Der Butler 06: Die Bedrohung - Andreas Zwengel - E-Book

Der Butler 06: Die Bedrohung E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Bizarre Fischmenschen tauchen im Wattenmeer auf. Butler James und Lady Marbely müssen lernen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die auf nichts Rücksicht nehmen. Auch nicht auf eine freundliche, steinreich Lady von Adel.

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Seitenzahl: 154

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DER BUTLERBand 6

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

Andreas Zwengel

DIE BEDROHUNG

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierIllustrationen: Jörg NeidhardtSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-507-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Am Strand

Daniel Kocks lebte allein in einem Strandhaus auf Föhr. Das Gebäude war ein einstöckiger Flachbau mit gepflegtem Vorgarten und einem brusthohen Bretterzaun. Kocks beobachtete die Leute, die an seinem Haus vorübergingen, lebte aber ansonsten sehr zurückgezogen, was die meisten Frauen als Verschwendung betrachteten. Er saß immer auf seiner Terrasse, wenn sie am Strand entlang joggten. Dann lächelte er, und es war reine Freundlichkeit, keine plumpe Anmache, wie sonst so oft am Strand.

Daniel machte nicht den Eindruck, als könne er sich ein solches Anwesen leisten. Zumal er sich den ganzen Tag zu Hause aufhielt und keiner geregelten Arbeit nachzugehen schien. Viele fragten sich, was er wohl beruflich machte. Bärbel Reitz gehörte seit ihrer Ankunft zu seinen glühendsten Verehrerinnen und joggte an jedem Urlaubstag an Kocks Haus vorüber. Gestern war sie langsamer gelaufen und hatte ihn gegrüßt. Als er zurücklächelte, wäre sie fast gestolpert, da ihre Knie weich wurden. Sie war sich albern vorgekommen, wie ein Teenager, der seinen Schwarm anhimmelte. Es war dieses Lächeln, mit dem er sie eroberte. Obwohl er eigentlich nicht in ihr Beuteschema passte. Zu alt, zu kräftig, zu dunkel, zu behaart. Sie stand nicht auf den südländischen Typ und hatte einen regelrechten Ekel vor Machos. Allerdings machte er keinen einzigen dummen Spruch, sondern gab sich eher schüchtern und zurückhaltend. Sie mochte das. Zweimal am Tag kam sie an seinem Haus vorbei und hoffte, dass er auf seiner Terrasse saß. Glücklicherweise tat er das die meiste Zeit.

An diesem Abend hielt Bärbel direkt an seinem Zaun an, zog ihre Laufschuhe aus und ließ den Sand herausrieseln. Dabei achtete sie darauf, ihm einen ausgiebigen Blick auf ihre gebräunten und durchtrainierten Beine zu gewähren. „Hallo. Wollen wir schwimmen gehen? Ich habe vom Laufen sogar Sand zwischen den Zähnen.“

„Ich könnte dir meine Dusche anbieten“, sagte Kocks.

„Duschen? Wenn wir direkt am Meer stehen?“

Daniel schüttelte den Kopf. „Ich gehe nie ins Meer.“

„Dann vielleicht ein kleiner Spaziergang“, versuchte sie es weiter.

„Danke nein, ich bleibe lieber zu Hause“, sagte er freundlich und so, als würde er es selbst bedauern.

Bärbel zog eine Schnute. Daniel machte es ihr nicht einfach. Er schien Angst davor zu haben, sein Haus zu verlassen. Wie hieß das noch mal? Agoraphobie? Aber dann würde er wohl kaum auf seiner Terrasse hocken. Nein, er musste andere Gründe haben.

Sollte sie ihn rauslocken? Einen Unfall fingieren, damit er ihr zur Hilfe kam? Mit gutem Zureden war er nicht zum Verlassen des Hauses zu bewegen, also setzte sie ihre spontane Idee in die Tat um. Sie verabschiedete sich und lief direkt zum Meer. Dort zog sie T-Shirt und Shorts aus, unter denen sie einen äußerst knappen Bikini trug. Damit wollte sie ihn eigentlich beim gemeinsamen Schwimmen überraschen, aber nun hoffte sie, dass er auch auf die Entfernung seine Wirkung tat.

Sie winkte ihm vom Strand aus zu und machte ein paar einladende Gesten, die er kopfschüttelnd ablehnte. Dann versicherte sie sich, dass der Strandabschnitt weitgehend verlassen war, bevor sie mit ihrer Show begann. Sie wollte schließlich nicht, dass sie aus Versehen ein anderer Mann rettete.

