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Neues aus dem Tiergarten der deutschen Sprache Uhu – Tier und Kleber in einem! Aber wie sieht das Ganze im Plural aus? Uhus oder vielleicht doch eher Uhue? Und was ist dann mit dem Kuckuck, sprechen wir da von Kuckucks oder Kuckucken? Sprachpflege oder Tierpflege – auch für Bastian Sick häufig genug eine Herausforderung.´ Abermals taucht Bastian Sick in die tiefen Wasser – oder Wässer? – der abenteuerlichen deutschen Sprache ein und begibt sich auf die Jagd nach Zwiebelfischen. Er nimmt den Leser mit auf eine unterhaltsame Reise in die Welt der Stilblüten und Paradoxe, der grandiosen etymologischen Verballhornungen und regionalen Besonderheiten. Warum heißt der Maulwurf eigentlich Maulwurf? Wachsen Schattenmorellen im Schatten? Ist der Hirsch das männliche Pendant zum Reh und was hat das alles mit Bambi zu tun? Spätestens wenn man von ›eingefleischten Vegetariern‹ spricht, dann sind Flora und Fauna ein undurchdringlicher Dschungel. Auf humorvolle Weise beweist Bastian Sick zum nunmehr vierten Male, dass man eben nie auslernt!
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Seitenzahl: 213
Bastian Sick
Folge 4 Das Allerneueste aus dem Irrgarten der deutschen Sprache
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Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Bastian Sick
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Liebe Leserinnen und Leser!
Wenn der Timo mit der Leonie
Willkommen in der Marzipanstadt
Heute schon gegronsen?
Der mit dem Maul wirft
Rindswahn und anderer Schweinekram
Die weibliche Mut
Ohne jegliches sprachliche(s) Gefühl
Grüner Eintopf mit Bohnen
Liebet einander!
Grüße aus dem Jenseits
Vom Fliegen, Fahren, Gehen und Laufen
Das Paarungsverhalten der Uhue
Welche LZA, Herr PVB?
Büro zu mieten?
Wenn du und er wollt
Was meint eigentlich Halloween?
Teechen oder Käffchen?
Stille Wässer sind tief
Geradewegs auf die schiefe Ebene
Darauf können Sie zählen!
Quatsch mit so Soße
Als die Flamme verlöschte
Wo holen seliger denn nehmen ist
Wenn man könnte, wie man wöllte
Immer wieder einmal gerne
Weil er mich sitzen hat lassen
Siezt du noch, oder duzt du schon?
Ich hab noch einen Koffer in Berlin zu stehen
Manche mögen’s apfelig
Kommt ein Flieger geflogen
Ich bin die gelbe Markise
Älter ist jünger
Schweizgebadet
Ungleiche Schwestern
Safran, öffne dich!
Der Ganzkörperdativ
Bei zuen Gardinen und ausem Licht
An? Zu? Geschenkt!
So schnackt der Norden
Pföne gepfäumte Mupfel
Deutch ins Grundgesätz!
Deutsch aus dem Kosmetikköfferchen
Register
Inhaltsverzeichnis
Nicht jeder ist des zweiten Falles mächtig, aber wenigstens doch dem dritten. Und genau deswegen – um nicht zu sagen demwegen – gehen Dativ und Genitiv nun in eine neue Runde. Zum vierten Mal. Und Sie können bei diesem spannenden Kampf wieder hautnah mit dabei sein!
