Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 18: PSI-Schwadron - Andreas Zwengel - E-Book

Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 18: PSI-Schwadron E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Die Zitadelle ist ein Geheimgefängnis für Verbrecher mit übernatürlichen Fähigkeiten. Als vier der Insassen eine spektakuläre Flucht gelingt, bittet die Direktorin den Schattenchronik-Leiter Paul Seyferd um Hilfe. Gemeinsam mit einem Team erfahrener Jäger und übersinnlich begabter Helfer macht er sich auf die Suche nach den Flüchtigen.Schon bald begreift Seyferd, dass ein mysteriöser Außenstehender die Flucht aus der Zitadelle ermöglicht hat und ein ganz spezielles Ziel mit seiner PSI-Schwadron verfolgt

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Seitenzahl: 201

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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 18

In dieser Reihe bisher erschienen:

2901 Curd Cornelius Die andere Ebene

2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee

2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald

2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen

2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald

2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer

2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome

2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland

2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land

2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes

2911 Andreas Zwengel Flussvampire

2912 Andreas Zwengel Die Barriere bricht

2913 Andreas Zwengel Die vier Reiter der Hölle

2914 Michael Mühlehner Der Voodoo-Hexer

2915 Michael Mühlehner Doktor Luzifere

2916 Michael Mühlehner Im Bann des Bösen

2917 Andreas Zwengel Rachehexen

2918 Andreas Zwengel PSI-Schwadron

Andreas Zwengel

PSI-SCHWADRON

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-529-6

Kapitel 1

Paul Seyferd bewegte sich durch die geheime Anlage in der gemächlichen Art, die sein Auftreten bestimmte. Für ihn gab es nicht viele Gründe, die ihn zu einer schnelleren Gangart bewegen konnten. Schließlich gab es ­Handys, durch die man mit den Personen reden konnte, die man dringend sprechen wollte. Ein Anruf wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihn über wichtige Dinge zu informieren. Aber während der zweistündigen Fahrt hatte sie niemand genutzt.

Die Anlage war so geheim, dass Seyferd in einem Fahrzeug mit abgedunkelten Fenstern transportiert wurde. Am liebsten hätten sie ihm wohl noch eine Kapuze über den Kopf gezogen, aber niemand wagte es, den Vorschlag zu machen. Vor dem Betreten des Gebäudes hatte er darauf bestanden, noch eine Zigarette zu rauchen, weil ihm die vielen Rauchverbotsschilder aufgefallen waren.

Der junge Mitarbeiter, der sich als Torben, vorgestellt hatte, verbreitete eine Hektik, von der sich Seyferd nicht anstecken ließ. Den ganzen Weg über eilte Torben voraus und musste dann warten, bis der schwergewichtige Mann ihn eingeholt hatte. Einmal kam Torben wieder ein Stück zurück und streckte seine Hand nach Seyferd aus, um ihn am Arm zu ergreifen und mit sich zu ziehen. Ein scharfer Blick ließ ihn die Hand schnell zurücknehmen. Zur Strafe wurde Seyferd noch etwas langsamer. Wenn sie seine Unterstützung wollten, mussten sie abwarten, bis er eintraf. Profis wussten und akzeptierten das, aber der Anfänger hier verhielt sich wie ein junger Hund vor dem Gassigehen. Nach fünfundzwanzig Jahren in diesem Geschäft würde auch er feststellen, dass schnelleres Gehen keine Probleme löste.

„Direktorin Sax erwartet Sie, Herr Seyferd“, sagte ­Torben bereits zum dritten Mal.

„Das will ich doch hoffen, schließlich hat sie es ziemlich dringend gemacht.“

Wie auf Stichwort öffnete sich eine Schleuse und gab den Blick auf Miriam Sax frei, eine schlanke Mitt­fünfzigerin mit silbergrauem Haar, das sie meist zu einem Knoten gebunden hatte. Sie trug einen unvorteilhaften Arbeitsoverall und wirkte eher wie eine Auto­mechanikerin statt wie die Direktorin einer speziellen Haftanstalt, die sie tatsächlich war. In den letzten Jahren waren einige Sorgenfalten hinzugekommen, stellte Seyferd fest, und ihre tief hängenden Mundwinkel waren ohnehin nie zum Lächeln gemacht gewesen. Aber ansonsten hatte sich das alte Mädchen hervorragend gehalten.

