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Jemand will dem jungen aufstrebenden Parlamentarier Gregor Jack mit aller Macht schaden. Als er bei einer Bordell-Razzia festgenommen wird, war die sensationsgierige Presse vorab über seine Anwesenheit informiert. Aus reiner Neugierde beginnt Detective Inspector John Rebus Nachforschungen über Gregor Jack anzustellen, und steckt kurz darauf mitten in einem Mordfall: Jacks Frau, die glamouröse Elizabeth Ferrie, wird tot in ihrem Ferienhaus in den Highlands aufgefunden. In die Vorkommnisse verwickelt scheinen die die alten Schulfreunde des Paares – genannt die »Meute« ...
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Seitenzahl: 529
Buch
Dem populären schottischen Parlamentarier Gregor Jack scheint eine große Karriere bevorzustehen. Doch dann werden buchstäblich über Nacht all seine Träume zerstört: Bei einer Razzia in einem Edinburgher Bordell befindet sich Jack unter den Gästen, und am nächsten Tag prangt sein Foto auf allen Titelseiten. Doch wie hatte die Presse so rasch von dem Einsatz erfahren? Inspector Rebus mag nicht an einen Zufall glauben, sondern argwöhnt, dass Jack in eine Falle gelockt wurde. Aus Neugier beginnt er, Nachforschungen über den Mann anzustellen, dessen Lebenslauf bislang frei von Skandalen war. Höchstens Jacks Ehe mit der glamourösen Elizabeth Ferrie sorgte für Aufmerksamkeit. Doch Jack hat Elizabeth seit dem Vorfall im Bordell nicht mehr gesehen. Und kurze Zeit später wird ihre Leiche in den Highlands entdeckt …
Autor
Ian Rankin gilt als der »führende Krimiautor Großbritanniens« (Times Literary Supplement). Der internationale Durchbruch gelang ihm mit seinen Rebus-Romanen, die mittlerweile aus den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken sind. Ian Rankin wurde bereits mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, darunter dem British Book Award, dem Deutschen Krimipreis und dem Crime Writers’ Association Cartier Diamond Dagger für sein Lebenswerk. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen Söhnen in Edinburgh. Näheres zu Ian Rankin und seinen Büchern unter www.ianrankin.net.
Für den einzigen Jack,den ich je ausgezogen habe.
Er weiß nichts, doch er glaubt, er weiß alles. Das deutet ganz klar auf eine politische Karriere hin. Shaw, Major Barbara
Freundschaft wächst durch ständigen Umgang miteinander. Libianus, 4. Jh. n. Chr., zitiert im Edinburgh von Charles McKean
Als Erstes möchte ich darauf hinweisen, dass der Wahlkreis North und South Esk eine Erfindung des Autors ist. Man muss jedoch nicht jemand wie Mungo Park1 sein, um herauszufinden, dass zwischen North und South Esk und der wirklichen Welt eine Beziehung bestehen muss. Schließlich ist Edinburgh eine reale Stadt, und »südöstlich von Edinburgh« ist eine vage geografisch definierbare Gegend.
In mancher Hinsicht ähnelt North und South Esk dem parlamentarischen Wahlkreis Midlothian – vor der Gebietsreform von 1983 –, doch ein kleiner südlicher Zipfel des gegenwärtigen Wahlkreises Edinburgh Pentlands und ein westlicher Zipfel des Wahlkreises East Lothian gehören auch noch dazu.
Gregor Jack ist ebenfalls frei erfunden und hat keinerlei Ähnlichkeit mit einem der acht Labour- (neun, wenn man das Mitglied des Europäischen Parlaments aus der Region mitzählt) und der zwei konservativen Abgeordneten, die derzeit die Wahlkreise von Edinburgh und den Lothians vertreten.
Folgenden Personen möchte ich für ihre unschätzbare Hilfe danken: Alex Eadie, der bis zu seiner Pensionierung Abgeordneter für Midlothian war; dem Abgeordneten John Home Robertson; Professor Busuttil, Regius-Professor für Rechtsmedizin an der University of Edinburgh; der Lothian and Borders Police; der City of Edinburgh Police; den Mitarbeitern des Edinburgh Room in der Edinburgh Central Library; den Mitarbeitern der National Library of Scotland; Angestellten und Gästen von Sandy Bell’s, der Oxford Bar, Mather’s (West End), der Clark’s Bar und dem Green Tree.
