Der diskrete Mr. Flint - Ian Rankin - E-Book

Der diskrete Mr. Flint E-Book

Ian Rankin

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Beschreibung

Miles Flint arbeitet für den britischen Geheimdienst MI5. Sein Job besteht darin, Menschen zu observieren, und er liebt diese Arbeit, die ihm Einblick in die privatesten Momente seiner Opfer gewährt. Doch nun sind ihm kurz hintereinander zwei Fehler unterlaufen, einer sogar mit tödlichen Folgen. Seine Vorgesetzten geben Miles noch eine letzte Chance, sich zu rehabilitieren. Doch der vermeintlich ungefährliche Einsatz entpuppt sich als Falle – eine Falle, in die ihn nur Verräter aus den eigenen Reihen gelockt haben können …

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Seitenzahl: 384

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Buch

Miles Flint ist Geheimagent des MI5. Aber keiner, der täglich sein Leben aufs Spiel setzt. Miles beobachtet. Und er hört zu. Er ist unsichtbar. Er ist der Mann, der im Restaurant niemandem auffällt und den auf der Straße keiner beachtet. Miles liebt seinen Job, die Passivität, die Einblicke in das Leben fremder Menschen. Aber in letzter Zeit häufen sich die Probleme. Eine wichtige Operation ist fehlgeschlagen, und ganz offensichtlich hat Miles das zu verantworten. Er hätte einen arabischen Auftragskiller mit dem Decknamen »Türöffner« überwachen sollen, ließ sich ablenken und der Verdächtige entkam. Seltsam erscheint Miles allerdings, dass das Ablenkungsmanöver offensichtlich geplant war: Jemand muss von seinem Auftrag gewusst haben. Womöglich sogar jemand aus den eigenen Reihen. Nach weiteren mysteriösen Vorfällen beginnt Miles, nach Verrätern innerhalb des MI5 zu suchen. Bis er nur knapp einer tödlichen Falle entkommt und erkennt, dass er in höchster Gefahr schwebt. Ab jetzt kämpft er nicht nur um sein Überleben, sondern auch darum, die Wahrheit herauszufinden. Die Spuren führen zurück zur Operation »Türöffner«, aber auch zu einem Auftragsmord, der bereits viele Jahre zurückliegt, zu Erpressung und blutiger Rache …

Autor

Ian Rankin, geboren 1960, ist Großbritanniens führender Krimiautor. Er wurde unter anderem mit dem Gold Dagger für »Das Souvenir des Mörders«, dem Edgar Allan Poe Award für »Tore der Finsternis« und dem Deutschen Krimipreis für »Die Kinder des Todes« ausgezeichnet. »So soll er sterben« und »Im Namen der Toten« erhielten jeweils als bester Spannungsroman des Jahres den renommierten British Book Award. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Mehr Informationen zum Autor und seinen Büchern unter www.ian-rankin.de.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorWidmungDanksagungPrologTEIL I - Das Lächeln des Arabers
Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12
TEIL II - Billys Kiefer
Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18
TEIL III - Mr. Six und Mr. Seven
Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22
TEIL IV - Heimkehr
Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27
EpilogNachwortCopyright

Für Alistair

Danksagung

Als ich mit der Recherche zu diesem Buch begann, bat mich ein Mann, den ich gerade mit meinen Fragen gelöchert hatte: »Sorgen Sie gefälligst dafür, dass es realistisch wird.« Er hatte die Nase voll von Geschichten, die das Leben eines Geheimdienstlers als zu glamourös, seine Arbeitsmethoden als zu genial beschrieben. Nachdem ich anschließend ein halbes Jahr lang mit Interviews und Lektüre verbracht hatte, war ich ziemlich verunsichert. Das Hauptproblem beim Schreiben eines Romans über den Geheimdienst schien mir darin zu bestehen, dass die Realität häufig sehr viel unglaubwürdiger war als die Fiktion. Ich gab Teile meiner ersten Manuskript-Fassung dem oben erwähnten Herrn, und er rief mich noch am selben Tag an. »Woher zum Teufel haben Sie das gewusst?«, fragte er und zitierte eine spezielle Passage (die auch im vorliegenden Buch enthalten ist). »Das habe ich mir ausgedacht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Nein, das kann nicht sein …«, erwiderte er und verstummte sofort, weil er offenbar schon zu viel gesagt hatte.

