Der Blabla-Wumms - Lars Haider - E-Book

Der Blabla-Wumms E-Book

Lars Haider

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Beschreibung

Warum sprechen so viele Politikerinnen und Politiker, wie sie sprechen, und sagen dabei nichts? Was bringt es, Wortungetüme wie Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung zu erfinden und sich von allen Formulierungen immer die komplizierteste auszusuchen? Können Olaf Scholz und Co. Nicht anders, wollen sie nicht anders, dürfen sie nicht anders? Und welche Rolle nehmen dabei die Medien ein? "Spiegel"-Bestsellerautor Lars Haider und FUNKE Chefredakteur Jörg Quoos geben in diesem Buch die Antworten, die man von der Politik normalerweise nicht bekommt – und zwar so, dass man sie verstehen kann!

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Lars Haider

Jörg Quoos

DERBLABLAWUMMS

Was Politiker (nicht) sagen – und wie man es versteht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

IMPRESSUM

1. Auflage Oktober 2023

Lektorat: Sibylle Brakelmann

Satz und Gestaltung: Joachim Bartels

Umschlagabbildungen: Dirk Bruniecki, Mark Sandten/FUNKE Foto Services

Umschlaggestaltung: SOFAROBOTNIK Büro für Gestaltung, München

Druck und Bindung: Drukkerij Wilco B.V., Vanadiumweg 9, NL–3812 PX Amersfoort

© Klartext Verlag, Essen 2023

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-8375-2594-6

eISBN 978-3-8375-2595-3

Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KGJakob-Funke-Platz 1, 45127 [email protected]

INHALT

„Wir müssen besser werden in der Synchronisation der Vertrauensgrundlage“

Ein Vorwort, das wirklich Wumms hat, vielleicht sogar Doppel-Wumms

Teil I

… in dem Lars Haider erklärt, warum Politiker so sprechen, wie sie sprechen

Niemand hat die Absicht, eine Frage zu beantworten

Warum Politiker am liebsten gar nicht mit Journalisten sprechen würden – und es trotzdem tun

Wenn Macht sprachlos macht

Wieso sich die Rhetorik von Politikern umso mehr ändert, je wichtiger sie sind

Die Angst vor dem einen Satz, der sich verselbstständigt

Von „Privatwohnungen, die durchsucht werden müssen“ über die „kleinen Paschas“ bis zum „Hafengeburtstag“

Die Sehnsucht nach dem einen Satz, den sich alle merken

Von „Yes we can“ über „Die Rente ist sicher“ bis „You’ll never walk alone“

Wenn alle reden und keiner zuhört

Über die Gesprächskultur in einem Land, das immer hysterischer wird, obwohl der Kanzler genau das nicht will

Es ist schrecklich kompliziert und wird immer komplizierter

Was die Sprache der Politiker damit zu tun hat, dass sie viele Sachverhalte gar nicht durchdringen (können)

Mehrheiten sind wichtiger als Wahrheiten

Warum die politische Kommunikation während und nach Wahlkämpfen ihren Höhe- und ihren Tiefpunkt erreicht

Die Rolle der Journalisten und wie die Berliner Blase alles schlimmer macht

Warum Journalisten eine Mitschuld daran tragen, wie Politiker sprechen

Let Bartlet be Bartlet

Authentisch und rhetorisch brillant? Warum nicht alle so reden und auftreten können wie Barack Obama

„Kriegst du nicht, Alter“

Robert Habeck und die Antwort auf die Frage, ob Politiker vielleicht auch anders sprechen können

EPILOG

„Vergiss nicht, du bist Bundeskanzler“

Erklär mir einer den Scholz – ein Besuch in Berlin und die Frage, warum man sich Politik überhaupt antut

Teil II

… in dem Jörg Quoos erklärt, wie man Politikersprache übersetzt

Von Aufklärung, schonungslose bis z wie zeitnah

Was hinter den häufigsten Politfloskeln wirklich steckt

Es gilt das umgeschriebene Wort

Wie Politiker mit einem Autorisierungsmarathon gute Gespräche ruinieren können

Die hohe Schule der Teflon-Antworten

Wie man auch auf die kritischsten Fragen antwortet, ohne zu antworten

Ein Großmeister des Blablas

Ernüchternde Momente im Auswärtigen Amt

Ich mag arm sein, aber nicht „sozial schwach“

Wie die Politik mit Sprache ihren Bürgern die Ehre nimmt

Vorsicht, jetzt wird’s teuer!

Wenn diese Begriffe fallen, will die Politik nur Ihr Bestes – Ihr Geld

Schöne Begriffe machen noch keine schöne Politik

Der peinliche Trend zum wohlklingenden Gesetz

Die Mutter aller Blabla-Reden

Die Geschichte einer Stammelrede, die zum Kult wurde

Vom „kleinen Mann“ oder „nahe bei den Leuten“

Wenn Politiker ganz volksnah sein wollen

Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit

Von klaren Worten, die man politisch nicht überlebt

Dumme Antworten auf noch dümmere Fragen

Wie wir Journalisten klare Sprache in der Politik verhindern

„Alternative für Deutschland“?

