Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 04: Der Weiße Prophet - Andreas Zwengel - E-Book

Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 04: Der Weiße Prophet E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Jörn Callaghan und die Überlebenden seiner Crew versuchen, Peet Orell zu warnen, um den drohenden interstellaren Krieg zwischen Terra und Katai abzuwenden. Doch die Rückkehr der Promet III aus dem Katai-Sektor droht zu scheitern.Shalyn Shan ist mit der Promet IV nach Toschawa unterwegs, dem diplomatischen Zentrum Katais. Dabei trifft sie auf den Raumschiff-Konvoi des führenden Präkognikers der Yikritschen, der sie bereits erwartet. Er kann die Zukunft sehen, in allen möglichen Varianten.

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Andreas ZwengelDER WEISSE PROPHET

In dieser Reihe bisher erschienen

5101 Andreas Zwengel Mehr als tausend Lichtjahre

5102 Andreas Zwengel & Gerd Lange Geheiligte Spiele

5103 Andreas Zwengel Eisenfaust

5104 Andreas Zwengel Der Weiße Prophet

Andreas Zwengel

Der Weiße Prophet

Raumschiff PrometSternenabenteuer

Band 4

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannExposé: Thomas Ziegler † & Gerd LangeTitelbild: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-057-4

Alpha-Centauri-System, an Bord der Promet III, 28.04.2107

Jörn Callaghan konnte sich nur unter Schmerzen bewegen. Die überstandene Folter und die lange Haft hatten seinem Körper zugesetzt. Dabei konnte er noch froh sein, den größten Teil der Haft in einem Konservierungsfeld verbracht zu haben. Im Grunde hatte er nicht viel davon bewusst erleben müssen. Für ihn war gerade einmal eine Woche vergangen, seit sie den Katai-Sektor erreicht hatten, und etwas mehr als ein Monat, seit sie von der Erde aufgebrochen waren. Dabei lag dieses Ereignis bereits ein ganzes Jahr zurück.

Für Shalyn und alle anderen auf Terra waren sie seit langer Zeit verschollen. Jörn wagte kaum, sich vorzustellen, wie diese Zeit für seine Ehefrau gewesen sein musste. Ein Jahr hatte Shalyn in Ungewissheit gelebt und schließlich die Möglichkeit erhalten, nach ihm zu suchen. Sie musste so viel auf sich nehmen, um ihn zu retten, und kaum waren sie wieder vereint gewesen, hatte bereits die nächste Trennung angestanden.

Es galt, einen interstellaren Krieg zwischen Terra und dem Katai-Sektor zu verhindern. Laut Shalyn gab es eine Verschwörung, die diesen Konflikt mit fingierten Beweisen und eigenen Aktionen anheizte, um beide Parteien aufeinanderzuhetzen. Die Lunadocks und das Volk der Yikritschen waren die Drahtzieher im Verborgenen, aber vermutlich nicht die einzigen.

Jörn wäre gerne bei Shalyn geblieben, um ihr beizustehen, um in ihrer Nähe zu sein. Doch er musste seine Crew in Sicherheit bringen. Außerdem war er in seiner momentanen körperlichen Verfassung auch keine Hilfe für sie.

Pino Tak und Szer Ekka befanden sich bei ihm in der Zentrale der Promet III. Auch ihnen entgingen nicht die vielen leeren Plätze. Wie Jörn wurde ihnen bei dem Anblick schwer ums Herz. So viele Verluste. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit bekommen, seine verstorbenen Besatzungsmitglieder anständig zu beerdigen. Stattdessen waren ihre Körper von den Örgön Gör beseitigt worden. Er wollte gar nicht wissen, auf welch unwürdige Weise.

Die Überlebenden hatten sie mitsamt der Konservierungsfelder, in denen sie steckten, in einem Frachtraum verstaut. Neben Doc Ridgers in seiner Kryokammer befanden sich dort Rámon Mara, Charles Gelon, George Hall, Basil Fraser, Elker Hay, Allan Biggs und Vian Thoo. Mehr waren nicht übrig.

