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Um dem durch den demografischen Wandel erwarteten Pflegekräftemangel zu begegnen rückt die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit bei Pflegekräften in den Mittelpunkt. Aufgrund dessen wird in diesem Buch anhand der Daten der Deutschen Rentenversicherung untersucht, welche Faktoren bei Pflegeberufen zu einer medizinischen Rehabilitation bzw. zu einer Erwerbsminderungsrente führen. Anhand der Ergebnisse wird der Bedarf an Prävention und Gesundheitsförderung bei Pflegekräften unterstrichen. Um solche Angebote jedoch zu ermöglichen und effizient zu gestalten, fehlte es bislang an Screening-Instrumenten. Daher wurde die Validierung der Nurse-Work Instability Scale vorgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Skala geeignet ist gefährdete Pflegekräfte mit Bedarf zur Prävention und Gesundheitsförderung zu identizieren und somit könnte die Skala einen hohen Stellenwert beim frühzeitigen Einsatz von geeigneten Maßnahmen einnehmen.
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Seitenzahl: 167
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Melanie Harling
Der Bedarf an Prävention und Gesundheitsförderungsmaßnahmen bei Beschäftigten in Pflegeberufen
Validierung der Nurse-Work Instability Scale
Melanie Harling
Der Bedarf an Prävention und Gesundheitsförderungsmaßnahmen bei Beschäftigten in Pflegeberufen
Validierung der Nurse-Work Instability Scale
© 2014
Edition Gesundheit und Arbeit,
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE),
Martinistraße 52, 20246 Hamburg
www.uke.de
Herausgeber
Prof. Dr. med. Albert Nienhaus
Autor
Melanie Harling
Redaktion
Claudia Wohlert
Lektorat
Angelika Buchholz, Frankfurt
Gestaltung
Ethel Knop, Essen
Verlag
tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-8166-4
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Herausgeber
Vorwort Autor
Abstract
1 Einleitung
1.1
Der demografische Wandel in Deutschland – ein zweidimensionales Public Health Problem auf dem Sektor der Kranken- und Altenpflege
1.2
Erwerbsfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderungsund Altersrenten – Begriffsklärung
1.3
Belastungen und Beanspruchungen in Pflegeberufen
1.4
Verweildauer und Berufswechsel in Pflegeberufen
1.5
Prävention und Gesundheitsförderung zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit – Eine Strategie gegen den Pflegekräftemangel
1.6
Ziel der Untersuchung
2. Medizinische Rehabilitationen und Erwerbsminderungsrenten bei Pflegepersonal im Vergleich zu anderen Berufsgruppen
2.1
Das Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung (FDZ-RV) und das Datenangebot für die wissenschaftliche Forschung
2.2
Forschungshypothesen und Fragestellung
2.3
Methodik
2.3.1
Der Scientific Use File (SUF) „Abgeschlossene Rehabilitation 2006“
2.3.2
Der Fernrechendatensatz „Versichertenrentenzugang 2007“
2.3.3
Erstellung neuer Variablen
2.3.4
Bivariate Analyse der Unterschiede zwischen den Berufsgruppen
2.3.5
Multivariate Analysemethoden zur Prüfung der Einflussfaktoren auf eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit und auf eine Erwerbsminderungsrente
2.4
Ergebnisse
2.4.1
Unterschiede bei medizinischen Rehabilitationen nach Berufsgruppen
2.4.2
Rehabilitationen aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE)
2.4.3
Einflussfaktoren auf eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit nach Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE)
2.4.4
Unterschiede bei Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) nach Berufsgruppen
2.4.5
Einflussfaktoren, die zum Erhalt einer Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) führen
2.5
Zusammenfassung und Diskussion – Rehabilitationen und Erwerbsminderungsrenten bei Pflegepersonal
3. Validierung der Nurse-Work Instability Scale (Nurse-WIS) – Ein Instrument zur Erfassung des Bedarfs an Prävention und Gesundheitsförderungsmaßnahmen bei Pflegekräften
3.1
Untersuchungsplanung zur Validierung der Nurse-WIS
3.1.1
Das Konzept der „Work Instability“
3.1.2
Die Nurse-Work Instability Scale (Nurse-WIS)
3.1.3
Übersetzung der Nurse-WIS anhand einer forward-backward procedure
3.1.4
Zielsetzung der Validierungsstudie und das Studiendesign
3.1.5
Kooperationspartner und Sponsoren
3.2
Die Datenerhebung
3.2.1
Das Erhebungsinstrument für T1
