Der Blockchain-Faktor - Philipp Sandner - E-Book

Der Blockchain-Faktor E-Book

Philipp Sandner

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Beschreibung

Bitcoin & Co. waren nur der Anfang – die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, den Finanzsektor ebenso wie unsere Gesellschaft vollkommen auf den Kopf zu stellen. Sie ermöglicht eine Zukunft, in der Mittelsmänner überflüssig sind: eine Zukunft, in der Maschinen und technische Geräte aller Art autonom und dezentral agieren. Welche Auswirkungen hat sie auf unsere Gesellschaft und den Nationalstaat, wie wir ihn kennen? Wie nutzt ein etabliertes Unternehmen wie die Deutsche Bahn diese Technologie? Wo sieht ein Energieanbieter wie Innogy Potenziale und was macht die Blockchain für Start-ups und Investoren so attraktiv? Prof. Dr. Philipp Sandner, Prof. Dr. Andranik Tumasjan und Prof. Dr. Isabell Welpe werfen einen Blick in die Zukunft und lassen führende Finanzexperten wie etwa Peter Grosskopf (Börse Stuttgart), Matthias Felder und Moritz von Bonin (Deutsche Bahn), Felix Holtermann (Handelsblatt) und Martin Würmli (Stadt Zug, Schweiz) zu Wort kommen. Sie betrachten den Status quo, zeigen, welche wegweisenden Veränderungen die Blockchain-Technologie ermöglicht und warum sie die Macht besitzt, Banken überflüssig zu machen.

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Widmung

Für Satoshi Nakamoto

Danksagung

Die HerausgeberInnen danken sehr herzlich allen, die zu diesem Buch beigetragen haben und möchten neben allen Autoren und Autorinnen insbesondere auch Benjamin Horvath für seine kluge und engagierte Unterstützung im gesamten Entstehungsprozess des Buches danken, sowie den folgenden Personen für ihre administrative Unterstützung, Korrekturarbeiten und Lektorat: Philipp Hülsemann, Christian Liebke, Pascal Mehrwald, Barbara Rave, Stefan Schmitt, Simon Peters und Lorena Zurilov.

Inhalt

Einleitung

– Prof. Dr. Philipp Sandner, Prof. Dr. Andranik Tumasjan und Prof. Dr. Isabell Welpe –

Kapitel 1 – Die Auswirkungen der Blockchain auf Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt

– Prof. Dr. Horst Treiblmaier (Modul University Vienna) –

Kapitel 2 – Euro on distributed ledgers – Gibt es bald staatliche Währungen auf der Blockchain?

– Manuel Klein (Monetative e. V. / Frankfurt School Blockchain Center) –

Kapitel 3 – Der Blockchain-Staat – Wie sich die öffentliche Verwaltung durch die Blockchain verändert und der Nationalstaat in der heutigen Form überflüssig werden könnte

– Martin Würmli (Stadtverwaltung Zug/Schweiz) –

Kapitel 4 – Blockchain − Wegbereiter neuer Technologien und gesellschaftlicher Veränderung

– Joram Voelklein (Cryptology Asset Group) –

Kapitel 5 – Blockchain und Dezentralität: Eine Chance für Deutschland?

– Martin Schmidt, Nicolas Biagosch (Postera Capital) –

Kapitel 6 – Daten sind das neue Gold − Wenn IoT auf Blockchain trifft

– Prof. Dr. Sebastian Gajek (Flensburg University), Kerstin Eichmann (innogy Innovation Berlin) –

Kapitel 7 – Wie Blockchain und Dezentralisierung den Finanzsektor verändern werden

– Peter Grosskopf (Börse Stuttgart Digital Exchange) –

Kapitel 8 – Können wir dank der Blockchain Computern vertrauen?

– Maximilian Groth, Stefan Deml (decentriq) –

Kapitel 9 – Quo vadis, Bitcoin? – Kryptowährungen auf Sinnsuche

– Felix Holtermann (Handelsblatt) –

Kapitel 10 – China – die Blockchain-Supermacht?

– Dr. Jochen Biedermann (Blockchain Asia) –

Kapitel 11 – Wie Blockchain unser Rechtssystem verändern wird

– Dr. Richard Brunner (Dennemeyer) –

Kapitel 12 – Das liechtensteinische Blockchain-Gesetz: Rechtliche Grundlagen für die Token-Ökonomie

– Dr. Thomas Dünser (Regierung des Fürstentums Liechtenstein) –

Kapitel 13 – Mobilitätsökosystem der Zukunft

– Moritz von Bonin, Matthias Felder (Deutsche Bahn Systel) –

Quellenangaben

Literaturempfehlungen

Über die Autoren

Einleitung

– Prof. Dr. Philipp Sandner, Prof. Dr. Andranik Tumasjan und Prof. Dr. Isabell Welpe –

In den letzten Jahren haben sich digitale Technologien zu einem der wichtigsten Innovationstreiber entwickelt, der die Gesellschaft und Wirtschaft tiefgreifend verändert. Startschuss für diese andauernden einschneidenden Veränderungen war die Entwicklung von TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol) vor mehr als 40 Jahren. Auf diesem Netzwerkprotokoll basiert letztlich das heutige Internet, mit dessen Verbreitung sich Gesellschaft und Wirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegend gewandelt haben. Diese Entwicklungen haben insbesondere seit dem Aufkommen von Smartphones und Breitband-Internet noch einmal an Fahrt gewonnen. Im Zuge dessen entstanden vollkommen neue Geschäfts- und Organisationsmodelle, die traditionelle und etablierte Unternehmen einem hohen Wettbewerbs- und Innovationsdruck aussetzen. Die allgegenwärtige Präsenz des Internets in Beruf, Verwaltung und auch Zuhause hat Auswirkungen auf uns Individuen – und zwar milliardenfach, ganz gleich, in welchem Land oder in welcher Altersklasse.

Kaum eine neue digitale Technologie hat in den letzten drei Jahren so viel öffentliche Aufmerksamkeit erfahren wie die Blockchain-Technologie. Mit der Erfindung und Implementierung der dezentralen Kryptowährung Bitcoin – als deren »Rückgrat« die Blockchain-Technologie fungiert – wurde vor zehn Jahren der Grundstein für eine innovative Datenregister-Struktur gelegt, welche derzeit als sogenannte Querschnittstechnologie in fast allen Branchen als mögliche disruptive Innovation diskutiert wird.

Warum ist das so? Die Blockchain-Technologie bietet die Möglichkeit, eine weitere technologische »Schicht« auf die bestehende Internetinfrastruktur aufzusetzen, in der Vermögenswerte aller Art (z. B. Geld, aber beispielsweise auch Rechte an Grundstücken oder an Kunstgegenständen) digital verwaltet und digitale Transaktionen dieser Werte zwischen Individuen, Dingen und Organisationen direkt ohne die Zwischenschaltung eines Vermittlers (Peer-to-Peer) durchgeführt werden können. Im heutigen Internet ist bisher nur die Übertragung digitaler Informationen möglich. Diese Informationen können beliebig kopiert, verändert und weiterverbreitet werden, ohne dass Rückschlüsse auf den Ursprungscharakter dieser Informationen gezogen werden können. Aus diesem Grund kann das Internet in der Form, wie wir es heute kennen, auch als »Internet der digitalen Kopien« bezeichnet werden. Die digitale Verwaltung und Abwicklung von Vermögenswerten (z. B. Geld, Eigentumsrechten) erfordert nach wie vor die Anwesenheit eines vertrauenswürdigen Vermittlers, denn zwischen unterschiedlichen Parteien können derzeit im Internet nur digitale Kopien ausgetauscht werden. Das ist bei Informationen unproblematisch, bei Vermögen und Rechten jedoch nicht ausreichend.

Die Blockchain-Technologie verwandelt das Internet von einem »Internet der digitalen Kopien« in ein »Internet der digitalen Originale und Werte«. Denn einmal in einer Blockchain gespeicherte Daten und Informationen sind (nahezu) unveränderbar und damit vertrauenswürdig. In diesem Sinne lässt der heutige Wissensstand erwarten, dass die Blockchain-Technologie die digitale Wertschöpfung sowie Wirtschafts- und Geschäftsmodelle in naher Zukunft grundlegend verändern wird. So könnte es schon in zehn Jahren so weit sein, dass Werte aller Art (z. B. der Euro, Wertpapiere, aber auch Eigentumsrechte etc.) elektronisch und eindeutig identifizierbar auf Blockchain-Lösungen gespeichert werden.

Das Wort »Blockchain« wandelt sich im Sprachgebrauch zunehmend von seinem ursprünglichen Sinn der »verketteten Blöcke« (d. h. Blockchain im engeren Sinn) hin zu einem allgemeineren Begriff, der die sogenannten Distributed-Ledger-Technologien (DLT) in Gänze erfasst (d. h. Blockchain im weiteren Sinn). Obwohl die Blockchain-Technologie streng genommen eine Ausprägung der DLT ist, werden die Begriffe oftmals synonym verwendet.

Bereits bis zum Jahr 2017 wurden mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar in Blockchain-basierte Start-ups in der ganzen Welt investiert, was die Relevanz der noch jungen Technologie in den Augen von GründerInnen und InvestorInnen belegt. Doch nicht nur in Unternehmen, sondern auch in der breiten Gesellschaft und Öffentlichkeit wird die Blockchain-Technologie als sozialer Innovationstreiber diskutiert und ausprobiert. So identifizierte eine gemeinsame Studie der Stanford Universität und des Startups Ripple Works knapp 200 Projekte weltweit, die sich mit »Blockchain for Social Impact« in verschiedenen Bereichen wie Gesundheitswesen, finanzieller Teilhabe, Energie, Klima und Umwelt, Philanthropie und Wohltätigkeit, Demokratie, Landwirtschaft oder Grundbesitz beschäftigten. Diese Fülle an Themenfeldern zeigt das hohe Potenzial der Blockchain-Technologie für ganz unterschiedliche Interessensgruppen.

Deutschland, und insbesondere Berlin, ist international ein wichtiger Standort für die (Weiter-)Entwicklung und Implementierung der Blockchain-Technologie. Laut einer aktuellen Erhebung1 gibt es 200 Blockchain-Start-ups in Deutschland, von denen die Mehrheit ihren Sitz in den Städten Berlin (89), München (29) und Frankfurt (19) hat. Aber nicht nur Startups, sondern auch viele große und etablierte Unternehmen experimentieren mit der Blockchain-Technologie oder haben bereits erste funktionsfähige Prototypen entwickelt.

Auch die Bundesregierung hat das Potenzial der Blockchain-Technologie erkannt und im aktuell geltenden Koalitionsvertrag eine »nationale Blockchain-Strategie« angekündigt, welche aktuell konzipiert wird. Individuen und Organisationen konnten sich mittels einer »Online-Konsultation« im Frühjahr 2019 beteiligen und Input zu der zu konzipierenden Strategie liefern.

Dem soeben skizzierten gesteigerten Interesse der breiten Öffentlichkeit an der Blockchain-Technologie soll daher das vorliegende Buch Rechnung tragen. In 13 Kapiteln gehen die einzelnen Autoren der Frage nach, welche gesellschaftlichen Implikationen die Blockchain-Technologie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten haben wird. Dabei haben wir bei der Auswahl der Kapitel darauf geachtet, dass wir neben den wirtschaftlichen Implikationen insbesondere die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen in den Vordergrund stellen.

Im Beitrag von Horst Treiblmaier, Professor an der Modul University in Wien, wird aufgezeigt, wie Blockchain-Anwendungen mithilfe eines Rahmenmodells bewertet werden können und welche Auswirkungen die Blockchain-Technologie auf Wirtschaft, Gesellschaft, Privatsphäre und Arbeitswelt hat. Der Beitrag beruht auf über 20 Interviews mit Experten aus unterschiedlichen Branchen und zeigt die Vielfältigkeit möglicher Einsatzfelder und daher auch die Notwendigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit über Sektorengrenzen hinweg auf.

Nicht nur privatwirtschaftliche Banken, auch Zentralbanken weltweit interessieren sich heute für die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain-Technologie. Manuel Klein, Research Fellow am Frankfurt School Blockchain Center, geht der Frage nach, ob und warum es bald einen »Euro on chain« – also staatliche Währungen auf der Blockchain – geben könnte. Zentralbanken diskutieren seit einigen Jahren darüber, ob sie selbst digitales Bargeld (Digital Cash) ausgeben sollten, und einige Zentralbanken haben während des Krypto-Hypes bereits angekündigt, an solchen Plänen zu arbeiten. Doch welche Auswirkungen hätte ein solches digitales Bargeld auf den Aufbau und die Funktionsfähigkeit unseres heutigen Geldsystems?

Martin Würmli, seit 2014 Stadtschreiber (Verwaltungschef) der Stadt Zug in der Schweiz, beschreibt in seinem Beitrag, wie die Stadt Zug bereits heute Blockchain-Technologie, beispielsweise in der Bereitstellung von digitalen Identitäten für ihre Bürger, einsetzt. Er exploriert anschließend weitere Anwendungsfelder, die in naher Zukunft möglich sind: Wahlen, Abstimmungen und Registerführung. Der Beitrag kulminiert in der Betrachtung eines »Blockchain-geprägten Staats«: Lässt sich mithilfe der Blockchain-Technologie ein neues Staatsmodell entwickeln? Wird die nationalstaatliche Zukunft dezentraler aufgestellt sein und wie entsteht hierbei die nötige demokratische Legitimation?

Joram Voelklein, Mitglied des Advisory Board der Cryptology Asset Group und der KochBank, wirft einen Blick auf den Einfluss der Blockchain-Technologie auf neue datengetriebene Geschäftsmodelle und dadurch ausgelöste gesellschaftliche Veränderungen. Wird die Bedeutung der Blockchain-Technologie überschätzt? Welchen Wert haben Daten als neues »Öl« in der Zukunft? Und wie wird sich die Gesellschaft dadurch verändern?

Der anschließende Beitrag von Martin Schmidt, Partner der Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft Postera Capital aus Düsseldorf, greift das Thema der Dezentralität auf und diskutiert, inwiefern und inwieweit dezentrale Strukturen für Deutschland relevant sind. Er differenziert den häufig vage verwendeten Dezentralisierungsbegriff in drei Aspekte (Dezentralität von technischen Systemen, in Governance- und Entscheidungsprozessen sowie in der Wertschöpfung) und zeigt auf, wie der Blockchain-Standort Deutschland die Chancen der Technologie nutzen sollte und welche Risiken hierbei zu managen sind.

Kerstin Eichmann (im innogy Innovation Hub zuständig für das Blockchain Investment Cluster aka »Machine Economy«) und Sebastian Gajek (Professor an der Hochschule Flensburg und Leiter der dortigen Gruppe für IT-Sicherheit und Kryptografie sowie Gründer von Weeve) beleuchten in ihrem Beitrag die Schnittstelle von Blockchain und dem Internet of Things. Sie zeigen auf, wie die Maschinen-Ökonomie aussieht und was passiert, wenn Maschinen Handelsbeziehungen eingehen. So illustrieren sie die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie im Rahmen zweier Fallstudien: Peer-to-Peer-Energiehandel und Tanken, das mit allen Regeln des sogenannten Eichrechts konform ist.

Peter Großkopf, Geschäftsführer/CTO für Digital Asset Exchange der Börse Stuttgart, exploriert in seinem Beitrag die Potenziale der Blockchain-Technologie im Bankensektor und zeigt neue mögliche Geschäftsmodelle für Banken in Zeiten der Digitalisierung und Dezentralisierung auf. Hierbei macht er deutlich, dass Banken auch in Zukunft wichtig sein werden, aber die bisherigen Aufgaben wie Kontoführung, Transaktionen, Währungsumtausch, Geldanlage und Kredite möglicherweise in einer anderen Art und Weise erbringen werden: vom zentralisierten zum dezentralisierten Banking.

Können wir Computern dank der Blockchain-Technologie vertrauen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Maximilian Groth und Stefan Deml (beide Gründer des Kryptografie- und Datenanalyse-Start-ups decentriq) in ihrem Beitrag und sehen die Antwort auf die »Vertrauensfrage« vor allem in der Anwendung des Verfahrens des »Zero-Knowledge-Proofs« (ZKP). Nach einer Begriffsklärung stellen die Autoren anhand der drei Anwendungsfälle Wahlen, Wirtschaftsprüfung und öffentliche Blockchains dar, warum es ein ZKP ermöglicht, Vertrauen zwischen Parteien aufzubauen, ohne dass hierbei der Einsatz von Blockchain-Technologie zur absoluten Transparenz führt. Der ZKP ermöglicht es vielmehr, die nötige Privatsphäre und den Datenschutz auch bei Einsatz der Blockchain-Technologie zu gewährleisten.

Der Beitrag des Handelsblatt-Finanzredakteurs Felix Holtermann widmet sich – ausgehend von der Frage, was eigentlich die Funktionen von Geld sind – dem Sinn (und Unsinn) von Kryptowährungen und Blockchain-Anwendungen. Holtermann stellt basierend darauf Thesen auf, wohin die Entwicklung künftig gehen könnte: Werden wir in Zukunft mehr Dezentralisierung, mehr Eigenverantwortlichkeit und das Diktum »Code is Law« im Alltag erleben?

Nicht nur in der westlichen Welt, auch in Asien wird zunehmend in die Entwicklung der Blockchain-Technologie investiert. Jochen Biedermann, CEO von Blockchain Asia, einem Anfang 2016 in Hongkong gegründeten Blockchain-Unter-nehmen, zeichnet daher die aktuellen Entwicklungen des Blockchain-Schwergewichts China nach. Wie sieht der Blockchain-Masterplan der chinesischen Regierung aus und welchen Bezug gibt es zur »neuen Seidenstraße«? Wodurch ist China Blockchain-Patentweltmeister geworden? Und welche Rolle spielen die großen chinesischen »digitalen Stars« wie Tencent, Alibaba und Huawei bei der Entwicklung der Blockchain-Technologie? Das Kapitel gibt einen fundierten Einblick in dieses in Deutschland und Europa selten beleuchtete Thema.

Gerade juristische Fragen sind im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie zentral, und die Rechtslage ist heute häufig noch unklar. Auf die rechtlichen Aspekte geht daher Richard Brunner, Chief Legal Officer der Dennemeyer Group, in seinem Beitrag ein. Ausgehend von der Beschreibung der zunehmenden Digitalisierung des Rechtssystems zeigt er die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie in der Rechtspraxis auf. Wie wirkt sich die DSGVO auf die Anwendung von Blockchain-Technologie aus? Wie können Persönlichkeitsrechte und Datenschutz gewährleistet werden und was ist hierbei zu beachten? Können »Smart Contracts« wirklich ein Ersatz für herkömmliche Verträge sein?

Liechtenstein ist Deutschland bei der Entwicklung regulatorischer Rahmenbedingungen für Kryptowährungen und allgemein für Blockchain-Token voraus. Thomas Dünser, im Ministerium für Präsidiales und Finanzen der liechtensteinischen Regierung zuständig für Innovation und Digitalisierung am Finanzplatz, beschreibt zunächst den Weg vom Bitcoin zur Token-Ökonomie. Sein Beitrag beleuchtet, wie zivilrechtliche Fragen und die Gewährleistung von Rechtssicherheit bei Blockchain-basierten Transaktionen adressiert werden können und welche Herausforderungen bestehen. Abschließend gibt er Einblicke in das neue liechtensteinische Blockchain-Gesetz. Kann Liechtenstein in diesen Aspekten eine Vorbildfunktion für die deutsche Blockchain-Gesetzgebung einnehmen?