Das Erstaunlichste an der Sache war, dass die Nachbarn sich nicht beschwert hatten, es noch nicht mal bemerkt hatten, wie viele von ihnen später den Leuten von der Presse erzählten. Jedenfalls nicht bis zu jener Nacht, als ihr Schlaf von einer plötzlichen Betriebsamkeit auf der Straße gestört wurde. Autos, Minibusse, Polizisten, das Rauschen und Knistern von Funkgeräten. Nicht dass es übermäßig viel Lärm gegeben hätte. Die Aktion wurde sogar dermaßen stilvoll und so zügig durchgeführt, dass manche die ganze Aufregung verschliefen.
»Ich erwarte von Ihnen Höflichkeit«, hatte Chief Superintendent »Farmer« Watson seinen Männern an jenem Abend im Besprechungsraum erklärt. »Es mag zwar ein Hurenhaus sein, aber es befindet sich auf der richtigen Seite der Stadt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Man kann nie wissen, wer sich dort gerade aufhält. Vielleicht treffen wir ja sogar unseren lieben Chief Constable.«
Watson grinste, um zu signalisieren, dass dies ein Scherz sein sollte. Aber einige Beamte im Raum, die den CC besser kannten, als Watson das offenbar tat, tauschten vielsagende Blicke und grinsten spöttisch.
»Also gut«, sagte Watson, »dann wollen wir den Angriffsplan noch einmal durchgehen …«
Mein Gott, das macht ihm richtig Spaß, dachte Detective Inspector John Rebus. Er genießt jede einzelne Sekunde. Und warum auch nicht? Schließlich war das Watsons geistiges Kind, und es sollte eine Hausgeburt werden. Das hieß, Watson trug die volle Verantwortung dafür, von der unbefleckten Empfängnis bis zur unbefleckten Entbindung.
Vielleicht hatte das etwas mit den männlichen Wechseljahren zu tun, dieses Bedürfnis, ein bisschen die Muskeln spielen zu lassen. Die meisten Chief Supers, die Rebus in seinen zwanzig Jahren bei der Polizei erlebt hatte, hatten sich damit zufrieden gegeben, Papiere zu unterschreiben und auf die Pensionierung zu warten. Doch nicht Watson. Watson war wie Channel Four – voller unabhängiger Sendungen, die nur wenige interessierten. Er wirbelte nicht gerade große Wellen auf, aber er plantschte wie der Teufel.
Und nun schien er sogar einen Informanten zu haben, irgendein unsichtbares Wesen, das ihm das Wort »Bordell« ins Ohr geflüstert hatte. Sünde und Ausschweifung! Das hatte in Watsons hartem presbyterianischem Herz heiligen Zorn entfacht. Er war ein typischer Highland-Christ, der Sex in der Ehe gerade noch akzeptabel fand – sein Sohn und seine Tochter waren Beweis dafür –, alles andere jedoch kategorisch ablehnte. Wenn es ein Bordell in Edinburgh gab, dann würde Watson dafür sorgen, dass es geschlossen wurde.
Doch dann hatte der Informant ihm die Adresse genannt, und das hatte ein gewisses Zögern hervorgerufen. Das Bordell lag nämlich in einer der besseren Straßen der New Town, ruhige georgianische Häuserreihen, gesäumt von Bäumen, Saabs und Volvos. In den Häusern lebten Akademiker: Anwälte, Ärzte, Professoren. Das war kein Seemannspuff, nicht ein paar dunkle, feuchte Zimmer über einer Hafenkneipe. Das war, wie Rebus selbst zum Besten gegeben hatte, ein Etablissement für die Etablierten. Watson hatte diesen Scherz nicht verstanden.
