Der Blaue Saphir - Barbara Cartland - E-Book

Der Blaue Saphir E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Lady Bramforde nimmt einige Entbehrungen auf sich auf, um ihrem Sohn, dem jungen Lord Bramforde einige Monate von standesgemäßen gesellschaftlichen Leben in London zu ermöglichen. Da der Familienbesitz schon so gering war, musste sie sogar ihren letzten Familienschmuck, die Saphir Halskette der Bramfordes, durch Glassteine ersetzen lassen und die echten Steine verkaufen. Ihr Sohn verliert die vermeintliche Saphir Kette im Glücksspiel an den sehr wohlhabenden und attraktiven Marquis von Ingleton. Um die Familie davor zu bewahren bloß gestellt zu werden, dass die Steine nur aus Glas sind, heckt Lord Bramforde einen Plan aus, um die Kette wieder zurückzubekommen. Seine junge und sehr schöne Schwester Carmella soll ihm dabei behilflich sein und mit ihm einer Einladung des Marquis folgen und ein Wochenende auf dem herrschaftlichen Landsitz des Marquis von Ingleton verbringen.
Wird es den Geschwistern gelingen, den Marquis zu täuschen und den Familienschmuck wieder in ihren Besitz zurückbekommen? Oder wird der Marquis von Ingleton ihr Spiel durchschauen?

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Der Blaue Saphir

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2024

Copyright Cartland Promotions 1985

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

Hörbücher

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1. Kapitel

Carmella saß in dem kleinen Wohnzimmer und verzierte ein Kleid ihrer Mutter mit Spitze. Sie war so nah wie möglich ans Fenster gerückt, denn über London lag dichter Nebel.

Das junge Mädchen sehnte sich nach dem strahlenden Sonnenschein, den es vom Land her kannte und liebte. Jeden Morgen, wenn sie erwachte, wünschte sie sich nach Bramforde House zurück. Der Park wäre in helles Sonnenlicht getaucht, die Vögel sangen und die Pferde erwarteten sie im Stall. Carmella betrachtete jeden Augenblick, den sie in der schmalen Straße mit den eintönigen Häusern verbringen musste, als vergeudete Zeit. Anscheinend war der Himmel hier ständig bewölkt

Gerry zuliebe war sie nach London gezogen. Sie hatte ihrer Mutter von ganzem Herzen zugestimmt, dass dies ihre Pflicht sei.

Als der vierte Lord Bramforde starb und sein Sohn Gerald das Erbe antrat, hatten sie feststellen müssen, dass sie es sich nicht leisten konnten, weiterhin in dem großen Haus zu wohnen. Der Herrensitz gehörte den Bramfordes schon seit der erste Lord Stallmeister von König Georg II geworden war. Doch jetzt blieb der Familie nichts anderes übrig, als sich eine neue Bleibe zu suchen.

Es war Gerry, der seine Mutter gebeten hatte, sie sollten nach London übersiedeln »Alle meine Freunde,.mit denen ich zusammen in Oxford studiert habe, führen ein flottes Leben«, erklärte er. »Ich halte es hier nicht mehr aus, wo man nur unter Kohlköpfen dahinvegetiert und nicht einmal ein gutes Pferd reiten kann.«

Lady Bramforde hatte Verständnis für ihren Sohn. Gleichzeitig sagte sie sich, dass dann auch Carmella das Recht hatte, an einer Saison in London teilzunehmen, sofern genügend Geld da war. In einem der Prachträume des Buckingham-Palastes wurde sie den Hofknicks machen, wenn nicht vor der Königin persönlich, dann doch zumindest vor der schönen Prinzessin Alexandra von Wales.

Carmella war gerade erst achtzehn, Gerry fast zweiundzwanzig.

Schließlich kam Lady Bramforde zu dem Ergebnis, dass ihr geliebter Sohn, der jetzt außerdem der fünfte Lord Bramforde war, den Vorrang vor der Tochter haben müsse. Wenigstens für kurze Zeit sollte er wie ein Gentleman leben.