Seyferd bemerkte, wie sein junger Begleiter immer weiter von ihm abrückte, je näher Sax kam. Offenbar war sie immer noch in der Lage, Mitarbeiter in Angst und Schrecken zu versetzen.

„Direktorin Sax, das hier ist …“, begann Torben.

„Wir kennen uns bereits“, unterbrach ihn Seyferd, indem er einen Schritt vortrat. „Hallo, Sax.“

Miriam Sax nickte ernst. „Danke, dass du so schnell gekommen bist. Ich weiß, dass du selbst genug zu tun hast.“

„Die Rasselbande kann auch mal einen Vormittag ohne mich auskommen“, sagte Seyferd beschwichtigend. „Also, worum geht´s?“

„Eine Geiselnahme“, antwortete eine ernste Männerstimme hinter ihm.

Seyferd drehte sich gemächlich um und sah einen Mann von Anfang vierzig, der hinter ihm den Raum betreten hatte. Er war mittelgroß, durchtrainiert und trug die dunkle Uniform des Sicherheitspersonals der Anlage.

„Das ist Erik Winter, der Sicherheitschef der Zitadelle.“

Seyferd nickte dem Mann zu und verzichtete auf ein Händeschütteln. Winters Miene verriet ihm alles, was er wissen musste. Er war bestimmt dagegen gewesen, dass ein Außenstehender eingeschaltet wurde, und wollte das Problem allein lösen. Vor allem, um den peinlichen Patzer unter den Tisch kehren zu können.

„Verraten sie mir die Details“, forderte Seyferd ihn auf.

„Vier Geiselnehmer und ebenso viele Geiseln“, sagte Winter widerwillig.

„Die Geiselnehmer sind Insassen und die Geiseln gehören zum Wachpersonal? Keine Externen und keine sonstigen Angestellten beteiligt?“

„So ist es“, bestätigte Winter und reichte ihm vier Schnellhefter.

Seyferd blätterte die Akten rasch durch. Er war ein schneller Leser und konnte gezielt die richtigen Signalwörter aus dem Text picken. Die komplette Anamnese würde er in einer ruhigen Minute durchgehen, momentan brauchte er auf die Schnelle die relevanten Fakten. Die Zitadelle war kein normales Gefängnis, weil es sich bei den Insassen nicht um normale Gefangene handelte. Die Fähigkeiten dieser Leute befanden sich jenseits wissenschaftlicher Erklärung.

Zwei Männer und zwei Frauen hatten Geiseln genommen. Nummer ein, Ajax, beherrschte die Präkognition. Dadurch war er in der Lage, in die Zukunft zu sehen. Allerdings lediglich für einen Zeitraum von einer Minute. Dies eignete sich nicht für längerfristige Planungen, aber seine Fähigkeit machte es anderen unmöglich, ihn zu überraschen.

Butch war in der Lage zu teleportieren, begrenzt auf einen Radius von zehn Metern. Damit fielen Fernreisen flach. Seraphine beherrschte Telekinese. Sie konnte Dinge allein mit ihrer Willenskraft bewegen. Aber es ging nicht nur darum, eine Tasse über einen Tisch zu rücken, sondern um wesentlich schwerere Gegenstände. Außerdem konnte sie nicht vorhandene Dinge durch Manifestation erschaffen. Alles, was Seraphine sich vorstellte, entstand wie aus dem Nichts.

Neon schließlich war Telepathin. Sie konnte mit anderen Lebewesen auf Gedankenweg kommunizieren und schaffte es, die Gedanken ihrer Mitmenschen zu lesen und sogar zu beeinflussen. Ihre Akte musste Seyferd nicht lesen, da er den größten Teil davon selbst verfasst hatte. Neon verdankte ihm seine Unterbringung in der Zitadelle.

