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Anne ist verheiratet mit Sparkassenfilialleiter Lothar und Mutter fünfjähriger Zwillingsmädchen. Doch soll dieses spießige Reihenhausleben schon alles gewesen sein? Als Anne es zu Hause nicht mehr aushält, packt sie ihre Töchter und zieht kurzerhand in das Haus ihrer Schulfreundin Alex. Deren bewegtes Leben spielt sich in der High Society ab und sie lädt Anne ein, sich bei einer Opernpremiere ihre Entdeckung, den Sänger Mark Daniel, anzuhören. Anne fällt aus allen Wolken: Der Weltklasse-Star ist ihrem spießigen Lothar wie aus dem Gesicht geschnitten ... Ein köstlicher Roman über die beste Freundin im Leben einer Frau und wie man mit ihr zusammen die Männerwelt gehörig aufmischen kann!
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Seitenzahl: 537
Veröffentlichungsjahr: 2023
Hera Lind
Roman
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Anne ist verheiratet mit Sparkassenfilialleiter Lothar und Mutter fünfjähriger Zwillingsmädchen. Doch soll dieses spießige Reihenhausleben schon alles gewesen sein? Als Anne es zu Hause nicht mehr aushält, packt sie ihre Töchter und zieht kurzerhand in das Haus ihrer Schulfreundin Alex. Deren bewegtes Leben spielt sich in der High Society ab und sie lädt Anne ein, sich bei einer Opernpremiere ihre Entdeckung, den Sänger Mark Daniel, anzuhören. Anne fällt aus allen Wolken: Der Weltklasse-Star ist ihrem spießigen Lothar wie aus dem Gesicht geschnitten ... Ein köstlicher Roman über die beste Freundin im Leben einer Frau und wie man mit ihr zusammen die Männerwelt gehörig aufmischen kann!
Widmung
Plattstadt, 4. September 2001
Mondsee, Agentur Drehscheibe der Stars, Salzburg, 6. September
Kaufglück, Personalbüro, 15. September
Frankfurt, Flughafen, Senator-Lounge – September, morgens um halb sechs
Plattstadt, Kaufglück, im fensterlosen Kämmerchen neben dem Personalbüro, 25. September
New York, Flughafen, Arrival – was haben wir denn für ein Datum? Ende September
Kaufglück, Plattstadt, in meinem kleinen Personalbüro, 28. September
New York Plaza, Suite 608, Whirlpool, September
Plattstadt, Kaufglück, in meinem engen Personalbüro mit Blick auf die Schule, Ende September
New York, Plaza Hotel, 6. Oktober
Plattstadt, Kaufglück, 10. Oktober, in meinem kleinen Personalbüro in der Ecke, mit Blick auf unsere alte Gesamtschule und die Bäume, die sich im Herbststurm davor biegen
New York, J.-F-K.-Flughafen, Lufthansa-Lounge,10. Oktober
Plattstadt, Einwegstraße 4, im Arbeitszimmer von Lothar (der zum Bowling ist), 16. Oktober. Wieder mal geht ein langer, herbstlicher Sonntag zu Ende …
Drehscheibe der Stars, Salzburg, von Merz und Partner, 20. Oktober
Plattstadt, 29. Oktober, Kaufglück, in meiner Kaschemme, die sich Personalbüro nennt
München, Hotel Bayrischer Hof, Suite 136–140, 2. November, kurz nach Mitternacht
Plattstadt, Kaufglück, 12. November
Hamburg, Hotel Élysée, Suite 343–345, 10. November
Plattstadt, Einwegstraße 4, am PC von Lothar (der beim Bowling ist), 15. November
Hamburg, Hotel Élysée, in meiner Suite am Schreibtisch, Blick auf den Bahnhof Dammtor
Plattstadt, Kaufglück, Personalbüro, 18. November, halb acht abends – eine Minute vor Feierabend
Hamburg, im Vorzimmer meines Anwalts, 19. November
Plattstadt, Kaufglück, 19. November, in der Mittagspause
Hamburg, Hotel Élysée, im Spa – kriege gerade eine Fußmassage
Plattstadt, Kaufglück, Personalbüro, 20. November, kurz vor Feierabend
Hamburg, Flughafen, Senator-Lounge, 21. November
Plattstadt, 21.11., mittags, im Personalbüro von Kaufglück
Frankfurt, Senator-Lounge, immer noch 21. November, immer noch auf dem Rückflug
Plattstadt, Einwegstraße 4, spätabends in Lothars Arbeitszimmer, an seinem PC (er ist beim Kunden)
Salzburg, Drehscheibe der Stars, inzwischen Dezember
Plattstadt, Kaufglück, 7. Dezember
Berlin, Hotel Adlon, Suite 218–222, 6. Dezember
Plattstadt, Kaufglück, Dezember
Wien, Ana-Hotel, Suite 445–449
Plattstadt, Kaufglück, Dezember
Salzburg, in der Bar des Hotels Sacher, Dezember
Plattstadt, Kaufglück, zwischen Personalversammlung und Kunden-WC-Kontrolle
Salzburg, Drehscheibe der Stars, in meiner Galerie am Mondsee
Plattstadt, Kaufglück
Frankfurt, Flughafen, Senator-Lounge, unterwegs nach Kalifornien
Plattstadt, Kaufglück, Personalbüro, 4. Dezember, nach Feierabend
Los Angeles, International Airport, Lost and found – Office
Plattstadt, Kaufglück – wo sonst?!, 49. Kalenderwoche Das Jahr neigt sich …
Los Angeles, immer noch Flughafen
Plattstadt, Sonntagnachmittag, 2. Advent, an Lothars Schreibtisch
Pacific Palisades, sieben Uhr morgens … das Datum ist mir entfallen; irgendwann kurz vor Weihnachten – aber hier ist es herrlich warm und sonnig
Plattstadt, Kaufglück, 12. Dezember
Pacific Palisades, auf meiner Terrasse, mit Blick auf die Bucht von Malibu …
Plattstadt, Einbahnstraße 4, nachts um drei, in Lothars Arbeitszimmer, 15. Dezember
Beverly Hills, Sunset Boulevard, Hotel Bel Air, am Pool
Plattstadt, Kaufglück im totalen Weibnachtsstress, vierter langer Samstag vor Heiligabend
Salzburg, Drehscheibe der Stars, eine Nacht zu Hause
Plattstadt, Kaufglück, Montag vor Heiligabend – im Laden ist die Hölle los
Santa Barbara, 20. Dezember.
Plattstadt, Einbahnstraße 4, vierter Advent, abends um zehn, an Lothars Schreibtisch
Los Angeles, im Wartezimmer von Dr. Brennan Newsom, dem Kieferorthopäden, 22. Dezember. Da kennen die nix, die Amis. Es wird gebohrt, bis die Knete stimmt …
Plattstadt, 24. Dezember – im Laden ist die Hölle los, habe noch Dienst bis siebzehn Uhr
Fort Lauderdale, an Bord der QE 2, Suite 817–819
Silvester, Plattstadt, an Lothars Schreibtisch
Auf See, zwischen Barbados und Martinique, Neujahr, auf der QE 2, Suite 817–819
Plattstadt, Kauf glück, 10. Januar des neuen Jahres
Los Angeles, 16. Januar, auf dem Campus der Beverly Hills Highschool
Plattstadt, Kaufglück, 21. Januar
Hollywood, Sunset Boulevard, Hotel Bel Air – im Spa
Plattstadt, Kaufglück, 24. Februar
Hollywood, Hotel Bel Air, am Pool
Plattstadt, Kaufglück, 17. März
Hollywood, Hotel Bel Air – im Spa
Mondsee, im Frühling
Hollywood, auf dem Gelände der Filmproduktion »Miles and more«, 20. März
Mondsee, abends um elf an deinem Schreibtisch
Los Angeles, Universal Studios, 26. März
Mondsee, an deinem Schreibtisch, 30. März
Hollywood, beim Stylisten, 18. April
Mondsee … Frühling!