Es folgten ausgedehnte Beratungen im Familienkreis. Am Ende wurde Bramforde House dicht gemacht und der Obhut zweier älter Diener als Verwalter überlassen. Die Familie aber trat ihre Reise nach London an.

Lady Bramforde mietete für sich und Carmella ein kleines Haus am Eaton Square. Gerry bekam ein Junggesellenquartier, wie alle seine Freunde in Mayfair.

Carmella benahm sich sehr selbstlos. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, als ihr die Mutter erklärte, dass es unmöglich sei, sie als Debütantin in die Gesellschaft einzuführen. Sie verstand, dass sie warten müsse, bis Gerry festen Fuß gefasst habe.

Lady Bramforde versprach, ihre wenigen Freunde in London zu verständigen, sie hoffe, dass Carmella sie kennenlernen werde. Doch ob sie daraufhin auch nur zu einem einzigen Ball eingeladen werden würde, war höchst zweifelhaft.

»Ich verstehe, Mama«, erwiderte Carmella. »Natürlich muss Gerry angemessen gekleidet sein und kann nicht ohne einen Penny im Portemonnaie in den Klub gehen.«

»Mein Gott, hoffentlich fangt er nicht an zu spielen«, rief Lady Bramforde leidenschaftlich. Sie stimmte aber Carmella dann zu, dass Gerry seinen Platz im Leben selbst finden müsse. Etwas später könne man dann auch für Carmella einen Plan entwerfen.

»Mach dir keine Sorgen um mich« sagte Carmella tapfer. »Mit dir zusammen bin ich vollkommen glücklich, Mama. Ich werde etwas für meine Bildung tun und in alle Museen, Kunstgalerien und natürlich auch in den Tower von London gehen.«

Lady Bramforde lachte »Das tun wir ganz sicher, mein Liebling.«

Bedauerlicherweise wurde Lady Bramforde bald nachdem sie nach London übergesiedelt waren, krank. Der Arzt sah die Ursache in dem Schock, den sie beim Tod ihres Mannes erlitten hatte. Er war bei einem Unfall ums Leben gekommen. Lady Bramforde war ohnehin seit Jahren nicht mehr bei Kräften. Ein herrschaftliches Haus auf dem Land mit nur wenigen Dienern zu führen hatte sich als für sie zu anstrengend erwiesen.

»Ihre Mutter braucht Ruhe«, sagte der Arzt zu Carmella. »Wenn Sie es ermöglichen können, würde ich empfehlen, dass sie den Winter in einem milderen Klima verbringt, in Südfrankreich etwa.«

Carmella murmelte etwas, worauf er eilig weitersprach. »Ich weiß, das ist unmöglich. So müssen Sie sie eben pflegen und dafür sorgen, dass sie sich nicht zu viel zumutet.«

»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Carmella.

So kam es, dass Lady Bramforde die meiste Zeit ans Haus gefesselt war und mit ihr auch die Tochter, die das aber klaglos hinnahm.

Zur Unterhaltung las Carmella die Gesellschaftsspalten der Zeitungen und blätterte die Zeitschriften durch. Sie behandelten alle dasselbe Thema die stadtbekannten schönen Frauen an der Seite des Prinzen von Wales.

Es beschlich sie Wehmut, wenn sie daran dachte, wie gern sie sie einmal gesehen hätte. Wenn sich ihre Mutter wieder wohl genug fühlte, wurden sie vormittags ab und zu zum Rotten Row gehen, um einen Blick auf die feinen Damen zu werfen, die in ihren offenen, von herrlichen Pferden gezogenen Kutschen spazieren fuhren.

Die Herren thronten dagegen auf feurigen Hengsten. Das weckte Carmellas Sehnsucht nach ihren Pferden, die sie auf dem Land hatten zurücklassen müssen.

In den letzten vierzehn Tagen war Lady Bramforde allerdings nicht kräftig genug gewesen, um das Bett zu verlassen.

Carmella war die Treppe bestimmt tausendmal am Tag auf- und abgelaufen. Sie hatte ihre Mutter mit allem Nötigen versorgt und sie davon abgehalten, zu früh aufzustehen.