Ich komme ja inzwischen recht viel herum. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und in der Schweiz. Im vergangenen Jahr habe ich sogar eine Südamerika-Tournee gemacht. Dieses Jahr war ich zu Lesungen in Spanien und in Ägypten. Fast überall auf der Welt leben Deutsche, und fast überall auf der Welt macht man sich Gedanken darüber, wie man sich der deutschen Sprache richtig bedient. Als ich mich vor einiger Zeit auf Einladung der Deutschen Schule in Palma de Mallorca aufhielt und mich in einem Straßencafé auf meinen Vortrag vorbereitete, setzte sich ein deutsches Urlauberpaar aus Berlin zu mir an den Tisch. Die Frau zeigte sogleich großes Interesse an meinen Unterlagen: »Woran schreiben Sie denn da?«, wollte sie wissen. Ich erklärte ihr, dass ich Geschichten über die deutsche Sprache verfasse und dass ich damit auf Tournee gehe und gelegentlich sogar im Fernsehen auftrete. Da sagte der Mann anerkennend: »Ich finde es richtig, dass sich mal jemand dem Thema deutsche Sprache annimmt!« Seine Frau blickte ihn leicht entsetzt von der Seite an und berichtigte: »Des Themas deutsche Sprache!« Woraufhin er nur zustimmend nickte und erwiderte: »Ja, das auch!«
Bei einer anderen Gelegenheit wurde ich gefragt, ob ich denn tatsächlich auf jede Frage eine Antwort habe. Nein, das habe ich natürlich nicht. Manchmal kann ich mich nur auf mein Bauchgefühl verlassen, und das ist nicht immer unbedingt auf dem neuesten Stand. Unlängst erhielt ich einen Anruf von einem Polizeioberrat aus Hessen, der von mir wissen wollte, ob die Anleitung für den Umgang mit Diensthunden, an der seine Behörde zurzeit arbeite, ein Leitfaden für das Diensthundwesen sei oder für das Diensthundewesen – ob das Wort also mit einem »e« zwischen Hund und Wesen geschrieben werden müsse oder nicht. Da kamen mir zunächst andere Zusammensetzungen mit dem Wort »Hund« in den Sinn: Hundeleine, Hundefutter, Hundemarke – die werden immer mit der Hunde-Mehrzahl gebildet. Selbst die Hundesteuer ist keine Hundsteuer, obwohl die Juristen doch sonst so beharrlich jedes Fugenzeichen vor der Steuer tilgen: Einkommensteuer statt Einkommenssteuer, Grunderwerbsteuer statt Grunderwerbssteuer usw. Ich konnte keinen Grund erkennen, weshalb ein Diensthund sprachlich anders behandelt werden sollte als ein ganz gewöhnlicher Hund, daher riet ich dem Polizeioberrat, die Hunde auch in dienstlichen Zusammenhängen in die Mehrzahl zu setzen und seinen Leitfaden um das Diensthundewesen zu wickeln. »Darf ich mich auf Sie berufen?«, fragte er. Das dürfe er gern, erwiderte ich und legte auf. Anderntags ging ich mit meinem Neffen in den Zoo. Als es zu klären galt, wo wir uns wiedertreffen wollten, sollten wir in der Menge getrennt werden, machte ich den Vorschlag: »Am Nilpferdbecken!« Und da durchfuhr es mich plötzlich: Ich hatte wie selbstverständlich »Nilpferdbecken« gesagt. Nicht etwa »Nilpferdebecken«, obwohl ich doch bei jeder einfachen Zusammensetzung das Pferd in die Mehrzahl setzen würde: Pferdewiese, Pferderennen, Pferdehafer, Pferdewurst. Beim Nilpferd aber habe ich mich intuitiv für die Einzahl entschieden, obwohl in dem Becken garantiert nicht nur ein einziges Nilpferd herumplantscht. Trotzdem hörte es sich nicht falsch an. Offenbar gab es eine Regel, die es erlaubte, ein Tier bei Zusammensetzungen in der Einzahl zu lassen, und zwar wenn dem Tier (wie hier dem Pferd) ein Bestimmungswort (Nil) vorausging. Demnach musste es auch erlaubt sein, vom »Diensthundwesen« zu sprechen. Zu dumm, dass ich mir die Telefonnummer des Polizeioberrats nicht notiert hatte. So konnte ich ihn nicht mehr anrufen, um ihm von dieser Erkenntnis zu berichten. Ich konnte sie aber zu einer Kolumne verarbeiten, wie in dem Kapitel »Rindswahn und anderer Schweinekram« (ab Kapitel »Rindswahn und anderer Schweinekram«) geschehen.