Bärbel begann zu schreien, wedelte mit den Armen und tauchte den Kopf unter, um überzeugend ihr Ertrinken zu simulieren. Daniel stand an seinem Zaun und zögerte. Also legte sie noch mehr Dramatik in ihre Darstellung. Viel authentischer konnte sie diese Rolle nicht spielen, ohne tatsächlich Wasser zu schlucken und sich in Gefahr zu begeben.

Schließlich streifte Daniel seine Jeans nach unten und kletterte über den Zaun. Es war lustig, wie er sich abmühte. Immerhin, ein Bein hatte er schon frei. Doch das Jeansknäuel am anderen sah zu komisch aus. Sie konnte nicht anders und musste lachen. Daniel blieb abrupt stehen und sah sie ungläubig an.

Sie erkannte sofort, dass er die Sache nicht mit Humor nahm. Er rief ein paar wütende Worte in ihre Richtung, die sie nicht verstand, machte kehrt und stakste zum Haus zurück. Sie rief ihm nach, doch er reagierte nicht.

Daniel erreichte seine Terrasse, setzte sich auf die Stufen und begann, seine Jeans wieder anzuziehen. Er ärgerte sich darüber, dass er einem dummen Scherz zum Opfer gefallen war. Es war nun einmal so, dass er das Haus weder verlassen noch jemanden hereinlassen durfte. Beides konnte ihm mächtigen Ärger einbringen. Nicht nur einen Rüffel der Behörden, sondern vielleicht auch die Aufmerksamkeit der Leute, vor denen er sich hier versteckte.

Bärbel stand im hüfthohen Wasser und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. Seine Reaktion empörte sie. Es war doch ziemlich kindisch, wegen eines kleinen Scherzes sich so grantig zu benehmen.

Als er aufstand, um den Bund seiner Hose zuzuknöpfen, konnte Bärbel deutlich das schwarze Gerät an seinem Knöchel sehen. Es war eine dieser elektronischen Fußfesseln, die sofort einen Alarm auslösten, wenn ihr Träger einen bestimmten Bereich verließ.

Du meine Güte, es handelt sich um einen verurteilten Verbrecher, dachte sie. Wie schade. Andererseits war es sicher nichts Schlimmes, wenn er seine Strafe an diesem Ort verbüßen durfte. Einen Serienkiller würden die Behörden ja wohl kaum hier unterbringen. Jetzt würde er wahrscheinlich Stress bekommen. Seine Rollläden glitten nach unten. Offenbar war er nicht an einer Aussprache interessiert. Sie hatte einen Fehler gemacht, aber schließlich konnte sie das nicht ahnen. Nun machte es auch keinen Sinn mehr, weiter im Wasser zu stehen. Sie watete gerade an Land, als sich ihr Fuß in etwas verfing, das sich wie eine dieser glatten ekligen Algen anfühlte. Angewiderte wollte sie den Fuß heben, um sich von dem Ding zu befreien, doch das war ihr nicht möglich. Sie blickte nach unten und sah eine grünlich-blaue Hand, die ihren Knöcheln gepackt hielt. Direkt unter der Wasseroberfläche befand sich eine riesige Gestalt. Es war kein Mensch, obwohl die Gestalt menschenähnlich war.

Bärbel öffnete den Mund zum Schreien, als sie von den Beinen gerissen wurde und der Länge nach in die flache See klatschte. Sie schluckte Wasser und ruderte mit den Armen, um an die Oberfläche zu gelangen. Doch der Griff an ihrem Knöchel verstärkte sich, bis die Knochen brachen, und dann wurde sie unter Wasser aufs Meer hinausgezogen.

Lena Berner schloss die Tür ihres Zimmers ab und durchquerte zügig den Flur. Ihre Nachbarn kannte sie kaum, und wenn sie das Zimmer verließ, lauschte sie zuerst in den Flur hinaus, ob jemand unterwegs war. Sie fand Small Talk unglaublich schwer und anstrengend, obwohl dabei doch nur die üblichen Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden. Manche mochten es als schwierig betrachten, berühmt zu werden, sie dagegen hatte ein Problem damit, ihre Anonymität zu wahren. Denn Lena war einmal eine der beliebtesten deutschen Gameshowmoderatorinnen gewesen. Damals, vor ihrer Erkrankung und bevor sie die Vierzig überschritt.

