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Die erfolgreiche Spiegel-Online-Kolumne Zwiebelfisch - als Buch über eine Million verkaufte Exemplare! Die oder das Nutella – diese Frage hat schon viele Gemüter am Frühstückstisch bewegt. Der, die, das – wieso, weshalb, warum? Ob Nutella nun weiblich oder sächlich ist, ist sicherlich keine Frage auf Leben und Tod, aber eine Antwort hätten wir schon gern. Wir? Ja, wir hilflos Verlorenen im Labyrinth der deutschen Sprache. Wir, die wir unsere liebe Not mit der deutschen Sprache haben. Und leichter, verständlicher oder zumindest nachvollziehbarer ist es nach der Rechtschreibreform auch nicht geworden. In seinen hinreißend komischen und immer klugen Kolumnen bringt Bastian Sick Licht ins Dunkel der deutschen Sprachregelungen und sortiert den Sprachmüll. Ist der inflationären Verwendung von Bindestrichen noch Einhalt zu gebieten, angesichts von Spar-Plänen und Quoten-Druck?Versinken wir sprachlich gesehen nicht längst im Hagel der Apostrophe, wenn Känguru's plötzlich in den Weiten Australien's leben? Derlei Unsinn scheint nicht mehr aufhaltbar, wenn es nicht dieses Buch gäbe. Darauf zwei Espressis! Das Hörbuch mit zwei CDs und 153 Minuten Laufzeit ist im Audio-Verlag erschienen.
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Seitenzahl: 251
Bastian Sick
Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache
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Über Bastian Sick
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
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Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
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Bastian Sick, geboren in Lübeck, studierte Geschichtswissenschaft und Romanistik. Während seines Studiums arbeitete er als Korrektor für den Hamburger Carlsen-Verlag. 1995 wurde er Dokumentationsjournalist beim SPIEGEL, 1999 wechselte er in die Redaktion von SPIEGEL ONLINE. Dort schrieb er ab 2003 die Sprachkolumne »Zwiebelfisch«. Aus diesen heiteren Geschichten über die deutsche Sprache wurde die Buchreihe »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod«. Es folgten zahlreiche Fernsehauftritte und eine Lesereise, die in der »größten Deutschstunde der Welt« gipfelte, zu der 15.000 Menschen in die Köln-Arena strömten. Seitdem war Bastian Sick mehrmals mit Bühnenprogrammen auf Tournee, in denen er eine neuartige Mischung aus Lesung, Kabarett und Quizshow präsentierte. In fünfzehn Jahren schrieb er fünfzehn Bücher. Bastian Sick lebt und arbeitet in Hamburg und in Niendorf an der Ostsee.
Weitere Titel bei Kiepenheuer & Witsch
»Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 2. Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 900, 2005. »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 3. Noch mehr Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 958, 2006. »Happy Aua. Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 996, 2007. »Zu wahr, um schön zu sein. Verdrehte Sprichwörter – 16 Postkarten«, KiWi 1050, 2008. »Happy Aua – Folge 2. Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 1065, 2008. »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 4. Das Allerneueste aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi, 1134, 2009. »Hier ist Spaß gratiniert. Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 1163, 2010. »Wie gut ist Ihr Deutsch? – Der große Test«, KiWi 1233, 2011. »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 5«, KiWi 1312, 2013. »Füllen Sie sich wie zu Hause. Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 1410, 2014. »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 6«, KiWi 1450, 2015. »Speck, lass nach! Verdrehte Sprichwörter – 16 Postkarten«, KiWi 1519, 2016. »Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen! Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache«, KiWi 1538, 2017. »Wie gut ist Ihr Deutsch? 2. Der neue große Test«, KiWi 1663, 2019. »Wie gut ist Ihr Deutsch? 3. Dem großen Test sein dritter Teil«, KiWi 1807, 2021.
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Die oder das Nutella – diese Frage hat schon viele Gemüter am Frühstückstisch bewegt. Der, die, das – wieso, weshalb, warum? Ob Nutella nun weiblich oder sächlich ist, ist sicherlich keine Frage auf Leben und Tod, aber eine Antwort hätten wir schon gern. Wir? Ja, wir hilflos Verlorenen im Labyrinth der deutschen Sprache. Wir, die wir unsere liebe Not mit der deutschen Sprache haben. Und leichter, verständlicher oder zumindest nachvollziehbarer ist es nach der Rechtschreibreform auch nicht geworden.
In seinen hinreißend komischen und immer klugen Kolumnen bringt Bastian Sick Licht ins Dunkel der deutschen Sprachregelungen und sortiert den Sprachmüll. Ist der inflationären Verwendung von Bindestrichen noch Einhalt zu gebieten, angesichts von Spar-Plänen und Quoten-Druck? Versinken wir sprachlich gesehen nicht längst im Hagel der Apostrophe, wenn Känguru’s plötzlich in den Weiten Australien’s leben? Derlei Unsinn scheint nicht mehr aufhaltbar, wenn es nicht dieses Buch gäbe. Darauf zwei Espressis!
