Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 11: Die Jäger des Sternenkaisers - Andreas Zwengel - E-Book

Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 11: Die Jäger des Sternenkaisers E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

In Nordamerika werden vier Menschen entführt, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben. Erst auf der Reise zu dem geheimnisvollen Auftraggeber der Entführung entdecken sie erste Gemeinsamkeiten. Durch einen unglücklichen Zufall kreuzt Vivien Raid den Weg der Entführer und gerät ebenfalls in Gefangenschaft. Als das Wrack ihres Schiffes gefunden wird, vermutet man ihren Tod.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

5101 Andreas Zwengel Mehr als tausend Lichtjahre

5102 Andreas Zwengel & Gerd Lange Geheiligte Spiele

5103 Andreas Zwengel Eisenfaust

5104 Andreas Zwengel Der Weiße Prophet

5105 Andreas Zwengel Im Tribunal der Häuser

5106 Andreas Zwengel Das Zeitenorakel

5107 Andreas Zwengel Die wahnhaften Künstler

5108 Andreas Zwengel Der Plan der Ehrenschwester

5109 Andreas Zwengel Die Vision der Propheten

5110 Gerd Lange & Achim Mehnert Requiem für Adamson

5111 Andreas Zwengel Die Jäger des Sternenkaisers

DIE JÄGER DES STERNENKAISERS

RAUMSCHIFF PROMET - STERNENABENTEUER

BUCH 11

ANDREAS ZWENGEL

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

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© 2024 Blitz Verlag

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH

Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier

Redaktion: Gerd Lange

Exposé: Gerd Lange

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Logo: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

5111 vom 15.09.2024

ISBN: 978-3-68984-075-4

INHALT

Die Jäger des Sternenkaisers

Andreas Zwengel

DIE JÄGER DES STERNENKAISERS

Nordamerika, Nevada, Las Vegas, 29.06.2107

Der Boss kniff der blutjungen Serviererin in den Hintern. Sie quickte und machte einen kleinen Hüpfer, bevor sie dem unappetitlichen Kerl spielerisch mit dem erhobenen Finger drohte. Dabei kicherte sie leise. Eine überzeugende Vorstellung. Sie hasste ihren Boss wegen seiner Zudringlichkeiten und wahrscheinlich auch sich selbst, weil sie so tat, als ob es ihr gefiel. Schließlich wusste sie, welches Verhalten auch bei manchen Gästen mit guten Trinkgeldern belohnt wurde, und sie war auf jeden Jeton angewiesen.

Der Boss hatte sie schon wieder vergessen und stieg die Treppe zu seinem Büro hinauf, von wo aus er den ganzen Spielsaal überblicken konnte.

David Brodie beobachtete den Vorfall, ohne eine Miene zu verziehen. In erster Linie, weil es auch sein Boss war. In zweiter Linie, weil es zu seinem Job gehörte, in jeder Situation cool zu bleiben. Er trug einen dunklen Anzug, der seine versteckten Waffen perfekt tarnte. Brodie war für die Sicherheit in dem Casino zuständig. Nicht um Falschspieler zu erwischen, dafür gab es hauseigene Spezialisten, sondern um die bewaffneten Gangs abzuwehren, die immer häufiger die Gewinne des Hauses abgreifen wollten. Als Ex-Söldner besaß Brodie eine Menge Erfahrung mit bewaffneten Konflikten, auch wenn es ihm nicht unbedingt anzusehen war. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren war er noch sehr jung, konnte aber schon auf ein abenteuerliches Leben zurückblicken. Er trug einen dichten Vollbart, der ihn älter machte und dafür sorgte, dass andere ihn ernst nahmen.

