Der Defizit-Mythos - Stephanie Kelton - E-Book

Der Defizit-Mythos E-Book

Stephanie Kelton

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Beschreibung

Stephanie Kelton räumt in diesem wegweisenden Buch mit den Defizit-Mythen auf, die sich hartnäckig um den Staatshaushalt ranken: Dass Sozialleistungen über Steuereinnahmen finanziert werden müssen, dass Staatsschulden langfristiges Wachstum untergraben und zu Lasten kommender Generationen gehen. Mit Hilfe der Modern Monetary Theory verändert sie unseren Blick auf Politik und Wirtschaft für immer. Wer einmal verstanden hat, dass die schwäbische Hausfrau in vielen Fällen kein gutes Vorbild für den Staatshaushalt ist, weiß auch, dass die Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und Klimawandel nicht an fehlenden Mitteln, sondern an fehlendem politischen Willen und falschen ökonomischen Lehrsätzen scheitert.

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MEINUNGEN ZUM BUCH

„Der Defizit-Mythos ist schlichtweg das wichtigste Buch, das ich je gelesen habe. Mit ihrer sorgfältig formulierten Aussage widerlegt Stephanie Kelton die ökonomische Lehrmeinung zu Staatsfinanzen, wonach Steuern vor Ausgaben stehen und Defizite etwas Schlechtes sind. Keltons Werk kann sich mit der Genialität von Da Vinci und Kopernikus messen, zwei Häretikern, die bewiesen, dass sich die Erde um die Sonne dreht.“

David Cay Johnston, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis, einer Medaille der Investigative Reporters and Editors Inc. und dem George-Polk-Preis

„Sowohl vom Inhalt als auch vom Timing her ein bemerkenswertes Buch. Eine Pflichtlektüre, die die politischen Entscheidungen der Zukunft zweifellos in vieler Hinsicht beeinflussen wird.“

Mohamed El-Erian, oberster Wirtschaftsberater, Allianz

„In einer Welt epischer, sich überschneidender Krisen ist Stephanie Kelton eine unentbehrliche Quelle moralischer Klarheit. Eingeschworenen MMT-Fans ebenso wie MMT-Neulingen liefern die hier vermittelten Wahrheiten zu Geld, Schulden und Defiziten das bitter benötigte Handwerkzeug zum Aufbau einer sicheren Zukunft für alle. Lesen Sie es – und setzen Sie es dann um.“

Naomi Klein, Autorin von Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann

„Keltons wegweisendes Buch über die Mythen um Staatsdefizite vereint theoretische Gründlichkeit mit empirischer Unterhaltung. Es erinnert uns daran, dass dem Geld keine Grenzen gesetzt sind, wohl aber unserem Einfallsreichtum bei dessen Verwendung. Nach der Lektüre werden Sie die öffentliche Hand nie wieder als Hauswirtschaft verstehen. Lesen Sie es!“

Mariana Mazzucato, Autorin von Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern

„Der Defizit-Mythos ist ein Triumph. Ein Buch, das fesselt, mitreißt, und vor allen Dingen befähigt. Ausgehend von einem gut recherchierten Rahmenwerk, bei dem es darum geht, wie Wirtschaften in der realen Welt wirklich funktionieren, zeichnet sie einen realistischen Weg zu echtem wirtschaftlichem Wohlstand vor. Dieser Ansatz legt den Fokus auf das wahre Leben statt auf die Finanzmärkte und wird es uns ermöglichen, nicht nur die angeschlagene Mittelklasse wiederzubeleben, sondern auch kritische soziale Probleme wie chronische Arbeitslosigkeit, Armut, Gesundheitsversorgung und den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Zweifellos sind unserer Handlungsfähigkeit durch viele bindende Beschränkungen Grenzen gesetzt, jedoch sollte, wie Kelton argumentiert, die gewollte Unterbeschäftigung unserer eigenen Ressourcen aufgrund der beharrlichen Manipulation durch die Defizit-Mythen keine solche Grenze sein. Dieses Buch war lange überfällig. Jeder sollte es lesen, und es dann noch einmal lesen, bevor es für einen Kurswechsel zu spät ist.“

John T. Harvey, Professor für Wirtschaft, Texas Christian University

„Keltons Mission in diesem eindringlichen Buch ist es, uns von einer überholten orthodoxen Denkweise zu Haushaltsdefiziten aus der längst vergangenen Zeit des Goldstandards zu befreien. Ihr theoretischer Hintergrund ist die Modern Monetary Theory. Herzstück der MMT ist ein simpler Vorschlag: In einer Welt von Fiat-Währungen sind die Finanzen des Volkes nicht gleich der Summe unserer individuellen Haushaltsbeschränkungen, denn wir als Volk können nicht pleite gehen, sondern lediglich unser kollektives Selbst durch Defizitausgaben in inflationäre Exzesse treiben. In der vorherrschenden Ära der Niedriginflation sollte uns die makropolitische Folge klar sein: Wir, das Volk, haben weitaus größeren steuerlichen Spielraum, als uns die defizitfeindliche, Zahlungen fordernde Masse predigt. Kelton ist eine begnadete Autorin und Lehrerin, und ich kann überzeugt voraussagen, dass ihr brillant geschriebenes und argumentiertes Buch, Der Defizit-Mythos, wegweisend dafür wird, was die MMT ausmacht – und was nicht.“

Paul Allen, Geschäftsführer und Chefökonom im Ruhestand, PIMCO, und Senior Fellow, Cornell Universtity Law School

„Einleuchtend! Fesselnd! Erkenntnisreich und überzeugend geschrieben nimmt uns Der Defizit-Mythos mit auf ein Abenteuer in die Welt der Haushalte, der Jobs, des Handels, des Bankwesens und – vor allem – des Geldes. Mit der Durchschlagskraft des gesunden Menschenverstandes durchbrechen Stephanie Kelton und das MMT-Team die geschlossenen Kreise der sogenannten gesunden Finanzen, eine altbackene Orthodoxie, die uns alle schwächer und ärmer gemacht hat. Dieses Buch erklärt, wie sie dies fertiggebracht haben, und zeigt uns taghell den Weg nach vorne in eine bessere Welt, die auf besseren Ideen aufgebaut ist.“

James K. Galbraith, The University of Texas at Austin

„Ein solider, wohldurchdachter und höchst lesenswerter Spaziergang durch viele weit verbreitete Missverständnisse. Pflichtlektüre für alle, die verstehen wollen, wie Staatsfinanzierung und deren Wechselwirkung mit der Wirtschaftspolitik wirklich funktioniert.“

Frank Newman, ehemaliger stellvertretender US-Finanzminister

Stephanie Kelton

DER DEFIZIT-MYTHOS

Die Modern Monetary Theory und die Gestaltung einer besseren Wirtschaft

Aus dem Englischen von Elborg Nopp

Copyright © Lola Books 2021

www.lolabooks.eu

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf in keinerlei Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Titel der englischen Originalausgabe:

The Deficit Myth: Modern Monetary Theory and How to Build a Better Economy

Copyright © 2020 by Stephanie Kelton

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild: Shutterstock, ID 1859940439

Druck: Cimapress, Madrid

Printed in Spain

ISBN 978-3-944203-60-7

eISBN 978-3-944203-61-4

Erste Auflage 2021

FÜR BRADLEY UND KATHERINE

INHALT

Einleitung: Uncle Sam auf der Stoßstange

1Denken Sie nicht an einen Haushalt

2Denken Sie an die Inflation

3Die Staatsverschuldung (die keine ist)

4Ihre rote Tinte ist unsere schwarze Tinte

5Beim Handel „gewinnen“

6Sie haben Ansprüche!

7Die Defizite, auf die es ankommt

8Eine bessere Wirtschaft gestalten

Danksagungen

Anmerkungen

EINLEITUNGUNCLE SAM AUF DER STOSSSTANGE

Nicht das, was du weißt, bringt dich in Schwierigkeiten, sondern das, was du sicher zu wissen glaubst, obwohl es gar nicht wahr ist.

MARK TWAIN

Ich weiß noch, wie ich 2008 auf der einstündigen Fahrt von Lawrence in Kansas zu meiner Lehrtätigkeit als Ökonomin an der University of Missouri in Kansas City einen Aufkleber auf dem Heck eines Mercedes SUV sah. Darauf zu sehen war ein Mann, der mit hängenden Schultern und umgestülpten Hosentaschen dastand. Sein Gesichtsausdruck war hart und ernst. Er trug eine rot-weiß gestreifte Hose, eine dunkelblaue Jacke und einen sternenverzierten Zylinder. Es war Uncle Sam. Wie der Fahrer mit diesem Autoaufkleber sind viele Menschen zu dem Schluss gekommen, dass unsere Regierung vor leeren Kassen steht und ihr Budget zur Bewältigung der dringlichsten Probleme unserer Zeit nicht ausreicht.

Ganz gleich, ob in der Politik die Gesundheitsvorsorge, Infrastruktur, Bildung oder der Klimawandel zur Debatte stehen, stets stellt sich dieselbe Frage: Wie wollt ihr das denn bezahlen? Dieser Autoaufkleber war Ausdruck einer ganz realen Frustration und Angst um die finanziellen Angelegenheiten unserer Nation, insbesondere um das Ausmaß unseres Staatsdefizits. Angesichts der Schimpfreden von Politikern aller Parteien gegen das Defizit ist die allgemeine Entrüstung beim Gedanken an ein unüberlegtes Handeln unserer Regierung gut nachvollziehbar. Schließlich wären wir als Einzelpersonen schnell pleite, wenn wir uns so verhalten würden wie die Regierung, ganz wie der verarmte Uncle Sam auf dem Aufkleber.

Was aber, wenn sich der Bundeshaushalt grundlegend von unserer Haushaltsführung unterscheidet? Was wäre, wenn ich Ihnen zeigen würde, dass es das Schreckgespenst des Defizits gar nicht gibt? Was wäre, wenn ich Sie davon überzeugen könnte, dass wir eine Wirtschaft haben können, in der die Menschen und der Planet an erster Stelle stehen? Dass die Beschaffung des dazu benötigten Geldes gar nicht das Problem ist?