Nach dem Erscheinen meines ersten Buches wurde mir häufiger die Frage gestellt, ob ich denn glaube, mit meinen Kolumnen irgendetwas verändern zu können. Nein, habe ich dann immer geantwortet, ich bilde mir nicht ein, irgendetwas zu bewirken. Aber wenn es mir gelingt, dass sich ein paar Menschen von mir gut unterhalten fühlen, und ich sie gleichzeitig zum Nachdenken anregen kann, dann habe ich viel erreicht. Heute wird mir diese Frage nicht mehr gestellt. Denn dass sich etwas tut in unserer Gesellschaft, dass die Sensibilität für sprachliche Themen stärker ausgeprägt ist als vor zehn Jahren, daran besteht kein Zweifel mehr. Es werden zwar immer noch jede Menge Fehler gemacht (schließlich sind und bleiben wir Menschen), aber überall finden sich deutliche Anzeichen für einen Wandel – zum Teil an völlig unerwarteten Orten. So entdeckte ich in einer »Saturn«-Filiale in Leipzig ein Schild, das dem Kunden den Weg zu »CD s« und »DVD s« wies. »Endlich mal keine apostrophierten CD’s und DVD’s«, dachte ich erfreut. Allerdings schien mir die Lücke vor dem jeweiligen Plural-s etwas zu breit geraten. Als ich näher an das Schild herantrat, erkannte ich die feinen Umrisse zweier Apostrophe, die dort ursprünglich geklebt hatten. Irgendjemand musste sie zwischenzeitlich abgekratzt haben – vielleicht ein Mitarbeiter, der meine Bücher gelesen hatte. Vielleicht war es auch auf Anweisung von höchster Stelle geschehen: »Liebe Mitarbeiter, alle Plural-Apostrophe sind umgehend von sämtlichen Schildern zu entfernen. Dinge wie PC’s und Notebook’s gibt es ab sofort nur noch bei der Konkurrenz! Wir sind doch schließlich nicht blöd!«
Ein weiteres Beispiel für die Wirkung meiner Bücher erlebte ich kürzlich beim Bäcker. Die Dame vor mir hatte gerade ein äußerst appetitlich aussehendes Brötchen mit Käse bestellt, und als ich an die Reihe kam, sagte ich hungrig: »Ich nehme dasselbe, bitte.« – »Das geht nicht«, erwiderte die Verkäuferin knapp. »Wieso denn nicht?«, fragte ich perplex. »Ich kann dasselbe Brötchen nicht zweimal verkaufen. Das müssten Sie dann schon mit der Dame aushandeln, ob die Ihnen ihr Brötchen abtritt. Ich könnte Ihnen höchstens das gleiche anbieten, aber nicht dasselbe!« – »Donnerwetter, Sie nehmen es aber genau mit der Sprache!«, sagte ich und fühlte mich auf unangenehme Weise ertappt. »Freilich«, erwiderte sie in einem Ton, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, »kennen Sie nicht das Buch ›Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod‹?« Ich schluckte trocken. »Nein«, log ich, »davon habe ich noch nie gehört!« Dann zahlte ich hastig, setzte meine Sonnenbrille auf und verließ das Geschäft. Als ich später meiner Freundin Sibylle von diesem peinlichen Erlebnis berichtete, rief sie begeistert aus: »Es ist so weit! Die Bevölkerung schlägt zurück!« In diesem Sinne: Ring frei für die nächste Runde! Viel Vergnügen wünscht Ihnen Ihr
Bastian Sick
Hamburg, im August 2009
Inhaltsverzeichnis
An so manchen Fragen scheiden sich die Geister: Wird ein Alsterwasser mit Orangen- oder Zitronenlimonade gemacht? Isst man zum Spargel Schinken oder Ei? Und: Gehört vor einen Vornamen ein Artikel oder nicht?
Heißt es »Helmut und Karin« oder »der Helmut und die Karin«? Ist das eine besser als das andere, gibt es ein »Richtig« oder »Falsch«? Für viele ist dies eine Glaubensfrage, der sie eine ebenso große Bedeutung beimessen wie der Unterscheidung zwischen links und rechts, katholisch und evangelisch, Ossis und Wessis. Ob Helmut und Karin bessere Deutsche sind als andere, ist ungewiss. Für viele steht indes fest, dass sie besseres Deutsch sind.
