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Dem Dativ sein fünfter Fall Darauf haben seine Leser lange gewartet, nun ist es so weit: Die Bestsellerreihe von Bastian Sick wird fortgesetzt! Im fünften Band über die Fallstricke der deutschen Sprache versammelt der Autor neue Geschichten und gibt Rat in Zweifelsfällen. Fast zehn Jahre ist es her, dass seine erste »Zwiebelfisch«-Kolumne erschien und damit einen ungeahnten Kult um die deutsche Sprache auslöste. Sick hat mit seinen Büchern, Quizspielen und Bühnenshows einem Millionenpublikum gezeigt, dass Rechtschreibung und Grammatik Spaß machen können. In mehreren Bundesländern stehen seine Werke heute auf dem Lehrplan.Dass die Themen und Fragen nicht weniger werden, zeigt sich an der weiterhin steigenden Zahl der Fehler in der Werbung, im Journalismus und im Internet. Und wie immer geht es auch im fünften Band der »Dativ«-Reihe nicht nur um »richtig« oder »falsch«, sondern auch um die unerschöpflichen Möglichkeiten, die unsere Sprache bietet, um die Schönheit der Wörter, ihre Vieldeutigkeit und ihre Geheimnisse.
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Seitenzahl: 248
Bastian Sick
Folge 5
Buch lesen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Bastian Sick
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Vorwort
Zehn gute Gründe für Deutsch
Herzlich willkommen!
Hallo und tschüs!
Kesse Wecken, dufte Schrippen
Wie blond kann man sein?
Seid an Seit ins Getümmel
Alle Vögel sind schon da
Wie muss Deutsch?
Der Chef ist auf Termin
Einsatz für Agent 00
Die geschleifte Sprache
Lingua cosmetica
Werbung mit Spliss
Die unendliche Ausdehnung der Gegenwart
Von Läuchen, Milchen und Sänden
Von Autokorsen, Torwärtern und fiesen Möppen
Muss eine Reihe von Ministern müssen?
Honeckers letzte(n) Tage
Das bisschen Haushalt
Dem Kaiser seine neuen Kleider
Die Entmannung unserer Sprache
Kommt dämlich von der Dame und herrlich vom Herrn?
Die Kapitänin, die Torfrau und die Libera
Ziehen Sie die Brille aus!
Liebling, Was Wird Nun Aus Uns Beiden?
Tanke? Nein danke!
Neue Wörter braucht das Land
Mumpitz, Kinkerlitzchen und Firlefanz
Fahne oder Flagge?
Vom Weiblichen des Schiffs
Kann ein Wrack »erneut« sein?
Tesa-Film ist fast Leim
Der Vogel und die Vögelin
Hello, Dolly!
Mit und ohne Komma gedroht
Mehr & mehr
Verehren, verachten, vergönnen, verzeih’n
Erwarten und versprechen
Wo Geld ist, ist auch Sinn
Authentifizieren Sie sich!
Das schmeckt aber gut!
Ist in Deutsch genauso gut wie auf Deutsch?
In oder nach 300 Metern abbiegen?
Neues aus dem Bezirk
Was gewesen war
Sei oder wäre?
Wortzusammensetzungen mit Überlängenhöchstwahrscheinlichkeit
Tüten Suppe aus der Suppen Tüte
Übermütiges Vergnügen mit »Ü«
Vom Fegefeuer in die Hölle
Eine Weihnachtsgeschichte
Register
Inhaltsverzeichnis
Vier Fälle hat unsere Sprache. Der Dativ ist der dritte. Und dieses Buch ist dem Dativ sein fünfter Fall. Erneut macht er sich auf, den Genitiv zu töten. Ob’s ihm diesmal wohl gelingt? Das wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Dieses Buch ist nicht nur das fünfte in einer bunten Reihe, sondern außerdem ein Jubiläumsbuch. 2013 jährt sich das Erscheinen der ersten »Zwiebelfisch«-Kolumne zum zehnten Mal. Für einen Fisch ist das ein beachtliches Alter! Seitdem entstanden mehr als 200 Texte über das zauberreiche und märchenschöne Wesen, das als »die deutsche Sprache« bekannt ist. Die 52 jüngsten sind in diesem Buch versammelt.
Dass es immer wieder Stoff für neue Kolumnen gibt, liegt daran, dass unsere Sprache nicht aufhört, sich zu verändern. Ständig kommen neue Moden und Wörter hinzu, obwohl wir noch nicht einmal alle alten ausreichend gewürdigt haben. Dass ich mit meiner Arbeit nicht aufhören kann, liegt daran, dass meine Leser nicht aufhören, mir zu schreiben und mir Fragen zu stellen: Was bedeutet dieses Wort? Woher kommt jene Redewendung? Wie lautet hiervon die weibliche Form und davon die Mehrzahl? Der Beantwortung von Leserfragen wird daher auch in diesem Buch wieder gebührender Platz eingeräumt.