Die zwei Sprachebenen der neuen Rechten

Die wundersame Welt der Phrasen

Viele Begriffe, wenig Inhalt

Die Sprache der Grünen

Oder wie man plötzlich Kriegspartei ist

„Sie kennen mich“ und „Wir schaffen das“

Emotionen als Politikersatz

Die Kunst der guten Rede

Fragen an Wolfgang Schäuble

Die Sprache des Krieges

Warum wir ihr uns verweigern müssen

Noch Fragen?

„Wir müssen besser werden in der Synchronisation der Vertrauensgrundlage“

Ein Vorwort, das wirklich Wumms hat, vielleicht sogar Doppel-Wumms

Um zu erklären, worum es in diesem Buch geht, braucht man drei Dinge. Eine einfache Frage, die sich mit Ja oder Nein beantworten lässt, einen Journalisten, der sie stellt, und einen Politiker, dem sie gestellt wird. Die Frage lautet: „Kannten Sie diesen Spot?“, der Journalist ist der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer Stephan Lamby und der Politiker heißt Olaf Scholz. Den durfte Lamby vor der Bundestagswahl 2021 mit der Kamera begleiten und bekam dabei mehr zufällig mit, dass die SPD einen Werbespot nach einmaliger Ausstrahlung wieder aus dem Verkehr gezogen hatte. In dem Filmchen waren CDU-Größen wie Armin Laschet, Friedrich Merz und Jens Spahn in Zusammenhang mit dem nach rechts außen gerutschten Hans-Georg Maaßen gebracht und ansonsten frontal angegangen worden. Das Ding war offensichtlich misslungen, und als die ersten Kritiken entsprechend ausfielen, entschloss sich der damalige SPD-Wahlkampfmanager Lars Klingbeil, den Spot nicht mehr zu zeigen. Es blieb die Frage, ob Olaf Scholz ihn gekannt hatte, man kann sie leicht und schnell beantworten. Es sei denn, man ist ein Politiker wie Scholz. Aus Platzgründen dokumentieren wir sein Frage- und Antwortspiel mit Stephan Lamby hier deutlich gekürzt:

Lamby: „Kannten Sie diesen Spot?“

Scholz: „Der Kampagnenleiter hat mir berichtet, dass er nicht ausgesendet wird und dass er genau einmal gezeigt worden ist.“

Lamby: „Und warum?“

Scholz: „Es ist so, dass sich die Kampagne auf die Dinge konzentriert, die für die Zukunft unseres Landes wichtig sind. Und deshalb geht es mir um die Plakate und die Botschaften, die wir damit verbinden, und das, was wir da vorgebracht haben.“

Lamby: „Herr Scholz, es tut mir leid, aber ich muss da beharren. Es gibt doch einen Grund, warum dieser Spot jetzt nicht mehr gezeigt wird. Deshalb eine ganz einfache Frage: Warum?“

Scholz: „Wir brauchen eine klare Debatte, zum Beispiel über die Frage, dass es nicht in Ordnung ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die Frage, wie wir unsere Zukunft finanzieren …“

Lamby: „Nur damit ich es verstehe. Kannten Sie den Spot?“

Scholz: „Die Maßnahmen, die ich gebilligt habe, sind die, über die wir hier miteinander gesprochen haben und die ich auch richtig finde. Das sind die Plakate, über die wir hier reden, und manches, das noch keiner kennt und das demnächst kommt.“

Kann jemand, der nicht bereit ist, eine derart simple Frage zu beantworten, Bundeskanzler werden? Wir alle kennen die Antwort, die uns zum Kern des Problems führt, um das es in diesem Buch gehen soll. Dass Politiker seltsam sprechen, dass sie Fragen ausweichen und Floskeln für Aussagen halten, ist keine neue Erkenntnis. Schon im Jahr 1972 machte sich der große Komiker Loriot darüber in seiner „Bundestagsrede“ lustig: „Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch – ohne darum herumzureden – in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms.“ Das war lustig, aber rund 50 Jahre später ist uns das Lachen vergangen. Mit dem Amtsantritt des neunten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland hat die politische Sprachverwirrung babylonische Ausmaße erreicht. Ausgerechnet in einer von mehreren zeitgleich auftretenden Krisen geprägten Zeit, in der es viel zu erklären gäbe und die Menschen unbedingt verstehen müssten, um was es geht, ist die Kommunikation zwischen der Politik und den Bürgern gestört wie nie. Was in der langen Ära Merkel begann, in der die Menschen bewusst nicht mit Politik belästigt werden sollten, in der Entscheidungen als alternativlos verkauft und deshalb nicht groß erklärt wurden, hat unter Olaf Scholz einen neuen Höhepunkt erreicht. „Dieses aggressive Schweigen, dieser minimalistische Kommunikationsansatz gepaart mit dem hanseatischen Stoizismus ist schon verwunderlich“, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Es schmerze ihn geradezu, dass Scholz auf Fragen nicht antwortet, „obwohl er es könnte“. Ob Letzteres stimmt, ist auch etwas, was wir in diesem Buch klären werden. Der erste Befund ist jedoch eindeutig und man kann ihn noch drastischer beschreiben. Der Politikjournalist Nikolaus Blome, der seit vielen Jahren über die Bundesregierungen und ihre Kanzler berichtet, macht das so: „Olaf Scholz stellt man eine Frage und er beantwortet eine andere. Wenn man von ihm wissen will, wie spät es ist, sagt er: ‚Es regnet.‘ Das ist eine Form von Kommunikationsverweigerung, die ich bislang von niemandem kannte.“

