Der CIA-Folterreport - Wolfgang Nešković - E-Book

Der CIA-Folterreport E-Book

Wolfgang Nešković

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Beschreibung

Der am 9. Dezember 2014 vom "United States Senate Select Committee on Intelligence" veröffentlichte Report basiert auf über sechs Millionen interner CIA-Dokumente. Diese beinhalten Informationen zu geheimen Gefängnissen, getöteten Insassen und den angewandten Verhörmethoden. Darüber hinaus zeigen sie die Verzahnung der CIA mit anderen Regierungsorganisationen - innerhalb und außerhalb der USA. Außerdem versucht der Bericht zu klären, inwieweit die CIA parlamentarische Abgeordnete und Regierungsvertreter über das Ausmaß und die Gesetzeskonformität ihres Handelns getäuscht hat. Die Herausgeberschaft übernimmt der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Nešković, er wird der deutschen Ausgabe des Berichts auch eine umfassende Erläuterung voranstellen und die Bedeutung für Deutschland und Europa aufzeigen. Nešković ist ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und war MdB bis 2013. Er gehörte dem Parlamentarischen Kontrollgremium an, das die deutschen Nachrichtendienste Verfassungsschutz, BND und Militärischer Abschirmdienst kontrollieren soll, und war Mitglied des Untersuchungsausschusses, der sich mit dem Fall Murat Kurnaz befasste.

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Seitenzahl: 1614

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CopyrightKatja-Julia Fischer

Wolfgang Neskovic, geboren 1948 in Lübeck,ist ein deutscher Politiker und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Er war seit seinem Austritt aus der Linksfraktion im Dezember 2012 bis 2013 der einzige partei- und fraktionslose Abgeordnete im 17. Deutschen Bundestag. Als Mitglied des Untersuchungsausschusses war er mit dem Fall Kurnaz befasst. Wolfgang Neskovicc war mehrere Jahre Mitglied des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung und dessen Sprecher.

Er ist Gründungsmitglied und einer der Vorstände des Instituts Solidarische Moderne. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

WOLFGANG NEŠKOVIĆ (Hg)

DER CIA

FOLTER

REPORT

Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungsund Verhörprogramm der CIA

Die Übersetzer und Übersetzerinnen:

Pieke Biermann • Ariane Böckler • Claudia Buchholtz Bernhard Josef • Antje Kaiser • Detlef J. Kotte • Daniel Oster Petra Post • Rafael Sanchez • Andreas Simon dos Santos Sophia Luise Szekely • Harald Stadler • Sebastian Vogel

ebook Edition

Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der vorliegende Bericht wurde am 9. Dezember 2014 vom „Senate Select Committee on Intelligence” des US Senates unter dem Titel „Committee Study of the CIA’s Detention and Interrogation Program - Findings and Conclusions” unter dem Link http://www.intelligence.senate.gov/study2014/sscistudy1.pdf veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung erfolgte ohne Weglassungen oder Hinzufügungen. Sie enthält auch keinerlei Interpretationen der im amerikanischen Original dargestellten Sachverhalte. Schwärzungen des Originalsberichts wurden für die deutsche Ausgabe übernommen. Westend Verlag GmbH Frankfurt am Main, Januar 2015.

ISBN 978-3-86489-100-7 Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015Redaktion und Projektmanagement:Michael Schickerling, schickerling.cc, MünchenSatz: Publikations Atelier, DreieichDruck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

Inhalt

Vorwort des Herausgebers zur deutschen Ausgabe

Wolfgang Nešković: Der Zweck heiligt nicht die Mittel oder Das Folterverbot gilt absolut

Der Report

Untersuchungsbericht über das Internierungs- und Verhörprogramm der Central Intelligence Agency

Vorwort von Senatorin Dianne Feinstein

Befunde und Schlussfolgerungen

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abkürzungen

Anhang

Vorbemerkung des Herausgebers

Gezielte Tötungen – Herausforderungen für Demokratie und Recht

Informationspapier über die Reform des Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle

Gesetzentwurf

Verfassungsschutz: Reform – ja, Abschaffung – nein!

Ein ausführliches Personen- und Sachregister finden Sie unter:http://www.westendverlag.de/fileadmin/media/pdfs/Der_CIA-Folterreport_Namensregister.pdf

Vorwort des Herausgebers

„Die Haftbedingungen und die Anwendung erlaubter und unerlaubter Verhör- und Konditionierungsverfahren” waren „grausam, unmenschlich und entwürdigend”, schreibt Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Senats, in ihrem Vorwort zu dem veröffentlichten Bericht über die Folterpraktiken der CIA. Mit der Publikation des Berichts verbindet sie die Hoffnung, „dass die US-amerikanische Politik nach der Veröffentlichung dieser Befunde und Schlussfolgerungen sowie der Zusammenfassung des Berichts nie wieder uneingeschränkte Internierung und gewaltsame Befragungen zulassen wird”.

Diese Hoffnung mag trügerisch sein, wenn man sich die entsprechenden öffentlichen Reaktionen im Lager der Republikaner und auch bei den ehemals Verantwortlichen George W. Bush („Völlig daneben”) und Dick Cheney („Voller Mist”) vor Augen führt. Ebenso lassen die in den USA veröffentlichten Meinungsumfragen für Optimismus wenig Raum. Eine deutliche Mehrheit der US-Amerikaner billigt die Foltermaßnahmen und diskutiert nicht über deren Zulässigkeit beziehungsweise Unzulässigkeit, sondern allenfalls über deren Nützlichkeit.

Jenseits der Wirkungen, die dieser Bericht in den Vereinigten Staaten hervorruft, wird er für alle, die ihn lesen wollen, Konsequenzen haben. Er kann nicht nur persönliche Betroffenheit, Empörung und Entsetzen hervorrufen, sondern darüber hinaus auch für die deutsche Leserschaft die Bereitschaft fördern, sich dafür einzusetzen, dass - zumindest in Deutschland - die Folterer und ihre Hintermänner strafrechtliche Konsequenzen fürchten müssen.

Verantwortlich dafür ist nicht - wie die Bundeskanzlerin behauptet und damit die Öffentlichkeit täuscht - die „Justiz”, sondern in erster Linie die Politik. Vor diesem Hintergrund habe ich die hier folgenden Ausführungen vorwiegend darauf ausgerichtet, die rechtlichen Zusammenhänge darzustellen, die weltweit festlegen, welche Verantwortlichkeit der deutschen Politik bezüglich der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen zukommt.

Die Veröffentlichung des Berichts des US-Senats in deutscher Sprache soll möglichst vielen Menschen in Deutschland die Chance eröffnen, sich ein eigenes Bild von den Folterpraktiken der CIA zu machen. Sie soll auch veranschaulichen, zu welchen menschlichen Pervertierungen Verantwortungsträger in Staaten, die sich Rechtsstaaten nennen, fähig sind, wenn sie sich bedroht fühlen.

Der Bericht zeigt darüber hinaus, wie fragil in solchen Situationen die Bindung an das Recht ist. Die „Herrschaft des Rechts”, die Kanzlerin Angela Merkel im Kontext mit der Ukraine stets einfordert, ist keine „Schönwetterveranstaltung”, die suspendiert werden kann, wenn die Verhältnisse stürmisch werden. In einem Rechtsstaat lässt sich Terror nicht mit Terror bekämpfen. Oder anders ausgedrückt: Im Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel.

Die Publikation des Folterberichts eröffnet aber auch die Möglichkeit, den Gesamtzusammenhang, in dem die Folterpraktiken der CIA stehen, in den Blick zu nehmen. In ihrem „Krieg gegen den Terror” entziehen sich die Vereinigten Staaten nicht nur dem nationalen, sondern auch dem internationalen Recht. Ihr Krieg ist archaisch und schrankenlos: Menschen wurden weltweit entführt, in Geheimgefängnissen gefangen gehalten und gnadenlos gefoltert. Mit Drohnen werden bis heute in unterschiedlichsten Ländern tatsächliche und vermeintliche Terroristen hingerichtet. Dass dabei auch Frauen und Kinder, die sich im Wirkungskreis der Bomben aufhalten, ermordet werden, wird in Kauf genommen und zynisch als „Kollateralschaden” abgetan. Mithilfe der National Security Agency (NSA) streben die USA mit perfiden Überwachungsmethoden eine möglichst vollständige Kontrolle des Kommunikationsverhaltens und der Inhalte technischer Kommunikation zwischen Menschen an.

