Der digitale Dämon - Ralph Haupter - E-Book

Der digitale Dämon E-Book

Ralph Haupter

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Beschreibung

Der globale Siegeszug von Computer und Internet ist atemberaubend – und widersprüchlich zugleich. Erfolgsmeldungen über bahnbrechende Innovationen wie Cloud Computing wechseln sich ab mit Hiobsbotschaften über eklatante Schwachstellen dieser Technologien. Die digitale Debatte ist in vollem Gange, viele Fragen in Bereichen wie Datenschutz und Sicherheit, Aufklärung und Transparenz sind noch ungeklärt. Auch deshalb droht die Gefahr eines gesellschaftlichen Akzeptanzverlustes mit katastrophalen Auswirkungen auf die Innovationsbereitschaft von Unternehmen und Institutionen, von Bürgern und Behörden. Microsoft-Manager Ralph Haupter lädt deshalb prominente Stimmen und Schrittmacher ein – von Prof Dr. Miriam Meckel (Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen und Bestsellerautorin) über Sebastian Nerz (Bioinformatiker und stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland) bis hin zu Prof. Dr. Björn Bloching (Partner bei Roland Berger Strategy Consultants) und viele mehr –, Wege aus der digitalen Vertrauenskrise und neue Leitbilder für eine vernetzte Welt aufzuzeigen.

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Seitenzahl: 233

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Ralph Haupter (Hrsg.)

Der digitale Dämon

Informations- und Kommunikationstechnologien zwischen Alltag und Ängsten

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2013

© 2013 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Projektleitung: Ines Gensinger, Leitung Business- und Consumer Kommunikation, Microsoft Deutschland, Unterschleißheim

Kommunikationsberater: Dr. Kai Donau, Faktor 3, Hamburg

Projektkoordination: Prof. Dr. Norbert Kostede, Unternehmensberater, Berlin, [email protected]

Redaktion: Matthias Michel, Wiesbaden

Umschlagabbildung: www.iStockphoto.com

eBook Umsetzung: Georg Stadler, München

ISBN: 978-3-86414-373-1

Inhalt

Vorwort
Das digitale Paradoxon – Ralph Haupter
Unternehmerische Verantwortung im Zeitalter von Cloud Computing
Vertrauen als Standortfaktor
Produktive Zerstörungsprozesse
Der gesellschaftliche Wandel
Cloud Computing als Game Changer
Corporate Technical Responsibility
Mehr Mut zur Kontroverse
Datenschutz und Sicherheit
Wie sicher sind unsere Daten?
Informationssicherheit – Michael Waidner
IT-Sicherheit als Ziel
Cloud Computing: Neue Technologien, neue Risiken
IT-Sicherheit als Problem
Was bringt die Zukunft?
Die Rolle von Forschung und Entwicklung in der IT-Sicherheit
Offizielle Versionen versus mögliche Wahrheiten – Cybersecurity und das Problem der Geheimhaltung – Sandro Gaycken
Wahrheit und Version
Lügen im Cyberspace
Cybersecurity – Was ist das wahre Problem?
Die Öffnung wagen
Literatur
Das Netz vergisst nicht – Klaus Eck
Online Reputation Management
Risiken für die Unternehmenskommunikation
Mit Persönlichkeit punkten
Häufige Fehler in der Kommunikation
Neue Spielregeln in der Markenführung
Chancen für die Unternehmenskommunikation
Aktiv den Ruf managen
Tipps für Ihr Social-Media-Engagement
Post-Privacy – Christian Heller
Kontrollverlust
Wert und Geschichtlichkeit
Chancen der Datenentfesselung
Demgegenüber: der Datenschutz
Gefahren, Machtfragen
Fazit
Big Data und Datenschutz – Björn Bloching
Bier und Pampers
Crunch!
Die Evidenz der Evidenz
Wer die Daten hat, kennt die Kunden
Die Daten der Anderen oder: Niemand will mehr niemand sein
Zugang und Transparenz
Freies, offenes Internet – nur eine Utopie?
Die Eisenbahn des 21. Jahrhunderts ist keine mehr – Gerold Reichenbach
Alle und alles ans Netz – Florian Rötzer
Die Utopie der digitalen Revolution
Gegenwärtige Trends
Von der digitalen und der sozialen Kluft
Literatur
Die Inklusion der Insider: Soziale Herausforderungen für Nerds und Geeks in der digitalisierten Gesellschaft – Stephan Humer
Die Supernova der Ideen – Sven Gábor Jánszky
Wie kleine und mittlere Unternehmen auf IT-Potenziale zurückgreifen, die sich bislang nur Großunternehmen leisten konnten
Die strategische Bedeutung der Cloud: Der Regelbruch
Die Regel des Regelbruchs: Das eigene Geschäftsmodell angreifen
Wo bleibt die Supernova der Ideen?
Die Gewinner und die Verlierer der Supernova
Was müssen KMU künftig tun: Die neuen Regeln nach der Supernova
Demokratie durch Transparenz – Sebastian Nerz
Menschen und Maschinen – Miriam Meckel
Wenn Unterschiede unsichtbar werden
Gedankenlesen ist nicht länger Science-Fiction
1. Das algorithmisch personalisierte Internet: Ich bin mein Profil
2. Die grenzenlose Veröffentlichung des Lebens: Du siehst mein Profil
3. Der Mensch als Hybrid: Technik und Geist, Maschine und Körper
Mensch und Maschine: Die Unbeobachtbarkeit des Unterscheidbaren
Vertrauen und Verantwortung
Sind wir bereit für das digitale Zeitalter?
CSR: Unternehmen als Verantwortungs- und Dialogpartner – Achim Halfmann
Keine neue Form der Wohltätigkeit
Mehr als ein Hype
Unternehmen als Teamplayer
Unternehmen im Dialog
Greenwashing schadet allen
Vertrauen in der digitalen Welt – Bernhard Rohleder
Der Weg zu einem marktwirtschaftlichen Internet – mit Hilfe maßvoller Ordnungspolitik und effektiver Kriminalitätsbekämpfung – Hans-Peter Uhl
Wettbewerb, Freiheit, Demokratie: Notwendige Grundwerte im globalen Netz?! – Axel E. Fischer
Ein weltumspannendes kommerzielles Netzwerk
Das Internet verändert Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft
Welche weitere Entwicklung nimmt das Internet?
Europa zwischen Nordamerika und Asien
EU-Initiative für globale Internetregeln
Die Regulierung des Internets – Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Literatur
Autorenverzeichnis