Hollywood, Universal Studios, 20. April
Mondsee, 2. Mai
Hollywood, Universal Studios, 3. Mai, total im Stress, zwischen zwei Interviews mit Nackedei
Mondsee, 7. Mai, Sonntag früh um sieben, in deiner morgensonnendurchfluteten Galerie
Santa Barbara, im Haus von Walter und Liz, 9. Mai
Mondsee, in deiner Galerie, 12. Mai, nachmittags halb fünf – die Sonne steht schräg über dem Wald, die Amseln zwitschern und auf dem Nachbargrundstück verteilt ein Bagger Kuhmist …
St. John’s College, Santa Barbara, 21. Mai
Mondsee, 26. Mai
Hollywood, Universal Studios, Ende Mai
Mondsee, an deinem Schreibtisch, 5. Juni
Hollywood, Universal Studios, 8. Juni
Drehscheibe der Stars, Mondsee, 12. Juni
Hollywood, Hotel Bel Air, in meiner Suite, 18. Juni
Mondsee, 20. Juni, elf Uhr vormittags
Los Angeles, Universal Studios, 21. Juni
Mondsee, abends in deiner Galerie, Datum ist mir entfallen
Los Angeles, im Schneideraum der Miles-and-more-Film, 26. Juni – wir schauen erste Proben an
Mondsee, Landhaus Merz, an deinem Schreibtisch, 2. Juli, morgens um fünf
Hollywood, Fatburn-Wonder-Private Clinic, in meiner Zelle, 5. Juli
Mondsee, in deiner Galerie am Schreibtisch, 8. Juli
Immer noch Diet Clinic von Jane Fonda, Hollywood, neben meiner Marmorschüssel, irgendwann Anfang bis Mitte Juli
Mondsee, an deinem Schreibtisch in der Galerie, nachts um drei, 13. Juli oder so
Diet Clinic von Jane Fonda, Hollywood, 16. Juli
Mondsee, an deinem Schreibtisch, wie immer nachts, 19./20. Juli
In der Praxis von Dr. Vanderbilt, Los Angeles, 23. Juli
Mondsee, in deiner Galerie, 25. Juli, wieder mal mitten in der Nacht
San Francisco, Golden Gate Bridge, beim Dreh mit George Clooney, 26. Juli
Mondsee, wie üblich an deinem Schreibtisch in der Galerie, 27. Juli
San Francisco, immer noch auf der Golden Gate Bridge, im Wohnwagen, 29. Juli
Mondsee, in deiner Galerie, 30. Juli, spätnachmittags
Santa Barbara, im Gästehaus von Mark Daniels Eltern, 2. August
Mondsee, Mitternacht, 4. August
Flughafen Los Angeles, Senator-Lounge der Lufthansa-Vielflieger, 5. August
Mondsee, in deiner Galerie, 7. August, morgens um sechs
Plattstadt, Stadtring-Hotel, Zimmer 113, 8. August
Mondsee, 10. August
Plattstadt, Hotel am Stadtring, 13. August
Mondsee, 17. August
Plattstadt, in meinem jämmerlichen Hotelzimmer mit Aussicht auf die Umgehungsstraße, 14. August
Mondsee, 17. August
Plattstadt, im Hotelzimmer – übrigens jetzt im besten des Hauses. Nennt sich »Suite« und ist immerhin »nach hinten raus«. Aussicht auf einen Parkplatz mit Müllcontainern – echt geil! 18. August
Mondsee, 19. August
Hamburg, Hotel Élysée, Suite 664–668, auf der Dachterrasse mit Blick auf die Alster, 19. August
Mondsee, 20. August
Hamburg, immer noch im Élysée-Hotel, am Swimmingpool, 20. August
Mondsee, 22. August
Plattstadt, wieder im hassgeliebten Stadtringhotel, nachts um drei – ich kann nicht schlafen. 23. August oder so
Mondsee, an deinem Schreibtisch, halb fünf Uhr früh, 25. August
Plattstadt, Hotel am Stadtring, die schäbige Suite, aber immerhin mit PC-Anschluss
Mondsee …
Fünf Uhr sechzehn, präzise. Es dämmert schon
Frankfurt, Flughafen, First-Class-Eincheckschalter, in der Lounge
Hotel Bel Air, Hollywood, Suite 413–417, 26. August
Mondsee, 27. August
Santa Barbara, bei Walter und Liz, 27. August
San Francisco, im Haus von Steve W. Vanderbilt, 29. August
Mondsee, 29. August
Los Angeles …
30. August 2002
Los Angeles, in der Villa der Martinis, 31. August
Mondsee, Landhaus Klein Martini, in meiner Arbeitsgalerie, 4. September
Dank
Für Gabi W. und Eberhard B., denen ich die schönen Momente meiner Schulzeit verdanke.
Und für Ulla K., deren eMails mich aus jeder Krise reißen.
Nebenan tönt gerade wieder die Pausenglocke …
Liebe Alex,
hoffentlich erreicht dich diese Mail. Ich habe ein bisschen recherchiert, um deine eMail-Adresse rauszukriegen. Zum Glück ist deine Firma im Handelsregister eingetragen.
Sicher wunderst du dich, dass ich dir nach fast 16 Jahren schreibe.
Leider muss ich dir mitteilen, dass unser guter alter Heinrich Seelig gestorben ist. Als ehemalige Klassensprecherin versuche ich, einige Leute aus unserer Klasse für die Beerdigung zusammenzutrommeln. Die Beisetzung findet am 8. September auf dem Waldfriedhof statt.
Ich würde dich gar nicht damit belästigen, weil ich ja weiß, wie wahnsinnig beschäftigt du bist (man muss ja nur die Klatschblätter aufschlagen), wenn ich nicht folgenden Artikel in einer alten Schülerzeitung gefunden hätte. Ich schicke ihn dir im Anhang.
Vielleicht sehen wir uns bei dieser Gelegenheit mal wieder! Ich würde mich wahnsinnig darüber freuen!
Mit besten Grüßen
Anne Pistrulla (geborene Klein)
Anhang
Auszug aus der Schülerzeitung von 1999 – Interview des Zehntklässlers Malte Quademechels mit Oberstudienrat Heinrich Seelig zum 50. Schuljubiläum
SZ: Herr Seelig, Sie sind mit heute 81 Jahren das älteste ehemalige Mitglied des Schulkollegiums der Gesamtschule Plattstadt. Wann wurden Sie pensioniert?
GS: Vor sechzehn Jahren, mit 66. Ich musste noch meine Lieblingsklasse durch das Abitur führen. Dann habe ich aufgehört.
SZ: Schade, denn man hört nur Gutes über Sie. Sie haben Deutsch, Philosophie und Musik unterrichtet. Vermissen Sie die Schule?
GS: Die Schule an sich eigentlich nicht. Heute ist es kein Zuckerschlecken mehr, Lehrer zu sein. Aber manche Schüler vermisse ich. Die sind mir im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen.
SZ: An welches Erlebnis in Ihrer Amtszeit erinnern Sie sich besonders gern?
GS: (lacht) An den Heiratsantrag, den mir Anne Klein und Alexandra Knoppke bei ihrem Abiturfest gemacht haben! (Abiturjahrgang 1986, Anm.d. Red.)
SZ: Wie kam es dazu?
GS: Es ging, glaube ich, um eine Wette. Diejenige der beiden, die den besseren Abiturdurchschnitt haben würde, musste mir auf dem Abiturfest öffentlich einen Heiratsantrag machen. Sie hatten aber auf den Punkt genau den gleichen Notendurchschnitt. Da machten sie ihn mir gemeinsam. Die Aula hat vor Begeisterung getobt.
SZ: Ja, von der Geschichte spricht man heute noch. Aber, unter uns, welche von beiden haben Sie geheiratet?
GS: Leider keine! Erstens hab ich das natürlich nicht ernst genommen, zweitens konnte ich mich für keine entscheiden und drittens wäre der Altersunterschied wohl etwas zu groß gewesen (lacht wieder).
SZ: Haben Sie eine Ahnung, was aus den beiden Damen geworden ist?
GS: Alexandra Knoppke hat den berühmten Dirigenten Leo von Merz geheiratet und ist, wie man der Presse entnehmen kann, auch seine Managerin. Sie lebt irgendwo bei Salzburg und hat eine international erfolgreiche Künstleragentur.
Anne Klein hat Lothar Pistrulla geheiratet (Schüler der Jahrgangsstufe 81, die Red.), der jetzt Leiter der örtlichen Stadtsparkasse ist. Sie selbst ist Personalleiterin bei »Kaufglück«, also gleich nebenan. Manchmal schaue ich bei ihr vorbei, dann plaudern wir ein wenig. Sie ist Mutter von Zwillingen und anscheinend sehr glücklich.
SZ: Wissen Sie, ob die beiden Schulfreundinnen noch Kontakt haben?
GS: Leider nicht, was ich persönlich sehr bedauere. Ich muss zugeben, dass die beiden meine absoluten Lieblingsschülerinnen waren. Sie haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel und waren so unzertrennliche Freundinnen, wie ich es in meiner ganzen Lehrerlaufbahn nie sonst erlebt habe.
SZ: Wenn Sie sich zu Ihrem 50. Schuljubiläum etwas wünschen dürften, was wäre das?
GS: Dass Anne und Alex mir noch mal einen Heiratsantrag machen (lacht). Heute würde ich sie beide nehmen.
SZ: Herr Seelig, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Hallo, Kleinchen!!
Es ist ja völlig ungewohnt, dich mit »Anne« anzusprechen, und dass du jetzt »Pistrulla« heißt, ist erst recht gewöhnungsbedürftig. Nix für ungut, Süße, aber hast du das nicht verhindern können? Ich hab dich immer Kleinchen genannt, darf ich das noch weiter tun? Aber, egal wie du auch angesprochen werden willst: Mir sind die Tränen gekommen, als ich deine Mail gelesen habe!
Erst mal freut es mich riesig, wieder von meiner einzigen besten Freundin Kleinchen zu hören, und zweitens ist dieses Interview ja wohl bezaubernd!
Ich konnte mich nur noch ganz schwach erinnern – leider sind alle meine Fotos von der Zeit irgendwo verloren gegangen. Hast du noch welche?? Könntest du sie mir mailen?? Weißt du noch, unsere erste Schulfibel? Wie war der erste Satz? Irgendwas mit Peter und Flocki.
Ja, warte mal, ich erinnere mich! »Peter ruft Flocki. Flocki kommt nicht. Da kommt Flocki.«
Ist das nicht genial? Das fällt mir JETZT wieder ein, wo ich an dich denke, du meine treue Sitznachbarin über dreizehn Jahre Schulzeit!! Bohnerwachsgeruch auf braunem Linoleumfußboden, zuerst vier Jahre Frau Blusenich, dann der Backenkneifer Herr Knesemechels in Religion, und wie hieß noch die Alte, bei der wir »Nadelarbeit« hatten? Brückmeier? Boh, Nadelarbeit! Dicke Stopfnadeln drängelten sich schmerzend in Pappe, um hässliche krumme Wollfädenspuren für immer auf ihr zu hinterlassen. Mein erster Bommel! Ich seh mich noch mit schwitzenden Fingern die feuchte Wolle – Farbe: Altbleu! – um den doppelten Pappekringel friemeln und die Alte stand über mir und roch so streng nach Eukalyptus und sagte: »So wird das aber kein anständiger Bommel!« Also habe ich einen unanständigen Bommel geschaffen, was blieb mir auch übrig!