Seit zwei Monaten befand sie sich in einer Kurklinik auf Föhr und galt offiziell als geheilt. Am nächsten Morgen sollte sie entlassen werden und in ein Leben zurückkehren, das es so nicht mehr gab. Kein Job, keinen Ehemann, keine Familie, die auf sie warteten. Sie würde in ihre Penthousewohnung in Hamburg zurückkehren und langsam wieder die Kontakte aufbauen, die sie nach ihrer Diagnose so konsequent abgebrochen hatte. Damals, als sie dachte, sie müsse sterben.

Viele Patienten der Kurklinik kannten sie noch von ihren früheren Sendungen und suchten ihre Nähe. Manche nur, um sich mit ihr fotografieren zu lassen oder etwas Klatsch aus dem Showgeschäft aufzuschnappen, was ja auch in Ordnung war. Aber es gab zahlreiche Patienten, die Lena als Gesellschafterin auserkoren hatten und ihr nicht mehr von der Seite wichen, sie teilweise sogar bis in ihr Zimmer hinein verfolgten.

An diesem Abend verließ sie das Reha-Zentrum, als alle anderen beim Abendessen waren. Der sicherste Zeitpunkt, um unentdeckt zu entkommen. Sie spazierte zum Sandwall, blickte eine Weile auf das Meer hinaus und wandte sich dann nach rechts. In etwas über einem Kilometer Entfernung befand sich in Wyk-Südstrand ein Restaurant, in dem sie während ihres Aufenthaltes auf Föhr ziemlich oft gegessen hatte. Der angemessene Ort, um ihre Heilung und den Abschied von der Insel zu feiern.

Sie ging am Strand entlang, hörte das beruhigende Rauschen der Wellen und konnte bereits die Lichter des Restaurants sehen. Es wurde langsam dunkel.

Plötzlich fiel ihr etwas in den Wellen auf. Sie wandte sich dem Meer zu und sah einen Körper, der dicht vor dem Strand trieb. Sie erschrak fürchterlich und wusste nicht, was sie tun sollte. Doch als der Körper mit dem zurückweichenden Wasser wieder tiefer ins Meer gezogen wurde, watete sie tapfer in die Wellen hinein. Lena nahm sich nicht einmal die Zeit, um ihre Schuhe auszuziehen oder die Hosenbeine hochzukrempeln. Obwohl sie überzeugt war, dass es sich bei dem Körper um eine Leiche handelte, bestand doch eine geringe Chance, dass es noch nicht zu spät war.

Es war eine Frau, so viel erkannte Lena schnell. Sie griff ihr unter die Arme und zog sie zum Strand. Dort ließ sie den Körper vorsichtig in den Sand sinken und drehte ihn auf den Rücken. Mit einem lauten Aufschrei wich sie zurück. Die Frau aus dem Meer war zweifellos tot, aber ganz sicher nicht ertrunken. Ihr Oberkörper und das Gesicht sahen aus, als haben sich zwei wilde Bestien um die Beute gestritten. Ob das ein Hai gewesen war? Oder Hunde, die den Körper an Land angefallen hatten? Der Anblick war grauenhaft und Lena wandte ihren Blick ab.

Das rettete ihr das Leben, denn sie sah auf das Meer hinaus und bemerkte dadurch rechtzeitig den großen Körper, der sich ihr unter Wasser näherte. Ein Hai war es nicht, überhaupt keine Art von Fisch, sondern eher die Züge eines menschlichen Körpers. Und er näherte sich mit rasender Geschwindigkeit.

Lena wich immer weiter vom Wasser zurück und hatte schon fünf Meter zwischen sich und das Ufer gebracht. Sie war weit genug vom Meer entfernt, sodass ihr aus dem Wasser eigentlich keine Gefahr drohte. Aber was, wenn ...?

In diesem Moment brach das Wesen durch die Oberfläche, sprang im hüfthohen Wasser auf die Beine und präsentierte sich in seiner ganzen abstoßenden Hässlichkeit. Lena schrie erneut, aber nicht lange, denn ihr Überlebensinstinkt gewann die Oberhand und sagte ihr, dass Hilferufe allein sie nicht retten würden. Sie sorgten höchstens dafür, dass man ihre Leiche früher fand.

Das Wesen kam auf das Ufer zu. Der Wasserwiderstand behinderte seine Bewegungen zwar noch, aber nicht in einem Ausmaß, das Lena beruhigen konnte. Sie drehte dem Meer den Rücken zu und rannte los, wobei der weiche Sand ihrer Geschwindigkeit abträglich war.

Hinter sich hörte sie das Plätschern von jemandem, der schnell durch niedriges Wasser lief, dazu stieg ihr ein Geruch in die Nase, der irgendwo zwischen Meerwasser und Fischmarkt einzuordnen war. Sie erreichte die ersten Bäume hinter dem Strand und hielt nicht an, um nachzusehen, wo sich das Wesen gerade befand. Lena rannte, so schnell sie konnte, zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurch.

Plötzlich wurden ihr die Beine unter dem Körper weggerissen. Sie spürte, wie der Stoff ihrer Hose nachgab, und dann knallte sie hart auf den Waldboden. Ihr blieb die Luft weg, obwohl der Untergrund glücklicherweise noch recht weich war. Sie rollte sich stöhnend auf den Rücken und betrachtete ihre schmerzenden Beine. Ihre Hose war zerrissen, durch die klaffenden Löcher im Stoff bemerkte sie dünne Blutlinien auf ihrer Haut. Sie hob den Blick und sah den Stacheldrahtzaun, über den sie gestürzt war. Die Büsche verdeckten ihn fast vollständig und ihr war keine Möglichkeit geblieben, dem Sturz zu entgehen. Sie musste weiter, denn sie konnte ihren Verfolger hören. Ihre Bluse war zerrissen und entblößte an vielen Stellen ihre nackte und blutige Haut. Ihre Schuhe waren verschwunden, sie musste sie beim Sturz verloren haben. Sie wagte nicht, ihre schmerzenden Fußsohlen zu betrachten. Sie trat zwischen den Bäumen hervor und stand vor einem Haus. Sie empfand wie jemand, der für Wochen im Dschungel umhergeirrt war und nun zum ersten Mal wieder ein Zeichen der Zivilisation sah. Dabei war die Insel gar nicht so dünn besiedelt. Es gab zwölf Ortschaften und soweit sie wusste über siebzig Bauernhöfe. Vor einem der letzteren stand sie nun.

Das zweistöckige Haus war zwar nicht beleuchtet, schien aber dennoch bewohnt zu sein. Die Leute schliefen sicher schon. Wie spät war es eigentlich? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Lena begann zu rufen und mit beiden Händen gegen die Fensterläden zu schlagen. Immer heftiger, bis schließlich im ersten Stock hinter einem Fenster das Licht anging.

Ein alter Mann erschien. Misstrauisch blickte er in die Dunkelheit. „Was ist das für ein Krach? Was soll der Unsinn?“

„Helfen Sie mir bitte“, krächzte sie.

„Ihr wollt wohl einen alten Mann verarschen? Macht, dass ihr wegkommt!“

Entsetzt musste Lena mit ansehen, wie er vom Fenster verschwand. Sie ging in die Knie und tastete am Boden entlang, bis sie einen geeigneten Stein gefunden hatte. Sie holte weit aus und schleuderte ihn, so fest sie konnte. Der Stein traf sein Ziel und durchschlug klirrend die Fensterscheibe. Sofort erschien der alte Mann wieder. Sie sah noch, dass er etwas in den Händen hielt, dann traf sie ein Schwall lauwarmer Flüssigkeit.

„Ich hoffe, das reicht! Seid bloß froh, dass sie mir meine Flinte abgenommen haben!“, brüllte der Mann.

Ein penetranter, widerlicher Geruch stieg ihr in die Nase, sie schnitt eine Grimasse und lief weiter, bis sie merkte, dass der ekelerregende Duft von ihr ausging. Sie zog an ihrer dünnen Bluse, die völlig durchnässt war und auf der Haut klebte. Das alte Schwein hatte sie nicht mit Wasser bespritzt, sondern mit Urin. Er hatte seinen Nachttopf über ihr ausgeschüttet. Ein Würgereiz überkam sie, sie beugte sich nach vorne, doch es kam nichts. Rasch ­entfernte sie sich von dem Haus, bevor er noch ein härteres Wurfgeschoss fand. Was für ein Mistkerl! Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken gegen einen Baum und wollte vor Frustration und Angst weinen. Der widerliche Geruch, der von ihrer Kleidung ausging, wurde überlagert von diesem fischigen Gestank, nur viel stärker als zuvor. Sie machte instinktiv einen Satz zur Seite, eine Pranke furchte tief durch die Rinde des Baumes. Lena warf einen entgeisterten Blick auf die Stelle und malte sich aus, wie es ihr ergangen wäre, wenn sie noch an dieser Stelle gestanden hätte. Es wäre wohl nicht viel von ihr übrig geblieben.

