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Der mysteriöse Tod eines jungen Mädchens Endlich hat Kriminalkommissarin Wencke Tydmers Urlaub. Sie ist schon fast auf dem Weg gen Süden, da verschwindet in der Nacht vor seinem Geburtstag ihr Bruder Jasper. Auf der Suche nach ihm fährt sie auf die Insel Norderney und trifft auf ihren Kollegen Sanders, der den Tod der vierzehnjährigen Leefke untersuchen soll. Jasper und seine Band «Die Piraten» geraten unter Verdacht. Von der Erfolgsautorin von «Das Hagebuttenmädchen»: «Ein Nachwuchsstar der deutschen Krimiszene.» Süddeutsche Zeitung
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Seitenzahl: 250
Sandra Lüpkes
Ostfrieslandkrimi
Der mysteriöse Tod eines jungen Mädchens
Endlich hat Kriminalkommissarin Wencke Tydmers Urlaub. Sie ist schon fast auf dem Weg gen Süden, da verschwindet in der Nacht vor seinem Geburtstag ihr Bruder Jasper. Auf der Suche nach ihm fährt sie auf die Insel Norderney und trifft auf ihren Kollegen Sanders, der den Tod der vierzehnjährigen Leefke untersuchen soll. Jasper und seine Band „Die Piraten“ geraten unter Verdacht.
Von der Erfolgsautorin von «Das Hagebuttenmädchen»: «Ein Nachwuchsstar der deutschen Krimiszene» (Süddeutschen Zeitung)
Sandra Lüpkes wurde 1971 in Göttingen geboren und lebte viele Jahre auf der Nordseeinsel Juist. Sie ist Autorin zahlreicher Romane, Sachbücher, Erzählungen und Drehbücher. Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen Kehrer in Berlin.
Mehr zur Autorin und zu ihrer Arbeit unter: www.sandraluepkes.de
Weitere Veröffentlichungen:
Fischer, wie tief ist das Wasser
Halbmast
(In der Serie um die Kommissarin Wencke Tydmers:)
Die Sanddornkönigin
Das Hagebutten-Mädchen
Das Sonnentau-Kind
Die Wacholderteufel
Die Blütenfrau
sowie ihr historischer Roman
Die Inselvogtin
und die Novelle
Inselweihnachten. Eine Geschichte von der Liebe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2023
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Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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ISBN 978-3-644-01925-6
www.rowohlt.de
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Für alle Inselkinder
Manchmal hab ich das Gefühl
ich bin der Mensch, der hier zu viel ist
der dann was sagt, wenn alle schweigen
der das fixiert, wo alle wegschauen
der dann beginnt, wenn alle gehen
Dann bin ich lauter
als das Klingeln in den Kassen
für das hier alles passiert
Dann bin ich lauter
als das Rauschen des Meeres
für das man einfach kassiert
Dann bin ich lauter
als vier Wände es schlucken
Dann steh ich einfach nur da
und bin euch allen im Weg
Ruhestörung
Manchmal hab ich das Gefühl
ich bin der Mensch, der hier gebraucht wird
der dann nur schweigt, wenn alle reden
der dann wegschaut, wenn alle drauf zeigen
der dann geht, wenn alle kommen
Dann bin ich stiller
als ihr in euren Häusern
feig ein Geheimnis vertuscht
dann bin ich stiller
als das Nichts in euren Augen
welches mein Leben verpfuscht
dann bin ich stiller
als der Wind leise weht
Dann steh ich einfach nur da
und bin euch allen im Weg
Ruhestörung
Heiter bis wolkig, 26 °C im Schatten
Das Mädchen saß bereits vor dem Bunker, mitten im Brombeergestrüpp, die Knie angezogen, und ließ den Blick, diesen seltsam grauen, teilnahmslosen Blick, in die Ferne schweifen. Sie schien zu warten. Auf ihn bestimmt nicht.
Remmer ließ den Motor mit einem blubbernden Geräusch absaufen, dann stieg er vom Mofa. Seine Oberschenkel klebten auf dem schwarzen Kunstleder, die Sonne hatte den Sattel ziemlich aufgeheizt, jetzt zeichneten sich hinten knapp unterm Po wahrscheinlich rote, schwitzige Falten ab. Er hoffte, dass die Neurodermitis nicht wieder aufblühen würde. Sie hatte ihn seit langem verschont, doch die Hitze leistete seiner Krankheit Vorschub. Die Fahrt hier heraus war einfach zu weit, um mit dem Fahrrad zu kommen. Zumindest, wenn er wie heute seinen Bass dabeihatte. Er löste die ausgeleierten Gummizüge, die er am unteren Rand des Gepäckkarrens festgeklemmt hatte. Schreckliche Sommerhitze, sicher müsste er das Instrument gleich stimmen. Seine Laune war heute nicht gut, obwohl er sich auf die Probe freute, vor allem auf das «Nachher», wenn sie in Jaspers Vierzigsten reinfeiern würden. Er war jedoch kein Freund von Temperaturen über 25 Grad, selbst der Aufkleber auf seinem Koffer war weich geschmolzen. Als er den Kasten abstellte, ratschte die Kante des Gepäckträgers über die ovale Folie und von «Die Piraten» blieb nur noch ein welliges «Die P … en» übrig. Vielleicht hatte Jasper noch einen neuen Sticker dabei.