Ein paar Worte vorweg
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod
Krieg der Geschlechter
Die reinste Puromanie
Abschied von Lila-Grün
Deutschland, deine Apostroph’s
Wir bitten um Ihr Verständnis
Die traurige Geschichte von drei englischen Ladys
Licht am Ende des sturmverhangenen Horizonts
Brutalstmöglichst gesteigerter Superlativissimus
Stop making sense!
Visas – die Mehrzahl gönn ich mir
Eine vitale Rolle
Phrasenalarmstufe Gelb
Babylonische Namensverwirrung
Der älteste Mann der Welt lebt!
Das Elend mit dem Binde-Strich
Die Sucht nach Synonymen
Leichensäcke aus dem Supermarkt
Im Bann des Silbenbarbaren
Die Übermacht der -ierungen
Das Verflixte dieses Jahres
Italienisch für Anfänger
Bratskartoffeln und Spiegelsei
Das kuriose Arsenal des Krieges
Schrittweise Zunahme der Adjektivierung
Streit und kein Ende
Die unvorhandene Mehrzahl
Einfach Haar sträubend!
Die Ruderregatta
Deutsch als Amtssprache der USA
Unglück mit Toten, schwere Verwüstungen
Trügerischer Anschein des Scheinbaren
Wie das alte Europa von einem Erdloch verschluckt wurde
Er designs, sie hat recycled, und alle sind chatting
Man trifft sich im Abendbereich
Kampf um den Titel der First Lady
Ich erinnere das nicht
Von Protestlern, Widerständlern und Abweichlern
Sind rosane T-Shirts und lilane Leggins erlaubt?
Liebe Gläubiginnen und Gläubige
In Massen geniessen
Das Ultra-Perfekt
Cäsars Kampf gegen die starken Verbier
Sind »schmeißen« und »kriegen« tabu?
Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?
Durch und durch alles hindurch
Schöner als wie im Märchen
Das kleine Abc des Zwiebelfischs
Willkommen im Todestal des Genitivs! Dieses Buch wird Ihnen als Reiseführer auf einem abenteuerlichen Rundgang durch die Wildnis der deutschen Sprache dienen. Es zeigt Ihnen, wie man sich mit der Machete einen Weg durch widerspenstiges grammatisches Gestrüpp schlagen kann, es führt Sie um syntaktische Fallgruben herum, weist Sie auf orthografischen Treibsand hin und bringt Sie sicher übers stilistische Glatteis.
Lehrbücher über die deutsche Sprache gibt es viele. Aber nur wenige davon werden freiwillig gelesen. Das liegt vermutlich an ihrer Rezeptur: größtmögliche Akribie und pädagogischer Eifer, geringstmöglicher Unterhaltungswert. Dieses Buch ist anders.
Zunächst einmal ist es kein Lehrbuch, allenfalls ein lehrreiches Buch. Sie können es von vorn nach hinten lesen oder von hinten nach vorn oder einfach irgendwo mittendrin anfangen. Die Orientierung verlieren können Sie dabei nicht, denn überall sind Hinweisschilder aufgestellt, die Ihnen helfen, sich im Irrgarten der deutschen Sprache zurechtzufinden.
Dieses Buch versammelt die Artikel der Kolumne »Zwiebelfisch«, die wöchentlich auf SPIEGEL ONLINE erscheint. Im Mai 2003 nahm ich als frisch gebackener Kolumnist die Herausforderung an und zog mit flatternden Fahnen und bunt bemalten Schilden gegen falsches Deutsch und schlechten Stil zu Felde. Da die Rolle des grimmigen Erbsenzählers und desillusionierten Sprachzynikers, der den Untergang des Abendlandes für unausweichlich hält, bereits von zahlreichen anderen Autoren besetzt ist, versuchte ich es als ironischer Geschichtenerzähler. Meine ersten Attacken galten abgedroschenen Phrasen, unerträglichen Modewörtern, lästigen Anglizismen und Unwörtern aus dem Journalisten- und Politikerjargon. Ein Kampf gegen Windmühlen, daran konnte von Anfang an kein Zweifel bestehen.
Doch mit erstaunlicher Geschwindigkeit verbreiteten sich die kleinen Botschaften des »Zwiebelfischs« im Internet und riefen von Mal zu Mal stärkere Resonanz hervor. Der Don Quichotte fand Tausende Sancho Pansas, die bereit waren, ihm die Lanze zu halten, und die Windmühlen landauf, landab begannen zu zittern.
Längst geht es in meiner Kolumne nicht mehr allein um Fragen des journalistischen Stils. Die wöchentlich steigende Flut von E-Mails mit Anregungen und Fragen zeigte alsbald, dass das Interesse der »Zwiebelfisch«-Leser weit über die kleineren und größeren Unfälle der Nachrichtensprache hinausging. Es richtete sich auf die vielen Zweifelsfälle der deutschen Sprache im Allgemeinen: Wann wird eigentlich noch der Genitiv gebraucht, wie werden englische Verben im Deutschen konjugiert, wo setzt man ein Fugen-s und wo nicht, wie lautet der Plural von diesem oder jenem Fremdwort, was verbirgt sich hinter dieser oder jener Redewendung?
