Der 2-Stunden-Chef - Insa Klasing - E-Book

Der 2-Stunden-Chef E-Book

Insa Klasing

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Beschreibung

Besser führen mit weniger Führung Insa Klasing lernte das Loslassen auf die harte Tour. Sie brach sich beide Arme. Dabei musste sie doch Tausende Mitarbeiter führen! Die Zwangspause gab ihr die Gelegenheit, auszuprobieren, wovon sie schon viel gehört hatte: den Mitarbeitern die Autonomie zu freien Entscheidungen zu geben. Und siehe da: Nicht nur ihr Team kam mit der 2-Stunden-Chefin prima klar, sondern sie selbst hatte plötzlich viel mehr Zeit, sich um die Zukunft des Unternehmens zu kümmern. Die neu gewonnene Freiheit machte sie zu einem noch besseren CEO. In ihrem Buch zeigt sie nun anderen Führungskräften: - wie sie vom Autonomie-Prinzip profitieren - wie sie mit weniger Führung mehr erreichen können. - "Die 2-Stunden-Führung" setzt ungeahnte Kapazitäten bei Mitarbeitern frei und verschafft den Führenden schmerzhaft ersehnte Freiräume. Kurz: Bessere Führung, Schritt für Schritt und ganz ohne gebrochene Knochen.

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INSA KLASING

DER 2-STUNDEN-CHEF

Mehr Zeit und Erfolg mit dem Autonomie-Prinzip

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Insa Klasing lernte das Loslassen auf die harte Tour. Sie brach sich beide Arme. Dabei musste sie doch Tausende Mitarbeiter führen! Die Zwangspause gab ihr die Gelegenheit, auszuprobieren, wovon sie schon viel gehört hatte: den Mitarbeitern die Autonomie zu freien Entscheidungen zu geben. Und siehe da: Nicht nur ihr Team kam mit der 2-Stunden-Chefin prima klar, sondern sie selbst hatte plötzlich viel mehr Zeit, sich um die Zukunft des Unternehmens zu kümmern. Die neu gewonnene Freiheit machte sie zu einem noch besseren CEO.

In ihrem Buch zeigt sie nun anderen Führungskräften:

•wie sie vom Autonomie-Prinzip profitieren

•wie sie mit weniger Führung mehr erreichen können.

•»Die 2-Stunden-Führung« setzt ungeahnte Kapazitäten bei Mitarbeitern frei und verschafft den Führenden schmerzhaft ersehnte Freiräume.

Kurz: Bessere Führung, Schritt für Schritt und ganz ohne gebrochene Knochen.

Vita

Insa Klasing ist CEO und Co-Founder des Start-ups TheNextWe, ehemalige Geschäftsführerin von Kentucky Fried Chicken in Deutschland, Österreich, Schweiz und Dänemark sowie Young Global Leader 2017 des Weltwirtschaftsforums. Sie ist für ihren neuen Führungsstil in der Welt des Big Business ebenso wie in der Start-up-Szene anerkannt.

Inhalt

Vorwort von Bill Aulet

Warum ein Reitunfall das Beste war, was mir passieren konnte — … und was das mit der Zukunft Deutschlands zu tun hat

Kapitel 1Tag 1: Das Leben wirft mich aus dem Sattel

Böses Erwachen: Was mich das Loslassen lehrte

Der Unentbehrlichkeitsmythos: Fünf vermeintliche Argumente

Der Chef und sein Ego: Das gesunde Maß

Die Ego-Lösung: Führen mit Autonomie

Warum wir kontrollieren: Sicherheit und Macht

Führen mit Kontrolle: Welchen Preis wir persönlich zahlen

Kapitel 2Tag 15: Das Team startet durch

Trainerbank leer: Das Team spielt noch härter

Geheimwaffe Autonomie: Was verbirgt sich dahinter?

Intrinsische Motivation: Nachtschichten für negativen Stundenlohn

Kreativität: Wenn ein Konzern zum Start-up mutiert

Weiterentwicklung: Autonomie ist Fordern und Fördern

Führen mit Kontrolle: Wie man seine Mitarbeiter zerstört

Kassensturz: Was Kontrolle uns kostet

Kapitel 3Exkurs: Wie Kontrolle Deutschland die Zukunftsfähigkeit kostet

Wie wir unsere Autonomie verspielt haben: eine Provokation

Die Welt im Wandel: Die Digitalisierung macht Autonomie unerlässlich

Eine neue Grundhaltung: Kontrolle aufgeben, Autonomie leben

Neues Denken verankern: Autonomie im Bildungssystem

Kapitel 4Tag 43: Wieder da, aber nicht ganz: Das Autonomieprinzip

Zurück im Büro: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Das Autonomieprinzip: Ein neues Führungsverständnis

Kern des Autonomieprinzips: Den Mitarbeitern die Wahl lassen

Führen mit Autonomie: Die verbleibenden Rollen des Chefs

Millennials: Führen ohne Autonomie führt in den Konkurs

Kapitel 5 Tag 69: Der 2-Stunden-Chef als Visionär und Ermutiger

Der 2-Stunden-Chef: Ein neues Führungsmodell

Der Chef als Visionär: Die wichtigste Rolle des 2-Stunden-Chefs

V1: Sinn nutzen

V2: Vision leben

V3: Zielsetzung

Der Chef als Ermutiger: Die zweitwichtigste Rolle des 2-Stunden-Chefs

E1: Glaube an Erfolg haben

E2: Fortschritt feiern

E3: Wertschätzung geben

Kapitel 6 Immer noch Tag 69: Der 2-Stunden-Chef als Coach und letzte Instanz

Der Chef als Coach: Die drittwichtigste Rolle des 2-Stunden-Chefs

C1: Zuhören

C2: Stärken stärken

C3: Feedback geben

Der Chef als letzte Instanz: Die unwichtigste Rolle des 2-Stunden-Chefs

L1: Eigenverantwortung einfordern

L2: Konflikte offenlegen

L3: Entscheiden

Nur noch Frühstücksdirektor? Die restlichen Stunden am Tag

Kapitel 7Voraussetzungen für erfolgreiches Loslassen

Damit Loslassen nicht zum Chaos wird: Geteilte Vision

Damit Loslassen nicht zu Stillstand führt: Die Fehler-erlaub-Kultur

Damit Loslassen zum Erfolg wird: Das richtige Team

Die Sache mit der Eigenverantwortung: Eine Grundvoraussetzung

Keine Voraussetzung: Agiles Arbeiten und Selbstorganisation

Kapitel 8Tag 385: Wie schaffen Sie den Wandel – auch ohne Unfall?

Die Auslöser: Wann wir unser Verhalten ändern

Vier Schritte, wie Sie ihr Ego auch ohne Unfall überlisten

Schritt 1: Das Ziel

Schritt 2: Status quo

Schritt 3: Neues Mindset

Schritt 4: Neues Verhalten zur Gewohnheit werden lassen

Masterclass im Loslassen: Autonomie für den Chef

Kapitel 9 Ausblick: Autonomie als Schlüsselfrage der Zukunft

Was die Zukunft bringt: Unendliche Autonomie oder unendliche Kontrolle?