Manch einer erinnert sich vielleicht noch mit leichtem Erschauern an die eine oder andere studentische Diskussion mit Wortbeiträgen der folgenden Art: »Also, was die Britta da gerade angesprochen hat, das finde ich total wichtig. Auch den Einwand von der Ulla kann ich nur unterstreichen. Ich würde aber trotzdem gern noch mal auf das zurückkommen, was der Frank vorhin gesagt hat …«
Ein ehemaliger Studienkollege namens Daniel war berühmt für seine zahlreichen, leider selten erfolgreichen Anläufe, mit einem Vertreter des weiblichen Geschlechts in Kontakt zu treten. Auf irgendeiner Wohnungseinweihungsfeier hatte Daniel eine attraktive Jurastudentin ins Auge gefasst, eilends das Wichtigste (Name: Barbara, derzeitiger Status: Single) über sie in Erfahrung gebracht, um sich alsbald mutig an sie heranzupirschen. »Hallo, ich bin der Daniel«, sagte Daniel. »Und du bist die Barbara, stimmt’s?« Die Reaktion fiel nicht ganz so euphorisch aus, wie Daniel erhofft hatte. »Ich heiße Barbara!«, stellte die Angesprochene richtig; »ob ich die Barbara bin, hängt davon ab, was du dir unter der Barbara vorstellst. Es gibt allein in dieser Stadt mehrere Hundert verschiedene Barbaras. Um sicher zu sein, dass ich die eine bestimmte bin, die dir vorschwebte, als du mich ansprachst, müsste ich wissen, wie du die Barbara definierst!« Nach dieser wortreichen Eröffnung beschloss Daniel, sich für den Rest des Abends nur noch auf weniger anspruchsvolle Gesprächspartner einzulassen. »Hallo«, hörte ich ihn später hinter mir am Büfett brummen, »ich bin der Daniel. Und du bist die Bowle, stimmt’s?«
Irgendwo zwischen Nord und Süd verläuft eine unsichtbare Grenze, eine Art Äquator, der die deutsche Sprachlandschaft in zwei Hälften teilt: in eine bestimmte und in eine unbestimmte Vornamenszone. Im nördlichen Teil der Republik ist es nicht üblich, Eigennamen einen Artikel voranzustellen. Manch einer ist in dieser Frage sehr streng erzogen worden. »Bei uns hieß es früher: Die steht im Stall und du stehst daneben«, schrieb mir ein Leser. Er hatte gelernt, dass ausschließlich Tiere mit einem Artikel vor dem Namen genannt wurden: Wenn die Lotte und die Rosie Durchfall hatten, musste der Veterinär kommen, denn dann waren die Kühe krank. Demzufolge galt es als herabwürdigend, einen Menschen mit einem Artikel zu belegen. Ganz so streng wird es heute wohl nur noch in wenigen Familien gelehrt. Dennoch ist die Verwendung eines Artikels vor einem Namen im norddeutschen Sprachraum nach wie vor unüblich.
Es sei denn, man ist in einer Kita, einer Kindertagesstätte. Dort wird jedes Kind mit einem »der« oder »die« versehen. Das macht es den Kindergärtnerinnen leichter, sich das jeweilige Geschlecht ihrer Schützlinge zu merken. Bei Vornamen wie Eike, Kim, Dominique, Marian, Kersten, Elia, Yael oder Sidney ist schließlich nicht für jeden gleich ersichtlich, ob sich dahinter ein Junge oder ein Mädchen verbirgt. Aus diesem Grund gewöhnt man es sich in der Kita gleich als Erstes an, nur von »dem Elia« und von »der Kim« zu sprechen. Den Purzeln dürfte das völlig normal erscheinen. Es ist ja schließlich auch immer von der Mama und dem Papa die Rede.
Zeitweilig waren ja Doppelnamen wieder sehr in Mode. In den neunziger Jahren erreichte die Beliebtheit ihren Höhepunkt. Ich erinnere mich an einen Kindergärtnerinnen-Ausruf, der in meinem Freundeskreis fast zu einem geflügelten Wort wurde: »Thorben-Hendrik, lass den Jasper-Quentin in Ruhe und gib der Emily-Marie ihre Barbie zurück!« (Wobei ich nicht sicher bin, ob Barbie wirklich immer noch bloß Barbie heißt. Vielleicht hat man inzwischen eine neue Puppenkollektion eingeführt mit Doppelnamen wie Barbie-Kiara und Ken-Noah.)
Neben der klaren Geschlechtszuordnung gibt es für die oben beschriebene besondere Form der Kita-Grammatik noch einen weiteren plausiblen Grund: Der Umgang mit Kindern im Vorschulalter erfordert sprachliche Klarheit und Eindeutigkeit, sonst verstehen die Kleinen nicht, was gemeint ist. Die Zuordnung von Artikeln kann helfen, grammatische Bezüge deutlich zu machen, zum Beispiel in der Frage, wer wen getreten, gehauen oder geschubst hat. Die Aussage »Mirko hat Jan getreten, nicht Justin« kann nämlich auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Einmal mit Jan als Treter: »Den Mirko hat der Jan getreten«, dann mit Mirko als Treter: »Der Mirko hat den Jan getreten« – und dann noch mal jeweils mit Justin als Nicht-Treter (»nicht der Justin«) oder Nicht-Opfer: »nicht den Justin«. Je nachdem, in diesem Falle sogar: je nach dem Justin.