Als Buchautor werde ich aber nicht immer nur zu den Tücken und Zweifelsfällen der deutschen Sprache befragt, sondern manchmal auch, wie ich überhaupt zum Schreiben gekommen sei, ob die Sprache schon immer meine Leidenschaft gewesen sei und ob es besondere Vorbilder gegeben habe. Auch solche Fragen beantworte ich gern, zumal die Antworten ganz einfach sind: Sprache wurde zu einer Leidenschaft, als ich erkannte, dass sie mir Türen zu wunderbaren Welten voller Abenteuer, Zauberei und Weisheit öffnete und mir die Möglichkeit gab, meine Fantasie in Formen zu gießen. Mit dem Schreiben von Geschichten begann ich also schon recht früh, noch vor dem Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium. Vorbilder gab es viele: Lehrer, Schauspieler, Musiker, Dichter und Kinderbuchautoren. Von einer besonderen Begegnung mit einem Dichter möchte ich im Folgenden berichten.
Als ich ein Schüler war, verbrachte ich die Sommerferien regelmäßig mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern am Lago Maggiore. In einem Sommer hatte ich zwei Kinderbücher von Wolfdietrich Schnurre dabei, die ich mir zum Geburtstag gewünscht hatte: »Die Zwengel« und »Der Meerschweinchendieb«. Ich war gerade acht geworden und befand mich auf einer unaufhaltsamen Entdeckungsreise durch die Kinderliteratur. Meine Großmutter hatte mich auf Schnurre aufmerksam gemacht, denn sie kannte seine Erzählungen für Erwachsene. Dass er auch über Meerschweinchen schrieb, machte ihn mir sofort sympathisch, zumal ich für diese putzigen Geschöpfe eine Schwäche hatte. Von Freunden erfuhren wir, dass der Autor jener Bücher rein zufällig selbst ein Ferienhäuschen am Lago Maggiore hatte, gar nicht weit von unserem Strand, auf dem Monte Sole. Meine Mutter ermutigte mich, hinaufzugehen und mir die Bücher signieren zu lassen.
Als ich die steile Straße zum Haus von Wolfdietrich Schnurre erklomm, pochte mein Herz vor Aufregung und Angst: Was, wenn ich nun ungelegen kam? Wenn er gar keine Kinder mochte? Wenn er einen großen bissigen Hund hatte? Auf halber Strecke dachte ich daran, umzukehren, aber was hätten meine Eltern dann von mir gedacht? Also nahm ich all meinen Mut zusammen und klingelte an der Tür des Schriftstellers. Ein großer freundlicher Mann mit einem breiten Schnurrbart öffnete, sah zu mir herab und rief überrascht: »Na, wer bist du denn?« Ich brachte kein Wort heraus und streckte ihm nur die beiden Bücher entgegen. Er bat mich hinein, bot mir Saft und Kekse an, stellte mich seiner Frau Marina vor (die die Meerschweinchen-Geschichten illustriert hatte) und schrieb mir wundervolle Widmungen in beide Bücher: »Damit Bastian in einem Jahr wiederkommt«.
Das habe ich dann auch gemacht. Und beim zweiten Mal hatte ich auch keine Angst mehr. Im Gegenteil, ich konnte es kaum erwarten, Wolfdietrich Schnurre davon zu erzählen, dass ich inzwischen selbst angefangen hatte, Geschichten zu schreiben. Er fragte, ob er sie sehen dürfe, und ich gab sie ihm. Er nahm sie so behutsam in die Hand, als wären sie ein Schatz. Dann verriet er mir, dass er es sehr bedauere, seine eigenen frühen Versuche irgendwann allesamt verbrannt zu haben. Ich gelobte ihm, das mit den meinen nicht zu tun. Und so habe ich bis heute alles aufgehoben – einschließlich meines ersten Diktats.
Zehn Jahre später habe ich Wolfdietrich Schnurre noch einmal wiedergesehen. Diesmal nicht in Italien, sondern in Norddeutschland. Meine Großmutter hatte aus der Zeitung erfahren, dass Schnurre eine Lesung in Plön halten würde, und hatte mich eingeladen, mit ihr dort hinzufahren. Ich war inzwischen ein junger Mann von fast 19 Jahren, der seinen Wehrdienst ableistete. Und Schnurre war mit seinen Romanen »Der Schattenfotograf« (1978) und »Ein Unglücksfall« (1981) in die erste Garde der deutschen Literatur aufgerückt. Ihn aus seinen Werken vorlesen zu hören, war für meine Großmutter und mich ein heiliger Genuss. Im Anschluss signierte er Bücher. Ich hatte die beiden Kinderbücher von damals dabei und sagte: »Guten Tag, Herr Schnurre, erinnern Sie sich noch an mich?« Er erkannte seine Widmung und strahlte: »Der Bastian! Aber natürlich! Du bist seit damals um einiges gewachsen!«
1989 starb Wolfdietrich Schnurre im Alter von 68 Jahren. Doch in seinen zahlreichen Erzählungen, in denen sich Melancholie und Menschenliebe auf poetische Weise paaren, ist er für mich bis heute lebendig geblieben.
