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Der Mann hatte das Gefühl, er müsste etwas für seine Bildung tun und buchte eine Reise in die Türkei, um sich auf den antiken Kulturstätten etwas um zu sehen und Erholung und gleichzeitig Bildung zu tanken, womit er sich dann in seinen heimatlichen Gefilden brüsten könnte. Scheinheilig bot er zunächst seiner Frau an, in die Türkei zu reisen, weil das doch ihr ganz spezielles Interesse sei, die aber lehnte ab wegen der anstrengenden stundenlangen Fahrten in der Hitze, so dass er sich ruhigen Gewissens davon machte und sich die Reise auch noch von seiner Frau finanzieren ließ.
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Der Bildungsreisende
Renate Kronberg
Der Bildungsreisende
Troja und andere Merkwürdigkeiten
Renate Kronberg
Es war eine Führung auf der Ausgrabungsstätte Troja vorgesehen, die unseren Bildungsreisenden eigentlich nicht sonderlich interessierte. Seine Phantasie reichte nicht aus, um eine Beziehung zwischen den restlichen Steinfragmenten und der ehemaligen stolzen Trutzburg Troja herzustellen, die zehn Jahre lang den von See heranstürmenden Griechen widerstanden hatten und nur durch einen Trick des hinterhältigen Odysseus zu Fall gebracht werden konnte.
Weit und breit war keine Meeresbucht mehr zu sehen, in der einst Agamemnon und seine Spießgesellen geankert hatten, kein grünschäumende Skamander, an dessen Ufern die Mägde Hekabes das Linnen wuschen und bleichten. Keine saftigen Wiesen an den Hängen des Ida, auf denen Paris die heiligen Herden des Priamos gehütet hatte und wo ihm die stutenbissigen Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera erschienen waren und ihm schmeichelnd das Blaue vom Himmel versprochen hatten, wenn er die, die seinem Ohr gerade am nächsten war, zur Schönsten und damit zur Miss Olympia küren würde.
Aphrodite wollte ihm zum Lohn die schönste sterbliche Frau der Welt in die Arme legen, wenn Paris ihr den Apfel zuerkannte. Und da er ein junger Heißsporn war, begierig auf Liebesabenteuer, und ihm Weisheit und Macht, die ihm die beiden anderen eitlen Weiber versprochen hatten, völlig schnurzpiepe waren, warf er Aphrodite den Apfel zu und machte sich damit die abgeblitzten Göttinnen zu unversöhnlichen Feindinnen und setzte in seiner Torheit ahnungslos ein Schicksal in Gang, das ihn, seine Familie und ganz Troja vernichten sollte. Cherchez la femme!
Ein paar verstreut herumliegende Gesteinsbrocken und ein nachgebautes überlebensgroßes Holzpferd versuchte ziemlich kläglich, Zeugnis von der dramatischen Vergangenheit abzulegen.
Unvorstellbar, dass Hektor hier von dem wutschnaubenden Achill hinter dessen Streitwagen zu Tode geschleift wurde, bis auch der angeblich unverwundbare Achilles seiner Ferse zum Opfer fiel. Der hölzerne Zossen zwischen den Gesteinsbrocken konnte der Phantasie da auch nicht mehr auf die Beine helfen. Die Bucht war verlandet. Das Meer hatte sich weit zurückgezogen und Troja lag jetzt im Landesinneren und in Trümmern. Die meisten kleineren Steine hatten die Touristen wahrscheinlich schon als Andenken mit nach Hause geschleppt.