In Sprachgebieten, die noch stärker von Dialekten beeinflusst sind, hauptsächlich also in Mittel- und Süddeutschland, werden Vornamen grundsätzlich nur mit bestimmtem Artikel gebraucht. In Bayern und in Österreich konnten die Rosie und der Bruno schon zu allen Zeiten genauso gut zwei Menschen wie zwei Viecher sein, ohne dass irgendjemand daran Anstoß genommen hätte.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob Vornamen einen Artikel verdienen oder nicht, drängt sich noch eine weitere auf: Sind Frauen wirklich weiblich? Das scheint nämlich längst nicht überall ganz eindeutig zu sein. Nehmen wir nur mal Henrys Tanzpartnerin Uschi. Die ist in jungen Jahren viel herumgekommen. In Kiel und Hamburg hieß sie einfach Uschi, in Nürnberg und Regensburg rief man sie »die Uschi«, und in Köln und in Essen war sie »dat Uschi«.
Im Rheinland und angrenzenden Regionen werden Frauennamen traditionell mit dem bestimmten sächlichen Artikel (»dat«) versehen: dat Gerda, dat Uschi, dat Chantal. Dat kann man auch heute noch so hören. Frauenbewegung und Gleichberechtigung vermögen den Kölner offenbar nicht aus der Ruhe zu bringen. Beim Thema Frauen bleibt er ganz sachlich – genauer gesagt sächlich.
Meine Freundin Jana hörte es überhaupt nicht gern, wenn ihr Name in Verbindung mit einem weiblichen Artikel genannt wurde. Denn allzu leicht konnte der falsche Eindruck entstehen, sie heiße Diana. »Es heißt nicht die Jana, sondern einfach nur Jana«, musste sie immer wieder klarstellen. Einige nannten sie deswegen sogar schon Lady Di(e). Ich kann verstehen, dass einem das auf Dauer lästig wird. Seit ein paar Jahren lebt Jana nun im Saarland und fühlt sich dort sehr wohl. »Die reden hier zwar alle völlig unverständlich, aber immerhin sagt niemand mehr die Jana«, erklärte sie mir. »Für die Leute hier in Saarbrücken bin ich es Jana.«
Der bestimmte sächliche Artikel (Hochdeutsch »das«) ist im Saarländischen »es«, und das weibliche Pronomen »sie« ist ein »ähs«. Für jemanden, der aus Norddeutschland kommt, mag das im ersten Moment recht seltsam sein, aber Jana hat sich schnell daran gewöhnt. »Wenn ich es Jana bin, kann ich nicht mehr Diana sein – oder Lady Die.« Glückliche Jana! Manch einer mag einen Umzug ins Saarland als Abstieg empfinden – für Jana war’s ein Aufstieg. Ein Aufstieg in die Es-Klasse!
»Es« einen Freud, der anderen Leid: Eine Leserin, deren Name tatsächlich Diana lautet, machte mich auf eine weitere Variante der Namensverwechslung aufmerksam. Seit sie nach Bayern gezogen sei, müsse sie immer wieder mit dem Missverständnis aufräumen, ihr Name sei Anna. Denn wenn sie sich als »Diana« vorstellt, verändert das bayerische Ohr das automatisch in »die Anna«. Wie bin ich froh, dass ich nicht Derrick heiße!
Inhaltsverzeichnis
So wie Menschen sich gern mit Titeln schmücken, so tragen auch immer mehr Städte einen Namenszusatz: Messestadt, Universitätsstadt, Festspielstadt. Zur Not tut es auch ein Dom, ein Kaiser oder eine römische Ruine.
Gelegentlich kommt es vor, dass zwei kleinere Ortschaften zu einer größeren vereint werden. Dabei entstehen dann kuriose Doppelnamen wie Hellenhahn-Schellenberg, Billigheim-Ingenheim, Orsingen-Nenzingen oder Peterswald-Löffelscheid.
So etwas geschah auch mit dem schönen Städtchen Wittenberg. Es wurde irgendwann mit einem Ort namens Lutherstadt vereint, und seitdem gibt es den Namen Wittenberg nicht mehr allein. Seitdem ist nur noch von »Lutherstadt Wittenberg« die Rede. Auf allen Ortsschildern, auf den Tafeln im Bahnhof, auf Ansichtskarten und auch im Internet, überall kann man es so lesen. Wie ich zu meiner Schande gestehen muss, kannte ich bislang nur Wittenberg. Von einem Ort namens Lutherstadt hatte ich zuvor nie gehört. Aber man lernt bekanntlich nie aus.
