kompakte Überblick, der Zeit spart: aktuell, wissenschaftlich fundiert und praxisnah.«

NICOLE OTT

 

 

 

 

 

 

 

pflegebrief

– die schnelle Information zwischendurchAnmeldung zum Newsletter unter www.pflegen-online.de

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0892-4 (Print)ISBN 978-3-8426-9176-6 (PDF)ISBN 978-3-8426-9177-3 (EPUB)

Originalauflage

© 2023 Schlütersche Fachmedien GmbH, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover, www.schluetersche.de

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Buch gelegentlich die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich Personenbezeichnungen gleichermaßen auf Angehörige des männlichen und weiblichen Geschlechts sowie auf Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

Autorin und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autorin noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.

Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept Flöer

Covermotiv: stock.adobe.com: Syda Productions, Ingo Menhard, PureSolution

Covergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg

Inhalt

Einleitung: Die Einschätzung der pflegerischen Risikofaktoren ist eine Ihrer Kernaufgaben

1Risiko Dekubitus

1.1Führen Sie eine professionelle Risikoeinschätzung nach den Vorgaben des Expertenstandards durch

1.1.1Der Unterschied zwischen Screening und differenzierter Risikoeinschätzung

1.1.2Vom Nutzen der Risikoskalen

1.2Generelles zur Risikoeinschätzung: Unterscheiden Sie zwischen Initial- und Differentialassessment

1.2.1Herausforderung »Risikomatrix«

1.2.2Die modifizierte Norton-Skala garantiert eine schnelle und kompakte Risikoeinschätzung

1.2.3Die Waterlow-Skala eignet sich besonders für spezielle Zielgruppen

1.2.4Die Braden-Skala liefert sehr zuverlässige Ergebnisse

1.2.5Mit der Medley-Skala schlagen Sie ab sofort zwei Fliegen mit einer Klappe

1.3Nach der individuellen Risikoeinschätzung planen Sie die passenden Maßnahmen

1.4Weitere Tipps zur Durchführung prophylaktischer Maßnahmen

1.4.1Druckentlastung und Positionierung

1.4.2Mobilisation und Bewegungsförderung

1.4.3Hautpflege

1.4.4Ernährung

1.5Dokumentieren Sie Ihre bisherigen Schritte und legen Sie los

1.6Fazit: Individuell evaluieren und die Haut regelmäßig inspizieren

2Risiko Sturz

2.1Diese wichtigen Hintergrundinfos sollten Sie zum Risiko Sturz kennen

2.2Ein Sturz – Was ist das eigentlich?

2.3Die Sturzprophylaxe als alltägliche Maßnahme

2.4Schätzen Sie das individuelle Sturzrisiko gemäß der fachlichen Kriterien des Expertenstandards ein

2.5Diese Differentialassessments stehen Ihnen bei Bedarf zur Verfügung

2.5.1Die Morse-Skala eignet sich am besten für Pflegekunden im Setting Krankenhaus

2.5.2Die STRATIFY-Skala ist für ältere Pflegekunden sinnvoll

2.5.3Der »Steh auf und geh«-Test erfordert die Mitwirkung des Pflegekunden

2.5.4Der Mobilitätstest nach Tinetti wird am häufigsten in der Geriatrie verwendet

2.6Planen Sie sinnvolle Maßnahmen

2.6.1… aber erkennen Sie dabei auch Ihre Grenzen!

2.6.2Mobilisation

2.7Fachlich auf dem neuesten Stand: Mit diesen Hilfsmitteln bewahren Sie Ihre Pflegekunden vor schlimmen Sturzspätfolgen

