Der Dreikönigshof - Land des dunklen Friedens - Stephanie Moll - E-Book

Der Dreikönigshof - Land des dunklen Friedens E-Book

Stephanie Moll

0,0

Beschreibung

Eine Auftragskillerin ohne Vergangenheit. Ein Königshof voll dunkler Geheimnisse. Und eine Magie, die es nicht geben sollte. Vika ist die gefürchtetste Auftragskillerin auf dem Kontinent Lyria. Ihr Leben, gebunden an den Dreikönigshof, wird jedoch kurzerhand auf den Kopf gestellt, als sie mit einem schicksalhaften Auftrag konfrontiert wird. Denn es ist ihr eigener Bruder, den sie jagen und töten soll. Ihr Bruder, der eines Nachts spurlos verschwand und seitdem als tot galt. Vika begibt sich auf eine Reise quer durch die Länder Lyrias und trifft dort nicht nur auf Menschen, die ihre eigene Vergangenheit aus dem Schatten ihrer Erinnerung holen, sondern auch auf tief verborgene Familiengeheimnisse, dunkle Intrigen und eine Magie, die am Ende das ganze Land erschüttern wird …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 381

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Copyright 2022 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

ISBN: 978-3-910615-57-1

Alle Rechte vorbehalten

Für jene, deren dunkle Seelen einen Platz zum Leuchten brauchen …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Glossar

Danksagung

Kapitel 1

Mit einem blutigen Schmatzen zog ich das Kurzschwert aus dem Bauch meines Gegenübers. Meines Opfers, das mit weit aufgerissenen Augen in meine starrte. In ihnen erkannte ich ein letztes Flehen, ein leises Betteln, mit dem der Mann mich noch wenige Sekunden zuvor angewimmert hatte, wie ein kleines Hündchen. Er sei doch so unschuldig. Hätte doch nichts getan, aber niemand, wirklich niemand konnte mich täuschen. Gerade dann nicht, wenn ich über jede Grausamkeit und Brutalität ihrer Taten im Bilde war. Dazu brauchte es nur einen Blick in ihre Augen und ich spürte, dass sie einem anderen Leben oder mehreren viel Leid angetan hatten.

Niemand konnte mir etwas vormachen. Dazu war ich zu gut ausgebildet. Jahrelang und schmerzvoll, um das zu tun, wozu ich geboren war.

Zum Töten.

Das war meine Bestimmung. Mein Schicksal, wenn man es so sagen wollte. Lange hatte ich nach einem Sinn in meinem Leben gesucht und an dem Tag, als die schwarzhaarige Frau an die Haustür meines Elternhauses geklopft hatte, um mir ein Angebot zu machen, das die meisten Menschen sicherlich sofort ausgeschlagen hätten, hatte ich zugestimmt. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.

Es hatte sich in diesem Moment einfach richtig angefühlt. Als hätte jemand mit dem Finger geschnippt und die Welt zu einer anderen geformt. Dabei war ich diejenige, die ihr Leben komplett neu geordnet hatte.

Über Nacht floh ich aus meiner alten Heimat, ließ alles und jeden hinter mir. All die Erinnerungen an meine verstorbenen Eltern, meinen Bruder, an Menschen, die mir jeden Tag begegnet waren. Und meinen Namen. Meinen Geburtsnamen. Aber das tat ich nicht wirklich freiwillig. Es war eine Art Gesetz eines jeden Auftragskillers, seine wahre Identität der Vergangenheit zu überlassen. An meinen wahren Namen konnte ich mich nicht mehr erinnern. Zu tiefgreifend waren die vielen Gehirnwäschen und das harte Training an der Akademie gewesen. Sie hatten brillante Arbeit geleistet, aus dem Bauernmädchen von nebenan die meist gefürchtetste Auftragskillerin des Kontinents Lyria zu machen. Sie wie einen rohen Diamanten zu schleifen, ihre Seele immer wieder zu brechen, bis sie nichts anderes fühlen konnte, als den Drang zu töten. Immer besser werden zu wollen, in dem, was sie tat. Wie ein Phönix war ich aus der Asche gestiegen, nachdem meine Ausbildung vollendet war. Seitdem trug ich den Namen Vika. Einfach Vika. Kein Geplänkel danach, kein Hoheitstitel, wie man vielleicht erwartet hätte. Vier einfache Buchstaben reichten, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.

An die eingeschüchterten Blicke und das leise Tuscheln um mich herum hatte ich mich schnell gewöhnt. Sollten sie ruhig glauben, dass ich im nächsten Moment ihren Kopf abriss, wenn sie auch nur ein falsches Wort sagten oder mir einen inakzeptablen Blick zuwarfen. Auch, wenn das nicht in meiner Macht stand. Unschuldige Menschen aufgrund von Banalitäten zu töten, wurde in meinen Kreisen mit dem eigenen Tod bestraft.

Aber die Gerüchte über uns Auftragskiller halfen dabei, dass die Menschen sich an Regeln und Gesetze hielten. Und, dass man uns in Ruhe ließ. Niemand wollte wissen, was genau auf einer Akademie vonstattenging. Die quälenden Schreie aus der Ferne reichten den Bewohnern der Länder von Lyria, um erahnen zu können, welche Methoden bei unserer Ausbildung angewendet wurden. Ganz besonders die Gelehrten der fianischen Akademie waren für ihre harten und menschenunwürdigen Methoden bekannt.

Ich sah dabei zu, wie der Körper des Mannes auf den Boden fiel. Sein Kopf kam dabei mit einem Knacken auf den Steinen auf, sodass sich eine Blutlache unter ihm ausbreitete. Zufrieden holte ich ein Tuch aus meiner Jackentasche und säuberte die Klinge meines Schwertes. Dass ich dabei mit größter Genugtuung zusah, wie das rote, dickflüssige Blut das saubere Tuch beschmutzte und mir ein unbeschreibliches Gefühl der Befriedigung bescherte, ließ ich niemanden sehen. Mein Gesicht lag verborgen unter der schwarzen Kapuze meiner Jacke und war bis zu den Augen mit einer Maske in ebenfalls dieser Farbe bedeckt. Doch auch ohne Details zu sehen, erkannten die Menschen, die mich in der kleinen, dreckigen Gasse stehen sahen, wer ich war und eilten mit gesenkten Köpfen um die nächste Häuserecke. Meine schwarze Kluft mit den goldenen Applikationen an Saum und Ärmeln verriet es ihnen. Nicht gerade unauffällig, aber ich hinterfragte es nicht. Unter meiner Maske fühlte ich mich beschützt, obwohl ich keine Angst vor irgendetwas haben brauchte. Niemand wollte mir zu nahe kommen. Niemand dachte daran, überhaupt einem Absolventen aus der Akademie in die Augen zu schauen. Aus Angst, wir könnten ihrem Leben den Garaus machen.

Meine Kleidung gehörte einfach dazu. Zu meinem Leben, zu meiner Persönlichkeit, zu meiner Seele, vor deren Abgründe selbst ich manchmal Furcht verspürte.

Ich steckte mein Schwert wieder zurück in die Scheide auf meinem Rücken. Der goldene, polierte Griff glänzte im Schein der Sonne, die ihre Strahlen ausbreitete, um auch ja jeden dunklen Zentimeter des Landes gänzlich einzunehmen. In der Tat war es ein wirklich unpassender Tag für einen Auftrag, denn seit Ewigkeiten zeigte sich die Sonne wieder über Fia. Fia bedeutete nicht umsonst Land des dunklen Friedens, denn an den meisten Tagen des Jahres herrschte eine trübe Stimmung. Graue Wolken bescherten uns Regen und Stürme. Aber trotz dieser Tatsachen lebten die Menschen in rührender Glückseligkeit. Sie waren froh, ein Teil des Landes zu sein und nicht an einem anderen, dunkleren und gefährlicheren Ort des Kontinents zu leben. Denn davon gab es einige.