Wenn Sie jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und rufen: »Das darf ja wohl nicht wahr sein, der will mich wohl veräppeln – Lutherstadt ist doch nur ein Beiname für eine Stadt, in welcher der Reformator Martin Luther gewirkt hat!«, dann seien Sie beruhigt – das ist mir schon klar. Aber vielen anderen, gerade jüngeren Menschen ist dies nicht klar – denn bei der Hartnäckigkeit, mit der von »Lutherstadt Wittenberg« gesprochen und dabei der Artikel weggelassen wird, bleiben Missverständnisse nicht aus. Selbst der Zugführer im ICE spricht es wie einen Doppelnamen aus: »In wenigen Minuten erreichen wir Lutherstadt Wittenberg.« Wenn er sagte »In wenigen Minuten erreichen wir die Lutherstadt Wittenberg«, dann wäre die Sache klar. Doch so klingt es irritierend. Ich komme ja auch nicht »aus Hansestadt Hamburg«, sondern allenfalls aus der Hansestadt Hamburg. Aber meistens genügt mir ein schlichtes »Ich komme aus Hamburg«. Wittenberg ist übrigens nicht die einzige Stadt, die sich mit dem Namen des Reformators Martin Luther schmückt, auch Eisleben nennt sich Lutherstadt. Dem »Bund der Lutherstädte« gehören insgesamt sogar nicht weniger als 15 Städte an.
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich eine Stadt ihrer Geschichte und ihrer berühmten Söhne und Töchter besinnt und diese stolz nach außen kehrt. Bedenklich wird es nur, wenn der Name der Stadt hinter dem Beinamen verblasst.
Zwischen 1953 und 1990 hieß die sächsische Stadt Chemnitz Karl-Marx-Stadt. Nicht etwa »Karl-Marx-Stadt Chemnitz«, so wie »Lutherstadt Wittenberg«, sondern nur Karl-Marx-Stadt. Der Name »Chemnitz« war abgeschafft worden. Während der Wende beschlossen die Chemnitzer dann, ihre Stadt wieder umzubenennen. Sie hatten ohnehin nie »Karl-Marx-Stadt« gesagt, sondern eher etwas in der Art wie »Gorl-Morks-Stott«. Der Name Karl Marx war also wieder frei. Eigentlich hätte sich daraufhin seine Geburtsstadt Trier den Beinamen »Karl-Marx-Stadt« zulegen können, aber die nennt sich lieber Römerstadt oder Kaiserstadt. Kaiserstädte gibt es allerdings mehrere, Domstädte erst recht, und die Zahl der Messestädte und Universitätsstädte ist kaum noch zu überblicken. Auch Rosenstädte, Gartenstädte, Bierstädte und Weinstädte gibt es zuhauf, und selbst Filmstädte und Chemiestädte finden sich mehrfach auf der deutschen Landkarte.
Glücklich, wer da mit einem Prädikat werben kann, das einzigartig ist. So wie die »Leineweberstadt Bielefeld« oder die »Rattenfängerstadt Hameln«. Auf einer meiner Lesereisen durchs wilde Westfalen hielt der Zug in einem Ort namens Bünde, der sich, wie ich dem Hinweisschild auf dem Bahnsteig entnehmen konnte, »Zigarrenstadt« nennt. So erfährt der Reisende, dass dieser Ort weit mehr ist als nur ein »Mittelzentrum«, das »Versorgungsfunktionen für einen überörtlichen Raum« erfüllt, wie es im Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalens über Bünde heißt.
Wer nicht mit einem berühmten Dichter oder Komponisten aufwarten kann, bedient sich halt bei den Bösewichten und Schelmen, so wie die »Störtebekerstadt Ralswiek« und die »Eulenspiegelstadt Mölln«.
Berlin ist nicht nur die bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands, sondern mit mehr als 100.000 registrierten Haushunden auch die Stadt mit dem größten Hundebestand. Darauf scheint man aber nicht besonders stolz zu sein, jedenfalls sind Hinweise auf die »Hundestadt Berlin« nur spärlich gesät. Die schöne Stadt Bonn, ehemals bekannt als Bundeshauptstadt ohne nennenswertes Nachtleben, darf sich seit dem Umzug der Bundesregierung immerhin noch »Bundesstadt« nennen. Und seit vor wenigen Jahren die Vereinten Nationen in Bonn ansässig geworden sind, ist Bonn auch UN-Stadt. Man muss beim Schreiben nur darauf achten, dass die automatische Rechtschreibkorrektur den zweiten Großbuchstaben nicht in einen kleinen verwandelt, denn dann gerät Bonn zur Un-Stadt.
Einigen Städten scheint ein einzelner Zusatz längst nicht mehr zu reichen. Bayreuth mag sich nicht damit begnügen, nur mit Richard Wagner assoziiert zu werden. Die Stadt nennt sich »Festspiel- und Universitätsstadt«. Obwohl es fairerweise »Festspiel- oder Universitätsstadt« heißen müsste, denn die Chancen, an Festspielkarten zu gelangen, stehen für Studenten ziemlich schlecht.
Namenszusätze machen eine Stadt aber nicht unbedingt bedeutender, in der Fülle lassen sie sogar auf eine Profilneurose schließen. Ein schlichtes »Willkommen in Gießen« oder »Willkommen in Tübingen« lässt dem Besucher noch ein paar Illusionen, es regt seine Fantasie an und macht ihn womöglich neugierig, diese Stadt zu entdecken, die sich so selbstbewusst und unprätentiös präsentiert. Wenn er aber mit den Worten »Willkommen in der Messe- und Universitätsstadt« empfangen wird, hat er bereits am Bahnhof die Gewissheit, in der Provinz angekommen zu sein.
Der Trend zur Namensverlängerung ist allerdings kaum noch aufzuhalten. Vielleicht werde ich in nicht allzu ferner Zukunft am Bahnhof meiner Geburtsstadt Lübeck von einer Lautsprecherstimme mit den Worten begrüßt: »Willkommen in der Hanse-, Mann- und Marzipanstadt Lübeck!« Dann kann ich eigentlich gleich sitzen bleiben und durchfahren bis zur »Förde-, Landeshaupt- und Universitätsstadt Kiel«.
Eine Auswahl deutscher Städte mit bemerkenswerten Beinamen
(offiziellen und inoffiziellen)
Altenburg (Thüringen)
Skatstadt
Bad Säckingen (Baden-Württemberg)
Trompeterstadt
Bautzen (Sachsen)
Senfstadt
Beckum (NRW)
Zementstadt
Beelitz (Brandenburg)
Spargelstadt
Bielefeld (NRW)
Leineweberstadt
Bonn (NRW)
Bundesstadt, UN-Stadt
Bremen
Stadtmusikantenstadt
Bünde (NRW)
Zigarrenstadt
Döbeln (Sachsen)
Stiefelstadt
Essen (NRW)
Einkaufsstadt
Geldern (NRW)
Landlebenstadt
Gifhorn (Niedersachsen)
Zickenstadt
Glashütte (Sachsen)
Uhrenstadt
Grevenbroich (NRW)
Bundeshauptstadt der Energie
Hameln (Niedersachsen)
Rattenfängerstadt
Hohenmölsen (Sachsen-Anhalt)
Schwurhandstadt
Karlsruhe (Baden-Württemberg)
Fächerstadt
Kassel (Hessen)
documenta-Stadt
Kiel (Schleswig-Holstein)
Fördestadt, Handballhauptstadt
Lage (NRW)
Zieglerstadt, Zuckerstadt
Leipzig (Sachsen)
Buchstadt
Lüneburg (Niedersachsen)
Salzstadt
Mannheim (Baden-Württemberg)
Quadratestadt
Markgröningen (Baden-Württemberg)
Schäferlaufstadt
Meckenheim (NRW)
Apfelstadt
Mölln (Schleswig-Holstein)
Eulenspiegelstadt
Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern)
Vier-Tore-Stadt
Nürnberg (Bayern)
Meistersingerstadt, Lebkuchenstadt
Osnabrück (Niedersachsen)
Friedensstadt
Passau (Niederbayern)
Dreiflüssestadt
Pforzheim (Baden-Württemberg)
Goldstadt
Solingen (Nordrhein-Westfalen)
Klingenstadt
Ströbeck (Sachsen-Anhalt)
Schachdorf
Waltershausen (Thüringen)
Puppenstadt
Witzenhausen (Hessen)
Kirschenstadt
Woldegk (Mecklenburg-Vorpommern)
Windmühlenstadt
Wuppertal (NRW)
Schwebebahnstadt
Inhaltsverzeichnis
Das Perfekt hat seine Prinzipien. Genauer gesagt: seine Partizipien. Doch die sind alles andere als eindeutig. Warum sind sagenumwobene Schätze nicht einfach sagenumwebt? Warum hat die Erde gebebt und nicht geboben? Was wäre, wenn alle Verben unregelmäßig wären?