»Ich muss wieder unten im Salon sein, wenn Gerry kommt«, erklärte Lady Bramforde. »Es gibt nichts Langweiligeres für einen jungen Mann, als Frauen krank im Bett vorzufinden.«

»Gerry wird Verständnis haben, weil er dich liebt, Mama«, erwiderte Carmella.

Trotzdem wollte Lady Bramforde unbedingt aufstehen.

‚Vielleicht fühlt sie sich morgen schon so gut, dass sie hinabsteigen kann,‘ dachte Carmella. Wenn Mama nur ruhig und gelassen bliebe. Es wäre entsetzlich, wenn sie sich wie Papa nach seinem Unfall aus dem Leben stehlen würde.

Eines Tages hatte er lachend erklärt, er werde bald aufstehen und über das Gut reiten. Am nächsten Morgen fand man ihn tot im Bett. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, als ob er gerade eine Hürde mit Bravour genommen hatte. So schien es jedenfalls Carmella.

‚Wenn Mama etwas passiert, werde ich ganz allein sein,‘ dachte sie. Ich habe keine Ahnung, was dann aus mir werden soll oder ob mich jemand bei sich aufnimmt. In London hatten sie nur sehr wenig Verwandte.

Es existierten zwar eine Reihe von Verwandten mit dem Familiennamen Bramforde, die über das Land verstreut waren. Aber Carmella konnte sich nicht daran erinnern, dass auch nur einer sie in sein Herz geschlossen hatte. Schon ihr Vater war nicht beliebt.

‚Vielleicht täusche ich mich, aber das könnte daran gelegen haben, dass wir uns immer selbst genug waren Papa, Mama, Gerry und ich.‘ Sie seufzte. ‚Wir kümmerten uns nicht um die anderen Bramfordes und wurden ihnen dadurch gleichgültig.‘

Unter diesen Umständen wurde nach dem Tode der Mutter niemand bereit sein, sie bei sich aufzunehmen. Es blieb ihr Gerry, der aber möglicherweise in einigen Jahren heiraten würde. Sie selbst hatte diese Chance bestimmt nicht!

»Es tut mir leid, mein Schatz, dass du dich auf der Gesellschaft heute Nachmittag so gelangweilt hast«, sagte die Mutter eine Woche, bevor sie erkrankte. Traurig fuhr sie fort. »Als ich mich im Ballsaal umsah, entdeckte ich nur Personen über fünfzig.«

»Der alte General ist doch ein gescheiter Mann, Mama«, erwiderte Carmella.

Lady Bramforde seufzte. »Du sollst dich nicht mit alten Generalen, sondern mit jungen Offizieren und charmanten jungen Herren, die sich zu Ehemännern eignen, unterhalten.«

Carmella lachte. »Auf Gesellschaften, wie wir sie in letzter Zeit besucht haben, wird man sie kaum antreffen.«

»Da hast du vollkommen recht«, räumte Lady Bramforde ein. Sie dachte daran, dass die Gesellschaften, zu denen sie eingeladen waren, alle von ihren schon älteren Verwandten veranstaltet wurden. Es lag kein Glanz auf ihnen. Sparsamkeit und Langeweile waren die Hauptkennzeichen.

Zu den regelmäßigen Gästen gehörte der Pfarrer. Er ließ sich von den Abendgesellschaften auch dann nicht abschrecken, wenn sie noch trübsinniger waren als gewöhnlich. Es kam vor, dass Speisen und Gespräche an Qualität sehr zu wünschen übrigließen.

»Ich muss mich mehr um dich kümmern«, sagte Lady Bramforde nachdenklich. »Werde jetzt bitte nicht eingebildet. Aber du entwickelst dich sichtlich zu einer Schönheit.« Sie betrachtete ihre Tochter und fuhr dann fort. »Es ist ein großer Fehler, dass du deine Zeit mit deiner Mutter und ihren alten Freunden verbringst.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen, Mama«, erwiderte Carmell.a »Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Außerdem könnte es ja sein, dass Gerry, wenn er sich erst einmal in London eingewohnt hat, ein paar von seinen noblen Freunden mitbringt.« Sie wusste, dass das eine Illusion war. Anscheinend schämte sich ihr Bruder des kleinen Stadthauses, in dem sie zur Miete wohnten. Es war alles andere als ein Herrensitz, wie er Gerry gebührte. Sein Vater und dessen Vorfahren hatten noch in einem stattlichen Gebäude gelebt, wie es der Stellung ihrer Familie in der Grafschaft entsprach.

Plötzlich hatte Carmella eine Idee. »Was hieltest du davon, Mama, wenn wir wieder nach Hause zurückkehrten? Natürlich könnten wir es uns nicht leisten, wieder im Hauptgebäude zu wohnen. Das wäre auch zu anstrengend für dich.« Aufgeregt rief sie. »Aber wie wäre es mit einem der kleineren Gebäude oder selbst einer Hütte auf unserem Gut?« Mit einschmeichelnder Stimme fuhr sie fort. »Wir könnten dann wenigstens die Gärten nutzen, wenn sie jetzt auch verwildert sind, und den Park sowie die Weiden, wo ich reiten könnte.«

Das junge Mädchen glaubte schon, ihre Mutter überzeugt zu haben, doch Lady Bramforde erwiderte. »Nein, Carmella. Als ich mich entschloss, nach London zu ziehen, geschah das, um möglichst nahe bei Gerry zu sein und mäßigend auf ihn einzuwirken, wenn er ein luxuriöses Leben begänne.« Sie schwieg einen Moment und meinte dann zögernd. »Wenn Gerry erst einmal festen Boden unter den Füssen hat, sollst auch du zu deinem Recht kommen und amüsante Leute kennenlernen, die zu dir passen. Aber im Augenblick ist nichts zu machen.«

Carmella kannte den Grund. Gerry von einem wirklich eleganten Schneider einkleiden zu lassen hatte beispielsweise eine für ihre Verhältnisse enorme Summe verschlungen. Das erforderte Opfer von den Familienmitgliedern, vor allem von Mama.

»Ich mag nicht mehr zu den Abendgesellschaften gehen«, sagte sich Carmella, während sie mit dem Annähen der Spitze beschäftigt war. »Ich möchte zurück aufs Land.« In ihrer Voreingenommenheit gegenüber London glaubte sie, dass hier die Sonne niemals scheine. Sie dachte, die Luft sei immer feucht und die Straßen stets nass vom Regen. »Ach, wäre ich doch zu Hause«, flüsterte sie. Doch plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie solche egoistischen Gedanken nicht hegen durfte.

Als Carmella das Kleid ihrer Mutter vollends mit Spitze besetzt hatte, ging die Tür auf. Gleichmütig wandte sie den Kopf, da sie annahm, es handle sich um eines der Dienstmädchen. Stattdessen erschien Gerry. Sie stieß einen Entzückensschrei aus, sprang auf, wobei die Schere, die noch auf ihrem Schoß gelegen hatte, zu Boden fiel, und rief. »Gerry! Was für eine Überraschung! Ich hatte keine Ahnung, dass du uns heute Nachmittag besuchen würdest.«

»Ich muss mit dir reden, Mella«, erklärte Gerry und sprach sie dabei mit dem Kosenamen an, den er für sie erfunden hatte. »Ich brauche nämlich dringend deine Hilfe.«

»Meine Hilfe?« rief Carmella erregt. »Was ist denn passiert?« Der Gesichtsausdruck des Bruders verhieß ihr nichts Gutes.

An der Art, wie er im Zimmer auf und ab ging, erkannte sie, dass er hochgradig nervös war. Schließlich blieb er vor dem kleinen Kamin stehen.

‚Wie groß mein Bruder ist, und wie gut er aussieht‘, dachte Carmella. Sie ging zu ihm, legte die Hände auf seine Schultern, gab ihm einen Kuss auf die Wange und sagte dann. »Du kannst mir jetzt ruhig erzählen, was geschehen ist Mama schläft. Wir stören sie also nicht.«

»Das ist günstig, denn sie darf von dem Vorgefallenen nichts erfahren.«

»Und worum geht es dabei?« erkundigte sich Carmella und nahm auf dem Sofa Platz. Sie legte die Hände in den Schoß, faltete sie und sah ihren Bruder erwartungsvoll an.