2.7.1Die fünf aktuell besten Hilfsmittel zur Sturzprophylaxe

2.8Evaluieren Sie die Risikoeinschätzung und die Maßnahmenplanung regelmäßig

2.9Nach einem Sturz: Diese 11 Punkte sollten Sie unbedingt dokumentieren

2.10Fazit: Testen Sie Ihr Fachwissen und halten Sie es aktuell

3Risiko Inkontinenz

3.1Schätzen Sie das potenzielle Risiko in der Matrix ein

3.1.1Die Bedeutung der zweiten Spalte in der Risikoeinschätzung

3.1.2Tappen Sie nicht (mehr) in die Doku-Falle

3.2Schätzen Sie Kontinenzprofil und -form Ihres Pflegekunden ein

3.2.1Ermitteln Sie das Kontinenzprofil

3.3Dokumentieren Sie Ihre Risikoeinschätzung ausführlich

3.4Planen Sie die passenden Maßnahmen

3.4.1Druck abbauen

3.4.2Viel trinken

3.4.3Blasentraining

3.4.4Zielgerichtete Körperpflege

3.4.5Beckenbodentraining

3.4.6Überprüfung der äußeren Faktoren

3.4.7Mehrfachmiktion

3.4.8Trigger- und Valsalvamethoden

3.5Fazit: Nutzen Sie die Risikomatrix und Checklisten

4Risiko Schmerz

4.1Definition Schmerz: Wann sollten Sie handeln?

4.2Die Ziele einer professionellen pflegerischen Schmerztherapie

4.3Zur Schmerzentstehung

4.4Schätzen Sie das Risiko systematisch ein

4.4.1Hinweise zum Ausfüllen des Assessments

4.4.2Die Definition der einzelnen Punkte bei BESD

4.5Planen Sie die individuell für Ihren Pflegekunden passenden Maßnahmen

4.6Schmerzmedikation: Beachten Sie mögliche Wechsel- und Nebenwirkungen

4.7Sonderfall BTM: Die Umsetzung der gesetzlichen Regeln ist Ihre Aufgabe

4.7.1Mit diesen zusätzlichen Tipps handhaben Sie im Alltag alles rechtlich korrekt

4.8Überprüfen Sie den Behandlungserfolg: Gibt es weitere Handlungsbedarf?

4.8.1Wichtig: Verfahrensregelung zum Schmerzmanagement

4.9Besonderheit: Placeboverabreichungen

4.10Besonderheit: chronische Schmerzen – Liegt eine stabile oder eine instabile Schmerzsituation vor?

4.11Fazit: Dokumentieren und evaluieren Sie die Schmerzeinschätzung regelmäßig

5Risiko Ernährung

5.1Warum Sie bei dieser Risikoeinschätzung doppelt gefragt sind

5.2Starten Sie Ihre Risikoeinschätzung mit einem ersten pflegefachlichen Screening

5.2.1Mögliche Gründe für eine Mangelernährung

5.3Führen Sie bei Bedarf eine weitere, differenzierter Risikoeinschätzung durch

5.3.1PEMU

5.3.2Das MUST-Assessment – ideal für den ambulanten Bereich

5.4Orientieren Sie die Maßnahmenplanung an den individuellen Defiziten

5.4.1Ihr Pflegekunde leidet unter starker Unruhe und einem erhöhten Kalorienbedarf

5.5Schließen Sie die Umsetzung des Expertenstandards mit der Evaluation ab

5.6Sieben Tipps für appetitlich angerichtetes passiertes Essen

5.6.1Gute Ernährung – auch für Pflegekunden mit Einschränkungen

5.7Risiko Exsikkose: Neue Ansätze zur individuellen Risikoeinschätzung

5.7.1Der Test, um das individuelle Risiko schnell und zielgerichtet einzuschätzen

5.7.2Berechnen Sie den individuellen Flüssigkeitsbedarf

5.8Planen Sie die individuell passenden Maßnahmen

5.8.1Das Trinkflaschenkonzept – nie wieder lästige Trinkprotokolle

5.9Fazit: Nutzen Sie die drei Schritte der Risikoeinschätzung

6Ein Plädoyer für ein geplantes Risikomanagement

6.1Verzichten Sie auf Terminfristen

6.2Ein fester Rhythmus hilft weiter

6.3Die aktuelle Evaluation der Dokumentation bleibt

Literatur

Register

Einleitung: Die Einschätzung der pflegerischen Risikofaktoren ist eine Ihrer Kernaufgaben