Die Deutsche Bahn gehört zu denjenigen Großunternehmen in Deutschland, die schon am weitesten in der Anwendung der Blockchain-Technologie fortgeschritten sind. Moritz von Bonin und Matthias Felder, die als Teil der »Blockchain Crew« aktiv an der Umsetzung von Blockchain-Vorhaben bei der Deutschen Bahn arbeiten, zeigen in ihrem Beitrag auf, wie die Blockchain-Technologie zum Aufbau eines Mobilitätsökosystems der Zukunft beitragen kann. Blockchain hat das Potenzial, als Infrastruktur für ein verteiltes System zu fungieren, auf welchem verschiedene Mobilitätsanbieter »Mobility as a Service (MaaS)«-Dienste anbieten können. Somit könnte das stark fragmentierte Transportsystem in ein integriertes Transportökosystem transformiert werden, bei dem die Partner bei der Erbringung von MaaS zusammenarbeiten. Wie die Blockchain-Technologie hierbei Herausforderungen wie fälschungssichere Transaktionen oder das Identitätsmanagement unterstützt, zeigen die Autoren detailliert auf.

Thesen zur künftigen Entwicklung der Blockchain-Technologie

Insgesamt vereint das vorliegende Buch somit die Einschätzungen führender Experten, die einen vielfältigen Überblick über aktuelle und mögliche künftige Entwicklungen im Bereich der Blockchain-Technologie geben. Im Rahmen der Arbeit an diesem Buch sind wir als Herausgeber insgesamt zu folgenden Einschätzungen und Thesen gekommen:

Das Potenzial der Blockchain-Technologie wird zunehmend über alle Industrien und Wirtschaftsbereiche hinweg erkannt.

Es werden sowohl zunehmend Stellen ausgeschrieben als auch Budgets in Unternehmen für die Implementierung und/oder für Pilotprojekte im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie bereitgestellt.

Insbesondere die Finanzbranche zeigt sehr starkes Interesse an den mit Blockchain-Technologie verbundenen Innovationsmöglichkeiten, sei es bei der Steuerung von Transaktionen und Zahlungsprozessen oder der Einführung und Nutzung ganz neuer Asset-Klassen.

Es zeigt sich, dass regulatorisch einige Länder der Bundesrepublik Deutschland schon deutlich voraus sind.

Die Verbreitung der Blockchain-Technologie in ganz unterschiedlichen Bereichen wirft eine Reihe kritischer Fragen auf, die sowohl das zukünftige Zusammenleben in der Gesellschaft als auch die zukünftige Zusammenarbeit von Wirtschaftsakteuren betreffen.

Das Einsatzpotenzial von Blockchain in Deutschland und Europa sehen wir vor allem darin, den bisherigen Digitalunternehmen die Stirn zu bieten, z. B. durch den Aufbau neuer Betriebssysteme und Kundenschnittstellen, durch Einbehalt eines größeren Anteils an der Wertschöpfung, als dies in der bisherigen Digitalwirtschaft für produzierende Unternehmen der Fall war, und durch die Möglichkeiten der Pseudonymisierung, die es ermöglichen, europäischen Datenschutzbestrebungen und gleichzeitig der Notwendigkeit, individuelle Daten zu sammeln, gerecht zu werden.

Wir hoffen, mit diesem Buch einen inspirierenden Einblick in das sich dynamisch entwickelnde Feld der Blockchain-Technologie zu geben und den Diskurs über deren Beitrag in Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen.

Kapitel 1 – Die Auswirkungen der Blockchain auf Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt

– Prof. Dr. Horst Treiblmaier (Modul University Vienna) –

Das häufig zitierte Bonmot »Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen« wird unter anderem Niels Bohr, Mark Twain, Samuel Goldwyn, Winston Churchill und Karl Valentin zugeschrieben. Diese Formulierung ist bewusst pointiert gehalten, allerdings zeigt sich doch bei jeder Zukunftsstudie erneut die Schwierigkeit, fundierte Aussagen über mögliche Entwicklungen zu treffen. Im Fall der Blockchain sind eine Vielzahl von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen betroffen, was diese Aufgabe zusätzlich erschwert.

In diesem Kapitel richte ich den Blick in die vergleichsweise nahe Zukunft und spreche eine Vielzahl von Themen an, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder inhaltliche Tiefe zu erheben. Dieser Beitrag soll dazu dienen, die Breite des Themas zu illustrieren, mögliche Auswirkungen der Blockchain aufzuzeigen, und die Leser dadurch ermutigen, sich in den für sie relevanten Gebieten weitergehendes Wissen anzueignen.

Das Aufkommen neuer und hochgradig innovativer technischer Lösungen führt regelmäßig dazu, dass Spekulationen über deren Einsatz, zukünftige Verbreitung und Auswirkungen rasch Thema in den Massenmedien werden. Es sind dann meist die pointierten Aussagen, die das größte Interesse erwecken und in der Öffentlichkeit schnell Gehör finden. »Bitcoin wird das Finanzsystem revolutionieren« oder »Bitcoin ist eine Blase ohne Substanz« sind Beispiele für solch polarisierende Aussagen. Diese sind bestens dazu geeignet, in öffentlichen Diskussionen ein breites Publikum anzusprechen, fördern aber nicht unbedingt eine kritische und konstruktive Diskussion.

Demgegenüber mache ich in diesem Beitrag einige Vorschläge zur Strukturierung des Forschungsfeldes und zeige mögliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen auf. Die vorgestellten potenziellen Entwicklungen stammen aus einer umfassenden Studie mit Blockchain-Experten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den wirtschaftlichen Implikationen, wobei diese in der Regel nicht scharf von gesellschaftlichen oder privaten Auswirkungen zu trennen sind.