Wenn wir alle mit Friemeln beschäftigt waren, hat die Alte – wie HIESS die denn noch? Brüggemann, Brüggemeier, Brügge…, Brück… – uns immerhin Pippi Langstrumpf vorgelesen oder auch »Die kleine Hexe«, was sowieso besser zu ihr passte. Jetzt hab ich mir das alte Poesiealbum rausgesucht, in dem du, Kleinchen, gleich auf der dritten Seite auftauchst mit folgendem originellen Spruch: »Rede viel, aber wahr. Viel Reden bringt Gefahr.«
Wahrscheinlich hast du dich in der Aufregung nur verschrieben, aber Teil eins deines Ratschlages habe ich angenommen. Viel reden!! Teil zwei nicht so sehr. Wär ja langweilig. Allerdings: Meine lose Klappe hat mir schon so manchen Ärger eingebracht!! Aber missen möchte ich den nicht, den Ärger. Hat mein Leben ziemlich kunterbunt gemacht. Jetzt, wo ich so blättere, kommt’s mir wieder!
Was macht eigentlich Marion Studier? Oder Jutta Beckstette? Sie schreibt: »Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken, nur die eine nicht, die heißt Vergissmeinnicht.«
War ihr Vater nicht Anstreicher? Und hatte sie nicht eine Schwester, die immer auf dem Dreirad vor ihrem Haus auf dem Rasen hin- und herquietschte, wenn wir aus der Schule kamen? Und liebte sie nicht bis zur Selbstaufgabe »Daniel Gerard« mit dem unvergesslichen Song »Butterfly«?? Was ist mit Uwe Rohner und Uwe Mertens? (Beide haben nicht in mein Poesiealbum geschrieben, obwohl für sie je eine Seite reserviert ist – bis heute!!) »Morgenstund hat Gold im Mund«, hat Detlev Brüseke geschrieben. Ob er dazu heute noch steht? Vielleicht ist er ja Gastwirt oder Rausschmeißer in einer Disco geworden und pennt jeden Tag bis eins. War das nicht so ein Dicker? Der immer seinen völlig uncoolen Lederranzen auf dem Rücken trug? Und aussah, als hätte er einen Kleiderbügel geschluckt?
JETZT habe ich auch die alte Nadelarbeitslehrerin gefunden: Frau Brückmann.
»Man ist reich, wenn man ein freundliches Herz hat!«, schrieb sie vor hundert Jahren in mein Poesiealbum. Hat die eine Ahnung! Also, wenn ich jemals einem Mädel ins Poesiealbum schreiben darf, dann werde ich die ungeschminkte Wahrheit schreiben: »Man ist reich, wenn man von seinen Zinsen leben kann!«
Und daran arbeite ich gerade feste, meine Liebe.
Frau Blusenich! Hurra, weißt du, was die schreibt? »Bete und arbeite!« Thea Blusenich.
Teil eins: Null. Teil zwei: Ja! Klar!! Hätte sie geschrieben »Arbeite und kassiere!«, hätte ich ihren Ratschlag hundertprozentig angenommen.
Und wer war noch mal »Deine Lehrerin G. Solitssek«? War das nicht die, die später mit dem Biologielehrer was angefangen hat und deshalb versetzt wurde? Der Biologielehrer hieß jedenfalls Herr Timmermanns und war sauer auf mich, weil ich die Sache mit der Solitssek in die Welt gesetzt hatte.
Mensch, Kleinchen! Wie geht es dir denn so?? Was hast du all die Jahre gemacht? Es ist eine Schande, dass wir uns so aus den Augen verloren haben, aber ich war einfach wahnsinnig beschäftigt mit Geld verdienen! Bitte entschuldige! Im Laufe der Jahre habe ich mir angewöhnt, nur noch Dinge zu tun, die mir Geld einbringen. Und dazu gehört leider nicht, mit alten Schulfreundinnen eMails zu tauschen. Schande über mich. Ich will mich bessern!
Leider kann ich zur Beerdigung von unserem guten alten Heinrich Seelig nicht kommen! Muss nämlich zur Hochzeit von Dick Price. Als seine Managerin darf ich auf diesem Fest nicht fehlen, zumal ich die gesamte Hochzeit an die Bild-Internetseite verkauft habe, für 80000 Euro! Ich kriege von jedem Deal, den ich für meine Künstler aushandele, zwanzig Prozent. Die ich, unter uns gesagt, nur in den seltensten Fällen versteuere!
Ich sage dir, Kleinchen, das Geld liegt auf der Straße.
Trotzdem schade, dass ich Heinrich nicht auf seinem letzten Weg begleiten kann! Ich wusste nicht, dass wir beide ihm so viel bedeutet haben, dass er uns sogar sein letztes Interview gewidmet hat! Er war ein feiner Kerl. Hart, aber gerecht. Seinetwegen habe ich in Salzburg immerhin Musik studiert, auch wenn ich heute nur passiv mit Musik zu tun habe – als Managerin eines berühmten Dirigenten und einiger international gefragter Sänger. Die Salzburger Festspiele sind mein Zuhause. Und ansonsten habe ich einige erstklassige Schauspieler unter Vertrag. Mir geht es gut, Anne!! Ich kann mich nicht beklagen!
Was ist eigentlich mit deiner Musik? Du wolltest doch immer Sängerin werden. Damals jedenfalls hattest du eine tolle Stimme. Weißt du noch, wie wir mittwochs zusammen bei Heinrich Seelig im Chor gesungen haben? Es würde ihn freuen, dass wir beide wegen ihm wieder Kontakt aufgenommen haben! Vielleicht freut ihn das mehr, als wenn ich auf seiner Beerdigung rumgestanden hätte. Du weißt ja, dass ich solche Veranstaltungen hasse.
Mensch, Anne Pistrulla, geborene Klein! (Konntest du dich gegen diesen Namen gar nicht wehren? Allerdings hätte ein Doppelname das Ganze auch nicht wesentlich aufgepeppt. »Klein-Piss-Trulla … nichts für ungut, aber lästern dürfen wir noch wie damals, oder?). Dem Interview entnehme ich, dass du Personalleiterin bei »Kaufglück« bist. Weißt du noch, wie wir damals unseren ersten Bikini dort gekauft haben? Du brauchtest oben Größe vierzig und unten Größe achtunddreißig, bei mir war es umgekehrt. Ich hatte schon immer den dickeren Hintern und du den größeren Busen.
Da waren wir fünfzehn … So alt ist jetzt mein Sohn Adrian. Er hat mich als Mutter in ein tiefes Sorgenloch gestürzt, aber vielleicht tun das alle Jungs in der Pubertät. Du hast also Zwillinge, kleine Mädchen? Wie süß! Mail mir Fotos!
So, das war die längste private eMail, die ich je geschrieben habe. Sonst hacke ich nur zu Businesszwecken in die Tasten. Hat aber Spaß gemacht!
Muss jetzt zum Flughafen, fliege über Zürich nach Basel. Die Bunte will ein Interview über meinen ehemaligen Klienten Joachim Jarnach. Ich weiß nicht, inwieweit du die Yellow Press liest, aber sie ist meine Altersversorgung. Sicher ist dir nicht entgangen, dass Joachim Jarnach, früher begnadeter Opernsänger, heute in einem Altenheim vor sich hin modert. Die Bunte würde 40000 Euro zahlen, wenn sie aktuelle Fotos von ihm kriegen – sie wollen ihn in der Nervenheilanstalt fotografieren lassen, am liebsten mit einem Brummkreisel, auf dem Teppich spielend. So was fressen die Leute. Da erhöht sich die Auflage eines solchen Blattes sprunghaft. Man muss in diesem Business cool sein. Ich sag dir, das Geld liegt auf der Straße. Mal sehen, was zu machen ist.
Servus, sei herzlich gegrüßt und melde dich wieder!
Deine Alex von Merz, geb. Knoppke
PS: Kleinchen, bist du eigentlich glücklich mit deinem Kerl?
PPS: Alle Männer sind gleich – mir jedenfalls.
Liebe Alexandra,
es hat mich echt total gefreut, wieder von dir zu hören! Also halte ich mich an meinen Vorsatz von heute Morgen und haue schnell zwischen Personalversammlung und Mittagessen in der Kantine eine eMail in die Tasten. Hoffentlich entdeckt mich hier keiner. Ich sollte nämlich eigentlich unten in der Wäscheabteilung sein. Der Mitarbeiter, den ich letzte Woche eingestellt habe, scheint die Höschen und BHs nicht wirklich verkaufen zu wollen. Frau Schnatzke aus der Wurst und Fleisch hat mir gesteckt, dass er die kostbaren Dessous zu ganz anderen Tätigkeiten zweckentfremdet, in der Umkleidekabine für Behinderte! Die kann man nämlich als Einzige abschließen. Was der neue Mitarbeiter wahrscheinlich nicht weiß: dass eine Kamera darin installiert ist. Ich sag dir, Alexandra, mein Job ist das, was ich mir immer erträumt habe! Dafür hab ich Hölderlin gelesen und Zwölftonmusik analysiert und komplizierte Brüche gekürzt – um als Personalchefin von Kaufglück perverse Mitarbeiter aufzuspüren, während sie auf die neu eingetroffenen Spitzenhöschen masturbieren! Nein, mit dem Gesangsstudium ist es nichts geworden. Das war nur ein schöner Traum.
Ich habe kurz nach dem Abitur Lothar kennengelernt und bin den »bürgerlichen, geregelten Weg« gegangen: Reihenhaus, Bausparvertrag, zwei Einkommen, Zwillinge, zwei Omas fürs Grobe. Doch ich will mich nicht beklagen! Es geht mir gut! Mein Mann hat nichts dagegen, dass ich arbeite, und die beiden Omas unterstützen mich im Haushalt, so gut sie können.