Das Mädchen starrte immer noch in Richtung Birkenwäldchen, obwohl es dort wirklich nichts Besonderes zu sehen gab. Eigentlich hatte Remmer vorgehabt, sie zu ignorieren. Sie war ihm unangenehm. Doch als er den rostigen Schlüssel im Schloss der Bunkertür umdrehte, murrte er: «Hast du nichts Besseres zu tun, als um diese Zeit hier am Ende der Welt -Löcher in die Luft zu starren?»
Sie wandte langsam den Kopf, fast, als hätte sie ihn jetzt erst bemerkt, und Remmer bereute, dass er überhaupt den Mund aufgemacht hatte.
«Ich warte auf Jasper», sagte sie tonlos.
«Na, dann warte mal, der kommt nie pünktlich.» Remmer stieß die Tür auf und betrat den abgedunkelten, winzigen Raum, in dem jede, aber auch wirklich jede Ecke mit Dingen voll gestellt war, die schwarz waren und Kabel hatten. Jede Menge teure Sachen, zwölftausend Euro auf zwölf Quadratmeter gequetscht. Wenn die Musik nicht so verdammt viel Spaß machen würde, dann wäre dies hier wirklich eine Zumutung. Doch wer laut war auf der Insel, für den war eben kein Platz. Die Gäste waren schließlich schon laut genug.
Remmer steckte erst die rosaroten Wachskügelchen in die Ohren, dann das Kabel in den Verstärker. Er kippte den Schalter auf ON, drehte die Regler nur ein paar Millimeter im Uhrzeigersinn. Ein paar Minuten für sich, die hatte er jeden Sonntagabend. Er war immer der Erste. Ein satter, dumpfer Ton floss aus dem vibrierenden Tieftöner. Es war nicht der, den er erhofft hatte, die Hitze hatte, wie vermutet, das Instrumentverstimmt. Seine Finger fanden den passenden Bund wie von selbst, er bemerkte nicht mehr die Kraft, die das Herabdrücken der dicken Metallsaiten erforderte, dazu spielte er schon viel zu lang. Das Stimmgerät zeigte die Tondifferenz, und er drehte an der Saitenmechanik, bis das Instrument so klang, wie es klingen musste.
Vielen Menschen war nicht klar, worin der Reiz beim Bassspielen lag. Remmer wusste es. Tiefe, Substanz und Hintergründigkeit, ohne das klang Musik flach wie Spieluhrgedudel. Im Grunde war er auch nicht der Mann, der sich in den Vordergrund spielte, dafür war Jasper zuständig. Jasper reimte sich nicht umsonst auf Kasper. Jasper sah gut aus, trotz der vierzig Jahre, die er morgen auf dem Buckel haben würde, er lachte auf seine ganz eigene Weise, eigentlich strahlte er mehr. Seine Bewegungen erfassten den ganzen Körper, wenn er Gitarre spielte und sang. Eigentlich wunderte es niemanden, dass selbst die ganz jungen Mädchen für ihn schwärmten, von den erwachsenen Frauen ganz zu schweigen. Nun gut, Norderney war nicht die große Bühne und Jasper nicht Bon Jovi, aber wenn sie die «Piraten» waren, dann war Jasper der Kapitän.
Und er, Remmer, war der Maschinist. Vielleicht war er viel zu dickbäuchig und ein wenig zu dünnhäutig, doch der Kapitän konnte schreien, wie er wollte, ohne den Motor ging es nicht, ohne ihn war alles Flaute. Remmers Fingerkuppen liefen über den hölzernen Steg wie bei einem Tanz auf der Straße, und er schloss die Augen.
«He, Remmer. ‹Watt’n Meer?› Hast du geübt. Klingt gut.»
Tido saß bereits hinter den Trommeln, als Remmer die Augen öffnete. Tido war kein Mann der vielen Worte, deshalb kümmerte es Remmer wenig, dass er sich so leise hereingeschlichen hatte. Umso lauter knallten nun die hölzernen Sticks auf die klirrenden Becken, die rasselnde Snare und die dröhnenden Toms. Remmer drückte die Ohropax tiefer in den Gehörgang. Tido spielte sich warm, und das konnte sehr laut werden.
Remmer sah auf die Uhr, es war gleich halb neun, acht Uhr war ausgemacht. Er hasste Unpünktlichkeit. Jasper wusste doch genau, dass sie heute noch was zu tun hatten. Jede Probe zählte, wenn sie es eines Tages schaffen wollten. Nicht berühmt werden, nur bekannt, nicht unbedingt erfolgreich, nur geachtet.
Watt’n Meer, watt’n Wind, watt’n schöner Inseltag,
watt’n Gefühl, watt’n Traum, watt ’ne Sandbank, die ich mag,
watt’n Blick watt’n Stück vom großen Watt’n Glück,
einmal richtig angekommen, will ich nie mehr zurück.
Nicht gerade originell, zugegeben, der Text war von Jasper, und der hatte auch schon Anspruchsvolleres verfasst. Aber für diesen Zweck war es genau das Richtige. Und die Norderneyer kannten den Text in- und auswendig: Es war ihre Hymne, ihre Liebeserklärung an die Insel, die von oben aussah wie eine Rohrzange.
Remmer war kein kleiner Junge mehr, und man hatte ihm schon früh die Flausen aus dem Kopf getrieben. Aber er hatte immer noch den einen Traum: Anerkennung! Einen vernünftigen Probenraum vielleicht oder ein paar Gigs auf dem Festland, vielleicht ein Interview im Regionalfernsehen, egal was. Nur diesen fast vergessenen Bunker am Ende der Insel, eingerahmt von Dünenrosen und Brombeergestrüpp, viel zu malerisch für Rockmusik, den wollte er hinter sich lassen. Er wusste, dass man sie hinter dem Rücken «Brombeerpiraten» nannte, und er wollte diesen lächerlichen Beinamen ein für alle Mal los sein.
Time is money, Jasper, sieh zu, dass du hier antanzt.
Die Tür öffnete sich, und das rote Abendsonnenlicht fiel durch den Spalt. Er dachte für einen Moment, es wäre Jasper, doch es war das Mädchen. Sie schob sich herein.
Tido stoppte abrupt inmitten eines gewitterartigen Percussionsolos. Es war sehr still, beide Männer schauten zu diesem blassen, verschreckten, etwas zu groß geratenen Kind an der Tür. Und keiner sagte ein Wort.
Remmer wurde ärgerlich. Er wollte jetzt endlich loslegen, spielen, Mucke machen, und auf keinen Fall wollte er mit einer von Jaspers magersüchtigen Groupies Probleme wälzen.
Das Mädchen reichte Tido mit langsamer Bewegung ein beschriebenes Blatt. Remmer hatte sie wohl so wütend angestarrt, dass sie nicht wagte, es ihm zu geben.
«Es sollte eigentlich für Jasper sein.» Ihre Lautstärke war dem Schweigen näher als dem Reden.
«Was?», raunzte Remmer.
«Das Blatt hier.» Sie schien sich wirklich anzustrengen, damit wenigstens ein einigermaßen verständlicher Satz über ihre Lippen kam. «Ich wollte es eigentlich Jasper geben. Aber der kommt ja wohl nicht mehr, und ich muss jetzt nach Hause.»
«Das würde ich aber auch sagen, dass du nach Hause musst.»
Das Mädchen drehte sich im selben Moment um und schlüpfte wieder durch den schmalen Spalt nach draußen. Für einen kurzen Augenblick tat es Remmer Leid, dass er sie so herzlos angemault hatte, das arme kleine Ding, aber es ging ihm eben so auf die Nerven mit Jasper und seinen Pubertätsmäuschen und der ewigen Unpünktlichkeit, außerdem hatte er schlechte Laune wegen der Hitze und wollte jetzt endlich spielen.
«Was ist es denn? Ein Liebesbrief?»
Tido hatte den Zettel achtlos beiseite gelegt. «Interessiert mich nicht. Ist schließlich für Jasper.»
Remmer zwängte sich zwischen Bassdrum und Equalizer hindurch und ergriff das Papier. Rosarotes Umweltschutzpapier. Eine Handschrift, die so gar nicht nach Kind aussah.
«Es ist ein Liedtext», sagte er und überflog die Zeilen. «Ruhestörung … von Leefke Konstantin … und gar nicht mal schlecht.»
Heiter, 27 °C im Schatten
Wencke kannte die Regeln. Immer, wenn alles gut zu laufen schien, kam etwas dazwischen, das ihr die Laune verdarb, oder viel mehr noch, das ihr das Gefühl gab, vom Pech verfolgt zu sein.
Dieser unglückselige Heiratsantrag hatte sie heute Morgen im Bett bleiben lassen, die leichte Baumwolldecke über den Kopf gezogen, damit die Sonnenstrahlen sie nicht zum Aufstehen zwingen konnten.
Und dabei war heute ihr erster Urlaubstag, lange herbeigesehnt. Sie war sich eigentlich sicher gewesen, dass sie heute ener-giegeladen in den Morgen springen könnte: Frühstück auf dem Balkon, Rucksack packen, noch ein Nickerchen in der Sonne, und dann würde Ansgar mit dem Auto vorfahren, ihr Gepäck neben seinem verstauen und zum Flughafen fahren. Auf nach La Palma, mit Wanderstiefeln im Gepäck, 14.30 Uhr ab Bremen. Und dann nur Sonne, eine verwinkelte, friedliche, weißgetünchte Finca in den Bergen und zwei Wochen kein Wort wie Durchsuchungsbefehl oder Obduktionsergebnis mehr in den Mund nehmen, stattdessen Rotwein auf der Zunge, direkt vom Erzeuger.
Doch diese Frage, diese ohne Vorwarnung gestellte Frage, hatte alles zunichte gemacht.
Wencke hatte keinen Appetit auf irgendetwas außer vielleicht auf Kaffee, und den Rucksack würde sie auch nicht aus dem Fahrradkeller heraufholen. Sollte er doch allein nach La Palma fliegen. Sie hatte sich einen abenteuerlichen Auf-eigene-Faust-Urlaub vorgestellt, doch Ansgar hatte daraus eine Prüfungssituation gemacht.
«Wenn du mir heute noch keine klare Antwort geben kannst, dann lass es. Ist nicht schlimm. Verschieb es auf nach dem Urlaub. Wenn wir beide diese herrlichen zwei Wochen auf La Isla Bonita hinter uns haben, dann werde ich nochmal darauf zurückkommen. Okay, mein Schatz?»
Nichts war okay. Gar nichts. Knapp tausend Euro und eine Menge Vorfreude zum Fenster hinausgeschmissen. Sie würde nicht mitkommen.
Wencke vermisste ihren Kater, den sie gestern schon zu ihrem Kollegen Meint Britzke gebracht hatte. Der Getigerte spielte nun mit Meints kleiner Tochter auf dem gepflegten Rasen hinter dem Einfamilienhaus in Tannenhausen. Wenckes Füße, auf denen er sonst jeden Morgen weich und wohlig lag, waren kalt. Das Einzige, was sie heute tun würde, war, ihn wieder nach Hause zu holen. Als Schutz gegen die Einsamkeit und gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt.
Sie wollte Ansgar doch nicht heiraten, davon war auch nie die Rede gewesen. Es war unfair von ihm, überhaupt daran zu denken.
Wencke Barlickhaus – pah! Auch wenn man heutzutage den Nachnamen nicht mehr ändern musste, sobald man einen Ring am Finger hatte … Es drehte sich ihr der Magen um bei dem Gedanken, nicht mehr Wencke Tydmers zu sein. Und wenn er noch so schlagfertig war und sie bei Wortwitz immer schwach wurde, und auch wenn er in der Lage war, in ihrem Leben ein klein wenig aufzuräumen, ohne ihr die Gemütlichkeit zu nehmen, es hatte keinen Zweck. Schon allein sein Wunsch nach einem Trauschein ließ sein Ansehen bei ihr ins Bodenlose fallen. Es war zwar schade, aber es war nun mal so.
Der Plastikpolizist made in Taiwan, der sie sonst jeden Morgen um halb sieben mit der Durchsage «Achtung, hier spricht die Polizei» weckte, hatte seit heute auch dienstfrei. Er tickte beharrlich vor sich hin und zeigte ihr, dass es bereits später Vormittag war. Gleich würde Ansgar unten hupen, mit gut gelauntem Strahlemanngesicht, das Gepäck auf der Rückbank verstaut. Wie sollte sie es ihm sagen? Vom Balkon herunter-rufen: «Fahr allein. Ich komme nicht mit»? Oder einen Zettel an die Wohnungstür heften: «Mir ist was dazwischengekommen, sorry! W.»?
Ihr ging es so schlecht, sogar an richtig fiesen, stressigen Tagen in der Mordkommission Aurich war es ihr nie so schlecht gegangen wie jetzt. Die Decke musste noch weiter über das rote Haar gezogen werden, vergiss mich, Welt, bitte vergiss mich nur für einen Tag und geh deinen Gang ohne mich …
Fast hätte sie in ihrer sauerstoffarmen Höhle das Telefon überhört.
Sie schnellte hoch, die kalten Füße fanden den Dielenboden nur mit Mühe, dann schwankte sie aus dem Schlafzimmer in den Flur, wo unter der Jeansjacke der Apparat ungeduldig weiterquengelte, wie ein kleines Kind, das nicht länger im Bett liegen wollte.
«Ja?»
«Wencke, hier ist Isa. Gott sei Dank bist du noch da, ich dachte, du wärest schon unterwegs.»
«Nee, ich bin noch da. Was gibt’s denn so Wichtiges, Mama?»
«Jasper hat doch heute Geburtstag, er wird vierzig …»
«Habe ihm bereits gestern im Präsidium eine Glückwunsch-mail nach Norderney geschickt, heute komme ich sicher nicht dazu, ihn anzurufen.»
Durfte man seine eigene Mutter belügen? Eine Notlüge, natürlich hatte Wencke den Geburtstag ihres Bruders vergessen. Dass sie auch immer so eine Unordnung in diesen Dingen an den Tag legte, die anderen Menschen so leicht von der Hand gingen. Ansgar zum Beispiel.
«Darum geht es ja gerade. Er ist gar nicht da.»
«Vielleicht ist er mit Rika unterwegs. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er dem ganzen Rummel entfliehen will. Ich würde es zumindest so machen.»
«Rika ist da. Ich habe gerade mit ihr gesprochen, sie weiß auch nicht, wo Jasper steckt. Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen.»
«Dann hat er wohl mit seinen Piraten gefeiert?»
Wencke hörte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. Isa war alles andere als eine gluckenhafte, überängstliche Mutter. Im Grunde schien sie sogar ganz froh darüber zu sein, dass beide Kinder aus dem Hause waren und ihr eigenes Leben weit weg von Worpswede führten. Dieser Anruf war alles andere als typisch für sie.
«Hat er nicht. Er ist gestern Abend noch nicht einmal zur Probe erschienen. Seine Bandkollegen waren ziemlich sauer, weil er ihnen eine kleine Party versprochen hatte.»
«Machst du dir Sorgen, Mama?»
Einen kurzen Moment war es still. Wencke konnte förmlich spüren, wie ihre Mutter sich überwinden musste, etwas zu sagen.
«Schatz, ich weiß, ich habe dich und deine Arbeit bei der Polizei mehr als einmal durch den Kakao gezogen, das tut mir auch Leid, aber …»
«Ja?»
«… könntest du deine Kollegen nicht ein bisschen dazu verleiten, der Sache auf den Grund zu gehen? Ich weiß, du fliegst heute mit Ansgar in den Urlaub, aber dir wird doch sicher ein Polizist einfallen, der sich dieser Sache ein wenig annehmen könnte. Du bist doch sozusagen die Chefin.»
Wencke ließ diese Sätze auf sich herabrieseln wie eine erfrischende Dusche an einem so warmen Tag wie heute. Ihre Mutter hatte eben, wenn auch durch die Blume, eine gehörige Portion Anerkennung durch den Telefonhörer geschickt. Diesen Tag würde sie sich merken. Sie hatte keinen Terminkalender, sonst hätte sie heute ein rotes Kreuzchen hineingemalt. Dann würde sie auch nie wieder den Geburtstag ihres großen Bruders vergessen. Vielleicht sollte sie sich sogar zu diesem Anlass endlich einmal einen dieser ledergebundenen Multifunktionsorganizer anschaffen, so einen in der Art, wie Kollege Britzke ihn besaß, mit Taschenrechner und Zyklustabelle nach der Knaus-Ogino-Methode. Diese Genugtuung, auf die Wencke schon lange vergeblich wartete, hatte nichts mit einem unvollendeten Abnabelungsprozess oder irgendetwas Diffus-Psychologischem zu tun. Es war nur einfach so, dass ihr seit dem Tag, an dem sie sich bei der Polizeischule angemeldet hatte, die heimische Künstlerfamilie immer unterschwellig vorwurfsvoll und verständnislos in die Augen blickte. Und heute war endlich der Tag, an dem ihre Mutter zugegeben hatte, dass man mit Meditation und extrovertierter Malerei keine wirk-lichen Probleme lösen konnte. Jetzt brauchten sie sie: Wencke.
«Ja, ich bin die Leiterin der Mordkommission Aurich, Mama, seit gut einem Jahr. Ich hatte schon gedacht, das würde nie so richtig zu dir vordringen.»
«Tut mir Leid, mein Kind, ich kann manchmal ganz schön verletzend sein, ich weiß. Aber ich möchte dich noch einmal bitten, Wencke, deine Kollegen sollten unbedingt nach Jasper Ausschau halten.»
«Also, so ganz nachvollziehen kann ich deine Sorge aber nicht, Mama. Lass meinen großen Bruder doch mal für ein paar Tage verschwinden. Du müsstest ihn doch eigentlich kennen, er ist doch so, wie ihr euch einen Sohn immer gewünscht habt: ein wenig unkonventionell, ein Lebenskünstler. Nicht zuverlässig, aber schöngeistig. Komm ich heute nicht, komm ich morgen.»
«Es ist mir Ernst, Wencke.»
«Das habe ich vermutet. Sonst hättest du dich wohl kaum an deine Beamtentochter gewandt.»
Doch ihre Mutter ignorierte diese kleinen Stiche, die Wencke ihr nun einfach versetzen musste, weil sie den Triumph auf ihre Art genießen wollte.
«Rika hat mir etwas erzählt. Es gab Ärger auf Norderney. Ziemlichen Ärger, an dem Jasper wohl nicht ganz unschuldig ist. Was es genau ist, wusste selbst Rika nicht, sie machte sich nur die allergrößten Sorgen, hat sogar geweint am Telefon, und du weißt selbst, dass sie kein Sensibelchen ist. Sie hat mich übrigens auch gebeten, dich einzuschalten. Sie sagte, wir sollten uns unbedingt nach einem Veit Konstantin erkundigen, der hatte anscheinend etwas gegen …»
Ein Auto hupte unten vor dem Haus. Wencke hatte es vorhin schon mit halbem Ohr wahrgenommen, jetzt wurde ihr klar, dass Ansgar wahrscheinlich ungeduldig im Wagen saß und nicht ausstieg, weil er niemals in zweiter Reihe parkte und vor ihrer Tür selten ein Parkplatz frei war. So träge Wenckes Gedankenfluss noch vor einer halben Stunde dahingeplätschert war, so gewaltig rauschte jetzt eine Idee in ihrem Kopf, als wäre im Hirn ein Staudamm gebrochen.
«Mama, mach dir keine Sorgen mehr. Ich werde mich selbst darum kümmern.»
Ein seltsamer Laut drang an ihr Ohr, war es ein erleichtertes Schluchzen oder ein unterdrücktes Erstaunen? «Aber Wencke, du wolltest doch mit Ansgar auf die Kanaren!»
«Solange ich nicht weiß, ob meinem Bruder etwas zugestoßen ist, fahre ich nicht in den Urlaub. So bin ich nun mal, Mama. Mit Haut und Haar Polizistin. Wenn ich von dir höre, dass du dir Sorgen machst, weil er verschwunden ist, dann packe ich selbstverständlich meine Koffer und fahre nach Norderney.»
Und dieses Mal war sie sich sicher, ein leises, gerührtes Zittern in der Stimme ihrer Mutter zu vernehmen.
«Gott sei Dank, Wencke. Und denk an diesen Veit Konstantin. Meine Güte, bin ich froh.»
Ich auch, dachte Wencke.
Der erste Montag ohne überflüssiges Palavern über dampfenden Kaffeepötten. Als Wencke Tydmers gestern den persönlichen Kram vom Schreibtisch weggepackt und, die Jeansjacke um die Hüfte gebunden, strahlender Laune das Polizeipräsidium verlassen hatte, musste Axel Sanders sich richtig zusammenreißen, um nicht sofort die Sekretärin zu beauftragen, seine Akten und Unterlagen hin-überzuräumen.
Doch nun saß er da, hatte endlich mal ein Büro für sich allein und einen Stuhl unterm Hintern, der zu ihm passte. Aus Leder und zum Drehen, mit verstellbarem Sitz und federnder Rückenlehne, eigentlich viel zu groß für die kleine, zierliche Person, die ihn normalerweise in Beschlag nahm. Wenn Wencke Tydmers ihn zu sich ins Zimmer kommen ließ, was selten geschah, da sie meist selbst kam, wenn sie etwas wollte, wenn sie da also in dem Zimmer saß, auf dessen Tür Hauptkommissarin Wencke Tydmers stand, dann wirkte sie eigentlich ein wenig verloren. Sanders hatte schon mal mit Britzke darüber reden wollen, doch der schien es anders zu sehen. Aber der hatte ja auch jahrelang an Wenckes Seite gearbeitet und war somit befangen.
Es war knapp gewesen, damals vor einem dreiviertel Jahr, als die Entscheidung fiel, welcher Name auf diesem Schild stehen würde: Axel Sanders oder Wencke Tydmers. Und er erinnerte sich noch allzu gut an die Rede, die der Polizeipräsident am Tag der Beförderung geschwungen hatte: «Wir alle wissen, Frau Tydmers ist vielleicht nicht so, wie man sich eine Kommissarin aus dem Lehrbuch vorstellt, sie ist nicht immer pünktlich und – wie mir ihr langjähriger Assistent Meint Britzke verraten hat – auch nicht besonders ordentlich, wenn es um die bürokratische Seite unseres Berufes geht …» Und an dieser Stelle hatten alle Kollegen gut gelaunt und herzlich gelacht, alle außer Axel Sanders, denn er fand es eigentlich nicht besonders witzig.
«Aber Wencke Tydmers hat dieses Team auf eine ganz andere Art und Weise bereichert: Sie ist engagiert, kollegial und verfügt über die außergewöhnlich erfolgreiche Gabe, zwischen den Zeilen zu lesen, manche nennen es weibliche Intuition. Egal, wie es heißen mag, es ist selten und es ist der Grund, weshalb wir sie heute zur Leiterin der Auricher Mordkommission ernennen.» Und dann gab es Applaus und Händeschütteln und Blumen und Sekt. Und Wencke Tydmers hatte an diesem Tag noch schöner ausgesehen, als sie es ohnehin schon war. Es hatte Axel Sanders einen zusätzlichen Stich versetzt, denn sie war doch eigentlich gar nicht sein Typ. Sie war zu klein, zu lässig gekleidet, zu vorlaut sowieso. Und er dachte trotzdem viel zu oft an sie. An ihren hellen Kopf, dem Gedanken entschlüpften, die ihm selbst nie kommen würden. An den Moment, als er ihr zur Beförderung gratulierte und eine Rose überreichte, keine rote, um Himmels willen. Eine einzelne gelbe Rose als Symbol ihrer Versöhnung nach dem Kampf um den Stuhl aus Leder, als Zeichen, dass er ihr die Beförderung durchaus gönnte, wenn auch mit leichtem Sodbrennen. Und sie hatte ihn angesehen, vielleicht sogar in ihn hinein, jedenfalls hatte sie sofort verstanden, dass diese Rose ohne weiteres auch rot hätte sein können. Er war froh, dass sie nun eine Zeit lang nicht da war. Nicht nur sie brauchte Urlaub, auch ihm würden sie gut tun, zwei Wochen ohne dieses unerwünschte Herzklopfen im Büro.
Und in diesen zwei Wochen würde er als Wenckes Vertreter sein Können unter Beweis stellen. In seinem letzten Urlaub hatte er auf Menorca ein Seminar für Teamfähigkeit und Führungsqualitäten besucht. Am ersten Abend hatten sie ein paar Rollenspiele gemacht, nicht irgendwelches Laientheater, sondern außergewöhnliche Situationstests, die das bereits vorhandene Potenzial auf die Probe stellten. Sein Ergebnis war niederschmetternd gewesen und er hatte sogar kurzfristig überlegt, den Lehrgang zu schmeißen, da er sich falsch verstanden fühlte. Doch dann hatte sein Ehrgeiz gesiegt, und siehe da, hartes Extremtraining, schweißtreibende Strategieperformances und knallharte Individualdiagnosen hatten aus ihm in nur acht Tagen einen neuen Menschen gemacht. Es hatte viel Geld gekostet, und er bekam diesen Kurs nicht als Weiterbildungsmaßnahme anerkannt, weil das verknöcherte Polizeisystem noch nie etwas von dieser bahnbrechenden Methode gehört hatte, was typisch war. Doch er hatte diese Tage auf Menorca noch nicht einmal bereut, auch wenn er dort drei Kilo abgenommen hatte und trotz des Sonnenscheins kreidebleich nach Hause gekommen war. Denn seitdem konnte er die Fehler seiner Chefin mit Röntgenblick entlarven. Fehler, die im Team vielleicht noch gar nicht aufgefallen waren, die niemanden störten, die aber auf lange Sicht der gesamten Mordkommission erheblich schaden konnten. Fehler, die Wencke Tydmers so beliebt machten, weil sie aus menschlichen Schwächen resultierten.
Er behielt sie im Blick. Er wollte ihr nicht wirklich schaden, beileibe nicht. Vielleicht half es ihr sogar, wenn er hier erst einmal richtig aufräumte. Vor allem dieses so genannte Meeting am Montagmorgen, wenn sie alle fast schweigend über ihren Kaffeepötten saßen, war in Axel Sanders’ Augen ein fatales Ausleben der mangelnden Motivation am Wochenanfang. Deswegen hatte er es heute Morgen anders gemacht. Statt Kaffee klare Anweisungen: «Greven und Strothmann, Sie tragen nochmal alles Wissenswerte über den Betrunkenen im Hager Kiesteich zusammen und übergeben die Unterlagen umgehend der Staatsanwaltschaft mit Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Gut, das ist jede Menge Schreibarbeit, ich weiß, aber je eher Sie damit beginnen, desto schneller liegt der Fall bei den Akten.» Die ersten bösen Blicke trafen ihn, doch er ignorierte sie, wandte sich stattdessen den anderen zu. «Blomberg und Muttge, besuchen Sie noch einmal den Feuerwehrhauptmann in Norden, diesen Hittekamp, befragen Sie ihn erneut wegen des Stallbrandes in Großheide. Wir sollten schon ausschließen können, dass es Brandstiftung und eventuell versuchter Totschlag war.»
Die schlechte Laune war seinen Leuten ins Gesicht geschrieben. Dafür befand sich die seine auf einem ersten Höhepunkt, er erwartete in den nächsten vierzehn Tagen noch einige dieser kurzen Momente vollkommener Selbstzufriedenheit.
Endlich war es so weit: Das Telefon klingelte, und er konnte abnehmen und sich mit «Polizeipräsidium Aurich, Leitung der Mordkommission, Axel Sanders» melden.
«Hallo, bin ich da richtig? Man hatte mir gesagt, dass ich mit einer Hauptkommissarin Tydmers verbunden würde.»
Eine junge, etwas fiepsige Frauenstimme, sicher ein privater Anruf für Wencke Tydmers, aber so etwas würde es bei ihm nicht geben.
«Bedaure, Frau Tydmers ist mit ihrem Schatz auf die Kanaren geflogen. Sonne, Strand und Meer, Sie verstehen?»
Die Frau am anderen Ende zögerte kurz. «Sind Sie die Vertretung?»
«So ist es. Und mit wem habe ich das Vergnügen?» Gleich legt sie beschämt auf, dachte Sanders.
«Hier ist die Polizeidienststelle Norderney, Kommissarin Lütten-Rass. Es geht um einen Todesfall hier auf der Insel, wahrscheinlich Selbstmord.»
Sanders spürte, wie ihm der Schweiß am Hemdkragen emporkroch, es war aber auch wirklich heiß heute und das Büro hatte keine Klimaanlage. «Aha», sagte er nur knapp, weil ihm für mehr Worte einfach zu warm war.
«Man hat noch versucht, zu reanimieren. Sprung von der Sonnenterrasse der Maritim-Klinik, da war jede Menge Fachpersonal zur Stelle. Die inneren Verletzungen waren aber zu schwer, der Tod ist gegen Mitternacht eingetreten.»
«Soso, dann müssen wir wohl mal jemanden auf die Insel schicken. Ich werde zwei Kollegen für Sie abstellen, in Ordnung?»
Die fast kindlich hohe Stimme bekam einen aufgeregten Unterton, es sollte wohl wütend klingen, kam aber eher hysterisch in Sanders’ Ohr an. «Nun seien Sie mal nicht so gönnerhaft, werter Kollege. Mir ist schon klar, dass niemand sich darum reißt, auf die Insel zu kommen. Aber wie gesagt: Wir haben hier eine Leiche, und wir müssen schnell klären, wie die Person zu Tode gekommen ist, weil uns sonst nämlich die Kurgäste und die Vermieter aufs Dach steigen. Wir haben Hochsaison, da können wir absolut keine Toten gebrauchen. Verstanden?»
Sanders lachte leise und drehte den Hörer zur Seite, damit die kleine Piepsmaus auf Norderney seinen Spott nicht mitbekam. «Verstanden!»
«Sie können die Insel heute noch wieder verlassen, die letzte Fähre geht erst abends um elf. Ihre Leute werden gar nicht merken, dass sie auf einer Insel sind, versprochen. Aber ich bitte Sie, kommen Sie so bald wie möglich, am besten schon mit dem Schiff ab Norddeich um 13.30 Uhr. Ist das möglich?»
«Ich denke schon», sagte Sanders. «Sagen Sie noch, wer ist denn zu Tode gekommen? Ein Kurgast, ein Insulaner? Jung oder alt? Männlich oder weiblich? Solche Informationen sollten Sie der Mordkommission beim nächsten Mal direkt am Anfang des Gespräches und ohne Nachfrage mitteilen, junges Fräulein, damit wir uns hier ein Bild machen können, was uns erwartet.»
Er hörte die Kollegin nach Luft schnappen und hielt sein Ohr ein wenig auf Abstand, falls sie vorhatte, in dieser Stimmlage gleich loszuschreien. Doch sie blieb ruhig. «Insulaner, jung, weiblich. Der Name der Toten ist Leefke Konstantin, sie war erst vierzehn. Reicht das?»
Sanders fehlten für einen kurzen Augenblick die Worte.
Im Prinzip hatte Wencke die Konfrontation nur hinausgezögert. Ansgar war nun sicher schon am Flughafen. Und sie stand in Norddeich am Fähranleger und wartete inmitten einer Menschentraube darauf, dass die große weiße Fähre ihre Passagiere von Bord gehen ließ, damit sie mit der kleinen Tasche in der Hand – viel hatte sie nicht mitgenommen – das Schiff um halb zwei nach Norderney nehmen konnte.