Ebenso verdient insbesondere der erbarmungslose Drohnenkrieg die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser dieses Buches. Solche Angriffe geschehen im rechtsfreien Raum. Das Völkerrecht enthält keine Rechtsgrundlage für die Tötung vermeintlicher Terroristen außerhalb einer Gefechtssituation.

Bei al-Qaida handelt es sich zum Beispiel um ein Netzwerk krimineller Zivilisten. Außerhalb einer Gefechtssituation sind dessen Mitglieder wie Verbrecher zu behandeln. Sie sind festzunehmen, anzuklagen und im Falle nachgewiesener Schuld zu bestrafen. Solche Vorgehensweise würde nicht nur die Rechte von Terroristen achten. Sie schützt vor allem auch die Rechte der Nicht-Terroristen. Denn erst in einem Gerichtsprozess erweist sich, ob ein Mensch tatsächlich Terrorist ist oder nur dafür gehalten wird. Eine solche Wahrheitsfindung wäre von militärischen und geheimdienstlichen Beurteilungen nie zu vollbringen. Nach der Logik von Militär und Geheimdiensten ist - anders als nach internationalem Recht (vergleiche Artikel 50 Ziffer 1 des I. Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen) - ein Mensch im Zweifel ein Terrorist und kein Zivilist. Ihre Drohnen töten jede Person, die sich im Wirkungskreis ihrer Waffen befindet. Das führt zum wichtigsten Unterschied zwischen dem Abschussbefehl einer Rakete und der Verkündung eines Strafurteils. Im Gerichtssaal gibt es keinen Kollateralschaden. In bundesdeutschen Gerichtssälen ist der Tod ohnehin ein Fremder. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist nach deutschem Recht ein Straftatbestand, der mit hohen Freiheitsstrafen belegt wird, nicht jedoch mit der Todesstrafe.

Vor diesem Hintergrund ist im Anhang dieses Buches auch ein Vortrag abgedruckt, den ich während meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter auf einem Kongress zu diesem Thema gehalten habe. Er soll helfen, den Leserinnen und Lesern Argumente und Einsichten gegen diese besonders perfide Art der Terrorbekämpfung zu liefern.

Der zusätzlichen Information dient auch der Abdruck zweier weiterer Papiere, die sich im Anhang befinden, weil ich es für sinnvoll halte, auch sie in den Kontext dieses Buches einzubinden.

Der Folterbericht beschäftigt sich mit den grausamen Menschenrechtsverletzungen durch einen Geheimdienst, der einem Staat angehört, der ein Rechtsstaat sein will - jedoch im Praxistest versagt. Diese Feststellung legt die Frage nahe: Was machen unsere Geheimdienste, und wozu sind sie fähig? Haben sie auch gefoltert oder sich an der Folterpraxis der CIA beteiligt oder im Wissen um diese Praxis dennoch Informationen aus Folterungen genutzt? Haben sie den USA Informationen gegeben, die diese genutzt haben, um Drohnenmorde auszuführen? Nehmen sie arbeitsteilig an der umfassenden NSA-Ausforschung teil? Halten sie sich an die Regeln des Rechtsstaats, unserer Verfassung und des internationalen Rechts?

Auf diese Fragen gibt es keine zuverlässigen Antworten. Insbesondere gibt es keinen Bericht des Deutschen Bundestages, der ähnlich präzise und umfassend - wie der Folterbericht des US-Senats - Auskunft über die Arbeitsweisen der deutschen Geheimdienste im Kampf gegen den Terror gibt.

Der BND-Untersuchungsausschuss ist zwar in den Jahren 2006 bis 2009 solchen oder ähnlichen Fragestellungen nachgegangen. Die Bundesregierung hat jedoch - wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat - in verfassungswidriger Weise den Zugang zu einer Vielzahl von Beweismitteln (Zeugen, Dokumente) verhindert, so dass das gesamte Potenzial der Beweismittel nicht umfassend ausgeschöpft werden konnte. Damit konnte der Ausschuss seinen Aufklärungsauftrag nicht erfüllen. Auch der NSA-Ausschuss wird zurzeit in gleicher Weise sabotiert.

Folglich können die deutschen Geheimdienste weiterhin unbesorgt und weitgehend unkontrolliert tätig sein. Aufklärungsversuche des Parlaments und der Öffentlichkeit sind bislang weitgehend gescheitert. Dies, obwohl die Geheimdienstkontrolle seit 2009 in Artikel 45d Grundgesetz ausdrücklich mit Verfassungsrang ausgestattet ist.

In einer Demokratie darf es jedoch keine kontrollfreien Räume geben. Die Geheimdienste dürfen nicht zum Staat im Staate werden. Es muss ihnen verwehrt werden, sich weiterhin hinter dem „Mythos des Geheimen” verstecken zu dürfen. Nur mit einer wirksamen Geheimdienstkontrolle kann in einer rechtsstaatlichen Demokratie sichergestellt werden, dass Geheimdienste nicht zu Rechtsbrechern mutieren. Wir benötigen in Deutschland dringend eine Reform der parlamentarischen Kontrolle.

„Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ist ein Ozean.” Mit diesen Worten von Isaac Newton lässt sich am besten der Wissensstand - oder vielmehr Unwissensstand - der parlamentarischen Kontrolle über die Nachrichtendienste in unserem Land veranschaulichen.

Staatliche und unter dem Schirm des Geheimen agierende Institutionen stellen in einer rechtsstaatlich verfassten, freiheitlichen und offenen Demokratie ein erhebliches Gefahrenpotenzial für Demokratie und Bürgerrechte dar. Im Dezember 2013 haben 562 international anerkannte Autorinnen und Autoren mit ihrer öffentlichen Intervention gegen die Gefahren der systematischen Massenüberwachung durch Geheimdienste daran erinnert: „Eine der tragenden Säulen der Demokratie ist die Unverletzlichkeit des Individuums. … Dieses existenzielle Menschenrecht ist inzwischen null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen. Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr.”

Geheimdienste scheinen von jeher ein Eigenleben im Staat zu führen. Es ist ihre unheimliche Heimlichkeit und ihr unkontrolliertes Agieren im Schatten, die die Forderungen nach ihrer Abschaffung beflügeln. Die Befürworter einer solchen Forderung laufen allerdings Gefahr, „das Kind mit dem Bade auszuschütten”. Denn das Gegenteil fehlender Kontrolle ist nicht die Abschaffung, sondern eine umfassende Reform der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Schließlich fordert auch niemand die Abschaffung von Staatsanwaltschaft und Polizei, obwohl das Versagen der Sicherheitsbehörden bei den Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vorrangig auch ein Versagen dieser beiden Behörden war. Denn sie sind für die Verfolgung von konkreten Straftaten und die Festnahme von Tatverdächtigen zuständig und nicht der Verfassungsschutz.

Nur mit einer umfassenden und effizienten Kontrolle der Geheimdienste lassen sich Bürgerrechte und Demokratie wirksam schützen. Eine solche Kontrolle existiert zurzeit nicht. Die gegenwärtige Kontrolle ist ein Witz. Wollte man sie möglichst ineffizient gestalten, müsste man sie so regeln, wie das derzeit der Fall ist.