Zukünftig unerlässlich: Die Fähigkeit zu Autonomie

The End

Danke

Interviewpartner

Prof. Dr. Georg Adlmaier-Herbst — Professor an der Universität der Künste, Berlin, und an der Universität St. Gallen; Vordenker für Leadership in der Digitalisierung

Thomas Andrae — Chief Strategy Officer, Nucleus Scientific Inc.; Vordenker für neuartige Mobilität

Bill Aulet — Managing Director, Martin Trust Center for MIT Entrepreneurship; Autor des Vorworts

Pascal Finette — Chair for Entrepreneurship & Open Innovation, Singularity University; Vordenker für Technologie der Zukunft

Anke Kaupp — Gründerin & Chief Psychologist, TheNextWe; Vordenkerin für Mindset-Wandel

Verena Pausder — Gründerin & CEO von Fox & Sheep und der HABA Digitalwerkstatt; Vordenkerin für digitale Bildung

Gisbert Rühl — Vorsitzender des Vorstands Klöckner & Co; Vorbild für Führen mit Autonomie in der Industrie

Heike Schluckebier — Heim- und Einrichtungsleiterin in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung; Vorbild für Führen mit Autonomie im Sozialmanagement

Literatur

Anmerkungen

Vorwort von Bill Aulet

Kapitel 1: Tag 1: Das Leben wirft mich aus dem Sattel

Kapitel 2: Tag 15: Das Team startet durch

Kapitel 3: Exkurs: Wie Kontrolle Deutschland die Zukunftsfähigkeit kostet

Kapitel 4: Tag 43: Wieder da, aber nicht ganz: Das Autonomieprinzip

Kapitel 5: Tag 69: Der 2-Stunden-Chef als Visionär und Ermutiger

Kapitel 6: Immer noch Tag 69: Der 2-Stunden-Chef als Coach und letzte Instanz

Kapitel 7: Voraussetzungen für erfolgreiches Loslassen

Kapitel 8: Tag 385: Wie schaffen Sie den Wandel – auch ohne Unfall?

Kapitel 9 Ausblick: Autonomie als Schlüsselfrage der Zukunft

Register

Über die Autorin

Vorwort von Bill Aulet

Wir stehen kurz vor einem wesentlichen Paradigmenwechsel: Kontrolle hat ausgedient, Autonomie ist jetzt gefragt. Wir befinden uns in einer Welt, in der niemand mehr die Kontrolle hat. Kontrolle war schon immer ein flüchtiges Konzept, aber noch nie so sehr wie heute. Da der technologische Wandel immer schneller voranschreitet, werden immer mehr etablierte Unternehmen Opfer der kreativen Zerstörung agiler neuer Akteure. Unternehmen verändern sich schneller als je zuvor: Professor Richard Foster von der Yale University stellte fest, dass die durchschnittliche Verweildauer von Unternehmen im S&P 500 Index von 67 Jahren im Jahr 1920 auf heute nur noch 15 Jahre gesunken ist.1 Um in dieser unsicheren Welt zu überleben, müssen etablierte Unternehmen das lernen, was ihre Herausforderer so erfolgreich macht, nämlich die Fähigkeit, radikal zu innovieren und schnell zu skalieren. Beides ist mit Kontrolle nicht möglich. Dies ist schwierig für Volkswirtschaften wie Deutschland, wo Effizienz und Genauigkeit hoch im Kurs stehen. Aber diese Eigenschaften werden in Zukunft weit weniger wert sein als Kreativität. Kreativität erfordert Autonomie. Autonomie, als Voraussetzung für Innovation und Skalierung, wird existenziell für das Überleben von Unternehmen in der neuen Welt.

Als Führungskraft bei IBM und dann als Serial Entrepreneur habe ich beide Welten erlebt und letztere gewählt. Ich glaube an Steve Jobs’ berühmtes Zitat »Es macht mehr Spaß, ein Pirat zu sein, als in der Marine zu sein«. Ich lehre seit über einem Jahrzehnt Unternehmertum am MIT. Mein persönliches Bestreben dort besteht darin, nicht nur innovative Unternehmen zu schaffen, die schnell skalieren, sondern auch »antifragile« Chefs zu entwickeln, die in der Lage sind, selbstbestimmt auf die zunehmende Zahl unvorhersehbarer Herausforderungen zu reagieren. Zerbrechliche Wesen brechen unter Druck, aber antifragile Menschen überleben nicht nur, sondern blühen förmlich dabei auf. Sie können mit unpräzisen Informationen in einer unvorhersehbaren Welt arbeiten, in der Versagen nichts Ungewöhnliches ist.

Um den Herausforderungen der neuen Welt zu begegnen, müssen wir über Management hinausgehen und uns auf Führung konzentrieren, wie es Der 2-Stunden-Chef sehr treffend tut. Im Mittelpunkt von Management steht Optimierung, die in einigen Geschäftsbereichen wie der Fertigung angemessen ist, wo Risikomanagement und Kontrolle wichtig sind. Als ich bei IBM arbeitete, habe ich Mitarbeiter mit der Absicht gemanagt, sie dazu zu bringen, die Dinge so gut zu machen, wie ich es tat. Dieser Ansatz ist völlig unskalierbar und lässt keinen Raum für Innovationen. Bei Führung hingegen geht es um Kreation, wie die Entwicklung einer Vision und die Erfindung von Mitteln und Wegen, um sie zu erreichen. Autonomie ist eine wichtige Führungsqualität für die Zukunft, und es ist an der Zeit, dass Unternehmen das aktuelle Paradigma von Führung mit Kontrolle fallen lassen, das völlig veraltet und dennoch allgegenwärtig ist.

Ich bin überzeugt, dass Führung gelehrt werden kann, so wie wir am MIT jeden Tag beweisen, dass Unternehmertum gelehrt werden kann. Manager können lernen, sich vom Führen mit Kontrolle zu lösen. Aber das geschieht nicht über Nacht. Es erfordert klare Prinzipien und viel Übung, denn Führung ist letztlich eine Fähigkeit, die wir uns durch »learning by doing« aneignen. Dieses Buch ist von unschätzbarem Wert, da es sowohl die Philosophie und die Methode des Führens mit Autonomie als auch eine Reihe von höchst praktikablen Übungen bietet, die es dem Leser ermöglichen, seinen Führungsstil nicht nur zu überdenken, sondern auch in der Praxis erfolgreich umzusetzen. Dass dies alles von einer inspirierenden Praktikerin mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz kommt, macht dieses Buch einzigartig und unterscheidet es von den vielen theoretischen und oft folgenlosen Abhandlungen über Führung am Markt. Dieses Buch wird die Art und Weise, wie Sie führen, verändern. Ich empfehle Ihnen wärmstens, es zu lesen.