Um die Auswirkungen der Blockchain auf unterschiedliche Bereiche unseres wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Lebens zu untersuchen, ist es zunächst notwendig, sie möglichst klar zu definieren. Hierbei ergeben sich bereits die ersten Schwierigkeiten. Eine Blockchain ist eine Kombination intelligent zusammengeführter Technologien (z. B. Kryptografie, Datentransfer, Konsensfindung), die seit Jahrzehnten (weiter-) entwickelt werden und erst im Zusammenspiel eine Blockchain schaffen. Die ständige Entwicklung der zugrunde liegenden Technologien und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten erschweren daher die Definition der Blockchain. Nimmt man beispielsweise die Unveränderlichkeit (»Immutability«) als die zentrale Eigenschaft der Blockchain, so gilt dies in den meisten, aber eben nicht in allen Fällen. Die wohl bekannteste Änderung der »Datenhistorie« einer Blockchain war der sogenannte DAO-Hack, bei dem es Angreifern gelang, rund 3,6 Millionen Einheiten der Kryptowährung Ether unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies führte zu einer heftigen Diskussion innerhalb der Community, ob die Historie des Projektes umgeschrieben werden sollte, um den »Einbruch« ungeschehen zu machen. Letztlich wurde zur Refundierung der Ether an ihre ursprünglichen Eigentümer ein sogenannter »Hard Fork« durchgeführt, der nicht nur die Blockchain, sondern auch die Community spaltete und die Unveränderbarkeit einer Blockchain als Mythos entlarvte.

Ein weiteres Beispiel betrifft die Einführung von Quantencomputern, die nach derzeitigen Schätzungen in einigen Jahrzehnten in der Lage sein werden, die momentan beispielsweise in Bitcoin eingesetzten Verschlüsselungsverfahren zu knacken. Eine Diskussion darüber, wann und in welcher Form dies passieren wird, ist meines Erachtens müßig, da parallel dazu die Forschung in der sogenannten Post-Quanten-Kryptografie intensiv betrieben wird. Das Ziel dabei ist es, Verfahren zu entwickeln, die auch mit Quantencomputern nicht mehr zu entschlüsseln sind. Der konkrete Ausgang dieser Entwicklung ist von zu vielen Rahmenfaktoren abhängig, um darüber sinnvolle Prognosen treffen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dezentraler Kontrolle bzw. Steuerung, die häufig als wesentliches Merkmal der Blockchain genannt wird. Diese ist bei privaten bzw. Konsortium-basierten Blockchains nicht gegeben und wird auch bei öffentlichen Blockchains heftig diskutiert. Im Fall von Bitcoin führte etwa der Zusammenschluss zahlreicher Miner zum Entstehen von »Mining Pools«, die Rechenkapazitäten bündeln.

Selbst die einfache Charakterisierung der Blockchain als eine Verkettung von Datenblöcken ist nicht unproblematisch. Eine solche Definition schließt vergleichbare Verfahren wie IOTA (eine Kryptowährung, die auf einem azyklischen Graphen basiert) oder Hashgraph aus, die eben keine lineare Kettenstruktur besitzen und die besser durch den Begriff »Distributed Ledger Technology« (DLT) charakterisiert werden.

Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher die möglichen Auswirkungen sämtlicher existierender und noch zu entwickelnder Systeme eingeschlossen werden, die durch eine dezentralisierte und (möglichst) unveränderliche Datenbank realisiert werden können. Um potenzielle zukünftige Entwicklungen unabhängig von der Implementierung eines konkreten Systems zu betrachten, ist es daher notwendig, sich auf die erwünschte Funktionalität zu konzentrieren. Anstatt zu fragen »Ist die Blockchain unveränderbar?« sollte man daher die folgende Frage stellen: »Wie könnte eine unveränderbare Datenbank die Wirtschaft/Gesellschaft/Privatsphäre beeinflussen?« Dies gilt entsprechend für alle in diesem Kapitel diskutierten Ideen. Erst durch ein sorgfältiges Abwägen der Vor- und Nachteile der jeweiligen Implikationen lassen sich innovative, kreative und möglicherweise auch bedrohliche Aspekte der Blockchain identifizieren.

In der derzeitigen Diskussion werden meiner Meinung nach einige Aspekte der Blockchain etwas zu einseitig diskutiert. So läuft einerseits die Kritik häufig Gefahr, die Anpassungsfähigkeit der Blockchain zu unterschätzen, wie etwa die im obigen Abschnitt skizzierten Argumente zum Thema Entschlüsselung durch Quantencomputer. Andererseits werden bei der Diskussion der negativen Konsequenzen ethische Aspekte nur wenig diskutiert. Dies betrifft etwa den Einsatz von Smart Contracts oder die Festschreibung von Besitzrechten. Welche Folgen ergeben sich beispielsweise durch die Verwendung der Blockchain zur Verfestigung der dominanten Marktmacht eines Unternehmens oder des staatlichen Gewaltmonopols einer Diktatur? Ein umfassendes Rahmenmodell, wie in diesem Kapitel dargestellt, kann daher dabei helfen, Fragestellungen zu identifizieren und diese zunächst auf relativ abstraktem Niveau zu diskutieren. In diesem Sinne sollen die in den folgenden Abschnitten skizzierten Themen als Anregungen verstanden werden. Sie sollen helfen, Lösungen zu finden, welche die positiven Auswirkungen der Blockchain nutzen und gleichzeitig deren potenziell negative Aspekte vermeiden beziehungsweise durch technische Lösungen oder rechtliche Regelungen abmildern.

Die in diesem Kapitel vorgestellten Ideen beruhen auf qualitativen Interviews, die zu Beginn des Jahres 2018 mit 24 Experten telefonisch geführt wurden. Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte dabei über den Verein City of Blockchain2, der sich mit dem wirtschaftlich sinnvollen Einsatz der Blockchain beschäftigt. Sämtliche Interviewpartner waren in der Vergangenheit oder zum Zeitpunkt der Interviews in unterschiedlichen Rollen in Blockchain-Projekte involviert und repräsentieren einen breiten Querschnitt verschiedener Sektoren der Industrie (z. B. Finanzen, Energie, Transport, Ausbildung, öffentlicher Sektor, Beratung). Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und mit Methoden der qualitativen Sozialforschung ausgewertet. Die Zielsetzung dieser Studie lag darin, eine möglichst große Meinungs- und Ideenvielfalt zu generieren, und nicht eine Auswahl und Bewertung der wahrscheinlichsten Szenarien darzustellen. Alle angesprochenen Themen sind in erster Linie Diskussionsvorschläge. Eine umfassende Behandlung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen und bleibt daher zukünftigen Publikationen vorbehalten.