Der im Anhang gekürzt abgedruckte Gesetzentwurf zur parlamentarischen Kontrolle ist 2009 in meinem Bundestagsbüro erarbeitet worden. Aus heutiger Sicht ist er sicherlich überarbeitungsbedürftig. Insbesondere zwei wesentliche Ergänzungen erscheinen jedoch schon heute unabweisbar: Zum einen sollte die Verletzung der Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament als Straftatbestand gewertet werden. Das Parlament bei der Ausübung seines verfassungsrechtlich verankerten Kontrollrechts zu täuschen, auszutricksen und zu hintergehen, ist sicherlich strafwürdiges Unrecht, das erhebliche Strafen verdient.

Zum anderen müsste die personelle Zusammensetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verändert werden. Eine erfolgreiche Kontrolle steht und fällt mit der Qualität des eingesetzten Personals. Die bisherigen Besetzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums zeigen, dass die dort tätigen Abgeordneten ihr Kontrollverständnis nur allzu oft den Regeln politischer Alltagsopportunität unterwerfen. Sie verkennen dabei, dass die Arbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium auch eine justizersetzende Funktion hat. Die im Grundgesetz verankerte Rechtsweggarantie, die sicherstellen soll, dass jeder Eingriff der öffentlichen Gewalt in Grundrechte der Kontrolle der Gerichte unterliegt, ist bei den Nachrichtendiensten wegen der Geheimhaltung praktisch aufgehoben. Das Gremium übernimmt mit seiner Kontrolle daher den Grundrechtsschutz, der ansonsten von der Rechtsprechung gewährt würde. Deswegen ist es folgerichtig, diese Besonderheit bei der personellen Zusammensetzung des Gremiums zu berücksichtigen.

Am besten ließe sich das dadurch erreichen, dass sich das Gremium jeweils zur Hälfte aus Abgeordneten und Richtern zusammensetzt. So könnte verhindert werden, dass die politische Alltagsop-portunität der Politiker zur Vernachlässigung der Rechtstreue führt.

Ob diese und die anderen Überlegungen, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, eines Tages Gesetz werden, wird die öffentliche Diskussion zu diesem Thema zeigen. Jedenfalls könnten die hier gemachten Vorschläge dabei zusätzliche Informationen und Anregungen liefern. Bei etwaigen Reformbemühungen werden sicherlich auch die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem NSA-Untersu-chungsausschuss zu berücksichtigen sein.

Auch das im Anhang befindliche Papier zur Reform des Verfassungsschutzes beschäftigt sich mit einem Geheimdienst - dem für das Inland zuständigen. Nicht zuletzt die NSU-Mordserie hat gezeigt, wie wichtig Reformen insbesondere für diesen Geheimdienst sind. Für eine solche Reformdiskussion könnten die in dem Papier unterbreiteten Hinweise und Anregungen hilfreich sein.

Abschließend gilt mein besonderer Dank dem Verleger Markus J. Karsten vom Westend Verlag, der mir das Angebot gemacht hat, dieses Buch herauszugeben.

Dank schulde ich auch all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Westend Verlags, die in unermüdlichem Einsatz vor, über und zwischen den Feiertagen die Voraussetzungen für das pünktliche Erscheinen dieses Buches geschaffen haben: Bernd Spamer, Beate Koglin, Rüdiger Grünhagen, Eugen Mihalache, Maximilian David.

Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines früheren Bundestagsbüros: Katja-Julia Fischer, Christian Blümke, Dr. Jens Lehmann und Marcus Wagner. Ohne ihre klugen Ideen wären die im Anhang enthaltenen Papiere so nicht entstanden.

Wolfgang Nesković Januar 2015

Der Zweck heiligt nicht die Mittel oder Das Folterverbot gilt absolut

Wolfgang Nesković

Der Bericht des US-Senats über CIA-Foltermethoden an Gefangenen, die des Terrorismus verdächtigt wurden, hat weltweit für Empörung und Entsetzen gesorgt. Der Folterbericht offenbart schockierende Grausamkeiten. Er zeigt, zu welchen moralischen Schandtaten und gravierenden Rechtsbrüchen die USA im Kampf gegen Terrorismus bereit waren. Die USA, die Präsident Ronald Reagan einst „eine leuchtende Stadt auf einem Hügel” genannt hatte, versinken im Sumpf ihrer eigenen moralischen und politischen Ansprüche.

Ist das die „westliche Wertegemeinschaft”, von der insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder fabuliert, wenn sie zum Beispiel gegenüber Russland den moralischen Zeigefinger erhebt? Wo bleibt die so oft von Frau Merkel in diesem Zusammenhang beschworene „Herrschaft des Rechts”, wenn die USA in ihrem Kampf gegen den Terrorismus ungerügt und ungerührt Menschenrechte und das Völkerrecht verletzen?

Der Folterbericht belegt, dass die USA im Kampf gegen den Terrorismus jedes rechtsstaatliche Maß verloren haben. Mit den dabei angewandten Methoden verlassen sie einen identitätsstiftenden Kernwert rechtsstaatlichen Denkens: Zur Bekämpfung des Terrorismus haben die Vereinigten Staaten terroristische Mittel angewandt. Die von ihnen bekämpften Terroristen können triumphieren: Sie haben die USA dazu gebracht, sich als Pharisäer zu entlarven. Im Namen der „nationalen Sicherheit” haben sie das Recht gebrochen und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen. Nur im Reich von Terroristen kann der Zweck die Mittel heiligen - nicht jedoch im Reich des Rechtsstaats. Der Rechtsstaat kann nur mit den Mitteln des Rechtsstaats verteidigt werden, jedoch nicht mit den Mitteln des Terrorismus.

Folter ist kein legitimes Mittel in einem Rechtsstaat. Dies ist nach unserem Grundgesetz eine Selbstverständlichkeit. Artikel 1 Absatz 1 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”

Bei der Folter wird der Mensch zu einem bloßen Objekt und verliert damit seine Qualität als menschliches Subjekt. Das Verbot der Folter ist absolut. Es duldet keine Relativierung. Nur so kann dieses oberste Gebot unserer Verfassung auch seine uneingeschränkte Geltungskraft entfalten.

Deswegen musste auch der ehemalige stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner bestraft werden. Dieser hatte im Entführungsfall Jakob von Metzler im Jahr 2002 dem Entführer die Zufügung von Schmerzen androhen lassen, um diesen dazu zu bringen, das Versteck des Kindes preiszugeben. Die verständliche und ehrenwerte Motivation von Daschner reichte nicht aus, das angewandte Mittel zu rechtfertigen.

Das absolute Folterverbot gilt nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch international. Nach der UN-Antifolterkonvention von 1987, die auch von den USA unterzeichnet und ratifiziert worden ist, sind alle 146 Vertragsstaaten, die die Konvention bisher ratifiziert haben, verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass nach ihrem Strafrecht alle Folterhandlungen als Straftaten gelten und mit entsprechend angemessenen Strafen belegt werden können. Ausdrücklich ist in der Konvention (Artikel 2 Ziffer 2) festgehalten: „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtsgrund für Folter geltend gemacht werden.”

Gründe der „nationalen Sicherheit” können demnach keine Folter rechtfertigen. Die USA ignorierten jedoch diese Rechtsvorschriften, zu deren Einhaltung sie sich verpflichtet haben. Sie reden stattdessen von „verschärften Verhörmethoden”. Mit dieser semantischen Beschönigung können sie sich aber nicht ihren rechtlichen und moralischen Pflichten entziehen. Die im Folterbericht des US-Senats enthaltenen detaillierten Darstellungen bezeugen brutalste, menschenverachtende Foltermethoden.

Nach der UN-Antifolterkonvention ist jede Handlung Folter, „durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden”.

Will jemand ernsthaft bestreiten, dass Gefangene, die mit Einläufen aus pürierten Nudeln und Kichererbsen „rektal gefüttert” wurden, um „totale Kontrolle” über sie zu erlangen, gefoltert wurden? Wer all die schockierenden Einzelheiten im Folterbericht des US-Senats in diesem Buch liest, muss entsetzt sein über das zynische und perverse Ausmaß der Foltermethoden, denen die Betroffenen ausgesetzt waren. Niemand, der das liest, wird Zweifel daran haben, dass diese Methoden Folter im Sinne der UN-Antifolterkonvention gewesen sind.