Dass jemand, der so spricht, wie Scholz spricht, Bundeskanzler werden kann, zeigt, was die Politik in den vergangenen Jahrzehnten mit der Sprache gemacht hat und umgekehrt. Der ehemalige heute-journal-Moderator Claus Kleber hat zu seinem Abschied dem Spiegel dazu Folgendes gesagt: „Es ist ein merkwürdiges Wettrennen darum entstanden, in Interviews möglichst wenig preiszugeben und sich dann mit einem triumphierenden Lächeln zu verabschieden.“ Das sei immer und immer schlimmer geworden, „die gucken das alle voneinander ab. All diese Medientrainer, die der Politik eingeredet haben, dass man möglichst wenig sagt, sollten gefeuert und durch Menschen ersetzt werden, die etwas von inhaltlichen Argumenten verstehen.“ Klingt gut, doch die politische Realität ist, bis hinauf ins Kanzleramt, eine andere.

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht, bezogen auf die wegen des russischen Einmarsches in der Ukraine benötigten zusätzlichen Gasimporte nach Deutschland, von „meiner Prüfidee, dass die Europäische Union einen atmenden Deckel für Importgas einführt“. Omid Nouripour, Chef der Grünen, sagt in der Talksendung von Maybrit Illner über atmosphärische und sonstige Störungen in der Ampel-Koalition: „Ich glaube, dass wir besser werden müssen in der Synchronisation der Vertrauensgrundlage, in der wir arbeiten.“ Und der Bundeskanzler, immer wieder der Bundeskanzler, antwortet auf die Frage einer Journalistin bei einer Pressekonferenz am Anfang des Krieges in der Ukraine, wie es denn nun mit der Lieferung schwerer Waffen dorthin sei: „Schönen Dank für Ihre Frage, die mir nämlich eine Gelegenheit gibt, nach der ich schon seit einiger Zeit suche. Schauen Sie sich doch mal um, was andere so tun, die mit uns eng verbündet sind, zum Beispiel unsere Freunde in den G7, die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien, und was die liefern, die sind mit ihren Militärs zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen. Was solches Gerät betrifft, geht es um sofort verfügbare Einsatzsysteme, die vor allem dann nutzbar gemacht werden können, wenn es welche sind, die in der Ukraine schon eingesetzt werden, und deshalb ist es so, dass es kein Zufall ist, dass alle zu dem gleichen Schluss gekommen sind, dass es den meisten Sinn macht, wenn zum Beispiel solche Systeme, die bei den osteuropäischen NATO-Partnern noch vorhanden sind, von dort aus eingesetzt werden und wir denen dann ermöglichen, dass ihre eigene Sicherheit für die Zukunft gewährleistet bleibt. Also, der Blick in die Welt hilft manchmal weiter …“ Aber die Journalistin und damit die Bürger blieben hilflos zurück, genauso wie ein Student, der zu einem späteren Zeitpunkt des Krieges, inzwischen hatten sich die Strom- und Gaspreise in Deutschland vervielfacht, vom Kanzler wissen wollte, wie das denn nun mit dem Energiegeld für die Studierenden ist. Antwort: „Auf alle Fälle haben alle Bürgerinnen und Bürger mit den Preissteigerungen zu kämpfen. Die, die wenig haben, natürlich am allermeisten. Deshalb muss es auch so sein, dass wir die Situation immer wieder neu bewerten. (…) Es ist eine schwierige Situation. Wir werden weiter gucken, was zu tun ist. Die konzertierte Aktion, die Lage von Studierenden gehört auf alle Fälle dazu. Niemand darf alleingelassen werden.“