Beim Umgang mit unregelmäßigen Verben geraten wir Deutschen regelmäßig ins Schleudern. Ich selbst kann mich da nicht ausnehmen. Anlässlich des rustikalen Tollwood-Festivals in München habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Kuh gemolken. Das war neu und aufregend für mich – und offenbar auch verwirrend, denn in einem anschließenden Interview verstieg ich mich zu der Behauptung, ich hätte die Kuh »gemelkt«. Zum Glück hat die Zeitung das nicht gedrucken.
Die Unterscheidung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Verben macht einem das Erlernen der deutschen Sprache nicht gerade leichter. Die regelmäßigen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Hauptklang in allen Zeitformen behalten: ich lache, ich lachte, ich habe gelacht – immer ein »a«. Er siegt, er siegte, er hat gesiegt – immer ein »ie«. Sie kreischt vor Vergnügen, sie kreischte vor Vergnügen, sie hat vor Vergnügen … ja, meine Freundin Sibylle hätte jetzt »vor Vergnügen gekrischen«, aber erstens ist Sibylle in sprachlicher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, und zweitens ist kreischen ein regelmäßiges Verb. Das Ei von »kreischen« bleibt auch im Perfekt ein Ei.
Die unregelmäßigen Verben dagegen verändern ihren Klang. So wie bei »denken« zum Beispiel: Ich denke, ich dachte, ich habe … ja, das hab ich mir natürlich gleich gedacht, dass die Schwaben an dieser Stelle »I han mir denkt« murmeln.
Eine Leserin wollte von mir wissen, warum sie denn immer so komisch angeguckt würde, wenn sie sagt, sie habe beim Abbiegen »geblunken«. Ob das womöglich nicht richtig sei. Also, um eines klarzustellen: Selbstverständlich ist es richtig, beim Abbiegen zu blinken. Man sollte den Blinker sogar schon betätigen, bevor man abbiegt, um seine Absicht anzuzeigen. Mit einem nachträglichen Blinken ist niemandem gedient, daher ist die Frage, wie »blinken« im Perfekt heißt, eigentlich zweitrangig.
Wer beim Abbiegen allerdings weder geblinkt noch geblunken hat, darf sich auch nicht wundern, wenn er von einem anderen Fahrzeug gestriffen wird.
Es gibt Verben, bei denen ist man sich nie wirklich sicher. Wie lautet das Perfekt von »niesen«? Geniest, genießt, geniesen – oder gar genossen? Manch einer mag das Niesen genießen, der kann von sich behaupten, er habe es genossen, geniest zu haben. Und in Ostdeutschland konnte man noch bis 1989 die Frage hören: »Wer von euch hat geniest, Genossen?«
Werden elektronische Informationen versendet oder versandt? Im Zweifelsfall ist beides möglich. Ich habe oft das Gefühl, dass vieles von dem, was tagtäglich so versendet wird, am Ende irgendwo versandet. Für manch einen hat die Sonne nicht geschienen, sondern gescheint. Schließlich hat der Himmel ja auch nicht gewienen, sondern geweint.
Warum muss es überhaupt zwei Arten von Verben geben? Wäre es nicht viel leichter, wenn alle regelmäßig wären?
Ich breche, ich brechte, ich habe gebrecht – das wäre doch viel leichter zu lernen und zu behalten! Dann würde im Deutschen nicht mehr so viel »radegebrochen«.
Allerdings wäre es auch langweiliger. Viel interessanter wäre es doch, wenn alle Verben gleichermaßen unregelmäßig wären!
Noch aus seligen Schulzeiten kenne ich die Frage: »Selbst gekauft oder geschonken gekrochen?« Man machte sich einen Spaß daraus, Partizipien zu vertauschen und neue Ableitungen zu bilden. Gekrochen ist ja richtig, das kommt von »kriechen«, man kriecht etwas zum Geburtstag – aber »schenken, schank, geschonken« – das ist doch um einiges klangvoller als »schenken, schenkte, geschenkt«. Wenn man sich an diesen Gedanken erst einmal gewohnen hat, dann kann man viel Spaß mit den Verben haben!