Einen Teil des vorliegenden Buches habe ich geschrieben, während ich die Gastfreundschaft des Hawthornden Castle International Retreat for Writers genoss, und ich möchte den Betreibern dieser Einrichtung ausdrücklich meinen Dank aussprechen.

Prolog

Angeblich stammten seine Vorfahren aus Donegal, und vor allem deshalb hatte er beschlossen, seinen Urlaub in Irland zu verbringen. Die saftiggrüne Landschaft, so still im Vergleich zum lärmenden London, und die kleinen Küstenstädtchen gefielen ihm, die Menschen waren höflich und, nahm er an, so freundlich wie es ihnen einem Engländer gegenüber möglich war. Aber er wies auch immer rasch darauf hin, dass sich seine Wurzeln in Donegal befanden, dass er, im Geiste jedenfalls, dasselbe war wie sie: ein heißblütiger Kelte.

Nachdem er einige Zeit im Westen verbracht hatte, fuhr er nach Osten, durch Fermanagh und Monaghan, bis er etwas südlich von Dundalk die Küste erreichte. Das Wetter war sonnig und mild, er sog die Atmosphäre ein und widerstand der gelegentlichen Versuchung, in London anzurufen und von der Reise zu berichten. Das konnte warten.

Einige der Männer an der Küste waren Fischer, aber nicht mehr viele, jetzt, da die Wirtschaft des Landes, gemeinsam mit dessen gesellschaftspolitischen Problemen, unter Mühen im zwanzigsten Jahrhundert angekommen war. Im Norden gärte ein Gebräu aus naivem Idealismus und grausamen Zorn, angereichert durch ausländische Einmischung der übelsten Art.

Insbesondere war da ein junger Mann mit wirrem Haar und dazu passendem Bart, den er in Droghdea getroffen hatte, und der ihm einen Vortrag über die Fischerei-Industrie, die örtlichen Pubs und über Politik gehalten hatte. Das Leben der Iren schien von Politik durchdrungen zu sein, so als würden sie zusammen mit der Luft Erinnerungen an Blutbäder und Unrecht einatmen. Er hatte unvoreingenommen zugehört und im Gegenzug erklärt, dass er im Urlaub sei, sich aber vor allem vom Scheitern einer Beziehung erhole. Der junge Mann nickte verständnisvoll, und in seinen Augen lag etwas Begehrliches.

Mehrere Abende in Folge saßen sie in einem der Pubs, doch trotz seiner Freude spürte er das Ende seiner Ferien nahen. Eines Tages fuhren sie die Küste entlang, damit der junge Mann, Will, für einige Stunden vom Ausnehmen der Fische und dem Gestank der Fischerboote wegkam. Sie aßen und tranken, und als es dämmerte, wies Will den Weg zu einem Kai. Er zeigte auf ein kleines Boot. Ein intensiver Fischgeruch hing in der Luft, über ihnen kreischten unablässig die Silbermöwen. Das Boot, erklärte Will seinem Begleiter, gehöre ihm.

»Wollen wir rausfahren?«

Während sie die grün gefleckten Kaimauern hinter sich ließen, um vorbei an den spitzen Felsen und dem Schiffswrack hinaus in die kabbelige Irische See zu gelangen, tauchte der ältere Mann die Hand ins bitterkalte Wasser, spürte, wie sich das Salz auf seiner Haut absetzte. Will erklärte, wieso der Wind weniger kalt war, und redete über die Jagd nach einem sagenumwobenen Riesenfisch, einem bedrohlichen Ungeheuer, das bisher nicht gefangen worden war. Gelegentlich wurde es von Leuten, die einige Gläser Rum intus hatten, in mondhellen Nächten gesichtet, aber sollte es noch leben, dann wäre es uralt, denn die ersten Geschichten über sein Auftauchen seien schon vor mehreren Hundert Jahren erzählt worden. Über ihnen wölbte sich der Himmel, die Gischt überzog sie mit einem zarten Schleier. Vielleicht, überlegte der Engländer, hegte er doch eine verborgene Liebe für die Natur. Er würde nach London zurückkehren, seine Arbeitsstelle kündigen (die er wahrscheinlich sowieso bald verlieren würde) und sich, mit neuem Blick auf die Welt, einfach ein wenig treiben lassen.