Du würdest sagen, dass es durchschnittlicher gar nicht mehr geht. Bieder, spießig, langweilig. Aber ich habe einfach keine Zeit für große Träume.
Dass DU die deinen verwirklicht hast, daran habe ich nicht eine Sekunde gezweifelt. Super – Managerin von international gefragten Sängern und Schauspielern! Joachim Jarnach! Dick Price! Wow!! Du kommst rum in der Welt und verdienst ’ne Menge Knete, während ich mich mit kleinen Idioten in einem Spießer-Kaufhaus rumschlage und noch nie über Plattstadts Grenzen hinweggekommen bin. Außer mal nach Reit im Winkl oder nach Grömitz. Früher im VW Käfer von meinem Vater. Da saßen außer meiner Mutter Margot auch noch Tante Emmi und Onkel Kurt mit drin (Freunde aus dem Wandervogel-Verein), wenn wir in Urlaub fuhren. Ich lag hinten auf der Hutablage und schlief. In der Zeit kannten wir uns ja schon. Ja, du hast zu meinem Leben gehört wie eine Zwillingsschwester.
Natürlich habe ich mein Poesiealbum auch rausgesucht.
Du schreibst: »Erfolg hat im Leben und Treiben der Welt, wer Nerven, Humor und Ruhe behält.« Find ich stark. Passt zu dir. Vielleicht würdest du den Spruch heute nur geringfügig ändern: »Erfolg hat im Leben und Treiben der Welt, wer seine Knete für sich behält.« Jedenfalls nach dem, was ich über deinen wichtigsten Lebensinhalt gelesen habe, meine ich.
Nix für ungut, Alex. Der Dicke mit dem Schulranzen hieß Ulrich Zehler und wohnte neben dem Zahnarzt in diesen besseren Bungalows am Nordring. Mir schrieb er: »Vergesse nie die Heimat, wo deine Wiege stand, denn du findest in der Ferne kein zweites Heimatland.« Und der Zahnarzt von nebenan hat gleich noch hinzugefügt: »Zweimal täglich Zähneputzen, zweimal jährlich zum Zahnarzt. Dieses schrieb dir, liebe Anne Klein, dein Dr. Missbach.«
Das habe ich sehr wörtlich genommen und artig befolgt. Bis heute gehe ich zweimal jährlich in den Zahnarztbungalow. Der dicke Ulrich Zehler ist Rechtsanwalt geworden.
Aber ich will mich nicht beklagen, Alex. Jeder ist seines Glückes Schmied. Und ich bin wirklich zufrieden. Meine Mädchen sind hellwach, gesund und mit süßen fünf wirklich meine Wonneproppen, mein Mann ist pünktlich, fleißig und zuverlässig, einen besseren Mann könnte ich gar nicht kriegen! Das Reihenhaus ist in knapp dreißig Jahren abbezahlt. Was will man mehr?!
Ich fand es wunderbar, nach sechzehn Jahren wieder von dir zu hören! Meine Güte, mir erscheint es wie gestern, dass wir zusammen zur Abiturfeier gegangen sind! Ich hatte dieses schreckliche Kostüm an, das meine Mutter von ihrer Schwester geerbt hatte, und schämte mich den ganzen Abend, wie immer. Grobstrick mit beige-roten Karos, wadenlang mit Plissee. Tante Erika. Reine Schurwolle. Nicht runtergesetzt. Und du kamst natürlich im Miniröckchen! Mein Vater hätte mir nie erlaubt, mit so einem Fähnchen das Reifezeugnis entgegenzunehmen, aber du hast dich ja noch nie um so was geschert. Weißt du, was meine Eltern damals über dich gesagt haben? Jetzt kann ich es dir ja sagen. Die Alex ist ein Flittchen, aus der wird nichts werden. Doch nein. Wieder mal daneben. Von wegen Alex Knoppke, das Proletenkind. Alexandra von Merz, Inhaberin einer internationalen Künstleragentur, Villa im Landhausstil, Jahreseinkommen schätzungsweise eine Million Euro, ’ne Menge Schwarzgeld in der Schweiz … Oder geht jetzt meine Fantasie mit mir durch?
Apropos, was mir aufgefallen ist: Geld scheint in deinem Leben eine ziemliche Rolle zu spielen. Mein Mann Lothar würde begeistert sein. Er redet doch so gern über Geld.
Sein großer Traum ist es, selbständiger Finanzberater zu sein und riesige Firmen zu managen. Stattdessen hockt er seit zwölf Jahren in der Plattstädter Sparkassenfiliale und berät höchstens Omas, die ihre siebenundzwanzig Euro aus dem Strickstrumpf anlegen wollen. Immerhin hat er es zum Filialleiter gebracht. Der Job ist aber wahnsinnig stressig für ihn und er hat fast keine Zeit für seine Familie.
Bist du immer noch so fleißig? Ich weiß noch, wie du geackert hast, um dir ein Motorrad kaufen zu können. Du hast immer gespart wie verrückt, um dir was leisten zu können, was dich von der Masse abhob. Außerdem hattest du, im Gegensatz zu mir, immer die angesagtesten Klamotten an. Ich habe heute noch das alte Holland-Fahrrad, mit dem ich damals durch Plattstadt gefahren bin. Und das steht jetzt bei uns im Keller.
Komisch, bei uns in Plattstadt liegt das Geld überhaupt nicht auf der Straße! Stell dir mich vor, Alex: Anne Pistrulla, geborene Klein, in einem runtergesetzten Zweiteiler von Kaufglück, auf Mitarbeiterrabatt. Gerne trage ich Twinsets in Pink, Bleu und Beige. Monatseinkommen: zwei sechs. Euro. Immerhin. Brutto. Plus Kindergeld. Dafür hab ich alle Leistungen der Firma Kaufglück inklusive der flotten Föhnwelle von Ariane, unserer Friseurin im Haus, der nicht mehr ganz frischen Lebensmittel von gestern und der Bücher und Zeitschriften der Vorwoche.
Aber ich will mich nicht beklagen. Es könnte mir wirklich schlechter gehen. Andere Frauen haben nicht so einen sicheren Arbeitsplatz und zwei so zauberhafte Kinder und einen so fleißigen Ehemann und ein so hübsches Reihenhaus und noch die unentgeldliche Hilfe zweier tüchtiger Omas.
Das sagt meine Mutter immer. Kannst du dich noch an sie erinnern? Oma Margot. Mein Vater ist leider vor sieben Jahren gestorben.
Eines scheint sich zwischen uns nicht geändert zu haben: mein leiser Neid auf dich! Wie schaffst du es nur, mir immer das Gefühl zu geben, ich sei ein Versehen der Natur, während du offensichtlich überall »Hier!« geschrien hast?
Nein, nein, ich bin schon sehr zufrieden.
Muss los, die Schnatzke aus der Wurst- und Fleischabteilung sucht mich und will schon wieder petzen.
Mit leise neidischen Grüßen
deine alte Anne Klein
PS: Meinetwegen nenn mich weiter Kleinchen. Du hast mich sowieso nie Anne genannt.
Anlage: ein Foto von den Zwillingen, Lothar und mir bei uns im Vorgarten
Hallo, Kleinchen,
bin in der Senator-Lounge und tue so, als würde ich arbeiten, habe mich mit meinem Laptop in eine sichtgeschützte Kabine verschanzt. Hinter mir stehen mindestens vier fette Business-Burschen, unrasiert und übellaunig, die warten alle auf meinen Arbeitsplatz. Quarz mir eine, obwohl Nichtraucherzone. Aber wie lautete unser Lieblingsspruch, als wir fünfzehn, sechzehn waren? Gesetze sind dazu da, übertreten zu werden. Ey, hömma. Hast du auch beim Beten bei Backenkneifer Knesemechels immer so einen Unsinn verstanden? »Wie auch wir vergeben unseren Chewing-Gum.« Ich dachte, ein wahrer Christ muss auch mal seinen Kaugummi mit seinem Nebenmann teilen. Oder, ganz früh, noch bei Frau Blusenich, bei »Macht hoch die Tür«: »Mein Schlüpfer reicht am Rad.« Ich dachte, anständige Mädchen checken erst mal, ob man nix sieht, wenn sie radeln. Weißt du noch, der Blockflötenkreis bei Frau Wedekind? Ich seh uns noch in das spuckedurchtränkte Gerät pusten, bei »Es kommt ein Schiff gelahahaden«. Oder: »Kehrt mit einem Segel heim in jedes Land!« Ich dachte, das arme Schiff, hat nur noch ein Segel.
Ach, Erinnerungen!! Weißt du noch: »Frère Schacke, Frère Schacke« – ich hatte erst verstanden: »Schwere Jacke, schwere Jacke!« Der hat uns tatsächlich noch gehauen, der alte Knabe. War aber schon über neunzig, jedenfalls noch einer, der im Ersten Weltkrieg seinen Mann gestanden hatte. Bei dem mussten wir uns doch jeden Morgen der Größe nach aufstellen, an der Heizung, und dann rief er unsere Namen auf und wir mussten »Hier!« schreien. »Klein?« – »Hier!« – »Knafflar?« – »Hier!« – »Knoppke?« – »Hier!«
Einmal, als Knut Knafflar seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte (die hatte er aber nie gemacht!), hat Herr Freudenberg die gesamte Klasse mitgenommen zum Haus von Knut Knafflar und den armen Jungen vor den Augen seiner blinden Mutter verhauen. Makaber, aber wahr!!
Sehe gerade: Meine Maschine nach New York hat Verspätung. Also: Liebste Anne Klein, also du hast ja echt einen Vogel. Jetzt hab ich dir sechzehn Jahre Zeit gegeben und du hast deine blödsinnigen Wahnvorstellungen immer noch nicht abgelegt?
Wie kommst du drauf, dass du
a) hässlicher
b) blöder
c) spießiger
d) glückloser
bist als ich?