Die Promet III hatte Katai verlassen und näherte sich dem irdischen Einflussbereich, was zu neuen Problemen führte. Jörn hätte am liebsten sofort seinen Freund Peet Orell verständigt, aber er widerstand dem Wunsch, weil es zu gefährlich war. Er wollte rasch mit ihm Kontakt aufnehmen, aber nicht auf direktem Weg. Wenn es neben den Lunadocks noch weitere Gegner der HTO gab, war es besser, wenn vorerst niemand von der Rückkehr der Promet III erfuhr. Es war notwendig, diskret vorzugehen und erst einmal die Lage in der Heimat zu sondieren, denn einen Feind mussten sie erst kennen, bevor sie ihn bekämpfen konnten.

Nur noch wenige Transitionen trennten die Promet III vom Alpha-Centauri-System. Aber nicht nur die drei Raumfahrer hatten unter der Behandlung der Örgön Görs gelitten, sondern auch ihr Schiff. Durch die ebenso gründliche wie rücksichtslose Untersuchung war es zu mehreren ernsthaften Beschädigungen gekommen, die ihre letzte Etappe zu einer harten Belastungsprobe für die Nerven der drei Crewmitglieder machte. Mehrmals waren die Triebwerke ausgefallen oder hatten in entscheidenden Momenten einen Leistungsabfall erlitten. Zweimal mussten sie die Transitionen in letzter Sekunde abbrechen. Auch andere Bordsysteme zeigten Fehlfunktionen und waren immer wieder notdürftig geflickt worden. Diese Zwangspausen so kurz vor dem Ziel belasteten sie alle noch zusätzlich.

Ihre Lage war nicht nur ärgerlich, sondern auch ­gefährlich. Als die Lebenserhaltungssysteme völlig überraschend aussetzten, hatten die drei es nur im letzten Moment geschafft, in ihre Raumanzüge zu steigen. Seitdem trugen Jörn und seine beiden Begleiter sie permanent.

Es war in jedem Fall eine Katastrophe, so kurz vor dem Ziel im interstellaren Raum zu stranden. Nicht nur für sie selbst, sondern auch, weil sie dann ihre Warnung an Peet Orell nicht überbringen konnten. Jörn zeichnete deshalb vorsichtshalber eine Com-Botschaft auf, in der er alle relevanten Fakten und auch einige Vermutungen festhielt. Abschicken würde er sie allerdings nur in letzter Not, wenn sein Ende unausweichlich war.

„Wie sieht´s aus, Pino, wollen wir es nochmal wagen?“, fragte er den Triebwerksspezialisten.

Der Finne seufzte. „Was haben wir schon zu verlieren?“

„Du meinst außer unserem Treibwerk, unserem Schiff und unseren Leben?“

„Genau.“

Jörn spürte, wie ihm sogar ein Lächeln noch Schmerzen bereitete. Am liebsten hätte er sich in eine Regenrations­kammer verkrochen und wäre erst wieder herausgekommen, wenn sich sein Körper von allen Schädigungen erholt hatte. Leider musste jemand diesen störungsanfälligen Kübel fliegen. Aber er wollte der Promet nicht Unrecht tun. Es waren diese Stümper der Örgön Gör gewesen, die auf der Suche nach was auch immer alles herausgerissen hatten, was nicht zu ihrer Suche passte.

„Holen wir das letzte aus dem Schiff heraus“, entschied Jörn Callaghan. „Und anschließend packen wir die Paddel aus oder reisen per Anhalter weiter. Los geht´s!“

Ob es einfach Glück war, eine höhere Macht oder die nicht zu zerstörende Qualität von HTO-Schiffen, konnte keiner von ihnen sagen. Doch sie erreichten mit ihrem letzten Sprung das Alpha-Centauri-System unmittelbar, bevor das Borul-Triebwerk endgültig versagte. Die ­Promet III materialisierte in der Nähe des dritten Planeten.

„Das ist AC-3, eine Methan-Wasserstoffwelt“, erklärte Szer Ekka.

„Wie weit noch bis Riddle?“, fragte Jörn.

„Eigentlich nur ein Katzensprung“, antwortete der Astro­physiker.

„Aber?“, fragte Jörn, der wusste, dass dieses Wort den folgenden Satz einleitete.

„Aber vor Riddle kreuzen mehrere Patrouillenboote der Space Police. Es macht fast den Eindruck, als ob sie auf uns warten.“

„Bitte sag mir, dass der Kombi-Schutzschirm noch arbeitet“, bat Jörn in flehendem Tonfall an Pino gewandt.