Bill Aulet2

Cambridge, Massachusetts, Dezember 2018

Warum ein Reitunfall das Beste war, was mir passieren konnte

… und was das mit der Zukunft Deutschlands zu tun hat

Es ist 14 Uhr an einem ganz normalen Montag. Ich habe Hunger. Seit dem Frühstück ging es von einem Meeting direkt ins nächste. Zeit, auf die Toilette zu gehen, war da nicht, genauso wenig weiß ich bisher, warum meine Assistentin mich dringend sprechen will. Auf meinem Handy reihen sich die Bitten um Rückruf, meine Inbox blinkt unentwegt mit neuen E-Mails. Ich kehre mit meiner To-do-Liste aus den Meetings in mein Büro zurück, davor warten schon drei Mitarbeiter. »Insa, hast du kurz 5 Minuten für mich?« Durch die Glasscheibe sehe ich Martin vorbeigehen, und da fällt mir ein, dass ich vor der nächsten Runde in 15 Minuten unbedingt noch Input von ihm brauche. An Mittagessen ist nicht zu denken. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Sechs Monate später an einem ganz normalen Montag um 14 Uhr. Ich komme gerade vom Mittagessen beim Italiener mit einem Kollegen, der nicht direkt an mich berichtet. Es war gut, in Ruhe zu hören, wie es ihm geht und was aus seiner Sicht zurzeit gut bei uns läuft und was nicht. Es wartet niemand vor meinem Büro, denn mit meinen Führungsaufgaben bin ich schon seit 11 Uhr fertig. So habe ich die nächsten zwei Stunden Zeit, nochmal über den Entwurf für unsere zukünftige Neuausrichtung nachzudenken. Danach kommt der Geschäftsführer eines Unternehmens einer ganz anderen Branche zu Besuch. Ich freue mich schon auf den kollegialen Erfahrungsaustausch über Fachkräftemangel und digitalen Datenschutz.

Zugegebenermaßen verläuft zu dieser Zeit nicht jeder meiner Montage so wie dieser. Aber die alten Zeiten sind definitiv vorbei, in denen ich als multinationale Geschäftsführerin einer Restaurantkette durch den Tag hetzte und manchmal kaum Zeit fand, selbst etwas zu essen. Nun habe ich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge, und das macht meinen Job spannender und zugleich entspannter als je zuvor.

Wie es zu diesem Paradigmenwechsel kam? Ziemlich brachial und anfangs eher unfreiwillig. Bei einem Reitunfall hatte ich mir beide Arme gebrochen. Von heute auf morgen musste ich wortwörtlich und auch im übertragenen Sinne zahlreiche meiner Führungsaufgaben »loslassen«. Der linke Arm war komplett durchgebrochen und in einer mehrstündigen Operation wieder fixiert worden. Die Reha danach dauerte sechs Wochen – eine Abwesenheitsspanne, die für mich vorher gänzlich unvorstellbar gewesen war. Als ich ins Büro zurückkehrte, trug ich einen Arm immer noch in der Schlinge, der andere war eingegipst. So wurde ich gezwungenermaßen zum »2-Stunden-Chef«, denn für mehr reichte meine tägliche Energie nicht aus. (Wenn ich im Folgenden auf die weibliche Form verzichte, ist das ausschließlich der besseren Lesbarkeit geschuldet, bin ich doch selbst »Chefin«.) Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte, denn dadurch entdeckte ich das Autonomieprinzip und änderte meinen Führungsstil radikal.

Abbildung 1: Vor und nach der OP

Das Spannende war, dass meine Abwesenheit und meine daraufhin stark reduzierte Führungstätigkeit weder zum Chaos noch zum Stillstand führten. Im Gegenteil, das Team startete voll durch, übernahm immer mehr Verantwortung und beschleunigte Innovationen. Alle brachten sich mehr denn je ein und waren dabei motivierter als je zuvor. Wenn Sie das auch erleben wollen und wissen möchten, wie man das ganz ohne Unfall mit nur zwei Stunden Führung am Tag erreicht, dann sind Sie hier richtig.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch vor meinem Unfall führte ich schon sehr »kooperativ« und delegierte viele Aufgaben. Mehr ging nicht, so dachte ich damals. Schließlich war ich diejenige, die die Verantwortung übernommen hatte, und unsere Erfolge gaben mir durchaus recht. Wir waren dabei, die Firma zu verdoppeln, und das Leadership-Team, das ich in den Jahren zuvor neu zusammengestellt hatte, arbeitete mit Leidenschaft und Spaß zusammen an unserer Mission. Chef-Sein und Zeitnot gehörten für mich irgendwie zusammen. Wofür wurde ich schließlich sonst bezahlt? Was ich nicht ahnte, war, dass ein Führungsstil, der die Autonomie der Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt, mir selber Freiraum für strategische und andere wichtige Fragen und meinen Mitarbeitern einen zusätzlichen Motivationsschub verschaffen würde.

Autonomie bedeutet aber nicht nur mehr Freiraum und Erfolg für Führungskräfte und Mitarbeiter. In Unternehmen mehr Autonomie zu gewähren, ist aus meiner Sicht auch der einzige Weg, um zu verhindern, dass Deutschland in der digitalisierten Welt vollends den Anschluss verpasst. Im digitalen Zeitalter gilt für Firmen: Wer sich nicht neu erfindet, der verschwindet. Eine derart radikale Innovation erfordert eigenverantwortlich handelnde, motivierte, kreative – kurz: autonome – Mitarbeiter, und dies lässt die Kontrollmentalität in deutschen Chefetagen bislang nicht zu. Auch das oft gepredigte und ohnehin meist nur halbherzig umgesetzte Paradigma »kooperativer Führung« mit seinen Zahlenzielen, wöchentlichen Abteilungsmeetings und regelmäßigen Zielkontrollen basiert letzten Endes immer noch auf Kontrolle und verhindert Autonomie. So werden wir immer mehr zu passiven Konsumenten von Technologien und Geschäftsmodellen, die in den USA, China und Südkorea entwickelt und in Südostasien produziert werden. Wir sind dabei, mit unserem Kontrollwahn unsere gesamtwirtschaftliche Autonomie auf dem Weltmarkt zu verspielen. Es wird Zeit, dass wir das ändern. Der 2-Stunden-Chef ist mein Vorschlag, wie das mit einem neuen Führungsparadigma gelingen könnte. Ich wünsche Ihnen viel Freude und gute Erkenntnisse bei der Lektüre!

Insa Klasing / Berlin, April 2019

Kapitel 1Tag 1: Das Leben wirft mich aus dem Sattel

Einführung

  Wie steuert man ein Unternehmen durch die viel beschworene VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), mit ihren stetig wachsenden und unberechenbaren Herausforderungen? Wie erzielt man zuverlässig Wachstum in unzuverlässigen, wandelbaren Zeiten? Wie gewinnt und wie bindet man als Chef trotz Fachkräftemangel die besten Mitarbeiter? Meine Antwort passt in einen Halbsatz: Indem man loslässt und die Mitarbeiter machen lässt.