Vorwort

Während andere Länder schon längst die Chancen nutzen, ist man in Deutschland noch bei der Risikoprüfung. Diese Betrachtung der Technikakzeptanz hierzulande mag recht pauschal klingen – ganz falsch ist sie nicht, wie die Schlagzeile »Datenschützer verbieten Facebook-Fanseiten« aus dem vergangenen Jahr zeigt. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) hatte die Datenschutzeinstellungen des sozialen Netzwerks »auf Herz und Nieren« geprüft und kam zu dem Schluss, dass diese »gegen das Telemediengesetz (TMG), gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) bzw. das Landesdatenschutzgesetz Schleswig-Holstein (LDSG SH)« verstoßen. Bußgelder in Höhe von bis zu 50.000 Euro könnten bald für die Verwendung spezieller Facebook-Dienste anfallen. Betroffen: alle Webseitenbetreiber in Schleswig-Holstein – sowohl Privatpersonen wie auch Behörden oder Unternehmen –, die auf ihrer Internetseite über einen »Gefällt mir«-Button oder eine Fanpage bei Facebook verfügen.

Kurz gesagt: In Deutschland wird bei der Einführung neuer Technologien etwas intensiver geprüft und heftiger gestritten als anderswo: Kaum ist ein neuer Online-Service, ein neues soziales Netzwerk oder eine neue Web-Anwendung verfügbar, ruft dies Datenschützer, Web-Aktivisten und Soziologen gleichermaßen auf den Plan, die über Schutz von Identitäten, um die Freiheit des Netzes oder gesellschaftsverändernde Kulturtechniken streiten.

Um es klar zu sagen: Dass die digitale Debatte in Deutschland derart breit und intensiv geführt wird, ist gut und richtig. Denn wie keine zweite Technologie verändern Computer und Internet unser Leben und Arbeiten radikal und werfen – bei allen Chancen und Potenzialen – neue soziale und regulatorische Fragen auf. Fragen, auf die die Gesellschaft Antworten erwartet. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Fragen verhindert, dass voreilig Tatsachen geschaffen werden, und ermöglicht es, eine breite Akzeptanz neuer Technologien herzustellen.

Nehmen wir das Beispiel Cloud Computing: Ohne Zweifel stellt diese Technologie das für die nächsten Jahre entscheidende Innovationsfeld der globalen Wirtschaft dar. Sie ermöglicht effizientere Unternehmensstrukturen, aber auch die Entwicklung revolutionärer Geschäftsmodelle und den Eintritt neuer Marktakteure. Die Bedeutung der Technologie geht jedoch weit über den rein wirtschaftlichen Aspekt hinaus: Cloud Computing ist der Schlüssel zur Lösung vieler gesellschaftspolitischer Herausforderungen: vom demografischen Wandel, dem Gesundheitswesen bis hin zu einer stärkeren Beteiligung der Bürger an politischen Prozessen.

So helfen IT-Technologien Verwaltungen und Parlamenten dabei, zunehmenden Forderungen der Bürger nach mehr Transparenz und größeren Beteiligungsmöglichkeiten nachzukommen: Das Land Hessen beispielsweise bindet die Bevölkerung bei der geplanten Nutzung von Windenergie ein, stellt online sämtliche Dokumente zur Verfügung und ermöglicht es den Bürgern, über eine Internetplattform unmittelbar eine Stellungnahme abzugeben. Auf diese Weise kann dazu beigetragen werden, Blockaden und Widerstände bei Projekten dieser Größe leichter zu überwinden.

Es ließen sich noch viele weitere Beispiele aus den Bereichen Bildung, Verkehr, aber auch Katastrophenschutz und Umweltschutz aufzählen: Die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien ist ohne IT-gestützte, intelligente Stromnetze nicht denkbar. Telematiksysteme machen unseren Verkehr künftig sicherer und umweltgerechter. Internettechnologien helfen im Gesundheitswesen, etwa durch Ferndiagnosen per Internet, die Behandlungsqualität zu steigern und die Behandlungskosten zu senken.