Mehrere Tage und Nächte wurde mit nicht gekennzeichneten Autos und unauffälligen Zivilbeamten Wache gehalten. Bis es kaum noch einen Zweifel gab: Was auch immer in den Räunen hinter den geschlossenen Fensterläden geschah, geschah nach Mitternacht, und dann ging es ziemlich lebhaft zu. Eigenartigerweise kamen nur wenige der zahlreichen Männer mit dem Auto an. Doch ein wachsamer Detective Constable, der mitten in der Nacht pinkeln ging, entdeckte, warum. Die Männer parkten ihre Autos in Seitenstraßen und gingen zu Fuß zum Eingang des vierstöckigen Hauses. Vielleicht gehörte das zu den Regeln des Hauses. Das Knallen von Autotüren zu so später Stunde würde in der Straße Misstrauen erregen. Oder vielleicht war es auch im eigenen Interesse der Besucher, ihre Autos nicht in der hell erleuchteten Straße abzustellen, wo sie möglicherweise erkannt werden könnten …
Kraftfahrzeugkennzeichen wurden aufgenommen und überprüft, ebenso Fotos von den Besuchern des Hauses. Außerdem machte man den Eigentümer des Hauses ausfindig. Neben diversen Häusern in Edinburgh gehörte ihm die Hälfte von einem Weingut in Frankreich, und er lebte das ganze Jahr in Bordeaux. Sein Anwalt hatte das Haus an eine Mrs Croft vermietet, eine sehr distinguierte Dame Mitte fünfzig. Nach Aussage des Anwalts zahlte sie die Miete immer pünktlich und in bar. Gab’s da ein Problem …?
Kein Problem, versicherte man ihm, aber wenn er das Gespräch bitte für sich behalten könnte …
In der Zwischenzeit hatte man festgestellt, dass es sich bei den Autobesitzern um Geschäftsleute handelte, einige aus der Gegend, die meisten kamen jedoch von südlich der Landesgrenze in die Stadt. Durch diese Information ermutigt, hatte Watson mit der Planung der Razzia begonnen. Mit seiner üblichen Mischung aus Witz und Scharfsinn nannte er die Aktion Operation Hush Puppies.
»Schweinehunde, die ins Bordell schleichen, verstehen Sie, John.«
»Ja, Sir«, antwortete Rebus. »Ich hab auch mal so ein Paar Schuhe gehabt und mich oft gefragt, wieso die eigentlich so heißen.«
Watson zuckte die Schultern. Er war niemand, der sich leicht ablenken ließ. »Vergessen Sie das mit den Hush Puppies«, sagte er. »Hauptsache, wir erwischen die Schweinehunde.«
Da ab Mitternacht offenbar immer der meiste Betrieb im Haus herrschte, setzte man die Razzia für ein Uhr am Samstagmorgen an. Die Durchsuchungsbeschlüsse waren ausgestellt. Jeder im Team kannte seinen Platz. Und der Anwalt hatte ihnen sogar Pläne vom Haus zur Verfügung gestellt, die die Beamten auswendig gelernt hatten.
»Das ist ja der reinste Kaninchenbau«, hatte Watson gesagt.
»Kein Problem, Sir, solange wir genug Frettchen haben.«
In Wahrheit freute Rebus sich ganz und gar nicht auf seine Arbeit in dieser Nacht. Bordelle mochten zwar illegal sein, aber sie erfüllten einen Zweck, und wenn sie sich um ein ehrbares Äußeres bemühten, wie es dieses zweifellos tat, wo lag dann das Problem? Er sah einen Teil seines Zweifels in Watsons Blick widergespiegelt. Doch Watson hatte sich mit so viel Begeisterung in die Sache gekniet, dass ein Rückzug jetzt undenkbar war und als ein Zeichen von Schwäche gewertet würde. Also wurde Operation Hush Puppies durchgezogen, obwohl niemand so richtig wild darauf war. Während andere gefährlichere Straßen nicht patrouilliert wurden. Während in Familien misshandelt wurde. Während weiterhin ungeklärt blieb, ob die Tote im Water of Leith wirklich ertrunken war …
»Okay, gehen wir rein.«
Sie verließen die Autos und Minibusse und marschierten zum Eingang, klopften leise an. Die Tür wurde von innen geöffnet, und dann überstürzten sich die Ereignisse wie auf einem Video, das mit doppelter Geschwindigkeit läuft. Weitere Türen wurden geöffnet … wie viele Türen konnte denn so ein Haus haben? Erst anklopfen, dann öffnen; ja, sie waren höflich.
»Würden Sie sich bitte anziehen …«
»Wenn Sie jetzt mit hinunterkommen könnten …«
»Sie können zuerst Ihre Hose anziehen, Sir, wenn Sie möchten …«
Dann: »Du meine Güte, Sir, sehen Sie sich das mal an.« Rebus folgte dem jugendlichen Detective Constable, der ganz rot im Gesicht geworden war. »Hier rein, Sir. Da fallen einem ja die Augen aus dem Kopf.«
Ach ja, die Folterkammer. Ketten, Lederriemen und Peitschen. Mehrere vom Boden bis zur Decke reichende Spiegel, ein ganzer Schrank mit Zubehör.