„Du kennst Neon?“, erkundigte sich Sax, ihr war sein mangelndes Interesse an der Akte aufgefallen.

„Stand das nicht in ihrer Akte? Ich habe sie damals geschnappt.“

„Muss in dem geschwärzten Teil gestanden haben. Sie wurde mehrfach geschnappt.“

„Einmal von mir. Ist schon eine Weile her.“

Vor einigen Jahren, das genaue Datum unterliegt der Geheimhaltung, war Paul Seyferd im Auftrag des BND auf Kreta. Auf der Spur einer Frau, die nicht zu fassen war. Eine Meisterspionin, die jeder Falle entkam. Er gab dem Sicherheitschef die Akten zurück. „Okay, wo sind sie?“

„Sie haben sich im Speisesaal verschanzt“, erklärte Sax.

„Bringt mich hin!“

Winter bewegte sich nicht von der Stelle. „Direktorin Sax hält Sie für den geeigneten Mann für unser Problem. Ich dagegen halte es nach wie vor für sinnvoller, einen professionellen Unterhändler einzuschalten. Jemanden, der Erfahrung mit Geiselnahmen hat. Ich möchte nur, dass Sie das wissen.“

„Ihre Bedenken sind zur Kenntnis genommen“, sagte Seyferd unbeeindruckt. „Können wir?“

Kapitel 2

Winter ging voraus, gemeinsam betraten sie durch mehrere Schleusen den Gefangenentrakt.

„Das war keine spontane Idee von ihnen“, erklärte Sax. „Es ging alles sehr schnell. Seraphine hat die Kameras per Telekinese geblendet, indem sie Schälchen mit Dessert dagegen fliegen ließ. Als wir in den Raum kamen, war die Lage schon so wie jetzt. Sie haben die Wärter gefangengenommen, die anderen Insassen verjagt und dann Forderungen gestellt.“

„Habt ihr schon welche erfüllt?“, fragte Seyferd.

„Sie wollen einen Helikopter samt Piloten, da ist es glaubhaft, dass es eine Weile dauert“, sagte Sax. „Aber langsam werden sie ungeduldig.“

„Wie sieht eure Strategie aus?“, fragte Seyferd.

„Wir knallen sie ab, bevor sie jemanden verletzen können“, sagte Winter. „Sobald die Direktorin ihre Einwilligung gegeben hat.“

„Verstehe“, sagte Seyferd.

„Eine Einwilligung, die die Direktorin nicht geben wird“, kam es kühl von Sax. „Deshalb bist du hier.“

Vor dem Eingang zum Speisesaal hatten sich mehrere bewaffnete Wärter postiert und warteten auf den Befehl, den Raum zu stürmen. Wie Winter schienen sie heiß darauf, die erlittene Schlappe wettzumachen.

Seyferd trat an eine verglaste Zwischenwand und sah nach drinnen. Der Raum war nicht sehr groß, besaß eine Essensausgabe und sechs Tische von unterschiedlicher Größe. „Sie lassen die Insassen in Schichten essen, damit nicht zu viele von ihnen aufeinandertreffen“, stellte er an Winter gewandt fast.

Der Sicherheitschef nickte.

Seyferd betrachtete die Personen, die sich in der Mitte des Raumes aufhielten. Geiseln und Geiselnehmer ­ließen sich anhand ihrer Uniformen leicht unterscheiden. Die Wärter trugen dunkelblaue Kleidung, die schon fast schwarz war. Strapazierfähig, mit Verstärkungen an nützlichen Stellen und insgesamt eher einschüchternd. Die Kleidung der Insassen erschien eher wie ein Mittelding aus Trainingsanzug und Pyjama. Zweiteilig, schluffig und funktional. Durchgehend hellgrau, mit knallroten Streifen entlang der Oberarme und Oberschenkel.

Die vier Wachen waren vor den Insassen an Stühle gefesselt, geknebelt und trugen Klebestreifen über Augen und Ohren. Es schien ihnen gut zu gehen, aber ihre Augenbrauen waren wohl nicht mehr zu retten.

„Heute sind wohl die richtigen zusammengekommen“, kommentierte Seyferd.

„Wir haben sie alle als eher harmlos eingestuft“, sagte Sax. „Keiner von ihnen zeigte in letzter Zeit Aggressionen oder Fluchttendenzen. Außerdem verwenden wir PSI-Dämpfer und starke Beruhigungsmittel, damit sie ihre Kräfte nicht nutzen können. Dachten wir zumindest.“

„Trickreiche kleine Teufel, was?“ Seyferd deutete ein Lächeln an und blickte wieder durch die Scheibe. Schließlich nickte er Winter zu, damit er die Tür für ihn öffnete.

„Dann wollen wir mal.“ Seyferd trat in den Speisesaal.

Neon wich seinem Blick aus, also erinnerte sie sich an ihn. Die junge Frau sah nach der stundenlangen Warterei erschöpft aus, ebenso wie die Geiseln. Nur ihre Komplizen wirkten noch völlig frisch. Das waren wohl echte Fanatiker, die ihre Energie aus ihrem Hass auf die Gesellschaft zogen.

Butch sah genauso aus, wie man sich jemanden mit diesem Namen vorstellen würde. Übergewichtig, kahlrasierter Schädel und Walrossbart. Vielleicht hatte er den Namen passend zu seinem Aussehen gewählt, statt umgekehrt. Er hielt eine Pistole dicht an die Schläfe des Wächters links außen und blickte über die Reihe der Köpfe. „Wetten, dass ich es schaffe, alle Schädel mit einer einzigen Kugel zu durchlöchern.“

Der Wächter vor ihm stöhnte laut auf.

Seyferd ging näher heran. Als Ajax und Butch ihre erbeuteten Waffen auf ihn richteten, blieb er stehen. Ajax war ein mittelgroßer Mann mit gepflegtem Haarschnitt und verströmte die Aura eines Buchhalters, der ein geordnetes und unaufgeregtes Leben schätzte. Die Gefängniskleidung war mit Abstand das Aufregendste an ihm. Und selbstverständlich die Pistole, die er in der Hand hielt.

Seraphine war eine dunkelhaarige Schönheit, die selbst die unförmige Anstaltskleidung perfekt ausfüllte. Auch sie hielt eine Pistole in der Hand, war aber seltsam passiv, was eigentlich nicht ihrem Naturell entsprach. In der Akte wurde sie als temperamentvoll beschrieben.

Neon neben ihr war eine zierliche, blasse Elfe, die in jedem den Beschützerinstinkt weckte, ohne ihn mental manipulieren zu müssen. Sie machte nicht den Eindruck, dass ihr die momentane Situation gefiel.

Seyferd sah sie an. „Da du als einzige nicht mit einer Knarre herumfuchtelst, hast du wohl die Rolle der ­Anführerin übernommen, was? Eine seltsame Wahl, muss ich schon sagen. Hätte nie gedacht, dass sich jemand wie Seraphine das Zepter aus der Hand nehmen lässt.“

Er drehte den Kopf, aber Seraphine reagierte nicht auf die Provokation. Seyferd starrte alle der Reihe nach prüfend an. Ruhig griff er in die Seitentasche seines Jacketts und holte ein Päckchen Zigaretten hervor. Mit seinen dicken Fingern zog er eine Zigarette heraus und schob sie sich zwischen die Lippen.

„Hier drin ist Rauchen verboten“, protestierte Neon.

Ungerührt zündete sich Seyferd die Zigarette an. „Richtig, aber du wirst mir wohl zustimmen, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt.“ Er nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch aus. „Ich kenne die Haus­ordnung nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass Geisel­nahmen ebenfalls nicht erlaubt sind.“

„Wo bleibt unser Helikopter?“, brüllte Butch und richtete die Pistole auf Seyferds Stirn.

Allein die Stimme hätte den meisten Menschen die Knie weich werden lassen, doch Seyferd ging sogar noch auf den wütenden Riesen zu und blickte ungerührt in die Pistolenmündung. Er nahm einen weiteren Zug von der Zigarette und blies Butch den Rauch ins Gesicht. Der Riese verzog keine Miene.

Seyferd ließ ihn einfach stehen und ging an der Reihe entlang, bis er wieder vor Neon stand. „Ihr habt sonst keine Kameras in diesem Bereich?“, fragte er über die Schulter zum Eingang des Speisesaals.

„Alle sind verdreht oder mit Essen beschmiert“, antwortete Winter.

„Zu schade, ihr wärt überrascht, was sie euch zeigen.“

Seyferd trat noch einen Schritt näher an Neon heran. „Es sind die Details, die stimmen müssen, wenn man überzeugen will.“ Er ließ die Zigarettenkippe auf den Boden fallen und trat sie aus. „Butch ist laut seiner Akte Asthmatiker und Ajax Linkshänder. Ich schätze, abgesehen von den Wärtern sind wir beide allein hier drin, nicht wahr?“ Seyferds Hand schnellte vor und verpasste Neon eine schallende Ohrfeige, die sie erschrocken zusammenzucken ließ. Gleichzeitig verschwanden Seraphine, Ajax und Butch wie platzende Seifenblasen.

„Lösen Sie Alarm aus, in diesem Moment befinden sich drei Insassen auf der Flucht!“, rief er Winter zu. Dann ließ er ein Messer aufspringen und schnitt den ersten Wärter los. Hinter sich hörte er hektische, militärisch klingende Männerstimmen, die in den Raum vordrangen.

„Treten Sie zurück, Seyferd! Wir übernehmen ab hier“, rief Winter von der Tür aus.

Kapitel 3

Der größte Teil der Zitadelle lag unterirdisch und so abgelegen im Harz, dass sich niemand zufällig dorthin verirrte. Beim Bau hatte man auch an eine Tiefgarage gedacht, um den Fehler ähnlicher Anlagen zu vermeiden, die aus zwei einstöckigen Flachbauten bestanden, mit einem Parkplatz für zweihundert Autos davor.

Seyferd sah sich im Büro der Direktorin um und suchte nach einem Aschenbecher. „Ich fange diese Typen und ihr lasst sie laufen.“

„Wir lassen Sie nicht laufen. Sie brechen aus“, protestierte Sax.

„Jedes Mal, wenn sie ausbrechen, werden sie zu einer Gefahr für die unschuldigen Menschen dort draußen. Willst du wissen, wie viele Menschen wir wegen solcher Ausbrecher auf dem Gewissen haben? Ich kann euch die Zahl nennen, sie ist erschreckend hoch.“

„Bist du fertig?“, fragte Sax in einem Tonfall, der verriet, dass sie diesen Vorwurf nicht zum ersten Mal hörte. „Ich kenne die Zahlen und sie sorgen dafür, dass ich keine entspannten Nächte habe.“

Seyferds Zorn galt nicht der Direktorin allein, sondern allen, die mit diesem Problem zu tun hatten. Vor allem denjenigen, die nicht das Ausmaß der Bedrohung sahen oder sehen wollten. Es gab einfach zu wenige Möglichkeiten, solche Wesen sicher zu verwahren. Diese Art von Gefangenen würden immer eine Möglichkeit finden, weil ihre Fähigkeiten so viele Wege zur Flucht boten. Jeder einzelne von ihnen brauchte eine speziell auf ihn zugeschnittene Zelle, ohne Schwachstellen und Schlupflöcher. Doch was für den einen Gefangenen eine sichere Unterbringung war, stellte für seinen Nachbarn eine mögliche Lücke im System dar. Im Grunde wusste Seyferd, dass Miriam Sax einen guten Job machte. Sie kam nur einfach nicht mit den Neuerungen hinterher. Vom fehlenden Geld ganz zu schweigen.

Winter hielt es nicht länger in der Defensive aus. „Das hier ist kein Labor, um die Fähigkeiten der Insassen zu erforschen, sondern ein Gefängnis. Wir interessieren uns für die Kräfte der Insassen nur insoweit, um zu wissen, wie wir sie festhalten können. Eine Heilung gibt es sowieso nicht.“

„Es handelt sich auch nicht um eine Krankheit“, bemerkte Seyferd.

„Diese Leute besitzen Superheldenkräfte“, erinnerte Winter ihn.

„Superschurkenkräfte“, korrigierte Seyferd.

„Wir können nur hoffen, dass sie keine Mist bauen, bevor wir sie erwischen“, sagte Sax besorgt. „Sonst schaffen wir es nicht, den Deckel draufzuhalten. Es gibt so viele Leute, die nur darauf warten, dass ich in meinem Job versage.“

Seyferd hob überrascht die Augenbrauen. „Du hast Konkurrenten für diesen Job? Ich hätte gedacht, jeder ist froh, einen Dummen gefunden zu haben, der es macht.“

„Es ist ein Haifischbecken. Manchmal glaube ich, zwischen meinen Gefangenen bin ich sicherer.“

„Das glaube ich nicht“, widersprach Seyferd.

„Nein, ich auch nicht. Aber du weißt, was ich meine.“

„Wenn wir Glück haben, sind unsere Flüchtigen einfach untergetaucht und verhalten sich für ein paar Monate ruhig. Oder für noch länger.“

„Und wovon sollen sie leben?“, widersprach Winter. „Nein, die planen sicher einen Überfall, um an Geld zu kommen, und bestimmt geben sie sich nicht mit ­Kleingeld ab. Die hecken irgendwas Großes aus, deshalb müssen wir sie schnell ausschalten.“

Miriam Sax drehte sich mit ihrem Schreibtischstuhl zu der topografischen Karte der näheren Umgebung, die hinter ihr an der Wand hing. „Sie sind aus dem Gebäude entkommen, aber wir suchen in einem Umkreis von zwanzig Kilometern.“

„Aber erst, seitdem ihr bemerkt habt, dass sie verschwunden sind“, sagte Seyferd. „Sie haben also einen Vorsprung. Außerdem bringen Straßensperren und Verkehrs­kontrollen bei diesen Leuten nicht viel. Du erinnerst dich vielleicht an den Jedi-Trick von Obi-Wan Kenobi im ersten Teil.“

„Das sind nicht die Androiden, die ihr sucht“, protzte Torben mit seinem Nerdwissen. „Im Grunde handelt es sich aber um den vierten Teil, weil ...“

„Klappe. Für mich wird es immer der erste Teil bleiben“, brummte Seyferd. „Wir sind uns doch wohl in einem Punkt einig. Diese vier sind keine genialen Superschurken, sondern eher Sidekicks. Sie haben außergewöhnliche Fähigkeiten, können aber nicht wirklich etwas damit anfangen, außer den offensichtlichen Verwendungs­zwecken. Nichts, was über kleine Betrügereien und Diebstähle hinausgeht.“

Sax seufzte. „Schade, dass Wesen, die wirklich herausragende Fähigkeiten entwickelt haben, diese nur nutzen, um üble Ziele zu verfolgen.“

Seyferd zuckte mit den Schultern: „Aber du musst zugeben, dafür eigenen sie sich wirklich hervorragend.“

Sax sah ihn an. „Jetzt fehlt uns nur noch ein Held, der es mit ihnen aufnehmen könnte. Fühlst du dich dazu berufen?“

„Ganz sicher nicht. Aber ich könnte euch einige Ressourcen für die Suche zur Verfügung stellen.“

Sax schüttelte den Kopf. „Ich möchte so wenige Personen wie möglich einweihen.“

„Wenn deine Flüchtigen ein Verbrechen begehen, werden wir die Behörden informieren müssen“, sagte ­Seyferd.

„Aber bis dahin gehen wir diskret vor.“

„Wir könnten Verbrechen verhindern, bevor sie geschehen“, sagte Seyferd. „Wird der Ärger für dich nicht noch größer, wenn bekannt wird, dass du die Flucht vertuscht hast?“

„Ziemlich sicher sogar.“

„Du spielst auf Risiko.“

„Und ich wüsste niemanden, den ich dabei lieber an meiner Seite hätte.“

Seyferd war keine Komplimente von ihr gewöhnt. „Dachte mir schon, dass du mich mit in den Abgrund reißen willst.“

„Wenn es kritisch wird, gebe ich dir die Erlaubnis zu verschwinden und werde niemals ein Wort darüber verlieren.“

Seyferd verzog das Gesicht. „Sehr witzig, du weißt genau, dass das der Moment ist, an dem ich garantiert nicht verschwinden werde.“

Sax zwinkerte ihm zu, aber sie amüsierte sich nicht.

Seyferd war bereit, ihr den Gefallen zu tun und die Sache vorerst geheim zu halten. Aber er bezweifelte, dass Flüchtige oder Verfolger lange genug diskret blieben, um die Jagd vor der Öffentlichkeit verbergen zu können. Der Co-Leiter der Schattenchronik war schon längere Zeit nicht mehr im Außendienst gewesen und seine Fitness ließ dementsprechend zu wünschen übrig. Aber nachdem seine schweren Verletzungen verheilt waren, die er bei dem Angriff auf seine Station erlitten hatte, wollte er sich etwas beweisen.1 „Ich kann eine Woche Urlaub nehmen. So viel Zeit bleibt uns, um die Flüchtigen zu finden. Und ich würde gerne anschließend noch ein, zwei Tage die Beine hochlegen.“

„Das ist ein ambitionierter Plan“, sagte Sax.

Wenn sie auch nur ahnen würde, mit welchen Schwergewichten er sich bereits herumschlagen musste, überlegte Seyferd. Er hatte inzwischen genug Wesen mit übersinnlichen Fähigkeiten kennengelernt und wusste, dass es kaum Grenzen bei dem gab, was manchen möglich war. Verglichen mit einem Dämon wie Esomso waren die Kräfte der Flüchtigen klar definiert und somit einschätzbar. Andererseits, vielleicht wusste sie es sogar und das war der Grund, weshalb sie ihn um Hilfe gebeten hatte.

„Ich hatte dir angeboten, die schwersten Fälle der Schattenchronik zu überlassen, damit wir sie im Haus Etheridge inhaftieren.“

„Ich weiß, du hast dein eigenes Gefängnis, aber wir hier müssen unsere Insassen mit ganz normalen Mitteln festhalten. Nicht jeder verfügt über ein Geisterhaus als Unterkunft.“2

Seyferd hatte ihr nicht von Haus Etheridge erzählt, aber offenbar besaß sie ihre eigenen Quellen. Sax hatte ihm immer vorgeworfen, dass er ihr nichts erzählte, also beschaffte sie sich schon damals alle Informationen selbst, die sie haben wollte. Anscheinend hatte sie diese Praxis beibehalten.

„Magie gegen Technik, nicht wahr?“, sagte sie. „Ich bin sicher, euer Gefängnis hat auch seine Schwach­stellen.“

„Es gibt Dinge, die das Haus nicht übernehmen kann, das ist richtig“, gab Seyferd zu. „Dafür brauchen wir ebenfalls menschliche Helfer. Trotzdem ist unser Gefängnis in seiner Art einzigartig auf der Welt.“

„Darüber können wir uns anschließend Gedanken machen. Jetzt sollten wir erstmal unsere drei Flüchtigen wieder einfangen.“

Seyferd nickte zustimmend. „Wir wissen, dass sie keine Unschuldsengel sind, aber es handelt sich auch nicht um unberechenbare Psychopathen, die sofort Amok laufen. Ich gehe davon aus, dass sie sich zuerst einen sicheren Unterschlupf suchen und von dort aus ihre weitere Flucht oder andere Aktivitäten planen. Es besteht also keine unmittelbare Gefahr für die Öffentlichkeit, was uns etwas Zeit für die Vorbereitungen verschafft. Wir brauchen ein Fahrzeug, um mobil zu sein.“

„Ist bereits arrangiert“, verkündete Torben.

„Meine Männer stehen bereit“, erklärte Winter. „Wir sind in der Lage, unsere Probleme allein zu lösen.“

„Bitte Erik, wir haben jetzt keine Zeit für Kompetenzstreitigkeiten“, bat Sax.

„Ich bin der Leiter der Sicherheit und für die Gefangenen verantwortlich.“

„Aber nur innerhalb der Zitadelle. Sie mögen ein guter Wächter sein, aber jetzt brauchen wir einen Jäger.“

„Ich habe vier Männer mit entsprechenden Qualifikationen“, beharrte Winter.

„Sie können uns begleiten, aber Seyferd wird die Entscheidungen treffen. Ist das akzeptabel?“

Alles an Winter sprach dafür, dass es das nicht war, aber er nickte.

Seyferd wusste, dass der Mann sich nicht einfach unterordnen würde. Allerdings brauchte er dessen Leute, wenn das Problem intern geklärt werden sollte. „Ich bin nicht an den Lorbeeren interessiert. Mir geht es nur darum, eine potenzielle Bedrohung auszuschalten.“

Sax sah zu Seyferd. „Ich weiß schon, weshalb ich früher so wenig wie möglich über deine Arbeit wissen wollte.“

„Ich habe immer nur die Bösen gejagt.“

So leicht wollte sich Winter nicht aus dem Spiel drängen lassen. „Zuerst müssen wir alles aus Neon heraus­bekommen, was sie weiß. Geben Sie mir die Steuerung für ihren Blocker“, verlangte er. „Ich werde sie mir vornehmen. Zehn Minuten mit ihr und sie wird alles verraten. Ich werde ihr Schmerzen zufügen, bis ihr der Kopf platzt.“

Seyferd wusste, dass der Sicherheitschef keine leeren Drohungen aussprach. Der Mann nahm den Ausbruch persönlich und wollte jemanden dafür bestrafen. Der Informationsgewinn stand nur an zweiter Stelle. „Was wollen Sie wissen?“, fragte er den Sicherheitschef.

„Bitte?“ Winter klang irritiert.

„Ich nehme an, Sie haben bereits die Aufnahmen aller Kameras kontrolliert, aber keine hat etwas Bedeutsames gezeigt. Allein anhand des Ausfalls der jeweiligen Kameras konnten Sie die Fluchtroute nachverfolgen. Dort entlang sind die Kameras weggedreht, verdeckt oder zerstört worden. Ihre Blocker haben sie bereits in dem Speisesaal deaktiviert, während Neon die Geiselnahme simulierte. Ihnen standen also ihre Kräfte zur Verfügung.“ In den großen Räumen gab es Kameras in getönten Halbkugeln, bei denen man nie erkennen konnte, was sie gerade beobachteten, aber in den Gängen waren bewegliche Kameras angebracht. Nicht die altmodischen Modelle, die man nur hin und her schwenken konnte, sondern solche auf vollbeweglichen Teleskop-Armen. Viel zu hoch angebracht, um für die Insassen erreichbar zu sein, es sei, man beherrschte zufällig Telekinese. Seyferd nahm seine Zigarettenpackung heraus und zählte nach, wie viele ihm noch blieben. „Seraphine hat vermutlich die Zäune zerstört und so den Weg in den Wald freigemacht. Aber dort muss ein Helfer gewartet haben, denn eine Flucht zu Fuß wäre ihnen nicht gelungen. Jemand muss sie aus der Umgebung geschafft haben.“ Er zündete sich zwei Zigaretten an und reichte eine an Sax weiter.

„Danke, ich habe aufgehört.“

„Auch du, Brutus?“, fragte er und rauchte beide. Dann sah er zu Winter. „Ich nehme an, Sie haben keine Über­wachungsmöglichkeiten für die Straßen der Gegend. Deshalb werden Sie das Fluchtauto nicht ausfindig machen.“

Winter fühlte sich von Seyferd vorgeführt, was seine anfängliche Abneigung noch verfestigte. „Wir bekommen das alleine hin. Danke für Ihre Hilfe bei der Geiselnahme, aber ab jetzt ist es eine interne Angelegenheit.“