Gerade aus den genannten Gründen steht aber auch fest: Die Zukunft unserer ganzen Gesellschaft hängt davon ab, ob und wie wir die digitalen Technologien als zentralen Standortfaktor begreifen und zu handhaben lernen. Dies setzt allerdings ein Grundvertrauen der Bürger in diese Technologien voraus. Als vor kurzem das neue Meldegesetz beschlossen wurde, das eine Weitergabe von Personen­daten der Behörden an Unternehmen erlaubt, ging ein Aufschrei durch die Medien. Im Raum stand nicht nur der Vorwurf, dass der Staat auf diese Weise zum »kommerziellen Adresshändler« werde. Stein des Anstoßes war vor allem, dass sämtliche Fraktionen bekannten, sich nicht ausreichend mit dem Gesetzesentwurf und dessen Folgen auseinandergesetzt zu haben – und nur eine beschämend kleine Zahl von Parlamentariern den Entwurf »durchgewinkt« hatte. Vor diesem Hintergrund kann man es einem Bürger nicht verdenken, wenn er auf Begriffe wie »Modernisierung des Staates« oder »Effizienz in der Verwaltung« eher mit Misstrauen als mit Euphorie reagiert.

Auch können wir nicht die Augen davor verschließen, dass im Schatten digitaler Innovationen und Visionen enorme Gefahren heranwachsen: Cyberattacken auf Unternehmen und Behörden oder Störanfälle in sensiblen Energie- und Verkehrssystemen. Solche Ereignisse haben selbst bei begeisterten Internetfreunden das Vertrauen in die digitalen Technologien erschüttern können.

Ralph Haupter hat sich viele Jahre in seiner Funktion als Geschäftsführer von Microsoft Deutschland mit diesen Themen beschäftigt und versteht den vorliegenden, von ihm herausgegebenen Sammelband auch als Zusammenfassung seiner Industrieerfahrungen und der durch ihn initiierten öffentlichen Diskussionen. Auch nach seiner Berufung zum CEO für die Region Greater China wird er die digitale Debatte weiter begleiten. Er hat deshalb die prominenten Stimmen und Schrittmacher der Debatte eingeladen, in diesem Buch zentrale Trends und Herausforderungen der Digitalisierung unter die Lupe zu nehmen. Autoren aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Online-Medien und der Internet-Community argumentieren aus unterschiedlichen Perspektiven und mit zuweilen äußerst kontroversen Beurteilungen.

Jeder Beitrag setzt einen eigenen Schwerpunkt: Mal ist das Thema die Internetsicherheit oder der Datenschutz, mal geht es um Transparenzfragen oder neuartige Aspekte des Digital Divide. Post-Privacy-Argumente kreuzen sich mit Datenschutz-Plädoyers, technologische mit gesellschaftlichen Sicherheitskonzepten, kulturkritische Netzanalysen mit fortschrittsoptimistischen Positionen, Liquid-Democracy-Hoffnungen mit traditionellen Repräsentationskonzepten.

Und natürlich wollen wir als Unternehmen und Vertreter der IT-Industrie unseren Beitrag zu der Debatte leisten. In seiner Einleitung entwickelt Ralph Haupter dazu die Grundzüge einer Corporate Technical Responsibility von IT-Unternehmen. Unsere Konzepte und Produkte sind es ja, die den rasanten gesellschaftlichen Wandel antreiben. Aus diesem Grund steht die IT-Branche in der Pflicht, ihre gesellschaftliche Verantwortung im Kontext der aktuellen digitalen Diskussion zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu definieren: ob es um Sicherheits- und Datenschutzstandards geht, um Transparenz und gleichberechtigten Internetzugang oder um die politischen und kulturellen Auswirkungen des Internets auf die moderne Gesellschaft.

Eine digitale Debatte ist notwendig. Nur indem die IT-Industrie sich mit allen gesellschaftlichen Akteuren austauscht, um gemeinsam Lösungen zu finden, kann ein Systemvertrauen der Bürger entstehen. Engagieren wir uns hingegen nicht, riskieren wir eine dauerhafte Vertrauenskrise und eine weitere mögliche Lähmung gegenüber anderen – mit verheerenden Folgen für unsere Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

Dr. Marianne Janik, Senior Director Public Sector und Mitglied der Geschäftsleitung Microsoft Deutschland GmbH.

Unterschleißheim im Oktober 2012

Das digitale Paradoxon – Ralph Haupter

Unternehmerische Verantwortung im Zeitalter von Cloud Computing

Grenzüberschreitung! Verfassungswidriges Vorhaben! Verletzung von Tabus! Die Öffentlichkeit – online wie offline – geriet in Aufruhr, als die Pläne der Scoring-Agentur Schufa bekannt wurden, künftig Informationen aus sozialen Netzwerken für die Bonitätsbewertung von Verbrauchern zu nutzen. Gemeinsam mit dem Hasso-Plattner-Institut hatte sie ein Projekt gestartet, um herauszufinden, ob und wie sich beispielsweise die Analyse von Textdaten oder von Freundeskreisen zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit einsetzen lassen.