3.2.2
Das Erhebungsinstrument für T2
3.2.3
Der Pretest
3.2.4
Feldzugang und Datenschutz
3.3
Statistische Analysemethoden
3.3.1
Missing-Analyse und Umgang mit fehlenden Werten
3.3.2
Beschreibung der Stichprobe und Prüfung der Verteilungsform
3.4
Methoden der Validierung
3.4.1
Itemanalyse und Prüfung der Reliabilität
3.4.2
Prüfung der Konstruktvalidität
3.4.3
Prüfung der konvergenten Kriteriumsvalidität
3.4.4
Prüfung der differentiellen Validiät
3.5
Methoden zur Prüfung der prognostischen Validität
3.5.1
Bestimmung der Sensitivität und der Spezifität
3.5.2
Prüfung der Likelihood-Ratios
3.5.3
Testung des Grenzwerts anhand der Receiver-Operating-Characteristic-Kurve (ROC)
3.5.4
Prüfung der prädiktiven Werte
3.5.5
Prüfung der prognostischen Validität anhand der Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage
3.6
Ergebnisse
3.6.1
Beschreibung der Studienpopulation
3.6.2
Erkrankungen, Langzeit-Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderungsrenten zu T1 und T2
3.6.3
Reliabilität der Nurse-WIS (T1)
3.6.4
Konstruktvalidität der Nurse-WIS (T1)
3.6.5
Konvergente Validität und differentielle Validität (T1)
3.6.6
Sensitivität und Spezifität, Likelihood Ratios und die Receiver Operating Characteristic (ROC)-Kurve der Nurse-WIS (T2)
3.6.7
Prädiktive Werte der Nurse-WIS
3.6.8
Prognostische Validität anhand der Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage (T2)
3.7
Zusammenfassung und Diskussion – Eignung der Nurse-WIS
3.7.1
Besonderheiten im Studiendesign und Repräsentativität der Stichprobe
3.7.2
Reliabilität und Validität der Nurse-WIS
3.7.3
Prognosefähigkeit und Implikationen auf die praktische Anwendung der Nurse-WIS
3.7.4
Anwendung der Nurse-WIS zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit bei Pflegekräften
4. Fazit und Ausblick
5. Literatur
Anhang A:
Stratifizierte Analyse zur Erwerbsfähigkeit nach einer Rehabilitation aufgrund einer Muskel-Skelett-Erkrankung
Anhang B:
Reliabilitätsanalyse der Nurse-Work Instability Scale
Abkürzungen
Vorwort Herausgeber
Die Edition Gesundheit und Arbeit (ega) ist eine Schriftenreihe des Competenzzentrums für Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
In der ega werden die Arbeitsergebnisse des CVcare publiziert. In ihr werden unter anderem hochwertige Diplom-, Master- und Bachelorarbeiten sowie Dissertationen und Habilitationen veröffentlicht.
Mit der ega soll die Diskussion im deutschsprachigen Raum über effektive und effiziente Wege zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes, der betrieblichen Gesundheitsförderung und des betrieblichen Gesundheitsmanagements unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Wiedereingliederung gefördert werden. Die ega ist eine Plattform für interdisziplinäre Beiträge aus der arbeitsweltbezogenen Gesundheitsforschung. Die Disziplinen Psychologie, Arbeitsmedizin, Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie, Rehabilitations- und Versorgungsforschung sollen damit zusammengeführt und zum gegenseitigen Austausch angeregt werden.
Das CVcare ist eine universitäre Forschungseinrichtung am UKE, deren Grundfinanzierung durch eine Stiftung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sichergestellt wird. Das CVcare kooperiert daher eng mit der BGW, insbesondere mit deren Forschungsabteilung Grundlagen der Prävention und Rehabilitation (GPR).
Das CVcare stellt epidemiologische Daten zur Arbeits- und Gesundheitssituation von Pflegekräften und anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege zur Verfügung. Angebote zur arbeitsweltbezogenen Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation werden unter besonderer Berücksichtigung des demografischen Wandels im Sinne der Versorgungsforschung überprüft. In praxisorientierten Projekten werden Vorschläge zur Verbesserung dieser Angebote entwickelt.
Hauptthemen des CVcare sind die Arbeitssituation älterer Beschäftigter in der Pflege, arbeitsbedingte Beschwerden des Bewegungsapparates (MSB), Infektionsrisiken mit den Schwerpunkten Tuberkulose und multiresistente Erreger (MRE), psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz mit dem besonderen Schwerpunkt Gewalt am Arbeitsplatz sowie die Evaluation der Rehabilitationsleistungen der BGW und anderer Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV).
Der vierte Band der Edition Arbeit und Gesundheit (ega) beinhaltet die Promotionsarbeit von Melanie Harling zur Validierung der Nurse-Work Instability Scale. Dieser Fragebogen erlaubt es, Pflegekräfte mit einer drohenden Arbeitsunfähigkeit wegen Beschwerden des Bewegungsapparates zu identifizieren. So können frühzeitig und gezielt Maßnahmen zur Prävention eingeleitet werden. Insofern hat Frau Harling mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Muskel-Skelett-Beschwerden und -Erkrankungen bei Pflegekräften geleistet. Die Promotion erfolgte an der Universität Bremen im Fachbereich Public Health und wurde von Prof. Dr. Dietrich Milles betreut.
Hamburg, im April 2014
Prof. Dr. med. Albert Nienhaus
Vorwort Autor
Durch die demografische Entwicklung in Deutschland wird eine deutliche Zunahme kranker und pflegebedürftiger Menschen prognostiziert, wodurch bis 2020 ein Mehrbedarf von 500.000 Pflegekräften erwartet wird, der kaum gedeckt werden kann. Damit stellt sich für die akademische Disziplin der Public Health die Aufgabe Pflegekräfte gesund und motiviert bis zum Renteneintritt im Beruf zu halten, wozu die vorliegende Arbeit ihren Beitrag leisten soll.
Mit diesem Thema war ich seit 2008, zunächst von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), beauftragt. Mit Gründung des „Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare)“ zu Beginn des Jahres 2010 wurde die Bearbeitung des Themas von mir am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf fortgeführt.
In Deutschland war mit Ausnahme der unter Harling et al. (2010a) bereits veröffentlichten Teile der hier dargestellten Ergebnisse allerdings bisher unbekannt wie viele Pflegekräfte von einem vorzeitigen Berufsausstieg betroffen sind. Aufgrund dessen wurde in Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung anhand von Routinedaten untersucht, welche Unterschiede zwischen Beschäftigten aus Pflegeberufen und aus anderen Berufsgruppen bei medizinischen Rehabilitationen und bei Erwerbsminderungsrenten bestehen. Die Ergebnisse lassen die These zu, dass Rehabilitationsleistungen bei Muskel-Skelett-Erkrankungen in Pflegeberufen nicht den gewünschten langfristigen Erfolg haben. Damit wird die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung zur Vermeidung von Chronifizierungen von Erkrankungen und zur Vermeidung eines frühzeitigen Berufsausstiegs bei Pflegekräften unterstrichen.
Um solche Angebote jedoch zu ermöglichen und effizient zu gestalten fehlte es bislang an Screening-Instrumenten. Daher wurde in der vorliegenden Arbeit die Validierung der Nurse-Work Instability Scale (Nurse-WIS) vorgenommen, die eine drohende Langzeit-Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderungsrente bei Pflegekräften erfassen soll, wobei die Untersuchungsplanung auf einem Workshop der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie diskutiert und als Kurzbeitrag veröffentlicht wurde (Harling et al. 2010b). Die Ergebnisse zeigen, dass die Skala geeignet ist gefährdete Pflegekräfte mit Bedarf zur Prävention und Gesundheitsförderung zu identifizieren und somit könnte die Skala einen hohen Stellenwert beim frühzeitigen Einsatz von geeigneten Maßnahmen und damit für den Aufgabenbereich der „Public Health“ einnehmen.
Abstract
Due to the demographic trend in Germany, a significant increase in the number of people who are ill or in need of care is forecast, which would lead to a requirement of 500,000 additional healthcare workers by 2020. This demand is unlikely to be met, however, because healthcare workers tend not to stay in their careers for very long and often suffer from stress and musculoskeletal disorders. This means that in future the workload of nursing care will have to be borne to a large extent by employees over the age of fifty. The academic discipline of public health is thus confronted with the task of keeping healthcare workers healthy and motivated and at work until they reach retirement age, and this paper is intended to contribute toward fulfilling this task.
In Germany it has hitherto not been known how many healthcare workers leave their careers early and what leads them to do so. That is why data from Deutsche Rentenversicherung, the German statutory pension insurance agency, has been analysed to find out what differences exist between employees in healthcare and those in other professions regarding medical rehabilitation and disability pension benefits. Rehabilitation was found to be more frequent among healthcare workers due to musculoskeletal disorders, and they ran a greater risk of reduced capacity to work after rehabilitation. They also drew disability pension benefits, granted by the agency for people whose capacity to work is reduced due to illness or invalidity, more frequently—even though they had often made use of rehabilitation services at least once before drawing their disability pension. The question is, therefore, whether rehabilitation is failing to have the desired long-term successful effect for musculoskeletal disorders among healthcare workers. This conjecture underscores the importance of prevention and health promotion to stop complaints from becoming chronic and healthcare workers from leaving their professions early.
Until now, however, there have been no methods of screening available by which to identify endangered healthcare workers and allow for the efficient use of preventive and health-promoting services. That being the case, the Nurse-Work Instability Scale (Nurse-WIS), a screening instrument used to identify the risk of long-term incapacity to work and the need for disability pension benefits among healthcare workers, was validated accordingly. The scale was shown to be an economical, reliable and valid instrument. It was also found to have a good forecasting function and be capable of predicting a risk of long-term incapacity to work and entitlement to disability pension benefit. The Nurse-WIS is therefore suitable for use in identifying endangered healthcare workers who are in need of prevention and health promotion, and the scale could thus prove extremely useful in indicating a need to make use of suitable interventions at an early stage
1. Einleitung
Die Anzahl älterer Menschen steigt derzeit und in Zukunft in Deutschland deutlich an (Brambrink et al. 2005, Bickel 2001, Dietz 2001). Durch diese Entwicklung wird die Kranken- und Altenpflege vor neue Herausforderungen gestellt, da im Zuge der Alterung der Gesellschaft eine deutliche Zunahme kranker und pflegebedürftiger Menschen prognostiziert wird (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010). Zudem wird vermutet, dass in Zukunft Pflegebedürftige häufiger von professionellen Diensten versorgt werden als im familiären Umfeld (Statistisches Bundesamt 2007). Aufgrund dieser Schätzungen wird bis 2020 mit einem Mehrbedarf von 500.000 Pflegekräften gerechnet (Bundeskonferenz der Pflegeorganisationen 2006). Dieser Bedarf an professionellen Pflegekräften kann jedoch kaum gedeckt werden, da die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter weiter abnimmt und die Verweildauer in Pflegeberufen eher gering ist (Statistisches Bundesamt 2009, Behrens et al. 2008, Hackmann 2010). Das bedeutet, dass die Arbeitslast in der Pflege in Zukunft zu einem großen Teil von über 50 Jahre alten Beschäftigten getragen werden muss.
Gleichzeitig gehen die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen mit psychosozialen Belastungen und Stress einher und Beschäftigte in Pflegeberufen weisen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von muskuloskeletalen Erkrankungen auf, insbesondere im Bereich des Rückens (Ando et al. 2000, Hofmann et al. 2002, Menzel 2004, Zimber 1998, Zimber et al. 2000, Siegrist & Rödel 2005, Glaser et al. 2007). Für Langzeit-Arbeitsunfähigkeit sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems die häufigste Ursache, psychiatrische Erkrankungen, wie depressive Episoden, die zweithäufigste, und ältere Arbeitnehmer sind häufiger betroffen (Bödeker & Zelen 2008).
Aufgrund dieser sich gegenseitig bedingenden Faktoren wird in Fachkreisen vermutet, dass sich die Lage auf dem Sektor der Kranken- und Altenpflege in Deutschland weiter zuspitzen wird und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gefährdet ist. Damit stellt sich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und neben der Politik ist vor allem auch die akademische Disziplin der „Public Health“ gefragt.
Zunächst soll jedoch der Begriff Public Health, wie er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, erläutert werden. In erster Linie bedeutet Public Health die Gesundheit der Bevölkerung. Genauer wird Public Health von Hofmann und Schwartz (1992, S. 6) definiert. Demzufolge wird die Gesundheit der Bevölkerung von mehreren Faktoren beeinflusst. Zum einem wird sie von der sozialen, der technischen sowie von der natürlichen Umwelt, zum anderen von individuellen Faktoren wie den Anlagen, dem Verhalten, dem Lebensstil und der Erwerbsarbeit bestimmt. Weitere Faktoren sind die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme und die Wirksamkeit von Gesundheitsleistungen sowie die subjektiven Wahrnehmungen und Wertvorstellungen. Die Aufdeckung der Zusammenhänge dieser Faktoren stellt die Forschungsaufgabe und die Umsetzung dieser Erkenntnisse stellt die praktische Aufgabe von Public Health dar (Hofmann & Schwartz 1992, S. 6). Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Forschungsaufgabe. In Teil 1 wird zunächst das Public-Health-Problem in dem Sektor der Kranken- und Altenpflege, erzeugt durch den demografischen Wandel, näher betrachtet. Diese Problematik wird durch Determinanten wie die Erwerbsfähigkeit bzw. die Arbeitsunfähigkeit und den Verbleib von Pflegekräften bis zum Eintritt der Regelaltersrente mitbestimmt. Des Weiteren sollen die Belastungen und Beanspruchungen sowie die Verweildauer von Beschäftigten in Pflegeberufen und der Nutzen von Präventionsmaßnahmen diskutiert werden. Abschließend wird die Ziel- und Fragestellung der vorliegenden Arbeit dargestellt.
1.1 Der demografische Wandel in Deutschland – ein zweidimensionales Public-Health-Problem in der Kranken- und Altenpflege
Wegen der zunehmenden Alterung der Gesellschaft wird eine Zunahme von Krankenhausbehandlungen sowie von Pflegebedürftigen prognostiziert. Ein besonderer Schwerpunkt sind dabei die Ausgaben im Krankenhauswesen. Mit einem Anteil von über 25% an allen Gesundheitsausgaben und einer absoluten Höhe von 67 Milliarden € im Jahr 2008 ist das Krankenhauswesen einer der kostenintensivsten Bereiche. 1992 lagen die Ausgaben für den stationären Bereich noch bei 43 Milliarden €, die Steigerung beträgt seitdem ca. 56% (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010). Es ist davon auszugehen, dass diese höhere Behandlungshäufigkeit und die damit einhergehenden Kosten mit dem demografischen Wandel in Zusammenhang stehen. Grund ist der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung, der durch den medizinischen Fortschritt, durch den Zugang zu Gesundheitsleistungen, durch eine veränderte Lebensweise und durch eine geringere körperliche Belastung ermöglicht wird. Gleichzeitig nimmt mit steigendem Alter aber die Intensität der Erkrankungen zu und ältere Menschen sind heute häufig nicht mehr nur von einer Krankheit, sondern von einer Vielzahl von Erkrankungen, also von Multimorbidität betroffen. Dies wiederum führt dazu, dass ältere Menschen häufiger und länger im Krankenhaus verweilen (Leidl 2003).
Auch die Zahl der Pflegebedürftigen wird unter Zugrundelegung eines Status-Quo-Modells zwischen 2007 und 2020 um knapp ein Drittel und von 2007 bis 2030 um 50% ansteigen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010). Zudem wird sich der Trend zur professionellen Pflege fortsetzen (Hackmann 2010). In Zukunft werden Pflegebedürftige häufiger in Alten- und Pflegeheimen oder von ambulanten Diensten versorgt als im familiären Umfeld. So ist von 1999 bis zum Jahresende 2009 die Anzahl der Personen, die in Heimen vollstationär versorgt wurden, um 27,5% gestiegen, während die Zahl der zu Hause Versorgten in diesem Zeitraum nur um 12,3% zugenommen hat. Bei der Pflege zu Hause ist zudem bei den ambulanten Pflegediensten mit 33,7% ein deutlich höheres Wachstum zu verzeichnen als für Pflegegeldempfänger (3,7%), die ohne professionelle Hilfe ihre Angehörigen versorgen (Statistisches Bundesamt 2007). Aufgrund dieser Schätzungen wird bis 2020 mit einem Mehrbedarf von 500.000 Pflegekräften gerechnet (Bundeskonferenz der Pflegeorganisationen 2006).
Dieser Bedarf an professionellen Pflegekräften kann jedoch aufgrund der demografischen Entwicklung kaum gedeckt werden. Nach Angaben des statistischen Bundesamts zählten im Jahr 2008 69% der Menschen im erwerbsfähigen Alter zur Altersgruppe der 20- bis 49-Jährigen und 31% waren 50 bis 64 Jahre alt. Bis 2024 wird der Anteil der älteren Erwerbsfähigen auf etwa 40% ansteigen (Statistisches Bundesamt 2009).
In Pflegeberufen ist dieser Trend heute schon erkennbar. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist von 1999 bis 2010 der Anteil der über 50-jährigen Beschäftigten in der Krankenpflege bzw. bei Hebammen von 12,2% auf 25,5% gestiegen. Bei den sozialpflegerischen Berufen, zu denen die Altenpflege gezählt wird, stieg dieser Anteil zwischen 1999 bis 2010 von 19,3% auf 30,6% an (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit 2012). Andererseits zeigt sich, dass Ausbildungsplätze in der Alten- und Krankenpflege nicht ausreichend besetzt werden. Während die Nachfrage nach qualifiziertem Personal weiter ansteigt, nahm der Anteil der Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflegende im Zeitraum von 2000 bis 2008 um 10% ab (Isfort et al. 2010).
Die Arbeitslast in der Pflege wird in Zukunft zu einem großen Teil von Beschäftigten über 50 Jahren getragen. Diese Entwicklung stellt die Pflege vor die Herausforderung, ältere Beschäftigte gesund, motiviert und erwerbsfähig bis zum Eintritt ins Rentenalter im Pflegeberuf zu halten, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.
1.2 Erwerbsfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderungsund Altersrenten – Begriffsklärung
Bei der Diskussion über den demografischen Wandel und den daraus resultierenden Pflegekräftemangel ist es notwendig, die Begrifflichkeiten und Voraussetzungen, die unmittelbar einen Einfluss auf den Pflegekräftemangel haben, näher zu erläutern. Als eine Determinante für den Pflegekräftemangel ist zunächst die Erwerbsfähigkeit der Pflegekräfte zu nennen. Aber was genau bedeutet Erwerbsfähigkeit? Nach dem SGB II (2011) wird Erwerbsfähigkeit wie folgt definiert: „Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein“ (SGB II, 2011). Treffender drückt es Milles (1998) aus: „Was den Griechen Genußfähigkeit und dem Mittelalter Glaubensfähigkeit, ist der kapitalistischen Gesellschaft die Erwerbsfähigkeit. Sie wird als Norm gesetzt, markiert Ziele sozialer Sicherung und ermöglicht deren Finanzierung.“ In Bezug auf die Situation im Sektor Kranken- und Altenpflege zeigt sich dies deutlich, denn die Erwerbsfähigkeit der Pflegekräfte, als Norm gesetzt, hat einen direkten Einfluss auf die soziale Sicherung im Sinne der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und ermöglicht deren Finanzierung, indem erwerbstätige Pflegekräfte soziale Abgaben für die Gesundheitsversorgung leisten (z. B. Krankenkassenbeitrag, Pflegeversicherung) und gleichzeitig aus diesen (über Umwege) ihren Lohn erhalten.
Wenn die Erwerbsfähigkeit nicht mehr oder nicht mehr in vollem Maße gegeben ist, spricht man von verminderter Erwerbsfähigkeit; dieser Begriff wurde in der gesetzlichen Rentenversicherung zum Jahresbeginn 2001 eingeführt. Bei einer verminderten Erwerbsfähigkeit tritt die Erwerbsminderungsrente in Kraft. Diese wird bewilligt, wenn aufgrund einer erheblichen gesundheitlichen Einschränkung eine Erwerbstätigkeit gar nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich ist. Das System der Erwerbsminderungsrente ist zweistufig gestaffelt. Auf Basis der individuell berechneten Altersrente mit 60 Jahren sind zwei Leistungen vorgesehen. Dabei bildet die aus arbeitsmedizinischer Sicht festgestellte Erwerbsfähigkeit ein wichtiges Kriterium für die Rentenhöhe. Eine volle Erwerbsminderungsrente tritt bei einer verminderten Erwerbsfähigkeit von unter drei Stunden pro Tag in Kraft und eine halbe Erwerbsminderungsrente bei einer verminderten Erwerbsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden pro Tag. Der Anteil der Erwerbsminderungsrenten an der Gesamtberentung betrug 2004 etwa 20%. Das durchschnittliche Alter beim Eintritt in die Erwerbsminderungsrente lag bei 50 Jahren. Psychiatrische Erkrankungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Neubildungen (Krebs) und Krankheiten des Kreislaufsystems sind die häufigsten Diagnosen für eine Erwerbsminderung (Rehfeld 2006). Wenn im Zuge der demografischen Entwicklung der Anteil der Pflegekräfte mit einer verminderten Erwerbsfähigkeit zunimmt, wird sich die angespannte Lage in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zuspitzen.
Die verminderte Erwerbsfähigkeit ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Arbeitsunfähigkeit. Nach dem SGB V liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte aufgrund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Bei der Beurteilung ist darauf zu achten, welche