»Hier ist ja mehr Leder als in einem verdammten Melkschuppen.«
»Sie scheinen ja eine Menge über Kühe zu wissen, Kleiner«, sagte Rebus. Er war froh, dass der Raum gerade nicht benutzt wurde. Aber es sollte noch mehr Überraschungen geben.
In manchen Teilen des Hauses schien sich nichts Anstößigeres abzuspielen als Kostümpartys; man sah Krankenschwestern und Oberschwestern, Nonnenschleier und hohe Absätze. Nur dass die meisten Kostüme mehr freigaben als sie verbargen. Eine junge Frau trug eine Art Taucheranzug aus Gummi, bei dem an den Brustwarzen und im Schritt Löcher waren. Eine andere sah aus wie eine Mischung aus Heidi und Eva Braun. Watson beobachtete die Parade, und rechtschaffener Zorn ergriff ihn. Nun hatte er keinerlei Zweifel mehr. Es war absolut richtig, dieses Etablissement zu schließen. Dann setzte er sein Gespräch mit Mrs Croft fort. Chief Inspector Lauderdale hielt sich ganz in seiner Nähe auf. Er hatte darauf bestanden, mitzukommen, weil er seinen Vorgesetzten kannte und ein Fiasko befürchtet hatte. Nun ja, dachte Rebus lächelnd, bisher war nichts in die Hose gegangen.
Mrs Croft sprach mit einem verfeinerten Cockney-Akzent, der immer weniger fein klang, je länger sich die Sache hinzog und je mehr Paare die Treppe herunter in das große, mit Sofas vollgestellte Wohnzimmer strömten. Ein Raum, in dem es nach teurem Parfüm und Markenwhisky roch. Mrs Croft stritt alles ab. Sie stritt sogar ab, dass sie sich in einem Bordell befanden.
Bin ich die Hüterin meines Bordells?, ging es Rebus durch den Kopf. Trotzdem musste er ihre Darbietung bewundern. Sie wäre eine Geschäftsfrau, erklärte sie immer wieder, eine Steuerzahlerin, und hätte ihre Rechte. Und wo wäre überhaupt ihr Anwalt?
»Ich dachte, sie vertritt hier die Rechte der sexuell Ausgehungerten«, flüsterte Lauderdale Rebus zu – ein seltener Anflug von Humor bei einem der verdrießlichsten Typen, mit denen Rebus je zusammengearbeitet hatte. Deshalb verdiente diese Bemerkung ein Lächeln.
»Was grinsen Sie so? Ich wusste nicht, dass wir gerade Pause machen. Gehen Sie wieder an die Arbeit.«
»Ja, Sir.« Rebus wartete, bis Lauderdale sich von ihm abgewandt hatte, um besser hören zu können, was Watson sagte, und machte mit der Hand unauffällig ein V-Zeichen in seine Richtung. Mrs Croft bekam das jedoch mit, dachte anscheinend, sie wäre gemeint, und erwiderte die Geste. Lauderdale und Watson drehten sich beide zu Rebus um, doch dieser war bereits verschwunden …
Einige Beamte, die man im Garten hinter dem Haus postiert hatte, führten nun ein paar bleichgesichtige Gestalten ins Haus zurück. Ein Mann war aus einem Fenster im ersten Stock gesprungen, mit dem Ergebnis, dass er nun humpelte. Er beharrte dennoch darauf, dass er keinen Arzt brauchte, dass kein Krankenwagen gerufen werden sollte. Die Frauen schienen das Ganze eher amüsant zu finden, besonders den Ausdruck auf den Gesichtern ihrer Kunden. Dieser reichte von beschämt und verlegen bis zu wütend und verlegen. Es gab das eine oder andere kurze Aufbegehren à la: Ich kenne meine Rechte. Doch im Wesentlichen taten alle, was man ihnen sagte, das heißt, sie hielten den Mund und übten sich in Geduld.