Der Motor stoppte, und das Plätschern des Wassers war nun das einzige Geräusch. Es schien ihm ein Moment des reinen, wundersamen Friedens. Er schaute in Richtung Küste, aber sie war außer Sichtweite.

»Wir sind wirklich weit draußen«, sagte er, die eine Hand noch immer im Wasser, obwohl sie langsam taub vor Kälte wurde.

»Nein«, sagte der jüngere Mann, »nur du bist weit draußen. Du bist zu weit von deinem Land entfernt.«

Und als der ältere Mann sich umdrehte, sah er in den Lauf einer Pistole. Er wollte schreien, doch dann ertönte bereits der Schuss, und er wurde rückwärts aus dem Boot geschleudert. Sein Oberkörper landete im Wasser, seine Beine aber hingen über den Bootsrand, hatten sich an einem rostigen Nagel verhakt.

Die Hand des jungen Mannes zitterte leicht, als er die Pistole auf den Boden legte. Aus einem Sack, der unter einem der Sitze verstaut war, holte er etliche Steine, die, wie er hoffte, ihren Zweck erfüllen würden. Er versuchte, den Toten wieder ins Boot zu ziehen, aber seine voll gesogene Kleidung kam ihm tonnenschwer vor. Er zerrte schwitzend an seinem Opfer und war binnen kurzem so erschöpft wie nach einem ganzen Tag auf dem Fischkutter.

Dann sah er dem toten Mann ins Gesicht und erbrach einen Teil des Essens und Trinkens, das ihm dieser spendiert hatte. Aber er musste seinen Auftrag zu Ende bringen und mobilisierte deshalb neue Kräfte. Immerhin war es vollbracht, er hatte zum ersten Mal einen Menschen getötet. Man würde stolz auf ihn sein.

TEIL I

Das Lächeln des Arabers

1

Miles Flint trug eine Brille; das war sein einziges hervorstechendes Merkmal. Billy Monmouth musste lächeln, als er Miles hinterherschaute, während dieser den Club verließ und in Richtung seines Autos ging, das er bestimmt zur Sicherheit in einiger Entfernung geparkt hatte. Da Miles und Billy etwa zur selben Zeit von der Firma eingestellt worden waren, hatten sie sich im Lauf der Jahre fast zwangsläufig angefreundet, obwohl es echte Freundschaften unter ihresgleichen nicht gab.

Miles fühlte sich durch den Alkohol etwas behäbig. Billy hatte darauf bestanden, ihn einzuladen – »Als Junggeselle hat man das ganze Gehalt für sich allein« –, und Miles hatte sich nicht gesträubt. Er nestelte nun an seinen Mantelknöpfen und dachte an den bevorstehenden Abend. Er musste noch einen Zwischenstopp einlegen, ein paar Anrufe tätigen, aber anschließend würden Sheila und er das erste Mal in dieser Woche einen Abend gemeinsam verbringen.

Eine Aussicht, die ihn nicht gerade mit Vorfreude erfüllte.

Wie befürchtet hatte er einen Strafzettel fürs Falschparken bekommen. Er riss das Papier unter dem Scheibenwischer heraus, umrundete den Wagen wie ein unschlüssiger Kaufinteressent und beugte sich hinunter, um nach platten Reifen oder einem durchgebrochenen Auspuffrohr Ausschau zu halten. Zufriedengestellt schloss er dann die Fahrertür auf. Im Innenraum des Jaguars, dessen helle Lederausstattung farblich auf die cremefarbene Außenlackierung abgestimmt war, schien alles in Ordnung zu sein. Er rutschte auf den Fahrersitz hinüber, schob den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn mit einem Ruck herum. Der Motor hustete einmal, dann sprang er surrend an. Miles ließ ihn im Leerlauf, dann lehnte er sich zurück und starrte vor sich hin.

Das war überstanden. Er war ein weiteres Mal nicht in die Luft gesprengt worden. Er wusste, dass die jüngeren Männer in der Firma, und sogar Leute wie Billy Monmouth, ihn hinter seinem Rücken belächelten, »Paranoia« und »Nervenflattern« flüsterten und sich selbst lässig und furchtlos gaben, als wären sie durch eine unsichtbare Mauer vor einem unnatürlichen Tod gefeit. Miles hingegen war ein vorsichtiger Mensch und der festen Überzeugung, dass man in seiner Branche niemals genug Acht geben konnte.

Er blieb ein paar Minuten lang reglos sitzen und dachte darüber nach, wie oft er im Lauf der Jahre Autos, Zimmer, Telefone und sogar die Unterseiten von Restauranttischen überprüft hatte. Manche Menschen hielten ihn bestimmt für ungeschickt, weil ihm vor jedem Essen ein Teil seines Bestecks auf den Boden fiel und er den Kopf unter die Tischdecke steckte, um es wieder aufzuheben. In Wahrheit befolgte er jedoch nur eines der ungeschriebenen Gesetze: überall nach Wanzen suchen.

Der Motor hörte sich gut an. Der Jaguar war ein Luxus, den Sheila entschieden ablehnte. Sie selbst fuhr einen zerbeulten VW Käfer, der ursprünglich orange gewesen war, den aber inzwischen ein Patchworkmuster aus den unterschiedlichsten Farben zierte. Sheila empfand es als Geldverschwendung, eine Werkstatt für Reparaturen zu bezahlen, für die man bloß ein Handbuch und ein paar Werkzeuge brauchte. Miles nahm ihr das nicht übel, denn er hegte eine heimliche Zuneigung für ihr Auto, allerdings nur wegen des Namens, nicht wegen der Fahrleistungen.

Miles Flints Hobby waren Käfer – nicht die Autos, sondern die Insekten. Er las mit großer Begeisterung Abhandlungen über ihre vielfältigen Lebensweisen, ihren Einfallsreichtum und die unendliche Anzahl verschiedener Arten, und er trug die Gegenden, wo sie heimisch waren, auf einer Wandkarte in seinem Arbeitszimmer ein, einem Zimmer, in dem Regale voller Bücher und Fachzeitschriften standen, sowie ein paar Vitrinen mit Exemplaren, die er früher eigenhändig gefangen hatte. Mittlerweile tötete er keine Insekten mehr. Es genügte ihm vollauf, über Käfer zu lesen und die detailreichen Fotos und Diagramme zu betrachten, denn er hatte den Wert eines Lebens zu würdigen gelernt.

Er hatte einen Sohn, Jack, einer jener Studenten, die während jedes Semesters erhebliche Schulden ansammelten und dann nach Hause kamen und einen Offenbarungseid leisteten. Miles hatte einmal in Jacks Scheckheft nachgeschaut, wer alles von ihm Geld bekommen hatte: Plattenläden, Buchhandlungen, Restaurants, eine Weinbar. Er hatte das Scheckheft zurück in Jacks Secondhand-Tweedsakko gesteckt, hatte es vorsichtig zwischen ein Tagebuch und den Brief einer schwer verliebten (und kürzlich verlassenen) Ex-Freundin geschoben. Später hatte er Jack zu seinen Ausgaben befragt und ehrliche Antworten erhalten.

Miles war klar, dass Ehrlichkeit bei jemandem wie ihm nicht ins Berufsbild passte. Vielleicht war das ja das Problem. Er musterte die Fensterfronten der Häuser in der ruhigen Straße, während die Temperatur im Wagen immer angenehmer wurde. Durch eines der Fenster im Erdgeschoss sah er tonlos den Streit zwischen einem Mann und einer Frau mit an, die beide kurz davor schienen, das Haus zu verlassen. Würde er mit dem Wagen ein, zwei Meter fahren, könnte er wahrscheinlich in ein anderes erleuchtetes Zimmer schauen. Er hatte die Wahl. Plötzlich aber beschloss er, einfach wegzufahren. Schließlich musste er noch bei den Aufpassern vorbeischauen.

Irgendwo hinter ihm war im Dämmerlicht des Abends eine Explosion zu hören.

Miles hielt vor dem Cordelia an, einem beliebten Neureichen-Hotel nahe des Hyde Parks. Die Frau an der Rezeption hörte mit einem kleinen Radio eine Nachrichtensendung.

»Irgendetwas Wichtiges passiert?«

»Ja. Schon wieder eine Bombe. Ist das nicht furchtbar?«

Miles nickte und ging zu den Fahrstühlen. Während er allein in der verspiegelten Kabine hinauf in den fünften Stock fuhr, vermied er es, einen Blick auf sich selbst zu werfen. Schon wieder eine Bombe. Erst letzte Woche war in Knightsbridge eine Bombe in einem geparkten Wagen hochgegangen, und eine andere hatte noch gerade rechtzeitig entschärft werden können. In London herrschte mittlerweile eine Art Belagerungszustand, und die Sicherheitskräfte wuselten herum wie Ameisen in einem Glaskasten. Miles spürte einen stärker werdenden Kopfschmerz. Er wusste, dass er bei seiner Ankunft zu Hause auf eine Auseinandersetzung vorbereitet sein würde. Das war kein gutes Zeichen und einer der Gründe, wieso er diesen kurzen Zwischenstopp einlegte. Er wollte allerdings auch ein paar Telefonate auf Firmenkosten erledigen. Jeder gesparte Penny half.

Er klopfte zweimal an der Tür von Zimmer 514. Sie wurde von einem müde aussehenden Jeff Phillips geöffnet.

»Hallo, Miles«, sagte er überrascht. »Was ist los?«

Im Zimmer saß Tony Sinclair, er hatte Kopfhörer aufgesetzt und lauschte konzentriert. Die Kopfhörer waren an ein Tonbandgerät und einen kleinen Empfänger angeschlossen. Tony nickte Miles zur Begrüßung nur kurz zu, denn das abgehörte Gespräch erforderte offenbar seine volle Aufmerksamkeit.

»Nichts«, sagte Miles. »Ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen. Es hat schon wieder eine Bombenexplosion gegeben.«

»Wo?«

»Ich weiß nicht. Ich habe es auf der Fahrt hierher gehört. Irgendwo in der Nähe vom Piccadilly Circus.«

Jeff Phillips schüttelte den Kopf. Er goss sich Kaffee aus einer Thermoskanne ein und hielt dem dienstälteren Kollegen den Becher hin, aber Miles lehnte das Angebot mit einer Handbewegung ab.

Er blätterte in seinem winzigen Notizbuch, das nichts anderes als Telefonnummern und Initialen enthielt. Ja, er musste wirklich ein paar Anrufe tätigen, aber keiner war besonders wichtig. Ihm wurde endgültig bewusst, dass er nur hergekommen war, um die Heimfahrt hinauszuzögern. In letzter Zeit hatte es keine netten Abende daheim gegeben, was, wie er annahm, vor allem seine Schuld war. Er war oft reizbar, pingelig, beklagte sich über Nichtigkeiten und vergrub seinen Zorn wie ein Mistkäfer seine Larven vergrub, die am besten in der Wärme eines Dungmantels gediehen. Jack hatte ihm einmal eine einjährige Patenschaft für einen Mistkäfer im Londoner Zoo zum Geburtstag geschenkt, und für Miles war es das schönste Geschenk seines Lebens gewesen. Er hatte oft in dem warmen, matt erleuchteten Insektenhaus vor der Vitrine gestanden, den Käfer ausgiebig beobachtet und darüber gestaunt, wie simpel dessen Leben war.

Miles Flints Kollegen wussten nicht, dass er für jeden von ihnen ein Pendant in der Welt der Käfer gefunden hatte.

In seinem Schädel pulsierte der Kopfschmerz. Das war nach ein paar Gläsern Whisky öfters der Fall. Wieso trank er dann das Zeug? Nun ja, immerhin war er Schotte. Man erwartete von ihm, dass er Whisky trank.

»Hast du ein Aspirin«, fragte er Phillips.

»Nein, tut mir Leid. Zu tief ins Glas geschaut?«

»Ja, ich hab mir ein paar Drinks gegönnt.«

»Man riecht’s.« Phillips nippte an seinem lauwarmen Kaffee.

Miles dachte an James Bond, der Schotte war, aber Martinis trank. Nicht besonders realistisch. Die Ähnlichkeit zwischen Miles und James Bond beschränkte sich, wie Miles nur allzu deutlich bewusst war, auf ihr Herkunftsland. Bond war eine Kunstfigur, er, Miles Flint, bestand hingegen aus Fleisch und Blut und Nervenbahnen.

Und Kopfschmerz.