Du siehst doch okay aus, also ich meine, du könntest mehr aus deinen Haaren machen. Ich wollte, ich hätte so blonde Naturlocken wie du! Lass sie doch einfach wachsen und hör mit diesen Föhnwellen auf! Aber wahrscheinlich brauchst du so ein Outfit in deinem Job. Jedenfalls hast du rein äußerlich alle Voraussetzungen für eine modische Topfrau: Du bist schlank, hast nach wie vor die längsten Beine der Klasse, dein Gesicht ist so bildhübsch wie damals – warum schminkst du dich immer noch nicht? Will das dein Lothar nicht? Geh doch mal runter in die Kosmetikabteilung und frag die zuständige Yvonne oder Jasmin, was sie dir empfiehlt, selbstverständlich zum Mitarbeiterrabatt. Ich könnte mich totlachen. Zu mir nach Hause kommt zweimal in der Woche Rico, mein persönlicher Stylist. Er stammt aus dem tiefsten Ostberlin und ist schwul. Der kann die beste Fußmassage der Welt, ist top in Maniküre und Pediküre und macht mir auch die Haare. Ich kann dabei arbeiten, das ist ganz praktisch. Meistens häng ich ja am Telefon oder am Computer. Rico kriegt alles mit, ist aber standhaft, duldsam und verschwiegen. Er stylt auch alle Künstlerinnen, die ich vertrete.
Also Iris, Senta, Uschi, Hannelore und die gesamte Riege. Die schwören alle auf ihn.
Den Haushalt besorgt mir übrigens auch eine Schwuchtel. Er heißt Jaime und kommt aus Argentinien. Eigentlich ist er der Aupair-Junge von Adrian, aber Adrian findet ihn »voll Scheiße« und treibt sich lieber mit den Jugendlichen aus dem Dorf herum.
Macht mir ziemlich viel Sorgen, der Bengel, ist in der Schule schlecht und hat sich laut Auskunft von Jaime letztens mal meinen BMW ausgeliehen für eine nächtliche Spritztour. Mit fünfzehn!!
Solche Probleme hast du mit deinen süßen Zwillingen ja wohl nicht. Ich stell mir deine heile Welt so richtig bildlich vor: Wenn du nach Feierabend heimkommst, haben die Omas das Haus geputzt, die Kinder gehütet und das Essen gekocht. Dann sitzt ihr alle in der netten Essecke und macht: »Widdewiddewitt, guten Appetit.«
Ich hätte dir auch gern Fotos von meinem Sohn gezeigt, aber Adrian ist voll in der Pubertät und will nicht fotografiert werden. Hat auch Pickel, der arme Kerl. Und einen »Bart«, wie er sich auszudrücken beliebt, der allerdings noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben wird, da er nur aus einem Dutzend verschieden langer Stoppeln besteht. Schule findet er voll ungeil und alle seine Lehrer sind blöde Wichser. Hätten wir mal über Herrn Freudenberg sagen sollen! Was der uns gehauen hätte! Hausaufgaben macht Adrian, wenn überhaupt, mit dem Füller direkt ins Schulbuch, aber in Arabisch. Jedenfalls Hieroglyphen, die keiner lesen kann, auch er nicht. Na und? Ist doch nicht mein Problem, bläht er mich an, wenn ich ihn sanft darauf hinweise. Am Wochenende ist er meistens bei Leo. Seit wir geschieden sind, verstehen wir uns wieder richtig gut. Seine jetzige Frau Olga muss einiges aushalten. Letztens hat Adrian ausgerechnet in ihrem hochheiligen Badezimmer mit dem Hockeyschläger den antiken Spiegel zerdeppert. Angeblich ein Original von Kaiserin Maria Theresia. Daraufhin hat Adrian ganz cool gesagt, hoffentlich war Maria Theresia Allianz-versichert. Das musst du dir mal vorstellen!
Also ich beneide dich um deine blond gelockten Prinzessinnen.
Und wie süß du sie anziehst! Ganz in Pink! Lass mich raten! Kaufglück? Kinderabteilung? Mitarbeiterrabatt? War ein Sche-heerz! Liebe eilige Grüße, werde gerade aufgerufen – muss nach New York an die Met, einen Tenor anhören, der sich großartig findet. Er will von mir gemanagt werden. Anscheinend hat sich bis nach Amerika rumgesprochen, dass ich die beste Künstleragentur der Welt betreibe! Oder sagen wir so: Ich hau für meine Klienten am meisten Knete raus. Freue mich auf deine nächste Mail. Deine Welt ist so wunderschön harmlos heil – gib mir mehr davon! Das tröstet mich in meinem ganzen Chaos!
Deine Alex
PS: Das Geld liegt wirklich auf der Straße! Aber vielleicht nicht in Plattstadt, das gebe ich zu. Ich hab da jedenfalls nie welches liegen sehen. Außer einmal, die fünfzig Pfennig, erinnerst du dich noch? Wir haben sie in den Eisautomaten an der Bushaltestelle geschmissen und wie blöd daran gerüttelt und dann kamen vierhundert gelbe »Capri«-Eis rausgeflutscht. Weißt du noch, wie die »Zweipfennigoma« blöd guckte, als die alle auf der Straße lagen und der Bus drüberfuhr? Die hatten wir deshalb so genannt, weil sie im Bus mit zwei Pfennig bezahlen wollte. Erinnerst du dich?? MEHR AUS PLATTSTADT!!!
PPS: Wie war eigentlich die Beerdigung? Hat Heinrich ein schönes Plätzchen bekommen? Wie Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, unter einem Birnbaum? Es wäre ihm zu gönnen.
PPPS: Wie die Kerle hinter mir drängeln! Männer sind auch nicht mehr das, was sie nie waren. Jetzt muss ich aber wirklich los.
Liebe Alex,
nein, was hab ich gelacht!! Die Zweipfennigoma! Für ihren wirklich nicht überhöhten Fahrpreis verlangte sie auch noch, vorne direkt hinter dem Fahrer zu sitzen. Die ist schon lange tot (der Fahrer bestimmt auch).
Und erinnerst du dich noch an die Klau-Frau? So eine alte verwirrte Frau, die immer durch das gefährliche (!!) Bullerbachtal eilte und von den Büschen Blätter abriss und in ihre schwarzgrün gemusterte Nylon-Einkaufstasche stopfte? Wir hatten so einen Schiss vor ihr, dass wir um unser Leben rannten, wenn wir sie gesehen haben.
Oder die dicken Brätschhöfe-Zwillinge aus der Sozialsiedlung! Mänsch, waren die dick, Mann!! Und die Mutter von denen! O-ber-fett!!! Ich sehe noch ihre losen Strümpfe von den wabbelnden Waden rutschen, wenn sie in ihren ausgelatschten Puschen hinter den dicken Zwillingen herrannte, um ihnen eine zu hauen.
Sie waren die Einzigen, die nicht zugereist waren, sondern wirklich aus Hessen stammten, und beim Vaterunser bei unserem gerne erwähnten Backenkneifer Herrn Knesemechels standen sie neben mir und sagten: »Vater unser, gell, du bist im Himmel!«
Zu deiner Mail: Ach komm. Wer hat wohl wen zu beneiden? Gestern, Wochenende. Denk bloß nicht, Mama konnte mal ausschlafen. Ich hab die Zeitverschiebung genau berechnet. Während du im Chanel-Fummel mit einem willigen Tenor beim Dinner weiltest und wahrscheinlich gerade den Kaviar mit deinem dritten Glas Champagner runterspültest, hab ich mit Carla und Greta einen Nahkampf geführt. Natürlich, ich geb’s ja zu. Als Töchter der Personalchefin eines sehr frequentierten Kaufhauses in einer dicht besiedelten Kleinstadt besitzen meine Mädels etwa fünfhundert Stofftiere. Stichwort Mitarbeiterrabatt. Und Bestechungsversuche von jenen Mitarbeitern, denen ich schon eine Abmahnung geschickt habe. Du weißt ja, die Entlassungen laufen über meinen Tisch. Auf meinen liebevollen mütterlichen Ratschlag hin, doch das ein oder andere Plüschwesen auszurangieren, um es »armen Kindern« zu schenken, gab es wüstes Geschrei und empörte Zornestränen. Na gut. Sie hatten die Müllsäcke entdeckt, in die ich die Viecher bereits gestopft hatte. Heulend haben sie alles wieder ausgekippt, was schon drin war. Auch den Badezimmermüll und die leeren Hundefutterdosen, die die ahnungslose Oma Helga auch noch dazugetan hatte. Oma Helga ist schon ein bisschen tüddelig und sieht nicht mehr so gut. Während ich also in der Küche Frühstück machte, hat Erwin, die Ratte, all die Hundefutter-besprenkelten Viecher im Maul hin und her geschleudert, über den schönen neuen pinkfarbenen Teppich im Kinderzimmer, durch das gesamte Treppenhaus (graue Auslegeware aus der Teppichabteilung), in Lothars Arbeitszimmer (hellblaue, daher runtergesetzter Filzteppich) bis ins Elternschlafzimmer (türkis, daher besonders pflegeleicht). Er braucht immer Lob, der Erwin, deshalb apportiert er gerne interessante Gegenstände zur Schlafstatt der Herrschaft. Er weiß, dass er dann immer Aufmerksamkeit bekommt, der kluge Hund. Jedes Mal wenn Lothar zum Bowling gehen will, apportiert Erwin einen seiner Bowlingschuhe. Allerdings in den Nachbargarten. Schon hat er die Aufmerksamkeit, die er braucht! Und zwar sowohl von Lothar als auch von unserem Nachbarn. Einem grauenhaften Spießer und VW-Passat-im-Carport-Absteller, falls du mich fragst. Also, statt meines verdienten Sonntagsspaziergangs mit Carla und Greta durch die Fußgängerzone von Plattstadt war dann Teppichscheuern angesagt, im ganzen Haus. Lothar, mein soeben erwachter Gatte (er schläft sonntags immer gern aus), kommentierte das Ganze: »Das war ja vorherzusehen.
