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Ein Virus, ein Virologe, eine Kanzlerin und ein Kanzler und ein Seuchenarzt. Der Virologe warnt, Kanzler und Kanzlerin regieren und der Seuchenarzt wundert sich. Wie endet das? Eine Annäherung von Florian Lettre, der selbst sein ganzes Leben als Arzt gearbeitet hat. Die Szenen sind der Wirklichkeit nachempfunden. Die Wirklichkeit kann eine andere sein. Die Zukunft wird das entscheiden.
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Seitenzahl: 151
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Der Corona-Roman (Teil I – IV)
von Florian Lettre
Eine Satire
I. (erschienen September 2020) 1.Einleitung
F.L. hatte einen Roman geschrieben. Über dieses Virus. Er dachte, dass das die Leute interessieren würde. Vielleicht würde das Buch gut verkauft werden. Er konnte eine finanzielle Unterstützung gebrauchen. B. lag schon im Bett, als er zu ihr ging und ihr das Manuskript gab. Sie las die halbe Nacht. Dann hatte sie alles gelesen. Das Manuskript war nicht sehr dick. Am nächsten Morgen saßen sie zusammen und tranken ihren Morgenkaffee. F.L. war nicht wohl bei der Sache.
„Was hältst du davon?“ sagte er.
„Spannend ist es.“
„Ja, und?“
„Glaubst du wirklich, dass es so war?“
„Natürlich nicht.“
„Alles ausgedacht?“
„Ja. Ausgedacht.“
„Es wird einigen Leuten nicht gefallen. Sie werden dich kritisieren. Schamlos werden sie es nennen. Niveaulos. Gewissenlos.“
„Hast du Angst?“
„Ja“.
„Dann schicke ich es lieber nicht ab.“
„Das wäre besser.“
„Wann ist die neue Rate fällig?
„Übermorgen.“
„Haben wir das Geld?“
„Nein“.
2.Auf der Party
Als er nach Hause kam, war Marianna schon fertig angezogen. Sie hatte ihr dunkelblaues Kostüm an und eine weiße Bluse. Er sagte, dass sie gut aussehen würde, und dass er stolz auf sie sei. Sie lachte. Sie wusste, dass er das nur so gesagt hatte, und dass es nichts wirklich Wichtiges war. Sie sagte, dass er sich beeilen sollte. Und er beeilte sich, denn er wusste, dass sie nicht gern auf ihn wartete. Sie wartete überhaupt nicht gern, und auf ihn wartete sie sowieso nicht gern. Als er aus dem Zimmer kam, in dem er sich angezogen hatte, betrachtete sie ihn von oben bis unten. Er erwartete, dass sie etwas an ihm verändern würde. Etwas am Kragen oder etwas anderes. An diesem Abend veränderte sie nichts. Er ging auf sie zu und drückte sie an sich. Sie sagte, dass sie dazu keine Zeit hätten.
Wie immer fuhren sie auf ihren Rädern. Marianna sah etwas merkwürdig aus in ihrem Kostüm auf dem Rad. Sie hatten es nicht weit. Nur zwei Straßen weiter. Sie stellten ihre Räder ab und läuteten. Es summte. Sie traten in das dunkle Treppenhaus und suchten nach einem Lichtschalter. Eigentlich müssten sie sich hier auskennen. Schließlich fanden sie den Lichtschalter und gingen drei Treppen höher. Die Tür war offen. Sie läuteten trotzdem.
„Hallo ihr Lieben. Kommt herein.“ Die Frau ihres Freundes umarmte sie. Sie gingen zusammen den Korridor entlang. In der Küche standen Schüsseln und Getränke. Eine weitere Tür war geöffnet. Leute standen herum und sprachen.
„Das sind Marianna und Christian“, sagte die Frau des Freundes und zeigte auf die beiden. Einige sagten Hallo. Andere lächelten etwas zaghaft. Der Freund kam auf sie zu und begrüßte sie. Dann ließ er sie wieder allein. Sie sahen sich an. Was sollten sie tun? Eine junge Frau trat neben Christian.