Scham und Verlegenheit ließen ein wenig nach, als einer der Männer daran erinnerte, dass es nicht verboten wäre, ein Bordell zu besuchen. Es wäre lediglich verboten, eines zu führen oder in einem zu arbeiten. Das stimmte zwar, bedeutete jedoch nicht, dass die anwesenden Männer einfach in die Anonymität der Nacht entfliehen konnten. Bevor man sie wegschickte, würde man ihnen erst ein wenig Angst einjagen. Wenn man den Bordellen die Kunden verschreckte, hatte man irgendwann keine Bordelle mehr. Das war die Logik, die dahintersteckte. Also legten die Beamten mit ihren üblichen Geschichten los, wie sie sie auch Freiern auf dem Straßenstrich erzählten.
»Nur einen guten Rat unter vier Augen, Sir. An Ihrer Stelle würde ich mich auf AIDS untersuchen lassen. Das meine ich ernst. Die meisten von diesen Frauen könnten durchaus infiziert sein, auch wenn man es ihnen nicht ansieht. Man sieht es sowieso erst, wenn es schon zu spät ist. Sind Sie verheiratet, Sir? Irgendwelche Freundinnen? Am besten sagen Sie denen, sie sollen auch einen Test machen lassen. Andernfalls, man kann ja nie wissen, oder?« Das war zwar hart, aber notwendig. Und wie bei den meisten harten Worten steckte ein Körnchen Wahrheit darin.
Ein kleines Hinterzimmer diente Mrs Croft als Büro. Dort wurde eine Geldkassette gefunden, außerdem eine Kreditkartenmaschine und ein Quittungsbuch mit der Aufschrift Croft Guest House. Soweit Rebus erkennen konnte, kostete ein Einzelzimmer fünfundsiebzig Pfund. Teuer für ein Bed & Breakfast, aber wie viele Firmenbuchhalter würden sich die Mühe machen, das zu überprüfen? Es würde Rebus nicht überraschen, wenn die Frühstückspension auch noch mehrwertsteuerpflichtig wäre …
»Sir?« Es war Detective Sergeant Brian Holmes, erst kürzlich befördert und strotzend vor Eifer. Er stand auf einer Treppe und rief zu Rebus herunter. »Ich glaube, Sie sollten besser mal hier raufkommen …«
Rebus hatte keine große Lust dazu. Holmes schien ziemlich weit oben zu sein, und Rebus, der selbst im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses wohnte, hatte eine eingefleischte Abneigung gegen Treppen. Edinburgh war natürlich voll davon, so wie es voller Hügel, schneidender Winde und voller Menschen war, die über Dinge wie Hügel, Treppen und den Wind meckerten …
»Ich komme.«
Vor der Tür zu einem der Zimmer unterhielt sich ein Detective Constable leise mit Holmes. Als Holmes Rebus am Treppenabsatz sah, schickte er den DC fort.
»Also, Sergeant?«
»Werfen Sie mal einen Blick rein, Sir.«
»Irgendwas, das Sie mir vorher sagen möchten?«
Holmes schüttelte den Kopf. »Sie haben doch wohl schon mal ein männliches Glied gesehen, Sir?«
Rebus öffnete die Tür. Was hatte er erwartet? Ein nachgemachtes Verlies, wo jemand nackt auf der Folterbank lag? Eine ländliche Szene mit ein paar Hühnern und Schafen? Das männliche Glied. Vielleicht hatte Mrs Croft eine Sammlung davon an einer Wand in ihrem Schlafzimmer ausgestellt. Und dieses Exemplar ist von ’73. Hat sich heftig gewehrt, aber schließlich hab ich es doch erwischt …
Aber nein, es war noch schlimmer. Viel schlimmer. Es war ein ganz gewöhnliches Schlafzimmer, abgesehen davon, dass rote Birnen in den Lampen steckten. Und in dem ganz normalen Bett lag eine ziemlich durchschnittlich aussehende Frau. Sie hatte einen Ellbogen auf das Kissen gestützt, ihr Kinn ruhte auf der geballten Faust. Auf diesem Bett saß komplett angezogen jemand, den Rebus erkannte, und starrte auf den Fußboden. Das Parlamentsmitglied für North und South Esk.
»Mein Gott«, sagte Rebus. Holmes steckte den Kopf in die Tür.
»Ich kann nicht vor einem beschissenen Publikum arbeiten!«, brüllte die Frau. Ihr Akzent, fiel Rebus auf, war englisch. Holmes ignorierte sie.