Das Bedürfnis nach Aufklärung und Klarstellung ist immens. Das liegt aber keinesfalls daran, dass das Volk der Dichter und Denker geistig auf den Hund gekommen wäre, auch wenn PISA und das sprachliche Niveau in den Krawalltalkshows der privaten Fernsehsender einen solchen Schluss nahe legen. In Wahrheit ist unsere Schulbildung immer noch besser als ihr Ruf, und viele der Fehler, die heute gemacht werden, sind gar nicht neu, sondern haben schon frühere Generationen geplagt.
Die große Verunsicherung darüber, was richtiges und gutes Deutsch ist, hat viele verschiedene Ursachen. Eine lautet, dass wir, egal ob Nord- oder Süddeutsche, Rheinländer oder Sachsen, Österreicher oder Schweizer, allesamt Dialektsprecher sind. Die meisten Dialekte greifen nicht nur in die Aussprache ein, sondern auch in die Grammatik, und jede Mundart hat ihr eigenes Vokabular.
Im Zuge der Wiedervereinigung waren Millionen Ostdeutsche gezwungen, sich mit einer Sprache auseinanderzusetzen, die sie so bisher nicht kannten. Das von Amerikanismen und modischen Blähwörtern durchsetzte Deutsch der Westdeutschen war den Einwohnern der neuen Bundesländer in vielerlei Hinsicht genauso unverständlich wie das für sie neue Steuer- und Versicherungssystem.
Eine rapide Zunahme der Verunsicherung ergab sich auch aus der Rechtschreibreform, deren Urheber eigentlich vieles einfacher und logischer machen wollten. Seitdem ist Deutschland ein Jammertal, durch das orientierungslose Wanderer zwischen alter und neuer Orthografie verwirrt umhergeistern.
Dabei haben die meisten von uns im Grunde ein völlig intaktes Sprachgefühl und wissen, an welcher Stelle sie welches Wort zu gebrauchen haben und wie es geschrieben wird. Aber Werbesprache, unverständliches Politikerdeutsch und leider auch bisweilen schlechter Journalismus werfen immer wieder neue Fragen auf und schaffen Verwirrung: Ist »Deutschlands meiste Kreditkarte« richtig gesteigert? Warum wird auf Schildern plötzlich jedes »s« apostrophiert: »Für Sie unterweg’s«, »nächste Ausfahrt recht’s«? Muss man ein Wort wie Anti-Terror-Kampf mit Bindestrichen schreiben, ist Antiterrorkampf womöglich falsch? Heißt es wirklich »im Sommer diesen Jahres« und nicht »dieses Jahres«? Kann etwas, das sinnvoll ist, »Sinn machen«? Wenn es anscheinend einen Unterschied zwischen »scheinbar« und »anscheinend« gibt, warum kennt ihn dann offenbar niemand? All dies sind Fragen, denen dieses Buch auf den Grund geht.
Wie wird man eigentlich Sprachpfleger, werde ich manchmal gefragt. Muss man dafür Germanist sein? Nein, das muss man nicht. Ich zum Beispiel habe Geschichte und Französisch studiert und bin über Umwege zum Kolumnenschreiben gekommen. Aber die Geheimnisse der deutschen Sprache haben mich fasziniert, seit ich sprechen kann. Meine Lektorin meinte einmal verschmitzt, Sprachpflege sei etwas für kleine Jungen, die gerne Tabellen anlegen. Ich fühlte mich ein bisschen ertappt, weil ich tatsächlich Tabellen für sehr nützlich halte (wie diesem Buch unschwer anzusehen ist). Aber es ging mir nie darum, Sprache in Tabellen zu pressen. Denn wer sich genauer mit Sprache auseinandersetzt, der gelangt sehr bald zu folgender Erkenntnis: Eine lebende Sprache lässt sich nicht auf ein immergültiges, fest zementiertes Regelwerk reduzieren. Sie ist in ständigem Wandel und passt sich veränderten Bedingungen und neuen Einflüssen an. Darüber hinaus gibt es oft mehr als eine mögliche Form. Wer nur die Kriterien richtig oder falsch kennt, stößt schnell an seine Grenzen, denn in vielen Fällen gilt sowohl das eine als auch das andere.
Daher kann und will ich mir auch nicht anmaßen, in diesem Buch absolute Wahrheiten zu verkünden. Meine Texte sprechen allenfalls Empfehlungen aus. Die muss nicht jeder annehmen, manchmal weichen sie sogar von dem ab, was in einigen Grammatikwerken steht. Wenn ich mich mit einer gedankenlosen Sprachmode auseinandersetze, bedeutet dies nicht gleich, dass ich ihre vollständige Abschaffung verlange. Mir geht es vor allem darum, das sprachliche Bewusstsein zu schärfen und meine Leser zu ermutigen, nicht alles widerspruchslos hinzunehmen, was ihnen an bizarren Formulierungen in den Medien, in der Werbung, in der Politik, im Geschäfts- und Amtsdeutsch geboten wird.