Sie wollte weiter fliehen, doch der Angreifer schwang seinen Arm wieder zurück und erwischte sie mit der Rückhand. Der Schlag beförderte sie der Länge nach auf den Boden. Sie konnte kaum atmen, so sehr schmerzten ihre Rippen. Lena versuchte aufzustehen, doch jede Bewegung jagte Schmerzwellen durch ihren gesamten Körper. Sie drehte den Kopf und sah das riesige Fischmonster, das sich gerade vorbeugte, um nach ihrem linken Bein zu greifen. Lena schrie entsetzt auf. Ein dumpfes Ploppen ertönte, das Wesen wurde von ihr weggestoßen. Mit einem gequälten Laut landete es in hohem Bogen zwischen den dichten Büschen.

Lena drehte den Kopf nach vorne und sah ein Paar sehr teurer schwarzer Schuhe der Marke Edward Green. Perplex blickte sie zu ihrem Retter auf. Er war eine eindrucksvolle Erscheinung und das lag nicht nur an der Größe von etwa einem Meter neunzig. Über einer dunklen Hose trug er einen dezent gestreiften Frackrock und auf seinem Kopf saß eine Melone. Sie träumte wohl. Was machte ein englischer Butler hier auf Föhr? Noch dazu einer, der aussah wie aus einer Witzzeichnung oder einer tschechischen Kinderserie. Den Regenschirm hielt er wie ein Gewehr in seinen Händen.

Er sah auf sie herab und tippte mit den weiß behandschuhten Fingern der rechten Hand grüßend gegen den Rand seiner Kopfbedeckung. „Einen schönen guten Abend, meine Dame. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“

Der Mann sprach perfektes Deutsch. Er hängte seinen Regenschirm mit dem Griff an seinen linken Unterarm und reichte ihr seine rechte Hand, um ihr aufzuhelfen.

„Ganz und gar nicht“, versicherte Lena und schaute sich wieder um. „Ist es tot?“

„Unwahrscheinlich. Das war ein Gummigeschoss, das Gegner nur außer Gefecht setzt. Dieser Spaßvogel wird eine Weile Schmerzen haben und einen blauen Fleck in der Größe von Australien.“

Lena ergriff die angebotene Hand und ließ sich auf die Beine helfen. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr ...“

„Mein Name ist James. Nur James. Ich bin der Butler von Lady ...“ Ein brutaler Schlag traf ihren Retter in den Rücken und wischte ihn zur Seite. Lena schrie auf und taumelte vor dem Monster zurück.

Der Butler rollte sich ab und kam sofort wieder auf die Beine. Sein Frack wies drei lange Risse auf, die von den Krallen des Angreifers stammten. Das Material seines Frackrocks war extrem widerstandsfähig und sollte weder mit einem Messer noch mit einer Pistolenkugel zu durchdringen sein. Doch diese Krallen schafften es, zumindest die Oberfläche aufzureißen.

Als ebenso enttäuschend stellte sich die Wirkung des Gummigeschosses heraus. Es hatte das Wesen deutlich weniger beeindruckt, als es von der Herstellerfirma versprochen wurde. Es schien ihm nur die Laune verdorben zu haben, aber die war auch zuvor wohl nicht besonders sonnig gewesen. Durch den Hieb hatte James seinen Schirm verloren, aber ihm blieb keine Zeit, nach ihm zu suchen, denn das Wesen baute sich bedrohlich vor seinem Opfer auf. Die Frau war kreidebleich und machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment einem Herzschlag erliegen. Noch bevor sie ein tödlicher Prankenschlag treffen konnte.

Der Butler nahm seine Melone ab, trat hinter das Wesen und schlug damit zu. Der Aufprall hätte ihm seine Kopfbedeckung fast aus der Hand gerissen, aber die Stahlfüllung zeigte Wirkung. Das Wesen taumelte ein paar Schritte zur Seite und hielt sich den schmerzenden Schädel. James setzte noch einmal nach, sprang in die Höhe und schlug mit aller Kraft von oben herab zu. Bei einem menschlichen Gegner wäre der Kampf nach diesem Treffer sofort beendet gewesen und der Getroffene aller Wahrscheinlichkeit nach sogar tot, aber diese Gestalt knickte nur kurz ein.

Der Butler entdeckte seinen Schirm und hob ihn auf. Er drehte an der Griffeinstellung, um ein anderes Geschoss zu wählen. Die Gummigeschosse waren zwar effektiv, aber in diesem Fall leider nicht ausreichend.