Vor kurzem besuchte ich einen Vortrag, bei dem die Referentin über die Situation der deutschen Pflegebranche nach der Corona-Pandemie sprach. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ihre Definition von professioneller Pflege: »Unser Kernauftrag als Pflegefachkräfte ist die Fürsorge. Im Gegensatz z. B. zur Berufsgruppe der Ärzte, bei der der Hauptfokus der täglichen Arbeit auf der Heilung liegt.«

Die individuelle Fürsorge für einen anderen Menschen übernehmen, wenn sich dieser in einer Krise befindet – was für ein schöner Gedanke und was für eine schöne Berufsbeschreibung!

Was Fachkräfte weiter auszeichnet, ist die Tatsache, dass Sie in all Ihren Tätigkeiten professionell agieren. Sie kennen die Begründung für Ihr Handeln/Nicht-Handeln und richten es daraufhin aus. Das unterscheidet Sie z. B. von privaten Pflegekräften ohne Ausbildung. Diese kann man sicher auch zur grundpflegerischen Versorgung eines Pflegekunden nach einem Apoplex anleiten, aber das Hintergrundwissen zu dem Krankheitsbild wird immer fehlen. »Warum versorge ich diesen Menschen jetzt so und nicht anders?« – »Welche Maßnahmen sind unbedingt wichtig, welche dagegen eher sogar kontraproduktiv?« Solche und weitere Fragen werden Laien nie fachlich beantworten können, Sie hingegen schon.

Das professionelle Agieren beim Risikomanagement Ihrer Pflegekunden ist auch eine der pflegerischen Kernaufgaben. Die großen Risiken kennen, genau wissen, wie Sie bei jedem zielgerichtet vorgehen, welche Assessments Ihnen zur Verfügung stehen und welche sinnvollen Maßnahmen sich zur Prophylaxe in der Tagesstruktur anbieten – das sind Ihre tagtäglichen wichtigen Aufgaben. Dabei soll Ihnen ab sofort dieses Fachbuch eine Hilfe sein.

Ihr Kernauftrag der Fürsorge gebietet es, dass Sie dafür sorgen, dass

• Ihre Pflegekunden keinen Dekubitus bekommen,

• nicht stürzen,

• beim drohenden Risiko einer Inkontinenz optimal unterstützt werden,

• keine Schmerzen erleiden und

• der Gefahr der Mangelernährung und Exsikkose bestmöglich vorgebeugt wird.

Die Auswahl dieser Risiken erinnert Sie an etwas? Richtig, in diesem Buch geht es um genau die Risiken, die in der Risikomatrix der Strukturierten Informationssammlung (SIS®) separat benannt sind. Es sind dies die überdurchschnittlich häufigsten Risiken in der professionellen Pflege von erwachsenen Menschen, »die häufig einzeln oder in Kombination miteinander vorkommen und zentral bei Pflegebedürftigkeit auftreten«1

Die Matrix bietet in der letzten Spalte mit der Überschrift »Sonstiges« die Gelegenheit, weitere individuelle Risiken wie z. B. die Gefahr einer Thrombose, einer Aspiration, einer Ödembildung oder weitere zu behandeln und auszuwerten. Greifen Sie dabei auf Ihr fachliches Know-how zurück und entscheiden Sie, welche Risiken Sie beim Pflegekunden zusätzlich professionell auswerten sollten.

Erfahren Sie auf den nächsten Seiten, wie es Ihnen gelingt, die »großen« Risiken Dekubitus, Sturz, Inkontinenz, Schmerz und Ernährung professionell einzuschätzen. Braucht es immer ein Assessment dazu? Wenn ja, welche gibt es überhaupt und welche eigenen sich für Ihre Pflegekunden? Welche Tipps und Hinweise gibt es zur Maßnahmenplanung und was sollten Sie bei der Evaluation beachten? Hier erhalten Sie Antworten auf all diese Fragen. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre!

________________

1 MDK & MDS (2019): Hinweise zur Umsetzung des Strukturmodells zur Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation im Zusammenhang mit Qualitätsprüfungen in Pflegeinrichtungen nach den Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR), Essen, S. 14

1 Risiko Dekubitus

1.1Führen Sie eine professionelle Risikoeinschätzung nach den Vorgaben des Expertenstandards durch

Definition Dekubitus

»Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/ oder des darunterliegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen, infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften. Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Dekubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären.« – So lautet die internationale Definition des Begriffs Dekubitus des NPUAP (National Pressure Ulcer Advisory).*

* NPUAP und EPUAP 2009

Obwohl mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt vergangen ist, hat sich an dieser Definition nichts geändert. Für Sie als Pflegefachkräfte ist das Thema Dekubitus im Arbeitsalltag ebenfalls nach wie vor allgegenwärtig. Wie können Sie bei Ihren Pflegekunden ein eventuell bestehendes Risiko bestmöglich einschätzen? Welches Hintergrundwissen brauchen Sie dafür und auf welche Assessment-Instrumente können Sie bei Bedarf zurückgreifen?

Mit diesen Fragestellungen sollten Sie sich regelmäßig auseinandersetzen. Bevor ich Ihnen in den nächsten Absätzen gleich alles Wichtige rund um das Thema Dekubitus vorstelle, möchte ich Sie zuerst noch mit zwei wichtigen Informationen vertraut machen:

1. Dem Unterschied zwischen Screening und differenzierter Risikoeinschätzung und

2. dem Nutzen der Risikoskalen.

1.1.1Der Unterschied zwischen Screening und differenzierter Risikoeinschätzung

Immer zu Beginn Ihres Pflegeauftrags oder bei gravierenden Veränderungen im Gesundheits- oder Allgemeinzustand Ihres Pflegekunden müssen Sie eine Risikoeinschätzung vornehmen oder die bereits vorgenommene neu evaluieren. Diese Einschätzung umfasst je nach Bedarf ein oder zwei Stufen.

Stufe 1 ist das initiale Screening. Zeigen sich dabei Auffälligkeiten bzw. weisen die Ergebnisse daraufhin hin, dass möglicherweise ein Dekubitusrisiko vorliegen könnte, dann sind Sie aufgefordert, zur Stufe 2, der differenzierten Risikoeinschätzung, überzugehen. In der Übersicht (Tab. 1) habe ich Ihnen zusammengefasst, was die beiden Stufen im Detail voneinander unterscheidet.

Tab. 1: Übersicht: Initales Screening und diferenzierte Risikoeinschätzung

Initales Screening

Diferenzierte Risikoeinschätzung

• Beide Risikoeinschätzungen erfolgen mittels klinischer Einschätzung durch die Pflegefachkraft.

• »Klinische Einschätzung« bedeutet, dass Sie prüfen, ob Risikofaktoren vorliegen.

• Dafür greifen Sie auf Ihr Fachwissen zurück und nutzen Ihre pflegerische Beobachtungsgabe und die Informationssammlung als Quellen.

• Abschließend bewerten Sie die Risikofaktoren unter Berücksichtigung des gesamten Zustandes des Pflegekunden.

• Das initiale Screening und die differenzierte Risikoeinschätzung unterscheiden sich in Art und Umfang.

• Erste Bewertung der aktuellen Druck- und Scherkrafteinwirkungen

• Erste Bewertung des Hautzustandes

• Weitergehende Bewertung der aktuellen Druck- und Scherkrafteinwirkungen sowie

• des Hautzustandes

• zusätzlich: Weitere individuelle Risikofaktoren des Pflegekunden einschätzen

1.1.2Vom Nutzen der Risikoskalen

Seit vielen Jahrzehnten arbeiten Sie in der Pflege mit den verschiedensten Risikoskalen, um die Dekubitusrisiken Ihrer Pflegekunden zuverlässig einzuschätzen. Haben Sie sich dabei schon einmal die Frage gestellt, welche Risikoskale die beste ist? Welche Antwort würden Sie auf diese Frage geben?

Info

Die Arbeitsgruppe, die den Expertenstandard zur Dekubitusprophylaxe in der Pflege verfasste, überprüfte im Rahmen der letzten Aktualisierung 2017 erneut die verfügbare Forschungsliteratur zu diesem Thema und kam abermals zu dem Ergebnis, dass keine Risikoskala der anderen überlegen ist. Es gibt keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien, die z. B. besagen, dass diese oder jene Skala zuverlässigere Ergebnisse liefert, als eine andere.

Das heißt für Sie als Pflegefachkraft: Sie sollten aufgrund Ihres fachlichen Know-hows selbst entscheiden, welches Assessment Sie wann einsetzen. Manche Skalen eignen sich etwas besser für bestimmte Zielgruppen, z. B. wird die Waterlow-Skala gemeinhin für Pflegekunden im Akutkrankenhaus oder auch für geriatrische Pflegekunden empfohlen.

Solche Empfehlungen basieren aber eben nicht auf aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien. Auf der anderen Seite arbeiten Fachkräfte schon sehr lange mit den verschiedenen Instrumenten und diese haben sich in der Praxis als durchaus hilfreich erwiesen.

Info

Es gibt keine Verpflichtung, eine bestimmte Skala zu nutzen. Eine Skala kann aber bei der Risikoeinschätzung unterstützen. Welche Sie wählen, hängt von Ihrem Fachwissen und von der Praktikabilität im Umgang mit der Skala ab.

1.2Generelles zur Risikoeinschätzung: Unterscheiden Sie zwischen Initial- und Differentialassessment

Die Erhebung und Dokumentation der individuellen Risikoeinschätzung bei Ihren Pflegekunden stellt Sie immer wieder vor Herausforderungen: »Haben wir auch an alle relevanten Punkte gedacht? Sollten wir uns zusätzlich mit einem Assessment absichern, oder genügt unsere eigene pflegefachli-

1.2.1Herausforderung »Risikomatrix«

Warum gibt es bei jedem Risiko in der SIS® zweimal die Möglichkeit, »ja« oder »nein« anzukreuzen? Wie soll das jeweilige Risiko mit den Themenfeldern in Zusammenhang gebracht werden? Und was verbirgt sich hinter den Begriffen »Initial- und Differentialassessment«?

Abb. 1: Die Risikomatrix der SIS®.

Auf den nächsten Seiten werde ich Ihnen alle diese Fragen beantworten, sodass die Bearbeitung der Risikomatrix in Zukunft ein Kinderspiel sein wird. Gehen Sie ab sofort bei der Risikoeinschätzung in mehreren Schritten vor.

Schritt 1: Die erste Einschätzung: Besteht eine generelle Gefahr?

Bei jeder Risikoeinschätzung betrachten Sie immer zuerst die erste Spalte. Hier beantworten Sie anhand der fünf Themenfelder jeweils die Frage: »Besteht eine generelle Gefahr in diesem Bereich – ja oder nein?« Diese Einschätzung wird als Initialassessment bezeichnet. Am Beispiel »Dekubitus« beantworten Sie diese fünf Fragen:

1. Besteht eine erhöhte Dekubitusgefahr aufgrund von kognitiven und kommunikativen Einschränkungen?

2. Besteht eine erhöhte Dekubitusgefahr bei der Mobilität?

3. Besteht eine erhöhte Dekubitusgefahr im Bereich der krankheitsbedingten Anforderungen und Belastungen?

4. Besteht eine erhöhte Dekubitusgefahr bei der Selbstversorgung?

5. Besteht eine erhöhte Dekubitusgefahr im Bereich der sozialen Beziehungen?

Gerade dieser Bezug zu den Themenfeldern verwirrt viele Fachkräfte. Was genau soll das heißen – »eine erhöhte Dekubitusgefahr im Bereich der sozialen Beziehungen«? Als Hilfestellung für Ihren Arbeitsalltag finden Sie hier (Tab. 2) zu jedem in der Matrix benannten Risiko eine kleine Gedankenstütze, an der Sie sich orientieren können.

In der Tabelle liegt der Fokus auf genau diesem Punkt: der Verbindung des jeweiligen Risikos zu den einzelnen Themenfeldern. Anhand der einzelnen Parameter gelingt Ihnen die generelle Risikoeinschätzung in Zukunft leichter, und Sie werden ab sofort sicher in Ihren Begründungen.

Tab. 2: Matrix für das Risiko Dekubitus

Themenfeld

Mögliche Risikofaktoren

Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

• Druckschmerz wird nicht wahrgenommen

• Angst vor Bewegung

• Verminderter Bewegungsantrieb/Antriebsarmut

• Beeinträchtigung der Sinnesorgane

• Bewusstseinstrübung

• Mangelnde Kooperation

Mobilität

• Kraftlosigkeit

• Immobilität

• Bewegungseinschränkungen

• Fixierung

• Kontrakturen

Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen

• Schmerzen

• Osteoporose

• Demenz

• Apoplex

• Lähmungen

• Neuropathien (z. B. durch Diabetes)

• Frakturen

• MS-Erkrankung oder Parkinson

• Bei allen Erkrankungen gilt: Nennen Sie diese nicht nur, sondern beschreiben Sie genau, welche damit verbundenen Einschränkungen das Risiko erhöhen

• Nach einer OP

• Sedierende Medikamente

Selbstversorgung

• Abhängigkeit bei Bewegung: Gehen, Stehen, Positionswechsel, Rumpfstabilisierung

• Umgang mit Hilfsmitteln

• Fehlende oder falsche Hilfsmittel (z. B. nicht passende Arm-/Beinprothesen)

• Gewohnheiten/Wünsche, die Risiken nach sich ziehen

Leben in sozialen Beziehungen

• Eingeschränkter Aktionsradius

• Einflussnahme der Bezugsperson erhöht die Gefahr eines Dekubitus

• Bei vorhandenem Dekubitus: Evtl. starker Geruch → Ausgrenzung/soziale Isolation → Rückzugstendenz → verminderter Bewegungsantrieb

Schritt 2: Ihre Entscheidung: Ist eine weitere Einschätzung nötig?

Wenn Sie das Initialassessment ausgefüllt haben, also die Ja-/Nein-Einschätzung in der ersten Spalte getroffen haben, geht es weiter:

• Bei den Einschätzungen, die Sie fachlich mit einem klaren »Nein« begründet haben, brauchen Sie nichts weiter zu tun.

• Bei den Einschätzungen, die Sie mit einem klaren »Ja« beantwortet haben, stellt sich nun in der zweiten Spalte die Frage, ob eine weitere Einschätzung nötig ist. Damit ist gemeint: Sind Sie sich fachlich sicher, dass diese Gefahr in diesem Themenfeld besteht, oder benötigen Sie – quasi zur Absicherung – eine weitere Einschätzung? Diese bezeichnet man als Differentialassessment.

Es gibt keine offiziellen Vorgaben darüber, was ein Differentialassessment alles sein kann. Sie können Ihr Differentialassessment also ganz nach Ihrer individuellen fachlichen Einschätzung auswählen. Im deutschsprachigen Raum am bekanntesten sind sicher

• die modifizierte Norton-Skala,

• die Waterlow-Skala,

• die Braden-Skala und

• die Medley-Skala.

Alle vier Assessment-Instrumente samt ihren Vor- und Nachteilen stelle ich Ihnen gleich in ausführlich vor.

Fazit Fachliches Selbstbewusstsein ist gefragt

Sie wissen sicher, was man generell mit der SIS® und dieser neuen Art von Dokumentation beabsichtigt hatte? Die Pflegefachkräfte sollten von schematischen Abläufen und dem routinemäßigen Ausfüllen von Checklisten und Protokollen weg- und zu einem individuellen Blick auf den Pflegekunden und zu einer sinnhaften und angemessenen Dokumentation hingeführt werden. Deshalb ist es keinesfalls nötig, dass Sie immer zusätzlich zur Ersteinschätzung ein Differentialassessment nutzen.

Sie sollen nachvollziehbar einschätzen und begründen können, ob ein bestimmtes Risiko beim Pflegekunden vorliegt oder nicht. Setzen Sie sich deshalb intensiv mit dem professionellen Risikomanagement auseinander und überlegen Sie, ob Ihre fachliche Risikoeinschätzung bereits alle wichtigen Faktoren beinhaltet oder ob Sie zur Absicherung noch zusätzlich auf ein Assessment zurückgreifen möchten. Falls ja, stehen Ihnen die jetzt folgenden vier Instrumente dafür zur Verfügung.

1.2.2Die modifizierte Norton-Skala garantiert eine schnelle und kompakte Risikoeinschätzung

Als erste der vier bekanntesten Assessments zur Dekubitus-Risikoeinschätzung möchte ich Ihnen die Norton-Skala vorstellen. Diese Skala ist das älteste Assessment im Bereich Dekubitus. 1962 erkannte die englische Krankenschwester Doreen Norton, dass in der Pflege ein einheitliches Instrument benötigt wurde, um das Dekubitus-Risiko objektiv einschätzen zu können. Sie erarbeitete deshalb die Skala speziell für die Anwendung bei älteren Menschen. Auf Nortons ursprünglicher Skala wurde das Risiko nur anhand von fünf Kriterien eingeschätzt:

1. Körperlicher Zustand,

2. geistiger Zustand,

3. Aktivität,

4. Beweglichkeit und

5. Inkontinenz

Bei jedem Kriterium konnten Sie ein bis vier Punkte vergeben, wobei gilt: Je niedriger die Punkte, desto höher die Gefahr.

Mitte der 1980er Jahre hat die deutsche Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein die Norton-Skala um vier zusätzliche Kriterien erweitert und leicht modifiziert – das ist das Instrument, das Sie heute in der Pflege meistens verwenden, wenn von der (modifizierten) Norton-Skala die Rede ist.

Tab. 3: Musterformular: Modifzierte Norton-Skala

4 Punkte

3 Punkte

2 Punkte

1 Punkt

1. Bereitschaf zur Kooperaton/Motvaton

voll

wenig

teilweise

keine

2. Alter

< 10

< 30

< 60

> 60

3. Hautzustand

in Ordnung

schuppig, trocken

feucht

Wunden, Allergien, Risse

4. Zusatzerkrankungen

keine

Abwehrschwäche, Fieber, Diabetes mellitus, Anämie

MS, Adipositas, Kachexie, Krebs

Arterielle Verschlusskrankheit

5. Körperlicher Zustand

gut

leidlich

schlecht

sehr schlecht

6. Geistger Zustand

klar

apathisch, teilnahmslos

verwirrt

stuporös

7. Aktvität

geht ohne Hilfe

geht mit Hilfe

rollstuhlbedürftig

bettlägerig

8. Beweglichkeit

voll

kaum eingeschränkt

sehr eingeschränkt

voll eingeschränkt

9. Inkontnenz

keine

manchmal

meistens Urin (Harninkontinenz)

Urin und Stuhl (Stuhlinkontinenz)

Gesamtpunktzahl:

Auswertung:

26–36 Punkte: Es besteht keine Dekubitusgefahr, keine akuten Maßnahmen erforderlich.

20–25 Punkte: Es besteht eine mittlere Dekubitusgefahr, prophylaktische Maßnahmen erforderlich.

15–19 Punkte: Es besteht eine hohe Dekubitusgefahr, die regelmäßige Positionierung alle zwei Stunden sollte zusätzlich zu den prophylaktischen Maßnahmen durchgeführt werden.

Weniger als 14 Punkte: Zusätzlich wird die Nutzung von Spezialbetten oder Anti-Dekubitus-Matratzen empfohlen.