Nach einem tiefen Seufzer gestand er. »Ich habe tausend Pfund im Spiel verloren.«

Carmella stöhnte auf. »Tausend Pfund! O Gerry, wie konntest du so etwas tun?«

»Ich war verrückt«, antwortete Gerry.

Von dem erlittenen Schock begannen Carmella die Hände zu zittern. Es kostete sie Mühe, mit ruhiger, freundlicher Stimme zu sagen. »Wie hat sich denn das abgespielt?«

Gerry fühlte sich gehemmt und wusste nicht, wie er beginnen sollte. Er verteidigte sich mit den Worten. »Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass ich wie berauscht war und gleichsam unter Zwang handelte.« Dann fügte er ärgerlich hinzu. »Vor Gericht wäre das allerdings kein Entschuldigungsgrund.«

Carmella rief erschrocken. »Was willst du damit sagen? Hast du etwas Strafbares getan?«

»Nein, natürlich nicht. Aber für dich und Mama wird es so aussehen. Mein Verbrechen ist derart, dass man mich hängen oder in der Morgendämmerung erschießen sollte.«

»Ich begreife kein Wort.«

»Also gut. Du wirst dich sicher erinnern, dass Mama mir vor ein paar Tagen ihre Halskette mit den Saphiren anvertraut hat, unsere berühmte Kette, um sie reparieren zu lassen.«

Das Wort ‚berühmt‘ sprach Gerry mit einem gewissen Sarkasmus aus. Carmella konnte sich denken, warum. Dieses Schmuckstuck war nämlich das einzige wertvolle Besitztum ihrer Mutter. Man nannte es ‚die Bramforde Halskette‘. Papa hatte sie vom Großvater geerbt und in seinem Testament bestimmt, dass seine Frau die Kette bekommen solle, aber unter der Bedingung, dass sie sie an Gerry und dieser sie an seine Nachkommen weitervererbe. Infolge seiner bedrängten finanziellen Lage besaß Papa sonst keine Wertgegenstände, die er seiner Frau hatte vermachen können. Immerhin hinterließ er ihr eine kleine Leibrente, die sie vor der größten Not bewahrte.

Lady Bramforde brachte die großartig wirkende Kette zur Bank, wo sie in Vergessenheit geriet. Erst als die Familie nach London übersiedeln wollte und verzweifelt nach Geldquellen suchte, fiel ihr das Wertstück wieder ein. Lady Bramforde spürte Erleichterung. Sie hatte ja nicht nur die Kosten für den Umzug zu decken, sondern musste auch Gerry wie einen jungen Gentleman nach der neuesten Mode ausstatten und den Dienern von Bramforde House, die schon zu alt waren, um anderswo unterzukommen, eine Rente zahlen. Deshalb wollte Lady Bramforde die Halskette verkaufen.

»Das kannst du doch nicht machen, Mama«, protestierte Gerry damals. »Dann wissen doch alle, dass wir kurz vor dem Ruin stehen.«

Lady Bramforde nahm den Vorwurf schweigend hin, und er fuhr fort. »Alle wissen, dass die Bramforde-Halskette in unserem Besitz ist. In verschiedenen Zeitschriften wurde darüber berichtet.«

Ursache war, dass sich an die Kette eine Geschichte knüpfte.

Der erste Lord Bramforde hatte einem Maharadscha in Indien das Leben gerettet und zum Dank dieses wertvolle Geschenk erhalten. Man hielt es für glückbringend. Indien war ein Land, für das sich auch die Königin Viktoria lebhaft interessierte. Als sie 1876 Kaiserin von Indien wurde, schrieben die Journalisten erneut über die Geschichte der Bramforde-Halskette und schmückten sie mit interessierte exotischen Einzelheiten aus.