„Ich habe schon viel von ihnen gehört.“
„Ich wüsste nicht“, sagte der.
„Sie sind doch der neue Direktor. Vom Virusinstitut.“
„Ach, ja?“
„Man spricht von ihnen.“
„Wieso?“
„Wegen ihrer Locken. Das gab es noch nie.“ Christian lachte. Nicht sehr laut. Etwas gehemmt.
„Ich arbeite in dem Haus neben ihnen.Mikrobiologie.“ Die junge Frau war nicht Direktorin. Aber auch wichtig für dieses Institut. Sie sprachen über ihre Institute. Marianna stand neben ihnen. Christian hatte kein gutes Gefühl.
„Marianna arbeitet auch bei uns. Im Labor.“
„Das passt ja“, sagte die junge Frau. Dann wandte sie sich wieder Christian zu. Die beiden gingen in die Küche und nahmen sich etwas von den Schüsseln. Sie sprachen über ihre Institute. Über die Kollegen. Über die Gelder, die ihre Institute zur Verfügung hatten. Die junge Frau war verheiratet. Ihr Mann war in der Wirtschaft tätig. Er war an diesem Abend nicht da. Er hatte einen Termin. Die junge Frau gefiel Christian. Sie erzählten sich, wie sie hierhergekommen waren. Sie war aus dem Rheinland in die Hauptstadt gekommen. Vor drei Jahren. Christian war aus Hamburg gekommen. Ihre Eltern hatten ein Geschäft in einer kleinen Stadt in der Nähe von Köln. Sie liebte Karneval. Sie fuhr jedes Jahr in dieser Zeit nach Köln.
Wo war Marianna? Christian hatte eine ganze Weile nicht an Marianna gedacht. Er entschuldigte sich und ging auf die Suche. Marianna saß in einem kleinen Zimmer auf einem Bett und unterhielt sich mit einer Frau, die nicht mehr ganz jung war. Christian ging auf sie zu und drückte sie an sich. Sie sagte, dass er sie wohl vergessen habe. Er stritt das vehement ab. Es war inzwischen spät geworden. Sie verabschiedeten sich von der Frau des Freundes und gingen zu ihren Rädern. Christian erzählte von seinem Gespräch mit der jungen Mikrobiologin. Er wollte keine Geheimnisse haben. Er erkundigte sich auch nach der Frau, mit der Marianna gesprochen hatte. Marianna hatte sie sehr sympathisch gefunden. Sie war die Mutter ihres Freundes.
3. Im Institut
Am nächsten Morgen fuhren beide in das Institut. Marianna ging in ihr Labor. Er ging in sein Büro. Es bestand aus zwei Zimmern. Im ersten saß die Sekretärin. Sie war aus Hamburg mitgekommen. Sie begrüßten sich. Er fragte nach ihrem Befinden. Sie sagte, sie fühle sich wohl. Er ging weiter in sein Zimmer. Kurze Zeit stand er am Fenster. Er sah über die Stadt. Von hier aus hatte man einen Blick über die Stadt. Die Hauptstadt. Dann setzte er sich in seinen Sessel und machte den Computer an. Die neuen E-Mails mussten angesehen werden. Es war nichts Besonderes dabei. Dann die neuesten Veröffentlichungen. Nicht die eigenen. Die in den internationalen medizinischen Zeitschriften. Über Viren. Über das Corona-Virus. Besonders interessant der Schluss jeder Arbeit. Die zitierten Autoren. War sein Name dabei? Wenigstens eine Arbeit von ihm war oft zitiert. Sie war im NEJM erschienen. Im letzten Jahr. Er holte sich das neueste Manuskript. Es war noch nicht ganz fertig. Auch an diesem Tag schrieb er wieder ein paar Absätze. Er würde die Arbeit nicht an das NEJM schicken. Aber an eine andere gute Zeitschrift. Er hatte seit ein paar Jahren einen Namen. Inzwischen war es 9 Uhr. Er stand auf und verließ sein Büro. Er lächelte seiner Sekretärin zu und ging in Richtung der Labore. Mehrere Räume. Überall Labortische. Regale mit Reagenzien. Apparate. Und Computer. Und junge Leute in ihren weißen Kitteln. Die Mitarbeiter. Seine Mitarbeiter. Einige waren aus Hamburg mitbekommen. Andere waren neu eingestellt. Sie mussten sich bewähren. Er grüßte immer wieder. Die Gespräche wurden unterbrochen. Der Chef war da. Man musste aufmerksam sein. Es konnte sein, dass man angesprochen wurde. Nicht alle waren Ärzte. Es waren auch Chemiker dabei und natürlich MTA. Die technischen Assistentinnen. Er ging an Marianna vorbei. Sie blickte nicht auf, als er an ihr vorbeiging. Er ging zu einem jungen Mitarbeiter. Der hatte die neuesten Untersuchungen gemacht. Er war gespannt auf die neuesten Ergebnisse. Sie waren nicht ganz so, wie es erwartet worden war. Einige Untersuchungen mussten wiederholt werden. Der Chef ging zu weiteren Mitarbeitern.
Um elf Uhr war Vorlesung. Christian R. musste sich nicht vorbereiten. Er sprach über sein Gebiet. Über Viren. Über Geschichte und Gegenwart der Viren. Über die Krankheiten die sie hervorriefen. Er ging gern in den großen Vorlesungsraum in einem anderen Gebäude. Die Plätze waren meist alle belegt. Die Studenten begrüßten ihn mit ihrem Klopfen. Er war beliebt. Er konnte interessant erzählen. Auch nach seiner Vorlesung wurde er mit Klopfen verabschiedet. Manchmal kamen Studentinnen zu ihm und hatten Fragen. Auch Studenten kamen zu ihm. Seltener.
Am Nachmittag tagte das Direktorium. R. war Mitglied. Das Direktorium tagte in einem Raum mit einem langen Tisch und vielen Sesseln um den Tisch. An den holzgetäfelten Wänden Regale mit gebundenen Zeitschriften. Aus einer anderen Zeit. Einer Zeit ohne Computer. R. war stolz, zum Direktorium zu gehören. Jede Klinik und jedes Institut waren durch den Chef vertreten. R. war der Chef des Instituts für Virologie. Das Institut war erst vor einigen Jahren geschaffen worden. Vorher gehörte die Virologie zur Mikrobiologie. R. hatte eine etwas gespannte Beziehung zum Chef der Mikrobiologie. Der sah in ihm wohl einen Abtrünnigen. Er hatte seinen Platz neben dem Chef der Mikrobiologie. Sie begrüßten sich freundlich. Sein Nachbar war wesentlich älter als er. Sein Kopf war kahl. Sie wechselten ein paar Worte. Unverbindlich. Geleitet wurde die Sitzung vom Chef des Direktoriums. Er war der Chef der Chirurgischen Abteilung. Er war gewählt worden. Er eröffnete die Sitzung und stellte das Programm vor. Mit den meisten Programmpunkten hatte R. nichts zu tun. Trotzdem verfolgte er die Diskussion mit Interesse. Er wollte die anderen Chefs näher kennenlernen. Er wollte sehen, wie sich hier präsentierten. Er wollte sehen, was sie von ihm hielten. Er lernte eitle Herrn kennen. Aber auch Herrn, die auf ihn einen seriösen Eindruck machten. Kein Programmpunkt hatte mit seinem Institut direkt zu tun. Die Sitzung dauerte mehrere Stunden. Die Diskussion war teilweise etwas zerfahren. Fand R. Nach dem Ende der Sitzung verließ er zusammen mit dem Chef der Mikrobiologie den Raum. Der erzählte ihm von neuen Methoden, die in seinem Institut eingeführt worden waren. Er erzählte von seinen neuen Forschungsergebnissen.
Marianna wartete zu Hause auf Christian R. Sie hatte etwas zu essen gemacht. Sie setzten sich zusammen an den Abendbrottisch.
„Wie war es im Direktorium?“ sagte Marianna. „Du siehst abgespannt aus.“
„Es war ein langer Tag. Einige Chefs präsentieren sich sehr. Andere halten sich zurück.“
„Sprechen sie mit dir?“
„Ich habe neben dem Mikrobiologen gesessen. Wir haben zusammen gesprochen.“
„Hast du etwas gesagt?“
„Es bot sich keine Gelegenheit.“ Dann erzählte Marianna von ihrer Arbeit im Labor und von ihren Kolleginnen, die MTA wie sie waren.
4.Im Gesundheitsamt I
G. leitete das Gesundheitsamt seit 3 Jahren. Jeden Morgen ging er in sein Büro. Das Gesundheitsamt war in einem schmucklosen Haus untergebracht. Am Rande der Stadt. G. kannte alle Mitarbeiter. Sie hatten sich bei der Arbeit kennengelernt. Das Gesundheitsamt bekam von den niedergelassenen Ärzten und von den Laboren Mitteilungen über meldepflichtige Krankheiten. Die meisten dieser Krankheiten waren schon seit Jahren nicht mehr gemeldet worden. Im Frühjahr gab es meist eine Grippewelle durch Influenzaviren.
5. Der Test
Es war an einem Tag im Frühjahr dieses Jahres. Es gab wieder eine Grippewelle. Auch das Institut von Christian R. bekam Proben von infizierten Patienten. Sie benutzten diese Proben für ihre Forschungen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden in ihren Computern gespeichert. R. war morgens ins Institut gekommen. Die letzte Veröffentlichung war vor einigen Tagen an eine Zeitschrift abgeschickt worden. Er ging nun auf seine morgendliche Runde durch sein Institut. Die ersten Labore, an denen er vorbeiging, waren merkwürdig leer. Das war anders in einem größeren Labor. Eine Reihe von Mitarbeitern hatte sich hier versammelt. Sie standen um einen Computer herum. Es war der Computer des chinesischen Kollegen. Es gab mehrere chinesische Kollegen. Dieser, der jetzt neben seinem Computer stand und ganz aufgeregt war, war beteiligt an der Forschung über Coronaviren. R. hatte ihn und einige andere mit Handschlag begrüßt.
„Das ist die Sequenz aus W.“, sagte der Kollege aus China. „Sie haben sie heute früh geschickt.“
„In W. ist die Epidemie?“
„Ja. Viele Lungenentzündungen. Krankenhäuser überfüllt.“ R. sah sich die Sequenz an. Was könnte man damit anfangen? Er sah seinen Freund an, der mit ihm aus Hamburg gekommen war.
„Was meinst du?“ sagte er. Der Freund lächelte.
„Wir können sie vergleichen mit den anderen Sequenzen, die wir im Computer haben. Wir können einen Test entwickeln, der das Virus nachweist.“
„Wir müssen es ausprobieren. Vielleicht haben wir Glück.“ Nach einer Weile sagte er noch:
„Lasst uns an die Arbeit gehen.“
Sie gingen an die Arbeit. Sie waren wie elektrisiert. Dieses Virus, das in China wütete, das würden sie nachweisen. Mit ihrem Test.
6. Die Chinesen
Im Institut gab es drei Chinesen. Sie waren vor einigen Jahren hierhergekommen. Sie arbeiteten in verschiedenen Laboren. Zum Mittagessen sah man sie fast immer zusammen. Auch an diesem Tag trafen sie sich in der Mensa. Sie suchten sich immer ein Essen mit Reis. Sie saßen allein an einem Tisch.
„Was hat das zu bedeuten? Mit dieser Epidemie in W.? Unsere Leute haben die Stadt abgeriegelt.“ Der Chinese sah die beiden anderen fragend an. Der eine von den beiden anderen Chinesen kicherte.
„Es gibt zwei Erklärungen.“
„Welche?“
„Dummheit oder Vorsatz.“ Die beiden anderen lachten auf die Art, wie Chinesen lachen.
„Dummheit: Sie haben ein Virus gefunden und glauben, dass es von Tieren übergesprungen ist. Das kann gefährlich sein. Oder auch nicht. Die Viren mutieren dauernd.“
„Und Vorsatz?“
„Unser Vorsitzender zeigt, wie die Partei mit so etwas fertig wird. Er ist ein kluger Vorsitzender. So einen haben die hier nicht.“
„Hast du Nachrichten von zu Hause?“
„Bisher nicht. Ich warte auf Nachrichten. Bald werden wir mehr wissen.“
Die Chinesen gingen wieder in ihre Labore. Sie waren gute Arbeiter.
7. Der Test ist fertig
Es waren einige Wochen vergangen. Die Mitarbeiter des Instituts trafen sich in ihrem Besprechungsraum. Die Chefsekretärin hatte alle informiert. Als letzter kam R. Er setzte sich wie immer an das eine Ende des großen Tischs. Neben ihm saß sein alter Freund, der aus Hamburg mitgekommen war.
„Wir haben heute Neuigkeiten. Ich glaube, sie sind sehr wichtig.“ Er sah seinen alten Freund an und gab ihm das Wort.
„Unser Test ist fertig. Wir haben Glück gehabt. Unser Test ist spezifisch. Er erfasst nur die Sequenz, die uns aus China geschickt wurde. Wir werden den Test veröffentlichen. Wir haben keine Geheimnisse. Wissenschaft ist international. Ich werde euch jetzt die Einzelheiten demonstrieren.“ Er begann auf einem großen Bildschirm zu zeigen, was in den letzten Wochen erarbeitet worden war.
Zum Schluss der Sitzung nahm R. nochmals das Wort.
„Ich möchte noch etwas sagen. Unser Test wurde von den Kollegen in China eingesetzt. Sie haben mir mitgeteilt, dass er sehr gut funktioniert und das Virus in W. gut erkennt.“ Ein Kollege meldete sich:
„Wie gefährlich ist das Virus? Wird es zu uns kommen?“ R. antwortete:
„Ich halte das Virus für nicht sehr gefährlich. Aber wir müssen abwarten.“
8.Das Interview
Christian R. saß in seinem Büro. In seinem Institut. Er dachte an den Preis, den er vor einigen Jahren bekommen hatte. Er dachte an seine Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren erschienen waren. Er konnte stolz auf sich sein. Er war jetzt 41. Welcher deutsche Virologe hatte so viel wie er erreicht? Ihm war immer alles leichtgefallen. In der Schule. An der Universität. Seine Promotion mit „summa cum laude“. Nur wenige hatten eine Promotion mit „summa cum laude“. Und Marianna. Sie liebte ihn. Er war sich sicher. Und er liebte sie. Er freute sich auf jeden Abend, den sie zusammen waren. Wenn sie zusammen im Bett waren: machte er alles richtig? Er war sich nicht so sicher. Nicht so sicher wie bei seinen Veröffentlichungen. Da waren auch noch seine Mitarbeiter. Er hatte Glück gehabt bei der Auswahl seiner Mitarbeiter. Er hatte fähige Mitarbeiter, die so viel arbeiteten, wie sie nur konnten.Alle wurden erwähnt in den Veröffentlichungen.
Nun gab es diese Anfrage vom Rundfunk nach einem Interview. Wegen des Tests. Wegen des Virus, das im fernen China Unheil anrichtete. Er war Wissenschaftler. Was würden seine Kollegen sagen, wenn er im Rundfunk zu hören war? Würden sie ironische Bemerkungen machen? Oder würde der Neid sie überfallen? Wieso der und nicht sie?