»Hier war’s ziemlich ruhig«, sagte Phillips. »Ein paar Anrufe bei seiner Botschaft auf Arabisch, in denen er sich nach der Lage zu Hause erkundigt und nach aktuellen Zeitungsausgaben gefragt hat, sowie ein Anruf bei Harrods auf Englisch, um die Öffnungszeiten zu erfahren. Anderthalb Stunden lang war er weg. Hat, man glaubt es kaum, einen Daily Telegraph gekauft und ein Pornoheft. Tony hat den Titel notiert. Ich persönlich stehe ja nicht auf so was. Außerdem hat er sich zwei Schachteln Dunhill und eine Flasche Cognac besorgt. Ist zurückgekommen. Hat eine Telefonsex-Nummer in den Staaten angerufen. Tony hat auch davon die Details. Wenn du willst, kannst du dir die Aufnahme anhören. Tony meint, unser Mann hat die Nummer aus dem Pornoheft.«

»Mit wem spricht er jetzt gerade?«

Phillips ging zu Tony Sinclair und schaute auf den Notizblock, der auf seinen Knien lag.

»Mit einem Schneider in der Jermyn Street. Es geht um einen Termin für eine Anprobe. Meine Güte, diese Leute.« Phillips schüttelte mit einem Ausdruck theatralischen Unglaubens den Kopf.

Miles wusste, was er meinte. Jeder Aufpasser hatte das Gefühl, einen Großteil seiner Zeit damit zu verbringen, Leute zu beobachten, die nichts anderes taten, als teure Kleidung und Geschenke für ihre Familien daheim zu kaufen.

»Er telefoniert schon wieder«, sagte Tony Sinclair, der jüngste Neuzugang in der Abteilung. Miles suchte bei ihm stets nach Anzeichen von Schwäche, Zögerlichkeit und mangelndem Urteilsvermögen. Tony war noch in der Probezeit.

»Er spricht wieder Arabisch«, sagte er nun und schaltete das Tonbandgerät ein. Als er hastig mit seinem Kugelschreiber zu schreiben begann, ging Jeff Phillips erneut zu ihm und schaute ihm über die Schulter.

»Er vereinbart ein Treffen«, murmelte Phillips. »Klingt recht vielversprechend.«

Miles Flint, der Routine in solchen Dingen besaß, bezweifelte, dass Phillips Recht behalten würde, aber das Treffen verschaffte ihm eine Ausrede, noch nicht nach Hause zu fahren. Er würde Sheila anrufen und ihr Bescheid sagen.

»Was dagegen, wenn ich mitkomme?«, fragte er.

Phillips zuckte mit den Schultern.

»Nein, natürlich nicht«, sagte er. »Dein Arabisch dürfte mindestens so gut sein wie meines. Aber hast du heute denn nicht deinen freien Abend?«

»Ich würde gern mit am Ball bleiben«, log Miles. »Ich ruf nur rasch zu Hause an.«

»Okay«, sagte Phillips. »Dann geh ich inzwischen nach unten und hol den Wagen.«

2

Nachdem Miles seinen Wagen in der Tiefgarage des Hotels abgestellt hatte und in den blitzblanken Rover der Firma eingestiegen war, begann er sich zu entspannen.

Miles Flint war ein Aufpasser. Seine Aufgabe war zu beobachten und zu belauschen und dann seinem Chef in der Firma Bericht zu erstatten, mehr nicht. Ihn störte diese passive Rolle nicht, war sich aber bewusst, dass andere nicht so viel Freude daran hatten, das tägliche Leben der ihnen zugeteilten Personen akribisch zu verfolgen. Er wusste genau, dass Billy Monmouth ein- oder zweimal versucht hatte, durch eine in Anwesenheit einer bestimmten Person gemachte Bemerkung eine so genannte horizontale Beförderung zu erreichen. Miles wollte nicht versetzt werden. Das Aufpassen war genau das Richtige für ihn.

Billy und er hatten 1966 das Angebot bekommen, sich der Firma anzuschließen, die sich zu der Zeit gerade nach einigen schrecklichen, von Überläufern, Gerüchten und Gegengerüchten geprägten Jahren wieder erholte. Es hieß, ein Super-Maulwurf habe seine subversive Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs gestanden, sein Fall sei aber vertuscht worden, und in späteren Jahren sei ein noch gefährlicherer Doppelagent aktiv gewesen. Damals war viel Nabelschau betrieben worden, und das Gefühl gegenseitigen Misstrauens war all die Jahre genauso wenig verflogen wie verfaulendes Laub, das zu lange im Garten gelegen hat.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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