Für diese gibt es keine juristische und auch moralische Rechtfertigung. Es entspricht dem zivilisatorischen Anspruch der UN-Antifol-terkonvention, dass Folter unter keinen Umständen in Betracht kommt - selbst bei den Personen, die schwerste Schuld auf sich geladen haben.

Ein Geheimdokument des US-Justizministeriums vom März 2003 belegt die juristische Hybris der Bush-Administration. Zusammenfassend heißt es in einem Schreiben des US-Justizministeriums an das Pentagon: „Unsere bisherigen Interpretationen stellen klar, dass das Völkerrecht kein Bundesrecht ist und dass der Präsident freie Hand hat, ersteres nach seinem Dafürhalten außer Kraft zu setzen.” Im Klartext: Der Präsident ist nach seinem Gutdünken in der Lage, die Vereinigten Staaten der völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-Antifolterkonvention zu entbinden.

Schließlich haben die USA auch versucht, ihre völkerrechtliche Verpflichtung, nicht zu foltern, dadurch zu umgehen, dass sie ihre Foltermaßnahmen - soweit wir das wissen - nicht auf ihrem Hoheitsgebiet durchgeführt haben. Artikel 2 der UN-Antifolterkonven-tion verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, Folterungen in den Gebieten zu verhindern, die ihrer Hoheitsgewalt unterstehen. Die Einrichtung von Geheimgefängnissen weltweit, etwa in Polen, Litauen und Rumänien, und auch das Gefangenenlager Guantanamo Bay verfolgten daher auch den Zweck, sich so dem Geltungsbereich des Folterverbots zu entziehen.

Aber auch diesen Weg hat der Oberste Gerichtshof der USA (Sup-reme Court) im Jahre 2006 verbaut. Er hat entschieden, dass Artikel 3 der Genfer Konventionen von 1949 für alle Gefangenen der USA auch außerhalb ihres Staatsgebiets gilt. Diese Vorschrift verpflichtet die Vertragsparteien (also auch die USA) dazu, im Krieg (dazu zählen auch nicht-internationale bewaffnete Konflikte) die Gegner „unter allen Umständen mit Menschlichkeit” zu behandeln. Deswegen verbietet sie ausdrücklich die „Folter” und auch die „Beeinträchtigung der persönlichen Würde” sowie eine „erniedrigende und entwürdigende Behandlung”.

Der Folterbericht des US-Senats beweist, die Bush-Administration hatte sich entschlossen, im Kampf gegen den Terrorismus auch Terror als Mittel der Politik einzusetzen. Damit ignorierte sie das nationale Verfassungsrecht, verletzte die Menschenrechte und internationales Recht. Die nationale Sicherheit - was immer die BushAdministration dafür hielt - ist das goldene Kalb, das sie umtanzte. Danach war jedes Mittel legitim, das zielführend war: Krieg, Bombardierungen, Drohnenmorde, Folter, Entführungen und die Ausschaltung von Gegnern weltweit. Die Bush-Administration machte es, weil sie es militärisch konnte. Ethische Bedenken und rechtliche Schranken konnten sie nicht aufhalten.

Kann dieses Verhalten in den Vereinigten Staaten, die ein Rechtsstaat sein wollen, ohne Konsequenzen bleiben? Ein Rechtsstaat will seinem Wesen nach die „Herrschaft des Rechts” etablieren. Recht ist verbindlich. Um diese Verbindlichkeit zu sichern, führt jeder Rechtsverstoß grundsätzlich zu Sanktionen. Dabei gilt: Alle sind vor dem Gesetz gleich. Danach gehören George W. Bush, Dick Cheney, George Tenet, Donald Rumsfeld und andere vor Gericht.

Der Jurist und Journalist Stefan Ulrich hat hierzu im Dezember 2014 in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: „Doch das wird nicht geschehen. Die Terroristen des 11. September haben nicht nur Wolkenkratzer in New York zerstört, sondern auch das Rechtsbewusst-sein vieler Amerikaner beschädigt. Seither billigen diese Dinge, die vorher im Rechtsstaat tabu gewesen sind. Das ist der eigentliche Triumph der Terroristen.”

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew, die nach der Veröffentlichung des US-Senatsberichts durchgeführt worden ist, befürworten 51 Prozent der befragten US-Amerikaner die Foltermethoden der CIA. Nur 29 Prozent lehnten die Misshandlungen ab.

Obwohl in dem Senatsbericht steht, dass die Verhörmethoden keine wichtigen Informationen über bevorstehende Anschläge geliefert hätten, vertreten 56 Prozent der Umfrageteilnehmer die Meinung, dass die Folterverhöre weitere Anschläge in den USA verhindert hätten. Lediglich 28 Prozent glaubten dies nicht.

Diese Umfrageergebnisse sind aus zwei Gründen erschreckend: Einerseits ist nicht die Unzulässigkeit der Folter im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern lediglich deren Nützlichkeit. Andererseits wird ohne weiteres den bloßen Behauptungen der CIA geglaubt, mithilfe der Folterergebnisse seien Anschläge verhindert worden, obwohl es hierfür nicht die geringsten Belege gibt. Die gegenteiligen Erkenntnisse des US-Senats, der immerhin in über fünf Jahren mehr als sechs Millionen Dokumente ausgewertet hat, werden von einer deutlichen Mehrheit der Befragten nicht geglaubt.

Elias Canetti hat einmal gesagt: „Die Kraft falscher Argumente beruht auf ihrer extremen Falschheit.” Die Denkweise derjenigen, die den bloßen Behauptungen der CIA mehr glauben als den belegten Erkenntnissen des US-Senats, folgt dem Muster, das Canetti in seiner Aussage beschreibt: Wenn die CIA solche Methoden anwendet, dann muss das einen Sinn haben und auch erfolgreich sein.

Bei einer solchen Stimmungslage in der US-amerikanischen Bevölkerung, die sich mit der trotzigen Uneinsichtigkeit von Expräsident George W. Bush und seinem früheren Vizepräsidenten Dick Cheney paart, ist nicht ernsthaft zu erwarten, dass die verantwortlichen Täter in den USA strafrechtliche Konsequenzen befürchten müssen.

Unmittelbar vor Veröffentlichung des Senatsberichts war Bush voll des Lobes für die Arbeit des CIA: „Wir können uns glücklich schätzen, Männer und Frauen zu haben, die bei der CIA hart für uns arbeiten … Sie sind Patrioten, und was immer der Bericht sagt: Wenn er ihre Beiträge für unser Land herabwürdigt, dann liegt das völlig daneben,” erklärte er in einem CNN-Interview. Und Dick Cheney tobte. Er hält den Folterbericht für „vollen Mist”. Barack Obama, der gleich zu Beginn seiner Amtszeit 2009 die Foltermethoden der CIA untersagte, hat gleichzeitig eine Aufarbeitung durch die Strafjustiz ausgeschlossen. Nach der Veröffentlichung des Senatsberichts erklärte das US-Justizministerium, man habe in dem Bericht „keine neuen Informationen” gefunden, um strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten.

Es hat den Anschein, dass auch zivilrechtliche Ansprüche der Folteropfer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld keinen Erfolg vor US-amerikanischen Gerichten haben werden. Dies, obwohl die UN-Antifolterkonvention neben strafrechtlichen Konsequenzen in Artikel 14 ausdrücklich regelt, dass jedes Opfer einer Folterhandlung „Wiedergutmachung erhält und ein einklagbares Recht auf gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation”.