An unsere Begegnungen denke ich jedes Mal zurück, wenn ich einen kleinen Jungen vor mir stehen sehe, der mich mit großen Augen anblickt und mir wortlos eines meiner Bücher zum Signieren entgegenstreckt. Dann geht mir das Herz auf wie ein rot lackierter Fensterladen an einem sonnigen Morgen über dem Lago Maggiore.
Bastian Sick
Hamburg, im Mai 2013
Inhaltsverzeichnis
Die Kulturwächter schlagen Alarm: Das weltweite Interesse an der deutschen Sprache geht zurück! Und nicht erst, seit Guido Westerwelle Außenminister ist. 2005 lernten noch 17 Millionen Menschen Deutsch als Fremdsprache, 2010 waren es zwei Millionen weniger. Dabei gibt es viele gute Gründe für Deutsch.
»Können Sie zehn gute Gründe nennen, Deutsch zu lernen?«, wurde ich unlängst in einem Interview gefragt. »Geben Sie mir zehn Minuten Bedenkzeit«, bat ich. Zehn überzeugende Gründe lassen sich schließlich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Doch mit ein wenig Überlegung sollten sie sich finden lassen. Immerhin leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz und in ihren angrenzenden Regionen mehr als hundert Millionen Menschen, die mit Deutsch aufgewachsen sind. Wir sind also schon mal keine ganz kleine Sprachgemeinschaft, im Gegenteil: Innerhalb Europas ist Deutsch die Sprache mit den meisten Muttersprachlern, noch vor Englisch und Französisch.
Außerhalb Europas sieht es dann schon etwas anders aus; auf der Liste der zwölf wichtigsten Weltsprachen rangiert Deutsch weit hinter Englisch, Chinesisch, Spanisch und Hindi auf Platz zehn, aber immerhin noch vor Japanisch, Koreanisch und Finnisch[1]. Wenn sich Schüler in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien oder Frankreich, zwischen Deutsch und einer anderen Fremdsprache entscheiden müssen, wählen sie oft die andere. Deutsch ist nicht gerade die beliebteste Sprache. Und wenn man nachfragt, warum das so sei, bekommt man oft zu hören, Deutsch sei eben nicht ganz einfach. Zu viele Fälle, zu viele Geschlechter, zu viele Regeln, zu viele Ausnahmen. Das schreckt ab. Eigentlich sollte gerade das ein guter Grund sein, Deutsch zu lernen. Denn wer will schon etwas, das einfach ist? Einfach – das kann schließlich jeder. Wer Deutsch beherrscht, kann etwas Besonderes! Etwas, das nicht jeder kann. Nicht einmal jeder Deutsche. Englisch ist der Volkswagen unter den Sprachen, Deutsch der Rolls-Royce.
Zu den immer wieder genannten Vorurteilen über die deutsche Sprache gehört auch, dass sie keinen besonders schönen Klang habe. Sie sei bei Weitem nicht so melodiös wie das Französische, nicht so weich wie das Englische, nicht so temperamentvoll wie das Italienische, nicht so schwermütig wie das Russische, und nicht so angriffslustig wie das Japanische.
Deutsch, so wird behauptet, klinge eher wie eine Zementmischmaschine – oder wie berstendes Holz. Oder wie eine Gruppe heiserer Gänse, die mit einem geklauten Zementmischer gegen einen Baum gerast ist. Doch wer sich ein bisschen genauer mit der deutschen Sprache auseinandersetzt, der wird im Klangspiel der Silben eine wunderbare, kraftvolle Schönheit erkennen. Wie bei jeder Sprache kommt es darauf an, wer sie spricht – und wie. Der Ton macht die Musik.
Darum ist Deutsch nicht von ungefähr lange Zeit die führende Sprache der Musik gewesen. Von Johann Sebastian Bach bis Johann Strauß: Deutsch war – und ist es noch heute – eine der wichtigsten Sprachen auf den Konzert- und Opernbühnen dieser Welt. Wer klassischen Gesang studiert, für den führt an Deutsch kein Weg vorbei. Doch auch Popmusik kann ein Grund sein, Deutsch zu lernen. Die Musik war der Grund, dass ich Französisch gelernt habe – das kann auch andersherum funktionieren. Die deutsche Musikszene hat eine Menge interessanter Künstler und hörenswerter Texte zu bieten.
Gute Gründe, Deutsch zu lernen? So etwas fragt man am besten Menschen, die das Wagnis auf sich genommen haben, einen Deutschkursus zu absolvieren. Und die findet man fast überall auf der Welt: in Frankreich, in Spanien, in Russland, in Polen, in den Niederlanden, in Dänemark, in Chile, in Argentinien, in Afrika, in China, in Baden-Württemberg.