Was soll das heißen? Was meint der Kanzler, wenn er erst von einem „Wumms“ und ein paar Monate später von einem „Doppel-Wumms“ spricht? Gibt es den auch in drei- und vierfach? Und spricht man so eigentlich zu Bürgern, zu Wählern beziehungsweise zu den „Menschen da draußen“, wie wir von der Politik auch gern genannt werden, als würden wir weit, weit weg irgendwo auf dem Land sitzen und sowieso nicht verstehen können, was richtig und wichtig für uns ist? Der CDU-Politiker Norbert Röttgen sagt, dass Deutschland endlich eine politische Kommunikation brauche, „die die Menschen nicht für dumm hält“ und in der die Entscheider die eigene Bevölkerung und deren Bereitschaft, sich mit größeren Zusammenhängen auseinanderzusetzen, nicht unterschätzen. Die Neue Zürcher Zeitung, kurz NZZ, wird in einem langen Text über die Verständigungsschwierigkeiten zwischen der Politik und den Menschen in Deutschland noch deutlicher. Sie schreibt unter der Überschrift „Und jetzt machen wir alle noch den Doppel-Wumms – wie die deutsche Politik infantilisiert“: „Weil die Herausforderungen immer grösser und komplizierter werden, versucht die Politik, die Kommunikation mit den Menschen draußen im Lande auf möglichst einfache Bilder und Metaphern herunterzubrechen. Komplexe Gesetzesvorhaben, deren Einzelheiten am Ende nur eine Handvoll Beamte verstehen, werden mit wohlklingenden Namen im Geiste des Poesiealbums versehen: ‚Gute-Kita-Gesetz‘, ‚Starke-Familien-Gesetz‘ oder ‚Respekt-Rente‘, nicht zu vergessen das ‚Baukindergeld‘, das nichts mit Kinderarbeit zu tun hat. Vielmehr erinnert es von ferne an Legosteine und bunte Bauklötzchen und verströmt wohlige Assoziationen an frühere, unbeschwerte Zeiten, ein emotionales Sedierungsprogramm.“

Die viel beklagte Politikverdrossenheit, die ihren sichtbarsten Niederschlag in den zu geringen Beteiligungen an Landtags- und Bundestagswahlen hat, entsteht auch dadurch, dass man mit Wählern so redet, als hätten sie gerade erst das Alphabet gelernt. Wer nicht versucht, sich gemeinsam über etwas zu verständigen, und zwar so, dass möglichst viele mitreden können, kommt irgendwann an den Punkt, dass das Verständnis für den anderen schwindet. Es ist nicht anders als in einer Ehe: Wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, wenn man sich nicht mehr darüber einigen kann, was wichtig ist und was nicht, geht man getrennte Wege. Das ist schon in einer Familie tragisch, in einer Demokratie kann es dramatisch werden. Wer sich dort nämlich einen neuen Partner sucht, landet schnell bei Populisten, Radikalen und Extremisten. Die Alternative für Deutschland hat ihren Erfolg auch dem Umstand zu verdanken, dass andere Parteien den Wählern zu bestimmten Themen nichts zu sagen hatten. Oder dass das, was sie zu sagen hatten, so schwammig und unkonkret war, dass die Betroffenen damit nichts anfangen konnten.

Der Publizist Albrecht Lucke staunt angesichts der geschilderten Lage einerseits über den „Ich-weiß-alles-besser“-Gestus von Olaf Scholz und andererseits über dessen Formulierungsschwächen: „Er findet für vieles nicht die richtigen Worte. Das ist in Krisenzeiten, in denen die Menschen jemanden brauchen, der sie mitnimmt und der menschlich agiert, ein großes Problem.“ Noch mal die NZZ zum gleichen Thema: „Olaf Scholz hat die Methode der obstinaten Antwortverweigerung zur Meisterschaft gebracht. Deshalb ähneln sich seine Äußerungen, ob im Fernsehen oder vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, wie ein Toblerone-Stück dem anderen. Wie in der Werbung steht die Wiederholung des Immergleichen im Zentrum. An dieser Wand mit der Stabilität der Jerusalemer Klagemauer prallen alle kritischen Einwürfe ab.“

Von einer „Rhetorik der Realitätsverleugnung“ ist die Rede, eine Formulierung, an die Gregor Gysi anknüpft. Es sei eine politische Kommunikation entstanden, sagt die Ikone der deutschen Linken, „die Erwartungen des Publikums an Information und mögliche Meinungsbildung verachtet“. Inzwischen gäbe es Politiker, die sich so an ihre nichtssagende Sprache gewöhnt hätten, dass sie gar nicht mehr anders reden könnten, selbst wenn sie wollten. Die Sprache des politischen Betriebes sei zunehmend „hohl und unattraktiv geworden“, dabei gehe es darum, „diejenigen, die später dann mit politischen Beschlüssen leben müssen, bereits am Prozess der Entscheidungsfindung zu beteiligen“. Dafür müssten die Bürger aber verstehen, worüber geredet wird: „Politiker müssen lernen, ihre Sprache zu übersetzen, ich kann es doch auch.“

Warum tun sie es dann nicht? Warum sprechen so viele (nicht alle) Politiker so, wie sie sprechen und reden, ohne etwas zu sagen? Wieso antworten sie nicht auf die Fragen, die man ihnen stellt? Was bringt es, immer neue Wortungetüme zu erfinden wie Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung oder Abstimmungsbekanntmachung und sich von allen Formulierungen immer die komplizierteste auszusuchen? Können Politiker nicht anders, wollen sie nicht anders, dürfen sie nicht anders? Diese und viele andere Fragen werden wir in diesem Buch beantworten und zeigen, wie komplex politische Kommunikation ist, die nicht nur von den handelnden Personen, sondern auch von diversen Zwängen und festgefahrenen Strukturen abhängt. Und von denen, die all das widerspiegeln, den Journalisten, zu denen wir gehören und die an der Entwicklung nicht unschuldig sind. Die Medien könnten und müssten Teil der Lösung sein, oft sind sie aber Teil des Problems.