Die bisherige Entwicklungsgeschichte der Blockchain erinnert stark an die Verbreitung des Internets und vor allem von Electronic Commerce. Die Entwicklung der dafür notwendigen technischen Grundlagen (z. B. TCP/IP) beanspruchte mehrere Jahrzehnte, und es war ein spezifischer Anwendungsfall, die Kommunikation via E-Mail, der die allgemeine Akzeptanz deutlich beschleunigte. Der weltweite Durchbruch erfolgte in den 1990er-Jahren mit der Verbreitung des World Wide Web und dessen kommerzieller Nutzung zwischen Unternehmen und Kunden. Wenig später nutzten auch öffentliche Stellen die vielfältigen Möglichkeiten des Web (E-Government). Diese Entwicklung ist lange noch nicht abgeschlossen und die Blockchain ist nur ein weiterer Baustein in einem globalen technologischen Wandel. Allerdings ermöglicht im Fall der Blockchain die jahrzehntelange Entwicklungsarbeit in Forschungsgebieten wie elektronischem Geld oder kryptografischen Verfahren sowie die weltweite Vernetzung von Unternehmen und Universitäten einen sehr zügigen Entwicklungsprozess. Dazu kommt das große Interesse der Wirtschaft und die damit verbundenen hohen Förderungen für Forschung und Entwicklung.

Die Blockchain stellt einen Baustein dar, der die Funktionalität des Internets um einen wesentlichen Aspekt erweitert: vom Transfer von Daten bzw. Informationen (»Internet of Information«) hin zum Transfer von Werten (»Internet of Value«). Dies kann am einfachsten anhand einer Kryptowährung wie Bitcoin illustriert werden. Die Blockchain verhindert das beliebige und verlustfreie Kopieren eines digitalen Gutes (»Double Spending«), wodurch Werte übertragbar und beispielsweise Kryptowährungen überhaupt erst möglich werden. Die weitreichenden Konsequenzen dieser Möglichkeit sollen in den folgenden Abschnitten skizziert werden, wobei den Ausführungen das einfache Rahmenmodell aus Abb. 1 zugrunde gelegt wird.

Abb. 1: Rahmenmodell zur Evaluation der Blockchain

Dieses Rahmenmodell, das im Verlauf der Auswertungen der Interviews erstellt wurde, soll dabei helfen, die Aussagen der Experten zu strukturieren. Es zeigt eine Gliederung in kommerzielle/nicht kommerzielle beziehungsweise kollektive/individuelle Interessen und strukturiert die Diskussion. Der Fokus dieses Beitrags liegt dabei auf den direkten wirtschaftlichen Auswirkungen. Allerdings können nahezu alle denkbaren Auswirkungen der Blockchain immer auch wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Neue Formen der Arbeitswelt, die Reduktion der Rolle des Staates als Intermediär und das Entstehen oder die Verbreiterung einer digitalen Kluft (»Digital Divide«, »Digital Gap«) wirken sich über Umwege ebenso auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes aus wie der Einsatz der Blockchain-Technologie in konkreten Unternehmenslösungen.

Abb. 2 zeigt Beispiele möglicher positiver und negativer Auswirkungen der Blockchain, die von den Experten genannt wurden. Diese Abbildung dient als Diskussionsgrundlage und ist keine trennscharfe Abgrenzung. Die Gliederung folgt dem oben vorgestellten Rahmenmodell, wobei die beiden Kategorien »Gesellschaft« und »Privatsphäre« zusammengefasst wurden. In den folgenden Abschnitten diskutiere ich die jeweiligen Bereiche kurz und gebe einige konkrete Anwendungsbeispiele.

Abb. 2: Positive und negative Auswirkungen der Blockchain

Die Experten stimmten zu einem großen Teil überein, dass die Blockchain unsere Wirtschaft nachhaltig beeinflussen wird. Als positive Treiber wurden in erster Linie die erhöhte Transparenz und der einfache Wertetransfer genannt. Letzterer ist das zentrale Element des oben bereits erwähnten Übergangs vom »Internet of Information« zum »Internet of Value«. Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin oder Ether sind nur ein erster Schritt im digitalen Wertetransfer. In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff »Token« verwendet. Die genaue Klassifizierung von Token ist im Sinne der Rechtssicherheit dringend notwendig. Der Blockchain Bundesverband unterscheidet zwischen Wertpapier-Token, die Eigen- und Fremdkapitalinstrumente umfassen, Utility-Token, die auf die Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder eines Gutes abzielen, und Kryptowährungs-Token, bei denen die Zahlungsfunktion im Vordergrund steht. Im Einzelfall ist diese Unterscheidung allerdings oft schwierig. Bemerkenswert ist jedoch, dass alle drei Funktionalitäten durch die Blockchain realisiert werden können und in allen Varianten von sogenannten Initial Coin Offerings (ICO) auch genutzt werden.

Ein großes Potenzial liegt ferner in der Kombination der Blockchain mit Verfahren der künstlichen Intelligenz (AI), und hierbei vor allem im Deep Learning1. Dadurch können vollkommen neue Anwendungen geschaffen werden. Ein Beispiel dafür sind globale vernetzte Systeme, die in der Lage sind, den Zustand der Realwelt zu erfassen, und über lernende Algorithmen selbstständig Entscheidungen treffen können. Die Blockchain ist in einem solchen Szenario für die Authentifizierung der Teilnehmer und den elektronischen Wertetransfer zuständig.

Diese Anwendungsfälle illustrieren die von den Experten angesprochenen Potenziale der Blockchain für Produktivitätssteigerungen und als Innovationstreiber. Aus den Interviews ergaben sich zwei verschiedene Philosophien der Blockchain-Verwendung. Eine Gruppe sieht den hauptsächlichen Einsatz der Blockchain in der Optimierung von Teilprozessen. Demgegenüber betonen zahlreiche Experten die Notwendigkeit, die Blockchain als Mittel der digitalen Transformation »end-to-end« zu sehen, um deren Potenzial bestmöglich auszuschöpfen. Dies bedeutet beispielsweise, dass es nicht darum geht, menschliche Entscheidungsprozesse durch den Einsatz der Blockchain transparenter zu gestalten, sondern durch geeignete Verfahren (Smart Contracts) Prozesse zu automatisieren. Dies führt idealerweise dazu, dass menschliche Interventionen nur in all jenen Fällen notwendig werden, in denen Computer aufgrund der Unbestimmtheit der Rahmenbedingungen nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Diese Schwierigkeit tritt häufig bei der Auslegung von Gesetzestexten auf. Der Begriff »Fahrlässigkeit« ist beispielsweise im § 276 Abs. 2 BGB als »außer Acht lassen der erforderlichen Sorgfalt« beschrieben, wodurch ein unbestimmter Begriff durch einen anderen ersetzt wird, was für Computer eine nahezu unüberwindbare Hürde darstellt.