Ein kurzer Facebook-Eintrag zur Ebbe im eigenen Geldbeutel. Zu viele XING-Freunde mit prekären Jobs. Auf Foursquare dokumentierte Aufenthalte auf Amüsiermeilen. Wer was mit wem in sozialen Netzwerken tut, soll künftig darüber mitentscheiden, ob wir einen günstigen Kredit oder einen bestimmten Tarif bei einem Telefonanbieter bekommen oder beim Internetversender ein Hemd bestellen können? Die Vorstellung, dass vermeintlich private Äußerungen, Freundschaften oder das Freizeitverhalten systematisch ausgewertet werden und damit über unsere wirtschaftliche und finanzielle Zukunft entscheiden, ruft auch bei mir ein ungutes Gefühl hervor.

Der öffentliche Sturm der Entrüstung bewegte das Hasso-Plattner-Institut schließlich dazu, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Die Schufa legte das Vorhaben – zunächst – auf Eis. Und doch wurde in der Diskussion zumeist ein wichtiger Punkt übersehen: Wir stellen unsere Daten freiwillig ins Netz, breiten mitunter unser Innerstes in Foren und sozialen Netzwerken aus. Schon heute werden diese Daten und Profile genutzt, um uns mit passgenauen Informationen und Dienstleistungen oder auch mit personalisierter Werbung zu versorgen. Das Vorhaben, sie auch für die Einstufung der Kreditwürdigkeit zu nutzen, bedeutet lediglich einen weiteren, logischen Schritt.

Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit der technologischen Revolution, das digitale Paradoxon: Wir bejubeln den Fortschritt und gleichzeitig fürchten wir ihn. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten hat sich das World Wide Web als geschätztes und routiniert genutztes Informations- und Kommunikationsmedium durchgesetzt. Doch je mehr das Internet zu einem selbstverständlichen Bestandteil unseres Berufs- und Alltagslebens wird, desto stärker prägen reale Gefahren und diffuse Ängste die öffentliche Wahrnehmung. Zuweilen wechseln sich Meldungen über »bahnbrechende Innovationen« und »gefährliche Schwachstellen« im Stundentakt ab. Datenklau und Datenpannen, Spam- und Virenfluten, Horrorszenarien von Cyberattacken auf sensible Energie- oder Verkehrssysteme – kein Tag vergeht ohne entsprechende Nachrichten und mediale Zuspitzungen. Die Realität ist: Jeder Innovationssprung birgt Chancen und Risiken, er bringt sowohl Erleichterungen als auch Belästigungen: keine E-Mail ohne Spam; kein offener und freier Netzzugang ohne Cyberkriminalität; keine digitale Transparenz von Märkten und Mächten, ohne dass auch unsere privaten Vorlieben und Geheimnisse leichter ans Licht gezogen werden können.

Wie gehen wir mit diesem Paradoxon um? Sind wir den Schattenseiten und Gefahren der Netzkommunikation machtlos ausgeliefert? Nein, sicher nicht. Widersprüche dieses Ausmaßes lassen sich zwar nicht einfach auflösen oder beseitigen. Aber ich bin sicher, dass sie sich in einer Weise bearbeiten, begrenzen und »einfrieden« lassen, dass wir mit ihnen leben können. Fatalismus gegenüber den Gefährdungen der digitalen Welt, gegenüber Cyberkriminalität, gegenüber autokratischen und monopolistischen Ambitionen, wie er in einer kulturkritischen und technologiefeindlichen Betrachtung des Internets zum Ausdruck kommt, ist völlig fehl am Platz.

Womit wir bei der zentralen Grundfrage der digitalen Debatte – und damit auch dieses Buches – angekommen wären: Wie lässt sich das Paradoxon der computerbasierten Netzkommunikation heute, auf dem hohen Niveau von IT- und Internettechnologien wie Cloud Computing, begrenzen und in einer Weise einfrieden, damit das ungeheure Potenzial dieser Technologien nicht zugleich mit ungeheuren Gefahren einhergehen muss?

Angesichts des rasanten Innovationstempos in der computerbasierten Netzkommunikation kann heute wahrscheinlich noch keine angemessene, abschließende Antwort auf diese Frage gegeben werden. Einen kleinen Beitrag mag dieses Buch dennoch leisten, in dem Kritiker und Vertreter der IT-Industrie, Autoren aus Wirtschaft und Politik, aus Wissenschaft und sozialen Bewegungen zu den großen Streitfragen der digitalen Debatte Stellung nehmen.

Als Manager eines der weltweit führenden IT-Unternehmen stelle ich die Frage: Wie müssen sich Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie verhalten, um mit dem digitalen Paradoxon angemessen umzugehen? Eine Antwort liefert der Begriff Corporate Technical Responsibility (CTR). CTR steht für die freiwillige Verpflichtung von ITK-Unternehmen, Verantwortung für gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Veränderungen zu übernehmen, die durch ihre technischen Innovationen angestoßen werden. Das bedeutet konkret: Wir – sowohl die einzelnen Unternehmen als auch die gesamte Branche – müssen uns in die digitalen Kontroversen einbringen, wenn das Systemvertrauen in die neuen Technologien wachsen soll.