Dass es trotz „Wumms“ und „Doppel-Wumms“ keine einfachen Antworten geben kann, wenn man sich der seltsamen Sprache unserer Politiker nähert, zeigt ein Text aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem versucht wird, Kindern zu erklären, warum „die da oben“ so sprechen, wie sie sprechen. Man solle sich, heißt es, einmal folgende Situation vorstellen: „Ein Mädchen ist 15 und geht auf Klassenfahrt. Sie ärgert sich über die bescheuerte Lehrerin; sie hat Heimweh; sie knutscht zum ersten Mal mit einem Jungen; sie findet ein Mädchen plötzlich viel netter als das Mädchen, das eigentlich ihre beste Freundin ist; sie heult, weil der Junge auf einmal mit einer anderen knutscht; dann schreibt der Junge ihr aber wahnsinnig süße WhatsApps. So weit normal. Aber am Ende dieser Klassenfahrt treffen sich alle Schüler und die Lehrerin in einem großen Saal und plötzlich sind auch die Eltern des Mädchens da. Das Mädchen muss vorn auf die Bühne und alle wollen wissen: Wie war die Klassenfahrt für dich? Tja, und nun? Das Mädchen will vor der bescheuerten Lehrerin nicht sagen, dass die bescheuert ist, vor den Coolen nicht, dass sie Heimweh hatte, vor dem Jungen nicht, dass sie wegen ihm geheult hat, vor den Eltern nicht, dass sie geknutscht hat, vor der besten Freundin nicht, dass ein anderes Mädchen netter ist, vor dem anderen Mädchen nicht, dass es netter ist (sonst schnappt es vielleicht direkt über). Was soll sie also sagen, wenn alles Interessante nicht geht? ‚War ganz okay‘? Damit ist kein Zuhörer zufrieden. Die Lage ist erkennbar schwierig.“

Für Politiker ist sie noch sehr viel schwieriger. Es beginnt damit, dass sie eigentlich gar nicht vorhaben, Fragen zu beantworten, die Journalisten ihnen stellen.

TEIL 1

… in dem Lars Haider erklärt, warum Politiker so sprechen, wie sie sprechen

Niemand hat die Absicht, eine Frage zu beantworten

Warum Politiker am liebsten gar nicht mit Journalisten sprechen würden – und es trotzdem tun

Wenn Markus Lanz in der nach ihm benannten ZDF-Sendung im Gespräch mit einem Politiker nicht weiterkommt, sagt er gern einen Satz wie: „Sie kennen das Spiel. Ich stelle die Fragen, Sie geben die Antworten.“

Schön wär’s.

Die Realität ist anders und sie lässt sich gut an einem Interview beschreiben, das das Hamburger Abendblatt vor ein paar Jahren im Bundeskanzleramt mit Angela Merkel geführt hat. Ein Treffen mit ihr war für die meisten Journalisten grundsätzlich keine Freude. Viel mehr als 30, vielleicht maximal 45 Minuten waren bei der Kanzlerin nicht drin, die normalerweise selbst den Kaffee für ihre Gäste einschenkte, um die Dauer des Besuches nicht unnötig zu verlängern. Wir waren damals zu dritt ins Kanzleramt gekommen: zwei Reporter und einer der besten und unauffälligsten Fotografen, die es in Berlin gibt. Die genannten Eigenschaften waren wichtig, weil Angela Merkel eine Sache noch weniger mochte als Fragen, die ihr gestellt wurden – nämlich, dass Bilder von ihr gemacht wurden.

Wir wurden von Regierungssprecher Steffen Seibert empfangen, er brachte uns ins Vorzimmer der Bundeskanzlerin. Fünf Minuten nach dem vereinbarten Gesprächstermin ging die Tür auf, Angela Merkel gab erst einem der Reporter, dann dem Fotografen die Hand, drehte sich um und wollte um die Ecke zurück in ihr Büro gehen, als Steffen Seibert ihr hinterherrief: „Frau Bundeskanzlerin, die Herren sind heute zu dritt gekommen.“ Was er damit sagen wollte, war: Sie haben vergessen, den zweiten Reporter zu begrüßen. Merkel drehte sich sichtlich genervt um, nickte dem Mann zu und sagte: „Sie standen im Licht.“

Wir ahnten, dass danach kein Small Talk folgen und die Bundeskanzlerin die Sache schnell würde hinter sich bringen wollen. Wir hatten uns noch nicht richtig hingesetzt, da war der Kaffee schon eingeschenkt. „Na, da sind Sie froh, ein Interview mit mir zu haben, was?“, sagte Merkel und signalisierte damit, dass wir anfangen sollen. Das Gespräch war im Vorfeld einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein zustande gekommen und dazu wollten wir ein paar Fragen stellen. Wir wollten als Hamburger Abendblatt auch über Hamburg sprechen, immerhin die Geburtsstadt Merkels. Der Kanzlerin selbst gefiel das alles nicht. Sie fing nach der zweiten Frage an, unruhig zu werden, nach der dritten knurrte sie: „Wollen Sie jetzt die ganze Zeit mit mir über Schleswig-Holstein reden?“ Als der Fotograf, der sich in eine Ecke des Büros verdrückt hatte und von dort behutsam und leise fotografierte, auf den Auslöser drückte, fuhr sie ihn an: „Hören Sie auf, mich so abzuschießen.“ Wir machten trotzdem weiter, mit einer Frage, die Hamburg-Bezug hatte und die Merkels Stimmung nicht verbesserte. Sie habe nichts zu Hamburg zu sagen und verstünde nicht, warum man sie zu einer Stadt befragen würde, nur weil sie dort auf die Welt gekommen sei, und überhaupt würde sie jetzt endlich über wichtige Themen sprechen wollen, über den Euro zum Beispiel, darüber gebe es wirklich etwas zu sagen … Eigentlich hätten wir das Interview an diesem Punkt abbrechen müssen, aber wir trauten uns nicht und fingen tatsächlich an, über Europa und den Euro zu sprechen, zugegeben keine journalistische Glanzleistung. Aber immerhin eine, die sich heute eignet, um zu zeigen, was Politiker von diesem Frage-Antwort-Spiel halten, mit dem dieses Kapitel begann: nämlich nichts.

„Mein Traum als Bundeskanzler war, einmal in der Woche von 20 bis 20:15 Uhr auf den großen Fernsehsendern zu den Bürgern zu sprechen“, sagt Gerhard Schröder, ganz ohne die lästigen professionellen Fragesteller. Für Politiker in anderen Ländern hat sich dieser Traum erfüllt. Der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump konnte seine Anhängerschaft direkt via Twitter informieren und indoktrinieren, zumindest so lange, bis man ihn dort rausgeschmissen hat. Von solchen Follower-Zahlen, also Zuschauern und Lesern, wie sie Trump in den sozialen Medien hatte, sind deutsche Politiker aber weit entfernt. Sie brauchen nach wie vor Journalisten, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen. „Es wird oft vergessen, dass Politiker nicht in ein TV-Studio kommen, um Fragen zu beantworten, sondern um ein riesiges Publikum zu erreichen, das es ohne den Interviewer nicht gibt“, sagt Armin Wolf, Anchorman beim ORF in Österreich. Wolf ist einer der am meisten gefürchteten und respektierten Fragesteller in Europa, was ihn aber nicht davor schützt, dass auch bei ihm Politiker ignorieren, was der Moderator eigentlich wissen will. Etwa Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung im österreichischen Bundeskanzleramt, deren Dialog mit Wolf der Standard wie folgt dokumentierte:

Armin Wolf: „Frau Bundesministerin, was sind denn die wichtigsten zwei Punkte, in denen sich die türkis-grüne Europapolitik von der türkis-blauen unterscheiden wird?“

Karoline Edtstadler: „Ich darf zunächst sagen, dass ich tatsächlich für Europa brenne. Das hat begonnen während der EU-Ratspräsidentschaft, wo ich Österreich vertreten durfte. (…) Und es geht jetzt darum, wirklich die Leitlinien für die nächsten Jahre auf einen guten Weg zu bringen, und da spreche ich vor allem davon, dass wir die großen Dinge gemeinsam lösen müssen, das pro-europäisch angehen und uns auch Verbündete suchen innerhalb Europas.“

Armin Wolf: „Ich unterbreche Sie ungern in Ihrer ersten Antwort, aber das hat gar nichts mit meiner Frage zu tun. Wie wird sich die türkis-grüne Europapolitik von der türkis-blauen unterscheiden?“

Karoline Edtstadler: „Ich kann von mir sprechen und da gibt es einen pro-europäischen Zugang, den ich auch weiterverfolgen werde. Der Zugang ist der, dass wir die großen Dinge gemeinsam lösen, die Frage der Migration etwa.“

Armin Wolf: „Den Unterschied kenne ich immer noch nicht.“

Das Beispiel zeigt zwei Dinge. Erstens, dass selbst ein cleverer Journalist wie Armin Wolf damit scheitern kann, auf seine Fragen eine Antwort zu erhalten, auch wenn er sie wiederholt. Zweitens, dass Politiker eben nicht Politiker geworden sind, um sich von Journalisten vorschreiben zu lassen, was und worüber sie zu sprechen haben. Sie wollen die Zeit, die sie im Fernsehen haben, oder die Zeilen, die ihnen in Zeitungen oder auf Internetportalen bei einem Interview zur Verfügung gestellt werden, nutzen, um eigene zentrale Botschaften zu platzieren. Im besten Fall ergibt sich das durch eine Frage, die entsprechend umgedeutet oder erweitert werden kann, im schlechtesten Fall muss man die Frage ignorieren und als Mittel zum Zweck nutzen. „Wenn man als Fragesteller möchte, dass jemand einen Satz genau so formuliert, wie man das will, dann muss man sich einen Papagei anschaffen. Der macht das“, sagt der SPD-Politiker Ralf Stegner. Und weiter: „Die Rollenverteilung zwischen Journalisten und Politikern sollte schon sein, dass die einen fragen, was sie möchten, und die anderen sagen, was sie für richtig halten.“