Allerdings gibt es gerade bei Smart Contracts intensive Forschungen zum Einsatz von künstlicher Intelligenz, die beispielsweise auf einer umfassenden Analyse existierender Verträge basiert. Daraus ergeben sich spannende Forschungsthemen, die eine enge Zusammenarbeit von Juristen und Programmierern – eine bislang eher seltene Kombination – notwendig machen. Nicht zuletzt gibt es auch zahlreiche Geschäftsmodelle, die direkt auf der Blockchain basieren und sich deren Potenzial zur Ausschaltung von Zwischenhändlern (»Intermediären«) zunutze machen. In diesem Zusammenhang wurden in den Interviews häufig die Bereiche Tourismus und Supply Chains genannt. So könnten etwa dominante Marktteilnehmer, die innerhalb relativ kurzer Zeit durch das Ausschöpfen der Potenziale des Internets eine dominante Stellung am Markt erreichten (z. B. Booking.com, Airbnb, Uber), durch Blockchain-basierte Peer-to-Peer-Lösungen nunmehr selbst ersetzt werden. Ein weiteres naheliegendes Beispiel findet sich im Verlagswesen, und hier vor allem beim Vertrieb digitalisierbarer Güter wie Musik oder Bücher. Die Blockchain erlaubt den Urhebern eine unmittelbare Kontrolle über Vertrieb und Abrechnung ihrer Werke. Dadurch muss die Rolle von Intermediären (wie beispielsweise Verlagen) und selbst von disruptiven Online-Plattformen (wie etwa iTunes) neu definiert werden.

Ähnlich wie das Internet besitzt die Blockchain neben positiven auch mögliche negative Auswirkungen. Dies zeigt sich vor allem bei Bitcoin, der bisher populärsten Anwendung. Besonders hervorzuheben ist hierbei deren Einsatz für illegale Zahlungen (wie beispielsweise für Käufe und Verkäufe im mittlerweile geschlossenen Online-Schwarzmarkt Silk Road oder für Geldwäsche) oder der enorme Energieverbrauch für den sogenannten Proof-of-Work-Mechanismus. Letzteres ist allerdings kein essenzielles Merkmal der Blockchain, sondern lediglich ein raffiniertes Verfahren zur Konsensfindung (»Consens Mechanism«), das durch die steigende Popularität von Bitcoins zu einem verstärkten Wettbewerb zwischen sogenannten Minern und in Folge zu immer höherem Energieverbrauch geführt hat. Der Proof-of-Work-Mechanismus wird lediglich in öffentlichen Blockchains eingesetzt, in denen kein grundlegendes Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern besteht. Darüber hinaus ist die Entwicklung alternativer und ressourcenschonender Verfahren Gegenstand zahlreicher aktueller Forschungsprojekte.

Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der Blockchain-Technologie wurde von zahlreichen Experten das Problem der »Kannibalisierung« angesprochen. Darunter versteht man eine Situation, in der ein Unternehmen mit sich selbst in Konkurrenz tritt. Dies betrifft nicht zuletzt die Finanzbranche, welche die Möglichkeiten der Blockchain und die daraus resultierenden Bedrohungen schon frühzeitig erkannt hat und an der Erstellung innovativer Use Cases (z. B. Risikominimierung, Datensicherheit, Transparenz) arbeitet. Das zentrale Merkmal dieser Branche ist das Vertrauen der Kunden. Kann dieses Vertrauen potenziell auch über die Blockchain erzeugt werden, so ist der Markt offen für Anbieter innovativer Lösungen (z. B. unkomplizierter und kostengünstiger Geldtransfer), und zahlreiche Unternehmen müssen ihre Prozesse neu gestalten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies erinnert wiederum an das Aufkommen von E-Commerce und die Einführung eines zusätzlichen Online-Marketing- und Vertriebskanals bei vielen Unternehmen, der eine sorgfältige Abstimmung der Online- und Offline-Aktivitäten erfordert. Diese Anwendungsfälle beschränken sich nicht auf isolierte Unternehmen, sondern inkludieren beispielsweise auch Lösungen zum zwischenbetrieblichen Zahlungstransfer.

Grundsätzlich müssen alle Unternehmen, und hierbei vor allem jene, die eine Rolle als Intermediär innehaben, ihre derzeitigen Geschäftsmodelle kritisch überdenken und auf mögliche Angriffspunkte durch die Blockchain prüfen. Die weltweite Vernetzung, eine rasante Technologieentwicklung und die Verfügbarkeit einer beträchtlichen Menge an Risikokapital, das direkt über die Blockchain gewonnen werden kann, beschleunigen die Transformationsprozesse erheblich.

Als wesentliches Hemmnis für den Einsatz der Blockchain wurde von den Experten die unklare rechtliche Situation angeführt. Dies beginnt bei grundlegenden Problemen der Klassifizierung von Token und setzt sich bis zu Fragen der Haftung fort, die sich durch den Einsatz unveränderlicher Programmcodes zur automatisierten Abwicklung von Geschäftsprozessen ergeben. Auch der Einsatz der Blockchain zum Ausbau einer dominierenden Marktstellung durch Großunternehmen wurde bisher nur unzureichend thematisiert. Erschwerend kommt hinzu, dass Blockchain-Anwendungen nicht vor Grenzen haltmachen und daher länderübergreifende Lösungen gefunden werden müssen. Auf europäischer Ebene sind daher klare Richtlinien notwendig, vergleichbar etwa mit der »Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr« (2000/31/EG). Die Erstellung solcher Regeln ist allerdings ein langwieriger Prozess und EU-Richtlinien müssen erst durch nationale Rechtsakte umgesetzt werden, um Wirksamkeit zu erlangen. Aufgrund der oben bereits angesprochenen ständigen Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie und der vielfältigen und nur schwer vorhersehbaren Potenziale – vor allem im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz (AI) – ist daher in den nächsten Jahren nicht mit umfassender Rechtssicherheit zu rechnen.

Damit einhergehend diskutierten viele Experten in den Interviews auch die unklaren Anwendungsfälle der Blockchain-Technologie. So werden beispielsweise in dem Bestseller der Tapscotts aus dem Jahr 2016 (»Blockchain Revolution«) zahlreiche visionäre Anwendungen der Blockchain skizziert. Deren Umsetzung stehen in der Realität allerdings eine Vielzahl technischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Hürden gegenüber. Zudem existiert häufig eine mangelnde Akzeptanz auf Nutzerseite, die erst über einen Vertrauensaufbau abgebaut werden muss. Diese Skepsis auf Seiten der Experten wurde nicht zuletzt durch den ICO-Hype geschürt, den in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Online-Unternehmen als einfache Möglichkeit zur Kapitalaufnahme nutzte. Auch wenn es sich hierbei um eine rechtliche Grauzone handelte, erkannten viele Betrüger die Gunst der Stunde und schädigten zahlreiche Anleger, wodurch das Vertrauen in den gesamten Markt deutlich zurückging.