Das hätte ich dir gleich sagen können, dass man Plüschtiere nicht mit Hundefutterdosen in einen Müllsack stopft. Der Hund riecht das ja, ein Wunder, dass er die Tüten nicht schon vorher aufgerissen hat. Außerdem habe ich dir seit Jahren erklärt, wie man den Müll trennt usw.« Ich wollte Oma Helga nicht verpetzen, denn sie tut nur ihr Bestes.
Dann kam Lothar, der Wanderprediger im Pyjama, mir mit diversen Scheuermitteln aus der Haushaltswarenabteilung und erklärte mir deren Handhabung.
Lothar ist nämlich ein Erklärer. Aber das ist sein Job, dafür kann er nichts.
Sorry, muss weg, wurde schon zweimal ausgerufen: »Vier, bitte die neun!«
Das heißt: Frau PISTRULLA, bitte in die Herrenober! Jürgen Böhser will mich sprechen. (Ich glaub, der mag mich ein bisschen, hat mir jedenfalls schon mal die Hand aufs Knie gelegt, als er mich im Auto mitgenommen hat.) Sonst tut sich in meinem aufregenden Sexualleben nicht viel, meine liebe alte Alex Knoppke!
Liebe eilige Grüße
deine Anne Klein
PS: Die Beerdigung war okay. Es waren mindestens zweihundert Ehemalige da. Der Heinrich war echt beliebt. Liegt nicht unter einem Birnbaum, sondern neben der Friedhofsmauer, direkt an der Darmstädter Straße. Da kriegt er wenigstens noch was vom Leben mit.
Kriege das mit der Zeitverschiebung wie immer nicht gebacken.
Endlose Schlange vor der Immigration. Habe gerade den Purser angewiesen, mich bei »Crew« durchzuschleusen, kann schließlich nicht ewig warten. Sitze nun im Büro des Chefpursers und tue wieder wahnsinnig busy.
Liebe Anne, ach was, hallo, Kleinchen,
was hast du denn für einen Stinkstiefel zu Hause sitzen? Wie ist denn DER drauf? Erklärt dir die Handhabung von Putzmitteln?? Also, habe ich das richtig verstanden? Du liegst auf Knien und scheuerst die Auslegeware und er steht im Schlafanzug daneben und predigt?
Was kann denn da passiert sein? Ich meine, dass du den geheiratet hast? Gab es in deiner Altersklasse in Plattstadt denn sonst gar nichts im Sonderangebot oder zum Mitarbeiterrabatt? Kenne ich diesen Lothar eigentlich? Wenn er auf unserer Schule war, müsste ich ihn zumindest mal gestreift haben, wenn schon nicht getroffen oder gar versenkt. Bring mich mal drauf! War er gut im Sport oder hat man ihn eher im Blockflötenkreis getroffen? Wie sah er aus? Auf dem Foto macht er einen manierlichen Eindruck, aber das Äußere täuscht ja oft. Außerdem sieht man ja vor lauter Bart den Lothar nicht. Normalerweise finde ich ja Bärte bei Männern wunderschön; man erspart sich einen Teil ihres Anblicks.
Sag ehrlich, Kleinchen. Von wem hast du dich da schwängern lassen? Ist er ein ganzer Kerl oder ein Hirtenspieler?
Oh, bin schon dran. Na bitte, man muss sich bloß rühren. Die anderen Passagiere stehen mit einer Engelsgeduld in der Schlange.
Ich geh jetzt mit der Crew raus. Very important person. Melde mich später.
Alex Knoppke
PS: Zeit ist Geld und das Geld liegt auf der Straße.
PPS: Ich mag männliche Gesellschaft, aber sie muss ja nicht immer gleich in Ehe ausarten.
PPPS: Ein Mann mit einem dicken Bankkonto kann gar nicht hässlich sein.
Ach Alex!
Wie du mal eben im Rennen die Sprüche in den Computer haust! Genial!
So wie du dich schon durch die Schule gemogelt hast, scheinst du dich auch durchs Leben zu mogeln. Ich würde mich nie trauen, mich an einer Warteschlange vorbeizudrängeln. Die gucken doch alle so strafend! Lieber stehe ich drei Stunden in der Schlange, als mir böse Bemerkungen anzuhören. Ich habe mir nämlich den Poesiealbumsspruch von Gerlinde Rothermund zu Herzen genommen: »Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die stets bewundert will sein!« Ich weiß, was du zu dem Thema in mein Poesiealbum schreiben würdest: »Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.«
Also, Lothar. Er war vier Klassen über uns, hat aber »nur« die mittlere Reife gemacht – er sagt, das lag alles an dem buckligen und für sein Alter viel zu früh verschiedenen Herrn Placke, der ihn in Französisch und Spanisch hat durchfallen lassen! – und dann eine Banklehre bei der Kreissparkasse absolviert. Meine und seine Eltern kannten sich schon lange, so dass ich Lothar immer wieder getroffen habe. Er war übrigens auch mein Tanzstunden-»Herr«, als wir vierzehn waren. Du hast ja bei so einem Scheiß gar nicht erst mitgemacht. Deshalb ist er dir nie begegnet. Aber er ist ein prima Kerl. Ich kann froh sein, dass ich ihn habe. Na ja, es hat sich halt vieles … sagen wir, relativiert im Laufe der Jahre.
Erst machte er mir den Hof, jetzt mache ich ihm das Bett.
Meine Mutter sagt, nach einem so zuverlässigen Mann kann man sich nur alle zehn Finger lecken. Und fleißig ist er. Arbeitet von morgens um halb acht bis tief in die Nacht. Damit wir unser Reihenhaus abbezahlen können. Er hat da einen genialen Finanzierungsplan ausgetüftelt. Auch die ganzen Versicherungen und Steuersparmodelle sind auf seinem Mist gewachsen. In diesem Gebiet ist er echt gut. Ungeschlagen. Er sagt oft, er könnte mit seinem Wissen auf internationaler Ebene arbeiten, aber mit Frau und zwei Kleinkindern geht das ja nicht. Zumal wir noch die beiden Omas im Hause haben. Und Opa Karl-Heinz haben wir auch noch an der Backe. Meinen Schwiegervater, der leider auch nicht sterben will. Er ist schon achtundachtzig und so wahnsinnig rüstig, dass man ihn schon mit dem Auto überfahren müsste, um der Natur ein bisschen nachzuhelfen. Aber keiner macht sich die Mühe. Und ich hab schon gar keine (Über)fahr-Praxis mehr. Lothar lässt mich nicht an seinen Opel.
Wenn ich mir so die Männer betrachte: Es gibt Erklärer und Händler. Lothar und Opa Karl-Heinz sind eindeutig den Erklärern zuzuordnen. Klar, als Leiter der Stadtsparkasse muss Lothar ja auch den ganzen Tag erklären. Opa Karl-Heinz war übrigens Inspektor, wie er nicht müde wird zu betonen.
Ich weiß, das langweilt dich total, aber ich muss es erwähnen, weil Opa Karl-Heinz in meinem Leben (leider) eine so große Rolle spielt. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich ihn mit heiraten muss, hätte ich es mir wirklich noch mal überlegt. Seit Oma Helga so tüddelig ist (ich hab sie nie anders kennengelernt), findet Opa Karl-Heinz, dass ich mehr seinem Frauenideal entspreche: Er liebt mich total. Ich bin auch die Einzige, die ihm zuhört. Alles, was Opa Karl-Heinz mir erzählt, kann ich schon auswendig.
Aber zurück zu meinem wirklichen Ehemann. Lothar ist echt nicht zu beneiden. Er ist eine Koryphäe in Sachen Geldanlage und Steuersparmodelle und muss sich mit solchen Peanuts herumschlagen, von denen er regelmäßig Pickel kriegt. Deshalb auch der Bart.
Aber er tut es für seine Familie, sagt er. Und das muss ich ihm hoch anrechnen.
Ich bin froh, dass ich einen so kurzweiligen Job habe. Gut, dass ich nicht nur zu Hause sitze, wie so viele meiner Altersgenossinnen! Gerade auf der Beerdigung von Heinrich habe ich so viele Ehemalige getroffen, die jetzt einfach Hausfrau und Mutter sind! Da kann ich mich ja noch glücklich preisen mit meinem interessanten Job. Erstens habe ich eine leitende Position und zweitens kann mich im Hause Kaufglück frei bewegen. Du wirst lachen, aber ich bin ganz froh, wenn ich mal von meiner Mutter weg bin. Oma Margot ist, wie du dich vielleicht erinnern kannst, milde gesagt, dominant. Sie hat mir übrigens »Ohne Fleiß kein Preis!« ins Poesiealbum geschrieben, und zwar mit dem Lineal unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen versehen (die sie auch noch unterstrichen hat).
Da fällt mir ein, dass ich selbst nur dann in anderer Leute Poesiealben schreiben durfte, wenn meine Mutter mir vorher mit Bleistift Linien reingezogen hatte, die sie dann später wieder ausradierte! Sie wollte, dass ich in jedes Poesiealbum schreibe: »Nichts wissen ist keine Schande, aber nichts lernen wollen!« Irgendwann weigerte ich mich, so ein Kameradenschwein zu sein. Einmal, es war ausgerechnet das Poesiealbum von der dicken Lea-Lotte Krautschneider, schrieb ich, zitternd vor Stress: »Die Liebe ist ein Omnibus, auf den man lange warten muss, und kommt er endlich angehetzt, dann ruft der Schaffner: Schon besetzt!«
Ich fand den Spruch wahnsinnig toll, aber meine Mutter fand ihn nicht passend für Lea-Lotte Krautschneider, denn deren Vater war Vorbeter und Weihrauchfass-Schwinger bei uns in Sankt Kunigunde, und da riss sie einfach die Seite raus!
Obwohl Lea-Lotte Krautschneider zu Beginn des Büchleins selbst geschrieben hatte: »Reiß mir keine Seiten raus, sonst ist es mit der Freundschaft aus!«
Ich hab geheult ohne Ende und Mutter Margot hat mir ein paar geknallt und mich in den Keller geschickt, zum Nachdenken. Lea-Lotte Krautschneider ist auch nicht mehr meine Freundin. Das hab ich jetzt davon. Meine Mutter allerdings auch nicht mehr. (Das hat sie jetzt davon.)
Ich bin aber froh, dass sie bei uns das Zepter schwingt, so nimmt sie mir einen Großteil aller Entscheidungen im Hause ab. Oma Helga, meine Schwiegermutter, ist schon ein bisschen tüddelig (habe ich das schon erwähnt?), Opa Karl-Heinz behauptet sogar, sie sei senil. Das klingt richtig gemein aus dem Munde eines 88-jährigen, aber leider rüstigen Schwiegervaters, der alle zehn Minuten wortwörtlich wieder den gleichen Scheiß erzählt. Sie kriegt dann immer feuchte Augen und geht aus dem Zimmer. Aber mit den Kindern spielt sie mit einer Engelsgeduld. Meistens Memory. Ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert tatsächlich nicht mehr, und so haben die Mädchen mit ihr eine Menge Spaß.
Opa Karl-Heinz erledigt alle Einkäufe. Er ist so nervtötend rüstig! Alle unsere Sonderangebote kennt er auswendig. Und gibt damit an. Er sagt sie mir vor wie ein kleiner Junge, der seiner Mama stolz seine Rechenaufgaben vorsagt. Trotzdem, ich kann mich glücklich preisen, eine solche Familie zu haben, sagt Oma Margot. Ihr hat niemand den Haushalt gemacht und die Kinder erzogen. Sie musste auf eine berufliche Karriere verzichten. Ich seh sie noch in ihrem türkisfarbenen Acrylkittel in der Nullacht-fuffzehn-Einbauküche stehen, die ich so ziemlich völlig mit Pril-Blumen überklebt hatte, und mit dem schönen Scheuermittel »Der General« die ganze Schweinerei wieder abknibbeln. Damals sah ich ihr auf den Kittelschultern schon vier Streifen wachsen und ich fand, das beliebte Putzmittel passt überhaupt gut zu ihrem Wesen. Sie hatte aber auch noch einige großblumige orangefarbene Kittel und ich musste, sobald ich aus der Schule kam, auch so einen anziehen. Wenn nicht, gab’s sofort was hintendrauf. Denn nur was richtig sauber ist, kann richtig gläääänzen! Jawoll! Wo kämen wir denn da hin! Wenn das alle machen wollten! Ohne Kittel in die Küche kommen! Heute muss ich so ein verhasstes Teil nie mehr anziehen.
Ich bin schon sehr zufrieden mit meinem Leben. Es hätte schlimmer kommen können. Und freue mich, dass es dir auch so gut geht. Lass wieder von dir hören, erzähl mir aus der großen weiten Welt!
Deine Anne
PS: Erinnerst du dich noch an die Werbung: »Siehst du, jetzt hast du ein schlechtes Gewissen«? So ein Geist ist meine Mutter. Aber ich sollte mich nicht beklagen.
Liebes Aschenbrödel,
nein, ich hab niemals ein schlechtes Gewissen. Auch nicht hier in meinem Whirlpool. Komm mal für einen kurzen Moment aus deiner Asche und mach dir die Kittelschürze sauber, bevor du meine Mail liest.
Nein, was hab ich gelacht! Du hast mich richtig wieder aufgebaut. Ich stelle mir euer Familienleben ein bisschen so vor wie eine Vorabendserie. Lindenstraße oder so. Alles hat seine Ordnung, jeder hat seinen Rang und seinen Platz, Mama und Papa tun schaffen, der Bausparvertrag wird langsam abbezahlt, die Omas versorgen die Kinder und der Opa hält die Garage sauber und dafür leider nicht den Mund. Damit kann man ganze Heerscharen von deutschen Fernsehzuschauern begeistern!
Mir persönlich wär’s zu langweilig, ehrlich gesagt, und ein bisschen amüsiert es mich, dass du, unsere ehemalige Klassensprecherin, die in Philosophie Referate gehalten und im Schulchor Solo gesungen hat, auf einmal so ein angepasstes Leben führst. Aber wenn es dir Spaß macht – warum nicht! Du schreibst, dass du zufrieden bist. Und das glaube ich dir sogar. Du kennst es ja nicht anders, hähähä! Aber das wird sich ändern!
Ab sofort überhäufe ich dich mit Mails, die dich so neidisch machen, dass du Plattstadt und seine Reize augenblicklich in Frage stellst.
Also los! Ich bin im feinsten Hotel New Yorks und liege im Whirlpool. Rechts neben mir steht ein Glas Champagner, links eine Schale mit Erdbeeren, deren Spitzen mit Zartbitter-Schokolade überzogen sind. Am Fußende steht ein halb nackter Sklave und massiert mir die Füße – nein, Quatsch. Stimmt nicht. Er hat was an. Einen Kittel. Allerdings keinen orangefarbenen aus Acryl. Einen weißen. Ich gebe auch zu, dass es eine Frau ist. Ich wollte dich nur ein bisschen schocken.
Alex! Jetzt werde doch mal ein bisschen sachlich! Die dicke Bademeisterin wundert sich schon, warum ich beim Schreiben kichere. Eben hab ich nämlich noch behauptet, ich müsste arbeiten, damit sie nicht auf die Idee kommt, das Wort an mich zu richten. Die soll mir die Füße massieren und ansonsten »shut up«.
Gestern Abend war ich in der Met – also in der Oper, um mir diesen Tenor anzuhören. Er war leider eine Katastrophe. Ziegenbock im letzten Stadium der Kastration ohne Betäubung. Stell dir vor, dreieinhalb Stunden Puccini, ich hänge da mit meinem Jetlag in meinem superengen Taftfummel in der Loge (kämpfe ständig mit meinen fünf Kilo Übergewicht, indem ich vermeide, einzuatmen) und möchte nur noch schlafen, denke ständig an Adrian und seine Sechs in Französisch und dass Adrian findet, dass das doch nicht sein Problem ist, aber dieser Tenor hört einfach nicht auf zu schreien! Neben mir ein fetter Texaner im Flanellhemd, der laut schmatzend Kaugummi kaut, bringt mich auch nicht wirklich in Stimmung. Ich fühlte mich wieder mal so einsam! Keiner hat mich lieb! In keinem Reihenhaus wartet man mit dem Essen auf mich! Niemandem kann ich von meinen inneren Qualen erzählen! Wenn der Tenor wenigstens hätte spielen können! Er hat in jeder Hinsicht einen miserablen, schlechten Rudolfo gegeben, hölzern gespielt, blechern gesungen. Dazu war er noch klein und fett wie eine Regentonne – genau so sah er auch aus in seinem schmierigen speckigen Ledermantel, unter dem er so schwitzte, dass seine fettigen Haare zu triefen begannen. In solchen Situationen sage ich immer, es gibt Tausende von Agenten und Managern, aber ausgerechnet MIR passiert so was! Meine schöne Zeit, mein schönes Geld! Gilbert Sowieso, klassischer Gernegroß, leidet an Selbstüberschätzung, verstehe nicht, wieso der an der Met singt – hat sein Vater den Intendanten mit dem Gewehr bedroht, falls er den Jungen nicht singen lässt?
Während der schaurig-langen Oper überleg ich die ganze Zeit, wie ich mich davor drücken kann, mit Gilbert, dem Schmierigen, essen zu gehen, und wie ich es schaffe, ihm meine Spesen von seiner Gage abzuziehen. Du kennst ja mein Lebensmotto: Zeit ist Geld und das Geld liegt auf der Straße. Beides lass ich mir nicht von so einem Knödel-Tenor klauen!
Aber dann! Alex hat immer Glück im Unglück! Pass auf! In der Pause schreite ich forsch durch den Bühneneingang, um dem Kerl beim Pförtner eine Nachricht zu hinterlassen.
Ich schleiche so an den Garderoben vorbei, überall trällert’s und singt’s und summt’s, da höre ich einen Bass in seiner Garderobe Tonleitern singen. Und bin auf der Stelle wieder wach. Tolle Stimme! Riesig, samtig, weich und schwarz. Wie lange gereifter Rotwein. Ich lausch und drücke mein Ohr an die Garderobentür und beschließe, mir den dritten Akt auf jeden Fall noch reinzuziehen – da reißt der besagte Bass plötzlich die Tür auf! Peng, ich pralle an sein Philosophen-Wams und gucke erstaunt in ein höchst attraktives männliches Gesicht.
»Can I help you, Ma’am?«, fragt er mit dieser Zuchtbullenstimme, und ich hätte am liebsten gesagt, ja, Sie können mir die Füße massieren und dabei singen. Da fragt dieser Bass, ob ich etwa die berühmte Mrs von Merz aus der Mozartstadt Salzburg sei – na ja, langer Rede kurzer Unsinn, rate mal, mit WEM ich dann im Plumroom gelandet bin! Bei Kaviar und Champagner! Und mit wem ich einen wirklich unterhaltsamen Abend hatte! Mit Mark D. Martini! Klingt wie eine Szene aus einem James-Bond-Film, ich weiß.