Vertrauen als Standortfaktor

Wie schwierig es ist, Vertrauen herzustellen, und wie leicht es ist, dieses Vertrauen wieder zu verlieren, lässt sich am Beispiel von Online-Transaktionen belegen. Vertrauen basiert grundsätzlich auf positiven Erfahrungen, die dann als positive Erwartungen an die Zukunft gerichtet werden. Das heißt: Wenn ich in der Vergangenheit erfolgreiche Online-Transaktionen – sei es mit Banken, Buchhändlern oder Reiseveranstaltern – durchgeführt habe, erwarte ich, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Wenn ich nun von Online-Betrügereien aus den Medien erfahre, beginnt mein Vertrauen abzuschmelzen, und ich stehe vor der schwierigen Aufgabe, zwischen absoluter und relativer Gefahrengröße abzuwägen. Denn einigen Hundert kriminellen Manipulationen pro Tag stehen ja Millionen korrekt durchgeführter Online-Transaktionen gegenüber. Aber wem soll der User glauben: den dramatischen Medienberichten? Oder den Erklärungen der Anbieter, dass mit neuer Software und höheren Sicherheitsstandards das Problem gelöst werde?

Nehmen wir die Siebzehnjährige, die schon seit Jahren mit jugendlicher Begeisterung Intimes im Freundeskreis ihres sozialen Netzwerkes postet. Langsam beginnt sie zu ahnen, dass sie später einmal beruflich Schwierigkeiten bekommen könnte, falls sich diese Fotos und Texte – sei es infolge mangelnder Datenschutzvorkehrungen oder durch Sicherheitslücken – im Netz verbreiten sollten. Oder nehmen wir den mittelständischen Unternehmer, der innovative Cloud Services nutzen will. Gleichzeitig fürchtet er um die Sicherheit und Verfügbarkeit sensibler Daten und fragt sich, ob er ohne Komplikationen einen Anbieterwechsel vornehmen kann. Und seit den Cyberattacken auf staatliche Einrichtungen wie beispielsweise in Estland diskutieren Politik und Öffentlichkeit zunehmend die Frage, ob die Kontrolleure kritischer Infrastrukturen gut genug auf den Angriff terroristischer Schadprogramme vorbereitet sind.

Solche Unsicherheiten durchziehen die gesamte digitale Welt. Sie bereiten den Boden für Blockaden und Hemmnisse, die dann wiederum den Standort Deutschland gefährden. Die geschilderte Widersprüchlichkeit der Netzkommunikation kann sehr schnell in eine Vertrauenskrise umschlagen, welche die Innovationskraft von Industrie und Forschung und letztlich unseren wirtschaftlichen Wohlstand bedrohen würde. Gerade ein Land, das bei der ökologischen Modernisierung von Industrie und Infrastruktur zu den Vorreitern zählen will, darf nicht in der Informations- und Kommunikationstechnologie – der Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts – zu den Nachzüglern zählen.

Auch wenn Deutschland nach wie vor Spitzenreiter in vielen Bereichen der Hochtechnologie ist und über viele Jahre »Exportweltmeister« war, nehmen wir im Bereich digitaler Schlüsseltechnologien weltweit doch bestenfalls eine Mittelfeldposition ein. Nur wenige deutsche IKT-Unternehmen, etwa Deutsche Telekom oder SAP, verdienen hier wirklich den Titel »Global Player«. Zwar mischt Deutschland in einigen Bereichen ganz vorne mit, etwa in der Mikroelektronik oder als Anbieter von Business Software. Auch zehren wir von unserer Wettbewerbsstärke bei der informationstechnologischen Ausrüstung von Automobilen, Maschinen, Produktionsanlagen oder Logistiksystemen wie Embedded Systems oder RFID. Doch auf vielen Feldern wie Hardware, Software und Netztechnologien laufen deutsche Firmen und Forschungsgruppen dem Wettbewerb hinterher – sofern sie überhaupt noch am Rennen teilnehmen.

Produktive Zerstörungsprozesse

Dieses Rennen wird nicht zuletzt durch das Cloud Computing entschieden: Computer und Internet haben nur 20 Jahre gebraucht, um viele Alltagskonventionen, Produktions- und Entscheidungsstrukturen aufzulösen. Blicken wir 20 Jahre in die Zukunft, dann wird das Cloud Computing unseren Lebens- und Arbeitsalltag noch einmal ebenso stark revolutioniert haben.1 Milliarden Minicomputer – eingebaut in Fahrzeugen oder Haushaltsgeräten – kommunizieren auf Zuruf und im Kontakt mit einer den gesamten Globus umfassenden »Datenwolke« miteinander. Sie unterstützen uns bei der Koordination familiärer und beruflicher Tagesabläufe und sorgen für Sicherheit im Straßenverkehr. Sowohl die großen Metropolen als auch die kleinen Kommunen in allen Teilen der Welt steuern ihre Verwaltungsprozesse, ihre Energie- und Verkehrssysteme mit Hilfe dieser Technologie. Global verteilte Sensoren, deren Miniaturisierung teilweise die Größe von »Smart Dust« annehmen wird, sammeln Daten über Meeresverschmutzung und Erdbebenrisiken, über Klimaprozesse und Wetterphänomene. Globale Diagnosenetze erheben Daten über Virenattacken und Krankheitsverläufe mit lokalem, regionalem oder globalem Gefahrenpotenzial. Und alle diese Big-Data-Prozesse werden mittels Cloud Computing blitzschnell zusammengeführt, ausgewertet und erreichen uns als Frühwarnsignale und Verhaltensempfehlungen noch im hintersten Winkel der Welt.

Ob wir die enormen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, voll ausschöpfen und zum Vorteil aller nutzen werden, lässt sich heute noch nicht genau voraussehen. Denn technologischer Wandel wird von unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen und kulturellen Präferenzen mitgestaltet.

Recht sicher hingegen ist, dass diese Cloud-Vision innerhalb der kommenden zwei Jahrzehnte technologisch zur Realität wird – im Grunde genommen ist sie es nämlich schon. Facebook, Windows Live, Gmail oder Twitter – bereits seit Jahren nutzen Millionen Unternehmen und Organisationen sowie nahezu alle Privatnutzer Dienste und Anwendungen, die zum Cloud Computing zählen. Wo immer wir Texte, Zahlen, Grafiken, Animationen, Bilder, Video- oder Musikaufnahmen über das Netz in fremde, zentralisierte Datenbanken einspeisen oder sie aus ihnen herunterladen, sie dort bearbeiten oder bearbeiten lassen, leben und arbeiten wir bereits in der Cloud.

Interessanterweise sind sich viele dieser gewaltigen Dimension des Cloud Computing noch nicht wirklich bewusst. Erst seit Global Player wie Amazon, Apple, Google oder Microsoft begonnen haben, ein Datacenter nach dem anderen zu erstellen, wird der Branchenöffentlichkeit und den wirtschafts- und technologiepolitischen Entscheidungsträgern langsam klar, dass sich innerhalb der digitalen Revolution eine Zäsur auftut. Eine neue Epoche hat begonnen, in der sich das große Spiel um Innovationsvorsprünge und Wettbewerbsvorteile grundlegend verändert. Auf der Basis bekannter Internettechnologien und unter dem Druck immer größerer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aufgabenstellungen haben sich neue Formen der Netz-, Hard- und Softwareversorgung herausgebildet, mit denen sich bequemer, effektiver und kreativer arbeiten lässt als je zuvor. Cloud Computing ist der Game Changer in Wirtschaft und Gesellschaft und wird den produktiven Zerstörungsprozess, der durch das Internet eingeleitet wurde, fortsetzen und beschleunigen.

Dass man sich dieser Dimension relativ spät bewusst wurde, hat mit der Entstehungsgeschichte des Internets zu tun. Ein ausgeprägt egalitäres Denken in der Pionierphase des Silicon Valley hat dessen Entstehung tiefgreifend geprägt. Zuweilen wird dieses Denken als »Californian Ideology« bezeichnet, entstanden aus den antiautoritären Einstellungen der amerikanischen Campus-Milieus der 70er Jahre.

Als Instrument für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern sollte das Internet einen schnellen und einfachen Zugang zu Informationen ermöglichen. Dezentralität war ein wichtiger Teil der Struktur: Kein zentrales Management verteilt Zugangsrechte, im Prinzip darf jeder alles publizieren, niemand wird zum bloßen Informationskonsumenten degradiert. Gleichzeitig tragen Standards und Normen dazu bei, dass – trotz unterschiedlichster Formate, Strukturen, Informationssysteme und Kommunikationsgemeinschaften – im Internet alles und alle miteinander verbunden sind. Jeder kann sich mit jedem austauschen und kein staatlicher oder kommerzieller Monopolist kann die globale Netzkommunikation in seinen Besitz nehmen. Wo zuvor unterschiedliche Programme installiert werden mussten, um E-Mail, Datenübertragung oder Newsgroups nutzen zu können, reicht nun ein gemeinsames Mehrzweckinstrument, der Web-Browser. Er war es, der das Internet populär machte und bald Abermillionen von Menschen den einfachen Zugang zu Informationen, aber auch zu Diensten wie Online-Banking, Home-Shopping und Videoübertragungen ermöglichte.

Doch dieses egalitäre, dezentrale und offene Kommunikationssystem hat auch seine Schattenseiten. Es steht ebenfalls Akteuren offen, die nicht allein wissenschaftliche Interessen verfolgen. Virenattacken, Cybermobbing oder Cybercrime wurden durch die dem Internet eigenen Strukturen extrem begünstigt.2 Die Erfinder des Internets hatten solche destruktiven bis kriminellen Nebeneffekte gewiss nicht beabsichtigt. Sie hatten sie aber eben auch nicht besonders berücksichtigt, als sie in ihren Programmen und Protokollen jeden Versuch einer inhaltlichen oder sozialen Diskriminierung ausschließen wollten.

Und schließlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das Internet auch wirtschaftlichen Interessen diente. Sowohl den Interessen der Unternehmen, die einen direkten Zugang zu ihren Konsumenten suchten, als auch den Interessen der Konsumenten, denen das Internet eine ungeahnte Transparenz von Angeboten und Märkten ermöglichte. Und eines steht außer Frage: Ohne die ungeheure Mobilisierung des Kapitalmarktes für diese Technologie, ohne globale Anbieter von standardisierter Software, Hardware und Netzwerktechnologien, ohne den Aufbau zentraler Rechenzentren und Infrastrukturen, würden wir heute noch auf den Postboten warten oder uns vor der Telefonzelle drängeln. Ohne Unternehmer, die in der digitalen Welt gute Geschäfte machen, wären heute nicht Milliarden Menschen im Internet vereint. Sprich, erst die gewaltige wirtschaftliche Dimension des Internets zwingt uns dazu, immer wieder über die gemeinschaftlichen Normen unseres Kommunikationsverkehrs nachzudenken.

