...den schickt er in die weite Welt - Bärbel B. Kappler - E-Book

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Bärbel B. Kappler

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Beschreibung

Von der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator bis Moskau – einschließlich etlicher Unterbrechungen, Abstecher und Zwischenaufenthalte, insbesondere mit Halt am Baikalsee und Stationen in russischen Millionenstädten, die hierzulande weitgehend unbekannt sind – reiste die Autorin über 6.000 km im Sonderzug „Zarengold“ der Transsibirischen Eisenbahn, der berühmten „Transsib“, durch Sibirien.

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Mittwoch, 16. Juli

Ulan Bator, Hauptstadt der Mongolei. Hier steigen wir zu in den Sonderzug „Zarengold“ der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Moskau, der „Transsib“, wie der Zug oft genannt wird, zwischen der russischen Hauptstadt und Peking; Gesamtlänge: neuntausend Kilometer.

Hans steht im Abteil und jubelt: „Jetzt fahren wir mit der transsibirischen Eisenbahn! Im Zarengold! Davon haben wir doch immer schon geträumt! Das hat doch was! Oder?“

Natürlich hatte es was. Aber was?

Rückblick. Nach einer Woche in der mongolischen Steppe waren wir nach Ulan Bator zurückgekehrt. Gegen Abend wurden wir zur Aufteilung der Gruppen im Zug in ein sehr geräumiges Restaurant der Stadt gefahren. Es mutete uns an wie eine bayrische Bierschwemme. Das Bier war hervorragend, die Lautstärke kaum auszuhalten, das Essen: Salat – in einem Land, in dem Gemüse eher eine Rarität ist –, dicke Rinderknochen mit viel Fleisch, ein Stückchen Möhre, einige Stückchen rote, grüne und gelbe Paprika, eine Kartoffel, danach Crêpes mit Eis. Sehr „mongolisch…“.

Eine Kaschmirmodenschau folgte. Vier weibliche mongolische Models, groß, dünn, mit dem typischen affektierten Gang; zwei männliche Models, Schlendergang, sehr tragbare Pullover, Jacken, Kleider, Umhänge. Schwarze Hosen oder Leggings dazu, schwarzes Haar, dazwischen die knallfarbenen Kaschmirteile. Daß diese schönen Teile vorgeführt und angeboten wurden, lag nahe und hat uns eigentlich nicht überrascht, sind wir doch bei unserer Rundfahrt durch die Mongolei den Lieferanten dieser herrlichen Wolle ständig begegnet – riesigen Ziegenherden.

Herr Bobsin, der Chefreiseleiter des Zuges, in den wir nun bald einsteigen sollten, kam an den Tisch und stellte sich vor. Er sprach uns mit „Frau …“ und „Herr …“ an. Gottseidank nicht das übliche Geduze, bloß weil man ein paar Tage in demselben Zug reist.

Kurz vor zehn Uhr kommt eine vierköpfige Band ins Lokal und beginnt zu spielen. Fluchtartig stürmen wir „Zarengoldleute“ nach draußen, denn nun ist der Lärm absolut nicht mehr auszuhalten. Das ist Abicht, denn nun sollen wir aufbrechen und den mongolischen Gästen das Lokal überlassen.

Der Zarengoldzug wartet schon am Bahnhof auf uns, zweiundzwanzig Waggons, 450 Meter Länge. Wir befördern unsere Koffer selbst vom Zubringerbus bis vor unseren Waggon, Nummer 9. Zwei junge russische Schaffnerinnen erwarten uns und hieven unsere Koffer die steilen Stufen hoch. Warum sehen russische Schaffnerinnen so russisch aus? Blaues Kostümchen, rot abgesetzt, weiße Bluse, rote Krawatte, Ponyfrisur. Freundliches Lächeln. Einige Worte Deutsch.

Wir stehen vor dem offenen Abteil und halten es im Foto fest, solange es noch so schön und aufgeräumt aussieht. Rechts und links je ein sechzig Zentimeter breites Bett – oder sollte ich es lieber Pritsche nennen? – abgedeckt mit weinroten, goldbestickten Tagesdekken. Blütenweißes Bettzeug schaut hervor. Ein blaues Duschtuch und ein rotes Handtuch für jeden. Über beiden Betten ein breiter Spiegel, sodaß man ins Unendliche zu gucken meint. Weinrote Vorhänge mit goldenen Tressen und kristallenem Dekogebaumel. Das Tischchen vor dem Fenster liebevoll gedeckt: Äpfel und Apfelsinen in einer schwarzgrundigen, blumenbemalten Holzschale, vier Schokoriegel, zwei Flaschen Wasser, zwei Fläschchen Wodka, zwei Minifläschchen sagrotanähnliches Desinfektionsgel. Zwei winzige Matrioschkas als Schlüsselanhänger. Alles symmetrisch angeordnet auf einer weinroten und schräg darüberliegenden weißen Tischdecke. Unter dem Tisch hängt ein Müllbeutel. Auf dem Boden ein Teppich, über den Spiegeln und der „geschnitzten“ Tür umlaufende Dekobänder, die an arabische Fliesenmuster erinnern. Wo können wir unser Gepäck lassen? Ah, über der Tür ist ein breiter Messinghandgriff, über den Fußenden der Betten ein ausklappbares Gestänge zum Hochklettern, um das große Staufach über der Tür erreichen zu können. Ein paar Kleiderhaken beidseitig neben der Tür. Um an die Blechkästen unter dem Bett zu kommen, muß man die Matratzen hochklappen.