Der Boss winkte ihm von seinem gläsernen Büro im Obergeschoss aus zu und machte mit der Hand ein Pistolenzeichen. Dann erhielt er einen Anruf auf seiner Com und drehte sich von der Scheibe weg. Wenn jemand einen Grund brauchte, um dem Boss die Pest an die Klöten zu wünschen, konnte jeder in diesem Saal behilflich sein. Der Kerl machte sich so viele Feinde, als handelte es sich um eine olympische Disziplin. Und es kümmerte ihn nicht im Geringsten. Brodie hätte gerne behauptet, dies sei ein Zeichen von Dummheit, doch leider traf das in dem Fall nicht zu. Sein Boss war ein ausgesprochen cleverer Schweinehund. Obwohl sie ihn hassten, bewunderten seine Angestellten ihn auch. Eine miese Kombination, weil sie ständig zwischen diesen beiden Positionen schwankten. Brodie machte sich keine Illusionen, dass sich der Boss mit ihm schmückte, dem knallharten Ex-Söldner an seiner Seite. Genauso schmückte sein Chef sich mit seiner bildschönen und blutjungen Ehefrau, von der glaubte, dass sie ihn betrog. Bisher hatte er aber keinen Beweis dafür gefunden und deshalb sogar Brodie um Hilfe gebeten. Der hätte ihm sofort drei Fälle nennen können, bei denen sie ihrem Ehemann untreu gewesen war. Eigentlich sogar vier, wenn er den unterbrochenen Quickie am Airport mitzählte, als sie beide den Boss abholen sollten. Eigentlich war Brodie zu gut für das kleine Luder, aber sie besaß unbestreitbar ihre Qualitäten. Außerdem genoss er den Nervenkitzel, von dem ihm sein Job deutlich zu wenig bot. In Vegas ging es um Glücksspiel und Sex, nicht die Art von Action, die er bevorzugte.

Ein lautes Krachen ließ alle um Brodie zusammenzucken. Das Geräusch war ohrenbetäubend und versetzte die Casinogäste augenblicklich in Panik. Einige flohen, andere warfen sich zu Boden und wieder andere erstarrten einfach an Ort und Stelle.

Brodie sprang aus dem Stand auf einen Roulettetisch, um besser sehen zu können. Am Eingang stand ein buntes Fahrzeug halb im Gebäude. Es hatte die Casinotüren auseinandergesprengt und ein paar Tische zur Seite geschoben. Alle vier Türen des Fahrzeugs standen offen, maskierte Männer schwärmten aus. Brodie hatte seinen Strahler in der Hand, aber es waren zu viele Gäste zwischen ihm und den Eindringlingen, um schießen zu können. Sie hatten altmodische Schnellfeuergewehre bei sich und ballerten damit in die Decke. Sie schienen kein konkretes Ziel zu haben, sondern vertrieben nur die Gäste.

Brodie durchschaute ihr Vorgehen innerhalb von Sekunden. Das alles war nur ein Ablenkungsmanöver. Deshalb nutzten sie auch so veraltete Waffen. Sie brauchten nicht die Durchschlagskraft, sondern lediglich den Lärm, den diese Dinger verursachten. Die Kerle wollten möglichst viel Radau machen, um damit von ihrem eigentlichen Plan abzulenken. Sie waren hinter dem Boss her, das stand für Brodie fest. Er wechselte die Richtung und überließ die Kerle dem Sicherheitsdienst. Der Lärm hatte den Boss bereits angelockt. Auf Ärger in seinem Casino reagierte er so sensibel wie ein Hai auf Blut im Wasser. Für Brodie war das kontraproduktiv. Er wollte seinen Boss in einen Panikraum zwei Stockwerke tiefer bringen, und zwar so schnell wie möglich, bevor er sich die Eindringlinge vornahm.

Mit hochrotem Kopf kam der Boss gerade die Treppe aus seinem Büro herunter. Er hielt einen Baseballschläger in der Hand und war bereit, ihn auf Leute heruntersausen zu lassen, die seinen Betrieb störten. Brodie lief ihm entgegen. In diesem aufgebrachten Zustand war der Boss nur schwer zu bremsen. Einerseits war er sicher empört darüber, dass es jemand wagte, sein Casino zu überfallen, zum anderen rechnete er wahrscheinlich bereits die Kosten zusammen, die dieser Auftritt verursachte. Den Schaden im Eingangsbereich, die verschreckten Gäste, die nicht mehr an die Spieltische zurückkehrten, und die ganzen Löcher in seiner Decke. Dafür wollte er jemandem Schmerzen zufügen.