Brent und Moirath. Deren Namen allein schon eine Gänsehaut über jeden Körper schickten, auch wenn man die beiden Länder nie zuvor gesehen hatte. Aber die Erzählungen der Gelehrten oder die Geschichten, die sich auf den Straßen zugeraunt wurden, reichten, um nie freiwillig einen Fuß über die Grenzen zu setzen.

Brent war das Land der steinigen Riesen. Gebirge, die bis in die Wolken hineinragten und nicht enden wollten. Ihre Täler und Höhlen lagen verborgen in dunklen Schatten, von denen man sich erzählte, Hexerei habe sie erschaffen. Und jeder Mensch, der sich auch nur in ihre Nähe traute, wurde von uralten Kreaturen auf brutale Art und Weise ausgeweidet. So etwas wie Magie oder Hexerei gab es jedoch nicht, daher zweifelte ich an dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichte. Aber auch in mir sträubte sich etwas, wenn ich diesen Namen hörte. Zum Glück musste ich nie die Grenze zwischen Fia und Brent überqueren, um einen Auftrag auszuführen, denn niemand lebte in dem steinigen Gebirge. Es existierte vielleicht nur der Glaube an das Land selbst. Und natürlich die unbestreitbare Tatsache, dass es Brent wirklich gab, denn die gefährlichen Berge erkannte man schon von Weitem.

Anders war es mit Moirath. In dem Land der wilden Wälder lebten tatsächlich Menschen. Ausgestoßen von jeder Zivilisation. Vertrieben aus ihren Heimatländern, um ein Leben zwischen Moos, Bäumen, Feuchtigkeit und dem reinen Nichts zu führen. Einmal musste ich den Enya überqueren, einen breiten, gigantischen Fluss, der den Kontinent in zwei Hälften teilte, um nach Moirath zu gelangen. Mein Auftrag lautete, dort eine Mutter von zehn Kindern hinzurichten. Wieso, weshalb, warum? Bis heute hatte ich keinerlei Information darüber. Töte sie und bringe uns ihr Herz. Mehr durfte ich nicht erfahren. Und mehr Worte benötigte es auch nicht, damit ich einen Auftrag ausführte. Ich empfand es sogar als ganz erfrischend, nicht den Hintergrund meiner Taten verstehen zu müssen, denn dann wäre vermutlich jede Ausbildung in der Akademie umsonst gewesen. Wir durften keine Gefühle zeigen, nicht einmal fühlen, wenn wir einen Auftrag ausführten. So waren mir die weinenden Kinder gleichgültig, die mitansehen mussten, wie ich ihrer Mutter zuerst die Kehle aufschlitzte, um dann später ihr Herz aus der Brust zu reißen. Blutend hatte ich sie zurückgelassen. War einfach aus dem Haus marschiert, als wäre es alltäglich. Obwohl, das war es in der Tat. Das Töten bestimmte meinen Alltag. Machte mein Dasein aus. Gab mir einen Sinn zu existieren. Es war meine Bestimmung.

In Windeseile war ich damals aus den dunklen Wäldern von Moirath zurück nach Fia geeilt. Die drückende Feuchtigkeit hatte sich schwer auf meine Brust gelegt.

Siedlungen oder sogar ganze Dörfer fand man in diesem Land nicht. Nur einzelne Häuser, halb versunken zwischen Bäumen und Büschen. Meist mit so viel Moos bewachsen, dass man glauben könnte, es lebten Tiere darin.

Auch über das Land der wilden Wälder flüsterte man sich Geschichten auf den Straßen zu. Als würden die Verstoßenen nicht schon genügen, um zu verstehen, dass man in diesem Land nicht freiwillig lebte. Dass man dorthin verbannt wurde, um schlussendlich in Einsamkeit zu sterben.