Am Ende des Waggons sind zwei sehr ordentliche Toiletten. Toilettenpapier immer in den Eimer daneben geben, ja nicht ins Toilettenbecken! Erstens: es landet zwischen den Gleisen. Zweitens: Verstopfungsgefahr. Benutzung der Toiletten nicht, wenn der Zug an einem Bahnhof hält; siehe „erstens“. Für diese Zeit stehen einige wenige Biotoiletten zur Verfügung, für uns die nächstgelegene in Waggon dreizehn. Neben den Toiletten eine geräumige Dusche. Wir tragen uns sofort für den nächsten Tag in den an der Tür hängenden Duschplan ein. Duschzeit pro Person: fünfzehn Minuten.

Die beiden Deckenlampen im Abteil sind funzelig. Wir fragen Marina, eine der freundlichen und lieben Schaffnerinnen, ob es ein besseres Licht gebe. Sie heißen beide Marina. Sie versteht uns nicht und zuckt die Achseln.

Um 22 Uhr 54 soll es losgehen.

Punkt 22 Uhr 30 fährt der Zug ab. Hoffentlich sind alle an Bord. Eine der beiden Marinas klopft an die Abteiltür und sagt, irgendetwas „rabotat“. Sie zeigt auf die Lampe am Kopfende meines Bettes, die halb hinter dem Vorhang versteckt ist. Ich betätige den Schalter. Die Lampe „rabotat“, sie „arbeitet“, wenn der Zug fährt.

Wir gehen bald zu Bett, putzen nur eben unsere Zähne, bevor wir uns auf unsere „Pritschen“ legen.

Rattata. Tarattata. Ich kann nicht einschlafen.

Rattata. Ich glaub´, ich spinn´. Rattata. Bin ich verrückt? – Mich einzulassen auf neun Tage zu zweit auf etwa zwei mal zweieinhalb Quadratmeter! Rattata!

Donnerstag, 17. Juli

Im Morgengrauen werde ich wach. Wie sieht es eigentlich draußen aus? Ich gehe auf den Gang. Steppe. Ein paar Jurten. Das paßt, wir sind noch in der Mongolei. Ein paar Nebelschwaden, im Hintergrund Berge.

Rattata.

Bäume tauchen auf. Seit fast einer Woche keine Bäume mehr gesehen in der Mongolei.

Jetzt hohes, dichtes Buschwerk. Ein Fluß, die Selenga, die in den Baikalsee mündet. Auf der Abteilseite Berge, dicht vor dem Fenster. Ein Dorf. Zahlreiche hohe Stangen ragen über die Häuser. Erst als wir nahe daran sind, erkenne ich die Stromleitungen dazwischen. Der Fluß wechselt zur anderen Zugseite, wir müssen über eine Brücke gefahren sein. Alle Fotos werden unscharf.

Ich mache im Toilettenraum ein Drittel meines Handtuchs naß, um mich „waschen“ zu können.

Wie angekündigt, hält der Zug Punkt 5 Uhr 43 zur mongolischen Paßkontrolle in Suhe Bator. Jetzt und in den nächsten sechs Stunden bloß keine Fotos machen, strengstens verboten! Neben uns steht eine Diesellok und macht ein rundes Geräusch: lautleiselautleiselautleise. Schließlich fährt sie ab, und Sonne fällt ins Abteil. Unsere Pässe werden eingesammelt. Jetzt können wir noch weiterschlafen. Könnten wir, wenn wir könnten. Insgesamt sind sechs Stunden für die mongolische und die russische Grenzkontrolle vorgesehen. Dabei brauchen wir für die Mongolei nicht mal ein Visum. Für Rußland natürlich schon. „Wie gut, daß ich ein unbescholtener Bürger bin.“ „Bürgerin“, korrigiert Hans. Aber das ist in diesem Zusammenhang egal.