Ich hab ihn aber weder geschüttelt noch berührt, diesen Martini. Weil ich mit dem viel Geld verdienen kann. Bin ziemlich glücklich, dieser Bass ist ein Hit, als Stimme und als Mann. Den werde ich managen. Ich schwöre dir, ich bringe ihn ganz groß raus. Er hat alle Voraussetzungen, ein Star zu werden, und das Beste dabei: Er weiß es noch nicht!
Versuche, ihn auf den nächsten Salzburger Festspielen unterzubringen. Sie suchen noch einen König Phillip für den »Don Carlos« und für die »Norma« einen Orovese. Beide Rollen sind dem Kerl wie auf den Leib geschrieben. Wahrscheinlich war er in seinem früheren Leben ein Saufkumpan von Verdi und Bellini und hat mit ihnen in den Kneipen von Verona gesessen und in fröhlicher Runde Sechsämtertropfen in die sangesfrohe Kehle geschüttet!!
Wetten, dass er im Sommer in Salzburg singt? Top! Die Fette quillt (aus ihrem Kleid, ich).
Kenne die Intendantin gut, und mein Exmann Leo von Merz wird die Opern dirigieren. Beste Beziehungen also! Ich sage dir, das Geld liegt auf der Straße und Beziehungen sind alles. Jetzt ist das Badewasser kalt und der Champagner leer und die Masseurin müde. Wo ist meine Reitpeitsche von Hermès?
Aber es war wieder mal nett, mit dir zu plaudern. Daran könnte ich mich gewöhnen.
Servus, und lass mir auch noch ein paar Linsen in der Asche!
Muss ab sofort Diät machen!
Deine ziemlich angetörnte Alex (Puccini ist geil!)
PS: Adrian hat mir ein Fax geschickt: Es gibt Ärger mit der Polizei. Muss mich kümmern. Ich glaub, er hat irgendwas angefahren, ein Reh oder eine Oma oder so.
PPS: Jetzt hab ich schon wieder Lust auf Eiscreme, obwohl ich – abgesehen von dem Champagner und den Schokoglasur-Erdbeeren – heute noch nichts gegessen habe! Muss echt abnehmen! Weißt du noch, unsere »Ed von Schleck »-Orgien? Wie wir diesen »Eis-Lümmel« immer in den Mund geschoben haben, na Wahnsinn. Ohne an was Böses zu denken.
Wie komme ich da nur jetzt drauf …
Alex Knoppke,
ich hasse dich. Warum hab ich nur wieder Kontakt zu dir aufgenommen? Schon damals hattest du ein Moped und ich nicht, du durftest Miniröcke tragen und ich nicht, du hast dir Snickers oder Mars gekauft und ich hatte Möhren im Ranzen, du durftest in die Disco und ich in den Kirchenchor, du durftest nach Paris und ich mit meinen Eltern in den Taunus, du hattest einen Wellensittich und ich nicht, du hattest einen Verehrer und ich nicht!!!
Jetzt hast du auch noch einen Liebhaber! Mich interessiert brennend, ob dein Philosoph mit dir im Whirlpool saß, während du mir die Mail geschrieben hast! Deine sexuellen Fantasien haben dich verraten.
Komm, gib’s zu. Und? Ist sein Puccini sehenswert? O Gott, bin sexuell frustriert! Habe Halluzinationen vor Neid! Da sitzt du in der Met in der Loge und der erste beste Kerl, dem du dich – buchstäblich! – an die Brust schmeißt, ist ein megamännlicher Held mit Zuchtbullenstimme, der auch noch von dir gemanagt werden will!
Warum passiert mir das nie? Als ich letztens an einer Tür lauschte, bekam ich die Klinke ins Auge! (Alles nichts dagegen, dass meine Zwillinge unsere Familie vor einem Jahr fast in den kollektiven Selbstmord getrieben haben, als Greta durchs Schlüsselloch guckte und Carla von der anderen Seite ein Mikadostäbchen durch selbiges rammte! Das, was wir danach hatten, war, milde ausgedrückt, eine Meinungsverschiedenheit über die Anwesenheitspflicht der zuständigen Aufsichtsperson. Was in diesem Fall die leicht tüddelige Oma Helga war. Greta trug monatelang eine schwarze Piratenklappe auf dem Auge, was Lothar allerdings begrüßte, weil er die Zwillinge wenigstens einmal auseinander halten konnte.) Seufz!!
Wann war ich das letzte Mal in der Oper? Irgendwann in Bremerhaven, als Lothar auf einem Sparkassen-Filialleiter-Treffen war. Er musste einen Vortrag halten zum Thema: »Der Euro kommt«. (Wenigstens der!) Wir begleitenden Ehefrauen hatten »Damenprogramm« und als solche die Wahl zwischen Standardtänze-Gucken in der Stadthalle und »Der Bettelstudent« im Stadttheater. Weil ich nicht sicher war, ob ich es schaffen würde, keiner der Tänzerinnen ihren Kerl zu entreißen, bin ich, bescheiden und sittsam und rein, lieber in den wesentlich besser zu mir passenden Bettelstudenten gegangen, in der Hoffnung, dass der mittellose Bursche mich etwas aufheitert. Aber ich hab die Oper sowieso nicht verstanden.
Nach jahrelangem geistigen Nirvana durch ausschließliches Beruhigungs-Sauger-vom-Teppich-Abknibbeln und Weder-Kinder-noch-Brüste-verwechseln-Wollen konnte ich mich in Bremerhaven einfach nicht richtig konzentrieren.
Also, was meine einmalige Opernerfahrung damals in Bremerhaven anbelangt: Ich bin tatsächlich nach dem ersten Akt gegangen, aber kein samtweicher Bass hat mich gegen sein Gewand gepresst und mich mit Zuchtbullenstimme gefragt, ob ich etwa die berühmte Anne Pistrulla aus Plattstadt bin und mich fürderhin seiner Stimmbänder und/oder Samenstränge annehmen will. Schon gar nicht hat er mich in Bremerhaven in den »Bürgerstuben« zum Essen eingeladen! Ich bin frustriert und allein ins Hotel »Zum Anker« gegangen, wo Lothar immer noch mit seinen Sparkassenhengsten beim Bier saß, hab mir dort mit eiskalten Füßen, die keiner massieren wollte, auf dem klammen Bett zwei Asbach Uralt reingezogen, mich auch so gefühlt, und dann auf Lothar gewartet, dessen Eintreffen ich aber dank erwähntem Asbach Uralt verschlief. Wenn einem soo viel Gutes widerfährt …
Da du immer beim Schreiben säufst: Ich gebe zu, ich hab jetzt etwas Wein getrunken. Aus dem Sonderangebot in der Lebensmittelabteilung. Wir haben gerade italienische Herbstwochen und der Chef hat mir eine kleine Kiste mitgegeben. Sechs fuffzig die Flasche.
»Trinken Sie ihn mit Ihrem Gatten«, hat er gesagt und dabei gönnerhaft gelächelt. »Und schön’ Ahmt noch.«
Muss ins Bett.
Dein Kleinchen
PS: WARUM hast du immer den Hauptgewinn und ich die Arschkarte?
PPS: Oma Margot sacht immer: Nimm die Männer, wie sie sind. Es gibt keine anderen.
Mensch, Kleinchen!
Weißt du noch? Wir hatten diese kilometerlangen Schals, meiner war gelb und deiner bunt. Da konnte man einen Menschen komplett drin einwickeln oder gelegenheitsbedingt sich auch relativ unkompliziert damit erhängen. Und das wolltest du auf dieser Klassenfahrt nach Tübingen!
Du warst damals in diesen Martin aus der Parallelklasse verknallt, der aber mit Gabi Gärtner »ging«. (Wohin eigentlich?) Jedenfalls haben wir uns alle kollektiv an diese langen Schals gekettet und laut grölend die Gegend unsicher gemacht. Matthias Möppel konnte ja immerhin die Klampfe schlagen, obwohl er viel lieber Lieder wie »Dannnke, für diesen guten Morgen, dannnke für jeden neuen Tag« damit begleitet hat. Was wohl aus dem geworden ist … Bestimmt Pastor. Der hatte als Einziger keine »Nietenhosen« an, sondern Bügelfaltenhosen im Kommunionsanzugdesign. Aber sein Parka war so versifft, dass man ihn irgendwann in die Ecke stellen konnte. Wo der wohl gelandet ist? In der Waschmaschine jedenfalls nicht. Die wäre sofort explodiert wegen der Freisetzung von Giftgasen. Was unsere Jungs gestunken haben … Hat uns damals aber nicht sonderlich gestört.
Ach Anne Klein. Seufz. Wie kommst du darauf, dass du die Arschkarte hast??
Du lebst in geordneten Verhältnissen, hast zwei Omas, die dir den Haushalt schmeißen, zwei süße kleine Mädchen und einen Gatten, der fürs monatliche Einkommen sorgt. Bei dir kommt immer am Ersten des Monats das Geld rein. Bei mir ist das reine Glückssache.
MEIN Gatte Leo hat niemals für mich einen Bausparvertrag abgeschlossen. Außerdem hat er sich nicht um Adrian gekümmert. Verletzliche Künstlerseele, egozentrisch bis in die Knochen. Leider noch einer von der Generation, die ihren Neugeborenen »Kinder sind Frauensache« auf die Stirn gestempelt haben. Und das mir!! Er war zwar ein genialer Musiker, der echt viel Geld verdient hat, aber ich hätte ihn, glaube ich, nicht heiraten müssen, um an sein Geld zu kommen. Die Ehe ist eine Bühne, auf der alle Tage das gleiche Stück gespielt wird. Umso mehr sollten sich die Männer ab und zu einmal eine Neuinszenierung einfallen lassen.
Seit wir geschieden sind, verstehen wir uns bestens. Besonders, seit eine Stunde Autofahrt zwischen unseren Wohnsitzen liegt.