Zuletzt muss natürlich noch eine Frage beantwortet werden, die sich jeder stellt, der das Wort »Zwiebelfisch« zum ersten Mal hört oder liest: Was bedeutet dieser seltsame Name, woher stammt er, und was hat er mit deutscher Sprache zu tun?
Laut Lexikon ist der Zwiebelfisch zunächst mal tatsächlich ein Fisch, Anglern besser bekannt als Ukelei, aus der Familie der Karpfenfische, wissenschaftliche Bezeichnung Alburnus alburnus. Er gilt als »geselliger Oberflächenfisch« und ist in stehenden und nicht zu stark strömenden Gewässern nördlich der Alpen zu finden. Derartige Eigenschaften (gesellig, oberflächlich, strömungsscheu) ließen ihn nur bedingt als Paten für eine Kolumne geeignet erscheinen, die sich anschickte, in die Tiefen der deutschen Sprachniederungen hinabzutauchen.
Doch das Wort hat noch eine zweite Bedeutung: Im Buch- und Zeitungsdruck bezeichnet »Zwiebelfisch« einen Buchstaben innerhalb eines Wortes, der (versehentlich) in einer falschen Schriftart gesetzt wurde. Irgendjemand hatte mal die Assoziation, dass ein Haufen durcheinandergeratener Schrifttypen wie ein Schwarm Zwiebelfische aussähe. Da die Setzersprache bildhafte Ausdrücke sehr schätzt (man denke an »Hurenkind« und »Schusterjunge«), hat sich der »Zwiebelfisch« als Bezeichnung für falsch gesetzte Lettern etabliert. Und da diese Kolumne es sich zur Aufgabe gemacht hat, »falsch gesetzte« Wörter in deutschen Texten aufzuspießen, also »Zwiebelfische« im übertragenen Sinn, schwamm ihr der Name buchstäblich zu.
Die Idee, den Begriff »Zwiebelfisch« aus der Schriftsetzersprache auf einen weiter gefassten sprachlichen Kontext zu übertragen, ist allerdings nicht ganz neu. Bereits von 1910 bis 1934 gab es eine bibliophile Zeitschrift für Literatur und Kunst dieses Namens, die im Münchner Hyperion-Verlag erschien. Heute ziert der Name »Zwiebelfisch« einen kleinen Buchverlag in Berlin, ein Magazin für Gestaltung von der Freien Hochschule für Grafik-Design in Freiburg, eine seit über 30 Jahren bestehende Kneipe in Berlin-Charlottenburg sowie etliche Kochrezepte, in denen Fischfilet und jede Menge Gemüsezwiebeln eine Rolle spielen. Und schließlich auch diese sprachpflegerische Kolumne, die schaurige, traurige, unsägliche, unerträgliche, abgehobene und verschrobene Erscheinungen der deutschen Sprachkultur unter die Lupe und aufs Korn nimmt.
Bastian Sick
Hamburg, im August 2004
Begleiten Sie den »Zwiebelfisch« auf seinen wöchentlichen Streifzügen im Internet: http://www.spiegel.de/zwiebelfisch
Nicht nur die SPD hat es in Bayern schwer. Auch der Genitiv wird nicht ernst genommen. Freilich ist es das gute Recht eines jeden Volksstammes, sich außer seiner Regierung auch seine eigene Grammatik zu wählen. Bedenklich wird es erst, wenn »wegen dem« Dialekt die Hochsprache verflacht. Ein Traktat zugunsten des zweiten Falles.
»Wegen dir«, sang die bayerische Sängerin Nicki 1986. Das Lied war damals ein großer Erfolg und erlangte Bekanntheit weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Ein deutscher Schlager, der nicht auf Hochdeutsch getextet war. Die Bayern, das weiß man, haben’s net so mit dem Wes-Fall (Woos is des?), sie lieben den Dativ wie das Weißbier und die Blasmusik. Daher verzieh man der Sängerin auch gerne den dritten Kasus im Zusammenhang mit dem Wörtchen »wegen«.
Als müsse er diesem genitivfeindlichen Tiefschlag etwas entgegenhalten, brachte im selben Jahr der Österreicher Udo Jürgens eine Platte mit ähnlich klingendem Titel heraus: »Deinetwegen« hieß das Album, und es wurde ein großer Erfolg weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Zum Glück: So wurden die Radiohörer im deutschsprachigen Raum daran erinnert, dass man in Bayern »wegen dir« sagen kann, dass die richtige Form aber »deinetwegen« lautet. Denn was Udo Jürgens singt, ist immer bestes Hochdeutsch. Ein Jahr lang ging er mit »Deinetwegen« auf Tournee, ein beispielloser Kreuzzug für die Rettung des Genitivs.
Die Wirkung indes blieb begrenzt; in den Neunzigerjahren erschienen immer mehr Lieder und CDs, die »Wegen dir« im Titel führten. Und hier war der dritte Fall nicht mehr mit Dialekt zu entschuldigen; denn die Sänger artikulierten sich in Hochdeutsch, beziehungsweise in etwas, das sie dafür hielten. Im Sängerkrieg der Schlagerbarden ist der Genitiv unterlegen. Muss man ihn unter Artenschutz stellen? Einen Verein zu seiner Rettung ins Leben rufen?
In deutschen Grammatikwerken ist nachzulesen, dass hinter »wegen« in besonderen Fällen der Dativ stehen kann. Ein solcher besonderer Fall ist gegeben, wenn die Präposition vor einem »unbekleideten« Nomen steht, also einem Hauptwort, das weder Artikel noch Attribut mit sich führt: »Wegen Umbau geschlossen« – das ist erlaubt, es muss nicht »wegen Umbaus« heißen. Ist das Hauptwort jedoch »bekleidet«, bleibt der Genitiv die bessere Wahl: »wegen des Umbaus«, »wegen kompletten Umbaus«. Dennoch hört man immer häufiger »wegen dem« statt »wegen des«. Auch hinter »laut« scheint sich der Dativ durchgesetzt zu haben. Immer seltener hört man »laut eines Berichts« und immer häufiger dafür »laut einem Bericht«.
Führt der Genitiv nur noch verzweifelte Rückzugsgefechte? Ganz so gefährdet, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist der zweite Fall in Wahrheit nicht. Er versteht es durchaus, sich zu wehren, und macht sogar Anstalten, fremdes Terrain zu erobern. Immer wieder tauchen Fälle auf, in denen hinter Präpositionen, die den Dativ erfordern, plötzlich ein Genitiv zu finden ist: »gemäß des Protokolls«, »entsprechend Ihrer Anweisungen«, »entgegen des guten Vorsatzes«, »nahe des Industriegebietes«. Dies geht so weit, dass sich die Grammatikwerke bemüßigt fühlen, diese Präpositionen mit dem ausdrücklichen Hinweis zu versehen, dass ihnen NICHT der Genitiv folge, sondern der Dativ.
Im Falle der Präposition »trotz« ist dem Genitiv die feindliche Übernahme gelungen: Standardsprachlich wird heute hinter »trotz« der Wes-Fall verwendet. Dass dies nicht immer so war, beweisen Wörter wie »trotzdem« und »trotz allem«. In Süddeutschland, Österreich und der Schweiz wird »trotz« weiterhin mit dem Dativ verbunden. Nicki würde auf Bayerisch singen: »Trotz dem damischen Zwiebelfisch« und Udo Jürgens auf Hochdeutsch kontern: »Trotz des nervigen Zwiebelfisch(e)s«.
Der Dativ ist des Genitivs Freund und Gehilfe. Er springt zum Beispiel dann ein, wenn es gilt, einen doppelten Genitiv zu vermeiden (»laut dem Bericht des Ministers« statt »laut des Berichts des Ministers«), und wenn im Plural der Genitiv nicht erkennbar ist (»wegen Geschäften« statt »wegen Geschäfte«).
angesichts
mit Genitiv
angesichts des dichten Verkehrs; angesichts vieler neuer Probleme
aufgrund / auf Grund
mit Genitiv
aufgrund schlechten Wetters; aufgrund falscher Vorhersagen; aufgrund seines Geständnisses
aufgrund von / auf Grund von
mit Dativ
aufgrund von schlechtem Wetter; aufgrund von Zeugenaussagen
dank
mit Genitiv
dank seines guten Rufs
einschließlich (vor bekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv
einschließlich seines Vermögens; einschließlich des Portos
einschließlich (vor unbekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv / mit Dativ
einschließlich Portos / einschließlich Porto
entgegen
mit Dativ
entgegen anders lautenden Behauptungen; entgegen seinem Wunsch
entsprechend
mit Dativ
entsprechend seinen Angaben; entsprechend dem Gesetz
gemäß
mit Dativ
gemäß dem Gesetz; dem Alter gemäß
infolge
mit Genitiv
infolge des letzten Krieges; infolge (des) schlechten Wetters
infolge von
mit Dativ
infolge von Krieg und Hungersnot
innerhalb / außerhalb
mit Genitiv
innerhalb des Geländes; außerhalb der Öffnungszeiten
kraft
mit Genitiv
kraft seines Amtes; kraft des ihm verliehenen Titels
laut (vor bekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv
laut eines Zeitungsberichtes; laut seines Befehls
laut (vor unbekleidetem Hauptwort)
mit Dativ
laut Zeitungsbericht; laut Befehl
mittels
mit Genitiv
mittels eines Zauberspruchs; mittels vieler kleiner Schritte
nahe
mit Dativ
nahe dem Dorf; nahe dem Fluss; ein Grundstück nahe dem Flugplatz
namens
mit Genitiv
namens ihres Vaters; namens des Vereins
seitens
mit Genitiv
seitens seiner Eltern; seitens des Publikums
statt
mit Genitiv
statt des Vaters kam der Sohn; statt der Frau öffnete ihm das Kind
trotz (vor bekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv
trotz des schlechten Wetters; trotz deiner gut gemeinten Worte
trotz (vor unbekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv / mit Dativ
trotz Regen(s); trotz Stau(s)
unweit
mit Genitiv
unweit des Dorfes; unweit des Flusses; ein Platz unweit des Eingangs
während
mit Genitiv
während des Krieges; während seines zweiten Besuchs
wegen (vor bekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv
wegen des schlechten Wetters verschoben; wegen ausbleibender Gäste geschlossen
wegen (vor unbekleidetem Hauptwort)
mit Genitiv / mit Dativ
wegen Mord(es) angeklagt; wegen Umbau(s) geschlossen
zufolge (vorangestellt) (selten)
mit Genitiv
zufolge des Berichtes; zufolge seiner Freunde
zufolge (nachgestellt)
mit Dativ
dem Bericht zufolge; seinen Freunden zufolge
Die oder das Nutella – diese Frage hat schon Tausende Gemüter am Frühstückstisch bewegt. Seit Generationen wird in Wohnküchen debattiert, gezankt und gestritten. Der, die, das – wieso, weshalb, warum – welchen Artikel haben Markenartikel?
Am Morgen sitzt das junge Paar am Frühstückstisch. Er rührt – noch reichlich unausgeschlafen – in seinem (deutschen!) Kaffee und liest, nur um sich nicht unterhalten zu müssen, in einem drei Wochen alten Magazin. Sie schmiert sich ordentlich Butter aufs Brötchen, streift sich kontrollierend über die Problemzonen in der Hüftgegend und sagt dann zu ihm: »Kannst du mir mal die Nutella rüberreichen?«
Und als hätte er nur darauf gewartet, kommt es wie aus der Pistole geschossen: »Du meinst ja wohl das Nutella.« – »Nein«, stellt sie richtig, »ich meine die Nutella!« – »Produktnamen sind grundsätzlich sächlich«, behauptet er. »Wie kommst du denn darauf?«, fragt sie fassungslos, »es heißt doch schließlich die Haselnusscreme!« – »Es heißt aber trotzdem das Nutella. Glaub mir, Schatz, isso!«
»Isso« ist die Kurzform für »Ich schrei sonst« und bedeutet sinngemäß: »Weitere Argumente fallen mir im Moment nicht ein.« Damit ist das Thema jedoch noch lange nicht vom Tisch.
Die oder das Nutella – diese Frage hat schon zu manch hitziger Debatte geführt. Weiblich oder sächlich, aber ganz bestimmt nicht nebensächlich. Intakte Wohngemeinschaften sind sich deswegen urplötzlich in die Haare geraten, glückliche Beziehungen sind daran zerbrochen; kaum ein Scheidungsanwalt, der nicht schon einen »Nutella«-Fall gehabt hätte. Eine definitive Lösung des Problems ist bis heute nicht in Sicht. Eines steht fest: So einfach, wie es sich der Mann mit seiner Erklärung gemacht hat, ist es nicht.
Nach dem Frühstück springt er unter die Dusche, anschließend stylt er sich die Haare und cremt sich mit seiner Lieblings-«Looschn« ein. »Schatz, die Nivea ist alle«, ruft er in männertypischer Hilflosigkeit, »haben wir noch irgendwo eine neue?« Sie spielt die Überraschte: »Die Nivea? Hast du nicht eben behauptet, Produktnamen seien prinzipiell sächlich?« – »Du, ich hab’s leider eilig und absolut keinen Nerv auf deine Spielchen. Also wo ist die Nivea?« – »Im Unterschrank – wo auch das Colgate und das Always stehen!«, erwidert sie gelassen.
Der Punkt geht an sie. Um das Geschlecht eines Produktnamens bestimmen zu können, muss man sich Klarheit darüber verschaffen, was das Produkt darstellt. Namen wie Colgate, Blendamed, Sensodyne, Elmex und Dentagard sind weiblich, weil sie für die weiblichen Begriffe Zahnpasta und Zahncreme stehen.
Ariel, Omo, Dash, Persil und Lenor hingegen sind sächlich, weil es das Waschmittel heißt. Bifi ist weiblich, weil man an die Salami denken soll, Labello ist männlich, weil es der Lippenstift heißt, Tempo und Kleenex sind sächlich, weil dahinter das Papiertaschentuch steckt.
Ausnahmen bilden gelegentlich solche Produktnamen, die sich aus bekannten Hauptwörtern zusammensetzen: der Weiße Riese (obwohl das Waschmittel), der General (obwohl das Putzmittel), der Flutschfinger (obwohl das Speiseeis). Doch auch diese Ausnahmeregel gilt nicht immer: Bei einigen Markennamen ist das dahinter stehende Produkt einfach zu mächtig, es dominiert selbst dann noch das Geschlecht des Namens, wenn dieser sein eigenes Geschlecht hat.
Dies ist zum Beispiel bei Bieren der Fall. Die sind immer sächlich, selbst wenn sie »König« (»Das König unter den Bieren«) oder »Urquell« heißen. Ähnliches gilt für Automarken und -modelle. Sie sind fast immer männlich[1], auch wenn der Rasensport das Golf und die spanische Feier die Fiesta heißt – als Markennamen haben diese Hauptwörter gegen die Übermacht des männlichen Wortes »Wagen« keine Chance. Unsere Nachbarn, die Franzosen, verfahren übrigens nach demselben Prinzip: Bei ihnen sind alle Automarken weiblich (la DS, la Peugeot, la Volkswagönn), weil es la voiture heißt.
Somit findet man in der deutschen Sprache sowohl das Astra (Bier) als auch den Astra (Auto). Wer Astra trinkt und Astra fährt, kann Sterne sehen, denn »astra« ist der Plural des lateinischen Wortes »astrum«, und das bedeutet »Stern«.
Auch Zigarettenmarken sind durchgehend gleichen Geschlechts, nämlich weiblich, daran vermögen weder das Kamel noch der Prinz etwas zu ändern.
Medikamente sind – als Heilmittel oder Packung gesehen – sächlich: das Aspirin, das Viagra. Wenn jedoch eine einzelne Pille gemeint ist, kann es durchaus auch die Aspirin oder die Viagra heißen.
In grammatischer Hinsicht ist die Haselnuss eine ziemlich harte Nuss – nicht nur als Creme, sondern auch zwischen Waffeln: Heißt es das oder die Hanuta? Man mag argumentieren, dass Hanuta die Abkürzung für HAselNUssTAfel sei – und dass die Tafel ja nun unbestreitbar weiblich sei. Doch wer weiß denn schon, dass der Name Hanuta ein Akronym[2] ist? Wenn Hanuta weiblich ist, weil »Tafel« weiblich ist, dann müsste eigentlich auch Duplo weiblich sein; denn werben die Hersteller nicht mit dem Slogan, dass es sich um eine Praline handelt? Eine besonders lange sogar?
Trotzdem sind Schokoriegel in der Regel sächlichen Geschlechts: Kitkat, Mars, Bounty, Snickers, Milky Way, Twix – wann immer man sie mit Artikel nennt, so ist es »das«. Obwohl es doch der Schokoriegel heißt. Aber Mars, Bounty und Co. gibt es schon länger, als es das Wort »Schokoriegel« gibt. Früher sagte man dazu noch »Süßigkeiten« oder »Naschwerk«. Eine sprachwissenschaftlich fundierte Begründung, warum Schokoriegel immer sächlich sind, hat der Verfasser dieses Textes momentan nicht zur Hand. Daher bedient er sich des ultimativen Arguments: Isso! Und damit zurück zur Anfangsfrage:
Bei Ferrero, dem Hersteller von Nutella, hat man die Frage nach dem Geschlecht des Markennamens natürlich schon oft gehört. Auf der firmeneigenen Homepage gibt es daher einen erklärenden Eintrag, der den Kunden allerdings auch nicht vollständig befriedigen kann: »Nutella ist ein im Markenregister eingetragenes Phantasiewort«, heißt es dort, »das sich einer genauen femininen, maskulinen oder sachlichen Zuordnung entzieht.«
Manchmal ist eben einfach Fantasie gefragt – nicht nur bei der Suche nach neuen Namen, sondern auch bei der Suche nach einem passenden Geschlecht – oder einer Möglichkeit, die Geschlechterfrage zu umgehen: »Schatz, reich mir doch bitte mal das Nutella-Glas rüber!«
Sie wollen Action, Spannung, Erotik, Leidenschaft? Was immer Ihr Herz begehrt, Sie sollen es bekommen – und zwar pur. In anderer Form werden diese Artikel heute auch gar nicht mehr angeboten.
Wer sich auf die Suche nach Entspannung begibt, dem wird in Anzeigen, Katalogen, im Fernsehen und auf Internetseiten jede Menge davon versprochen, zu unterschiedlichsten Preisen und von unterschiedlichster Art und Weise. Doch eines haben alle Angebote gemein: Sie verheißen »Entspannung pur«.
Dieselbe Feststellung macht, wer das Abenteuer sucht: Ob beim Bergwandern in den Pyrenäen, beim Kanufahren auf der Müritz, selbst beim virtuellen Rundgang im Cyberspace – stets versprechen die Veranstalter »Erlebnis pur«. Wer einen Afrikaurlaub plant, der kann »Afrika pur erleben«. Wer lieber mit einem nostalgischen Zug durch heimische Gefilde dampfen mag, den erwartet »Bahnspaß pur«. Niemand muss auf »pur« verzichten. Wer gar nicht verreisen will, wer also »zu Hause pur erleben« will, für den halten die Fernsehmacher allabendlich »Action pur«, »Unterhaltung pur«, »Romantik pur« und – zu späterer Stunde – »Erotik pur« bereit. Die Puromanie hat die Werbesprache fest im Griff. Was immer angepriesen wird, erhält den Nachsatz »pur«. Darauf gibt’s Garantie pur.
Selbst die Schrecknisse dieser Welt findet man derart fragwürdig verschönt: Hass pur, Horror pur, Verbrechen pur. Früher unterschied man zwischen Optimisten, die die Zukunft in Rosarot sahen, und Pessimisten, die vorzugsweise schwarz sahen. Heute gibt es anscheinend nur noch Puristen, die alles in Purpur sehen. Der Film »Apocalypse now« würde in diesen Zeiten von einem deutschen Verleih vermutlich unter dem Titel »Apocalypse pur« in die Kinos gebracht.