Brodie dagegen musste dafür sorgen, dass sein Chef nicht durchlöchert auf dem Boden landete. Außerdem war er immer noch davon überzeugt, dass die vier Trottel am Eingang nicht die wahre Bedrohung darstellten. Er trat seinem Boss in den Weg und der sah ihn an, als sollte er sein erstes Opfer werden. Der Mann war bereits im Blutrausch und nicht wählerisch.

„Wir verschwinden hier, bis die Lage unter Kontrolle ist!“, brüllte Brodie, um zu ihm durchzudringen. Er schob den Mann zu einem der Notausgänge, aber der Idiot wehrte sich. Anscheinend wollte er in den Saal zurück, verlangte Brodies Strahler und drohte ihm mit Kündigung, wenn er den Weg nicht freigab. Es war schon schwer genug, einen der meistgehassten Männer der Stadt zu beschützen, wenn er sich kooperativ zeigte. Doch der Boss verhielt sich ständig so, wie Toreros aus alten E-Adventure-Games, die ständig rote Tücher vor den Gesichtern umherschwenkten. Es war ihm ungeheuer wichtig, seinen Ruf als harter Kerl zu festigen. Brodie musste umdisponieren, damit sie beide am Leben blieben. Also war nicht mehr der Panikraum das Ziel, sondern der schnellste Weg nach draußen.

Endlich hatten sie den Flur durchquert und erreichten den Hinterausgang. Auf der Rückseite des Casinos wartete bereits die gepanzerte Limousine. Brodie drängte sich an seinem Boss vorbei, um zu kontrollieren, ob die Luft rein war, und wurde von der gleißenden Nachmittagssonne erwischt. Casinos hatten bewusst keine Fenster, damit die Spieler ihr Zeitgefühl verloren und immer weiter zockten. Brodie hatte diesen Aspekt nicht bedacht.

Für eine halbe Sekunde war er geblendet, dann entdeckte er die offenen Türen eines Transportgleiters, der rückwärts vor der Tür stand. Brodie kannte weder den Gleiter noch die beiden Kerle im Cockpit. Auf das Ablenkungsmanöver im Casino war er nicht hereingefallen, aber den eigentlichen Plan hatte er nicht durchschaut.

Brodie wollte sich umdrehen und den Boss zurück ins Casino drängen, als ihn ein mörderischer Schlag in den Rücken traf. Er taumelte vorwärts, blieb aber auf den Beinen. Ein weiterer Schlag traf ihn gegen den Kopf und schickte ihn zu Boden. Er wälzte sich herum und sah seinen Boss mit erhobenem Schläger über sich.

„Wir brauchen ihn lebend!“, rief einer der beiden Männer. Brodie begriff endlich. Der Angriff galt nicht seinem Boss oder dem Casino. Die Kerle wollten ihn. Sie gingen zu beiden Seiten neben Brodie in die Hocke und verschnürten seine Arme und Beine miteinander.

Widerwillig verzichtete der Boss auf einen weiteren Schlag, sah Brodie aber hasserfüllt an. „Ich weiß nicht, was die von dir wollen, aber ich hoffe, sie quälen dich sehr langsam zu Tode“, sagte er und spuckte aus. „Und sie schneiden dir alles ab, mit dem du meine Frau berührt hast.“

Sein Boss wusste Bescheid. Der Baseballschläger war also von Anfang an für ihn bestimmt gewesen und nicht für die Rowdys am Eingang. Wie hatte er davon erfahren? Vielleicht von diesen beiden Kerlen, die ihn gerade abtransportieren wollten. Nur, lange konnte er noch nicht davon wissen, sonst hätte er sich schon früher nicht mehr zurückhalten können.

Brodie wurde von kräftigten Händen hochgehoben und in den Laderaum geworfen. Er hatte sich bei diesem Job ein paar Feinde verschafft, aber die zogen nicht so ein Ding ab, sondern hätten ihm einfach in seinem Apartment aufgelauert, um ihn still und leise zu beseitigen. Wer so vorging wie hier, der wollte damit entweder ein Zeichen setzen oder er hatte es sehr eilig und konnte nicht warten.

Brodie vermutete, dass es mit seinem früheren Leben zusammenhing, bevor er diesen langweiligen Casinojob angenommen hatte. Eine alte Geschichte aus der Zeit, als er sein Geld als Söldner an verschiedenen Krisenherden verdiente. Aber was auch immer die fremden Kerle von ihm wollten, Brodie war bei ihnen wahrscheinlich besser aufgehoben als in der Gewalt des gehörnten Casinobesitzers.

* * *

Nordamerika, Florida, Miami, 29.06.2107

Eine Lichtminute sind knapp achtzehn Millionen Kilometer. Die Sonne ist acht Lichtminuten von der Erde entfernt, unsere Galaxis mindestens 90.000 Lichtjahre breit. Die Andromedagalaxie ist zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernt. Das bedeutet, dass ich zweieinhalb Millionen Jahre in die Vergangenheit blicke, wenn ich Andromeda hoch oben am Himmel sehe. Chris Castro wurde unwohl bei diesen Gedanken, er drückte den Joint neben sich im Gras aus. Selbst wenn viele der Galaxien am Himmel bereits vor einer Million Jahren aufgehört hatten zu existieren, sollte er es nie erfahren. Er schüttelte den Kopf und dachte, dass er sich stattdessen lieber über seine unbezahlten Rechnungen Gedanken machen sollte. Er stand auf und trottete gemächlich den kleinen Hügel zu seinem Cyclono hinunter.

Es wurde Zeit, dass er wieder in seinen Laden zurückkehrte, um seinen Angestellten ein gutes Vorbild zu geben. Sie sollten sehen, dass er noch nicht aufgegeben hatte und noch eine Zukunft für das Restaurant sah. Er hasste es, sie zu belügen. Bald musste ihm das Geld ausgehen, um die Lebensmittel zu bezahlen und das wäre das Ende. Seine Leute arbeiteten seit einer Weile bereits für weniger Lohn, nur aus Loyalität, um das Restaurant zu retten. Aber Castro wusste, es bestand kaum Hoffnung, dass sie jemals noch einen Sol sehen würden. Er hatte schon vor Wochen den Zeitpunkt verpasst, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen.

Die Sonne senkte sich dem Horizont entgegen, um bald ein farbenprächtiges Schauspiel am Himmel zu erschaffen. Damit läutete sie den Beginn des Nachtlebens von Miami Beach ein. Etwas, worauf er sich früher jeden Tag gefreut hatte.

Castro stellte sein Cyclono hinter dem Laden ab. Möglicherweise war das seine letzte Fahrt gewesen, er hatte bereits ein Angebot für die Maschine. Weit unter Wert, aber es sollte ihm einen kleinen Aufschub bringen. Jeder Funke Optimismus, den er noch besaß, erlosch sofort, als er sein Restaurant betrat. Nur ein einziger Tisch war mit zwei Paaren besetzt, ansonsten war das Lokal leer. Vier Gäste, vor denen nur Drinks standen. Sie hatten nichts gegessen und beabsichtigten es wohl auch nicht. Nur von ein paar Getränken konnte Chris Castro seinen Betrieb nicht am Laufen halten. Er hatte bereits zwei Pleiten hinter sich. Schon beim ersten Mal waren alle seine Ersparnisse verbraucht gewesen und ohne die Hilfe seines Onkels hätte es kein zweites Lokal gegeben. Geschweige denn das jetzige.

Castro setzte sich an einen der Nebentische, damit wenigstens zwei Tische besetzt waren und das Lokal von außen nicht so leer aussah. Ungewollt lauschte er dem Tischgespräch der Paare. Die beiden Männer waren mit Imponiergehabe beschäftigt. Sie versuchten, sich gegenseitig mit ihrem Einfluss auszustechen und zählten unablässig die Namen von Prominenten auf. Anschließend prahlten die Kerle mit ihrem Vermögen, bis der Ältere von beiden seine Com zückte und seinem Gegenüber das Top-Level seiner Bonität zeigte. Damit war die Rangordnung geklärt. Castro musste gezwungenermaßen dieses Schauspiel mitansehen. Nachdem der Einkommensjoker verpufft war, wurden nacheinander mehrere andere Punkte abgearbeitet. Zuerst körperliche Fitness, anhand unnötiger Muskelspiele. Danach der von Frauen angeblich nicht hoch genug einzuschätzende Humor. Es war ein regelrechtes Desaster.

Castro fragte sich, wie die beiden Frauen das ertrugen. Außerdem wunderte er sich, wieso noch keiner seiner Angestellten erschienen war, um nach seinem Getränkewunsch zu fragen. Oder bei den beiden Paaren nachzuhaken, ob sie noch etwas wollten. Herrgott, die Männer saßen vor leeren Gläsern. Wenn sie als Nächstes den beiden Frauen beweisen wollten, wer mehr vertragen konnte, ließ sich damit wenigstens etwas Gewinn machen.

Schließlich erhob sich Castro, um in der Küche seine Angestellten gehörig zusammenzustauchen. Wenn sie schon resigniert hatten, dann konnten sie genauso gut zu Hause bleiben, dann brauchte er sie nicht mehr zu bezahlen. Als Erstes entdeckte er seinen Koch Nestor, der gefesselt und geknebelt vor seinem Herd hockte. Neben ihm saßen Magdalena und Suzi, ebenfalls verschnürt. Seth, der Beikoch, lag ausgestreckt auf dem Bauch und blutete aus einer Stirnwunde. Er war ein Heißsporn und hatte garantiert etwas Dummes getan, was seinen Zustand erklärte. Lief hier gerade ein Überfall? Castro konnte sich nicht entscheiden, ob er zuerst Nestor von seinem Knebel befreien oder über Com die örtliche District Police verständigen sollte. Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren.

Die beiden Paare waren aufgestanden und kamen zu ihm in die Küche.

„Du wirst uns begleiten, Castro“, sagte die jüngere Frau mit einer sehr hohen Stimme, die auf Heliummissbrauch schließen ließ.

Castro ließ frustriert die Schultern sinken. „Ernsthaft? Die einzigen Gäste in meinem Lokal sind nur hier, um mich zu entführen?“

* * *

Nordamerika, Washington, Seattle, 29.06.2107

Marvin Thorvald spazierte in der Dämmerung am Hafen entlang und war wie immer tief in Gedanken versunken. In seinem Büro war ihm die Decke auf den Kopf gefallen, er hatte an die frische Luft gemusst. Außerdem wollte an seinem Arbeitsplatz ständig jemand etwas von ihm und riss ihn dadurch aus seiner Konzentration.

Die Seeluft dagegen spornte seine Gehirnzellen an. Er spazierte an den gewaltigen Cruiseglidern vorbei bis ans Ende des Piers und blickte zum Hügel hinauf, wo er die New Space Needle sehen konnte, die inzwischen dritte ihrer Art. Deren Aussichtsplattform hatte er genauso in sein E-Adventure-Game eingebaut. Es waren diese kleinen Details, die ihn als Episodenentwickler so beliebt machten. Kingslayer war von Anfang an ein riesiger Erfolg gewesen und seine Beliebtheit blieb bis heute ungebrochen. Das lag daran, dass das Spiel so vielfältig war. Man konnte es wie ein Shakespeare-Drama voller Intrigen spielen oder als pure Action-Sause. Immer wieder gab es neue Verwicklungen und mit jeder Episode vergrößerte Thorvald das von ihm geschaffene Universum. Seiner Phantasie schienen keine Grenzen gesetzt zu sein und alle Charaktere wirkten absolut überzeugend.

Thorvald wurde oft gefragt, woher er seine Ideen nahm, doch er konnte darauf nur ausweichende Antworten geben. Niemand gab sich damit zufrieden, wenn er sagte, dass sie ihm einfach so zuflogen. Das war den Fans zu unspektakulär.