Der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der von dem deutschen Staatsbürger Khaled al-Masri beauftragt wurde, seine Interessen als Entführungs- und Folteropfer der CIA vor US-amerikanischen Gerichten wahrzunehmen, ist der Verzweiflung nahe, weil seine Klage und auch die anderer Überlebender von US-amerikanischer Folter bislang vor den Gerichten der Vereinigten Staaten erfolglos waren: „Man könnte verzweifeln, wie man immer verzweifeln könnte, wenn man von (systematischer) Folter und deren Straflosigkeit liest - egal ob in Syrien, Irak, in Russland oder eben in den USA. Aber von der US-Justiz erwarte ich mehr als von der syrischen oder russischen, denn die USA haben sich völker- und menschenrechtlichen Standards verpflichtet. Deswegen bin ich einen Moment sprachlos, als mir klar wird, dass selbst nach dem Bericht keinerlei neue Straf- oder Zivilverfahren eingeleitet werden sollen”, schrieb Wolfgang Kaleck im Dezember 2014 (Zeit-Online).

Die Verzweiflung von Kaleck ist nachvollziehbar. Es fragt sich, worüber man mehr entsetzt sein soll: über die unmenschlichen Foltermethoden der CIA oder die Tatsache, dass diese Verbrechen in den USA - trotz der auch dort geltenden UN-Antifolterkonvention - für die Täter ohne strafrechtliche und/oder zivilrechtliche Konsequenzen bleiben sollen?

Internationale Gerichtshöfe und das Völkerstrafrecht

Wenn die Gerichte in den USA nicht bereit sind, Gerechtigkeit für die Folteropfer herzustellen, dann stellt sich die Frage, ob internationale Gerichte hierzu in der Lage sind.

Seit 2002 gibt es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Im Gegensatz zu den anderen internationalen Strafgerichtshöfen für Exjugoslawien und Ruanda ist dieser Gerichtshof durch einen internationalen Vertrag (und nicht durch einen Beschluss des Sicherheitsrats) ins Leben gerufen worden. Der Gerichtshof urteilt nur über Individuen und nicht über Staaten. Seine Zuständigkeit erfasst Delikte des Völkerstrafrechts. Völkerrechtsverbrechen sind der Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Zu diesen Verbrechenstatbeständen zählt auch die Folter.

Allerdings wird der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht über die Verantwortlichen für die CIA-Folter zu Gericht sitzen. Eine Zuständigkeit für die CIA-Foltertaten setzt die Ratifikation des Statuts durch die Vereinigten Staaten voraus. Zwar haben die USA die Konvention unterzeichnet, sie haben sie jedoch nicht ratifiziert. Sie haben 2002 sogar ihre Unterschrift zurückgezogen, indem sie mitgeteilt haben, dass sie nicht beabsichtigen, das Statut zu ratifizieren.

Damit befinden die USA sich auch in Gesellschaft mit solchen Staaten, die sie gemeinhin als „Achse des Bösen” bezeichnen (zum Beispiel mit Nordkorea, Iran und Syrien).

Da die USA Mitglied des UN-Sicherheitsrates sind, ist auch nicht zu erwarten, dass ein vom Sicherheitsrat bestimmter internationaler Strafgerichtshof - so wie für Exjugoslawien und Ruanda - für die strafrechtliche Ahndung der CIA-Folterungen eingesetzt werden wird.

Wenn die US-amerikanischen Gerichte nicht handeln und internationale Strafgerichtshöfe nicht zuständig sind, dann fragt sich, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt, die Folterer und die für die Anordnung der Folter Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Der Journalist Stefan Ulrich sieht bei dieser Fragestellung zu Recht Europa in der Pflicht: „Es liegt nun an den europäischen Staaten zu demonstrieren, dass das Quälen von Menschen verboten bleibt. Systematische, staatlich angeordnete Folter kann als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder - da ja im Krieg gegen den Terror geschehen - als Kriegsverbrechen bestraft werden.”

Die 41 europäischen Staaten, die bislang dem Rom-Statut von 1998, mit dem die vertragliche Grundlage für den Internationalen Gerichtshof geschaffen wurde, beigetreten sind, können demnach tätig werden. Die jeweils zuständigen Anklagebehörden können Ermittlungsverfahren von Amts wegen einleiten.

In Deutschland ist nach dem Völkerstrafgesetzbuch der Generalbundesanwalt für die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen nach dem Rom-Statut zuständig. Die Strafverfolgung nach dem Völkerstrafgesetzbuch unterliegt dem Weltrechtsprinzip, das heißt, die Strafbarkeit nach deutschem Recht besteht unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen die Taten begangen werden. Erfasst sind also auch Auslandstaten zwischen ausländischen Staatsangehörigen.

Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat Generalbundesanwalt Harald Range bereits angekündigt, dass seine Behörde sich bemühe, den vollständigen Bericht zu bekommen, diesen zu übersetzen und dann juristisch zu prüfen.

Der in Berlin tätige Rechtsanwalt und Generalsekretär des Euro-pean Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Wolfgang Kaleck, fordert die Anlegung eines sogenannten Beobachtungsvorganges. Das ermögliche den deutschen Behörden, „im Falle der Einreise eines Tatverdächtigen in den europäischen Rechtsraum unverzüglich handeln zu können und nicht erst in die komplexen Ermittlungen und rechtlichen Erwägungen einsteigen zu müssen”.

Es besteht große Skepsis, ob der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren eröffnen wird. In der Vergangenheit hat er sich bei Ermittlungen mit Auslandsbezug eher als „ängstlich” und „antriebsarm” gezeigt. So hat er sich zum Beispiel - als es um die Ermordung eines deutschen Staatsbürgers durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff in Nordpakistan ging - in einer längeren Einstellungsverfügung geweigert, tätig zu werden. Er ist dafür zu Recht in der juristischen Fachliteratur scharf angegriffen worden. Die Einstellungsverfügung zeigt auch schwere juristische Begründungsmängel.

Der Münchener Richter Markus Löffelmann kommt in einer sehr umfangreichen und klugen Besprechung der Einstellungsverfügung in einer juristischen Fachzeitschrift zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis: Die Einstellungsverfügung „lässt verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Wertungen außer Acht und beschränkt sich im Übrigen auf eine Auslegung der einschlägigen Normen des Strafrechts und Völkerstrafrechts, die den Eindruck erweckt, in erster Linie durch das gewünschte Ergebnis determiniert zu sein”.

Auch in anderen Verfahren mit Auslandsbezug hat sich der Generalbundesanwalt bislang nicht als engagierter Strafverfolger hervorgetan. So wurden in der Vergangenheit zwei sehr umfangreiche Strafanzeigen zu Abu Ghraib, Guantanamo und den sogenannten Folter-Memos beim Generalbundesanwalt erfolglos eingereicht. Beide Male wurde schon die Eröffnung von Ermittlungsverfahren unter Hinweis auf Paragraf 153f Strafprozessordnung (StPO) abgelehnt.

Nach dieser Vorschrift kann die Staatsanwaltschaft bei Straftaten, die nach dem Völkerstrafgesetzbuch strafbar sind und im Ausland begangen wurden, von der Strafverfolgung absehen, wenn der Täter sich nicht in Deutschland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Allerdings setzt Paragraf 153f Absatz 2 dieser Vorschrift dem Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft enge Grenzen. Richtet sich die Tat zum Beispiel gegen einen Deutschen oder wird sie nicht vor einem internationalen Gerichtshof oder von dem Staat verfolgt, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist, soll regelmäßig keine Einstellung erfolgen. Ob dadurch eine Verfolgungspflicht begründet wird, ist unter Juristen umstritten. Jedenfalls macht diese Vorschrift deutlich, dass bei der Verfolgung von Auslandsstraftaten, wenn es um solche des Völkerstrafgesetzbuches geht, das Ermessen des Generalbundesanwalts eingeschränkt ist - im Zweifel für die Einleitung von Ermittlungen.

Da zu den Folteropfern auch der deutsche Staatsbürger Khaled al-Masri gehört und der fehlende Wille der USA, die Täter selbst zu verfolgen, vom US-Justizministerium und von Barack Obama öffentlich erklärt worden ist und schließlich kein internationaler Gerichtshof die hier in Betracht kommenden Straftaten verfolgt, dürfte es dem Generalbundesanwalt verwehrt sein, ein Ermittlungsverfahren unter Berufung auf Paragraf 153f StPO abzulehnen. Wenn er es dennoch täte, wäre die Verantwortlichkeit des Bundesjustizministers gefragt. Er müsste den Generalbundesanwalt durch eine entsprechende Weisung daran hindern, mit einer solchen Begründung das Verfahren einzustellen.

Entgegen weit verbreiteter Meinung in der Öffentlichkeit gibt es nach der geltenden Rechtslage in der Bundesrepublik keine Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften. Auch der „Justiz” als solche ist keine Unabhängigkeit garantiert. Das Grundgesetz sichert allein den Richtern, denen die rechtsprechende Gewalt anvertraut ist, Unabhängigkeit zu. Es knüpft demnach an das personale Element („den Richtern anvertraut”) und nicht an das institutionelle Moment („Justiz”) an.

Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (Paragraf 147) obliegt dem Bundesminister der Justiz die Aufsicht und Leitung hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte. Das Recht der Leitung gibt die Befugnis zur Anweisung (Paragraf 146) - auch im Einzelfall.

Hinzu kommt, dass der Generalbundesanwalt „politischer Beamter” ist. Die entsprechenden beamtenrechtlichen Vorschriften sehen vor, dass er sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen grundlegenden kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung befindet. Er kann jederzeit ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.

Diese Vorschriften belegen unmissverständlich, dass das gesamte staatsanwaltschaftliche Verhalten des Generalbundesanwaltes ausschließlich in der politischen Verantwortung des Bundesjustizminis-ters liegt. Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich in der Öffentlichkeit gegenüber der Bild-Zeitung bereits eindeutig positioniert: „Die Folterpraxis der CIA ist grauenhaft. Alle Beteiligten müssen auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.”

Diesen markigen Worten müssen Taten folgen. Bei dieser öffentlichen Festlegung und unter Berücksichtigung der hier dargestellten Rechtslage ist es dem Bundesjustizminister verwehrt, sich zukünftig hinter dem Generalbundesanwalt zu verstecken, wenn dieser die Ermittlungen zum Beispiel unter Hinweis auf Paragraf 153f StPO einstellen sollte. Die politische Verantwortung für diesen Handlungsschritt des Generalbundesanwalts trüge dann allein der Bun-desjustizminister.

Immerhin kann er sich - wenn die Äußerungen denn ernst gemeint sein sollten - auf die uneingeschränkte Unterstützung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann berufen. Wenn die Glaubwürdigkeit von Äußerungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Oppermann generell auch nicht besonders hoch sein dürfte, hat dieser immerhin die bekannt gewordenen Misshandlungen als „grauenhaft und unentschuldbar” bezeichnet. Folter müsse „ohne Einschränkungen international geächtet werden”. Er erwarte von der Bundesregierung, sich für die Strafverfolgung der Verantwortlichen einzusetzen. Wenn der Justizminister sich seiner Verantwortung nicht durch Flucht entzieht, indem er auf die angebliche Unabhängigkeit der Justiz (hier die des Generalbundesanwalts) verweist, wird er auch Unterstützung - nicht nur die von Herrn Oppermann - nötig haben.

Herr Maas hat sich bislang als Rechts- und Justizpolitiker noch nicht besonders hervorgetan. Schon vor seiner Ernennung zum Justizminister war er in der Rechts- und Justizpolitik ein unbekanntes Wesen. Ihm ist beim Amtsantritt öffentlich entgegengehalten worden, dass von ihm kein einziger rechts- und justizpolitischer Satz bekannt sei. Seine Qualifikation stützt sich allein auf vorwiegend langjährige politische Erfahrungen auf Landesebene, zwei juristische Examina und einen Karrierewunsch als Minister. Nunmehr hat er die große Chance, sich als unbestechlicher Beschützer des Rechts zu bewähren, indem er die ihm nach der Rechtslage zukommende politische Verantwortung für die Ermittlung des Generalbundesanwalts übernimmt.

Maximale Provokation oder Die Herrschaft des Rechts

Die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen gegen ehemals hohe Repräsentanten der Vereinigten Staaten - unter anderem gegen einen Expräsidenten und Exvizepräsidenten - wird in den USA juristisch und politisch als maximale Provokation angesehen werden. Solche Ermittlungen werden die politischen Beziehungen zum „großen Bruder” USA sicherlich schwer belasten. Das muss jedoch in Kauf genommen werden, wenn die Rhetorik von der „Herrschaft des Rechts”, von der die Kanzlerin und andere Politiker in Festansprachen und Talkshows immer wieder reden, ernst gemeint und glaubwürdig sein soll.

Die Verbindlichkeit des Rechts wird nur dadurch gesichert, dass bei Verstößen die vorgesehenen Sanktionen auch durchgesetzt werden. Da die Gleichheit vor dem Gesetz ein Kernelement des Rechtsstaats ist, muss das Recht nicht nur für diejenigen gelten, die unmittelbar gefoltert haben, sondern auch für diejenigen, die hierfür die Verantwortung tragen - unabhängig davon, ob sie Präsident oder Minister sind beziehungsweise waren.

Die Glaubwürdigkeit des Rechts beweist sich gerade in der Krise. Nur wenn das Recht auch in schwierigen und extremen Situationen geachtet wird und gewahrt bleibt, kann es seine regulierende Kraft und friedensstiftende Funktion dauerhaft entfalten.

Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, hat hierzu in ihrem Vorwort zu dem Bericht des Senats treffend ausgeführt: „Dennoch sind solcher Druck, Ängste und die Erwartung weiterer terroristischer Verschwörungen keine Rechtfertigung oder Entschuldigung, wenn Einzelne oder Organisationen im Namen der nationalen Sicherheit unzulässige Handlungen begehen. Die wichtigste Lehre aus diesem Bericht lautet: Ungeachtet des Drucks und der Notwendigkeit zu handeln, müssen die Maßnahmen der Geheimdienste immer das widerspiegeln, was wir als Nation sind, und sich an unsere Gesetze und Standards halten. Gerade in solchen Zeiten der nationalen Krise muss unsere Regierung sich von den Lektionen der Geschichte leiten lassen und ihre Entscheidungen der internen und externen Überprüfung unterwerfen.”

Allein um die Bewahrung dieses Rechtsverständnisses, für das Frau Feinstein sich so eindringlich einsetzt, geht es. Diejenigen, die gefoltert haben, und auch die dafür Verantwortlichen haben sich über das Recht in dem anmaßenden Wahn hinweggesetzt, sie könnten so der nationalen Sicherheit dienen.

Der 11. September taugt nicht als Rechtfertigungsgrund für schwere Menschenrechtsverletzungen. Wer das nicht verstanden hat, hat die Funktion des Rechts nicht verstanden.

Leider scheint die von Dianne Feinstein kritisierte Denkweise nicht nur in den Sicherheitsbehörden der USA, sondern auch international verbreitet zu sein. Der frühere Präsident des Bundeskriminalamts, Ulrich Kersten, hat bei seiner Vernehmung vor dem BND-Untersuchungsausschuss Symptome gezeigt, die den Verdacht nahelegen, auch er sei von diesem Denken infiziert.

Auf die Frage nach möglichen datenschutzrechtlichen Rechtsbrüchen durch das BKA wegen eventueller rechtswidriger Informationsweitergaben an CIA-Agenten hat er in einem Akt verzweifelter argu-mentativer Notwehr zur Rechtfertigung auf den 11. September und die damit verbundene „Ausnahmesituation” verwiesen. Wörtlich: „Das war unsere Sorge und nicht, ob jede einzelne Information, die ein FBIBeamter erlangte, der im gleichen Zimmer wie ein BKA-Beamter saß, datenschutzrechtlich aufs Komma genau stimmt oder nicht. … Ich sage noch einmal: Wir hatten wirklich andere Sorgen in dieser Ausnahmesituation. Das bitte ich auch in der Bewertung zu berücksichtigen.”

Für diese Denkweise gibt es nur eine Bewertung: Als es darauf ankam, kam es nicht mehr darauf an.

Dass dieses Denken in einem Rechtsstaat nichts zu suchen hat, ist - wie Frau Feinstein in ihrem Vorwort zu Recht hervorhebt - die „wichtigste Lehre” aus dem Folterbericht des US-Senats. Wir müssen alles daran setzen, dass der Satz „Der Zweck heiligt nicht die Mittel” zum genetischen Code im Bewusstsein der Bevölkerung, der veröffentlichten Meinung, der Politik, der Rechtsprechung, der Staatsanwaltschaften und auch und gerade der Sicherheitsbehörden wird.

Dabei besteht keine Veranlassung zu glauben, unser Rechtsbe-wusstsein in der Bundesrepublik befinde sich auf einem deutlich höheren Niveau als das der USA. Es muss bezweifelt werden, ob in der Bundesrepublik - wenn es dort einen 11. September gegeben hätte -nicht auch zu ähnlichen Maßnahmen wie in den USA gegriffen worden wäre. Es sei hier nur an den „Deutschen Herbst” 1977 während der Martin-Schleyer-Entführung erinnert. Damals geriet der deutsche Rechtsstaat an den Rand eines Ausnahmezustandes.

Bundeskanzler Helmut Schmidt forderte im „Großen Krisenstab”, auch „das Undenkbare zu denken” und „exotische Vorschläge” zu unterbreiten. Der rechtlich hemmungsloseste Vorschlag stammte ausgerechnet von einem führenden Vertreter des Rechts, zu dessen genuinen Aufgaben eigentlich die Verfolgung von Rechtsverstößen gehörte, dem damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann. Seine Forderung: „Der Bundestag ändert unverzüglich Artikel 102 des Grundgesetzes, der lautet: ,Die Todesstrafe ist abgeschafft.’ Stattdessen können nach Grundgesetzänderung solche Personen erschossen werden, die von Terroristen durch menschenerpresserische Geiselnahme befreit werden sollen. Durch höchstrichterlichen Spruch wird das Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich.”

Auch wenn sich dieser abenteuerliche Vorschlag nicht durchsetzen konnte, so offenbart er doch, welche Überlegungen sich in der damaligen Situation selbst bei den Spitzen der deutschen Justiz eingenistet hatten. Der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar beklagt, dass der Staatsräson alles untergeordnet wurde: das Leben Einzelner und sogar die Verfassungsräson. Er zitiert einen namentlich nicht bekannten Teilnehmer des „Großen Krisenstabes” mit den Worten: „Der Staatsräson halber wurde Schleyer zum Tode verurteilt.”

Auch in der jüngeren Vergangenheit hat sich gezeigt, dass rechtsstaatliches Denken - wenn es um Sicherheitsfragen geht - nur rudimentär verankert ist. Das 2005 unter einer rot-grünen Regierungskoalition mit Stimmen der Grünen (!) im Bundestag verabschiedete Luftsicherheitsgesetz hatte vorrangig den Zweck, Attentate wie die Terroranschläge am 11. September 2001 durch Flugzeugentführungen zu verhindern. Dabei erlaubte das Gesetz als äußerste Maßnahme auch den Abschuss von Passagiermaschinen.

Ein schwerer und offenkundiger Verfassungsverstoß gegen die in Artikel 1 Grundgesetz geschützte Menschenwürde.

Erwartungsgemäß und folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung in einzigartiger Klarheit mit scharfen und unmissverständlichen Worten gegeißelt und für nichtig erklärt. Es hat es für „schlechterdings unvorstellbar” gehalten, dass „unter der Geltung des Art. 1 Absatz 1 Grundgesetz” auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung „unschuldige Menschen”, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, „vorsätzlich” getötet werden können.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich demnach nicht damit begnügt, dem Parlament den schwerwiegenden Vorwurf zu machen, es hätte etwas getan, was es sich nicht einmal hätte vorstellen dürfen. Nein, das Bundesverfassungsgericht hat seinen Vorwurf gegenüber dem Parlament noch maximal dadurch gesteigert, dass es dem Parlament vorgehalten hat, sein Verhalten sei „schlechterdings unvorstellbar”.

Noch nie ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Diskrepanz zwischen dem Wertungshorizont des Gerichts und dem des Parlaments erkennbar geworden. In der Formulierung „schlechterdings unvorstellbar” hat das Bundesverfassungsgericht seine ganze Fassungslosigkeit und Empörung über die verfassungsrechtliche Pflichtvergessenheit des Parlaments gepackt.

Die mögliche Anfälligkeit deutscher Sicherheitsorgane, den Pfad der rechtsstaatlichen Tugend bei der Terrorbekämpfung verlassen zu haben, war auch Gegenstand des sogenannten BND-Untersuchungsausschusses (2006-2009). Dabei ist der Ausschuss auch der Frage nachgegangen, ob deutsche Sicherheitsbehörden das Folterverbot dadurch umgingen, indem sie die USA mit Informationen versorgten, die dazu dienten, dass Terrorverdächtige entführt werden konnten, um sie anschließend zu foltern. Für diese Annahme gibt es gewichtige Anhaltspunkte, zumal in zwei Fällen (Murat Kurnaz und Muhammad Haidar Zammar) deutsche Sicherheitsbeamte die Entführten anschließend in ihren Folterverliesen vernommen haben.

Zwar ist es dem Untersuchungsausschuss in vier Jahren nicht gelungen, den Nachweis für die Auslagerung der Folter auf die USA zu führen. Dies kann jedoch auch daran gelegen haben, dass die Bundesregierung die Aufklärungsbemühungen des Ausschusses unter Verstoß gegen das Grundgesetz sabotiert hat. Das Bundesverfassungsgericht hat aufgrund einer von der damaligen Opposition eingereichten Klage festgestellt, dass die Bundesregierung in unzulässiger Weise Aussagegenehmigungen für Zeugen nicht erteilt und Akten geschwärzt hat.

Auch beim gegenwärtig tagenden NSA-Untersuchungsausschuss kooperiert die Regierung nicht und sabotiert - trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - wie schon beim BND-Unter-suchungsausschuss. Sie bemüht sich nicht darum, die Vernehmung des Kronzeugen Edward Snowden in Deutschland zu gewährleisten, und versorgt den Untersuchungsausschuss weiterhin mit geschwärzten Akten.

Das Fazit aus diesen Darlegungen für das in der Bundesrepublik herrschende Rechtsverständnis der Sicherheitsbehörden und der Regierung lautet demnach: im Zweifel für die Sicherheit und nicht im Zweifel für die Freiheit. Oder: im Zweifel für die Vertuschung und nicht für die demokratische Transparenz.

Damit ist auch das politische Umfeld beschrieben, in dem Bundes-justizminister Maas seine politische Verantwortung gegenüber dem Generalbundesanwalt wahrzunehmen hat, wenn darüber zu entscheiden ist, ob wegen der Foltervorwürfe nach dem Völkerstrafgesetzbuch ermittelt wird. Er muss mit massivem Widerstand aus der Politik rechnen, wenn er es zulässt oder sogar veranlasst, dass gegen höchste Repräsentanten der stärksten Staatsmacht in der Welt strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden.