Sollte Ihnen »Loslassen« zu sehr nach Räucherstäbchen und Selbsterfahrungsgruppe klingen, dann sei noch hinzugefügt: Gemeint ist nicht, sich vor den Anforderungen des Unternehmensalltags in die Gleichgültigkeit eines Laisser-faire zu flüchten. Es geht vielmehr darum, die Autonomie der Mitarbeiter in den Mittelpunkt der eigenen Führungsphilosophie zu stellen. Denn Autonomie ist der Schlüssel zu Motivation, Eigenverantwortung, Kreativität und Weiterentwicklung von Menschen. Sie ist eine echte Wunderwaffe, die in den meisten Organisationen ungenutzt vor sich hinrostet, weil wir von klein auf gewöhnt sind, dass es ohne Kontrolle nicht gehen kann.

Böses Erwachen: Was mich das Loslassen lehrte

Führen durch Autonomie – zu dieser Erkenntnis bin ich, wie schon gesagt, nicht ganz freiwillig gekommen. Es geschah am 14. Mai 2016. Wie jeden Samstag ging ich reiten. Reiten war und ist meine ganz persönliche Energietankstelle, mein Ausgleich, meine Leidenschaft. Ich reite seit meinem siebten Lebensjahr. Wie hätte ich ahnen sollen, dass dieser Reitausflug mein Leben drastisch verändern würde?

Es war ein stürmischer Tag, und mein Pferd ging auf freiem Feld durch. Als es im vollen Galopp bei etwa 60 Kilometern pro Stunde auch noch zu buckeln begann, katapultierte es mich buchstäblich aus dem Sattel. Andere sehen in solchen Momenten ihr Leben an sich vorbeiziehen. Alles, was ich denken konnte, war: ›Abrollen, abrollen!‹ Danach dachte ich erst einmal nichts mehr. Ich erinnere mich an Wortfetzen, hektische Aktivität um mich herum, an besorgte Gesichter. Die Diagnose im Krankenhaus:. Mein linker Arm war buchstäblich abgebrochen, der Knochen war komplett durch.

Das Erste, was ich die behandelnde Chirurgin am Morgen nach der OP fragte, war: »Wie lange? Wie lange wird es dauern, bis ich wieder in der Firma bin?« Die Ärztin lächelte nur: »Das entscheidet Ihr Körper. Aber es wird dauern.« Sie hätte genauso gut Chinesisch sprechen können, denn mein Körper hatte sich bis dato in meinem Leben immer nach meinem Kopf richten müssen. Gerade hatte ein Operationsteam acht mehrere Zentimeter lange Schrauben gebraucht, um meinen linken Arm wieder an meine Schulter zu montieren. Doch woran ich zuerst dachte und was ich vor allem brauchte, war ein Datum: für die Abwesenheitsnotiz, für die Vertretungsregelung, für die Kommunikation mit meinen Mitarbeitern und mit meinem Chef in England.

Mein erster Gedanke im Krankenhaus: »Wann bin ich wieder in der Firma?«

Versetzen Sie sich einmal in meine Situation: Welches Datum würden Sie in die Abwesenheitsnotiz schreiben? Am Ende wählte ich drei Wochen. Das war der maximale Zeitraum, den mein Bewusstsein sich damals vorstellen konnte. Ich fuhr normalerweise zwei Wochen in den Urlaub, und für zwei Wochen kann man seine Aufgaben gut an eine Vertretung übergeben. Drei Wochen waren also schon ein Stretch. Am Ende fehlte ich insgesamt zwei Monate in der Firma. Und als ich endlich Krankenhaus und Reha hinter mir hatte und zurück ins Büro kam, hatte ich zwei unbrauchbare Arme, denn erst bei der Physiotherapie hatte sich herausgestellt, dass ich mir nicht nur den linken Arm, sondern auch das rechte Handgelenk gebrochen hatte. Dort trug ich nun einen Gips. Der linke Arm lag in einer Schlinge und war bewegungsunfähig. Ich konnte nichts unterschreiben, mir keine Notizen machen, keine Handtasche tragen oder Türen öffnen. Apples Siri war zu meiner neuen besten Freundin geworden.

Es war super, für alle. Denn ich begann loszulassen, wortwörtlich. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig. Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, dass genau das unsere Ergebnisse beflügeln würde. Zuvor hatte ich zwar auch schon einen offenen Führungsstil und habe sehr viel delegiert, aber zwischen delegieren und loslassen fließt der Mississippi.

Vier Jahre zuvor war ich als Geschäftsführerin angetreten, um das Geschäft von KFC in Deutschland zu verdoppeln. Als ich kam, lief alles über meinen Schreibtisch, selbst Einstellungen im Restaurant. Mir war schnell klar, dass ich so als General Managerin der Flaschenhals unseres Wachstums war. Daher verlagerte ich Entscheidungen immer weiter in die Organisation und gründete den sogenannten »Managers Club«. Hier arbeiteten wir gemeinsam mit dem mittleren Management mit den unterschiedlichsten Methoden daran, Entscheidungen aus dem Vorstand in die Organisation zu verlagern. Vier Mal im Jahr hielten wir Workshops und Offsite-Meetings mit dem Managers Club, bei denen Entscheidungsfindung, Problemlösung, Kommunikation, Resilienz und vieles mehr gemeinsam trainiert wurden. Wenn man mehr Verantwortung von den Mitarbeitern einfordert, muss man ihnen auch die notwendigen Werkzeuge dafür an die Hand geben.

Dennoch brachte mein Unfall unsere Zusammenarbeit auf eine andere, zuvor unvorstellbare Ebene. Beim Delegieren entscheidet man sich, in spezifischen Situationen Aufgaben abzugeben, möglichst, nachdem man alles gut vorbesprochen hat. Nach dem Unfall ging es aber nicht um spezifische Situationen, sondern um jede Situation. Auch, wenn ich zehn Tage nach meinem Sturz im Austausch mit meinem Vertreter stand und wir uns fast täglich besprachen, konnten wir nicht alles vorbesprechen, nicht alles planen. Anders als bei einem Urlaub, bei dem Entscheidungen auch mal zwei Wochen aufgeschoben werden können, musste es hier ohne mich weitergehen, denn es war überhaupt nicht klar, wann ich wieder einsatzfähig sein würde.

Der Unentbehrlichkeitsmythos: Fünf vermeintliche Argumente

Beim Delegieren entscheiden Sie.

Beim Loslassen entscheiden andere.