Der gesellschaftliche Wandel

In nahezu jeder zweiten Talkshow bekommen wir zu hören, wie sehr das Internet die Wirtschaft und Gesellschaft verändert habe. Zumeist melden sich in diesen Runden zwei typische Diskutanten zu Wort: der Kulturkritiker und der Netzvisionär. Der Kulturkritiker klagt über die Informationsflut in den digitalen Medien, über den Sittenverfall in Chatrooms und der Blogosphäre, über den Verlust wahrer zwischenmenschlicher Beziehungen in der kalten, virtuellen Welt des Internets. Der Netzvisionär weist darauf hin, dass es ohne Smartphone keinen Arabischen Frühling gegeben hätte, und entwickelt daraus die Utopie einer ökologisch-pazifistischen Weltgemeinschaft im permanenten digitalen Austausch.

Tatsächlich ist schon der bisher erfolgte gesellschaftliche Wandel durch Internettechnologien enorm und vielfach radikal. In Wirtschaft und Politik, öffentlicher Verwaltung und/oder infrastrukturellen Versorgungssystemen, in Medien und Kultur, im Familienleben und der Freizeitwelt, selbst im menschlichen Verhalten hat das Internet bereits deutliche Veränderungen bewirkt.

Wer heute seine Fabrik oder sein Büro betritt, wer im Home Office oder im Außendienst arbeitet, der fährt als erstes den Computer hoch oder schaut auf sein Smartphone. Fast alle großen Branchen haben ihre Wertschöpfung auf IT-Steuerung und Online-Kommunikation umgestellt. Etwa die Hälfte des Produktivitätsanstiegs der letzten 15 Jahre innerhalb der EU lässt sich auf Informations- und Kommunikationstechnologien zurückführen. Wer diesen Weg nicht mitging, kam unter die Räder: Ganze Branchen – Musikwirtschaft, Verlagswesen – wurden vom Internet an die Wand gedrückt. Würde heute ein unbekanntes Killervirus die gesamte digitale Informationsverarbeitung und Netzkommunikation lahmlegen, brächen über Nacht die globale Industrieproduktion, Warenlogistik und Finanzwirtschaft zusammen. Kurzum: Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist das Internet zu einer zentralen Gestaltungsmacht der globalen Ökonomie geworden. Man kann auch von einer Zäsur zwischen »alter« und »neuer« Weltwirtschaft sprechen. Digitalisierung, Miniaturisierung, Internet über Satellitensysteme und weltweite Verkabelung ermöglichen es heute, riesige Datenmengen über Währungsrelationen, Kapital- und Warenbewegungen in Bruchteilen von Sekunden weltweit abzurufen und zu verarbeiten. Die Koordination weltweiter Aktivitäten, früher die Domäne weniger Unternehmensimperien und Konzerne, kann heutzutage jede mittelständische Firma bewältigen.

Unser politisches System steht ebenfalls vor einer tiefen Zäsur: Digitale Formen der Partizipation, die wir heute in ersten Ansätzen via SMS, Twitter, Facebook oder Youtube erleben, setzen zunehmend die traditionellen Repräsentationssystemen unter Druck. Die spektakulären Erfolge der Piratenpartei zeigen, dass in weiten Teilen der Bevölkerung der Wunsch nach mehr politischer Transparenz, nach neuen und umfangreicheren Beteiligungsmöglichen besteht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Partizipationsformen sich mit der Zeit zu festen und institutionalisierten Elementen der bestehenden demokratischen Systeme entwickeln. So hat der Landkreis Friesland die durch die Piratenpartei bekannte Software LiquidFeedback eingeführt, um eine größere Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Das Hamburger Transparenzgesetz sorgt dafür, dass Daten aus Politik und Verwaltung künftig nicht mehr nur auf Antrag veröffentlicht werden, sondern Bürgern, Organisationen und Unternehmen im Internet zur Verfügung stehen. Politische und soziale Bewegungen können über die Grenzen von Organisationen und über soziale und kulturelle Barrieren hinweg Netzwerke bilden. Sie gewinnen Massenkraft durch Internetkampagnen und üben politischen Druck aus – wie etwa die jüngsten Proteste gegen das ACTA-Abkommen zeigen. Die repräsentative Demokratie wird zwar nicht durch E-Democracy ersetzt werden, aber wir werden eine neue Mischung von repräsentativen und plebiszitären Entscheidungsprozessen erleben.

Nicht zuletzt verändert das Internet auch unser Denken und Handeln. Von der Psychologie über die Anthropologie bis hin zur modernen Gehirnforschung befassen sich die unterschiedlichsten Disziplinen mit der Frage, welche Auswirkungen das Internet auf unsere Psyche und und auf unsere Physis hat:3 Sind wir mit der Komplexität und Dynamik, mit der Informationsflut und dem Multitasking der digitalen Welt überfordert? Können unser Gehirn und unser Körper mit den neuen Technologien Schritt halten? Nicht wenige Netzkritiker warnen vor einem Niedergang des autonomen Denkens und Handelns durch Suchmaschinen-Algorithmen, deren Treffer-Rangfolgen unsere Entscheidungen beeinflussen. In der IT-Industrie werden solche netzkritischen Fragen gern ausgeblendet. Wir sollten aber nicht vergessen, mit welch fundamental neuen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen das Internet einhergeht: Auf Seiten der Nutzer– insbesondere bei denen, die nicht zu den Digital Natives zählen – erfordert dies eine enorme Umstellung. Für das Internet gilt wie für alle anderen Medien- und Kommunikationstechnologien: Was zunächst nur von einer kleinen Elite beherrscht wird, findet nach einer bestimmten Zeit massenhafte Verbreitung. Mediale Umbrüche in der modernen Gesellschaft erfolgen in immer kürzeren Abständen, und entsprechend müssen auch Lernprozesse schneller erfolgen. Was den Aufbau einer digitalen Allgemeinbildung angeht, stehen wir allerdings erst am Anfang.

Cloud Computing als Game Changer

Und nun auch noch die Cloud: So wenig wie der Wandel des Wissenschaftswebs zum globalen Kommunikationskanal ist auch der Weg zu den zentral bereitgestellten IT-Ressourcen des Cloud Computing unumkehrbar. Egal wie vorsichtig und zögerlich viele Firmen gerade auch in Deutschland bei der Umstellung handeln, so kann sich doch kein ökonomisch auch nur halbwegs rational handelnder Akteur dieser Technologie auf Dauer verweigern. Vier wesentliche Aspekte belegen die revolutionäre Kraft dieser Technologie:

Komplexitätsreduktion: Cloud Computing, obwohl selber hochkomplex, verbirgt die Komplexität der Informationsverarbeitung vor seinen Nutzern. Statt mit konkreten IT-Infrastrukturen, Plattformen und Anwendungen hat es der Nutzer mit »virtuellen Rechenmaschinen« zu tun. Oder genauer: mit Infrastrukturen, Plattformen und Anwendungen, die je nach Bedarf erzeugt und konfiguriert werden, deren Kapazitäten je nach Bedarf erweitert oder auch wieder zurückgefahren und dann von anderen Nutzern verwandt werden können.

Die Zeiten sind vorbei, in denen man als Einzelner oder als Firmenteam verzweifelt den unübersichtlichen Angeboten und der zunehmenden Komplexität der Informations- und Kommunikationstechnologie gegenüberstand und darüber Geld, Zeit und Aufmerksamkeit für seine eigentlichen privaten oder geschäftlichen Vorhaben verlor. Für viele Nutzer scheint Cloud Computing deshalb fast schon als eine Art »Individualisierungstechnologie«. Auch künftig braucht die Wissensgesellschaft ein solides Fundament an Informatikkenntnissen – und möglichst ein solideres, als wir es heute haben. Aber diese Gesellschaft muss nicht aus lauter Informatikern und IT-Experten bestehen.

Gradualistisches Design: Cloud Computing ist ein sehr differenziertes und dynamisches Serviceangebot und kein starres, geschlossenes System, das man ganz oder gar nicht nutzt. Diese Technologie ermöglicht eine Vielzahl an Kombinationen unterschiedlicher Services. Ein Unternehmen hat beispielsweise die Wahl, wie viel an lokaler IT es aufrechterhalten und wie viel es abrüsten will; es hat die Wahl, wo es standardisierte und wo individuell zugeschnittene IT einsetzt; ob es – etwa als Großunternehmen – nur eigene Cloud-Kapazitäten (Private Cloud) oder auch fremde nutzt (Public Cloud). Ohnehin haben wir es in der Regel mit Formen zu tun, in denen sich Eigen- und Fremdbetrieb mischen (Hybrid Cloud). Die einzige Voraussetzung für Unternehmen wie für Privatpersonen sind intelligente und kompatible IT-Strukturen und -Geräte.

Effizienzrevolution: Die Betreiber der Datacenter stellen für Unternehmen und Organisationen Speicher- und Rechenleistungen bereit, die bedarfsgerecht, skalierbar und flexibel in Echtzeit über das Internet zur Verfügung stehen und nach jeweiliger Nutzung abgerechnet werden können. In diesen permanent optimierten Rechenzentren lassen sich alle notwendigen Ressourcen – Hard- und Software, Energie, Arbeitskraft, Sicherheitsupdates – wesentlich effizienter nutzen als in einem dezentralisierten System, in dem jeder einzelne Kunde Speicher- und Rechenkapazitäten vorhalten und pflegen muss, die er nicht oder nur höchst selten voll auslastet. Cloud Computing ist daher nicht weniger als eine betriebs- und volkswirtschaftliche Effizienzrevolution. Ein weiterer, häufig vergessener Punkt: Auch der Energieverbrauch einer zentralisierten, dafür effizient genutzten Datenverarbeitung ist weitaus geringer als der eines entsprechenden, ausschließlich dezentralen Systems.

Innovationstreiber: