Der Beste - Gert Heidenreich - E-Book

Der Beste E-Book

Gert Heidenreich

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Beschreibung

Gert Heindenreich erzählt in seinem Beitrag für das Kursbuch 171 von Georg Darda. Der Versicherungsangestellte Mitte vierzig lebt mit seiner Schwester in der elterlichen Wohnung. Über Nacht wandelt sich sein Äußeres in kafkaesker Manier. Allerdings verwandelt sich Georg nicht wie Gregor Samsa in einen Käfer – er wird attraktiver. Georgs Chefin bemerkt die Verwandlung bald und beginnt eine Affäre mit ihrem Angestellten. Georgs Karriere bekommt neuen Aufschwung.

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Seitenzahl: 20

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Gert Heidenreich

Der Beste

Eine Erzählung

Als Georg Darda eines Morgens aus einem unruhigen Traum erwachte, erhob er sich leicht wie lange nicht, stellte fest, dass die morgendlichen Gliederschmerzen ausblieben, lief ins Badzimmer und fand sich vor dem bodenlangen Spiegel zu einer schönen, fremden Gestalt verwandelt. Nach einigen Wendungen und Drehungen sah er sich ins Gesicht und flüsterte voller Bewunderung: »Perfekt!«

Er hatte seine engerlingbleiche, abgerundete Figur erwartet, der man die äußerliche und innerliche Nachgiebigkeit ansah, und fand stattdessen einen Mann mit ländlich gebräuntem Teint vor, dem er zugetraut hätte, einen Sklavenaufstand zu führen. Heldische Proportionen, virile Muskelwölbungen, kein überschüssiges Unterhautfettgewebe, straffe Haltung, unübersehbar ein gewisser Stolz in den Schultern: All dies war er von seinem Ebenbild nicht gewohnt, schon gar nicht nach dem Aufstehen.

Auch sein Gesicht ließ die gewohnte nächtliche Erschlaffung und Müdigkeit nach dem kurzen Schlaf in der Augusthitze vermissen: Die Augen blickten wach, hatten anstelle ihres grünlichen Graus ein leuchtendes Blau angenommen und wurden nicht mehr von den Oberlidern überfallen. Sein dunkelbraunes Haar, sonst von Nachtschweiß verklebt, stand in mutiger Frisur über der Stirn. Eigentlich hätte Georg erschrecken müssen, denn zweifellos war etwas mit ihm geschehen, das vollkommen unbegreiflich, wenn auch angenehm war. Doch alles, was er empfand, war Verwunderung.

Er schüttelte den Kopf, und sein Gegenüber tat dasselbe, schien sich also mit ihm einig zu sein, dass die Wirklichkeit sich verschoben hatte und an jenem Morgen ein, wenn auch schmeichelhafter, Wahrheitsverlust eingetreten war. Georg verdächtigte sich sogleich, seinen erotischen Traum in einen weiteren fortgesetzt zu haben, in welchem er sich aus dem Bett erhoben hatte und ins Badezimmer gegangen war. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Der schöne Mann stand nach wie vor im Spiegel.

Langsam hob er den rechten Arm, winkelte ihn über den Kopf und berührte mit der Hand sein linkes Ohr. Er hätte nicht begründen können, warum er diese Geste für eine taugliche Prüfung der Realität hielt. Als er seine Ohrmuschel zwischen den Fingerspitzen hielt, fühlte sie sich fremd an; der sonderbar geformte, gummiartige und kühle Körperteil schien einem anderen Menschen zu gehören, was aber daran liegen konnte, dass er sein linkes Ohr noch nie mit der rechten Hand von oben her angefasst hatte.