„Noch. Aber das kann sich jede Sekunde ändern. So wie bei jedem anderen System hier an Bord auch.“

Die Space Police hatte die Promet III noch nicht entdeckt, aber das KSS-Feld konnte jeden Moment versagen und sie ihres Ortungsschutzes berauben.

„Zwei der Space-Police-Boote sind in unsere Richtung unterwegs“, sagte Szer Ekka. „Kommen wir irgendwie an denen vorbei?“

„Bist du gerade erst zugestiegen?“, fragte Pino mürrisch. „Das Borul-Triebwerk pfeift auf dem letzten Loch und wenn das KSS-Feld zusammenbricht, stehen wir mit heruntergelassenen Hosen da.“

„Danke für die bildhafte Beschreibung unserer Situation“, gab der Astrophysiker bissig zurück. Die Nerven lagen bei allen blank.

„Wir landen auf AC-3, bevor sie uns entdecken“, entschied Jörn. „Bekommen wir das hin?“

Pino zuckte mit den Achseln. „Es sollte reichen, um uns in die Richtung zu schubsen.“

„Gut. Szer, sorg dafür, dass unsere Tarnung aufrecht bleibt. Alle verfügbare Energie auf den KSS, egal, wo du sie herbekommst.“

Quälend langsam schwenkten sie die Promet auf AC-3 zu und ließen sich von den DeGorm-Turbos in den Orbit des Planeten bewegen.

*

Katai, am Rande des Tosch-Systems, 28.04.2107 Terra-Zeit

Ich hatte mein Versprechen gegenüber dem zynidischen Lebensmeister Grochmor erfüllt. Die Örgön Gör hatten in nächster Zeit anderes zu tun, als eine Untersuchung der Ereignisse durchzuführen. Sie würden die Angelegenheit einfach zu den Akten legen, falls sie überhaupt so etwas wie Akten führten. Bisher hatten sie auf mich den Eindruck gemacht, als ob sie eher aus dem Bauch heraus handelten, angestachelt von markigen Sprüchen und billigem Pathos. Die perfekten Gefolgsleute, wenn man keine selbstdenkenden Anhänger wollte.

Im Gegenzug hatte mir Grochmor vor der Flucht aus dem Ora-System geraten, zum Planeten Toschawa zu fliegen. Es handelte sich um die Heimatwelt der Uang’tosch, den Diplomaten und Philosophen der Avatara, außerdem um den Tagungsort des Tribunals der Häuser. Toschawa war gleichzeitig der beste Ort, um unser Ziel zu erreichen. Und der gefährlichste. Aber mir blieb keine andere Wahl, wenn ich die Katai-Bewohner von den friedlichen Absichten der Menschheit überzeugen wollte.

Ich brauchte Unterstützung seitens der Avatara und wer war da besser geeignet als ihre eigenen Diplomaten? Laut Grochmor waren die Uang’tosch unter den heimischen Völkern sehr einflussreich. Wenn wir ihre Unterstützung gewannen, hatten wir den Kriegstreibern etwas entgegenzusetzen. Also in erster Linie dem Haus der Örgön Gör und dem Haus der Yikritschen.

Wir entgingen zweimal kurz hintereinander bei den Transitionen nur knapp der Entdeckung durch Schiffe der Örgön Gör. Sie patrouillierten verstärkt in Katai, deshalb beschlossen wir, eine Verschnaufpause einzulegen.

Takagawa suchte uns einen ruhigen Platz in einem Mondschatten und behielt die Umgebung im Auge. Sämtliche Kontroll-, Funk- und Ortungssysteme waren ringförmig um die Zentrale installiert und konnten notfalls auch von einer einzigen Person überwacht werden.

Cyberjohn Five hielt mich über seine Fortschritte bei den Reparaturarbeiten auf dem Laufenden, die immer noch nicht vollständig abgeschlossen waren. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, wie gut sich der Cyborg mit unserem Bordcomputer verstand. Kip und Cy tauschten sich in aller Ausführlichkeit über vielerlei technische Dinge aus. Nicht wie menschliche Kameraden, sondern sachlich und kühl, aber ich hatte Cy in der Zeit, in der ich ihn kannte, noch nie so viel reden hören, wie mit unserer Bord-KI.