Carmella hatte geäußert. »Verkaufen kannst du die Kette unter den gegebenen Umstanden nicht, Mama. Es gäbe zu viel Klatsch und Tratsch. Vielleicht würde man uns sogar mangelnden Patriotismus vorwerfen.« Sie machte eine kleine Pause und rückte dann mit ihrem Vorschlag heraus. »Aber warum solltest du dir nicht eine Kopie anfertigen lassen und die echten Steine verkaufen? Papa meinte zwar, einige seien nicht lupenrein. Trotzdem glaube ich, dass man dafür eine ansehnliche Summe bekommen kann.«

Zuerst hatte Gerry heftig protestiert. Doch schließlich kapitulierte er, da seine Wünsche sonst nicht zu erfüllen gewesen wären und man die Dienstboten mit einem lächerlich geringen Betrag hätte abspeisen müssen.

So brachten sie die Halskette zu einem vertrauenswürdigen Juwelier in Hatton Garden, der die Saphire tauschend echt nachbildete.

Carmella tröstete die anderen damit, dass man die imitierten Saphire nicht unters Mikroskop legen könne, solange Mama die unechte Kette trage. Mit bloßem Auge war nicht zu erkennen, ob es sich dabei um Edelsteine oder Glas handelte.

Bald darauf machte sich Lady Bramforde Gedanken, dass sie unbedingt mit Carmella zu verschiedenen Abendgesellschaften gehen müsse, sobald sie kräftig genug war. Dabei fiel ihr Blick auf die imitierte Halskette, und sie entdeckte, dass der Verschluss kaputt war »Wir müssen sie reparieren lassen«, sagte sie sich. Als Gerry zu Besuch kam, bat Lady Bramforde ihren Sohn, die Halskette zum Juwelier in Hatton Garden zu bringen. Einem weniger verschwiegenen Mann hatte sie sie nicht zu überlassen gewagt.

»Ich hatte die Kette ganz vergessen«, berichtete Gerry jetzt seiner Schwester. »Als ich mich dann doch wieder an sie erinnerte, schob ich sie hastig in die Hosentasche, um sie noch vor Ladenschluss nach Hatton Garden zu bringen.«

»Aber du bist gar nicht dort gewesen«, warf Carmella ein.

»Nein, ich machte bei White halt, um für jemand eine Nachricht zu hinterlassen. Dort traf ich ein paar Freunde, die gerade die Verlobung von Tony Winter mit einer jungen, hübschen Dame und reichen Erbin feierten.«

»Wer ist Tony Winter?«

»Der älteste Sohn des Earl von Monton«, erklärte Gerry. »Aber das ist unwichtig.«

Carmella schwieg, und er fuhr in seinem Bericht fort. »Natürlich trank ich auf Tonys Gesundheit. Das versteht sich von selbst. Und es blieb nicht bei einem Glas. Nach einer Weile lud er uns alle so liebenswürdig zum Dinner ein, dass man nicht nein sagen konnte. Dabei fehlte es nicht an Getränken.«

Carmella erschrak. Sie sah die Gefahr, in die er sich begeben hatte, sagte aber nichts.

Gerry nahm seine Erzählung wieder auf. »Als ich schon längst nicht mehr nüchtern war, gingen wir ins Spielzimmer hinüber, um zu sehen, was dort los war. Scherzes halber fingen wir selbst an zu spielen.« Er legte eine Pause ein und sprach dann mit schärferer Stimme weiter. »Auf einmal trat Ingleton ein und gesellte sich zu uns, da an den anderen Tischen nicht gespielt wurde.«

»Wer ist dieser Ingleton?« fragte Carmella.

»Um Gottes willen! Siehst du denn nie in die Zeitungen?« entgegnete Gerry. »Es wird doch über niemand in der guten Gesellschaft so viel geschrieben wie über den Marquis von Ingleton.« Er hob die Stimme. »Der Marquis ist ein Freund des Prinzen von Wales. Außerdem besitzt er die besten Rennpferde, die alle anderen überholen und stets als erste das Ziel erreichen. Er ist enorm reich, und es heißt, dass sich ihm die Frauen nur so an den Hals werfen.«

Carmella störte der Ton, mit dem ihr Bruder sprach. Aber Gerry achtete nicht darauf. »Mir ist er ausgesprochen unsympathisch«, sagte er. »Er ist hochmütig und benimmt sich, als gehöre ihm die ganze Welt und die anderen Erdenbürger waren kaum so viel wie ein Staubkorn wert.«

»Aber an jenem Abend hast du mit ihm gespielt, nicht wahr?« meinte Carmella leise.

»Nur ein Verrückter ist zu so etwas fähig. Aber ich war total betrunken, sozusagen voll wie eine Haubitze.«

»Und wie kamst du mit ihm ins Spiel?«

»Ganz einfach«, erwiderte Gerry. »Nach ein paar Runden zogen sich die anderen klugerweise zurück, und ich blieb mit dem Marquis allein übrig.« Er wurde wütend. »Weil ich Ingleton nicht leiden kann, wollte ich ihn unter keinen Umstanden gewinnen lassen.« Er ging in dem kleinen Zimmer auf und ab und fuhr dann fort. »Als wir bei den beiden letzten Karten angelangt waren, hielt es der Marquis nicht einmal für nötig, die seine umzudrehen. Er sagte nur ‚Ich setze das hier‘ und schob seinen Gewinn nach vorn. Es war ein stattlicher Stapel Goldmünzen.« Er fasste sich an die Stirn. »Dass er alles auf eine Karte setzte, erschien mir wie der blanke Hohn. Er war sich so verdammt sicher, dass er mich schlagen würde.«

Carmella bezeugte ihr Mitgefühl durch ein paar Murmellaute.

Daraufhin erzählte ihr Bruder weiter. »Suchend griff ich in eine meiner Hosentaschen und stellte fest, dass sie leer war. Besser wäre es gewesen, ich hatte es dabei belassen. Stattdessen schob ich nun meine Hand auch in die andere Hosentasche und stieß überrascht auf Mamas Halskette.«

»O nein«, hauchte Carmella.

»In meinem Rausch«, berichtete Gerry weiter, »schleuderte ich die Kette auf den Tisch und sagte ‚Und das setze ich dagegen‘. Einer der Anwesenden flüsterte ‚Oh, die Bramforde-Halskette’ Sie soll Glück bringen‘.«

»Und dann?« fragte Carmella, die nichts Gutes ahnte.

»Der Marquis sagte gedehnt ‚In Anbetracht dessen, was Sie einsetzen, Bramforde, möchte ich Ihnen vorschlagen, Ihre Karte zuerst aufzudecken‘.« Gerry stöhnte, während er sich erinnerte. »Ich war entschlossen, nicht aufzugeben, und hoffte wohl auch ein bisschen, dass mir die Halskette tatsächlich Glück bringen werde. Ich drehte also meine Karte um.«

»Und?«

»Es war eine Kreuzsech. «

»Und was für eine Karte hatte der Marquis?«

»Er wollte mich offensichtlich auf die Folter spannen, denn er wartete auffällig lange, ehe er seine Karte umdrehte. Dabei hatte er einen Zug der Verachtung im Gesicht, so dass ich ihm am liebsten eine heruntergehauen hatte. Und dann stellte sich heraus, dass es der Herzkönig war.«

Carmella rief. »O Gerry, wie konntest du nur so dumm sein.«

»Das begreife ich selbst nicht. Aber ich muss ziemlich angeschlagen ausgesehen haben, als der Marquis die Halskette an sich nahm und einsteckte. Er sagte dazu ‚Da es schwer ist, einen Gegenstand von historischem Wert zu schätzen, schlage ich Ihnen vor, Bramforde, wir vereinbaren die runde Summe von tausend Guineen, zahlbar innerhalb eines Monats. Sind Sie einverstanden?‘ Es fiel mir schwer, aber ich schaffte es zu sagen. ‚Gewiss, Mylord‘. Dann ging ich.«

Carmella und Gerry schwiegen längere Zeit.

Dann fragte Carmella zögernd. »Wie willst du dir tausend Pfund verschaffen? Das ist unmöglich.«