Später fragte ich mich: Was sagt es über das eigene Führungsverständnis aus, wenn »drei Wochen« die maximale Abwesenheitsdauer ist, die sich ein Manager vorstellen kann – und auch das nur mit Mühe? Ich wollte, ich könnte diese Einschätzung auf starke Schmerzmittel und den Schock des Unfalls schieben. Doch auch bei voller Gesundheit wäre meine Entscheidung nicht anders ausgefallen. Mein Gehirn verweigerte sich schlicht der Möglichkeit, dass das Unternehmen auch ohne mich beziehungsweise mit wenigen grundsätzlichen Impulsen laufen könnte. Und das, obwohl in den vergangenen Jahren der Aufbau eines engagierten A-Teams gelungen war, dem ich vertraute, und wir auf dem besten Weg waren, das Geschäft zu verdoppeln.

Gewiss, die Friedhöfe sind voll von »Unentbehrlichen«. Nur, wenn wir ganz ehrlich sind: Dort liegen immer die anderen – die, die sich irrtümlich für unverzichtbar gehalten haben. Bei uns selbst stellt sich die Sache anders da: Wir sind wirklich unentbehrlich! Selbst wenn unser Verstand uns das souveräne Bekenntnis diktiert, jeder sei ersetzbar – im Herzen und im Bauch ist diese These bei den wenigsten Managern angekommen. Ich nehme mich da nicht aus.

Der Unentbehrlichkeitsmythos: »Ersetzbar« sind immer die anderen.

Wir alle finden sehr gute Argumente dafür, wirklich gebraucht zu werden. Und diese Argumente für unsere eigene Unentbehrlichkeit rechtfertigen es dann in unseren Augen, unseren Mitarbeitern nicht mehr Autonomie zu gewähren und sie konsequent auf diese Herausforderung vorzubereiten. Seit meinem Reitunfall habe ich mit vielen leitenden Managern über Autonomie diskutiert. Unter ihnen waren etliche CEOs. Als Argumente für die eigene Unentbehrlichkeit wurden immer wieder die folgenden fünf genannt:

Loyalität: »Ich kann meine Leute nicht im Stich lassen«, lautet diese Überzeugung. Das ist ein honoriges Argument, denn Loyalität ist einer der wichtigsten Grundwerte für gute Kooperation. Fraglich ist allerdings, ob Loyalität Dauerpräsenz voraussetzt. Für mich bedeutet Loyalität: Das Team muss wissen, dass der Chef in heiklen Situationen hinter ihm steht (und auch hinter jedem Einzelnen). Auf das Loyalitätskonto zahlen Führungskräfte wie auch Mitarbeiter durch integres Verhalten langfristig ein. Ein Team, in dem Selbstverantwortung ermöglicht und gelebt wird, misst Loyalität nicht daran, ob die Führungskraft jederzeit vor Ort ist, um Feuerwehr zu spielen.

Mein Krankenzimmer glich teilweise einem Blumenladen, so viele Sträuße bekam ich geschickt. Die Anteilnahme und die vielen guten Wünsche für meine Genesung haben mich aufrichtig gerührt. Der Grundtenor lautete: »Kurier dich in Ruhe aus!« Und da mein Team meine Ungeduld kannte, hätte ich nach geraumer Zeit auch einen Bücherstand für buddhistische Grundlagenliteratur eröffnen können. Im Stich gelassen fühlte sich niemand.

Angst, Erwartungen zu enttäuschen: Hier geht es um die Sorge, die Ansprüche des eigenen Vorgesetzten oder auch verschiedener Stakeholder wie Aktionären, Kapitalgebern, Kunden und Kooperationspartnern nicht zu erfüllen. Mancher fürchtet noch dazu um sein Renommee, seinen Ruf in der Wirtschaftspresse, wenn er länger ausfällt, sei es durch Krankheit oder auch durch ein Sabbatical. Diese Angst teilte ich nicht mehr, denn ich wurde durch eine empathische Unternehmenskultur aufgefangen, in der mein Boss mir sofort signalisierte, meine wichtigste Aufgabe sei, gesund zu werden – alles andere sei zweitrangig. Außerdem war das Unternehmen solide aufgestellt. Externe Gesprächspartner waren es gewöhnt, dass Mitarbeiter unterhalb der Geschäftsführung kompetent und eigenverantwortlich agierten. Autonomie und Loslassen setzen einen geeigneten Kontext voraus. Man kann nicht von heute auf morgen den Schalter von Gängelei auf »Mach mal selbst!« umlegen. Ein traditionell geführtes Unternehmen zu transformieren braucht Zeit. Wie Sie diesen Wandel einleiten können, lesen Sie in den Kapiteln 4, 5, 6 und 7.

Pflichtbewusstsein: »Als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer muss ich da sein!«, so das Argument. »Wer sonst soll wichtige Dokumente unterschreiben?« Doch auch dieses strukturelle Dilemma ist lösbar durch Prokura für Leistungsträger und das Vieraugenprinzip bei grundlegenden Entscheidungen. Aus meiner Sicht muss es sogar gelöst werden, sonst steht das Unternehmen still, wenn der Entscheidungsträger sich nicht »nur« die Arme bricht, sondern total ausfallen sollte. Übrigens gilt das nicht nur für das Topmanagement: Ein Unternehmen, das von einer einzigen Person abhängig ist – beispielsweise vom IT-Manager, der sich als Einziger mit dem Shop-System auskennt –, fährt eine Kamikaze-Strategie.

Mögliche Katastrophen abwenden: »Der Fußballtrainer sitzt ja auch die ganze Zeit auf der Bank, um notfalls einzugreifen, und verzieht sich nicht in die Kabine«, sagte einer meiner Gesprächspartner. Die Sorge, wer als Führungskraft nicht ständig präsent sei, werde von einer »Katastrophe« kalt erwischt, ist gar nicht so selten. Mancher fragt sich schon nach zwei Wochen Urlaub bang, was wohl in seiner Abwesenheit passiert sein könnte. Ein gutes Katastrophenwarnsystem funktioniert allerdings gerade nicht durch besonders enge oder gar autoritäre Führung, sondern durch eine positive Fehlerkultur und Offenheit. Wenn Fehler nicht sanktioniert, sondern als wertvolle Lernhinweise verbucht werden, ist das die beste Voraussetzung für ein funktionierendes Frühwarnsystem. Dazu bedarf es des Handelns nach der Maxime »Ein Fehler ist völlig okay, wenn er proaktiv adressiert wird und Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden, damit er sich nicht wiederholt.« (Dazu mehr in Kapitel 7.) Glaubwürdig wird dies, wenn der Führende es vorlebt und auch eigene Versäumnisse nicht unter den Teppich kehrt. Denken Sie an die Skandale und Katastrophen der vergangenen Jahre, ob Bankenkrise oder Abgasskandal: Sie kamen nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Sie waren Folge einer Unternehmenskultur, in der offiziell keine Fehler passierten und in der zum Beispiel Entwicklungsingenieure nicht zugeben durften, dass ambitionierte Abgaswerte in der vorgegebenen Zeit nicht zu erreichen waren.

Rechtfertigung des eigenen Gehalts: »Wer das größte Gehalt verdient, sollte auch den größten Beitrag leisten«, so der Gedanke. Wer diese Überzeugung hegt, meint, es sich selbst und dem Unternehmen schuldig zu sein, morgens der Erste und abends der Letzte im Unternehmen zu sein. Übersehen wird dabei, dass eine Führungskraft nicht für die Zahl ihrer Arbeitsstunden entlohnt wird, sondern für die Bereitschaft, eine größere Verantwortung zu schultern. Außerdem wird sie bezahlt für strategischen Weitblick, innovative Ideen, kluge Personalpolitik, Verhandlungsgeschick, ein gutes Netzwerk zum Wohle des Unternehmens und vieles mehr. Im Hamsterrad leiden diese relevanten Führungsleistungen.

Wofür werden Sie bezahlt? Für lange Arbeitstage oder für große Verantwortung und strategischen Weitblick?

Letztendlich sind alle fünf Argumente Mythen und Geschichten, die wir uns selbst erzählen, um uns unserer eigenen Unentbehrlichkeit zu versichern. Es schmeichelt unserem Ego, dass man uns braucht. Unser »Gebraucht-Werden« entschädigt uns für lange Arbeitstage, durchgrübelte Wochenenden und ein reduziertes Privatleben. Genau genommen beißt sich hier die Katze in den Schwanz: Weil wir uns für unentbehrlich halten, arbeiten wir so viel. Und dass wir so viel arbeiten, ist gleichzeitig der beste Beweis dafür, wie unentbehrlich wir sind.

Der Chef und sein Ego: Das gesunde Maß

Mit dem Ego ist das so eine Sache. Vom Duden schlicht als Substantiv »Ich« definiert, beschreibt das Cambridge Dictionary das Ego als »Idee oder Meinung von sich selbst, besonders die Meinung über die eigene Wichtigkeit und Fähigkeit«1. Das klingt zunächst neutral, schließlich kann diese Meinung über sich selbst sowohl hoch als auch niedrig ausfallen, also ein Ego jeglicher Größe beinhalten. Als ich nach meinem Unfall über meine absurde Abwesenheitsnotiz und vermeintliche Unentbehrlichkeit reflektierte, fragte ich mich, wie viel Ego eigentlich gesund sei für einen Chef.

Auf der Suche nach einer Antwort stieß ich in der Literatur auf zwei Extreme. Am einen Ende des Spektrums gibt es die Literatur des Ego-Bashing. So sieht der amerikanische Autor Ryan Holiday das Ego gar als unseren größten Feind. Er meint, es sei »der ungesunde Glaube an die eigene Bedeutung. Arroganz. Ich-bezogener Ehrgeiz.«2 Und in dieser Ich-Bezogenheit verortet er die Ursache allen Übels: »Auch wenn die wenigsten von uns ›Egomanen‹ sind, wurzelt so gut wie jedes denkbare Problem und Hindernis im Ego.«3 Ego-Bashing ist besonders naheliegend bei Chefs, denn sie gelten häufig als Egoisten, denen es nur um ihre eigenen Interessen geht. Diese angebliche Selbstbezogenheit von Chefs ist laut Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer schädlich für die Organisationen, die sie führen, da die Interessenlagen grundsätzlich divergieren.4 Individuen überleben in einer Organisation laut Pfeffer eher, indem sie selbstbezogen handeln, während das Überleben einer Gruppe häufig auch davon abhängt, dass ihre Mitglieder ihr eigenes Wohlergehen der Gruppe opfern und Dinge für andere tun.5

Ist das Ego grundsätzlich schädlich? Und sind Chefs anfällig für übertriebene Selbstbezogenheit?

Da in unserer Gesellschaft Selbstbezogenheit grundsätzlich als schädlich gebrandmarkt ist, ist es kein Wunder, dass am anderen Ende des Spektrums in der Führungsliteratur das genaue Gegenteil, also Selbstlosigkeit in der Führung, propagiert wird. Der Amerikaner Robert Greenleaf publizierte schon 1977 den Management-Klassiker Servant Leadership, der vierzig Jahre später immer noch verlegt wird, weit über seinen Tod hinaus. Darin propagiert er, dass die erste und wichtigste Aufgabe eines Leaders ist, seinen Mitarbeitern zu dienen. Der Servant-Leader zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht seine eigenen Bedürfnisse voranstellt, sondern dafür sorgt, dass die wichtigsten Bedürfnisse anderer erfüllt werden.6 Der Servant-Leader ist an erster Stelle Servant, und erst dann Leader.

Auch in der ansonsten nicht zimperlichen Welt des Start-up-Investors Rocket Internet findet sich ein Anspruch an Selbstlosigkeit. »Egoless Culture« ist ein Wert des Investors, der auch in den Beteiligungen, zum Beispiel bei Foodora und Zalando, gilt. Erwartet wird beispielsweise, dass »Entscheidungen trotz persönlichem Ego schnell wieder revidiert werden müssen. Jeder müsse bei Rocket über seinen Schatten springen können, was nicht immer ganz einfach sei.«7

Mir ist diese Verunglimpfung des Egos zu kurz gegriffen. Natürlich bin ich nicht dafür, dass falsche Entscheidungen nur deshalb nicht revidiert werden, weil der Chef sonst sein Gesicht verliert. Selbstverständlich will niemand für jemanden arbeiten, dem es nur um sich geht, und dem die Bedürfnisse der Mitarbeiter völlig egal sind. Egomanen und Narzissten sind keine guten Chefs, das steht außer Frage. Aber das andere Extrem, Selbstlosigkeit, ist auch keine Lösung. Es ist unrealistisch, unklug und unnötig.

Unrealistisch, weil wir als Menschen gar nicht anders können, als unsere eigenen Interessen zuallererst im Auge zu haben.

Unklug, weil wir mit dem Ideal des Egoless-Leaders einen wichtigen Motor für große Ergebnisse abstellen. »Menschen, die eine große Karriere anstreben, müssen sehr von sich überzeugt sein. Sie brauchen Durchhaltewillen, mentale Robustheit, Widerstandskraft und ein stark ausgeprägtes Ego, das ihnen hilft, auch schwierigste Situationen zu meistern und Durststrecken zu überwinden«8, weiß das Coaching-Duo Dorothea Assig und Dorothee Echter.

Und unnötig, weil ein gesunder Fokus auf die eigenen Interessen nicht zwangsläufig Schaden für alle anderen bedeutet. Im Gegenteil, wenn jeder auf sich achtet, ist für alle gesorgt. Niemand kennt die eigenen Bedürfnisse besser als man selbst. Und wer nicht zuerst auf sich achtet, der kann im Notfall auch schlecht anderen helfen, genauso wie im Flugzeug, wo es auch sinnvoll und geboten ist, bei fallendem Luftdruck die Sauerstoffmaske zuerst sich selbst aufzusetzen, bevor man Kindern und hilfsbedürftigen Personen hilft.

Für eine große Karriere braucht es ein gesundes Ego. Der »egolose« Chef ist eine Illusion!

Klar ist, dass wir ohne unser Ego gar nicht erst in eine Führungsposition gekommen wären. »Denn kaum ein Chef ist als Chef auf die Welt gekommen. Die allermeisten sind die Karriereleiter hochgeklettert. Bei jeder Stufe haben sie sich durchgesetzt, weil sie besser waren als alle anderen Kandidaten, die auf den gleichen Posten hofften«, schreibt der Management-Trainer Markus Jotzo.9 In dieser Phase kann von Selbstlosigkeit keine Rede sein, es zählt allein, sich zu beweisen und weiterzukommen.

Doch das ändert sich, wenn man erst einmal die Chefposition erreicht hat. »Um an die Spitze zu kommen, ist ein großes Ego notwendig. Um an der Spitze zu bleiben, muss das Ego unter Kontrolle gebracht werden. Wenn dort die Konzentration auf das Ego zu stark wird, wenden sich Menschen enttäuscht ab«10, schreiben Assig und Echter. Das Ego unter Kontrolle zu bringen, ist keine leichte Aufgabe. Schließlich hat sich die Stärkung des Egos auf dem Weg nach oben als vielversprechendes Muster erwiesen.11

Die Ego-Lösung: Führen mit Autonomie

Wir brauchen also einen neuen Ansatz – einen, der den aus meiner Sicht vollkommen legitimen selbstbezogenen Interessen der Führungskräfte nach Verantwortung, Status und Weiterkommen gerecht wird, also ihr Ego nährt, aber der gleichzeitig das beste Ergebnis für Mitarbeiter, Kunden und Investoren hervorbringt. Dieser Ansatz ist Führen mit Autonomie.

Autonomie ist, wie ich im nächsten Kapitel zeigen werde, der Schlüssel zu Motivation, Eigenverantwortung und Kreativität. Je mehr Spielraum ich meinen Mitarbeitern gebe, desto härter arbeiten sie, desto mehr Verantwortung übernehmen sie, desto kreativer gehen sie vor. Je mehr ich sie kontrolliere, desto kleiner wird ihr Spielfeld, desto weniger werden sie geben. Wer die Autonomie seiner Mitarbeiter in das Zentrum seines eigenen Führungsverhaltens stellt, steigert seine Ergebnisse – und damit gewinnt automatisch auch sein Ego. Denn wer tolle Ergebnisse mit seinem Team erreicht, gewinnt am Markt, hat die besten Chancen, befördert zu werden, steigt in der Hierarchie auf und wird am Ende mit höherem Gehalt und Einfluss belohnt. Und seine Mitarbeiter gewinnen mit ihm, denn Menschen lieben es, erfolgreich zu sein. Jeder möchte Teil von etwas Großartigem sein. Und was auf den Chef in Bezug auf sein Ego zutrifft, stimmt für das Team ebenso: Gute Ergebnisse stärken das Ego der Teammitglieder, und zwar in dem Maße, wie jeder daran mitgewirkt hat. Führen mit Autonomie stärkt also das Ego des Chefs und das Ego der Mitarbeiter gleichzeitig. Und umgekehrt gilt: Je egomanischer ich mich verhalte, desto mehr werde ich abgelehnt, desto weniger Menschen folgen mir gerne, desto mehr leiden meine Ergebnisse und mein Ego.

»Führen mit Autonomie« stärkt das Ego des Chefs und das seiner Mitarbeiter.

Der Schlüssel für die geschilderte Win-win-Situation sind gute Ergebnisse. Diese bekommt man, wie ich selbst erleben durfte, am besten, indem man loslässt und die Mitarbeiter machen lässt. Ich kenne nur sehr wenige Führungskräfte, die sich konsequent über Resultate definieren, über Arbeitsergebnisse, Erfolge, die andere erzielt haben – einfach nur, weil man ihnen keine Steine vor die Füße gerollt hat. Die meisten definieren sich über ihr Tun. Sie wollen am liebsten mal eben die Firma retten oder zumindest wichtige Weichen stellen, Mitarbeitern auf die Sprünge helfen, Fehlentscheidungen verhindern und Projekte vorantreiben. Hinzu kommt, dass sich viele als Stürmer sehen, der den Ball ins Tor befördert, um nachher im Rampenlicht generös auf den Anteil der Mannschaft hinzuweisen. Auf der Bank zu sitzen und zuzuschauen, wie andere Tore schießen, liegt den allerwenigsten.

Aber was wäre, wenn das Auf-der-Bank-Sitzen und Zuschauen der wichtigste Beitrag überhaupt ist? Der Beitrag, der einen Sieg erst ermöglicht? Wenn der Fußballtrainer auf den Platz läuft und mitspielt, bleibt die Bank leer, und das Team ist effektiv führungslos. Niemand hat mehr das Gesamtbild im Blick, niemand analysiert die gegnerische Mannschaft und passt die Taktik dem Spielverlauf an, und es ist niemand mehr da, der entscheiden kann, wer ausgewechselt wird. Es lohnt sich also, sitzen zu bleiben. Doch in der Praxis passiert zu häufig das Gegenteil: Wir Chefs mischen immer mal wieder im Tagesgeschäft mit.

Wer behält die Übersicht, wenn der Trainer mitspielt?

Um wirklich dauerhaft auf der Bank sitzen zu bleiben, brauchen wir ein neues Verständnis von unserem eigentlichen Beitrag als Führungskraft. Damit wir für die eben genannten Kernaufgaben Zeit haben, müssen wir unsere Mitarbeiter machen lassen. Mein Beitrag als Chef ist nicht mein eigenes »Tun«. Die anderen »tun« und erzielen damit die gewünschten Ergebnisse. Ich lasse das zu. In der Konsequenz heißt das, eine Führungskraft wird bezahlt für ihr »Sein«.

In den USA pflegt man die Maxime »Let them shine!«. Gemeint sind die Mitarbeiter. Tolle Mitarbeiter zu haben, die glänzende Ergebnisse erzielen, strahlt auf die Führungskraft ab und wird als Beleg für gute Führung gewertet. In vielen US-Unternehmen ist zudem der konsequente Aufbau eines Nachfolgers bonusrelevant. Belohnt wird also, wer sich entbehrlich macht. Auch das ist ein wirksamer Schutz vor dem Irrtum der eigenen Unersetzlichkeit und fördert die konsequente Übertragung von Verantwortung auf Teammitglieder.

Warum wir kontrollieren: Sicherheit und Macht

Wer jetzt immer noch denkt, Loslassen sei keine gute Idee, weil das einem Machtverlust gleichkäme und nicht zuletzt Unsicherheit produziere, der befindet sich in bester Gesellschaft. Jeder Mensch kontrolliert immer aus einer für sich positiven Absicht heraus, entweder aus einem Bedürfnis nach Sicherheit oder aus einem Bedürfnis nach Macht.

Kontrollieren, um Sicherheit herzustellen, ist zutiefst menschlich. Schon der Evolutionspsychologe Abraham Maslow stellte in seiner Bedürfnispyramide Sicherheit an zweite Stelle, übertroffen an Wichtigkeit nur von physiologischen Bedürfnissen wie schlafen, essen und trinken. Man kann über seine Theorie durchaus streiten, aber es steht außer Frage, dass, wer um sein eigenes Überleben bangen muss, nicht den Luxus hat, sich über Selbstverwirklichung Gedanken zu machen. Frauen verspüren das Bedürfnis nach Sicherheit zumeist stärker als Männer, da sie dafür sorgen müssen, dass die Kinder überleben. Ohne ein Streben nach Sicherheit gäbe es die Menschheit gar nicht.

Wer seine Mitarbeiter kontrolliert, indem er nachfragt, Arbeitsschritte überprüft und sich in jede E-Mail auf cc setzen lässt, der stellt Sicherheit über die Ergebnisse her und macht sie dadurch für sich berechenbar. Der Gewinn für den Chef beim Kontrollieren ist, dass er einen großen Einfluss auf das Ergebnis hat. Doch das hat seinen Preis: Der Chef reduziert damit das Engagement seiner Mitarbeiter, denn sie würden mit mehr Autonomie mehr geben. Mehr dazu lesen Sie im nächsten Abschnitt.

Das Bedürfnis nach Sicherheit haben alle Menschen, aber es ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Der Motivationspsychologe Julius Kuhl beschreibt unsere hintere linke Gehirnhälfte als »Controller«, der für die Ergebniskontrolle zuständig ist.12 Wie stark dieser Controller zum Einsatz kommt, hängt davon ab, wie stark die drei anderen Verarbeitungs- und Steuerungszonen im Gehirn ausgeprägt sind, die Informationen aufnehmen und verarbeiten und aus Absichten Handlungen werden lassen.

Die drei anderen Gehirnzonen sind laut Kuhl der »Logiker« vorne links, der für die Handlungsplanung zuständig ist, der »Geschäftsführer« vorne rechts, verantwortlich für die Zielbildung, und der »Macher« hinten rechts, der für die Handlungsausführung sorgt. Chefs mit einem ausgeprägten »Controller« werden sich mehr einmischen und nach Fehlern Ausschau halten als Chefs, deren »Macher« dominiert, und die vergleichsweise weniger Sicherheit brauchen, um voranzugehen und andere vorangehen zu lassen.

Diese verschiedenen Ausprägungen gibt es natürlich auch bei den Mitarbeitern. Wenn man seine Mitarbeiter gut kennt, kann man das in der Führung nutzen. So ist ein »Controller«-Typ eher motiviert, sich für Sicherheit einzusetzen, also Fehler zu finden und Schaden zu vermeiden. Für einen »Logiker« wäre das keine inspirierende Herausforderung, er ist stattdessen mit Zielen für etwas zu gewinnen.13

Egal wie ausgeprägt unser Bedürfnis nach Sicherheit ist, Fakt ist, dass es bei jedem existiert. Beim Führen mit Autonomie statt Kontrolle geht es nicht darum, Kontrolle einfach über Bord zu werfen und durch Autonomie zu ersetzen. Das ist schon allein deshalb nicht möglich, weil wir die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften sicherstellen müssen. Vielmehr geht es beim Führen mit Autonomie darum, herauszufinden, was ich als Chef an Sicherheit brauche, um meinem Team mehr Autonomie zuzugestehen und so bessere Ergebnisse zu erlangen. Vielleicht kann ich loslassen und dem Mitarbeiter nicht jeden Tag über die Schulter schauen, wenn bestimmte Meilensteine zu festen Zeitpunkten vereinbart sind.

Das Gleiche gilt es auch für die Mitarbeiter herauszufinden: Wie viel Sicherheit braucht jeder einzelne? Der Chef kann seinem Team auch beim Führen mit Autonomie Sicherheit geben, zum Beispiel indem er einen berechenbaren Rahmen mit klaren Zielen schafft. Außerdem kann er bei jedem einzelnen Mitarbeiter ausloten, wie viel Autonomie sinnvoll ist. Mehr Autonomie bedeutet immer auch mehr Verantwortung, und das ist nicht für jeden Mitarbeiter die richtige Lösung. Was braucht der Mitarbeiter, um mehr Verantwortung zu übernehmen? Auch die Antwort darauf fällt bei jedem Menschen anders aus. One size fits all ist fehlplatziert beim Führen mit Autonomie. Wie es maßgeschneidert gelingt, dazu mehr in Kapitel 5.

Einen Rahmen schaffen, der den Mitarbeitern Sicherheit gibt, statt kleinteilig zu kontrollieren.

Neben Sicherheit ist das Bedürfnis nach Macht ein weiteres Motiv für Kontrolle. Machtmotivierte Chefs kontrollieren, weil sie sicherstellen wollen, dass die Dinge exakt so gemacht werden, wie sie es für richtig halten. Sie üben ihre Macht aus, um »Einfluss auf das Verhalten, die Überzeugungen oder die Gefühle anderer Menschen auszuüben«14. Dabei sind sie durchaus gewillt, den eigenen Willen auch gegen das Interesse eines anderen durchzusetzen. Kontrolle ist ein entscheidendes Instrument bei der Ausübung von Macht. Psychologen fanden sogar heraus, dass »die Genugtuung über die (vermeintliche) Kontrolle die meisten Auswirkungen der Machtmotivation vermittelt.«15

Wer sich auf formale Macht berufen muss, ist de facto machtlos.

Wer so denkt, dem wird Führen mit Autonomie auf den ersten Blick nicht gefallen. Wird damit nicht die Macht vom Chef auf das Team übertragen? Und der Chef dadurch weniger mächtig? Das Gegenteil ist der Fall, Autonomie zu gewähren, stärkt die eigene Macht. »Macht steigt mit Freiheiten auf beiden Seiten«16, schreibt der Soziologe Niklas Luhmann in seinem Buch Macht. Wie das? Je mehr Wahlmöglichkeiten ich selbst als Chef habe, andere zu beeinflussen, desto größer ist meine Macht. Und je mehr Wahlmöglichkeiten derjenige hat, den ich beeinflusse, desto mächtiger bin ich, schließlich hätte er sich ja auch anders entscheiden können. Nur der mächtigste Chef kann es sich leisten, Autonomie zu gewähren, wohlwissend, dass das Team ihm trotzdem folgt. Das wusste schon der chinesische Philosoph Lao Tse viele hundert Jahre vor Christi Geburt und formulierte es in dem wohl bis heute nach der Bibel weltweit am weitesten verbreiteten Buch Tao-Te-King wie folgt:

Den allerhöchsten Herrscher

können die Menschen nur ahnen;

dann erst kommt der, den sie kennen und lieben;

dann der, den sie fürchten;

dann der, den sie verachten.

Wer nicht genug Vertrauen hat,

dem wird man auch nicht vertrauen.

Er spricht zögernd