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Das Glück ist im Hier und Jetzt erreichbar! Aber wie, wenn der Weg zum Glück vom Menscheln begleitet ist? Diese Geschichten handeln von Menschen, die vom Glück genauso viel oder wenig wissen wie vom Käfig, der sie umgibt: Walter träumt von Freiheit, Frida vom Aussortieren ihres Gatten. Cynthia strebt nach unbändiger Leidenschaft - sie will keine vertrockneten Rosen - und Karl verlangt es nach Sicherheit und Verewigung. Anna-Lisa mag in neuen Röcken schwingen, Hannes drängt es, seine Frau zu erziehen. Frau Eulenmann möchte Jesus hautnah spüren und Sigmund die Wahrheit finden. Maximilian will Grenzen überschreiten und Maria endlich einmal Dampf ablassen. Sie alle verbindet ein Ziel: Glück, hier und jetzt.
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Seitenzahl: 64
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Für Orvil, Lennart und Milena
Walter kann.
Gemeinheit
Karls neue Sorgen
Schöne Ferien
Ende gut – alles schlecht
Natürlich geschieden
Erna lebt!
Bessere Zeiten
Die beste aller Zeiten
Sex nach dem Gottesdienst
Nichts Neues in Wicker
Rosa Wurst
»Das Glück is a Vogerl.«Alexander von Binz, Wienerlieder
Wenn Walter sich manchmal im Spiegel betrachtete, an den Tagen, an denen seine Haare frisch gewaschen waren, fremde Düfte ihn umhüllten, seine Augen wissend, aber nicht alt aussahen – da dachte er, er sei gar kein so übler Typ. Vielleicht hatte Editha ihn noch nie wirklich entdeckt.
Editha war immer beschäftigt, selten suchte sie seine Nähe. Mit den Jahren hatte sich ihre Beziehung auf das Abklären von Dingen reduziert, die Editha aber letztlich immer selbst entschied. Er wusste, dass sie ihn als Gegenüber brauchte, damit es nicht sinnlos klang, wenn sie sich selbst kommentierte.
Editha war immer in Aktion. Walter hatte sich längst daran gewöhnt, dass sie keine Zeit für ihn erübrigen konnte. Er sog das Nikotin rasch zwischen seinen Fingern ein und genoss den Zug in seine Lungen, wie man es genießt, eine gute Antwort oder überhaupt eine Antwort auf eine Frage zu erhalten.
Die Fragen hatten sich über die Jahre gehäuft, weshalb er zum Kettenrauchen übergegangen war, was schließlich schuld an seinem Lungenleiden war. Editha versorgte ihn derweil mit den von ihm explizit geforderten Speisen. Sie kannte alle seine Vorlieben und servierte ihm täglich und unentwegt seine Lieblingsgerichte, auf dass er den Schnabel hielte, denn Diskussionen mochte sie nicht. Ihre Wangen erröteten leicht, was nicht auf verbotene leidenschaftliche Gedanken zurückzuführen war, sondern auf ihre penible Haltung: Ihre Arbeit musste mehr als korrekt sein, nämlich perfekt.
Walter wachte jeden Tag auf die gleiche Weise auf, so wie er auch jeden Tag auf die gleiche Weise zu Bett ging. Sein Leben war von einer barbarischen Gleichmäßigkeit gezeichnet, die allein durch seine arhythmische Atmung unterbrochen wurde. Bisweilen kam er sich vor wie ein alter Junge im Vogelkäfig. Er sprang von links nach rechts, mal schnell, mal langsam, ohne dass es einen Unterschied machte, ohne dass sich das Geringste veränderte: Der Käfig blieb immer verschlossen.
Editha war eine gute Frau. Sie besorgte alles, was es zu besorgen gab, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Dennoch hatte ihre Geschäftigkeit viel Ähnlichkeit mit dem dunklen Tuch, das sie abends über seinen Käfig legte: Editha hatte eine unglaubliche Art an sich, Dinge oder Menschen lahmzulegen.
Walter aber war noch ein besserer Mann. Ohne Widerspruch ließ er alles über sich ergehen, lebte nach ihren Vorstellungen und ihrem Gutdünken – nicht etwa, weil er sich selbst vergessen oder es ihm an Standvermögen, sich zu bewahren, gemangelt hätte – nein, er tat es, weil er dachte, es sei gut. Editha gewährte ihm ein freies Leben, wenn auch nur im Kopfe. Und der Gefallen, den er ihr tat, war unausgesprochen gekoppelt an Verpflichtungen ihrerseits ihm gegenüber, auf die er nicht verzichten wollte und konnte.
Ich könnte nach Griechenland fliegen, sinnierte er, ich könnte ein neues Auto kaufen, ich könnte mir selbst ein Hemd kaufen.
Die Vielzahl der Möglichkeiten dessen, was Walter machen könnte, hatte einiges gemein mit den einzelnen Bergfelsen des Himalaya-Gebirges: Walter stand vor einem Berg unerschöpflich wunderbarer Möglichkeiten – und staunte. Er kaufte sich keine Kletterausrüstung, stattdessen fand er viele Antworten des Für und Wider. Er rauchte viel zu viel und litt unter Atemnot, unfähig, einen Fuß am Fuße eines Berges oder etwas nur Ähnlichem zu setzen. Er war ein echter Stubenhocker geworden.
Walter war längst zu der Ansicht gelangt, dass Leben nicht leben bedeutete, sondern zwischen Möglichkeiten zu differenzieren und verbrachte die meiste Zeit des Tages, der Woche und des Monats damit, diese These zu verteidigen oder in den verschiedenen TV-Programmen nach einer Bestätigung für diese zu suchen. Bisweilen klang er wie ein Papagei.
An manchen Tagen, an denen Walters Haare schütter wirkten und er sich aufgrund seines fortschreitenden Alters nur langsam bewegen konnte, dachte er, er sei verloren. Er dachte an legitime und illegitime Schmerzlinderung und an unsichtbare Krankheiten. Aber kein Zustand währt ewig, dies wusste er auch.
Mit Schwung sprang Walter auf die unter ihm liegende Stange seines Käfigs. Er blickte um sich und fand alles vor, wie es immer war. Obwohl es schon zu fortgeschrittener Stunde war, ängstigte er sich nicht, dass Editha bald ihre Hand nach dem dunklen Tuch ausstrecken könnte. Denn eines war sicher: Er konnte alles tun, was sein Herz begehrte, und es würde geschehen, sofern er nur wollte.
Editha fand sich heute ausgeglichen, ja zufrieden. Fast tänzerisch schwang sie das dunkle Tuch über den Käfig, und als es ihr schien, Walter zwitschere ein wenig kläglich, nahm sie das Tuch noch einmal von seinem Käfig ab, sah ihm in die Augen und fragte: »Was denn, hast du noch Hunger? Ich hol’ dir noch etwas.« Und sie verschwand in die Küche.
Wenn Walter sich manchmal im Spiegel betrachtete, an den Tagen, an denen er so viel überdacht hatte, dann zwitscherte er stets nur den einen wunderbaren Satz, mal hartnäckig, mal trotzig, mal freudig: »Ich kann.«
Und das beste Essen der Welt konnte nichts daran ändern.
»Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.«Sokrates
Der Duft ihres Lieblingsparfüms Anais Anais durchflutete das Bad. Sie kämmte ihre Haare, zog den Scheitel nach, ordnete ihr Kleid und schminkte sich. Nachdem sie sich eingehend im Spiegel betrachtet hatte, beschloss sie, dass der Zeitpunkt gekommen war, es ihm zu sagen. Sie wandte sich zur Tür – es war bloß ein Schritt dorthin, aber ein gewaltiger für sie – und mit dem Ergreifen der Türklinke war ihr Vorhaben unaufhaltsam geworden.
Die dunklen Mahagonitreppen knarrten leise, als sie hinabstieg, wie immer.
Im Wohnzimmer brannten zwei kleine Lampen. Sie liebte das allmähliche Ausklingen des Tages, außerdem begünstigte die schwache Beleuchtung das Erscheinungsbild diverser Wandgemälde. Alles wirkte mysteriös und auch ein bisschen älter, vielleicht ein bisschen bedeutender. Von den Polstern ging ein unangenehmer Geruch aus, den sie über viele Jahre auf verschiedene Weise zu überdecken versucht hatte, leider ohne Erfolg. Das Wohnzimmer war nach Südwesten ausgerichtet, gen Hochheim. Obwohl es schon zu fortgeschrittener Stunde war, fiel zu ihrer Überraschung noch ein sanftes rotes Leuchten in den Raum. Die Silhouetten der Bäume, die im Garten standen, wirkten größer als am Tag, bedrohlich und männlich. Sie erschauerte einen kurzen Augenblick, hielt aber an ihrem Vorhaben fest, denn sie spürte auch die wohlige Wärme in ihrem Brustraum und deutete sie als Zeichen ihrer Kraft, mit welcher sie alles durchstehen würde.
Sollte es ihrem Mann heute wieder gefallen, sich auszuschweigen, wüsste sie allerdings nicht, wozu sie fähig wäre.
Heinrich sah adrett aus. Sie liebte es, ihn in weißen Hemden zu sehen, wenn er diesen freundlichen und zugleich herablassenden Blick zur Schau trug und sich ganz und gar selbst zu gehören schien: Alles an ihm ließ keinen Zugang zu – Heinrich war geheimnisvoll. So hatte er sich auch bei ihrer ersten Begegnung gezeigt: Munter, erhaben, interessiert. Von Anfang an hatte sie zu spüren geglaubt, dass er alles über sie wisse – und das hatte ihr gefallen.
Während sie ihn betrachtete, fiel ihr auf, wie sehr sie ihn liebte. Konnte sie ihm böse sein? Das Schweigen drückte auf die wohlige Wärme ihres Brustraums und löste ein Räuspern aus.
Es fiel ihr nicht leicht, den passenden Anfang zu finden, und so kam es, dass sie sich mehrfach räusperte, als hätte sie einen Krümel im Hals, der es sich vorgenommen hatte, sie zu ärgern, indem er standhaft stecken blieb.