»Deutschland ist ein tolles Land!«, schwärmte mir eine ältere Dame in Buenos Aires vor. »Ihr habt so viele Kulturgüter, so viele interessante Städte, so abwechslungsreiche Landschaften, so schnelle Verbindungen, die beste Infrastruktur weltweit!« – »Sie sprechen von den Autobahnen, nehme ich an?«, fragte ich. Sie lächelte und sagte: »Ich meine vor allem die Apotheken! Alle 50 Meter eine Apotheke – das gibt es in keinem anderen Land auf der Welt!« Ja, Deutschland ist ein famoses Land zum Leben.
Für viele junge Menschen in anderen Teilen der Welt ist Deutschland das Tor zu einer gesicherten Zukunft. Die Zahl derer, die sich Jahr für Jahr um ein Stipendium für einen Studienplatz in Deutschland bewerben, wächst stetig. Ob BWL, Maschinenbau, Medizin oder Geisteswissenschaften – Deutschland ist ein beliebter Studienort. Für viele andere ist Deutschland auch ein begehrter Arbeitsplatz. Die meisten Bauarbeiter und Reinigungskräfte in Deutschland kommen aus benachbarten Ländern oder aus Nachbarländern der Nachbarländer.
Meine Putzfrau kommt aus Polen und lernt fleißig Deutsch. Sie kann jetzt schon auf Deutsch »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen« sagen und »Waschmaschin kaputt!«. Eines Tages wird ihr Deutsch so perfekt sein wie ihre Bügelkünste, dann stehen ihr hier alle Türen offen, und sie wird mich verlassen für einen interessanteren Job als Assistentin irgendeines Talkshow-Moderators oder als Pressesprecherin eines Bundestagsabgeordneten, ich werde sie anflehen, zu bleiben, aber sie wird mir mit Blick auf das Bügelbrett zurufen: »Machen Sie es sich gefälligst selbst!«, und ich werde völlig zerknittert zurückbleiben, davor graut mir jetzt schon. Deutsch eröffnet Karrieren – im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus überall dort, wo deutsche Firmen ansässig sind oder wo sich deutsche Touristen tummeln.
Meine französische Freundin Suzanne sagte mir auf die Frage, was für sie der Grund gewesen sei, Deutsch zu lernen: »Der Grund, warum isch Deutsch gelernt ’abe? Trotz alle die komplizierte Grammatik und die ’arte Aussprache? Isch will es dir verraten: Mein Grund war groß und blauäugisch und ’ieß Martin. Er war 24, wir ’aben uns am Strand von Biarritz kennengelernt. Wie der küssen konnte! Hmmm! Einen schöneren Grund, Deutsch zu lernen, gab es auf der ganzen Welt nischt!«
Wem das noch nicht genügt, für den habe ich nachfolgend zehn weitere Gründe zusammengetragen:
Damit man auf Mallorca nicht für einen Ausländer gehalten wird.
Damit man bei deutschen Fernsehserien wie »Derrick«, »Ein Fall für zwei« und »Sturm der Liebe« nicht auf Untertitel angewiesen ist.
Damit man seine Freunde durch Wörter wie »Fußballweltmeisterschaftsendrundenteilnehmer« oder »Überschallgeschwindigkeitsflugzeug« beeindrucken kann.
Damit man nicht enttäuscht ist, dass man kein Trinkgeld bekommt, wenn ein Deutscher sagt, er wolle einem gern einen »Tip« geben.
Damit man Goethe im Original lesen kann. Und auch andere Klassiker der deutschen Dichtung wie Wilhelm Busch, Heinz Erhardt und Loriot.
Damit man es als Porsche-Fahrer nicht nur allen zeigen, sondern auch noch allen sagen kann, dass der Wagen weder »Porsch« noch »Porschie« ausgesprochen wird.
Damit man in der Lage ist, gut gemeinte Hinweise zu berücksichtigen, wie man sie auf einigen deutschen Erzeugnissen findet, zum Beispiel »Augenkontakt unbedingt vermeiden!« oder »Dämpfe nicht einatmen!«.
Damit man bei der Bambi-Verleihung auf Deutsch sagen kann: »Ich danke meinen Eltern! Und allen Leuten von Sony Music! Und natürlich meinem Publikum! Ihr seid so wundervoll! Ich liebe euch alle!«
Damit man als Journalist dem deutschen Außenminister bei einer Pressekonferenz Fragen auf Deutsch stellen kann.
Damit man die Rolle des Bösewichts im nächsten James-Bond-Film bekommt.
Weiteres zur Bedeutung der deutschen Sprache in der Welt:
»Deutsch als Amtssprache der USA« (»Dativ«-Band 1)
»Weltsprache Deutsch« (»Dativ«-Band 2)
Inhaltsverzeichnis
Heißt man jemanden »willkommen« oder »Willkommen«? Wünscht man »frohe Ostern« oder »Frohe Ostern«? Und viel Glück im »neuen Jahr« oder im »Neuen Jahr«? Um das Groß oder Klein in Grußformeln ranken sich viele Fragen und zahlreiche Irrtümer.
Eines Morgens kurz vor Silvester hing im Treppenhaus ein farbenfroher Aushang der Hausverwaltung, auf dem stand: »Wir wünschen allen Hausbewohnern ein Frohes Neues Jahr!« Dabei blieb es nicht lange. Bis zum Nachmittag hatte jemand das große »F« durchgestrichen und ein kleines »f« darübergeschrieben. »Das kann ja nur einer gewesen sein!«, stellte meine Nachbarin Frau Jackmann fest und zwinkerte mir zu. Doch ich musste sie enttäuschen: »Ich war’s nicht! Wenn ich auch noch anfange, die Mitteilungen unserer Hausverwaltung zu korrigieren, komme ich zu gar nichts mehr. Außerdem hätte ich dann auch noch das große ›N‹ durch ein kleines ersetzen müssen. Wenn schon, denn schon!« Frau Jackmann sah mich ungläubig an: »Das ›N‹ von ›Neues Jahr‹? Das soll verkehrt sein? Aber das ist doch ein Name!«
Mit dieser Annahme ist Frau Jackmann nicht allein. Viele Menschen halten das »neue Jahr« für einen feststehenden Begriff und schreiben »neu« daher groß: »Alles Gute im Neuen Jahr!« liest man auf zahllosen Weihnachtskarten. Das neue Jahr ist aber kein feststehender Begriff, sondern eine ganz gewöhnliche Fügung aus einem Eigenschaftswort und einem Hauptwort. Anders als das »Neue Testament« und die »Neue Welt«. Diese sind feststehende Begriffe und werden orthografisch wie Namen behandelt. (Vorausgesetzt, mit der Neuen Welt ist Amerika gemeint und nicht irgendeine »schöne neue Welt«, wie sie zum Beispiel von Aldous Huxley beschrieben wurde.) Auch das »Neue Forum«, der »Neue Markt« und die »Neue Deutsche Welle« sind feststehende Begriffe, die für etwas stehen, das klar definiert ist. Wie aber sollte man das »neue Jahr« klar definieren können, wenn es doch alle Jahre wieder ein anderes ist?
Jemandem ein »frohes neues Jahr« zu wünschen, ist grammatisch nichts anderes, als einen »schönen guten Tag« zu wünschen oder »viele liebe Grüße« zu versenden. In keinem der drei Fälle handelt es sich um einen feststehenden Begriff. Trotzdem findet man zahlreiche Beispiele, die fälschlicherweise einen »schönen Guten Tag!« wünschen oder mit »vielen Lieben Grüßen« schließen.
»Frohe Ostern!« ist zwar eine gebräuchliche Formel, aber das heißt noch lange nicht, dass »froh« und »Ostern« zusammen einen Namen ergeben, der großgeschrieben werden muss. Wenn »froh« und »Ostern« innerhalb eines Satzes erscheinen, gelten für »froh« dieselben Regeln wie für jedes andere Adjektiv auch, und dazu gehört die Kleinschreibung: »Ich wünsche euch frohe Ostern!«
Auch wenn es dank E-Mail, Chat und SMS seit Jahren einen starken Trend zur Kleinschreibung gibt, so findet man andererseits immer wieder großgeschriebene Wörter, die sich die Großschreibung gar nicht verdient haben. Es besteht offensichtlich eine tiefe Verunsicherung darüber, wann etwas großgeschrieben wird und wann nicht. Auf unzähligen Schildern, Tafeln und Transparenten werden Reisende und Kunden mit den Worten »Herzlich Willkommen« begrüßt. Das sieht schön aus, ist aber orthografisch nicht einwandfrei; denn »willkommen« ist hier kein Hauptwort, sondern ein Adjektiv, auf Deutsch auch Eigenschaftswort oder Wiewort genannt. »Herzlich willkommen« ist die Verkürzung von »Ich heiße dich herzlich willkommen!« oder »Du bist mir herzlich willkommen«. Da »willkommen« in diesen Sätzen mit »wie« erfragt wird, kann es nur ein Wiewort sein und muss folglich kleingeschrieben werden.
Etwas anderes ist es, wenn man jemandem »ein herzliches Willkommen« bereitet; dann ist die Großschreibung angebracht, denn »das Willkommen« ist ein Hauptwort. Als solches tritt »willkommen« aber nur selten in Erscheinung. Meistens wird es als Adjektiv gebraucht. Dass es dabei so oft für ein Hauptwort gehalten wird, liegt möglicherweise an der Ähnlichkeit zu Grußformeln wie »Guten Morgen« und »Auf Wiedersehen«, die wirklich ein Hauptwort enthalten.
Wenn auf »herzlich« verzichtet wird und »willkommen« an den Satzanfang rückt, dann wird es freilich auch als Wiewort großgeschrieben.
Der aus dem Englischen übernommene Modernismus »Willkommen zurück!« (»Welcome back!«) schreibt sich zwar mit großem »Willkommen«, aber nicht mit großem »Zurück«, es sei denn, »Zurück« ist der Name eines Menschen, den man mit ausgelassenem Komma begrüßt. Das Gleiche gilt auch für »Willkommen daheim« und »Willkommen zuhause«.