Am nächsten Tag erschien in seinem Büro ein Rundfunkteam. Es waren zwei Leute: ein Mann und eine Frau. Sehr selbstbewusst. Die Sekretärin hatte die beiden in sein Zimmer gelassen. Und da saßen sie nun. Immerhin standen sie auf, als R. eintrat.
„Wir sind vom Rundfunk BB. Wir haben ein Interview mit ihnen vereinbart.“
„R.“, sagte R. „Setzen wir uns.“
Auf seinem Schreibtisch stand ein kleines Aufnahmegerät.
„Bevor sie unser Gespräch senden, möchte ich es gern abhören“, sagte R.
„Selbstverständlich“, sagte der Mann. Und dann begann das Gespräch. Er fand, dass die beiden von der Materie keine Ahnung hatten. Er versuchte, so einfach wie möglich die Problematik des neuen Tests zu erklären. Die beiden versuchten immer wieder, die Bedeutung des Tests zu überhöhen. Der Sache sollte etwas Sensationelles anhaften. Die Hauptstadt und ihr Klinikum sollten besonders herausgestellt werden. Schließlich war BB ein Sender für die Hauptstadt. Das Gespräch dauerte eine halbe Stunde. Dann verabschiedeten sie sich. Sie würden von sich hören lassen. Es dauerte eine Woche, bis eine DVD auf R.s Schreibtisch lag. Er nahm sie mit nach Hause. Am Abend saß er mit Marianna zusammen vor einem kleinen Rekorder, den sie noch gefunden hatten. Marianna war gespannt. Am Ende fand sie das Interview sehr ansprechend. R. war überrascht, was die beiden vom BB daraus gemacht hatten. Eine Weltsensation. R. wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er wollte Marianna die Freude nicht verderben. Er wollte aber auch seriös bleiben. Würden seine Kollegen das Interview anhören? Rundfunk war nicht sehr verbreitet. Er unternahm nichts. Marianna studierte jeden Tag das Rundfunkprogramm. Nach einigen Tagen wurde das Interview angekündigt. Diagnostischer Test aus der Hauptstadt weltweit gefragt. R. lachte. Marianna war stolz. Sie schrieb einen Zettel und heftete ihn im Institut an das Brett, auf dem Mitteilungen für die Mitarbeiter standen. Am Morgen nach der Sendung kam R. in sein Büro. Die Sekretärin gratulierte ihm. Sehr gelungen. Wie gut er formuliert habe. Mittags ging er wie immer in die Mensa. Er wurde angesprochen und gelobt. Er lachte übermütig. Die anderen Chefs gingen nicht in die Mensa. Bei der nächsten Sitzung des Direktoriums wurden andere Probleme besprochen. Der Test wurde nicht erwähnt. Die Stadt W. in China war weiterhin abgeriegelt.
R. las nur eine Tageszeitung. Jeden Morgen. Drei Seiten: die Erste, die Meinung und das Feuilleton. An diesem Tag fand er eine Meldung auf der ersten Seite. Das Virus aus W. in China war nach Deutschland eingeschleppt worden. Über einen Mitarbeiter aus China. In den folgenden Wochen erschienen immer mehr Berichte. Das Virus wurde immer weiter verbreitet. Der Test, der im Institut entwickelt worden war, machte es möglich, das Virus nachzuweisen.
9. Im Gesundheitsamt II
G. hatte sich mit W. verabredet. Sie trafen sich in der Kneipe, in der sie sich meist trafen. Es war eine gemütliche Kneipe. Der Wirt kannte die beiden.
„Hallo, alter Junge“, sagte W.
„Hallo“, sagte G. Sie setzten sich und bestellten jeder ein Bier. Natürlich Flensburger.
„Alles in Ordnung?“ sagte W.
„Alles in Ordnung.“
„Keine Lues?“
„Nur ein Verdacht.“