Kingslayer drehte sich um die Ereignisse an einem Königshof auf einem fernen Planeten. Die Machtkämpfe, die Schlachten, die Ränkespiele, der Verrat und schließlich der Königsmord. Jeder Spieler konnte frei unter den Figuren am Hof wählen. Man durfte der König sein, Leibwächter, Verräter oder Attentäter und stets brauchte man sowohl Intelligenz als auch Geschick, um weiterzukommen.

Seit zwei Jahren erfreute Thorvald eine ständig wachsende Fangemeinde mit neuen Episoden und doch beklagten sich viele Nutzer, dass der Nachschub zu lange dauerte. Thorvald wollte sich nicht hetzen lassen, denn eine nachlassende Qualität verärgerte die Leute noch mehr.

Anfangs hatte es Thorvald gefallen, überall als der Chefentwickler von Kingslayer erkannt zu werden. Aber es war nicht lange bei Bewunderung oder Dankesbekundungen geblieben. Immer öfter wurde er von Fans regelrecht festgenagelt, die ihm ihre Kritikpunkte ausführlich darlegen wollten. Sie machten Verbesserungsvorschläge oder wiesen ihn auf Fehler hin. Solche Leute gingen davon aus, dass er sich mal eben zwei Stunden Zeit für sie nahm, ganz gleich, wo er sich befand. Deshalb war sein erster Gedanke, als er die beiden Verfolger bemerkte, dass es sich bei ihnen wieder einmal um Fans von Kingslayer handelte. Allerdings machten sie nicht den Eindruck von typischen E-Gamern. Ihr Gesichtsausdruck ließ nicht darauf schließen, dass es viel Freude in ihrem Leben gab. Thorvald hatte von Fanatikern gehört, die die Action-Szenen in der Realität nachspielten und die Handlung ernster nahmen, als sie gemeint war. Wollten sie Änderungen an der Geschichte in ihrem Sinne verlangen? Wollten sie ihn daran hindern, weitere Episoden zu schreiben? Oder im Gegenteil, ihn irgendwo einsperren, damit er ohne Ablenkung schneller schreiben konnte? So viele Möglichkeiten, und alle waren beunruhigend.

Thorvald überlegte, ob er ihnen entwischen konnte, aber er war Realist genug, um seine Chancen richtig einzuschätzen. Er besaß zwar von Natur aus einen sportlichen Körperbau, doch leider tat er viel zu wenig, um Muskeln aufzubauen oder seine Kondition zu fördern. Die guten Gene seiner Vorfahren ließ er ungenutzt und beanspruchte eigentlich nur sein Gehirn. Also war es naheliegend, dass ihm nun auch sein Verstand aus der Patsche helfen musste und nicht seine Beine.

Die beiden Männer teilten sich auf und begannen, seinen Weg zu bestimmen. Der eine versperrte ihm den Eingang in ein belebtes Lokal, wo er sich Hilfe erhoffte, der andere schloss dicht auf, um ihn zur Eile zu bewegen. Thorvald überlegte, wie seine Chancen bei einer offenen Konfrontation standen. Kamen ihm Passanten zu Hilfe, wenn er danach rief? Er wollte sich nicht darauf verlassen. Wenn er seine Com hob, um einen Notruf abzusetzen, konnten die beiden mit wenigen Schritten bei ihm sein, um ihn daran zu hindern. Also war er bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und ging einfach weiter. Er musste nur darauf achten, sich nicht in eine abgelegene Gasse zu verirren.

Thorvald bog um die nächste Ecke und rannte los. Also mussten ihn doch die Beine retten. Zu seinem Glück wurde die Tür eines Gebäudes geöffnet, ein Anwohner kam heraus. Der Spieleentwickler schlüpfte hinein und schloss die Tür, die sich ohne Code nicht öffnen lief. Er rannte im Treppenhaus zwei Stockwerke nach oben und benutzte einen Übergang zum Nachbargebäude. Unten sah er die beiden Männer vor der Eingangstür stehen.