Überhaupt war die Stimmung an Bord trotz unserer Lage momentan eher entspannt. Der Professor und Vanessa schienen sich über ihre Fachgebiete glänzend zu unterhalten. Vielleicht lag es auch daran, dass beide große Labore zur Verfügung hatten, in denen sie forschen und experimentieren konnten. Ebenso wie Cy im Maschinenraum, wo er vollkommen glücklich zu sein schien. Der Major verfügte über etwas Vergleichbares mit dem Fitness­raum, den er in jeder freien Minute nutzte, um seine Muskeln in die gewünschte Form zu bringen.

Ich zog mich in meine Unterkunft zurück. Wir wollten die freien Stunden nutzten, um unsere Batterien aufzuladen. Es war sinnlos, wenn alle auf ihren Posten verharrten, solange es nichts zu tun gab. Außerdem war es schon eine Weile her, seit ich mich zuletzt in meinen Privaträumen aufgehalten hatte.

Als erstes nahm ich die Porträtfotos der Promet-III-Besatzung von der Wand. Ich hatte sie dort befestigt, um sie während unserer Suche immer vor Augen zu haben. Inzwischen hatten wir die Crew gefunden, aber das Ereignis war nicht so erfreulich wie erwartet. Mehr als die Hälfte von ihnen kehrte nicht mehr nach Hause zurück. Ich betrachtete jedes einzelne Foto lange, bevor ich es in einer Mappe verstaute. Zuletzt nahm ich das Bild meines Ehemannes ab. Jörn gehörte zu den Glücklichen, die die Gefangenschaft bei den Örgön Gör überlebt hatten, dennoch blieb uns etwas gemeinsame Zeit noch verwehrt. Wenn alles gutgegangen war, sollte er inzwischen auf Riddle angekommen sein.

Ich legte mich auf mein Bett und schloss die Augen. Ich sehnte mich nach einem Jahr Trennung nach Jörn. Seinem Lachen, seinen trockenen Sprüchen, aber auch nach seinem Körper. Irgendwann musste ich mit diesem Gedanken eingeschlafen sein, denn ich wurde von der Bordcom geweckt. Die Pause war vorüber.

Als ich die Zentrale betrat, fand ich dort meine Besatzung vollständig versammelt vor. „Gibt es einen Anlass?“, fragte ich überrascht.

„Ich habe etwas Seltsames entdeckt“, sagte der Major.

„Geht es etwas genauer?“

„Ein Konvoi aus sechs Schiffen. Sie sehen aus wie der Chechuden-Transporter, mit dem ihr von Eisenfaust entkommen seid, aber dies hier scheinen Passagierschiffe zu sein.“

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich.

„Sie haben Fenster.“

„Klingt logisch. Und was ist so seltsam an ihnen?“

„Sie treiben antriebslos im interstellaren Leerraum. So etwas geschieht nicht ohne Grund.“

Ich betrachtete den Konvoi. Wie Geisterschiffe bewegten sie sich langsam durchs All, unbeirrt einem unbekannten Ziel entgegen.

„Eines der Schiffe funkt uns an“, sagte der Major. „Seltsam.“

„Was ist denn diesmal so seltsam?“, fragte ich belustigt. „Du benutzt dieses Wort ziemlich häufig. Ich glaube nicht, dass wir dasselbe darunter verstehen.“

„Seltsam ist, dass sie uns als Promet IV anrufen und speziell nach dir fragen, Shalyn.“

Ich runzelte die Stirn. „Okay, das ist wirklich seltsam. Hören wir uns an, was sie wollen!“

Der Major stellte eine Holoverbindung her, damit wir unseren Gesprächspartner sehen konnten. Als das Gesicht erschien, hörte ich, wie Cy scharf die Luft einsog. Auch ich war sofort halb aus meinem Sitz heraus. Das Holobild zeigte ein Wesen, dessen Gesichtszüge sehr einer Fledermaus ähnelten. Das Gesicht wirkte merkwürdig starr und etwas unnatürlich, aber trotzdem dynamisch. So als ob sich alle Aktivitäten unter der Oberfläche abspielten. Ein aktives Gesicht unter einer starren Maske.

„Willkommen.“ Die Stimme klang leise und brüchig. Das Wesen krächzte die Worte, als bereiteten sie Schmerzen in der Kehle. Es sprach so schleppend, als sei es müde und erschöpft. Der Eindruck mochte täuschen, denn die Stimme passte überhaupt nicht zu seinem übrigen Erscheinungsbild. „Wie ihr inzwischen erkennen solltet, gehöre ich zum Volk der Yikritschen. Mein Name ist Vochotek-Daschar, man nennt mich den Weißen ­Propheten.“

„Das ist mal ein treffender Name“, raunte Takagawa.

Ich musste ihm recht geben. Vochotek machte seinem Beinamen alle Ehre, denn er war weißhäutig, bleich wie ein menschlicher Albino. Jedenfalls, soweit es der knappe Bildauszug auf Gesicht und Schulterpartie erkennen ließ. „Was können wir für dich tun, Vochotek-Daschar?“

„Ich habe euch erwartet.“

„Woher wusstest du, dass wir kommen?“, fragte ich. „Nein, warte, vergiss die Frage. Ihr seid Präkogniker und kennt die Zukunft.“

„Nicht nur eine Zukunft, wir sehen alle möglichen Varianten der Zukunft voraus.“

„Eine beeindruckende aber wohl auch ziemlich belastende Fähigkeit, könnte ich mir vorstellen.“ Was ich mir nicht vorstellen konnte war, wie dies praktisch ablief. Sahen sie ständig mögliche Verläufe und mussten dann entscheiden, welchem sie folgten? Konnten sie sich für einen entscheiden und diesen bewusst herbeiführen?

„Ich lade dich zu einem persönlichen Gespräch an Bord meines Schiffes ein, Shalyn Shan.“

„Du verstehst, dass ich etwas misstrauisch bin?“, erwiderte ich.

„Natürlich. Du kennst bisher nur einen einzigen Yikritschen und weißt, was er deinem Freund Schlimmes angetan hat. Aber ich darf dir versichern, wir sind nicht alle so.“

„Dann weißt du auch schon, wie unser Gespräch ausgeht?“

„Ich kenne ein paar mögliche Verläufe, aber letztlich entscheiden nur wir beide über den tatsächlichen Ausgang.“

Ich zögerte. Takagawa schüttelte unauffällig den Kopf. Er hielt es für keine gute Idee, an Bord des fremden Schiffes zu gehen. Ich sollte mich auf seine Instinkte verlassen, es gab wohl niemanden an Bord, der in seinem Leben aus mehr Hinterhalten entkommen musste als er.

„Ich sichere der Promet IV freies Geleit zum Tosch-­System zu, während wir uns unterhalten“, sagte Vochotek-­Daschar, dem mein Zögern aufgefallen war.

Ich glaubte ihm, ohne Gründe dafür benennen zu können. Außerdem hatte es keinen Sinn, das Angebot abzulehnen. Die Yikritschen wussten inzwischen, dass wir uns in ihrem System aufhielten und konnten uns jagen, wenn sie es wollten. Die Gelegenheit, mit einem hochrangigen Mitglied dieses Volkes zu sprechen, war genau der Anlass, aus dem wir hierher gereist waren. Vochotek-­Daschar hatte uns zwar überrumpelt und das Treffen fand nicht unbedingt zu unseren Bedingungen statt, aber es war eindeutig eine Chance.

„Ich komme sehr gerne an Bord deines Schiffes“, sagte ich.

„Schön, ich lasse dich sofort abholen.“

Ich wollte antworten, aber für einen Sekundenbruchteil hatte ich das Gefühl, als würde sich irgendetwas in meine Gedanken drängen, um dort nach Informationen zu suchen. Es handelte sich um ein leichtes Ziehen im Kopf, das an verschiedenen Stellen auftauchte und rasch den Standort wechselte. Kaum hatte ich es bemerkt, war es auch schon wieder verschwunden.

Ich bemerkte, dass die Holoverbindung beendet war. Vochotek-Daschar hatte sich auf seiner Seite abgemeldet. „Habt ihr das bemerkt?“, fragte ich in die Runde.