Viele Händler meinen, Eigenschaftswörter großschreiben zu müssen, um sie besonders hervorzuheben: »Ständig Neue Angebote«, »Nur Feinste Qualität«, »Kostet nichts Extra« oder »Heute Geschlossen!«. Wenn ein Wort betont werden soll, kann man es unterstreichen, in Fettschrift oder Kursivschrift setzen oder in VERSALIEN schreiben. Plötzliche Großschreibung, Wo Kleinschreibung erwartet Wird, schafft Keine Betonung, Sondern Verwirrung.
Mehr dazu im Kapitel »Liebling, Was Wird Nun Aus Uns Beiden?«
Zum Komma in Grußformeln siehe »Hello, Dolly!«
Auch das kleine Wörtchen »bitte« bereitet Probleme. Einerseits beim Aussprechen, das vielen einfach nicht gelingen will. Andererseits beim Schreiben: »Hier Bitte Münzen einwerfen« steht auf einem Automaten oder »Affen Bitte nicht füttern« an einem Tiergehege. Dabei ist »bitte« ein Adverb und als solches bitte nur dann großzuschreiben, wenn es am Satzanfang steht. Danke!
Beim »bitte«-Schwesterwort »danke« ging die Verwirrung so weit, dass die Rechtschreibreformer beschlossen, die Großschreibung für zulässig zu erklären. Nicht beim Verb »danken« (»Ich Danke dir« ist nach wie vor falsch), sondern beim Adverb »danke«: »Ich möchte dir Danke sagen«. Das ist heute erlaubt, sogar empfohlen. Die klassische Schreibweise »Ich möchte dir danke sagen« ist nur noch zweite Wahl. Als ich meine Freundin Sibylle einmal per SMS fragte, ob ich sie ins Kino einladen dürfe, schrieb sie neuorthografisch korrekt, doch in der für sie typischen verdrehten Weise zurück: »Da sage ich nicht Danke!«
In der nächsten Rechtschreibreform wird dann vielleicht »Herzlich Willkommen« für korrekt erklärt und »Neues Jahr« zum Namen ernannt. Das möchte ich aber »Bitte« nicht mehr erleben müssen!
Inhaltsverzeichnis
Eine Passauer Schulleiterin hat an ihrer Schule ein Verbot für die Grußwörter »hallo« und »tschüs« erlassen. Ob das den Schülern hilft, sich besser in der Welt zurechtzufinden? Und sind diese Wörter wirklich so unangemessen, wie die bayerische Pädagogin glaubt?
Es war eine seltsam unzeitgemäße Meldung, die an einem frostigen Wochenbeginn im Januar 2012 für Aufregung und Erheiterung sorgte: Eine Schulleiterin im bayerischen Passau hatte an ihrer Schule ein Verbot für die Grußwörter »hallo« und »tschüs« erlassen. Sie empfinde diese als respektlos, gab sie als Begründung an. Außerdem sei gerade das norddeutsche »tschüs« alles andere als bayerisch. Daher habe sie ihre Schule zur »hallo- und tschüs-freien Zone« erklärt. Wer sich nicht mit »Grüß Gott!« anfreunden könne, der solle »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen« sagen.
Einerseits war diese Nachricht erfreulich, denn wenn die Passauer keine größeren Sorgen hatten als ein respektlos erscheinendes »hallo« oder »tschüs«, dann schien es ihnen beneidenswert gut zu gehen. In anderen Gegenden Deutschlands, gerade in urbanen Ballungsräumen, sind manche Lehrer schon froh, wenn ihre Schüler sie überhaupt eines Grußes würdigen, und sei es nur »Morgen!«, »Tach!« oder »Na!«. Aber von derartigen Zuständen ist man in Passau zum Glück (noch) weit entfernt. Selig sind die Randgemeinden!
Es ist auch nichts dagegen zu sagen, dass eine Schulleiterin sich bemüht, ihren Schülern gute Umgangsformen zu vermitteln. Respekt ist eine wertvolle Tugend und sollte, genau wie Rücksichtnahme, Fairness und Umweltbewusstsein, im Schulunterricht regelmäßig thematisiert werden.
Doch die Frage ist, ob der Weg über ein Verbot der richtige ist. Man kann sich Wörter verbitten, die beleidigend sind. Verbale Grobheiten und Gemeinheiten kann man untersagen. Im Falle der Passauer Rektorin ging es aber nicht um vorsätzliche Beleidigungen oder Grobheiten, sondern lediglich um eine gefühlte Respektsverletzung und um veränderte Sprachgewohnheiten.
Denn objektiv gesehen sind »hallo« und »tschüs« nicht Ausdruck mangelnden Respekts. Sie sind vielleicht nicht in jeder Situation die erste Wahl. In bestimmten Zusammenhängen empfiehlt sich der Zugriff auf ein anderes sprachliches Register. Vorausgesetzt, man verfügt über die Fähigkeit, verschiedene Register zu bedienen.
Jemanden in Köln, Berlin oder München auf der Straße mit »Hallo!« anzurufen, ist nicht ungehörig, selbst wenn es sich um einen Fremden handelt. Freilich ist »hallo« eine ungezierte Form der Anrede, eher bodenständig als elegant, aber nicht unschicklich. Selbst von Damen des Adels wurde ich schon mit »Hallo, Herr Sick!« begrüßt, ohne dass es mir unangemessen erschienen wäre. So mancher Pastor beginnt seine Predigt mit den Worten »Hallo, liebe Gemeinde«, ohne dass er deswegen mit Steinen aus der Kirche gejagt würde. Dass »hallo« so populär wurde, ist dem Telefon zu verdanken. Der Ursprung des Wortes ist nicht eindeutig geklärt: Sprachforscher nehmen an, es komme vom Ruf »Hol über!«, mit dem in früheren Zeiten der Fährmann herbeigerufen wurde. »Hol über!« wurde zunächst zu »holla« (wie heute noch in »Holla, die Waldfee!«), später dann, unter dem Einfluss des Englischen, zu »hallo«. Parallel zu unserem »holla« hatte sich nämlich in England im 16. Jahrhundert der Gruß »hello« entwickelt. Die Franzosen machten daraus »allô« und die Spanier »hola«. Mit der Verbreitung des Fernsprechwesens im 19. und 20. Jahrhundert trat das praktische »hello/hallo/allô/hola« seinen Siegeszug um die ganze Welt an. Der Erfinder des Telefons, Graham Bell, hatte sich noch für »ahoy« als telefonische Begrüßung ausgesprochen, doch Thomas Edison, der die Erfindung weiterentwickelte, setzte »hallo« durch. Dank des Telefons ist »hallo« auch bei uns in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert.
Die Geschichte des Wortes »tschüs« ist ähnlich international: Es kommt vom spanischen »adiós« (»Geh mit Gott!«) und wurde von den Seefahrern zunächst in die spanischen Niederlande gebracht, wo es sich zu »atjüs« entwickelte. Von dort gelangte es als »atschüs« und »tschüs« nach Norddeutschland. Die Schwaben indes übernahmen das französische »adieu« und machten daraus »ade«. Die Bayern pflegten ihr zünftiges oberdeutsches »Pfiati!« oder »Pfiagod!« (»Behüte dich Gott!«), und in Österreich sagt man noch heute beim Abschied leise »servus«.
Dass »tschüs« manchem dialektverhafteten Bayern fremd erscheint, ist daher verständlich. Der Mensch mag, was er gewohnt ist, und was ihm fremd ist, das lehnt er meistens erst einmal ab. Doch ein Verbot führt in die falsche Richtung. Zudem ruft die Begründung, »tschüs« sei »unbayerisch«, unangenehme Erinnerungen an Zeiten wach, in denen alles verboten wurde, was »undeutsch« war.
Anstelle eines unproduktiven Verbotes sollte man besser eine produktive Unterrichtseinheit zum Thema Grußformeln ansetzen. Den Schülern sollten alle Möglichkeiten der Begrüßung und Verabschiedung vorgestellt und die Vielfalt der regionalen und sozialen Unterschiede aufgezeigt werden; man sollte sie lehren, die Nuancen zu erkennen – ein »hallo« klingt beispielsweise schon ganz anders, wenn ihm ein »Frau Lehrerin!« angehängt wird. Anschließend könnte man die Schüler einen Aufsatz schreiben lassen mit dem Thema »Was ich wem zur Begrüßung sage und warum«. Das dürfte sich förderlicher auf die Sprachkompetenz der Schüler auswirken als ein Verbot. Denn nicht durch Verbote, sondern allein durch Aufklärung und Bildungsarbeit erzieht man mündige, verantwortungsbewusste Bürger.
Einen Tag nach Bekanntwerden des Passauer Schildbürgerstreichs gastierte ich mit meinem Bühnenprogramm »Nur aus Jux und Tolleranz« im Münchner Prinzregententheater. In Anspielung auf die Zeitungsberichte bat ich das Münchner Publikum um Entschuldigung, falls ich bei der Verabschiedung nicht die richtigen Worte fände. Ich sei nun mal ein Hanseat, und als solcher ginge mir ein »tschüs« wie selbstverständlich über die Lippen. Doch weder wollte ich ihre Gefühle verletzen noch ihre Ohren beleidigen, daher sei ich gerne bereit, mich den bayerischen Gepflogenheiten anzupassen und mich mit »servus« oder »pfiagod« zu verabschieden. Daraufhin brachen die Münchner in schallendes Gelächter aus. Beim anschließenden Signieren erfuhr ich den Grund: »Hier sagt niemand mehr ›servus‹ oder ›pfiagod‹«, erklärte man mir, »in München sagt man ›ciao‹!«
Weiteres zu Anredeformen:
»Sie oder sie – du musst Dich entscheiden« (»Dativ«-Band 2)
»Hallo, Fräulein!« (»Dativ«-Band 3)
»Siezt du noch, oder duzt du schon?« (»Dativ«-Band 4)
»Hello, Dolly!«
Inhaltsverzeichnis
Oft sind es Kleinigkeiten, an denen sich ein großer Streit entzünden kann. Kleinigkeiten wie ein Brötchen zum Beispiel. In einem Zeitungsinterview regte sich Wolfgang Thierse darüber auf, dass die gute alte Berliner Schrippe immer häufiger als Wecke angeboten werde. Damit brachte er die Schwaben gegen sich auf.
Während sich die Deutschen vor dem Jahreswechsel 2012/2013 mit den üblichen Böllern und Feuerwerksraketen eindeckten, explodierte in Berlin ein Silvesterkracher ganz anderer Art. Gezündet wurde er von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der in einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« sein Missfallen an den Veränderungen in seinem Heimatstadtteil Prenzlauer Berg zum Ausdruck brachte. Er klagte über die angebliche Unlust der zugewanderten Schwaben, sich an die Berliner Lebensart und das Berlinische anzupassen. »Ich ärgere mich, wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken«, sagte Thierse. In Berlin sage man »Schrippen«, daran sollten sich auch die Schwaben gewöhnen. Das gelte auch für anderes Backwerk, wie zum Beispiel »Pflaumendatschi«. »Was soll das?«, fragte Thierse, »in Berlin heißt es Pflaumenkuchen!«
Klare Worte aus dem Munde eines Pfannkuchens! So nämlich heißt der Berliner in Berlin. Dass es nicht immer leichtfällt, sich mit Veränderungen abzufinden, liegt in der Natur des Menschen. Auch dass man sich durch Einflüsse fremder Kulturen verunsichert fühlen kann, ist nicht ungewöhnlich. Wenn heute Kritik am Sprachwandel geübt wird, dann geht es dabei meistens um die vielen englischen Wörter, die in den vergangenen Jahrzehnten ins Deutsche eingeflossen sind. Dass jemand an der Ausbreitung des Schwäbischen Anstoß nimmt, wirkt dagegen geradezu drollig. Nicht über neumodische Backwaren wie Donuts, Muffins, Bagels, Brownies und Wraps wurde sich hier ereifert, sondern über Wecken.
Natürlich weckte Herr Thierse mit seinem Anti-Wecken-Ruf den Widerspruch einiger wackerer Schwaben. Mit Verweis auf den Länderfinanzausgleich machten baden-württembergische Politiker deutlich, dass die Berliner ohne die Hilfe der Schwaben deutlich kleinere Brötchen backen müssten, egal ob Wecken oder Schrippen. Außerdem seien für den Berliner offenbar alle Westdeutschen Schwaben, auch wenn sie aus Rheinland-Pfalz, Hessen oder Bayern stammten.
Tatsächlich schien Wolfgang Thierse in seiner Erregung Gebäckstücke von unterschiedlicher Herkunft in einen Topf geworfen zu haben. Ein schwäbischer Leser wies darauf hin, dass es in Schwaben keinen »Pflaumendatschi« gebe, sondern allenfalls »Zwetschgakuacha«. Das Wort »Datschi« (von datschen/tatschen = hinklatschen, breitdrücken) ist eher in Bayern beheimatet. Dort gibt es übrigens so manche Spezialität, die man als Auswärtiger nur ungläubig bestaunen kann, zum Beispiel »Ausgezogene«, ein Schmalzgebäck. Ausgezogene (bairisch Auszogne) werden auch »Knieküchle« genannt, weil der Teig über dem Knie in die Länge gezogen, also ausgezogen wird. Was würde Herr Thierse erst denken, wenn ihm im Schaufenster »Ausgezogene für nur 1 Euro!« angeboten würden. »Jetzt machen diese Schwaben aus unserer Berliner Bäckerei auch noch eine Peepshow!«
In Hamburg und Schleswig-Holstein heißt das Weizenbrötchen traditionell »Rundstück«. Doch unter diesem Namen kennen es heute nur noch die Älteren. Das Rundstück verschwindet, stattdessen ist hier die Schrippe auf dem Vormarsch. Vielleicht sollte Herr Thierse nach Hamburg ziehen, dann müsste er sich nicht länger von Wecken überfremdet fühlen. Allerdings bekäme er es dann mit der »Hansesemmel« zu tun, einem Bäckereierzeugnis, das gegensätzliche Kulturen auf knusprige Art in sich vereint.
Der deutsche Sprachraum gliedert sich in drei große Zonen: eine Brötchenzone im Norden, eine Weckenzone im Südwesten und eine Semmelzone im Südosten. Berlin hat, nicht zum ersten Mal in der Geschichte, einen Sonderstatus – als Schrippeninsel. Die Übergänge zwischen den Zonen sind fließend, und die Zahl der regionalen Varianten ist groß. Nirgends aber ist sie so groß wie in Franken.