Das kann dazu führen, dass Journalisten Grundregeln aus ihrer Ausbildung vergessen, etwa die, in Interviews möglichst offene Fragen zu stellen und keine, auf die die Befragten Ja oder Nein sagen können, um wenigstens einmal eine klare Antwort zu bekommen. Oft gelingt es nicht, es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Politiker selbst bei Livesendungen über die Fragen hinweggehen, als seien sie gar nicht gestellt worden. Statt eine direkte Antwort zu geben, sagt man einfach: „Bevor ich dazu komme, würde ich gern auf einen Punkt eingehen, den ich für noch wichtiger halte“, oder: „Das ist eine interessante Frage, aber lassen Sie mich vorher …“ Diese Art, Fragen zu ignorieren, hat einen eigenen Namen, man nennt sie die 3-T-Technik, die T stehen für touch, turn und tell. Soll heißen: Der Politiker streift mit seiner Antwort kurz die Frage, die ihm gestellt worden ist, und wendet sich dann dem Thema zu, über das er lieber sprechen will und auf das er besser vorbereitet ist.

Wem das zu kompliziert ist: Noch einfacher ist es, insbesondere bei TV-Interviews, auf die erste Frage, die gestellt wird, so lange wie möglich zu antworten. „Österreichische Politiker scheinen alle zu denselben Medientrainern zu gehen, die ihnen genau das empfehlen“, sagt Armin Wolf. „Denn je länger sie reden, desto weniger unangenehme Fragen kann der Interviewer stellen.“ In seinem Land gebe es kaum noch Politiker, die Antworten unter einer Minute geben würden. Besonders raffiniert wird es, wenn ein Politiker versucht, eine Frage in mehreren Teilen zu beantworten, so nach dem Motto: „Es gibt drei Argumente, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind. Erstens …“ Spätestens dann hat der Interviewer verloren, weil er gezwungen ist, seinen Gast alle drei Punkte vortragen zu lassen.

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender und Bundesfinanzminister, war lange ein Meister dieser Drei-Punkte-Rhetorik und es gibt wenige Politiker, bei denen der Unterschied zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen Auftreten gegenüber Journalisten so groß ist wie bei ihm. Jedes Mal, wenn ich Lindner zu einem Interview für einen Podcast getroffen habe, war ich erstaunt, wie radikal und auf den Punkt er den Schalter umlegen kann. Es gibt einen Christian Lindner vor den Kameras und Mikrofonen und einen Christian Lindner, wenn die Kameras und Mikrofone ausgeschaltet sind, ein Befund, den er nicht abstreitet, wenn man ihn darauf anspricht. Denn natürlich ist jemand wie er, sind die meisten Politiker in der Lage, auf Fragen zu antworten. In Hintergrundgesprächen kann selbst Olaf Scholz über Politik so sprechen, dass man, glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, ihm gern zuhört. Aber wenn es ernst wird, wenn es um eine Veröffentlichung geht, ist das vorbei. Dann erfährt jeder Journalist, der meint zu wissen, wie ein Politiker spricht oder tickt, dass er irrt. Und umgekehrt.

Vielleicht ist das auch ganz gut so. Auf jeden Fall zeigt sich an der Art und Weise, wie Politiker mit journalistischen Fragen umgehen und wie sie sich zum Teil darüber lustig machen, dass es so etwas wie eine Kumpanei, die den Medien mit der Politik oft unterstellt wird, nicht gibt. Im Gegenteil ist meine Erfahrung, dass selbst Politiker, die in der Öffentlichkeit das hohe Lied der Pressefreiheit singen und die Bedeutung eines kritischen Journalismus für unsere Demokratie betonen, insgeheim die Presse manchmal verfluchen. „Es gibt Abende, da hasse ich Sie, und es gibt Abende, da liebe ich Sie“, hat ein Spitzenpolitiker einmal zu Markus Lanz gesagt und mit dieser Einschätzung ist er nicht allein.

Grundsätzlich basiert das Verhältnis von Politik und Medien, die auf Außenstehende manchmal wirken, als würden sie miteinander klüngeln, mehr auf Miss- denn auf Vertrauen. Die Nähe, die die handelnden Personen zueinander haben, weil sie sich permanent treffen (müssen) und miteinander sprechen, täuscht. Am Ende weiß jeder um die Rolle des anderen, es ist ein professionelles Spiel, in dessen Mittelpunkt die Sache mit den Fragen steht, die die einen für ihr Publikum stellen und die die anderen oft nicht beantworten wollen. Wobei Politiker, die darauf trainiert sind, Fragen zu ignorieren, unterschätzen, dass sie damit nicht nur den Interviewer, sondern auch die Zuschauer verärgern können. Wer immer nur spricht, ohne etwas zu sagen, wird irgendwann niemandem mehr haben, der ihm zuhört.