Kopernikus und die Gelehrten, die ihm folgten, veränderten unsere Sicht des Kosmos und bewiesen, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und nicht andersherum. Einen ähnlichen Durchbruch benötigen wir auch bei unserer Auffassung des Defizits und dessen Verhältnis zur Wirtschaft. Zur Verbesserung des öffentlichen Wohlergehens sind uns weit mehr Möglichkeiten gegeben als uns bewusst ist, doch müssen wir unbedingt die Mythen durchschauen, die uns bislang davon abgehalten haben.

Das vorliegende Buch nutzt zur Erläuterung dieser kopernikanischen Wende die Brille der Modern Monetary Theory (MMT), zu deren führenden Vertreterinnen ich zähle. Meine Hauptargumente gelten für jedes monetär souveräne Land – wie die USA, das Vereinigte Königreich, Japan, Australien, Kanada und andere –, in dem die Regierung das Monopol zur Emission einer Fiat-Währung innehat.1 Die MMT verändert unseren Blick auf Politik und Wirtschaft, indem sie aufzeigt, dass Staatsdefizite der Wirtschaft in fast allen Fällen guttun. Sie sind notwendig. Und die Art, wie wir über Defizite denken und mit ihnen umgehen, ist oft lückenhaft oder falsch. Anstatt dem irrigen Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nachzujagen, sollten wir bestrebt sein, die von der MMT als unser öffentliches Geld oder souveräne Währung bezeichneten Mittel zu nutzen, um die Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen, so dass der Wohlstand der Allgemeinheit zugutekommt, anstatt sich in immer weniger Händen anzusammeln.

Aufgrund des Glaubens, der Staat habe kein eigenes Geld, steht der Steuerzahler traditionell gesehen im Zentrum des monetären Universums. Das einzige verfügbare Geld zur Finanzierung des Staates muss also letztlich von Leuten wie uns kommen. Die MMT wirft unsere Auffassungen über den Haufen, weil sie erkennt, dass der Emittent der Währung – also die Bundesregierung – alle Staatsausgaben finanziert, und nicht etwa der Steuerzahler. Steuern sind aus anderen Gründen wichtig, die ich in diesem Buch erklären werde. Doch der Gedanke, dass Steuern die Ausgaben der Regierung finanzieren, ist reine Fantasie.

Ich war skeptisch, als ich diesen Ideen zum ersten Mal begegnete. Ich wehrte mich sogar dagegen. In den frühen Jahren meines Ökonomie-Studiums versuchte ich, die Behauptungen der MMT durch intensive Forschung zur steuerlichen und monetären Tätigkeit unseres Staates zu widerlegen. Als ich dann dazu meine erste wissenschaftliche, peer-reviewte Arbeit veröffentlichte, wurde mir klar, dass meine Auffassungen bislang falsch gewesen waren. Der Kerngedanke hinter der MMT mochte zunächst abwegig erscheinen, erwies sich jedoch schließlich als einleuchtend und präzise. Die MMT ist gewissermaßen eine unparteiische Brille, die das wahre Prinzip unseres Währungssystems veranschaulicht. Ihre Überzeugungskraft ist nicht an eine Ideologie oder Partei gebunden. Stattdessen zeigt die MMT die wirtschaftlichen Möglichkeiten auf und verlagert so das Terrain politischer Debatten, die sich an Fragen der finanziellen Machbarkeit totlaufen. Die MMT konzentriert sich auf die breiteren ökonomischen und sozialen Auswirkungen eines vorgeschlagenen politischen Wandels, anstatt auf seine begrenzten finanziellen Konsequenzen. John Maynard Keynes’ Zeitgenosse, Abba P. Lerner, war ein Verfechter dieses Ansatzes, den er functional finance nannte. Es ging darum, Politik nach ihrer Funktion oder Wirkung zu bewerten. Hat sie die Inflation im Griff, erhält sie die Vollbeschäftigung und führt sie zu einer gerechteren Verteilung von Einnahmen und Reichtum? Welche Zahl der Etat jeweils jährlich hergibt, war (und ist) dabei völlig nebensächlich.

Bin ich der Ansicht, dass wir zur Lösung all unserer Probleme einfach mehr Geld ausgeben müssen? Nein, natürlich nicht. Nur, weil der Staatshaushalt keinen finanziellen Beschränkungen unterliegt, bedeutet das nicht, dass es keine realen Grenzen für das gibt, was die Regierung tun kann (und sollte). Jede Wirtschaft hat ihr eigenes inneres Tempolimit, das durch die Verfügbarkeit unserer realen produktiven Ressourcen reguliert wird – den Stand der Technologie und die Fläche und Qualität ihres Bodens, ihre Arbeiter, Fabriken, Maschinen und andere Materialien. Versucht die Regierung, zu viel Geld in eine Wirtschaft zu pumpen, die bereits auf Hochtouren läuft, dann beschleunigt sich die Inflation. Es gibt Grenzen. Allerdings liegen diese Grenzen nicht bei der Fähigkeit unserer Regierung, Ausgaben zu tätigen, oder beim Defizit, sondern beim Inflationsdruck und den Ressourcen innerhalb der realen Wirtschaft. Die MMT unterscheidet die realen Grenzen von wahnhaften und unnötigen, selbst auferlegten Beschränkungen.

Möglicherweise haben Sie die zentralen Erkenntnisse der MMT bereits in Aktion erlebt. Ich erlebte sie aus nächster Nähe, als ich im Senat der USA arbeitete. Immer, wenn das Thema Sozialversicherung zur Sprache kommt, oder wenn jemand im Kongress mehr Geld in Bildung oder das Gesundheitswesen investieren möchte, wird viel darüber geredet, dass alles „bezahlt werden“ muss, um das Staatsdefizit nicht zu erhöhen. Doch ist Ihnen aufgefallen, dass dies nie ein Problem zu sein scheint, wenn es darum geht, den Verteidigungshaushalt aufzustocken, Banken zu retten oder den reichsten Amerikanern enorme Steuervergünstigungen zu verschaffen, selbst wenn diese Maßnahmen das Defizit erheblich steigern? Solange die Mehrheit dafür ist, kann die Bundesregierung ihre Prioritäten stets finanzieren. So funktioniert das. Defizite hielten Franklin Delano Roosevelt in den 1930er Jahren nicht von der Einführung des New Deal ab. Sie hinderten John F. Kennedy nicht daran, einen Mann auf den Mond zu schicken. Und nicht ein einziges Mal haben sie den Kongress davon abgehalten, einen Krieg zu führen.

Das liegt daran, dass der Kongress die Macht der öffentlichen Hand innehat. Wenn er etwas unbedingt erreichen möchte, ist dafür immer Geld vorhanden. Wenn die Gesetzgeber wollten, könnten sie – gleich heute noch – Rechtsvorschriften zur Anhebung des Lebensstandards vorantreiben und die öffentlichen Investitionen in Bildung, Technologie und eine robuste Infrastruktur leisten, die für unseren Wohlstand auf lange Sicht unerlässlich sind. Geld auszugeben oder nicht ist eine politische Entscheidung. Selbstverständlich müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen jedes Gesetzes gründlich durchdacht werden. Doch sollten Ausgaben nie durch willkürliche Budgetziele oder blindes Festhalten an sogenannten gesunden Finanzen beschränkt werden.

DASS ICH DAMALS im November 2008 den Uncle-Sam-Aufkleber sah, halte ich für keinen Zufall. Die veralteten Vorstellungen, dass der Regierung das Geld ausgehen könnte, gewannen während der Finanzkrise im selben Jahr an Zugkraft. Unsere Nation erlebte gerade den schlimmsten Wirtschaftsabschwung seit der Großen Depression. Es fühlte sich tatsächlich so an, als ginge unser Land gerade gemeinsam mit einem großen Teil der restlichen Welt pleite. Was als Störung auf dem Subprime-Hypothekenmarkt begonnen hatte, hatte auf die globalen Finanzmärkte übergegriffen und sich zu einem kompletten wirtschaftlichen Zusammenbruch entwickelt, der Millionen US-Amerikaner um ihre Jobs, ihr Zuhause und ihre Unternehmen brachte.2 Allein in jenem November verloren achthunderttausend Amerikaner ihre Arbeit. Millionen beantragten Arbeitslosengeld, Lebensmittelunterstützung, Medicaid und andere staatliche Beihilfen. Während die Wirtschaft tief in eine Rezession abrutschte, stürzten die Steuereinnahmen in die Tiefe, und die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung stiegen sprunghaft an und trieben das Defizit auf die Rekordzahl von 779 Milliarden US-Dollar. Panik breitete sich aus.

Vertreter der MMT, darunter auch ich, sahen dies als Gelegenheit, der neuen Regierung unter Obama mutige politische Vorschläge zu unterbreiten. Wir baten den Kongress eindringlich, ein robustes Konjunkturpaket aus Lohnsteuerbefreiung, zusätzlichen Beihilfen für Staats- und Landesregierungen und einer staatlichen Jobgarantie zu verabschieden.

Am 16. Januar 2009 hatten Amerikas vier größte Finanzinstitute bereits die Hälfte ihres Wertes verloren, und der Arbeitsmarkt büßte monatlich hunderttausende Stellen ein. Genau wie bei FDR fand Präsident Obamas Vereidigung am 20. Januar zu einem historisch kritischen Zeitpunkt statt. Innerhalb von dreißig Tagen hatte er ein Konjunkturpaket über 787 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Einige seiner engsten Berater hatten auf eine viel höhere Summe gedrungen und behauptet, zur Verhinderung einer langwierigen Rezession seien mindestens 1,3 Billionen US-Dollar nötig. Andere sträubten sich gegen alles, was auf „Billionen“ endete. Schließlich verlor Obama die Nerven.

Warum? Weil er im Grunde finanzpolitisch konservativ eingestellt war. Er war umgeben von Leuten, die ihm unterschiedliche Zahlen nannten, und entschied sich dafür, kein Risiko einzugehen und am unteren Ende der ihm vorgelegten Zahlen zu bleiben. Christina Romer, die Vorsitzende des Wirtschaftsrats, erkannte, dass sich eine Krise von derartigem Ausmaß nicht mit der eher bescheidenen Maßnahme von 787 Milliarden US-Dollar bewältigen ließ. Sie plädierte für ein ehrgeiziges Paket von über einer Milliarde und sagte, „Mr. President, jetzt wird es ernst. Es ist schlimmer, als wir dachten.“3 Sie hatte alles durchgerechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass die Bekämpfung der sich verschärfenden Rezession voraussichtlich ein Paket in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar erforderte. Doch diese Option wurde von Lawrence Summers, Harvard-Ökonom, ehemaliger Finanzminister und Obamas oberster Wirtschaftsberater, zunichte gemacht. Summers wäre ein umfangreicheres Paket vielleicht lieber gewesen, doch fürchtete er, sich mit einem Antrag von einer Billion US-Dollar oder mehr beim Kongress lächerlich zu machen, und sagte, „die Öffentlichkeit würde nichts davon hören wollen, und beim Kongress würde es nie durchgehen.“4 David Axelrod, der später zum leitenden Berater des Präsidenten ernannt wurde, stimmte zu, da er befürchtete, dass jeder Betrag über einer Billion beim Kongress und dem amerikanischen Volk einen „Preisschock“ verursachen würde.

Die letztlich vom Kongress bewilligten 787 Milliarden US-Dollar beinhalteten Geldmittel für Staats- und Landesregierungen zur Bekämpfung des Abschwungs, Finanzmittel für Infrastrukturen und umweltfreundliche Investitionsprojekte sowie beträchtliche Steuervergünstigungen, um den Konsum und die Reinvestition im privaten Sektor anzukurbeln. All das half, doch reichte es bei weitem nicht aus. Die Wirtschaft schrumpfte, und während das Defizit auf über 1,4 Billionen US-Dollar kletterte, musste sich Präsident Obama Fragen zur steigenden Flut roter Zahlen stellen. Am 23. Mai 2009 wurde er auf C-SPAN interviewt. Der Moderator, Steve Scully, fragte, „Wann wird uns das Geld ausgehen?“5 Der Präsident erwiderte, „Nun ja, uns ist das Geld bereits ausgegangen.“ Da war es also. Der Präsident hatte gerade bestätigt, was der Fahrer mit dem Uncle-Sam-Sticker die ganze Zeit vermutet hatte. Die Vereinigten Staaten waren pleite.

Die Große Rezession, die von Dezember 2007 bis Juni 2009 dauerte, hinterließ überall in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus bleibende Narben in Gemeinschaften und Familien. Es dauerte über sechs Jahre, bis der US-amerikanische Arbeitsmarkt alle 8,7 Millionen Jobs, die von Dezember 2007 bis Anfang 2010 verlorengingen, zurückgewann.6 Millionen Menschen hatten ein Jahr oder länger zu kämpfen, bis sie Arbeit fanden. Vielen gelang es überhaupt nicht. Und einige, die das Glück hatten, eine Stelle zu finden, mussten sich oft mit Teilzeitjobs begnügen oder wesentlich schlechter bezahlte Arbeit annehmen. In der Zwischenzeit verschlang die Zwangsvollstreckungskrise 8 Billionen an Immobilienvermögen, und geschätzte 6,3 Millionen Menschen – darunter 2,1 Millionen Kinder – wurden zwischen 2007 und 2009 in die Armut gedrängt.7

Der Kongress hätte mehr tun können und müssen, doch der Defizit-Mythos hatte sich durchgesetzt. Im Januar 2010, als die Arbeitslosigkeit schwindelerregende 9,8 Prozent erreicht hatte, strebte Präsident Obama bereits in die entgegengesetzte Richtung. In jenem Monat verpflichtete er sich bei seiner Ansprache zur Lage der Nation zu einer Umkehrung des Konjunkturprogramms und ließ das Land wissen, „Familien im ganzen Land schnallen den Gürtel enger und treffen schwere Entscheidungen. Die Bundesregierung sollte es genauso machen.“ Was folgte, war langanhaltender selbst zugefügter Schaden.

Schätzungen der Federal Reserve Bank of San Francisco (FRBSF) zufolge haben die Finanzkrise und das kraftlose Wachstum die US-Wirtschaft zwischen 2008 und 2018 um bis zu 7 Prozent ihres Output-Potenzials gebracht. Stellen sie sich darunter eine Aufstellung aller Güter und Dienstleistungen (und Einnahmen) vor, die wir in diesen zehn Jahren produziert haben könnten, dies jedoch nicht taten, da wir unsere Wirtschaft nicht ausreichend unterstützten, indem wir Stellen sicherten und den Menschen das Dach über dem Kopf erhielten. Durch falsche politische Reaktionen haben wir die Weichen für eine langsame und schwache Erholung gestellt, die unsere Gemeinschaften geschädigt und unserer Wirtschaft Vermögensverluste in Billionenhöhe zugefügt hat. Der FRBSF zufolge haben die zehn Jahre unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Amerika umgerechnet 70.000 US-Dollar gekostet.

Warum haben wir keine bessere Politik betrieben? Vielleicht denken Sie, es läge daran, dass unser Zweiparteiensystem so gespalten ist, dass der Kongress schlicht handlungsunfähig war, selbst angesichts einer nationalen Katastrophe, die Durchschnittsbürger und große Unternehmen gleichermaßen in ihrer Sicherheit bedrohte. Und daran ist sicher einiges wahr. 2010 brüstete sich der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, öffentlich, „unser oberstes Ziel ist, dass Präsident Obama nicht wiedergewählt wird.“ Doch Parteipolitik war nicht das einzige Hindernis. Die Politik der Defizit-Hysterie, an der beide Seiten seit Jahrzehnten festhalten, stellte ein noch größeres Hemmnis dar.

Höhere Defizite hätten eine schnellere und kräftigere Erholung ermöglicht, Millionen Familien geschützt und wirtschaftliche Schäden in Billionenhöhe verhindert. Doch keiner der Entscheidungsträger setzte sich für höhere Defizite ein. Weder Präsident Obama noch die meisten seiner leitenden Berater, nicht einmal die progressivsten Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Senats. Warum? Glaubten wirklich alle, dass dem Staat das Geld ausgegangen war? Oder hatten sie nur Angst, die Wähler gegen sich aufzubringen, wie den mit dem Autoaufkleber auf dem Mercedes?

Wir können Defizite nicht zur Lösung von Problemen benutzen, wenn wir das Defizit selbst weiterhin als Problem betrachten. Aktuell ist etwa die Hälfte der Amerikaner (48 Prozent) der Meinung, dass der Abbau der staatlichen Budgetdefizite für den Präsidenten und den Kongress oberste Priorität haben sollte. Dieses Buch möchte mehr Menschen davon überzeugen, dass das Defizitproblem eher bei null liegt. Das wird nicht einfach werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir mit den Mythen und Missverständnissen, die unseren öffentlichen Diskurs prägen, gründlich aufräumen.

DIE ERSTEN SECHS Kapitel des Buches entkräften die Defizit-Mythen, die uns als Land lähmen. Als erstes widerlege ich die Vorstellung, dass die Bundesregierung wie ein Haushalt budgetieren sollte. Wahrscheinlich ist kein anderer Mythos so schädlich wie dieser. In Wahrheit ähnelt die Bundesregierung in keiner Weise einem Haushalt oder einem privaten Unternehmen. Das liegt daran, dass Uncle Sam etwas hat, das wir anderen nicht haben – die Befugnis zur Emission des US-Dollars. Uncle Sam muss nicht erst Dollars herbeischaffen, bevor er sie ausgeben kann. Wir anderen hingegen schon. Uncle Sam kann nicht vor einem wachsenden Schuldenberg stehen, den er nicht bezahlen kann. Wir anderen vielleicht schon. Uncle Sam wird nie pleite gehen. Wir anderen unter Umständen schon. Wenn Regierungen versuchen, ihre Budgets wie Haushalte zu verwalten, entgeht ihnen die Gelegenheit, die Macht ihrer souveränen Währungen zu nutzen, um das Leben ihrer Bevölkerung erheblich zu verbessern. Wir werden zeigen, wie die MMT beweist, dass die Bundesregierung zur Finanzierung ihrer Ausgaben nicht auf Steuereinnahmen oder Darlehen angewiesen ist, und dass Inflation der Hauptgrund für die Beschränkung von Staatsausgaben ist.

Der zweite Mythos ist, Defizite seien ein Beweis für Budgetüberschreitungen. Das ist ein naheliegender Schluss, denn wir alle haben gehört, wie sich Politiker über Defizite beklagen, die beweisen, dass die Regierung „über ihre Verhältnisse“ lebt. Das ist ein Irrtum. Es stimmt, dass in den Büchern der Regierung jedes Mal ein Defizit aufscheint, wenn sie mehr ausgibt als sie an Steuern einnimmt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die MMT vervollständigt das Bild durch einfache buchhalterische Logik. Angenommen, die Regierung gibt 100 US-Dollar für die Wirtschaft aus, nimmt jedoch nur 90 US-Dollar an Steuern ein. Die Differenz wird als Staatsdefizit bezeichnet. Doch man kann diese Differenz auch anders betrachten. Uncle Sams Defizit verschafft jemand anderem einen Überschuss. Das liegt daran, dass das Minus der Regierung von 10 Dollar stets irgendwo anders in der Wirtschaft durch ein Plus von 10 Dollar ausgeglichen wird. Das Problem ist, dass die Politiker das Bild nur von einer Seite betrachten. Sie sehen das Haushaltsdefizit, doch entgeht ihnen der entsprechende Überschuss auf der anderen Seite. Und da er vielen Amerikanern ebenfalls entgeht, begrüßen sie die Bemühungen um einen ausgeglichenen Haushalt, selbst wenn ihnen dadurch Geld aus den Taschen gezogen wird. Die Regierung kann zu viel ausgeben. Defizite können zu hoch sein. Doch der Beweis für Budgetüberschreitungen ist Inflation, und Defizite sind meist zu niedrig, nicht zu hoch.

Der dritte Mythos ist, dass Defizite der nächsten Generation zur Last werden. Nur allzu gern kramen Politiker diesen Mythos hervor und verkünden, dass wir durch Defizite das Leben unserer Kinder und Kindeskinder ruinieren und ihnen erdrückende Schulden aufbürden, die sie eines Tages abbezahlen müssen. Einer der einflussreichsten Verbreiter dieses Mythos was Ronald Reagan. Doch sogar Senator Bernie Sanders machte sich zu Reagans Sprachrohr, als er sagte, „Ich mache mir Sorgen wegen der Schulden. Das ist nichts, was wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen sollten.“8

Das ist zwar rhetorisch überzeugend, entbehrt jedoch jeder ökonomischen Logik. Den Beweis dazu liefert die Geschichte. Als Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichte die Staatsverschuldung ihren Höchststand – 120 Prozent – unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Und doch entstand auch genau zur selben Zeit die Mittelschicht, das durchschnittliche Familieneinkommen stieg sprunghaft an, und die darauffolgende Generation genoss einen höheren Lebensstandard ohne die zusätzliche Last höherer Steuersätze. Die Realität ist, dass Staatsdefizite der Bevölkerung der Zukunft keine finanziellen Bürden auferlegen. Die Erhöhung von Defiziten macht zukünftige Generationen nicht ärmer, und der Abbau von Defiziten wird sie nicht reicher machen.

Der vierte Mythos, mit dem wir uns befassen werden, ist die Vorstellung, dass Defizite schädlich sind, weil sie private Investitionen verdrängen und langfristiges Wachstum untergraben. Dieser Mythos wird meistens von Mainstream-Ökonomen und politischen Eiferern verbreitet, die es eigentlich besser wissen sollten. Er beruht auf der fälschlichen Annahme, die Regierung müsse zur Finanzierung ihrer Defizite mit anderen Kreditnehmern um den Zugang zu einem begrenzten Vorrat von Ersparnissen konkurrieren. Die Idee hierbei ist, dass Staatsdefizite einen Teil der Dollars verbrauchen, die der private Sektor sonst in die Förderung langfristigen Wohlstands investiert hätte. Wir werden sehen, warum das Gegenteil der Fall ist – tatsächlich steigern Haushaltsdefizite private Ersparnisse – und private Investitionen leicht mit einbezogen werden können.

Der fünfte Mythos ist, dass Defizite die Vereinigten Staaten von Fremden abhängig machen. Dieser Mythos will uns weismachen, dass Länder wie China und Japan enorme Kontrolle über uns haben, weil sie im Besitz großer Mengen der US-Verschuldung sind. Wir werden sehen, dass dies eine Fiktion ist, die bewusst oder unbewusst von Politikern verbreitet wird, oft als Vorwand, um Sozialprogramme zu ignorieren, die dringend finanziert werden müssten. Manchmal bemüht dieser Mythos die Metapher vom verantwortungslosen Umgang mit einer ausländischen Kreditkarte. Dabei wird nicht beachtet, dass die Dollars nicht aus China stammen. Sie kommen aus den Vereinigten Staaten. Wir nehmen keinen Kredit in China auf, sondern versorgen China mit Dollars und gestatten ihnen, diese Dollars gegen sichere, verzinsliche US-Staatsanleihen einzutauschen. Nichts daran ist in irgendeiner Weise riskant oder schädlich. Wenn wir wollten, könnten wir die Verschuldung mit einem simplen Tastendruck augenblicklich tilgen. Die Verpfändung unserer Zukunft ist ein weiteres Beispiel dafür, wie das wahre Prinzip souveräner Währungen missverstanden – oder für politische Zwecke absichtlich fehlgedeutet – wird.

Der sechste Mythos, mit dem wir uns beschäftigen werden, ist, dass uns Leistungsansprüche in eine langfristige Finanzkrise treiben. Die Schuldigen sind angeblich Sozialversicherung, Medicare und Medicaid. Ich werde Ihnen zeigen, warum diese Denkweise falsch ist. Es gibt einfach keinen guten Grund, beispielsweise bei der Sozialversicherung Kürzungen vorzunehmen. Unsere Regierung wird zukünftige Ansprüche stets erfüllen können, da ihr nie das Geld ausgehen kann. Anstatt über die monetären Kosten zu streiten, sollten die Gesetzgeber darüber diskutieren, wessen Politik den Bedürfnissen unserer gesamten Bevölkerung am besten nachkommt. Das Geld dafür ist immer da. Die Frage ist, was man für dieses Geld bekommt. Demographien im Wandel und die Auswirkungen des Klimawandels sind echte Herausforderungen, die verfügbare Ressourcen belasten könnten. Wir müssen sicherstellen, dass wir alles Menschmögliche für die Verwaltung unserer realen Mittel und die Entwicklung nachhaltigerer Produktionsverfahren tun, während die Generation der Baby-Boomer aus der arbeitenden Bevölkerung ausscheidet. Doch wenn es um das Auszahlen von Leistungen geht, können wir es uns stets leisten, unseren Versprechen den jetzigen Rentnern und den späteren Generationen gegenüber nachzukommen.

Nach vollständiger Untersuchung der Denkfehler, die diesen sechs Mythen zugrunde liegen, und deren Widerlegung durch solide Fakten, werden wir uns mit den wirklich wichtigen Defiziten befassen. Die realen Krisen, denen wir gegenüberstehen, haben nichts mit Staatsdefizit oder Leistungsansprüchen zu tun. Die Tatsache, dass 21 Prozent aller Kinder der Vereinigten Staaten in Armut leben – das ist eine Krise. Die Tatsache, dass unsere Infrastruktur mit der Note D+ bewertet wird, ist eine Krise. Die Tatsache, dass die Ungleichheit wieder denselben Stand wie Ende des 19. Jahrhunderts erreicht hat, ist eine Krise. Die Tatsache, dass der durchschnittliche amerikanische Arbeitnehmer seit den 1970er Jahren praktisch kein reales Lohnwachstum mehr erlebt hat, ist eine Krise. Die Tatsache, dass vierundvierzig Millionen Amerikaner mit 1,7 Billionen US-Dollar an Studienkrediten verschuldet sind, ist eine Krise. Und die Tatsache, dass wir uns letztlich überhaupt nichts „leisten“ können werden, wenn wir den Klimawandel weiter beschleunigen und das Leben auf diesem Planeten zerstören, ist wahrscheinlich die schlimmste aller Krisen.

Das sind echte Krisen. Das Staatsdefizit ist keine Krise.

DAS VERBRECHEN DES von Präsident Trump 2017 unterzeichneten Steuergesetzes besteht nicht darin, dass es das Defizit vergrößerte, sondern dass es das Defizit nutzte, um denen zu helfen, die es am wenigsten brauchten. Es hat die Ungleichheit verschärft und einigen Wenigen größere politische und wirtschaftliche Macht verschafft. Die MMT geht davon aus, dass der Aufbau einer besseren Wirtschaft nicht an das Erzielen ausreichender Erträge gekoppelt ist, damit wir das bezahlen können, was wir haben möchten. Wir können und müssen von den Reichen Steuern erheben. Doch nicht, weil wir ohne sie nicht zurechtkommen. Wir sollten Milliardäre besteuern, um die Verteilung von Reichtum und Einkommen wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die Gesundheit unserer Demokratie zu schützen. Doch müssen wir nicht ihre Sparschweine knacken, um die Armut abzuschaffen oder die bundesweite Jobgarantie zu bekommen, für die Coretta Scott King gekämpft hat. Das nötige Werkzeug haben wir bereits. Die angebliche Abhängigkeit von den Superreichen sendet die falschen Signale und stellt sie als viel wichtiger dar, als sie es für unsere Sache tatsächlich sind. Das soll nicht heißen, dass Defizite keine Rolle spielen und wir nun alle Bedenken in den Wind schlagen und das Geld mit vollen Händen ausgeben können. Der wirtschaftliche Rahmen, für den ich plädiere, fordert von der Bundesregierung keine geringere, sondern größere finanzpolitische Verantwortung. Wir müssen einfach neu definieren, was es bedeutet, verantwortlich mit unseren Ressourcen hauszuhalten. Durch unsere falschen Vorstellungen zum Defizit bleibt in unserer Wirtschaft aktuell so viel Potenzial ungenutzt oder verfällt gänzlich.

Die MMT befähigt uns dazu, Politik und Wirtschaft neu zu gestalten. Mittels vernünftiger Ökonomie hinterfragt sie den Status Quo im gesamten politischen Spektrum, und aus diesem Grund erweckt sie auch weltweit so großes Interesse bei Politikern, Akademikern, Zentralbankern, Finanzministern, Aktivisten und ganz gewöhnlichen Menschen. Beim Blick durch die Brille der MMT erkennen wir, dass eine andere Gesellschaft möglich ist, in der wir es uns leisten können, in Gesundheitsversorgung, Bildung und eine robuste Infrastruktur zu investieren. Statt um Knappheit geht es bei der MMT um Chancen. Wenn wir der Mythen Herr geworden sind und akzeptieren, dass Staatsdefizite unserer Wirtschaft tatsächlich guttun, können wir eine Steuerpolitik betreiben, bei der menschliche Bedürfnisse und das öffentliche Interesse an erster Stelle stehen. Wir haben nichts zu verlieren als unsere selbst auferlegten Grenzen.

Die Vereinigten Staaten sind das reichste Land in der Geschichte der Menschheit. Doch selbst in Zeiten größter Armut während der Großen Depression schafften wir es, eine Sozialversicherung und den Mindestlohn einzuführen, ländliche Gemeinden zu elektrifizieren, staatliche Wohnungsbaudarlehen bereitzustellen und ein umfangreiches Jobprogramm zu finanzieren. Wie Dorothy und ihre Gefährten im Zauberer von Oz müssen wir die Mythen durchschauen und uns erneut gewahr werden, dass wir die ganze Zeit an der Macht waren.

Während dieses Buch in Druck ging, schlug das Covid-19-Virus mit voller Härte zu und führte uns die Macht der MMT-Denkart lebhaft vor Augen. Ganze Industrien werden stillgelegt. Die Stellenverluste nehmen zu, und bei einem potenziellen wirtschaftlichen Zusammenbruch könnte die Arbeitslosigkeit wieder so hoch werden wie zuletzt während der Großen Depression. Der Kongress hat bereits über 1 Billion US-Dollar zur Bekämpfung der Pandemie und der sich anbahnenden Wirtschaftskrise bereitgestellt. Wir werden noch viel mehr brauchen.

Das Staatsdefizit, das vor der Bedrohung durch das Virus auf gut 1 Billion US-Dollar geschätzt wurde, wird in den kommenden Monaten voraussichtlich auf über 3 Billionen US-Dollar ansteigen. Wenn uns die Geschichte etwas gelehrt hat, dann entsteht aus der Angst vor steigenden Haushaltsdefiziten der Zwang zur Senkung der steuerlichen Anreize, um die Defizite niederzuringen. Das wäre eine einzige Katastrophe. Aktuell und in den kommenden Monaten sind höhere Defizitausgaben steuerpolitisch der beste Weg, die Krise zu bewältigen.

Das nächste Jahr wird für uns alle unglaublich schwer werden. Wir werden in verstärkter Angst leben, bis das Virus gebannt und eine Impfung allgemein verfügbar ist. Viele von uns werden sozial und wirtschaftlich Not leiden. Wir haben bereits genügend Sorgen, um uns noch zusätzlich Befürchtungen zur Haushaltslage der Nation aufzubürden. Jetzt ist der richtige Zeitpunk, einige wichtige Lektionen zu lernen: Wo kommt das Geld her und warum kann die Bundesregierung – und nur die Bundesregierung – einschreiten und die Wirtschaft retten.

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DENKEN SIE NICHT AN EINEN HAUSHALT

Familien im ganzen Land schnallen die Gürtel enger und treffen schwere Entscheidungen. Die Bundesregierung sollte es genauso machen.

PRÄSIDENT OBAMA, REDE ZUR LAGE DER NATION, 2010

MYTHOS NR. 1: Die Bundesregierung muss wie ein Haushalt budgetieren.

REALITÄT: Im Gegensatz zu einem Haushalt emittiert die Bundesregierung das Geld, das sie ausgibt.

Wie viele von Ihnen bin ich mit der Fernsehsendung Die Sesamstraße aufgewachsen. Sie brachte kleinen Kindern unter anderem bei, Objekte nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu sortieren. „Eins von diesen Dingen ist anders als die anderen“, erklang das Lied, bevor es losging. Auf dem Bildschirm erschienen matrixförmig angeordnet vier Bilder: eine Banane, eine Orange, eine Ananas und ein Sandwich. „Das Sandwich! Das Sandwich!“, brüllten meine Schwester und ich dann den Fernseher an. Ich bin zwar kein Kind mehr, aber noch immer brülle ich jedes Mal den Fernseher an, wenn jemand vom Budget der Bundesregierung spricht, als würde es sich in nichts von dem eines Haushalts unterscheiden.

Wenn Sie jemals die Forderung gehört haben, dass Washington seinen Haushalt in Ordnung bringen muss, dann haben Sie eine Version des Haushalts-Mythos gehört. Er beruht auf dem fehlerhaften Gedanken, dass wir Uncle Sams Budget durch dieselbe Brille sehen müssen, durch die wir unser eigenes Familienbudget betrachten. Von allen Mythen, die wir auf den folgenden Seiten behandeln werden, ist dieser hier zweifellos der schädlichste.

Unter Politikern, die sich beim Kontakt zu ihren Wählern für gewöhnlich der simpelsten Rhetorik bedienen, ist er ein Favorit. Und was könnte einfacher sein, als die Finanzen der Regierung so darzustellen, wie sie uns anderen bereits vertraut sind – wie unsere eigenen. Wir alle wissen, wie wichtig es ist, unsere persönlichen Ausgaben nach unserem Gesamteinkommen zu richten. Wenn also jemand daherkommt und auf eine uns vertraute Art über Staatsfinanzen spricht, dann spricht uns das aus der Seele. Es fühlt sich heimelig an, so, als säße man gemeinsam um den Küchentisch.

Wir haben es alle miterlebt. Auf Wahlplakaten und Versammlungen in ganz Amerika stellen uns Politiker den Kleinunternehmer oder die schwer arbeitende Kellnerin als leuchtende Vorbilder für verantwortungsvolle Haushaltsführung hin. Mitfühlend sprechen sie von den Bemühungen der Durchschnittsamerikaner und davon, dass wir alle wissen, wie es ist, um den Küchentisch zu sitzen und die Haushaltsabrechnung zu machen. Um im Publikum Empörung auszulösen, lenken sie dann das Gespräch auf die Bundesregierung und erzählen uns, dass Uncle Sams Bücher fast nie stimmen, weil verantwortungslose Ausgaben in Washington, D.C. zur Lebensart geworden sind.

Solche Geschichten sprechen uns an, weil uns die Sprache so vertraut ist. Wir wissen, dass wir nach unseren Verhältnissen leben und unsere Finanzen so verwalten müssen, dass wir nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Wir wissen, dass wir für die Zukunft etwas auf die hohe Kante legen und beim Aufnehmen von Darlehen besonders umsichtig sein müssen. Zu hohe Schulden können Bankrott, Zwangsvollstreckung und sogar Gefängnis zur Folge haben.

Wir wissen, dass man pleite gehen kann, und haben miterlebt, wie so renommierte Firmen wie RadioShack und Toys „R“ Us in den Bankrott getrieben wurden, als sie ihre Rechnungen nicht länger bezahlen konnten. Selbst Städte (Detroit) und Staaten (Kansas) können in große Schwierigkeiten geraten, wenn sie nicht genug einnehmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Das versteht jede Familie, die gemeinsam am Küchentisch sitzt. Was sie nicht versteht, ist, warum dies bei der Bundesregierung (Uncle Sam) anders ist.

Um das zu verstehen, begeben wir uns direkt ins Herz der MMT.

WÄHRUNGSEMITTENTEN UND WÄHRUNGSNUTZER

Ausgangspunkt der MMT ist eine simple und unbestreitbare Tatsache: unsere nationale Währung, der US-Dollar, kommt von der US-Regierung und kann von nirgendwo sonst herkommen – zumindest nicht auf legalem Weg. Zur Emission des US-Dollar sind sowohl das Finanzamt der Vereinigten Staaten als auch dessen Fiskalagent, die Federal Reserve, ermächtigt. Dazu gehört das Prägen der Münzen in Ihrer Tasche, das Drucken der Geldscheine in Ihrer Brieftasche oder die Schaffung digitaler Dollars, die Reserven genannt werden und nur als elektronische Beträge auf Bankbilanzen existieren. Das Finanzamt produziert die Münzen, und die Federal Reserve stellt den Rest her. Hat man die Bedeutung dieser Tatsache erst einmal begriffen, dann durchschaut man viele der Defizit-Mythen ganz von selbst.

Obwohl Sie bisher vielleicht nicht viel darüber nachgedacht haben, sind Sie sich dieser grundlegenden Wahrheit im Grunde bereits bewusst. Denken Sie einmal darüber nach. Können Sie US-Dollars herstellen? Sicher, Sie können sie verdienen, aber herstellen? Vielleicht mit einer Hightech-Gravieranlage, die Sie bei sich im Keller aufstellen und damit etwas fabrizieren, das dem US-Dollar stark ähnlich sieht. Oder Sie könnten sich in den Rechner der Federal Reserve hacken und dort digitale Dollars eintippen. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sie in einem orangefarbenen Overall enden, wenn Sie beim Geldfälschen erwischt werden. Das liegt daran, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten der Bundesregierung das ausschließliche Recht zur Emission der Währung verleiht.1 Um es mit den Worten der Federal Reserve Bank von St. Louis zu sagen, die US-Regierung ist „Alleinhersteller für Dollars“.2

Der Begriff des Monopols bezieht sich natürlich auf einen Markt, auf dem es für ein Produkt nur einen Anbieter gibt. Da nun die Bundesregierung der einzige Hersteller von US-Dollars ist, können wir sagen, dass sie auf den Dollar ein Monopol hat. Das ist ungefähr so, als hätte sie auf die Fähigkeit zur Herstellung zusätzlicher Kopien des Dollar ein Super-Copyright (das nie erlischt). Es handelt sich hierbei um eine ausschließliche Befugnis, die von unseren Gründervätern festgelegt wurde. Haushalten, Unternehmen, lokalen oder bundesstaatlichen Regierungen steht sie nicht zu. Nur die Bundesregierung kann unsere Währung emittieren. Alle anderen sind lediglich Nutzer der Währung. Das ist eine besondere Fähigkeit, die mit großer Umsicht genutzt werden muss.

Wie bei der Sesamstraße ist hier leicht zu erkennen, welches Ding in Figur 1 anders als die anderen ist.

Figur 1. Nutzer und Emittenten der Währung

Die Unterscheidung zwischen den Nutzern und dem Emittenten der Währung bildet das Herzstück der MMT. Und wie wir auf den folgenden Seiten sehen werden, hat dies tiefgreifende Auswirkungen auf einige der wichtigsten politischen Debatten der Gegenwart, wie Gesundheitsversorgung, Klimawandel, Sozialversicherung, internationale Handelsbeziehungen und Ungleichheit.

Um die besonderen Befugnisse, mit denen der Währungsemittent ausgestattet ist, gänzlich wahrzunehmen, müssen Länder mehr tun, als sich lediglich das ausschließliche Recht zur Währungsemission zu verleihen. Sie dürfen auch kein Versprechen ablegen, ihre Währung in etwas umzutauschen, dessen Vorrat zu Ende gehen könnte (z.B. Gold oder die Währung eines anderen Landes). Und sie müssen davon absehen, Darlehen in einer anderen Währung als ihrer eigenen aufzunehmen (d.h. sich zu verschulden).3 Wenn ein Land seine eigene nicht konvertible (Fiat-)Währung emittiert und nur Darlehen in seiner eigenen Währung aufnimmt, dann hat dieses Land monetäre Souveränität erlangt.4 Monetär souveräne Länder brauchen ihre Budgets also nicht so zu führen, wie dies ein Haushalt tut. Sie können ihre Befähigung zur Währungsemission für politische Maßnahmen nutzen, die die Vollbeschäftigung in der Wirtschaft bewahren.

Gelegentlich werde ich gefragt, ob die MMT auch außerhalb der Vereinigten Staaten anwendbar ist. Ja! Obwohl der US-Dollar als globale Reservewährung einen besonderen Status genießt, sind viele weitere Länder befähigt, ihre Währungssysteme in den Dienst ihrer Bevölkerung zu stellen. Wenn Sie dieses Buch außerhalb der USA lesen, glauben Sie also bitte nicht, dass Sie hier keine wichtigen Erkenntnisse für Sie und Ihr Land finden werden. Ganz im Gegenteil, mit der MMT lassen sich die politischen Möglichkeiten jeden Landes mit einem hohen Maß an monetärer Souveränität – die Vereinigten Staaten, Japan, das Vereinigte Königreich, Australien, Kanada und viele andere – darstellen und verbessern. Und wie wir in Kapitel 5 sehen werden, liefert die MMT auch Erkenntnisse für Länder mit begrenzter oder keiner monetären Souveränität – Nationen wie Panama, Tunesien, Griechenland, Venezuela und viele andere.

Die MMT hilft, zu verstehen, warum Länder, die ihren Wechselkurs festlegen, wie dies beispielsweise Argentinien bis 2001 tat, oder Darlehen in ausländischer Währung aufnehmen, wie zum Beispiel Venezuela, ihre monetäre Souveränität untergraben und sich selbst Beschränkungen auferlegen, die für andere Währungsnutzer gelten, wie zum Beispiel Italien, Griechenland und andere Länder der Eurozone. Wenn Länder mit begrenzter oder keiner monetären Souveränität die Budgetdisziplin außer Acht lassen, können ihnen untragbare Schulden entstehen, genau wie einem Haushalt. Im Gegensatz dazu müssen sich die Vereinigten Staaten nie Sorgen machen, dass ihnen das Geld ausgehen könnte. Sie können ihre Rechnungen jederzeit bezahlen, selbst die ganz hohen. Die Vereinigten Staaten können niemals so enden wie Griechenland, das seine monetäre Souveränität aufgab, als es aufhörte, die Drachme zu emittieren, um den Euro einzuführen. Amerikas Finanzierung ist nicht von China (oder sonst jemandem) abhängig. Vor allem bedeutet monetäre Souveränität, dass sich ein Land der Sicherheit und dem Wohlergehen seiner Bevölkerung widmen kann, ohne sich Gedanken um die Finanzierung machen zu müssen.

THATCHERS RÜCKSTÄNDIGES DIKTUM: (TAB)S

In einer berühmt gewordenen Ansprache von 1983 erklärte die britische Premierministerin, Margaret Thatcher, „Der Staat besitzt keine Geldquelle außer dem Geld, das die Menschen selbst verdienen. Wenn der Staat mehr Geld ausgeben möchte, kann er das nur, indem er sich Ihre Ersparnisse leiht oder höhere Steuern von Ihnen verlangt.“5 Das war Thatchers Art, zu sagen, dass die Finanzen der Regierung, ganz wie unsere persönlichen Finanzen, begrenzt waren. Wenn sie mehr Geld ausgeben wollte, musste sich die Regierung das Geld dafür beschaffen. „Wir wissen, dass es kein staatliches Geld gibt,“ fügte sie hinzu. „Es gibt nur das Geld der Steuerzahler.“ Wenn die Briten Geld von ihrer Regierung wollten, würden sie für die Kosten selbst aufkommen müssen.

War es ein harmloser Fehler oder ein sorgfältig ausgearbeitetes Statement, um das britische Volk davon abzuhalten, mehr Geld von seiner Regierung zu verlangen? Ich bin mir nicht sicher. Aus welchem Beweggrund auch immer verheimlichte Thatchers Aussage die Befähigung des Staates zur Währungsemission. Mehr als drei Jahrzehnte danach äußern sich politische Führer währungsemittierender Länder wie des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten noch immer so, als seien wir, die Steuerzahler, letztlich die Geldquelle der Regierung. Wie es die ehemalige britische Premierministerin, Theresa May, in jüngerer Zeit formulierte, hat die Regierung keinen „magischen Geldbaum“.6 Nur, wenn sie mehr von unserem Geld nimmt, heißt es, kann es sich die Regierung leisten, die Finanzierung bereits bestehender Programme aufzustocken oder gar ehrgeizige neue Projekte zu finanzieren.

Den meisten von uns leuchtet es wahrscheinlich ein, dass die Regierung mehr Steuern erheben muss, um mehr auszugeben. Und das wissen unsere Politiker. Sie wissen auch, dass die meisten von uns nicht wollen, dass die Steuern erhöht werden, also verstricken sie sich bei der Jagd nach Wählerstimmen immer mehr in Widersprüche, indem sie geloben, Großes zu vollbringen, ohne dass die Mehrheit von uns mehr bezahlen muss. Beispielsweise versprach Donald Trump dem amerikanischen Volk, dass Mexiko die Grenzmauer bezahlen werde, wohingegen die Demokraten behaupten, dass viele ihrer ehrgeizigen Projekte von Milliardären und der Wall Street finanziert werden können. Von irgendwoher muss das Geld schließlich kommen, nicht wahr? In Wirklichkeit ist es genau andersherum. Doch bevor wir uns damit befassen, sehen wir uns zuerst die herkömmlichen Vorstellungen an, um diese rückständige Denkweise dann leichter mit dem wahren Sachverhalt vergleichen zu können.

Sie wissen doch noch, dass wir unsere eigenen Finanzen am besten verstehen, und dass wir wissen, dass wir erst zu Geld kommen müssen, bevor wir es ausgeben können. Also scheint der Gedanke, dass sich die Bundesregierung für ihre Ausgaben Geldmittel beschaffen muss, intuitiv richtig. Ausgehend von unseren eigenen Erfahrungen wissen wir, dass wir nicht einfach mit neuen Schuhen aus einem Geschäft spazieren oder mit einem neuen Sportwagen vom Autohändler wegfahren können, bevor wir dafür bezahlt haben. Nach konventioneller Denkart ist die Regierung von zwei Geldquellen abhängig: Sie kann unsere Steuern erhöhen, oder sie kann sich unsere Ersparnisse leihen. Mittels Steuern kann die Regierung Geld von denen eintreiben, die es besitzen, weshalb Steuern als ein Weg angesehen werden, um der Bundesregierung Geld zu übertragen. Wenn die Bundesregierung mehr ausgeben möchte, als sie an Steuern einnimmt, kann sie sich zusätzliche Geldmittel beschaffen, indem sie bei Sparern Darlehen aufnimmt. In beiden Fällen gilt die Vorstellung, dass die Regierung das Geld aufbringen muss, bevor sie es ausgibt. So hat man den meisten von uns die finanzpolitischen Aktivitäten der Regierung erklärt. An erster Stelle stehen Steuern und Darlehen. An letzter Stelle stehen die Ausgaben. Eine nützliche Gedächtnisstütze für die konventionelle Denkart ist (TAB)S: Steuern und Darlehen (taxing and borrowing) vor Ausgaben (spending).

Weil wir darauf trainiert worden sind, zu glauben, dass die Regierung genau wie wir erst „das Geld aufbringen muss“, bevor sie es ausgeben kann, sind alle von der Frage besessen: Wie sollen wir das bezahlen? Man hat uns beigebracht, von unseren gewählten Politikern zu erwarten, dass sie uns einen Plan vorlegen, der genau zeigt, woher sie jeden neuen Dollar nehmen werden, den sie ausgeben wollen. Selbst die progressivsten Kandidaten fürchten, dass man ihnen den Kopf abreißt, wenn ihre Vorschläge das Defizit erhöhen, weshalb Darlehen fast nie in Frage kommen. Um zu beweisen, dass ihre Maßnahmen das Defizit nicht erhöhen werden, überlegen sie, wie sie mehr Steuererträge aus der Wirtschaft herauspressen können und zielen dabei normalerweise auf diejenigen ab, die es sich am ehesten leisten können, mehr zu zahlen. Beispielsweise behauptet Senator Bernie Sanders, dass eine Transaktionssteuer staatliche Schulen und Universitäten von Studiengebühren befreien wird, und Senatorin Elizabeth Warren versichert, dass eine 2-prozentige Steuer auf Vermögen über 50 Millionen US-Dollar ausreichen würde, um 95 Prozent der Studenten die Schuldenlast ihrer Studiengebühren abzunehmen und zusätzlich Kinderbetreuung und kostenlose Universitäten zu finanzieren. In beiden Fällen soll bewiesen werden, dass sich durch die Besteuerung der Reichsten Amerikas alles bezahlen lässt. Wie wir auf den nächsten Seiten sehen werden, können neue Programme oft finanziert werden, ohne die Steuern erhöhen zu müssen. Die Erhöhung des Defizits sollte kein Tabu sein. Steuern sind von entscheidender Bedeutung, doch besteht kein Grund zur Annahme, die Regierung müsse vor jeder Investition in unsere Wirtschaft zuerst die Steuern anheben.

In der Praxis nimmt die Bundesregierung fast nie ausreichend Steuern ein, um all ihre Ausgaben auszugleichen. Defizitausgaben sind die Norm, und alle in Washington, D.C. wissen das. Und auch die Wähler wissen es. Deshalb schimpfen so viele Politiker, dass der Kongress seinen Haushalt in Ordnung bringen solle, bevor es zu spät sei. Um ihr Engagement für die gute alte Haushaltsführung zu beweisen, führten die Demokraten unter Leitung der Sprecherin Nancy Pelosi (D-CA) 2018 die Umlagenfinanzierung (PAYGO) wieder ein. Unter PAYGO sind Darlehen zur Finanzierung neuer Ausgaben eigentlich verboten. So wird (TAB)S auf Besteuerung und Ausgaben (T)S reduziert, weshalb die Gesetzgeber unter enormem Druck stehen, neue Ausgaben durch Einnahmen aus neuen Steuern abzudecken.7

Ist das eine gute politische Strategie? Ist es gute Ökonomie? Auf jeden Fall klingt es nach einer vernünftigen Haushaltsmethode. Sie wurzelt jedoch in falschen Vorstellungen dazu, wie die Regierung tatsächlich Geld ausgibt. In Wirklichkeit ist es nämlich genau umgekehrt.

WIE DER WÄHRUNGSEMITTENT GELD AUSGIBT: S(TAB)

Weil es die vorherrschende Denkart ist, stellen sich die meisten von uns vermutlich eine Version des (TAB)S-Modells vor. Selbst dann, wenn wir uns nie mit den inneren Abläufen des Staatshaushalts auseinandergesetzt haben, glauben wir wahrscheinlich, dass der Staat auf unser Geld angewiesen ist, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Vielleicht empfinden wir sogar einen gewissen Patriotismus, wenn wir jedes Jahr im April einen Scheck an die US-Finanzbehörde schicken, und sind stolz darauf, dass wir ein wenig dazu beigetragen haben, dass Sozialwohnungen gebaut, unsere Männer und Frauen in Uniform bezahlt und unsere Landwirte großzügig subventioniert werden. Leider habe ich jedoch schlechte Nachrichten für Sie, denn tatsächlich verhält es sich völlig anders. Falls Sie nicht bereits sitzen, sollten Sie das jetzt tun. Sind Sie bereit? Mit Ihren Steuern wird überhaupt nichts bezahlt, zumindest nicht auf Bundesebene. Die Regierung braucht unser Geld nicht. Wir brauchen ihr Geld. Wir sehen das Ganze völlig verkehrt!

Als ich dieser Darstellung der Funktionsweise von Steuern und Ausgaben zum ersten Mal begegnete, schreckte ich zurück. Es war 1997, und ich steckte mitten in einem PhD-Programm für Wirtschaft, als mir jemand ein kleines Buch mit dem Titel Soft Currency Economics zukommen ließ.8 Der Autor des Buches, Warren Mosler, war ein erfolgreicher Wall-Street-Investor, kein Ökonom, und in seinem Buch ging es darum, wie die Wirtschaftswissenschaft beinahe alles falsch verstand. Ich las es und war nicht überzeugt.

Mosler zufolge tätigt die Regierung zuerst Ausgaben und erhebt dann Steuern oder nimmt Darlehen auf. Diese Reihenfolge kehrt Thatchers Diktum komplett um und bringt die Gedächtnisstütze in eine neue Reihenfolge: S(TAB) – Ausgaben vor Steuern und Darlehen. Moslers Argumentation zufolge kommt es der Regierung gar nicht darauf an, dass Andere die TAB übernehmen, sie bringt ihre Währung einfach durch Ausgaben in Umlauf. Warren erkannte Dinge, die den meisten Ökonomen entgingen. Viele von uns hielten seine Ideen anfangs für völlig neuartig, doch die meisten davon waren es gar nicht. Sie waren nur uns neu. Tatsächlich finden sie sich in kanonischen Texten wie Adam Smiths Wohlstand der Nationen oder in John Maynard Keynes’ zweibändigem Klassiker, Vom Gelde (wo wir sie dann auch jeweils fanden). Schon vor langer Zeit waren Anthropologen, Soziologen, Philosophen und Andere zu ähnlichen Schlussfolgerungen zur Natur des Geldes und der Rolle von Steuern gekommen, doch die Ökonomie hinkte großteils hinterher.

Mosler gilt als Vater der MMT, weil er diese Ideen in den 1990er Jahren einigen von uns nahebrachte. Er sagt, er wisse nicht, wie er zu dieser Auffassung von Steuern und Staatsausgaben gelangt war, dass er jedoch nach jahrelanger Arbeitserfahrung auf den Finanzmärkten einfach darauf kam. Er war daran gewöhnt, in Soll und Haben zu denken, weil er mit Finanzinstrumenten gehandelt und zugesehen hatte, wie Geld zwischen Bankkonten hin und her überwiesen wurde. Eines Tages begann er, zu überlegen, wo all diese Dollars wohl ursprünglich herkamen. Er kam auf den Gedanken, dass die Regierung zuerst Dollars hinzufügen (gutschreiben) musste, bevor sie sie von uns abziehen (abbuchen) konnte. Also folgerte er, dass die Ausgaben zuerst dagewesen sein mussten, denn woher hätten wir sonst die für Steuerzahlungen benötigten Dollars bekommen? Auch wenn die Logik unfehlbar wirkte, war ich überzeugt, dass an der Geschichte etwas falsch sein musste. Wie auch nicht? Sie stellte mein gesamtes Wissen zu Geld, Steuern und Staatsausgaben auf den Kopf. Ich hatte bei weltbekannten Ökonomen an der Universität Cambridge Wirtschaftswissenschaften studiert und von keinem meiner Professoren jemals so etwas gehört. Tatsächlich deckten sich alle Modelle, die sie mich gelehrt hatten, mit Thatchers Diktum, dass Regierungen zuerst Steuern erheben oder Darlehen aufnehmen müssen, bevor sie Ausgaben tätigen können.9 Konnte es wirklich sein, dass fast alle unrecht hatten? Ich musste es herausfinden.

1998 besuchte ich Mosler in seinem Haus in West Palm Beach in Florida, wo ich stundenlang seinen Ausführungen zuhörte. Als erstes bezeichnete er den US-Dollar als „ein simples öffentliches Monopol“. Da die US-Regierung die einzige Quelle für Dollars ist, war es Unfug, zu glauben, dass Uncle Sam von uns anderen Dollars bekommen musste. Selbstverständlich konnte der Emittent des Dollar so viele Dollars haben, wie er nur wollte. „Die Regierung will keine Dollars“, erklärte Mosler. „Sie will etwas Anderes.“

„Was will sie denn?“, fragte ich.

„Sie will sich versorgen”, antwortete er. „Die Steuern sind nicht dazu da, um Geld zu beschaffen. Sie sind dazu da, damit die Menschen arbeiten und Dinge für die Regierung herstellen.“

„Was für Dinge?“, fragte ich.

„Ein Militär, ein Gerichtssystem, öffentliche Parks, Krankenhäuser, Straßen, Brücken. Solche Dinge eben.“

Damit die Bevölkerung all diese Arbeit leistet, erlegt ihr die Regierung Steuern, Gebühren, Strafzahlungen oder andere Verbindlichkeiten auf. Die Steuern sind dazu da, um eine Nachfrage nach der Währung der Regierung zu schaffen. Bevor Steuern bezahlt werden können, muss Arbeit verrichtet werden, um die Währung zu verdienen.

Mein Kopf drehte sich. Dann erzählte er mir eine Geschichte.

Mosler besaß ein wunderschönes Haus am Strand mit Swimmingpool und allem erdenklichen Luxus. Er hatte auch eine Familie, zu der zwei Kinder gehörten. Zur Veranschaulichung seines Arguments erzählte er mir, dass er sich einmal mit seinen zwei Kindern hingesetzt und ihnen erklärt habe, dass sie ihren Teil dazu beitragen mussten, um das Haus sauber und wohnlich zu halten. Er wollte, dass der Rasen gemäht, die Betten gemacht, das Geschirr gewaschen und die Autos geputzt wurden, und so weiter. Um sie für ihre Zeit zu entlohnen, bot er ihnen an, sie für ihre Arbeit zu bezahlen. Drei seiner Visitenkarten, wenn sie ihre Betten machten. Fünf fürs Geschirrwaschen. Zehn für ein geputztes Auto und fünfundzwanzig für Gartenarbeit. Aus Tagen wurden Wochen, und das Haus wurde zusehends unbewohnbar. Das Gras wuchs kniehoch. In der Spüle stapelten sich die Teller, und die Autos waren von der Meeresbrise mit Sand und Salz bedeckt. „Warum arbeitet ihr nicht?“, fragte Mosler die Kinder. „Ich habe euch doch gesagt, dass ich euch mit meinen Visitenkarten bezahle, wenn ihr im Haushalt helft.“ „Pa-paaa“, kam von den Kindern zurück. „Warum sollen wir denn für deine Visitenkarten arbeiten? Die sind doch nichts wert!“

Da hatte Mosler seine Erleuchtung. Die Kinder hatten keine Hausarbeit getan, weil sie seine Karten nicht brauchten. Also sagte er den Kindern, sie bräuchten überhaupt nichts zu tun. Er wollte lediglich, dass sie ihm jeden Monat dreißig seiner Visitenkarten zahlten. Wenn sie nicht zahlten, hätte das den Verlust von Privilegien zur Folge. Kein Fernsehen mehr, kein Bad im Swimmingpool oder Fahrten zum Einkaufszentrum. Es war ein Geniestreich. Mosler hatte eine „Steuer“ eingeführt, die nur mit seinem monogrammierten Papier bezahlt werden konnte. Jetzt waren die Karten etwas wert.

Innerhalb von Stunden wuselten die Kinder umher und brachten ihre Zimmer, die Küche und den Garten in Ordnung. Was zuvor eine wertlose rechteckige Visitenkarte gewesen war, wurde nun zum wertvollen Zahlungsmittel. Doch warum? Wie brachte Mosler die Kinder dazu, all diese Arbeiten zu verrichten, ohne sie dazu zu zwingen? Ganz einfach. Er brachte sie in eine Lage, in der sie seine „Währung“ verdienen mussten, um keinen Ärger zu bekommen. Jedes Mal, wenn die Kinder eine Aufgabe erledigten, erhielten sie dafür eine Quittung (eine Anzahl Visitenkarten) von ihrem Vater. Am Ende des Monats gaben die Kinder die Visitenkarten an ihren Vater zurück. Wie Mosler erklärte, brauchte er seine eigenen Visitenkarten eigentlich nicht wieder von seinen Kindern einzusammeln. „Was sollte ich denn mit meinen eigenen Karten?“, fragte er. Er hatte bereits bekommen, was er wollte – ein aufgeräumtes Haus! Warum machte er sich also die Mühe, die Karten von den Kindern zurückzunehmen? Warum überließ er sie ihnen nicht als Andenken? Der Grund dafür war einfach: Mosler sammelte die Karten ein, damit die Kinder sie im nächsten Monat wieder verdienen mussten. Er hatte ein wirksames Versorgungssystem geschaffen! Wobei wirksam in diesem Fall bedeutet, dass es sich stets aufs Neue wiederholt.

Mithilfe dieser Geschichte erläuterte Mosler einige Grundprinzipien der Art und Weise, wie sich Währungsemittenten tatsächlich selbst finanzieren. Steuern sind dazu da, eine Nachfrage nach der Währung der Regierung zu schaffen. Die Regierung kann die Währung als ihre ganz eigene Rechnungseinheit definieren – ein Dollar, ein Yen, ein Pfund, ein Peso – und dann ihrem ansonsten wertlosen Papier Wert verleihen, indem sie es zur Zahlung von Steuern und anderen Verbindlichkeiten verpflichtend macht. Wie Mosler scherzhaft anmerkt, „Steuern machen Müll zu Währung.“ Letzten Endes will eine währungsemittierende Regierung etwas Reales, nicht etwas Monetäres haben. Die Regierung will nicht unsere Steuergelder. Sie will unsere Zeit. Damit wir für den Staat etwas produzieren, lässt sich die Regierung Steuern oder andere Arten von Pflichtzahlungen einfallen. Das ist nicht die Erklärung, die man in den meisten Lehrbüchern zur Ökonomie findet, in denen lieber eine oberflächliche Geschichte erzählt wird, wonach Geld als Lösung für die Unannehmlichkeiten des Tauschhandels – den geldlosen Austausch von Waren – erfunden wurde. In dieser Geschichte ist Geld einfach ein zweckmäßiges Mittel, das auf natürliche Weise entstand, um den Handel effizienter zu gestalten. Zwar wird Studenten vermittelt, dass Tauschhandel früher sozusagen als natürlicher Zustand allgegenwärtig war, doch für die Gelehrten der Antike gab es wahrscheinlich kaum Belege dafür, dass sich Gesellschaften jemals um den Tauschhandel herum organisiert hätten.10

Die MMT lehnt die ahistorische Geschichte vom Tauschhandel ab und setzt stattdessen am Charta-lismus an, einem umfangreichen wissenschaftlichen Ansatz, der beweist, dass Steuern den Herrschern der Antike und frühen Nationalstaaten dazu dienten, um ihre eigenen Währungen einzuführen, welche dann erst später als Tauschmittel unter Privatpersonen in Umlauf kamen. Von Anfang an schafft die Steuerverbindlichkeit Menschen, die nach bezahlter Arbeit in der Währung der Regierung suchen (also Arbeitslosigkeit). Die Regierung (oder eine andere Autorität) bringt die Währung dann durch Ausgaben in Umlauf und ermöglicht den Menschen den Zugriff auf das Zahlungsmittel, das sie zur Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten beim Staat benötigen. Natürlich können die Steuern erst bezahlt werden, wenn die Regierung ihr Zahlungsmittel bereitstellt. Als einfaches logisches Argument erklärte Mosler, dass die meisten von uns die Reihenfolge falsch verstanden. Nicht die Steuerzahler finanzieren die Regierung, sondern die Regierung finanziert die Steuerzahler.11

Allmählich verstand ich es, zumindest theoretisch. Ich begann, die Regierung als Währungsmonopolisten zu betrachten. Moslers Argument brachte Kindheitserinnerungen zurück, als ich mit meiner Familie Monopoly spielte. Beim Nachdenken über die Spielregeln wurden mir die Parallelen noch klarer. Zunächst einmal kann erst gespielt werden, wenn es einen Bankhalter gibt. Die Spieler entrichten keinen Einsatz, um das Spiel zu beginnen. Das können sie nicht, weil sie es noch nicht haben. Die Währung muss zuerst emittiert werden, bevor sie erhältlich wird. Nach Auszahlung des Startgelds bewegen sich die Spieler um das Spielbrett und kaufen Immobilien, zahlen Miete, landen im Gefängnis oder ziehen eine Karte, die sie anweist, 50 Dollar an das Finanzamt zu zahlen. Jedes Mal, wenn ein Spieler erneut über „Los“ geht, bekommt er von der Person, die die Währung verwaltet, 200 Dollar ausgezahlt. Da die Spieler lediglich Nutzer der Währung sind, können sie pleite gehen, was sie auch tun. Dem Emittenten jedoch kann das Geld nie ausgehen. Tatsächlich besagen die offiziellen Spielregeln12 wortwörtlich, „Die Bank geht niemals ‚bankrott‘. Der Bankhalter kann zusätzliches Geld herstellen, indem er die Werte auf kleine Zettel schreibt“ (meine Hervorhebung).

Ich dachte über diese Idee nach, auf Papier zu schreiben, um Geld herzustellen, als ich mit meinen eigenen Kindern das US Bureau of Engraving and Printing in Washington, D.C. besuchte. Wenn Sie noch nicht dort waren, kann ich es Ihnen nur wärmstens empfehlen. Es ist äußerst aufschlussreich. Für einen Besuch kann man sich auf der Website der Regierung anmelden: www.moneyfactory.gov. Dort geht es viel technischer zu als beim Monopoly, bei dem man Geld herstellt, indem man „auf kleine Zettel schreibt“, doch ist es im Grunde dasselbe. Es ist einer der Orte, an denen unser Währungsemittent die Währung herstellt.13 Eines der ersten Dinge, die mir auffielen, war ein riesiges Neon-schild hoch über den Gravieranlagen. Darauf stand: „Wir machen Geld nach alter Manier. Wir drucken es.“ Alle wollten ein Bild davon machen, doch fotografieren ist während des Besuchs nicht gestattet. Staunend sah die Menge zu, wie die Maschinen ungeschnittene Bogen von 10-Dollar-, 20-Dollar- und 50-Dollar-Scheinen ausspuckten. Dann sprach jemand aus, was wir alle dachten. „Ich wünschte, das könnte ich auch!“ Leider müssen wir die Herstellung jedoch dem US Bureau of Engraving and Printing überlassen, wenn wir nicht in einem orangen Overall enden wollen.

Diese Scheine machen einen Teil des Währungsvorrats der Vereinigten Staaten aus. Wie die alten, mit Pennys, 5- und 10-Cent-Stücken gefüllten Einmachgläser auf dem Regal Ihrer Großmutter bescheinigen, emittiert die Regierung auch US-Währung in Form von Münzen. Genauso, wie sich die Federal Reserve als die „ausstellende Behörde für alle Geldscheine der Federal Reserve“ bezeichnet, so bezeichnet sich die Prägeanstalt als den „einzigen Hersteller von Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel der Vereinigten Staaten“. Schließlich emittiert die Federal Reserve auch digitale Dollars, als Bankreserven bekannt.14 Diese kommen ausschließlich durch Tastenanschläge auf einem Computer zustande, der vom Fiskalagenten der Regierung, der Federal Reserve, gesteuert wird. Als die Banken der Wall Street Billionen von Dollars brauchten, um die Finanzkrise von 2008 zu überstehen, zauberte die Fed sie mühelos aus dem Nichts herbei, indem sie einfach eine Tastatur bei der Federal Reserve Bank in New York bediente.

Dem Normalbürger mag es so vorkommen, als benutze die Regierung tatsächlich die Geldscheine, die aus der Druckmaschine schießen, oder die Münzen, die aus der Prägemaschine purzeln, um ihre Rechnungen zu begleichen. Nachrichtenkanäle zeigen jedenfalls liebend gern, wie Geld in Massen produziert wird. Oft begleiten sie eine Reportage zu Staatsausgaben mit einem Video, in dem frisch gedruckte Geldscheine von der Druckerpresse ausgespuckt werden. Doch die Geldscheine und Münzen der Federal Reserve dienen hauptsächlich unserer Bequemlichkeit. Müsste die Bundesregierung die Firma Boeing für eine Flotte neuer Kampfjets mit einer riesigen Menge an materiellem Geld bezahlen, dann wäre das viel zu umständlich. So funktioniert es einfach nicht.

Anstatt wie beim Monopoly das Geld mit vollen Händen auszuzahlen, leistet die Bundesregierung die meisten ihrer Zahlungen so, wie ein Punkteverwalter beim Bridge Punkte vergibt. Mit der Ausnahme, dass keine Punkte auf einer Punktekarte vermerkt werden, sondern die Zahlungen einfach von jemandem bei der Federal Reserve in eine Tastatur eingetippt werden. Lassen Sie mich das erklären.

Nehmen wir zum Beispiel Militärausgaben. 2019 verabschiedeten das Repräsentantenhaus und der Senat ein Gesetz zur Aufstockung des Militärhaushalts und genehmigten 716 Mrd. US-Dollar, beinahe 80 Mrd. mehr, als der Kongress im Steuerjahr 2018 bewilligt hatte.15