Ich ließ den viel zu gut angezogenen Mann einfach in der Gasse liegen. Er besaß irgendeinen hoheitlichen Titel, der aber genauso in meine Vergessenheit geraten war, wie die Frage, was ich heute zum Frühstück gegessen hatte. Im Grunde genommen war es mir egal, wer er war, wie er hieß, wo er lebte oder warum er sterben musste. Es war ein lukrativer Auftrag, den ich gerne annahm. Nicht, dass ich nicht schon genug Goldmünzen in meinem Zuhause hortete, aber auch die bekannteste Auftragskillerin durfte eine Leidenschaft zum Sammeln hegen.

Immerhin blieb ich trotz meiner Taten ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ohne Gefühle, aber immerhin mit einem Herzen in der Brust. Was man von der Frau aus Moirath nicht mehr behaupten konnte.

Eine dicke schwarze Strähne meiner Haare fiel mir ins Gesicht, als ich mich nach vorn beugte, um das kleine goldene Wappen von Fia in Form einer Münze auf den Brustkorb des toten Mannes zu legen, damit jeder wusste, durch wessen Hand er gestorben war.

Als ich dem leblosen Körper meinen Rücken zudrehte, die Haarsträhne wieder zurück an ihren Platz unter meiner Kapuze steckte und die nächste Häuserwand hinaufkletterte, erreichten die hereinfallenden Sonnenstrahlen soeben die kleine Goldmünze, die im Licht wunderschön funkelte. Die drei ineinander verschlungenen Kronen darauf waren nichts weiter als ein heller, leuchtender Punkt in einer verlassenen Gasse, für den sich niemand in diesem Moment interessierte.

Kapitel 2

Dass die persönliche Auftragskillerin des Dreikönigshofs wieder einmal zugeschlagen hatte, und das inmitten von Kayleigh, der Hauptstadt von Fia, in der es von Menschen nur so wimmelte, machte schnell die Runde. Da geriet selbst das schöne Wetter in den Hintergrund, das noch zuvor alle Leute in Verzückung versetzt hatte.

Hoch oben auf einem der Dächer streckte ich meine Nase in den Wind und genoss die prickelnde Wärme auf meiner Haut. Meine Maske hatte ich abgenommen, sobald ich sichergehen konnte, dass keine Menschenseele mich sah. Die lauwarme Luft, die den kommenden Frühling einleitete, umspielte mein Gesicht, als wollte sie es küssen und mir sagen, dass ich auch nur für einen kleinen Moment meinen Gedanken freien Lauf lassen sollte.

Dass ich etwas fühlen durfte, im Angesicht meiner blutigen Taten, die mich Tag für Tag begleiteten. Schon seit Beginn meiner Ausbildung an der Akademie träumte ich nicht mehr. Was mich zugegebenermaßen auch beruhigte, denn ich wusste, dass meine Seele mit den wiederkehrenden Bildern meiner brutalen Aufträge nicht zurechtkommen würde. Daher fiel ich jede Nacht oder Tag, je nachdem wann ich einen Auftrag auszuführen hatte, in einen dunklen und erholsamen Schlaf. Den ich ebenso benötigte wie meinen klaren Verstand. Ohne ihn funktionierte gar nichts. Dann würde ich vermutlich in Faeeri enden, einem Land, in dem Menschen eher vegetierten als lebten. Verlorene Seelen nannte man sie, da sie aufgrund einiger Schicksalsschläge keinen Ankerpunkt mehr fanden, an den sie sich klammern konnten, um die Reinheit des Lebens zu genießen. Wie hüllenlose Gestalten wandelten sie in dem dürren Land umher, wie Vagabunden, ohne ein Zuhause. Ihre blassen Augen, die leer in die Ferne starrten, als sähen sie irgendwo dort am Horizont einen Lichtpunkt, der sie magisch anzog, kamen nie dort an. Faeeri war einmal ein großes, ehrenvolles und ruhmreiches Land gewesen, an dessen Namen sich nun kaum jemand erinnern konnte. Als die Menschen anfingen, in Richtung des Enya zu pilgern, da das Wasser in Faeeri zur Neige ging, spaltete sich die Gesellschaft in zwei Lager, deren Grenzen nun deutlich zu erkennen waren. