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Der agentielle Realismus Karen Barads E-Book

Thomas Nyckel

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Beschreibung

Mit dem agentiellen Realismus hat Karen Barad eine der einflussreichsten Theorien des neuen Materialismus vorgelegt. In einer akribischen Relektüre entspinnt dieser Band Barads Programm behutsam und mit rigoroser Aufmerksamkeit für feine Details. Die Untersuchung bezieht - anders als bisherige Arbeiten - das baradsche uvre in seiner Breite ein und eröffnet neue Zugänge für Auseinandersetzungen mit der agentiell-realistischen Theorie und der diffraktiven Methodologie. Damit werden nicht nur Kenner*innen des agentiellen Realismus angesprochen, sondern auch Interessierte ohne Vorkenntnisse an das Thema herangeführt.

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Diese Publikation wurde im Rahmen des Fördervorhabens 16TOA002 mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie mit Mitteln der Open Library Community Medienwissenschaft 2022 im Open Access bereitgestellt.

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Thomas Nyckel, geb. 1984, arbeitet am Lehrstuhl für Virtual Humanities am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Zuvor war er Fellow am Center for Advanced Internet Studies, ebenfalls in Bochum. Für seine Forschung zu den Grenzen digitaler Medien wurde er 2017 mit dem Humboldt-Preis ausgezeichnet. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen digitale Medien, Karen Barads agentiellen Realismus, Alan M. Turing und Kurt Gödel.

Thomas Nyckel

Der agentielle Realismus Karen Barads

Eine medienwissenschaftliche Relektüre und ihre Anwendung auf das Digitale

Diese Publikation wurde im Rahmen des Fördervorhabens 16TOA002 mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Open Access bereitgestellt.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-NC-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium zu nicht-kommerziellen Zwecken, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird. (Lizenz-Text: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/deed.de) Um Genehmigungen für die Wiederverwendung zu kommerziellen Zwecken einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected] Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2022 im transcript Verlag, Bielefeld

© Thomas Nyckel

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Umschlagabbildung: Foto von Stas Parechyn / Unsplash

Print-ISBN 978-3-8376-6558-1

PDF-ISBN 978-3-8394-6558-5

EPUB-ISBN 978-3-7328-6558-1

https://doi.org/10.14361/9783839465585

Buchreihen-ISSN: 2569-2240

Buchreihen-eISSN: 2702-8984

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

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Inhalt

 

0.Der agentielle Realismus als Theorie in Bewegung

0.1Der in dieser Arbeit entwickelte Zugang zu Barads Theorie

0.2Die für diese Untersuchung entwickelte Methode

1.Barads Verständnis der Philosophie-Physik Bohrs

1.1Das Doppelspaltexperiment – Komplementarität von Welle und Teilchen

1.1.1Aufbau und Verfahren des Doppelspaltexperiments

1.1.2Die Fragse nach der Natur des Lichts

1.1.3Das Doppelspaltexperiment als Gedankenexperiment bei Einstein und Bohr

1.2Das time-of-flight measurement

1.2.1Verheißungen und Prämissen des Messbegriffs der klassischen Physik

1.2.2Barads Variante des time-of-flight measurement

1.2.3Der bohrsche Schnitt

1.2.4Ein Stock im Dunkeln

1.3Bohrs Komplementaritätsprinzip versus Heisenbergs Unschärferelation

1.3.1Heisenbergs Unschärferelation

1.3.2Bohrs Komplementaritätsprinzip und Unbestimmtheitsrelation

1.4Die zwei Pole des baradschen Verständnisses der Philosophie-Physik

1.4.1Vorläufige Schematisierung der zwei Pole

1.4.2Bohrs anthropozentrischer Objektivitätsbegriff

1.5Limitierungen und Inkonsistenzen der Philosophie-Physik Bohrs

2.Weitere Verflechtungen der Theorie Barads

2.1Diffraktion und diffraktive Methodologie bei Barad

2.1.1Diffraktion als Metapher bei Haraway

2.1.2Das klassische Verständnis von Diffraktion

2.1.3Barads Quantenverständnis von Diffraktion

2.1.4Die diffraktive Methodologie Barads

2.1.5Die durch Diffraktion implizierte Verschiebung innerhalb der Theorie Barads

2.2Die Relevanz Haraways für die theoretischen Überlegungen Barads

2.2.1Haraways verkörperte Objektivität

2.2.2Barads Posthumanismus

2.3Barads diffraktive Lektüre Foucaults und Butlers

2.3.1Bohr und Foucault – von linguistischen Begriffen zu diskursiven Praktiken

2.3.2Bohr und Butler – die Umarbeitung der Proto-Performativität Bohrs

3.Barads agentieller Realismus

3.1Begriffe und Zusammenhänge des agentiellen Realismus

3.1.1Barads Phänomene

3.1.2Barads Apparate

3.1.3Der agentielle Schnitt

3.1.4Die Intra-aktion

3.1.5What’s the matter? Barads Materialitätsbegriff

3.1.6Barads Doppelbegriff des Materiell-Diskursiven

3.1.7Topologie statt Geometrie als Bezugssystem des agentiellen Realismus

3.1.8Barads agentiell-realistische Fundierung von Objektivität

3.2Trans-baradianische Analysen und ihre Anwendung auf das Digitale

3.2.1Die Grenzen der Phänomene

3.2.2Trans-baradianische Analysen – mit Barad über Barad hinaus

3.2.3Feine digitale Details bei Barad

3.2.4Verdichtete Skizze einer trans-baradianischen Analyse des Digitalen

4.Das Gewicht des agentiellen Realismus

5.Literaturverzeichnis

Danksagung

Jede Arbeit im allgemeinen arbeitet an der Trauer. Aus sich heraus.1

1Derrida (1994): ›Kraft der Trauer‹, S. 13.

0.Der agentielle Realismus als Theorie in Bewegung

 

Theories are not mere metaphysical pronouncements on the world from some presumed position of exterioriy. Theories are living and breathing reconfigurings of the world.1

Je länger und intensiver die Auseinandersetzung mit Karen Barads agentiellem Realismus sich gestaltet, umso stärker und heftiger macht sich das diesem Programm inhärente Vibrieren bemerkbar, nimmt der Eindruck der Unruhe, des Bebens und der geradezu siedenden Potenzialität dieses Theorieapparats zu. Bezeichnenderweise schreibt denn auch Barad selbst in einem ihrer2 frühesten Artikel zur agentiell-realistischen Theorie:

Our goal should not be to find less false boundaries for all spacetime, but reliable, accountable, located temporary boundaries, which we should anticipate will quickly close in against us. Agential realism will inevitably be a casualty of its own design, but I suggest that there is power there presently for some of our purposes.3

Diese Kraft4 des agentiellen Realismus und die Verfasstheit dieses Programms als einer Theorie in Bewegung spürbar, nachvollziehbar und im Sinne dieses Vorschlags Barads für agentiell-realistische Vorhaben mit Barad über Barad hinaus produktiv zu machen, bildet daher grob umrissen die Aufgabe der vorliegenden Arbeit als einer explorativen und umfassenden Auseinandersetzung mit Barads Schriften. Konkret geht es darum, drei fundamentale Verschiebungen und Differenzen innerhalb des baradschen Theorieapparats herauszuarbeiten, wie sie bisher weder von Barad noch in der Rezeption ihrer Überlegungen explizit gemacht worden sind, so dass die entlang dieser Bewegungen entsponnene Relektüre des agentiellen Realismus den aktuellen Forschungsstand zu Barad und die Auseinandersetzung mit ihren Überlegungen ergänzen und weiterentwickeln wird. Speziell eine sich in Barads Verständnis der Philosophie-Physik5 Niels Bohrs vollziehende Verschiebung und aufspannende Differenz – wie die vorliegende Untersuchung sie erstmals herausarbeitet – wird sich als konstitutiv für die agentiell-realistische Theoriebildung und Theorie kennzeichnen lassen und in vorliegender Arbeit als Anknüpfungspunkt dafür dienen, in der Form trans-baradianischer Analysen eine eigene agentiell-realistische Analysemethode zu entwickeln und diese Methode exemplarisch auf das Digitale und digitale Apparate anzuwenden, um die in Barads Theorieapparat sich entfaltende Kraft im oben genannten Sinne mit Barad über Barad hinaus produktiv zu machen.

Wie in dieser Untersuchung noch deutlicher werden wird, können die Kraft und die Bewegung des baradschen Theorieapparats allerdings nicht von außen wie durch ein Brennglas durch passive Beobachtung sichtbar gemacht werden, sondern sie müssen im Zuge einer aktiven Auseinandersetzung mit den Schriften Barads, wie sie mittendrin6 im agentiell-realistischen Theorieapparat zu beginnen hat, gleichsam rekonstituiert und nachgesponnen werden – mit einem guten Maß an Behutsamkeit und Geduld und mit Offenheit für alle Überraschungen, Umwege und Abweichungen, die ein solches Unterfangen mit sich bringen kann.

So ließe sich auf Basis eines Blicks von außen zwar feststellen, dass die Kraft des agentiellen Realismus zu einem nicht unwesentlichen Teil den Divergenzen zwischen den Disziplinen, Theorien und Begriffen zugeschrieben werden kann, die in Barads agentiell-realistischem Programm zur Verschränkung gekommen sind: Wie die vorliegende Arbeit noch ausführlich thematisieren wird,7 bringen Theoriebildung und Theorie des agentiellen Realismus Barads Erfahrungen und Kenntnisse als promovierte Quantenphysikerin8 ebenso zur Entfaltung wie ihre sozial-, geisteswissenschaftlichen und feministischen Expertisen. Diese mindestens doppelte Situierung charakterisiert Barads Denken und Arbeiten als Wissenschaftstheoretikerin und Physikerin9 bzw. feministische Wissenschaftsphilosophin10 ebenso wie ihre Lehre, in der sie so divers erscheinende topoi wie »Teilchenphysik, Quantenfeldtheorie, Feministische Theorie, Ontologie, Philosophie und Epistemologie«11 versammelt – eine spannungsvolle Gemengelage aus disziplin- und fächerübergreifenden Kenntnissen, wie sie Barad auf besondere Weise zur Übernahme des Lehrstuhls für Feminist Studies, Philosophy, and History of Consciousness an der University of California, Santa Cruz und damit zur Nachfolge Donna Haraways prädestiniert haben mag. Barads Programm des agentiellen Realismus – wie es an einigen Stellen als die »gegenwärtig wohl einflussreichste Konzeption eines relationalen Materialismus innerhalb der STS [Science and Technology Studies]«12 gehandelt wird und das Barad als »zentrale Stichwortgeberin des Neuen Materialismus«13 eingesetzt haben soll – wird entsprechend dieser Gemengelage auch als ein »ground-breaking feminist reading of quantum physics«14 charakterisiert.15

Ein Blick von außen auf Barads Theorie kann also durchaus sichtbar machen, dass im agentiell-realistischen Theorieapparat Bereiche zusammenkommen, zwischen denen sich starke Spannungen und Differenzen ausmachen lassen. Nicht zuletzt scheint denn auch Barad selbst das Zusammenbringen derart unterschiedlicher Disziplinen und Theorien als maßgebliche Bedingung für die im agentiellen Realismus sich entfaltende Kraft zu kennzeichnen, wenn sie dieses Zusammenführen mit Metaphern wie denen der Detonation und der Explosion illustriert und beispielsweise schreibt:

Now, I am quite aware that the ubiquitous appropriation of quantum theory makes it dangerous material to handle these days, and the addition of feminist theory to my list of concerns seems to be quite enough to detonate the explosive mixture […].16

Ein solcher Blick von außen auf Barads Theorie scheint nun aber ganz wie dieses Bild der Detonation zu implizieren, dass die Kraft und die Bewegung des baradschen Theorieapparats aus einer ursprünglichen17 Implosion oder Explosion einer kritisch gewordenen Mixtur18 aus verschiedenen Substanzen19 herrührte und dass diese Kraft als Folge eines nun zurückliegenden Urknalls oder der Kollision20 von zuvor bereits vorhandenen disziplinären oder theoretischen Elementen betrachtet werden müsste.21 Die sich im agentiell-realistischen Programm entfaltende Kraft und Bewegung derart als bloßen Effekt eines vergangenen und abgeschlossenen Ereignisses verstehen zu wollen und zu erwarten, dass diese Bewegungen sich entlang von im Voraus feststehenden Trajektorien als passive Spuren dieses Ereignisses nachzeichnen und als Produkt von Trägheiten, Fliehkräften und dem Impulsaustausch zwischen aufeinanderprallenden, festen Objekten in einem gleich einem Uhrwerk vollständig determiniert ablaufenden System22 erklären lassen werden, würde bedeuten, die Dynamik,23 die Offenheit24 und die Lebendigkeit25 der baradschen Theorie zu verkennen und die Möglichkeiten und das Potenzial des agentiellen Realismus für weiterführende Unternehmungen auf erhebliche Weise einzuschränken.

Denn wie die vorliegende Untersuchung herausarbeiten wird, bleibt der theoretische Apparat Barads im Fortgang ihrer Schriften in aktiven Wandlungen, Rekonfigurationen, Mutationen26 und Neugewichtungen begriffen: Nicht nur kann mit Barad keinerlei Ursprungsmoment ihrer Theoriebildung identifiziert werden, es changieren auch die von Barad gesponnenen Verschränkungen und Verflechtungen in Inhalt und Charakter, so dass erst die behutsame Aufarbeitung dieser Fäden die oben genannten drei tiefgreifenden Verschiebungen innerhalb dieses Programms spürbar werden lassen und die Kraft und die Bewegung der agentiell-realistischen Theorie umfassender charakterisieren und nachvollziehbarer und verantwortbar für agentiell-realistisch Forschende machen kann.

Wie sich nämlich zeigen wird, sind diese in und von Barads Theorie vollzogenen Bewegungen nicht als Übergänge von einem Punkt A zu einem Punkt B in einem geometrisch vorzustellenden Raum oder innerhalb einer historisch zu verstehenden Zeit zu begreifen in dem Sinne, dass diese Bewegungen eine vorherige Position zugunsten einer späteren ganz verlassen und aufgeben würden. Stattdessen falten diese Bewegungen und Verschiebungen Barads das Alte umgearbeitet mit in das Neue ein und konstituieren auf diese Weise die in vorliegender Arbeit erst explizit zu machenden, für Barads Theorie wesentlichen Differenzen und Spannungsfelder. Entsprechend ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, diese Spannungsfelder in Barads Theorie und die durch diese erzeugte Kraft spürbar zu machen, indem die entsprechenden Differenzen detailliert und eng an Barads Darstellungen orientiert neu entsponnen werden.

Um dieses Vorhaben und die dafür zu spinnenden argumentativen Fäden und Zusammenhänge genauer vorzuzeichnen, soll diese Einleitung im folgenden Kapitel 0.1 den hier entwickelten Zugang zu Barads Theorie deutlicher konturieren und einige der spezifischen Schwierigkeiten im Nachvollzug der Schriften Barads andeuten, auf die diese Auseinandersetzung reagiert. Besondere Aufmerksamkeit wird in Kapitel 0.2 dann der für diese Untersuchung entwickelten Methode zu widmen sein: Da diese Methode nicht nur aus dem in vorliegender Arbeit gewählten Zugang hergeleitet wird und daher mit den Implikationen der baradschen Theorie zu resonieren27 hat, sondern sie auch als eine Reaktion auf die Art und Weise intendiert ist, in der Barad ihre Theorie und Theoriebildung vermittelt, wird diese Methode die noch zu kennzeichnende besondere Struktur der vorliegenden Arbeit als Geflecht auf entscheidende Weise mitbestimmen und mitkonstituieren.

0.1Der in dieser Arbeit entwickelte Zugang zu Barads Theorie

Bohr’s philosophy-physics is a particularly apt starting point for thinking the natural and social worlds together and gaining some important clues about how to theorize the nature of the relationship between them because Bohr’s investigations of quantum physics opened up questions not only about the nature of nature but about the nature of scientific and other social practices.28

Im Rahmen des agentiellen Realismus arbeitet Barad ein Repertoire eigener Begrifflichkeiten aus, mittels derer die Zusammenhänge ihrer Überlegungen sich pointiert kennzeichnen lassen, die dem Nachvollzug dieser Zusammenhänge aber auch als Hindernisse entgegenstehen können:29 So handelt es sich bei einigen dieser Begriffe um Neologismen und Neuschöpfungen Barads, deren komplexe Implikationen sich erst nach und nach erschließen. Andere Begrifflichkeiten treten als dem Wortlaut nach bereits vertraute Terme auf, sind von Barad aber mit neuen Bedeutungen intendiert, die von gewohnten Verständnissen dieser Begriffe abweichen und eine Umgewöhnung in Verständnis und Handhabung erfordern können.30

Zu dieser agentiell-realistischen Terminologie zählen Begriffe wie der des Phänomens,31 des Apparats,32 der Diffraktion,33 des agentiellen Schnitts,34 der Intra-aktion,35 das für Barads Theorie wesentliche doppelte Verständnis von matter und die Ausarbeitung der agency dieser Materie,36 Barads Umarbeitung von Performativität,37 der Posthumanismus des agentiellen Realismus,38 Barads Doppelbegriff des Materiell-Diskursiven,39 ihre Bezugnahme auf Topologie40 und ihre Fundierung einer agentiell-realistischen Objektivität41. Es sind daher ebendiese Begriffe, die die vorliegende Arbeit als zentral für Barads Überlegungen anführen und im dritten Abschnitt adressieren und entfalten wird.42

Damit wird bereits deutlich, dass der agentiell-realistischen Terminologie eine gewisse Spezifität und ein nicht unerheblicher Wiedererkennungswert zugesprochen werden darf. Dieses spezifische Vokabular Barads bringt für Forschende die Möglichkeit mit sich, eigene Untersuchungen und Analysen durch die Verwendung solcher Begriffe als agentiell-realistisch zu markieren, ohne die Komplexität der baradschen Theorie bis ins letzte Detail ausrollen zu müssen. Doch auch wenn losere Bezugnahmen auf die von Barad mit diesen Begriffen adressierten Zusammenhängen in vielen Fällen ihre Berechtigung haben, lässt sich doch die Gefahr, auf diese Weise in Jargon abzudriften – und am Ende gar lediglich die Zugehörigkeit zu einer gewissen Gruppe signalisieren zu wollen, ohne die agentiell-realistischen Begriffe in Barads Sinne rigoros43 handzuhaben – nicht immer ganz von der Hand weisen.

Der Versuch eines detaillierteren und umfassenderen Nachvollzugs der mit diesen Begriffen Barads verknüpften agentiell-realistischen Zusammenhänge erweist sich jedoch nicht nur aufgrund der bereits angesprochenen in Barads Theoriebildung und Theorie sich vollziehenden Konversation aus divergierenden und selbst jeweils äußerst voraussetzungsreichen Theorien und Begriffen als ein komplexes, wenn nicht übermäßig kompliziertes Unterfangen. Ein solcher detaillierter Nachvollzug wird auch dadurch erschwert, dass die Begriffe und Zusammenhänge in den Schriften Barads nicht sukzessive und aufeinander aufbauend entwickelt werden, sondern sie sich – wie sich noch zeigen wird, im Einklang mit den Schlussfolgerungen der baradschen Theorie – wechselweise bestimmen und derart gleichsam miteinander verwoben kokonstituieren.44 Barads Begriffe lassen sich also nicht nur nicht voneinander isoliert und gleichsam einzeln oder nacheinander aus sich selbst heraus vermitteln, es fiele auch schwer, einen bestimmten Begriff auszuwählen, an dem eine solche Auseinandersetzung beginnen sollte.45

Besonders schwierig aber wird der detaillierte Nachvollzug der agentiell-realistischen Zusammenhänge dadurch, dass die von Barad zu verschiedenen Anknüpfungs- und Bezugspunkten des agentiellen Realismus gesponnenen Verflechtungen in Inhalt und Charakter immer wieder changieren und zum Teil zwischen geradezu unvereinbar erscheinenden Haltungen wechseln, ohne dass Barads Schriften gegenüber diesem Changieren explizit Rechenschaft ablegen würden. Wie die vorliegende Relektüre herausarbeiten wird, wechseln Charakter und Inhalt dieser Verflechtungen allerdings nicht von einer Arbeit Barads zur nächsten, sondern innerhalb einzelner und geschlossener Texte, so dass es sich nicht um einzelne und zeitlich lokalisierbare Umbrüche in Barads Programm handelt, sondern um ein anhaltendes Changieren zwischen divergierenden Haltungen und Aussagen. Wie bereits angeklungen ist, wird vorliegende Arbeit dieses Changieren und die daraus entstehenden Spannungsfelder in Barads Theorieapparat als ein entscheidendes Charakteristikum des agentiellen Realismus als einer Theorie in Bewegung herausarbeiten und in Form trans-baradianischer Analysen produktiv machen.46

Doch wo kann unter diesen Bedingungen eine detailliertere Aufarbeitung der agentiell-realistischen Begriffe und der Zusammenhänge des baradschen Theorieapparats, seiner Bewegungen und Kräfte beginnen, wenn sie wie in vorliegender Arbeit doch versucht werden soll? Wie diese Untersuchung zeigen wird, lässt sich ein solcher umfassenderer Nachvollzug der baradschen Theorie entwickeln, indem an Barads Erweiterung und Umarbeitung der für sie zumindest in frühen Arbeiten47 in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden quantenphysikalischen Überlegungen des Physikers Niels Bohr angesetzt wird und von Barads Verständnis dieser Philosophie-Physik Bohrs aus die Fäden der baradschen Darstellungen aufgenommen und noch einmal rekonstituierend und in großer Behutsamkeit48 nachgesponnen werden.49

Die umfassende Begründung für dieses Ansetzen gerade bei den Überlegungen Bohrs in Barads Verständnis kann erst die noch zu vollziehende Untersuchung selbst liefern,50 wird es doch nicht zuletzt aufgrund der oben genannten Schwierigkeiten ein nicht unerhebliches Maß an Detailarbeit51 erfordern, die zahlreichen und vielgestaltigen Verschränkungen und Verflechtungen Barads zu Bohrs Theorie – und ebenso auch zu anderen Bezugspunkten des agentiellen Realismus52 – zu versammeln, zu gewichten und rekonfigurierend zu verdeutlichen. Dennoch kann bereits hier als ein erstes Argument für die Wahl dieses Zugangs angeführt werden, dass die quantenphysikalischen Bezüge in Barads Arbeiten – sei es auf die Überlegungen Bohrs oder auf die Arbeit von Physikern wie Werner Heisenberg,53 Albert Einstein,54 Erwin Schrödinger,55 Otto Stern und Walther Gerlach56 oder Richard Feynman57 – ihrer eigenen Auffassung nach zumindest in den ersten eineinhalb Dekaden der Rezeption ihrer Theorie zu wenig Beachtung gefunden hatten.58 Dieser Eindruck könnte sich seitdem durch das Erscheinen einiger Arbeiten geändert haben, wie sie den Überlegungen Niels Bohrs in Barads Verständnis und anderen von ihr umgearbeiteten quantenphysikalischen Erkenntnissen größere Aufmerksamkeit zukommen haben lassen.59 Dennoch deuten solche Einschätzungen Barads die Relevanz quantenphysikalischer Forschungen und gerade der Theorie Bohrs für ihr Programm bereits an.

Das zentrale Ansetzen dieser Auseinandersetzung mit Barads agentiellem Realismus bei den Bezügen auf Bohr darf dabei nicht als Suche nach einem Ursprung der baradschen Theorie verstanden werden, sondern wird vielmehr zeigen, dass eine behutsame Aufarbeitung der Philosophie-Physik Bohrs in Barads Verständnis bereits voll und ganz mittendrin ist in Barads theoretischen Überlegungen und einige der wesentlichen, in Barads Theorie sich aufspannenden und für diese Theorie charakteristischen Differenzen erst spürbar machen kann. So ist es trotz dieser Gewichtung der Bedeutung der Philosophie-Physik für Barads Programm nicht das Denken Niels Bohrs, das als externer Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit Barads agentiellem Realismus dienen soll, sondern die anhand der baradschen Schriften nachvollzogene Readressierung von quantenphysikalischen Experimentalapparaten wie dem Doppelspaltexperiment,60 dem time-of-flight measurement61 und dem Gammastrahlenmikroskop Werner Heisenbergs62 – sind dies doch die von Barad mit Bohr zentral herangezogenen Apparate, von denen aus die Bedeutungen der agentiell-realistischen Begriffe erst bestimmt und die Zusammenhänge des baradschen Theorieapparats entwickelt werden.63

Dennoch müsste ein Nachvollzug des baradschen Programms allein unter Bezug auf den Einfluss Bohrs und die genannten Apparate an wesentlichen Merkmalen des agentiellen Realismus vorbeigehen. Die vorliegende Arbeit wird daher zwar im ersten Abschnitt an der Philosophie-Physik Bohrs in Barads Verständnis ansetzen und derart besonderes Gewicht auf diese legen, im zweiten Abschnitt aber Auseinandersetzungen mit dem für Barads Theoriebildung und Theorie ebenso bedeutsamen Programm Donna Haraways64 und den poststrukturalistischen Theorien Michel Foucaults65 und Judith Butlers66 anschließen und ausdifferenzieren, auf welche Weise Barads Arbeiten diese argumentativen Fäden mit ihrem Verständnis der bohrschen Theorie zusammenlesen.67

Diese höhere Gewichtung der Relevanz der Philosophie-Physik Bohrs für Barads Programm bedeutet, dass die vorliegende Arbeit besonders frühere Texte Barads als zentrale Quellen heranzieht, wie die von Barad von 1995 an veröffentlichten Artikel und ganz besonders das bereits genannte Buch Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning von 2007, in dem einige dieser Artikel in umgearbeiteter Form erneut versammelt wurden. Der Grund für diesen stärkeren Bezug auf ältere Schriften liegt darin, dass Barads Überlegungen sich spätestens von 2012 an von der zentralen Orientierung an Bohr lösen und stattdessen den topos der Diffraktion stärker machen – eine der drei in dieser Arbeit herauszuarbeitenden wesentlichen Verschiebungen im Programm Barads, die sich als bereits innerhalb von Meeting the Universe Halfway am Werk erweisen wird und die dieses Buch trotz seiner Zentralität im baradschen Œuvre68 unter Spannung stellt und als Zeugnis der anhaltenden Bewegung der baradschen Theorie ausweist.69

Doch trotz dieses Schwerpunkts auf den früheren Arbeiten Barads wird diese Untersuchung eine umfassende Adressierung der Schriften Barads vollziehen, die auch deren spätere Schriften mit beachtet, da sich nur so die in Frage stehenden Verschiebungen spürbar machen lassen werden.70 Gerade da diese Arbeit darin bestehen wird, statt des Blicks von außen einen Ansatz mittendrin in Barads Theorieapparat zu entspinnen, liefert erst die Heranziehung der baradschen Texte in ihrer Breite die notwendige Fülle an Material, um den agentiellen Realismus der im Folgenden umrissenen rekonstituierenden Lektüre zu unterziehen.71

0.2Die für diese Untersuchung entwickelte Methode

Diffraktionsmuster herzustellen und zu lesen, erfordert sorgfältige Aufmerksamkeit fürs Detail. Wenn wir uns mit den Details von Theorien und Erkenntnissen auf eine Weise beschäftigen, die Differenzen und ihre Auswirkungen in den Blick nimmt, werden weitere Ausarbeitungen möglich.72

Um die in Barads Programm als einer Theorie in Bewegung sich vollziehenden Verschiebungen den von Barad gesponnenen, changierenden Verschränkungen und Verflechtungen zum Trotz zu rekonstituieren und um die durch diese Verschiebungen produzierten Spannungsfelder und Kräfte spürbar und produktiv zu machen, entwickelt diese Arbeit eine eigene Methode, die es ermöglicht, diese sich dem Nachvollzug der baradschen Theorie entgegenstellenden Hindernisse produktiv zu machen, anstatt lediglich über diese hinwegzusetzen. Dabei ist es wichtig, gleich zu Beginn zu wiederholen, dass diese als direkte Reaktion auf Barads verflochtene Darstellungsweise intendierte Methode derart als mit den agentiell-realistischen Schlussfolgerungen resonierend angelegt ist73 und sie die Struktur und den Gang der in dieser Arbeit vollzogenen Untersuchung auf so entscheidende Weise mitbestimmen wird, dass der im vorhergehenden Kapitel 0.1 umrissene Zugang und diese Methode nicht vollständig voneinander getrennt und in dieser Einleitung nur der besseren Orientierung wegen in formal als different markierten Kapiteln abgehandelt werden.74

Wie bereits angeklungen, geht es in vorliegender Arbeit um einen Nachvollzug des agentiell-realistischen Theorieapparats gleichsam von mittendrin, in welchem die Begriffe und Zusammenhänge dieses Programms durch eine detaillierte Aufarbeitung und Rekonfiguration der baradschen argumentativen Fäden zu exakterer Bestimmtheit gebracht werden sollen. Daher ist die in vorliegender Arbeit entwickelte Methode zentral dadurch charakterisiert, dass Barads Begriffe im Großen und Ganzen erst dann in argumentativ bedeutsamer Weise angewendet werden sollen, wenn diese im Verlauf der Arbeit bereits eigens adressiert worden sind. Das mittels dieser Methode zu vollbringende Kunststück wird es also sein, mittendrin in Barads Theorieapparat anzusetzen, ohne das spezifische agentiell-realistische Vokabular zur Verfügung zu haben und dieses erst anhand der hierfür zu rekonfigurierenden Fäden der baradschen Darstellungen in seiner Reichhaltigkeit und Komplexität explorativ zu entwickeln und zu bestimmen.

Ausgehend von Barads Verständnis der Philosophie-Physik Bohrs und dessen zentralem Bezug auf Apparate geht es mittels dieser Methode um die Aufnahme, das Fortspinnen, das erneute Loslassen und Wiederaufnehmen verschiedener argumentativer Fäden aus Barads Arbeiten und um den iterativen Wechsel zwischen einer Vielzahl solcher Fäden, wie er zu weiten Teilen vom Material selbst geführt sein wird. Dies bedeutet, dass im Fortgang der Arbeit jedem einzelnen dieser Fäden nur temporär Bestimmtheit zugeschrieben werden kann und dass diese Untersuchung grundsätzlich offen bleiben muss für die im weiteren Verlauf der Untersuchung mit Barad zu vollziehenden, durchaus radikalen75 Umarbeitungen und Rekonfigurationen von zuvor scheinbar feststehenden Schlussfolgerungen. Wie sich zeigen wird, lässt sich mittels dieses Iterierens ein tragfähiges Geflecht der Begriffe und Zusammenhänge des agentiellen Realismus entwickeln, das die Differenzen und Spannungen, die Kräfte und Bewegungen in diesem Theorieapparat nicht überschreiben oder nivellieren, sondern vielmehr erst spürbar machen wird. Dieses Geflecht wird sich daher auch als geeignet erweisen, Anknüpfungspunkte für weitere Umarbeitungen wie auch Kritik an der agentiell-realistischen Theorie auszuarbeiten oder zumindest vorzubereiten. Entsprechend wird dieses in vorliegender Arbeit zu vollziehende iterative Vorgehen mit Metaphern wie denen des Webens, der Fäden, des Geflechts, der Maschen, des Spinnens, des Aufgreifens, Querschießens oder des Strickens markiert werden, um dem oftmals am Visuellen und dem distanzierten Blick orientierten Verständnis von Erkenntnis- und Denkprozessen eine stärker am Umgang mit dem Material ausgerichtete Art der Beschreibung als Alternative beizustellen.76

Dabei resoniert dieses Vorgehen insofern mit den auch für Barad wichtigen poststrukturalistischen Annahmen,77 dass vorliegende Arbeit nicht zum Ziel hat, Barads – oder etwa Bohrs, Haraways, Butlers oder Foucaults – eigentliche oder verborgene Gedanken und Absichten in Erfahrung zu bringen. Stattdessen geht es im Einklang mit den Schlussfolgerungen der baradschen Theorie darum, das in Barads Schriften und Teilen der diesbezüglichen Rezeption befindliche Material selbst arbeiten zu lassen in dem Sinne, dass auch da, wo in vorliegender Arbeit Zuschreibungen an bestimmte Personen vorgenommen werden, stets die entsprechenden Schriften und Textkörper in ihrer Positivität adressiert werden und keine Spekulationen über die persönliche Haltung der Autor*innen intendiert sind.

Diese im Folgenden noch detaillierter spezifizierte methodische Arbeit am und mit dem Material und die damit verbundene, dem Poststrukturalismus verwandte Haltung bringen es mit sich, dass die Auseinandersetzung mit dem, was Barads Ausführungen ausdrücklich sagen, in der vorliegenden Untersuchung komplettiert wird durch eine aufarbeitende Analyse dessen, was Barads Darstellungen tun, um zu ihren Schlussfolgerungen zu gelangen.78 Diese ergänzende Aufarbeitung auch des doing79 des agentiellen Realismus wird zeigen, dass die an Bohrs Philosophie-Physik orientierten Teile des baradschen Programms auf entscheidende Weise durch das Vorhandensein zweier disparater Pole charakterisiert sind – wie sie in dieser Arbeit als der epistemische und der ontische Pol des baradschen Verständnis der Philosophie-Physik Bohrs80 bzw. als der geschlossene und der offene Pol der baradschen Bezugnahme auf Apparate81 auf den Begriff gebracht werden – und dass das von Barad selbst unexplizierte Spannungsfeld zwischen diesen Polen die agentiell-realistische Theoriebildung und Theorie und ihre Rezeption ebenso kennzeichnet wie charakterisiert. Oder im oben angesponnenen Sinne formuliert, dass das, was Barads Ausführungen implizit tun, das Verständnis dessen, was diese Ausführungen explizit sagen, auf wesentliche und bisher unberücksichtigte Weise mitbestimmt.82

Konkret besteht die für vorliegende Arbeit entwickelte Methode darin, die von Barad gesponnenen divergierenden Verflechtungen miteinander in Konversation zu bringen. Auf diese an die diffraktive Methodologie Barads83 angelehnte Weise werden die von Barad erzeugten Verflechtungen nicht zerschnitten, künstlich vereinheitlicht oder jeweils der einen oder anderen Seite zugeschlagen, sondern in ihrer Positivität und Differenz anerkannt, um im iterativen Wiederaufnehmen der derart vorgesponnenen Fäden, ihrer Umarbeitung und Rekonfiguration behutsam, geduldig und in möglichst enger und anhaltender Auseinandersetzung mit dem baradschen Material auf eine eigenständige Weise rekonstituiert und so erst explizit und verantwortbar gemacht zu werden.

Entsprechend dieses Anspinnens, Fallenlassens und umarbeitenden Wiederaufnehmens argumentativer Fäden werden die Stränge dieser Arbeit, wie sie Barads Verständnis der Überlegungen Bohrs und den agentiellen Realismus bis hin zu dessen Fortführung in trans-baradianischen Analysen als Geflecht rekonstituieren, nur aus formalen Gründen und der besseren Orientierung wegen in drei voneinander abgehobene Abschnitte und diverse Kapitel unterteilt.84 Diese formalen Trennungen gleichsam um- und überspinnend werden dem Textkörper der vorliegenden Arbeit zahlreiche Vor- und Rückverweise eingeflochten, wie sie die durch das Fallenlassen und erneute Aufnehmen bestimmter Fäden erzeugten Querverbindungen an vielen Stellen explizit machen und dem des Mediums des Texts geschuldeten linearen Fortgang dieser Untersuchung entgegenwirkend das hier rekonstituierte Geflecht in seinen Verbindungen mit etablieren und markieren. Auf einer gleichsam feineren Ebene zählt zu dieser textlich-praktischen Konstitution und Markierung des Geflechts dieser Arbeit das Setzen einer sicherlich ungewöhnlich hohen Zahl an Fußnoten, wie sie zum einen ebenfalls dem Generieren von Querverweisen in dieser Arbeit dienen, zugleich aber auch den Anspruch der hier entwickelten Methode, möglichst eng in Tuchfühlung mit Barads Material zu bleiben, erst einlösen: So entsteht diese Dichte an Fußnoten zu einem nicht unerheblichen Teil durch das entsprechend der hier entwickelten Methode intensive Einflechten von Material aus Barads Texten in den Körper dieser Arbeit und die Auseinandersetzung mit demselben85 – wozu auch die jedem Kapitel vorangestellten Mottos zu zählen sind, die zwar nicht immer, aber doch zuallermeist, Passagen aus Barads Arbeiten referenzieren.86

Diese materialintensiv und materialtreu angelegte Methode ließe sich als der Versuch einer Verzögerung dessen charakterisieren, was lose und tentativ als ein hermeneutischer Sprung bezeichnet werden könnte, nämlich der Übergang von einer offenen, stets weiter auf Umarbeitungen und Rekonfigurationen gefassten Haltung, zu einer, die vermeinte, Barads Theorie jetzt ausreichend verstanden zu haben und die nur noch das dem bisher Verstandenen entsprechende Material – unter stillschweigendem Verzicht auf die dieses Verständnis störenden Passagen – in eine passende Struktur zu bringen versuchte.87 Mit diesem retardierenden Moment im Nachvollzug der baradschen Überlegungen koinzidiert, dass die vorliegende Arbeit nicht als das Ergebnis der ordnenden Kraft eines autorhaften liberal-humanistischen Subjekts verstanden werden soll, sondern als textliche Spur einer beiderseits aktiven, wechselseitigen, mit Barad als materiell aufzufassenden Umarbeitung von Material und der Situierung des forschenden Subjekts.88

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es mit der hier entwickelten Methode darum geht, den wechselnden Verflechtungen der Theorie und Theoriebildung Barads behutsam nachzuspüren und – anstatt Barads Theorie gleichsam nach im Voraus bereits feststehenden Kennlinien zu sezieren und sie durch ein distanziert bleibendes Urteil auf ihre vermeintlich starren oder rein schematisch, mechanistisch und passiv in Bewegung befindlichen Strukturen zu reduzieren – die Spannungsfelder explorativ herauszuarbeiten, wie sie durch das Changieren Barads und die in ihren Arbeiten unexpliziert sich vollziehenden tiefgreifenden drei Verschiebungen konstituiert werden. In diesem Sinne intendiert die hier angewandte Methode in fortgesetzter Resonanz mit agentiell-realistischen Schlussfolgerungen nicht die Erzeugung einer adäquaten Kopie der baradschen Theorie gleichsam als Blaupause eines monolithischen Blocks, sondern versucht im Nachvollzug dieses Programms eine Aufnahme und Fortführung der von Barad beschworenen Lebendigkeit und des zu Beginn dieser Einleitung adressierten Vibrierens, der Unruhe, des Bebens und der Potenzialität dieser Theorie. Dabei wird das hier entwickelte Weben nicht willkürlich, wahllos oder unstrukturiert vorgehen, sondern dem Zug des baradschen Materials folgend durch iteratives Umarbeiten eine Form von Gerichtetheit in diese Relektüre des agentiellen Realismus bringen, wie sie die Begriffe und Zusammenhänge dieser Theorie deutlicher hervortreten und nachvollziehbarer machen wird.89

Die hier vollzogene Relektüre des agentiellen Realismus verfolgt darüber hinaus vier weiterführende Intentionen, die diese Einleitung abschließend kurz umrissen werden sollen:

So soll das erhöhte Gewicht, das in dieser Untersuchung auf Barads Bezüge zu Bohrs Philosophie-Physik gelegt wird, auch das in Barads Theorie sich entfaltende inter- bzw. transdisziplinäre Spannungsfeld und Barads Konversation über bestehende Disziplingrenzen hinweg spürbarer machen. Anstatt Bohrs Theorie also lediglich als »Stichwortgeberin«90 zu verstehen für geistes- und sozialwissenschaftliche Untersuchungen, möchte vorliegende Arbeit die physikalischen Grundlagen des agentiellen Realismus stärker berücksichtigen, in der Hoffnung, so auch der von Barad beabsichtigten transdisziplinären Verwebung von Geistes- und Naturwissenschaften zumindest tendenziell zu entsprechen.91 In diesem Sinne setzen der hier gewählte Zugang zu Barad und die in dieser Arbeit angewandte Methode des Webens diese Forderung nach Inter- bzw. Transdisziplinarität gleichsam in einer Art von taktischer Naivität um, wenn Begriffe und Zusammenhänge der untersuchten Theorie bzw. anderer Disziplinen mit großer Aufmerksamkeit fürs Detail rekonstituierend nachgesponnen werden, anstatt sie nur in ihren groben Formen als Idealisierungen oder Abstraktionen kopieren oder spiegeln zu wollen. Damit sucht diese Arbeit die Warnung Barads ernst zu nehmen und positiv umzusetzen, wenn diese schreibt: »If we follow disciplinary habits of tracing disciplinary-defined causes through to the corresponding disciplinary-defined effects, we will miss all the crucial intra-actions among these forces that fly in the face of any specific set of disciplinary concerns.«92

Dennoch verfolgen dieser Zugang zu Barad und die Methode des Webens auch ein disziplinär verortetes Interesse: So versteht sich diese Relektüre des agentiellen Realismus zumindest als Vorbereitung eines Beitrags zur Methodendebatte in der deutschsprachigen Medienwissenschaft.93 Wenn also Naomie Gramlich und Annika Haas zu Beginn dieser Debatte um Methoden schreiben, »dass wir mit Praktiken des Situierens immer noch am Anfang stehen«94, dann darf dieser Befund bereits als Vorzeichnung der in dieser Arbeit entwickelten trans-baradianischen Analysen und des Versuchs der agentiell-realistischen Aufarbeitung der Situierung von Forschenden begriffen werden.

Während beinahe alle anderen Fäden in dieser Arbeit mittels des in Barads Schriften oder in ihrer Rezeption vorhandenen Materials gesponnen werden, wird das im dritten Abschnitt dieser Arbeit mit Barad adressierte Digitale95 nicht nur als weiterer Strang gleichsam quer zu den zuvor entwickelten Strängen stehen, sondern wie eine Falte im Geflecht dieser Arbeit aufgeworfen. So wird zwar gezeigt werden, dass sich durchaus feine digitale Details in Barads Arbeiten aufspüren lassen, von denen aus sich diese Untersuchung an das Thema des Digitalen annähern kann – zugleich aber ist dieser topos keiner, der bei Barad explizit entfaltet werden würde.96 Mit der exemplarischen und verdichteten Anwendung der in dieser Arbeit entwickelten trans-baradianischen Analyse auf das Digitale und seine Apparate wird Barads agentieller Realismus mit einem genuin medienwissenschaftlichen Sujet in Verbindung gebracht, was als ein erster Ansatz zu dem Versuch beschrieben werden könnte, gängigen und gleichsam rein adjektivischen Verwendungsweisen des Begriffs des Digitalen97 Aufarbeitungen der Spezifika dieses Begriffs und der damit adressierten Zusammenhänge ergänzend und ausbalancierend zur Seite zu stellen. Auch wenn das Digitale in dieser Arbeit nur als exemplarisches Sujet herangezogen wird, besteht doch zugleich die Intention, dieses Thema für weitere Ausfaltungen zumindest anzuspinnnen. Um aber gegenüber dem Digitalen das in Gang zu setzen, was Donna Haraway als »›Aktivierung‹ zuvor passiver Kategorien von Wissensobjekten«98 beschrieben hat, muss auch diesem topos mit einer ähnlichen taktischen Naivität begegnet werden, wie den agentiell-realistischen Begriffen Barads: Dies bedeutet, dass das Digitale und seine Apparate in dieser Untersuchung abseits von gängigen informatischen Diskursen und Begrifflichkeiten adressiert werden soll und damit in einer Weise, wie sie die Details des Arbeitens digitaler Apparate in Anlehnung an medienwissenschaftliche Untersuchungen ernst nimmt, gängige Vorstellungen und instrumentalistische Zuschreibungen aber tendenziell zu vermeiden sucht.

Schließlich ist die hier vollzogene Untersuchung auch allgemein Ausdruck einer Haltung, der zufolge unter den gegenwärtigen, immer unsicherer und instabiler erscheinenden Umständen und der teils lähmenden, teils aufschreckenden Komplexität und Geschwindigkeit von physikalischen, kulturellen, gesellschaftlichen und technologischen Prozessen Theorien und Analyseverfahren nötig werden, wie sie weder in die sowohl individuell als auch kollektiv wirksame Falle scheinbar einfacher und schneller, jedoch am Ende selbst erschreckender Antworten und Maßnahmen tappen, noch in der bloßen Konstatierung einer ebenso lähmenden grundsätzlichen Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit verharren, sondern die sich der Arbeit einer detaillierteren Untersuchung bestehender Verhältnisse und Zusammenhänge annehmen und diese Unsicherheiten inhaltlich und strukturell positiv adressierbar und nachvollziehbar machen.99

1Barad (2011): ›Erasers and Erasures‹, S. 451. Kursivierte Hervorhebungen in Zitaten wurden in allen Fällen aus den zitierten Arbeiten übernommen. Ausgenommen hiervon ist lediglich das von Derrida entlehnte einführende Motto dieser Arbeit.

2Karen Barad verwendet die Pronomen they und them. Die vorliegende Arbeit übersetzt diese Pronomen nicht ins Deutsche sondern bleibt bei sie und ihr als Personalpronomen Singular.

3Barad (1996): ›Meeting the Universe Halfway‹, S. 187.

4Wie in dieser Arbeit noch deutlich wird, ist mit diesem Begriff der Kraft etwas adressiert, das nicht im Voraus definiert und festgelegt werden soll, um dann in Barads Programm gesucht und gefunden – oder eben nicht gefunden – zu werden. Vielmehr wird diese Kraft anhand des Nachvollzugs des baradschen Theorieapparats und damit in Einklang mit dessen Schlussfolgerungen erst rekonstituiert, spürbar gemacht und so bestimmt. Dennoch lässt sich mittels des in Kapitel 3.2.4.3 unter Punkt (iii) erneut aufgerufenem Text Jacques Derridas ›Kraft der Trauer‹ in Bezug auf diese Kraft vorausschicken: »Die Kraft selbst, die der Möglichkeit einer Frage zu ihrem Sujet vorhergeht und sie gewissermaßen im voraus verletzt, könnte gerade die Frage ›was ist?‹ beunruhigen, stören und das unerschütterliche ›was ist?‹, die Autorität der ontologisch genannten Frage aus den Fugen bringen.« (Derrida (1994): ›Kraft der Trauer‹, S. 16) Wie vorliegende Arbeit detailliert herausarbeitet, besteht auch Barads agentieller Realismus in wesentlicher Weise aus einer solchen Beunruhigung und Störung gewohnter ontologischer Annahmen. Anstatt also zu fragen, was Barads Theorie und was ihre Kraft jeweils ist, werden diese Zusammenhänge in dieser Arbeit unter Aufnahme der Bewegungen dieses Programms Barads nachgesponnen.

5Vgl. zu dem von Barad geprägten Begriff der bohrschen Philosophie-Physik besonders den ersten Abschnitt dieser Arbeit.

6Vgl. zu diesem von Haraway entlehnten Begriff des mittendrin auch Kapitel 3.2.2.2 und die dort erfolgende Schematisierung trans-baradianischer Analysen.

7Vgl. besonders den ersten und zweiten Abschnitt dieser Arbeit.

8Barad schloss ihre Dissertation Barad (1984): ›Fermions In Lattice Gauge Theories‹ an der Stony Brook University ab und veröffentlichte mehrere einschlägig physikalische Arbeiten, darunter Barad (1984): ›Minimal Lattice Theory Of Fermions‹, Barad/Ogilvie/Rebbi (1984): ›Quark-Antiquark Charge Distributions and Confinement‹, Barad/Ogilvie/Rebbi (1986): ›Quark-Antiquark Charge Distributions‹ und Barad (1988): ›Quenched Fermions‹.

9Vgl. Lemke (2017): ›Einführung‹, S. 563.

10Vgl. Folkers (2013): ›Was ist neu am neuen Materialismus?‹, S. 18.

11Loh (2018): Trans- undPosthumanismuszurEinführung, S. 153.

12Lemke (2017): ›Einführung‹, S. 563.

13Folkers (2015): ›Paradigma oder Parasit?‹, S. 1762.

14Lykke (2010): ›The Timeliness of Post-Constructionism‹, S. 133.

15Wobei es mit Barad entscheidend sein wird, dass in diesem zusammenbringenden Lesen weder feministischen Theorien noch quantenphysikalischen Schlussfolgerungen der Vorzug gegeben werden soll, sondern dass diese Bereiche als gleichberechtigt miteinander in Konversation zu bringen sind. Vgl. vor allem das Kapitel 2.1 zur Diffraktion und – insbesondere zu Barads Verwendung des Begriffs der Konversation in diesem Zusammenhang – das Kapitel 2.1.4 zur diffraktiven Methodologie.

16Barad (2007): Meeting the Universe Halfway, S. 67. Eine ähnliche Verwendung der Explosionsmetapher findet sich in Barad (2017): ›What Flashes Up‹, S. 22.

17Vgl. zu der an Donna Haraways Überlegungen entsponnenen baradschen Kritik an solchen Ursprungsideen das Kapitel 2.2.1 zu Haraways verkörperter Objektivität.

18Vgl. zum Begriff der Mixtur Barads Bezugnahme auf die quantenphysikalische Differenz von mixture und superposition, wie sie in Kapitel 2.1.3 zu Barads Quantenverständnis von Diffraktion angesponnen wird.

19Vgl. zur Kritik an reifizierenden und essentialisierenden Vorstellungen einer Metaphysik der Substanz bei Judith Butler und Barad das Kapitel 2.3.2 zur diffraktiven Lektüre der Arbeiten Butlers.

20Vgl. zur Bedeutung von Kollision für die Belastbarkeit der baradschen Umarbeitung des Performativitätsbegriffs Butlers den im Rahmen des Kapitels 3.1.5 und der Auseinandersetzung mit Barads Materialitätsbegriff gesponnenen fragenden Faden.

21So scheint sich dieses Auseinanderfliegen der Zusammenhänge der Theorie Barads auch textuell niederzuschlagen, wenn sich in späteren Arbeiten unter anderem ein bewusst fragmentarisch angelegter Stil findet – vgl. beispielsweise Barads Ankündigung dieser Vorgehensweise in Barad (2017): ›What Flashes Up‹, S. 38 und die Versammlung der entsprechenden Fragmente auf ebd., S. 42-63. Dieses Vorgehen markiert aber keine Auflösung der baradschen Theorie als Folge einer zurückliegenden und nun vergangenen Explosion, sondern produziert durch die Überlagerung dieser fragmentierten Passagen neue Zusammenhänge und Bedeutungsmuster.

22Vgl. hierzu unter anderem die baradsche Kritik an solchen newtonschen Vorstellungen in Kapitel 1.2.1 zu den Verheißungen und Prämissen des Messbegriffs in der klassischen Physik.

23Vgl. die Herausarbeitung der Dynamik von Materie in Kapitel 3.1.5.

24Vgl. hierzu die von Barad unternommene ontologisierende Öffnung der bei Bohr noch geschlossenen Wirkungszusammenhänge von Apparaten, wie besonders das Kapitel 3.1.6.2 sie unter Rückgriff auf die Philosophie-Physik Bohrs schematisch entfaltet.

25Vgl. zur Lebendigkeit der baradschen Theorie die dieser Einleitung als Motto vorangestellte Passage aus Barads Arbeiten.

26Vgl. zu diesen Begriffen der Rekonfiguration und der Mutation auch die Ausführungen zu Barads Metapher des Differentialgetriebes in Kapitel 3.2.3 zu den feinen digitalen Details in Barads Arbeiten.

27Barad spricht ebenfalls von Resonanz, wenn es um die diffraktive Lektüre verschiedener Autor*innen geht – so auf Barad (2007): Meeting the Universe Halfway, S. 195: »Diffractively reading Bohr’s and Butler’s insights through one another for the patterns of resonance and dissonance they coproduce usefully illuminates the questions at hand.« Diese Terminologie wird auch in der Rezeption aufgegriffen, beispielsweise in Barla (2019): TheTechno-ApparatusofBodilyProduction, S. 73 Fn. 17 und S. 78 Fn. 24.

28Barad (2007): Meeting the Universe Halfway, S. 67.

29Vgl. dazu auch Loh (2018): Trans- undPosthumanismuszurEinführung, S. 156.

30Vgl. zu diesen Begriffen besonders das Kapitel 3.1 und die dort erfolgende Auseinandersetzung mit dem agentiellen Realismus.

31Vgl. Kapitel 3.1.1 in dieser Arbeit.

32Vgl. Kapitel 3.1.2.

33Vgl. Kapitel 2.1.

34Vgl. Kapitel 3.1.3.

35Vgl. Kapitel 3.1.4.

36Vgl. Kapitel 3.1.5.

37Vgl. Kapitel 2.3.2 und 3.1.5.

38Vgl. besonders Kapitel 2.2.2, aber auch 3.1.2 bis 3.1.5.

39Vgl. Kapitel 3.1.6.

40Vgl. Kapitel 3.1.7.

41Vgl. Kapitel 3.1.8.

42Vgl. Kapitel 3.1. Bezeichnenderweise fehlt in dieser Aufzählung der im Titel der Arbeit doch immerhin an erster Stelle genannte Begriff der Verschränkung. Dieser Begriff kann ebenfalls als zentral für Barads Überlegungen genannt werden, wenn sie beispielsweise in ihrem bisher umfassendsten Werk zur agentiell-realistischen Theorie – in ihrem im Folgenden noch adressierten Buch Meeting the Universe Halfway von 2007 – schreibt: »This book is about entanglements. To be entangled is not simply to be intertwined with another, as in the joining of separate entities, but to lack an independent, self-contained existence. Existence is not an individual affair.« (Barad 2007, S. ix) Gerade aber weil der Begriff des entanglement bzw. der Verschränkung sich als besonders paradigmatisch für die sich um Barads Programm entspinnenden Debatten erwiesen hat (vgl. hierzu beispielsweise Hollin et al. (2017): ›(Dis)entangling Barad‹, S. 919), wird er in vorliegender Arbeit vergleichsweise ausgespart. Da diese Arbeit das Ziel hat, Barads Begriffe und deren Zusammenhänge nicht von den verbreiteten Verständnissen derselben, sondern mittels einer Re- und Neukonstitution der von Barad gesponnenen argumentativen Fäden zu entwickeln, sollen gerade die durch Verschränkung markierten Zusammenhänge durch die tendenzielle Auslassung dieses Terms und des Entspinnens der Fäden der baradschen Überlegungen ausgehend von weniger besetzten Anknüpfungspunkten erst wieder hervortreten können. Diese Dezentrierung des Begriffs der Verschränkung hat also nicht zur Folge, dass die mit diesem Begriff verwobenen Zusammenhänge unadressiert bleiben würden, sondern sie soll die Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen erst wieder unverstellter ermöglichen. Entsprechend wird sich zeigen, dass der Begriff der Verschränkung nahtlos mit Barads Begriff des Phänomens verflochten ist und daher im selben Zuge wie letztgenannter Begriff entrollt werden kann (vgl. dazu auch die Adressierung von Verschränkung in Kapitel 3.1.7 zu Barads Auffassung von Topologie).

43Vgl. zu Barads Forderung nach Rigorosität besonders Kapitel 2.1.4 zur diffraktiven Methodologie Barads.

44Dass dieser vor allem in Barads für den agentiellen Realismus bedeutsamsten Buch Meeting the Universe Halfway von 2007 sich entfaltende Modus der wechselseitigen Bestimmung und Kokonstitution der agentiell-realistischen Begriffe den Nachvollzug dieser Begriffe vor Probleme stellt, lässt sich durch die Angabe einiger exemplarischer Passagen aus diesem Buch illustrieren. So schreibt Barad zu dem für den agentiellen Realismus so wesentlichen Begriff des Phänomens auf Barad (2007): Meeting the Universe Halfway, S. 140: »[P]henomena are differential patterns of mattering (›diffraction patterns‹) produced through complex agential intra-actions of multiple material-discursive practices or apparatuses of bodily production, where apparatuses are not mere observing instruments but boundary-drawing practices – specific material (re)configurings of the world – which come to matter.« Soll hiervon ausgehend gefragt werden, was denn dann die in dieser Passage genannten agentiell-realistischen Apparate seien, von denen aus der Begriff des Phänomens bestimmt wird, ließe sich mit Barad etwa hinzufügen: »Apparatuses are themselves material-discursive phenomena, materializing in intra-action with other material-discursive apparatuses.« (Ebd., S. 203) Damit führt diese Passage allerdings in einer Art Kreisbewegung zurück zu den zuvor genannten Phänomenen. Soll also stattdessen eine andere Passage zu Apparaten herangezogen werden, fände sich beispielsweise auf ebd., S. 170: »[A]pparatuses are material-discursive practices – causal intra-actions through which matter is iteratively and differentially articulated, reconfiguring the material-discursive field of possibilities and impossibilities in the ongoing dynamics of intra-activity that is agency.« Damit aber wird nun – unter anderem – ein Faden hin zu Barads Begriff der agency geschlagen, womit nun dieser Begriff ausdifferenziert werden müsste. Um dies zu versuchen, könnte angegeben werden, was Barad auf ebd., S. 178 schreibt: »Agency is about changing possibilities of change entailed in reconfiguring material-discursive apparatuses of bodily production, including the boundary articulations and exclusions that are marked by those practices in the enactment of a causal structure.« Von einfachen, selbsterklärenden und gleichsam jeweils in sich geschlossenen Darstellungen kann also gerade in Bezug auf die von Barad als wesentlich markierten Passagen bezüglich der Bedeutung agentiell-realistischer Begriffe keine Rede sein – denn dass es sich bei diesen Passagen nicht um Randbemerkungen in Barads Ausführungen handelt, sondern um zentrale Erläuterungen dahingehend, was sie unter den genannten agentiell-realistischen Begriffen verstanden wissen will, wird nicht nur durch die von Barad hier unternommenen hervorhebenden Kursivierungen gekennzeichnet, sondern auch dadurch, dass alle diese Passagen einem gemeinsamen Schema folgen, wenn diese gleichsam wie Definitionen mit Formulierungen beginnen wie phenomena are, apparatuses are bzw. [a]gency is. Passagen wie diese mögen nun sehr erhellend wirken, sobald ein gewisses Maß an agentiell-realistischen Kenntnissen vorhanden ist. Einer unvorbereiteten Lektüre aber dürften derartige Erläuterungen – so will es scheinen – nur wenig Aufschluss über die mit diesen Begriffen Barads adressierten Zusammenhänge geben.

45Vgl. dazu auch die Art und Weise der Auseinandersetzung mit den agentiell-realistischen Begriffen in Kapitel 3.1 und insbesondere die in der Einleitung zu diesem Kapitel 3.1 kurz umrissene besondere Struktur dieser Auseinandersetzung.

46In diesem Sinne kann vorliegende Arbeit auch als eine Konkretisierung und Methodisierung agentiell-realistischer Analysen begriffen werden, wie sie besonders im dritten Abschnitt entsponnen wird (vgl. vor allem Kapitel 3.2 zu den in dieser Arbeit entwickelten trans-baradianische Analysen).

47Vgl. zu Barads Verschiebung fort von Bohr die in Kapitel 2.1 zu Diffraktion entsponnenen Fäden.

48Vgl. zu dieser hier nur grob vorskizzierten Methode der vorliegenden Arbeit und der in dieser enthaltenen Forderung nach Behutsamkeit im Umgang mit den von Barad gesponnenen Verflechtungen die Darstellung dieser Methode im folgenden Kapitel 0.2.

49Gerade weil diese Arbeit mit Barad Bezug nehmen wird auf historische Debatten in der Physik und auf physikalische Versuche und Gedankenexperimente, scheint es besonders wichtig, zu betonen, dass diese Untersuchung nicht als historische oder geschichtswissenschaftliche Arbeit intendiert ist, wie sie den Anforderungen dieser Disziplinen genügen könnte. Vielmehr folgt diese Auseinandersetzung Überlegungen, wie Barad selbst sie in Bezug auf den von ihr referenzierten Michel Foucault vorbringt, wenn sie schreibt: »Genealogies, in Foucault’s account, differ from historical narratives in that they are not a search for origins and do not presume the primacy of the consciousness of individual subjects, a linear progressive unfolding of events in history, the stability and continuity of events or the coherence, regularity, and uniformity of history. Genealogies do not seek to uncover the truth of the past but rather are interested in the conditions of possibility of truth making. In particular, genealogical analyses investigate rather than presume those notions that seem to be without a history (like truth, origins, and subjects). […] But genealogy need not, indeed must not, be limited to the space and time of the human, or humanist notions of space and time.« (Barad (2007): MeetingtheUniverseHalfway, S. 474 Fn. 68) Besonders der erste Abschnitt dieser Arbeit, wie er sich mit den quantenphysikalischen Bezugspunkten des agentiellen Realismus in der Philosophie-Physik Bohrs auseinandersetzt, soll daher nicht den Zweck einer detaillierten wissenschaftshistorischen Aufarbeitung der entsprechenden Begebenheiten im Feld der Physik erfüllen. Vielmehr geht es hier darum, die wesentlichen Zusammenhänge und Begriffe des agentiellen Realismus vorzubereiten und Barads spezifische Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen und Erkenntnissen in der Physik umarbeitend aufzunehmen. Barads Theorie soll durch diese Untersuchung nicht primär durch die Adressierung ihrer Kontexte und historischen Bedingungen nachvollziehbar – und kritisierbar – werden, sondern durch eine Aufarbeitung der Zusammenhänge und Begriffe des agentiellen Realismus, wie Barad selbst sie wiedergibt.

50Damit ähnelt diese Arbeit Barads Darstellungen zum Quantenverständnis von Diffraktion, dessen volles Verständnis Barad zufolge erst nach der Lektüre ihres ganzen Buchs Meeting the Universe Halfway möglich sein soll (vgl. das Kapitel 2.1.3 zu Barads Quantenverständnis von Diffraktion).

51Vgl. zu solcher Detailarbeit auch Barads Forderung nach der Beachtung feiner Details, wie sie in Kapitel 2.1.4 zur diffraktiven Methodologie adressiert wird.

52Vgl. hierzu den zweiten Abschnitt dieser Arbeit.

53Vgl. hierzu besonders Kapitel 1.3.1 zu Heisenbergs Unschärferelation.

54Vgl. das Kapitel 1.1.3 zum Doppelspaltexperiment als Gedankenexperiment bei Einstein und Bohr und das Kapitel 1.4.2 zu Bohrs anthropozentrischem Objektivitätsbegriff.

55Schrödinger findet in vorliegender Arbeit nur am Rande Erwähnung.

56Vgl. hierzu insbesondere das Kapitel 3.1.2 zu den agentiell-realistischen Apparaten.

57Vgl. zu Barads Bezug auf Feynman das Kapitel 2.1 zu Diffraktion und diffraktiver Methodologie.

58So wird diese Haltung von Barad selbst und den sie interviewenden Personen ausgedrückt, wenn sich in Barad (2007): MeetingtheUniverseHalfway, S. 68 findet: »I [interviewing person]: […] [W]e find that quantum physics is crucial in your work and theorizing […]. […] But it seems that this dimension is predominantly left out or hasn’t yet entered – or whatever framing one may do on that – the ways that your work has been taken up in and out of feminist studies […]. [–] Karen Barad: I really appreciate that you notice that. I think there are so many wonderfully queer twists that spring from quantum physics that could be very useful to feminists but have been given little attention.« (Barad/Juelskjær/Schwennesen (2012): ›Intra-active Entanglements‹, S. 17) Entsprechend schreibt Barad in Bezug auf ihren agentiellen Realismus: »[A]s a physicist, I am interested in engaging in a rigorous dialogue about particular aspects of specific discourses on quantum physics and their implications.« Die Bedeutung dieser Aussage wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher spezifiziert werden. Überhaupt sind Barads Überlegungen in erkennbarem Maße geprägt von den Vorannahmen und Arbeitsweisen im Feld der Physik, wie Trevor Pinch in seiner Kritik an derselben feststellt (vgl. Pinch (2011): ›Karen Barad‹, S. 433-434 sowie auch Barads Selbsteinschätzung und Haltung als ausgebildete Physikerin gegenüber ihrer akademischen Schreibtätigkeit in Barad/Theodor (2015): ›Verschränkungen und Politik‹, S. 198).

59Zu nennen wäre hierbei beispielsweise Hollin et al. (2017): ›(Dis)entangling Barad‹ aber auch die in Kapitel 2.1.5.3 zur Adressierung von Diffraktion und Unbestimmtheit in der Rezeption Barads angeführten Arbeiten aus dem Umfeld der deutschsprachigen Medienwissenschaft und Gender Studies. Der Verweis auf diese Schriften soll allerdings nicht zwangsläufig heißen, dass deren Auftreten Barads oben genannte Einschätzung verändert hätte.

60Vgl. Kapitel 1.1. So vertritt auch der Barads Programm durchaus kritisch gegenüberstehende Trevor Pinch (vgl. die von beiden Autor*innen in Social Studies of Science geführte Debatte in Barad (2011): ›Erasers and Erasures‹ und Pinch (2011): ›Karen Barad‹) bezüglich ihrer Überlegungen die Auffassung, »[t]he view she is advocating can best be understood by revisiting the classic double-slit experiment – an experiment that Richard Feynman claimed entailed the whole quantum mystery.« (Ebd., S. 436)

61Vgl. Kapitel 1.2.

62Vgl. Kapitel 1.3.

63Ein Verhältnis, das mit entscheidenden Schlussfolgerungen der baradschen Theorie im Einklang steht: So wird noch deutlich werden, dass Begriffe und ihre Bedeutungen mit Bohr und Barad abseits der diese erst produzierenden Apparate lediglich als Abstraktionen und Idealisierungen adressiert werden dürfen und entsprechend nur unter Bezug auf die korrespondierenden Apparate bestimmt sein können (vgl. dazu besonders Kapitel 1.3.2.2 zu Bohrs semantischem Verständnis des Komplementaritätsprinzips und die dreifache Wirksamkeit von Apparaten, wie sie in Kapitel 1.4 zu den zwei Polen des baradschen Verständnisses der Philosophie-Physik erstmals schematisiert und auf den Begriff gebracht wird).

64Vgl. vor allem die Kapitel 2.1 zu Diffraktion und 2.2 zur Relevanz Haraways für die theoretischen Überlegungen Barads.

65Vgl. Kapitel 2.3.1.

66Vgl. Kapitel 2.3.2.

67Vgl. besonders das Kapitel 2.1 zur Diffraktion und diffraktiven Methodologie.

68Diese Bedeutung von Meeting the Universe Halfway bringt auch Thomas Lemke zum Ausdruck, wenn er in Lemke (2017): ›Einführung‹, S. 569 schreibt: »Spätestens seit der Buchveröffentlichung von Meeting the Universe Halfway im Jahr 2007 kommt Barad ein fester Platz in der Wissenschafts- und Technikforschung zu.«

69Vgl. besonders Kapitel 2.1.5 zu der durch Diffraktion implizierten Verschiebung innerhalb der Theorie Barads. Wie sich zeigen wird, gibt auch diese Verschiebung die an Bohr gewonnenen Schlussfolgerungen nicht auf, sondern sucht sie in die an Diffraktion ausgerichteten Überlegungen einzufalten. Daher werden auch hier Differenzen und Spannungen spürbar, wie sie Barads Programm als eine Theorie in Bewegung kennzeichnen.

70Dennoch handelt es sich bei vorliegender Arbeit nicht um eine Diskursanalyse mit stark reduziertem Umfang und nur unter Bezug auf die Schriften Barads, sondern um die Anwendung einer eigenständigen Methode, wie sie im folgenden Kapitel 0.2 detaillierter vorgezeichnet wird.

71Damit soll nicht gesagt sein, dass der hier entwickelte Zugang zu Barads Überlegungen – oder zu Theorien im Allgemeinen – gleichsam von mittendrin einen Blick von außen und die Kontextualisierung solcher Programme ersetzen könnte oder sollte. Vielmehr soll diese Untersuchung existierenden Adressierungen des agentiellen Realismus eine ergänzende Alternative hinzufügen, die im selben Zuge, in dem sie in Bezug auf die Rezeption der baradschen Theorie bestehende Leerstellen schließt, selbst unweigerlich andere blinde Flecken, Auslassungen und Ausschlüsse erzeugen muss. Der in vorliegender Arbeit versuchte Nachvollzug der baradschen Theorie möchte bestehende Adressierungen also nicht kritisieren oder ersetzen, sondern ergänzen und neu konturieren, wie sie sich beispielsweise in instruktiver Weise in Lemke (2017): ›Einführung‹, Trinkaus (2014): ›Welcher Tisch?‹ oder für den englischsprachigen Diskurs in Hollin et al. (2017): ›(Dis)entangling Barad‹ finden lassen.

72Barad/Theodor (2015): ›Verschränkungen und Politik‹, S. 203.

73Daher ist es auch kein Zufall, dass diese Methode des Webens und Verflechtens, des Herausarbeitens der in Barads Überlegungen präsenten Verschiebungen und Differenzen, des Aufspürens und Honorierens feiner Details in den Schriften Barads auch mit der von Barad selbst vorgebrachten und im Motto zu diesem Kapitel 0.2 adressierten diffraktiven Methodologie resoniert (vgl. zur diffraktiven Methodologie das Kapitel 2.1.4 in dieser Arbeit). So schreibt Barad bezüglich dieser Methodologie: »As I discussed in Meeting the Universe Halfway, diffractive readings must therefore entail close respectful responsive and response-able (enabling response) attention to the details of a text; that is, it is important to try to do justice to a text. It is about taking what you find inventive and trying to work carefully with the details of patterns of thinking (in their very materiality) that might take you somewhere interesting that you never would have predicted. It’s about working reiteratively, reworking the spacetimemattering of thought patterns; not about leaving behind or turning away from. […] And surely not about making a caricature of someone’s work and knocking it down, which unfortunately has been a form on engagement in some objections to ›new materialist feminisms‹.« (Barad/Juelskjær/Schwennesen (2012): ›Intra-active Entanglements‹, S. 13) Diese Auffassung Barads darf als richtungsweisend für die in vorliegender Arbeit entwickelte Methode und zur Kennzeichnung der Erwartungen an diese Untersuchung vorgebracht werden.

74Damit resoniert diese Zusammengehörigkeit von Zugang und Methode mit der untrennbaren Verflechtung von Theorie und Methodologie, wie sie in Kapitel 2.1 zur Diffraktion herausgearbeitet wird.

75Barad selbst verwendet diese Zuschreibung des Radikalen in Bezug auf Bohrs Überlegungen (beispielsweise in Barad (2007): MeetingtheUniverseHalfway, S. 97 oder auch S. 121) wie auch bezüglich ihrer eigenen agentiell-realistischen Schlussfolgerungen (beispielsweise in ebd., S. 33).

76Die Wahl dieser Art von Metaphern orientiert sich lose an Donna Haraways Ausarbeitung der Bedeutung der string figures, wie sie unter anderem in Haraway (1997): Modest_Witness@Second_Millennium, S. 268 – bezeichnenderweise unter explizitem Bezug auf den agentiellen Realismus Barads – vorgebracht werden. Zentrale Anregung aber für die Kennzeichnung der in vorliegender Arbeit entwickelten Methode als ein Weben stammt aus den Arbeiten Barads selbst, wenn sie beispielsweise in Barad (2017): ›Troubling Time/s and Ecologies of Nothingness‹, S. 61 bezüglich ihres eigenen Vorhabens schreibt: »For now, then, I turn to the question of how quantum physics understands the nature of time, knowing that it will be crucial to return to these threads and weave them into the entangled tale.« Ebenso findet sich auf ebd., S. 67: »[T]emporalities are specifically entangled and threaded through one another […].« Visuelle Metaphern wie die des Blicks und der Sicht werden in vorliegender Arbeit daher dort angewendet, wo es um Abgrenzung von in Barads Sinne reflexiven und newtonschen Vorstellungen und Annahmen geht.

77Vgl. das Kapitel 2.3 zu Barads Lektüre der Arbeiten Michel Foucaults und Judith Butlers.

78Dieser Verweis auf das, was Barads Darstellungen tun, greift bereits den auch für Barad wesentlichen Ausführungen Judith Butlers vor, wie Kapitel 2.3.2 sie adressieren wird.

79Vgl. auch zum Begriff des doing Kapitel 2.3.2.

80Vgl. besonders das Kapitel 1.4.1 und die dort entsponnene vorläufige Schematisierung der zwei Pole.

81Vgl. vor allem Kapitel 3.2.2.1 und den dort adressierten doppelten Bezug auf Apparate in Barads Arbeiten.

82Vgl. dazu besonders die zum Schluss dieser Arbeit gegebenen Ausführungen.

83Vgl. zur diffraktiven Methodologie Kapitel 2.1.4.

84So wird beispielsweise die Entfaltung der Theorie Bohrs in Barads Verständnis zwar im ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit die größte Aufmerksamkeit erfahren, dann aber erst in Kapitel 3.1 und der dort erfolgenden Auseinandersetzung mit dem agentiellen Realismus abschließend aufgenommen und in vorerst ausreichender Weise bestimmt werden können. Vgl. besonders das Kapitel 3.1.6 zu Barads Doppelbegriff des Materiell-Diskursiven.

85Dieses Vorgehen sucht die enge Bindung zu Barad auch dadurch zu markieren, dass deutschsprachiger Text der vorliegenden Arbeit – wo passend – mit den zitierten, oftmals englischen Passagen über die Sprachgrenzen hinweg zu gemeinsamen Sätzen zusammengezogen wird.

86So fassen diese Mottos oftmals vorgreifend zusammen, was das betreffende Kapitel zentral vorbringen wird. Zuweilen sollen sie aber auch einen gewissen Kontrast erzeugen und einen Überschuss in Barads Überlegungen kennzeichnen, der im jeweiligen Kapitel nicht eigens entfaltet wird, sich aber entweder als Differenz für den Nachvollzug der dann folgenden Überlegungen eignet oder kommende Umarbeitungen der im jeweiligen Kapitel gegebenen Überlegungen bereits vorzeichnet.

87Auch weil diese Relektüre des agentiellen Realismus durch eine medienwissenschaftliche Situierung mitbestimmt ist, soll eigens markiert werden, in welcher Weise die in geisteswissenschaftlicher Forschungspraxis ubiquitär verbreiteten digitalen Apparate und Praktiken die Form dieser Methode und des Arbeitens mit den baradschen Schriften geprägt und wahrscheinlich erst als ihre notwendige Bedingung ermöglicht haben. So gestalteten sich weite Teile der Auseinandersetzung mit Barads Schriften in Form einer geradezu klassisch zu nennenden Lektüre von gedrucktem Text. Erst die Heranziehung von in dieser Lektüre hervorgetretenen und für offene Fragen und die weitere Auseinandersetzung mit dem Material wesentlichen Schlagwörtern aber und deren halbautomatisierte Suche in den digitalisierten und OCRten Scans der baradschen Texte machte es möglich, die verteilte und changierende Darstellungsweise Barads herauszuarbeiten und im Zuge vielfacher Iterationen – auch zurück zur Lektüre der gedruckten Texte – diejenigen Passagen zu finden und zu versammeln, wie sie die Differenzen und Spannungsfelder, Kräfte und Verschiebungen des baradschen Theorieapparats erst greifbar und Barads Programm als eine Theorie in Bewegung grundsätzlich wie in ihren Details spürbar machten. Dies soll nicht heißen, dass die in vorliegender Untersuchung mit Barads Überlegungen vollzogene Arbeit nicht hermeneutisch begriffen werden könnte – die oben vorgebrachte Kritik wendet sich gegen im Neologismus des hermeneutischen Sprungs gefasste unzulässige Vereinseitigungen des interpretierten Materials, nicht gegen hermeneutische Zugänge selbst.

88Diese weitergesponnene agentiell-realistische Haltung und die damit verbundene Forderung nach dem Aufmerksambleiben für die Kokonstitution der am Forschungsprozess beteiligten Apparate einschließlich der eigenen Situierung wird im dritten Abschnitt dieser Arbeit in der Ausformulierung trans-baradianischer Analysen versuchsweise expliziter gemacht werden. Vgl. insbesondere das Kapitel 3.2.4 und die dort gegebene Skizze einer trans-baradianischen Analyse des Digitalen – zur Umarbeitung der eigenen Situierung vor allem das Kapitel 3.2.4.3 und dort Punkt (iii).

89Damit hat die hier vorgebrachte Methode nicht das Ziel, die Welt mit Barads Theorie gleichsam dogmatisch zu erklären, indem alles andere ausgeblendet wird. Vielmehr soll Barads Theorie gleichsam auf sich selbst angewendet und gezeigt werden, dass ein solches Vorgehen erst Resonanzen und Dissonanzen in Barads Überlegungen spürbar werden lässt, wie sie die Kritik mit und an Barads Programm um zusätzliche Dimensionen erweitern.

90Folkers (2015): ›Paradigma oder Parasit?‹, S. 1763.

91Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Barads Auffassung von Transdisziplinarität in Kapitel 2.1.4 zu Barads diffraktiver Methodologie.

92Barad (2003): ›Posthumanist Performativity‹, S. 810. Dass ein detaillierter Nachvollzug des agentiellen Realismus allerdings per se geeignet ist, Texte von einer gewissen Länge zu erzeugen, wird daran deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Barads Begriff des Materiell-Diskursiven ihrem eigenen Bekunden nach die ganzen 500 Seiten von Meeting the Universe Halfway zur Entfaltung benötigte (vgl. Barad/Theodor (2015): ›Verschränkungen und Politik‹, S. 181). So schreibt auch Barad (2017): ›Troubling Time/s and Ecologies of Nothingness‹, S. 71: »Tracing entanglements is no easy task. It takes work.« Entsprechend ist die Argumentation der vorliegenden Arbeit ebenso von einigem Umfang. Darauf reagierend versammelt der Schluss dieser Untersuchung noch einmal die drei für Barads Programm als Theorie in Bewegung charakteristischen Verschiebungen und adressiert einige wesentliche Fäden des hier erbrachten Beitrags zur Rezeption des agentiellen Realismus in dann kursorischer Form.

93Vgl. dazu unter anderem die Debattenbeiträge Engemann/Heilmann/Sprenger (2019): ›Wege und Ziele. Die unstete Methodik der Medienwissenschaft‹; Pias (2019): ›Schätzen, Rechnen und die Medien des digitalen Apriori‹; Schneider (2019): ›Unstete Methoden!‹; Schüttpelz (2019): ›Methoden sind die Praktiken einer theoretischen Fragestellung‹; Vonderau (2019): ›Methode als wissenschaftssoziales Problem‹; Bee/Eickelmann/Köppert (2020): ›Methoden sind politisch‹; Gießmann (2020): ›Hätte, hätte, Drittmittelkette‹; Köppert (2020): ›Spekulation, oder‹; Matzner (2020): ›Wege und Ziele‹ und Tuschling (2020): ›Methoden sind politisch‹.

94Gramlich/Haas (2019): ›Situiertes Schreiben mit Haraway, Cixous und grauen Quellen‹, S. 44.

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