»Das ist ja ein Zufall«, sagte er zu Gregor Jack MP. »Meine Freundin und ich sind nämlich gerade in Ihren Wahlkreis gezogen.«
Der Abgeordnete blickte eher traurig als wütend auf.
»Das ist ein Missverständnis«, sagte er. »Ein furchtbares Missverständnis.«
»Sie sind wohl auf Stimmenfang unterwegs, was, Sir?«
Die Frau hatte angefangen zu lachen. Ihr Kopf ruhte immer noch auf ihrer Hand. Das rote Licht schien den weit aufgerissenen Mund zu füllen. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Gregor Jack einen Boxhieb in ihre Richtung schicken. Stattdessen versuchte er, mit der offenen Hand nach ihr zu schlagen, erwischte sie aber nur am Arm, sodass ihr Kopf zurück auf das Kissen fiel. Sie lachte immer noch, beinah mädchenhaft. Sie hob die Beine so hoch, dass die Bettdecke herunterglitt. Ihre Hände trommelten mit hämischer Freude auf die Matratze. Jack war mittlerweile aufgestanden und kratzte sich nervös an einem Finger.
»Mein Gott«, sagte Rebus noch einmal. »Kommen Sie, wir bringen Sie nach unten.«
Nicht der Farmer. Der Farmer könnte die Beherrschung verlieren. Dann also Lauderdale. Rebus näherte sich ihm so demütig, wie er nur konnte.
»Sir, wir haben da ein kleines Problem.«
»Ich weiß. Das muss Watson gewesen ein. Der Kerl wollte wohl seine glorreiche Entdeckung festgehalten haben. Er ist immer scharf auf Publicity, das sollten Sie doch wissen.« War da ein spöttisches Grinsen in Lauderdales Blick? Mit seiner hageren Gestalt und dem blutleeren Gesicht erinnerte er Rebus an ein Bild, das er mal gesehen hatte, von irgendwelchen Kalvinisten oder Verfechtern der Kirchenspaltung … irgend so ein grimmiger Haufen. Bereit, jeden auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, der ihnen gerade in die Quere kam. Rebus blieb auf Distanz und schüttelte die ganze Zeit den Kopf.
»Ich versteh nicht so ganz …«
»Die verdammten Journalisten sind hier«, zischte Lauderdale. »Ganz schön fix, was? Selbst für unsere Freunde von der Presse. Der verdammte Watson muss ihnen einen Tipp gegeben haben. Er ist gerade bei ihnen draußen. Ich hab versucht, es ihm auszureden.«
Rebus ging zu einem Fenster und sah hinaus. Und tatsächlich standen dort drei oder vier Reporter am Fuß der Treppe zur Haustür. Watson hatte seine Erklärung beendet und beantwortete gerade ein paar Fragen. Dabei zog er sich bereits langsam die Treppe hinauf zurück.
»Oh, v…«, sagte Rebus und staunte über seine Fähigkeit, sich zusammenzureißen. »Das macht die Sache nur noch schlimmer.«
»Macht was schlimmer?«
Also berichtete Rebus ihm. Und wurde mit dem strahlendsten Lächeln belohnt, das er je über Lauderdales Gesicht hatte huschen sehen.
»Tss, tss, wer war denn da ein unanständiger kleiner Junge? Aber ich seh immer noch nicht, wo das Problem liegt.«
Rebus zuckte die Schultern. »Nun ja, Sir, ich meine nur, das bringt doch niemandem was.«
Draußen fuhren die Minibusse vor. Zwei, um die Frauen zur Wache zu bringen, zwei für die Männer. Den Männern würde man ein paar Fragen stellen, Name und Adresse aufnehmen, und sie dann entlassen. Die Frauen … nun, das war eine ganz andere Sache. Es würde Anklage erhoben werden. Rebus’ Kollegin Gill Templer würde das als weiteres Indiz für den Phallozentrismus in der Gesellschaft bezeichnen, oder so was in der Art. Sie war nicht mehr so wie früher, seit sie diese Psychologiebücher in die Finger gekriegt hatte …
»Unsinn«, sagte Lauderdale gerade. »Das hat er sich selbst zuzuschreiben. Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach machen? Ihn mit einer Decke über dem Kopf durch die Hintertür rausschmuggeln?«
»Nein, Sir, es ist nur so …«
»Er wird genauso behandelt wie alle anderen, Inspector. Sie kennen die Spielregeln.«
»Ja, Sir, aber …«
»Aber was?«
Aber was? Tja, das war die Frage. Was? Warum fühlte Rebus sich so unbehaglich? Die Antwort war auf komplizierte Weise einfach: Weil es Gregor Jack war. Die meisten Abgeordneten hätten Rebus einen Dreck interessiert. Aber Gregor Jack war … nun ja, er war Gregor Jack.
»Die Minibusse sind da, Inspector. Trommeln wir sie zusammen und lassen sie abtransportieren.«
Lauderdales Hand fühlte sich hart und kalt auf seinem Rücken an.
»Ja, Sir«, sagte Rebus.
Also hieß es wieder raus in die kalte, dunkle Nacht, die erleuchtet wurde vom orangefarbenen Schein der Natriumdampflampen, von grellen Scheinwerfern und vom schwächeren Licht aus offenen Türen und aus Fenstern, hinter denen sich die Gardinen bewegten. Die Anwohner waren unruhig. Einige waren vor die Haustür getreten, eingehüllt in Morgenmäntel im Paisley-Muster oder mit hastig zusammengesuchten Sachen bekleidet, die nicht ganz richtig saßen.
Polizei, Anwohner und natürlich die Reporter. Blitzlichter. Also auch Fotografen. Keine Kamerateams, keine Camcorder. Wenigstens das: Die Fernsehsender hatte Watson nicht zu seiner kleinen Soiree eingeladen.
»In den Wagen, beeilen Sie sich«, rief Brian Holmes. Lag da eine neue Bestimmtheit, eine neue Autorität in seiner Stimme? Merkwürdig, was eine Beförderung bei jungen Leuten bewirken konnte. Und sie beeilten sich, weiß Gott, aber wohl weniger, um Holmes’ Anweisungen zu befolgen, sondern um so schnell wie möglich den Kameras zu entrinnen. Ein paar von den Frauen warfen sich in Pose, versuchten den falschen Glamour von Seite drei zu imitieren, ließen sich jedoch schnell von Polizistinnen überzeugen, dass dies weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür war.
Doch die Reporter warteten weiter. Rebus fragte sich, warum. Ja, er fragte sich, warum sie überhaupt hier waren. War das denn so eine große Geschichte? Würde es Watson eine positive Publicity verschaffen? Ein Reporter packte sogar einen Fotografen am Arm und schien ihn zu ermahnen, nicht zu viele Bilder zu verknipsen. Doch nun brachen sie in ein wildes Rufen und Johlen aus. Und die Blitzlichter gingen los wie ein Flakfeuer. Das alles, weil sie ein Gesicht erkannt hatten. Das alles, weil Gregor Jack soeben die Treppe heruntereskortiert, über den schmalen Gehweg geführt und in einen der Wagen verfrachtet wurde.
»Mein Gott, das ist Gregor Jack!«
»Mr Jack! Nur ein Wort!«
»Irgendeinen Kommentar abzugeben?«
»Was machten Sie …«
»Irgendein Kommentar?«
Die Türen schlossen sich. Ein Polizist schlug dumpf mit der flachen Hand gegen die Seite des Minibusses, und der Wagen fuhr langsam los. Die Reporter liefen hinterher. Nun ja, Rebus musste zugeben, dass Jack die Sache mit erhobenem Kopf durchgestanden hatte. Nein, das stimmte nicht ganz. Er hatte den Kopf gerade so weit gesenkt, um Zerknirschung, aber nicht Scham zu signalisieren, Demut, aber nicht Verlegenheit.
»Seit eben mal sieben Tagen ist er mein Abgeordneter«, sagte Holmes, der sich neben Rebus gestellt hatte. »Sieben Tage.«
»Sie müssen einen schlechten Einfluss auf ihn haben, Brian.«
»War aber schon ein kleiner Schock, oder?«
Rebus zuckte unverbindlich die Schultern. Gerade wurde die Frau aus dem Schlafzimmer herausgebracht. Sie hatte Jeans und ein T-Shirt angezogen. Als sie die Reporter sah, hob sie ganz plötzlich das T-Shirt über ihre nackten Brüste.