Selbst wenn es - bei realistischer Betrachtung - kaum vorstellbar ist, dass es nach der Einleitung von Ermittlungen jemals zu einer Verhandlung gegen die Betroffenen vor einem deutschen Gericht kommen wird (die USA werden trotz eines bestehenden Rechtshilfeabkommens keine Auslieferung vornehmen), wären allein schon die Ausstellung und Überstellung von Haftbefehlen ein einzigartiges Signal der Ermutigung für die universelle Anwendung des Rechts bei der Verletzung von Menschrechten: Nicht nur Menschenrechtsverletzer aus politisch weniger mächtigen Ländern (Afrika oder Exjugoslawien) müssen strafrechtliche Verfolgung fürchten, sondern sogar diejenigen, die der stärksten Weltmacht angehören. Das wäre ein machtvolles Warnsignal an alle Menschenrechtsverletzer - nicht nur in Diktaturen, sondern auch und gerade in Staaten, die Rechtsstaaten sein wollen.

Die Ausstellung von Haftbefehlen hätte auch eine praktische Konsequenz: Reisen für die Betreffenden außerhalb der USA wären bei Vorliegen eines internationalen Haftbefehls höchst risikoreich.

Wozu unabhängige Gerichte in Europa in der Lage sind, haben italienische Richter im November 2009 demonstriert. Sie haben 22 CIA-Mitarbeiter in Abwesenheit zu je fünf Jahren Haft wegen Entführung verurteilt. Der Mailänder CIA-Stationschef, Robert Sel-don Lady, erhielt acht Jahre Haft.

Auch das Amtsgericht München hat 2007 Haftbefehle gegen 13 CIA-Agenten, die den Deutsch-Libanesen Khaled al-Masri nach Afghanistan verschleppt hatten, erlassen. Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries weigerte sich jedoch, die Haftbefehle in die USA zu überstellen, weil die Sache dort keine Aussicht auf Erfolg habe. Ihre Nachfolgerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sie - als sie noch in der Opposition war - deswegen scharf kritisiert hatte, schloss sich in ihrer neuen Rolle, nunmehr auch mit neuem Rollenverständnis ausgestattet, der Sichtweise ihrer Vorgängerin an. Auch Herr Maas hat - soweit bekannt - bislang keine Überstellung der Haftbefehle vorgenommen.

Auf die Bundeskanzlerin werden der Generalbundesanwalt und Bundesjustizminister Maas bei der Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen nicht ernsthaft zählen können. Zwar hat sie erklärt, sie sei erschüttert. Gleichzeitig hat sie jedoch auch hinterhergeschoben, es gebe keine Notwendigkeit, auf eine Bestrafung der Täter zu drängen. Und ob Bush oder Cheney beim nächsten Deutschland-Besuch wegen des Folterskandals mit ihrer Festnahme rechnen müssten, sei allein Sache der Justiz.

Dieser Äußerungen machen aus zwei Gründen zornig: Es geht um schwerste Menschenrechtsverletzungen. Die Kanzlerin sieht jedoch keine Veranlassung, auf eine Bestrafung zu drängen, obwohl das im Völkerstrafgesetzbuch verankerte Weltrechtsprinzip das Ziel hat, Menschenrechtsverletzer in der ganzen Welt - also auch in Deutschland - strafrechtlich zu verfolgen. Wo bleibt die „Herrschaft des Rechts”, die die Kanzlerin gegenüber Russland stets einfordert und mit der auch die Sanktionspolitik gegen Russland begründet wird, wenn sie bei schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht bereit ist, auf strafrechtliche Sanktionen für die Folterer und ihre Hintermänner zu drängen?

Sieht so die „Herrschaft des Rechts” aus? Recht ist unteilbar, es gilt für alle. Das scheint die Kanzlerin noch nicht begriffen zu haben oder nicht akzeptieren zu wollen.

Aber auch ihr Hinweis, dass eine mögliche Festnahme von George W. Bush oder Dick Cheney beim nächsten Deutschland-Besuch „Sache der Justiz” sei, zeigt ein defizitäres Verständnis unseres Grundgesetzes und der Stellung der Bundesanwaltschaft im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland. Offenbar will sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass der ihrer Richtlinienkompetenz unterworfene Bundesjustizminister die politische Verantwortung für Handlungen des Generalbundesanwalts trägt und diesen - natürlich nur im Rahmen des geltenden Rechts - auch in Einzelfällen anweisen kann.

So wird der Folterbericht des US-Senats auch zu einer Bewährungsprobe für die Wahrhaftigkeit und Funktionsfähigkeit unseres Rechtssystems. Zugleich steht auch die Glaubwürdigkeit von unseren Politikern auf dem Prüfstand, die sich über die dargestellten menschenverachtenden Folterpraktiken entsetzt zeigen, aber nicht bereit zu sein scheinen, die dafür in unserem Rechtssystem vorgesehenen Sanktionsformen einzusetzen - weil sie ansonsten Repräsentanten des politisch mächtigsten Verbündeten Deutschlands treffen könnten. Der politische Unterwerfungsgestus, der das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den USA seit Kriegsende weitgehend prägt, sollte zumindest dort seine Grenzen finden, wo es um den Schutz von Menschenrechten gegenüber Folterern geht.

Es bleibt zu hoffen, dass sich zumindest diese Erkenntnis - notfalls auch erst durch Druck der öffentlichen oder veröffentlichen Meinung - bei den Entscheidungsträgern durchsetzt. Wenn sich diese Hoffnung erfüllen würde, hätte der Bericht des US-Senats eines seiner wesentlichen Ziele erreicht: eine Warnung und Lehre für alle zu sein.

Untersuchungsbericht über das Internierungs- und Verhörprogramm der Central Intelligence Agency

Geheimhaltung aufgehobenStreng geheim Nicht für Ausländer

Geheimdienstausschuss des Senats

Untersuchungsbericht über das Internierungs- undVerhörprogramm der Central Intelligence Agency

Vorwort von Dianne Feinstein,Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des SenatsBefunde und SchlussfolgerungenZusammenfassung

Genehmigt am 13. Dezember 2012Für die Freigabe aktualisiert am 3. April 2014Revision zur Aufhebung der Geheimhaltung am 3. Dezember 2014

Vorwort

Am 3. April 2014 beschloss der Geheimdienstausschuss des Senats, die Befunde und Schlussfolgerungen sowie die Zusammenfassung seines abschließenden Berichts über das Internierungs- und Verhörprogramm der CIA zum Zweck der Aufhebung der Geheimhaltung und nachfolgenden Veröffentlichung an den Präsidenten zu schicken.

Diese Maßnahme kennzeichnete den Höhepunkt umfangreicher Anstrengungen, die offiziell im März 2009 mit der Entscheidung des Ausschusses begannen, die Untersuchung in Angriff zu nehmen; ihre Wurzeln hatten sie jedoch in der Untersuchung der Zerstörung von Videoaufnahmen der Verhöre von CIA-Häftlingen durch die CIA, die im Dezember 2007 begann.

Der vollständige Untersuchungsbericht des Ausschusses, der mehr als 6.700 Seiten umfasst, wird weiterhin als geheim eingestuft, ist jetzt aber ein offizieller Bericht des Senats. Der vollständige Bericht wurde dem Weißen Haus, der CIA, dem Justizministerium, dem Verteidigungsministerium, dem Außenministerium und dem Büro des Direktors der Nationalen Geheimdienste vorgelegt in der Hoffnung, dass er gewaltsame Verhörpraktiken in Zukunft verhindern und die Verwaltung über andere verdeckte Handlungsprogramme informieren wird.

Als Vorsitzende des Ausschusses seit 2009 füge ich einige zusätzliche Sichtweisen, Zusammenhänge und historische Hintergründe hinzu.

Meine Tätigkeit im Geheimdienstausschuss des Senats begann im Januar 2001. Ich erinnere mich noch an eine Aussage des CIA-Direktors George Tenet aus dem Sommer jenes Jahres: Er warnte vor einem möglichen größeren terroristischen Anschlag auf die Vereinigten Staaten, ohne aber Einzelheiten über Zeitpunkt, Ort oder Angriffsmethode zu nennen. Am 11. September 2001 erhielt die ganze Welt die Antwort auf die Fragen, mit denen sich die CIA und andere Teile der US-Geheimdienste beschäftigt hatten.

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