Ich habe einmal Olaf Scholz in einem Podcast, also in einer Situation, in der er deutlich schwieriger ausweichen konnte als in einem Zeitungsinterview, das hinterher autorisiert werden muss, gefragt, warum er auf Fragen nicht antworte. Es war eine skurrile Situation, wir mussten beide grinsen, und während ich die Frage formulierte, wurde mir klar, dass er natürlich diesmal nicht antworten würde. Er äußerte immerhin ein paar Sätze, die an dieser Stelle gut passen und die so für viele Politiker in unserem Land (und, wie wir gelernt haben, auch in Österreich) gelten. Scholz sagte: „Ich versuche, eine geordnete Antwort zu geben, sagen wir es mal so. Jeden Satz, den man als Politiker sagt, muss man so sagen, dass ihn jeder versteht, auch wenn er nicht dabei gewesen ist. Man kann nicht darauf setzen, dass der Rahmen, in dem ein Satz gefallen ist, immer mitgeliefert wird.“ Wenn man so denkt, wird selbst eine Formulierung wie „Guten Morgen“ schwierig, vor allem, wenn man nicht irgendein Politiker ist, sondern Bundeskanzler, und wenn die großen Themen nicht Gendern oder die rechtzeitige Abgabe der Grundsteuererklärung sind, sondern ein Krieg mitten in Europa.

Wenn Macht sprachlos macht

Wieso sich die Rhetorik von Politikern umso mehr ändert, je wichtiger sie sind

Die Rede war als eine mit historischen Dimensionen angekündigt worden und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre sie das tatsächlich geworden. Am 26. März 2022 sprach Joe Biden vor tausend geladenen Gästen im Warschauer Königsschloss. Es ging um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine im Speziellen und die Verteidigung der Demokratie im Allgemeinen, als der amerikanische Präsident ein paar Worte sagte, mit denen niemand gerechnet hatte. „Um Gottes Willen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben“, bildete den Abschluss seiner Rede und mit „dieser Mann“ war natürlich der russische Präsident Wladimir Putin gemeint. Wer Bidens Auftritt verfolgte, hielt unwillkürlich den Atem an. Hatte der US-Präsident wirklich den Sturz des Kriegstreibers gefordert? Wollte es der Führer der freien Welt im Zweifel darauf ankommen lassen, Putin aus dem Kreml zu jagen? Und was hieß das, im Blick auf die militärische Konfrontation zwischen der NATO und Russland, die ja um jeden Preis vermieden werden sollte?

Das waren Fragen, die für eine kurze Zeit in Redaktionen auf der ganzen Welt und in den sozialen Medien diskutiert wurden, bevor das Weiße Haus das tat, was man nicht nur in der Politik zurückrudern nennt. Die Aussagen des eigenen Präsidenten wurden relativiert, Biden wolle nicht über Putins Macht und Stellung entscheiden, er habe lediglich gemeint, dass der russische Präsident keine Macht über Nachbarn oder die Region ausüben sollte, hieß es. Die Botschaft war eindeutig: Der Satz hätte so niemals fallen dürfen, weil er missverstanden werden und von Russland als Beweis dafür genommen werden könnte, dass es den USA und ihren Verbündeten bei der Unterstützung der Ukraine im Kern doch um den Sturz Putins gehe. US-Außenminister Antony Blinken versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war, indem er erklärte: „Wie Sie wissen und wie Sie uns wiederholt sagen hören, haben wir keine Strategie für einen Regimewechsel in Russland oder sonst wo.“ Trotzdem konnte die russische Führung ihren Bürgern den Beweis präsentieren, dass nicht Putin, sondern Biden sich aggressiv in die Belange anderer Staaten einmischt, die ihn überhaupt nichts angehen.

US-Präsidenten neigen dazu, Äußerungen von sich zu geben, die mindestens unbedacht bis undiplomatisch sind, manchmal können sie sogar heikel werden. Unvergessen ist, wie einer der Vorgänger Bidens, Ronald Reagan, vor Beginn eines TV- und Radioauftritts bei der Tonprobe Folgendes sagt: „Liebe Amerikaner, es ist mir ein Vergnügen, Ihnen heute mitzuteilen, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für vogelfrei erklärt. Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten.“ Das sollte lustig sein, ein Scherz in der Annahme, dass die Mikrofone nicht angeschaltet sind (was sie aber waren), ist aber riskant, genauso, wie es Joe Bidens Worte in Warschau waren. Wer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Premierminister von Großbritannien oder Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist, muss in jeder Sekunde wissen, dass alles, was er sagt und macht, eine Wirkung hat, und dass er deshalb bei seinen Auftritten sehr vorsichtig und konzentriert sein muss.