Ob die fünf Musiker aus Bietigheim angesichts des inflationären »pur«-Gebrauchs ihre Band heute noch so genannt hätten? Als sie sich 1986 den Namen »Pur« gaben, war das Wort noch unverbraucht und halbwegs originell. Heute geht »Pur« im purpurnen Einerlei unter. Sucht man die Band im Internet, so muss man schon etwas Geduld aufbringen, um im Wildwuchs zwischen Literatur pur, Popkultur pur, Natur pur Pur pur zu entdecken.
Bemerkenswert ist, was hier mit der Syntax geschieht: Das Attribut wird dem Hauptwort nachgestellt, ein in der deutschen Sprache eher ungewöhnlicher Vorgang, denn normalerweise steht das Attribut vor dem Hauptwort. Doch in der Reklamesprache setzt man sich über Grammatikregeln gern hinweg und verbiegt die natürliche Syntax, um Aufmerksamkeit zu erregen. So hat man den Kunden schon früher »Bargeld sofort«, »Spargel satt«, »Kühlschränke neu«, »Urlaub mediterran« und »Telefonieren kostenlos« versprochen. Und vor dem sagenhaften Aufstieg des Adjektivs »pur« gab es das alles schon einmal mit »total«: Spannung total, Liebe total, Fußball total. Diese Form der Anpreisung hat sich über die Jahre gründlich abgenutzt, da kam den Werbestrategen das Wörtchen »pur« gerade recht.
Dabei ist »pur« gar nicht mal neu. Das Adjektiv, dem lateinischen »purus« entlehnt, gelangte bereits im 14. Jahrhundert in die deutsche Sprache und wirkte an der Entstehung von Begriffen wie Püree und Puritanismus mit. Über lange Zeit hatte »pur« im deutschen Sprachtheater ein Engagement als Zweitbesetzung für das Adjektiv »rein«. Wer »reines Gold« durch einen Latinismus noch weiter veredeln wollte, konnte dies tun, indem er von »purem Gold« sprach. Auch purer Luxus und purer Genuss wurden immer gern beschrieben und angepriesen. Mittlerweile gibt es sie nur noch als »Luxus pur« und »Genuss pur«.
In einer Kunstform wie der Reklamesprache ist so etwas möglich. Man sollte es sich allerdings gut überlegen, ehe man sich die Werbung zum Vorbild für seine Alltagssprache macht:
»Du Schatz, es wird heute wieder später«, sagt der geplagte Ehemann am Telefon, »hier ist mal wieder Hektik pur!« – »Du Armer«, seufzt sie verständnisvoll, »aber mach dir keine Sorgen um mich, ich bin nachher noch mit einer Schulfreundin verabredet, die ich heute in der Stadt getroffen habe: Zufall pur!« – »Sonst alles klar zu Haus?« – »Jonas ist heute vom Klettergerüst gefallen, aber ihm ist nichts passiert.« – »Wer hat ihn denn da raufgelassen? Das war ja Leichtsinn pur!« – »Beim nächsten Mal ist er vorsichtiger. Du weißt doch: Nichts macht klüger als Erfahrung pur!«
Dem halbwegs sprachsensiblen Konsumenten stößt das Adjektiv »pur« aufgrund seiner Häufung inzwischen sauer auf. Man kann nur hoffen, dass der pure Überfluss bald in irgendeinem Abwasserkanal versickert. Und zwar bevor das Beispiel der Attribut-Umstellung weiter Schule macht. Was würde aus dem normalen Alltag, dem perfekten Moment, den losen Gedanken? Alltag normal, Moment perfekt, Gedanken los? Wird die unterhaltsame und lehrreiche Sendung »Genial daneben« eines Tages »Daneben genial« heißen? Das wäre der reinste Wahnsinn. Um nicht zu sagen: Wahnsinn pur.
Sie glauben, Sie kennen sich aus mit den Farben in der Politik? Rot für links, Schwarz für rechts, dazwischen und daneben Gelb, Grün, Dunkelrot, Blassrosa, Taubengrau und Igittibraun – aber wofür bitte schön steht Blau, und was kommt raus, wenn man die Farben mischt? Werfen wir doch mal einen Blick zu unseren Nachbarn im Westen.
Was dem Hobby-Soziologen die Schubladen, das sind dem Amateur-Politologen die Farbtöpfe. Wann immer der Name einer Partei ins Spiel kommt, wird flugs zum Pinsel gegriffen und das erwähnte Lager mit einem knalligen Anstrich versehen: Rot, Gelb, Schwarz, Grün, Grau, bunt – was die Palette hergibt. Es ist wie mit den Brandzeichen bei Rindern: Keine Gruppierung, Absplitterung, Vereinigung oder Bewegung, die ohne Farbmarkierung frei herumlaufen dürfte. Da entstünde ja das völlige Chaos, und niemand würde sich mehr zurechtfinden.