Darüber hinaus wurden und werden zahlreiche Lösungen unter dem Titel »Blockchain« angeboten, die mit der ursprünglichen Intention einer Dezentralisierung von Kontrolle nur noch wenig gemeinsam haben. Ebenso zeigt eine kritische Analyse der tatsächlichen Bedürfnisse zahlreicher Unternehmen, dass Blockchain-basierte Lösungen häufig nicht notwendig sind, sondern alternative Datenbanklösungen durchaus ihren Zweck erfüllen. Der erste Schritt in einem Softwareentwicklungsprojekt sollte also nach wie vor eine umfangreiche Anforderungsanalyse einschließlich der Erstellung eines Lastenheftes sein und nicht der überstürzte Einsatz einer komplexen Technologie in Bereichen, in denen kein unmittelbarer Bedarf für die zentralen Merkmale einer Blockchain besteht.

Die Blockchain verspricht spektakuläre Möglichkeiten zur Durchsetzung einer direkten Demokratie. Sie kann beispielsweise eine einfachere Partizipation von Bürgern an politischen Entscheidungsprozessen ermöglichen, aber auch dabei helfen, das Gesundheitswesen zu reformieren. Interessante Potenziale ergeben sich beispielsweise durch eine direkte Kontrolle sensibler Personendaten durch Privatpersonen und durch die Möglichkeit, gezielt Einsicht in Gesundheitshistorien zu erhalten. Auch könnten Bonusprogramme von Krankenkassen mithilfe der Blockchain administriert werden und dadurch beispielsweise betrügerische Medikamentenabrechnungen verhindert werden.

Die Vision der Dezentralisierung staatlicher Kontrolle geht bis hin zur Gründung eines eigenen grenzübergreifenden Staates mit Blockchain-basierter Rechtsprechung und der Erfassung aller personenbezogener Daten. Mit »Bitnation«3, einer »freiwilligen Nation« mit der Zielsetzung, staatliche Leistungen weltweit zugänglich zu machen, existiert bereits ein Experiment in diese Richtung. Von solchen visionären Einsatzmöglichkeiten abgesehen, wurde von den Experten vor allem der Einsatz der Blockchain-Technologie im direkten Kontakt zwischen staatlichen Verwaltungen und Staatsbürgern diskutiert. Auf öffentlicher Ebene kann durch die Blockchain die Kommunikation von Bürgern mit Behörden vereinfacht werden. Dies betrifft vor allem die Beschleunigung administrativer Entscheidungsprozesse. In Routineverfahren bietet der Einsatz automatisierter Prozesse, z. B. durch Smart Contracts, beträchtliche Vorteile, da damit nicht nur Verfahren schneller abgewickelt werden können, sondern potenziell auch die Möglichkeit besteht, Haftungsfragen einfacher zu regeln. Diese Einsatzmöglichkeit benötigt im Vorfeld allerdings eine umfassende juristische Klärung.

Ein häufig genannter Anwendungsfall betrifft die Verbriefung von Eigentumsrechten, wie beispielsweise auf Grundbesitz. Auch wenn dies in gut funktionierenden westlichen Demokratien derzeit kein akutes Thema darstellt, so versprechen Blockchain-basierte Lösungen hierfür umfassende Rechtssicherheit. Diese Anwendungsszenarien können vergleichsweise einfach auf andere Fälle umgelegt werden. Eine wirtschaftlich interessante Anwendung der automatisierten Übertragung von Eigentums- und Nutzungsrechten findet sich beispielsweise bei der Vermietung von Wohnungen oder Autos. In diesen Fällen kann auch die Abrechnung über die Blockchain erfolgen.

Von den Experten wurden auch eingehend die gesellschaftlichen Auswirkungen eines einfacheren Zugangs zu Finanzsystemen diskutiert. Dies besitzt natürlich in Entwicklungsländern ein weit größeres gesellschaftliches Potenzial als in Industrienationen. Dennoch sind auch bei uns mithilfe der Blockchain interessante finanzielle Experimente möglich, die bislang theoretischen Exkursen von Volkswirtschaftlern oder vereinzelten lokalen Initiativen vorbehalten waren. Ein Beispiel dafür ist Freicoin, eine Kryptowährung, bei der hohe Kosten der Geldhaltung (Demurrage) für einen stetigen Geldumlauf sorgen sollen. Andere Beispiele sind die Ausgabe von Token für soziale Projekte und die Vergabe von sogenannten Peer-to-Peer-Krediten, die über ein ausgefeiltes Reputationssystem verfügen. Aufgrund dieser vielfältigen Möglichkeiten sind die großen Finanzinstitutionen nicht untätig und loten ihrerseits die Möglichkeiten der Blockchain beispielsweise für Devisentransaktionen, Handelsfinanzierung und Anleihegeschäfte im Bankwesen und den Einsatz von Smart Contracts in der Versicherungswirtschaft aus.

Potenziell negative Auswirkungen auf Gesellschaft und Privatsphäre sehen die Experten vor allem aufgrund der dauerhaften Speicherung sensibler Daten. Große Probleme werden im Zusammenhang mit der am 25. Mai 2018 in Deutschland in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gesehen, die beispielsweise das Recht auf Löschung von Daten (Art. 17) vorsieht. Eine eingehendere Diskussion der Schwierigkeiten, die DSGVO mit der Blockchain zu vereinbaren, und möglicher Lösungsvorschläge würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass die rechtlichen Fragestellungen betreffend die Blockchain-Technologie und ihre Einsatzmöglichkeiten ein zentrales Thema der kommenden Jahre sein werden.

Unabhängig von juristischen Fragen wurde von den Gesprächspartnern der generelle Verlust der Privatsphäre als Folge vereinfachter Datenerfassung und -speicherung thematisiert. Die Blockchain als dauerhaftes und dezentrales Speichermedium für sensible Daten birgt auch im Fall der Verwendung ausgefeilter kryptografischer Verfahren ein hohes Gefahrenpotenzial, wie beispielsweise bei Diebstahl, Verlust oder unbeabsichtigter Weitergabe privater Zugangsdaten. Darüber hinaus garantiert die Blockchain nicht die Korrektheit der Daten, da Fehler bereits bei der Eingabe auftreten oder sich Daten im Zeitablauf ändern können.