»Da habt ihr was für eure Kameras!«
Doch die Reporter waren damit beschäftigt, Notizen zu vergleichen, die Fotografen dabei, neue Filme einzulegen. Denn sie würden zur Wache fahren, um Gregor Jack beim Herauskommen zu erwischen. Niemand nahm irgendeine Notiz von ihr, sodass sie schließlich ihr T-Shirt wieder nach unten zog und in den wartenden Minibus stieg.
»Wählerisch ist er ja nicht gerade«, sagte Holmes.
»Wer weiß, Brian«, erwiderte Rebus, »vielleicht ja doch.«
Watson rieb über seine glänzende Stirn. Das war eine Menge Arbeit für eine Hand, da die Stirn erst weit hinten auf Watsons Schädel zu enden schien.
»Mission erfüllt«, sagte er. »Gut gemacht.«
»Danke, Sir«, sagte Holmes rasch.
»Also keine Probleme?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Rebus lässig. »Es sei denn, Sie halten Gregor Jack für eines.«
Watson nickte, dann runzelte er die Stirn. »Wen?«, fragte er.
»Der gute Brian hier kann Ihnen alles berichten, Sir«, sagte Rebus und klopfte Holmes auf den Rücken. »Brian ist der richtige Mann für alles, was nach Politik riecht.«
Plötzlich zwischen Jubel und Furcht schwankend, wandte sich Watson an Holmes.
»Politik?«, fragte er. Er lächelte. Geh bitte behutsam mit mir um.
Holmes beobachtete, wie Rebus zurück ins Haus ging. Er hätte am liebsten laut aufgeheult. John Rebus, dieser Schweinehund, war manchmal wirklich zum Heulen.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass einige Mitglieder des Parlaments Schwierigkeiten damit haben, ihre Hose oben zu lassen. Doch Gregor Jack hatte nie in diesem Ruf gestanden. Häufig umging er das Hosenproblem sogar, indem er in Wahlnächten und bei vielen anderen offiziellen Anlässen einen Kilt trug. In London nahm er die üblichen Sticheleien gelassen hin und parierte die altbekannten Fragen mit den immer gleichen Antworten.
»Nun verrat uns doch mal, Gregor, was trägt man unter dem Kilt?«
»Nichts, absolut gar nichts. Das ist völlig normal.«
Gregor Jack war kein Mitglied der Scottish National Party, auch wenn er als junger Mann mit dieser Partei geliebäugelt hatte. Er war schließlich der Labour Party beigetreten, jedoch aus nie genauer genannten Gründen wieder ausgetreten. Er war kein Liberal Democrat, noch gehörte er zu der seltenen Spezies schottischer Tory-Abgeordneter. Gregor Jack war ein Unabhängiger, und als Unabhängiger hatte er seit seinem, milde gesagt, überraschenden Sieg bei der Nachwahl 1985 das Mandat für North and South Esk inne, einer Region südöstlich von Edinburgh. »Milde« war ein Adjektiv, das häufig im Zusammenhang mit Jack benutzt wurde. Ebenso »ehrlich«, »rechtmäßig« und »anständig«.
An all das erinnerte sich John Rebus aus etlichen Zeitungen, Zeitschriften und Radiointerviews. Irgendwas musste mit dem Mann doch faul sein, irgendeinen Kratzer musste es in seiner glänzenden Rüstung geben. Operation Hush Puppies würde die Schwachstelle ganz bestimmt finden. Rebus überflog die Samstagszeitungen auf der Suche nach einer Geschichte über den Zwischenfall. Er fand keine. Merkwürdig. Die Presse schien doch letzte Nacht ganz wild darauf gewesen zu sein. Die Sache war um halb zwei bekannt geworden … reichlich Zeit also, um etwas darüber in die letzte Morgenausgabe zu kriegen. Es sei denn, die Reporter waren gar nicht von der lokalen Presse gewesen. Aber das müssen sie doch gewesen sein, oder? Doch dann fiel ihm auf, dass er keines der Gesichter erkannt hatte. Besaß Watson wirklich die Stirn, die Londoner Zeitungen in die Sache hineinzuziehen? War er wirklich so ungeschickt? Rebus lächelte. Der Mann hatte allerdings die Statur, den Elefanten im Porzellanladen zu spielen. Dafür sorgte schon seine Frau. Drei Mahlzeiten pro Tag, jeweils mit drei Gängen.
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