Der Major sah mich irritiert an. „Was meinst du? Es sind gerade so einige merkwürdige Dinge passiert?“

„Ich hatte so ein seltsames Gefühl.“

„Ich habe nichts bemerkt“, sagte Takagawa und sofort schüttelten auch der Major und Prof Hagen den Kopf.

„Kannst du es etwas genauer beschreiben?“, fragte Vanessa, ganz die Medizinerin.

Ich überlegte kurz. „Es fühlte sich an, als würde etwas Fremdes in meinem Kopf herumspazieren und wahllos Schubladen aufziehen.“

„Klingt so, als hätte dich jemand auf mentaler Ebene ausspioniert“, sagte Cy.

Der Gedanke war mir auch schon gekommen. „Bei Leuten, die die Fähigkeit besitzen, in die Zukunft zu sehen, halte ich die Vorstellung für nicht völlig abwegig, dass sie auch über andere mentale Fähigkeiten verfügen.“

„Und warum nur bei dir?“, fragte der Major.

„Ist doch klar“, sagte Takagawa. „Sie haben dich ausgewählt, weil du unsere Kommandantin bist und deshalb die meisten Kenntnisse über uns und unsere Mission besitzt.“

„Das ist eine Möglichkeit.“

Wir sahen alle zu Vanessa.

„Wie meinst du das?“, fragte ich sie.

„Du besitzt als Moranerin besondere empathische Fähigkeiten, deshalb konntest du den Zugriff bemerken. Das bedeutet aber nicht, dass du die einzige bist, auf die zugegriffen wurde.“

„Du meinst, die haben auch bei uns anderen in den Schubladen herumgewühlt?“, fragte Takagawa.

Vanessa nickte. „Und sie sind wieder aus dem Haus verschwunden, ohne dass die Alarmanlage anging.“

Für einen Moment dachte jeder über diese Möglichkeit nach und versuchte, sich an ein Gefühl zu erinnern, das auf ein solches Eindringen hinweisen konnte. Doch niemand wurde fündig.

„Ich denke, wir wurden gerade alle durchleuchtet“, pflichtete der Prof bei. „Nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme bei einer ersten Begegnung.“

Meine Crew war äußerst misstrauisch und witterte eine Falle, was ich ihnen nicht verdenken konnte, schließlich hatte ich zuvor schon denselben Gedanken gehabt. „Ich stimme euch zu, aber die Yikritschen müssen sich ebenfalls absichern. Wenn sie über diese Möglichkeit verfügen, wäre es aus ihrer Sicht unsinnig, sie nicht einzusetzen. Immerhin besteht die Gefahr, dass wir zu den Verschwörern auf Terra-Seite gehören. Wenn wir sie dadurch von unseren guten Absichten überzeugen konnten, profitieren wir sogar davon.“

„Trotzdem solltest du wachsam sein, während du dich auf dem feindlichen Schiff aufhältst, edle Shalyn“, sagte Klakk. „Ich betrachte es als meine Pflicht, dich dorthin zu begleiten.“

„Danke für das Angebot, aber mit deiner Größe und deinen Waffen würdest du einen falschen Eindruck vermitteln. Ich gehe allein.“

„Ein Kleinstraumschiff nähert sich der Promet“, meldete O’Healy.

Es war so weit.

*

Kanada, Yellowknife, HTO-Zentrale, 28.04.2107

Drei Tage waren seit dem Anschlag auf das Transportraumschiff HTO-N001 vergangen, doch allen Beteiligten war das schreckliche Ereignis ins Gedächtnis eingebrannt.

Peet Orell hatte beschlossen, die Crew des schwer beschädigten Schiffes von Terra nach Riddle zu bringen, um sie aus der Schusslinie der Untersuchungen der Space Police zu bringen. Offizierin Rebel Marxia arbeitete unermüdlich an der Aufklärung des Anschlages, aber bisher beschränkte sie ihre Ermittlungen auf den Tatort und das Schiff. An diesem Tag sollten die Verhöre der Besatzung beginnen. Niemand verdächtigte sie ernsthaft, mit der Tat in Verbindung zu stehen, und ihre Befragung war reine Routine. Nach Peets Ansicht eine völlig überflüssige Routine, denn die Besatzung konnte nichts zur Aufklärung beitragen. Deshalb hatte er bis zum Abflug des HTO-Linienschiffs Spirit of Moran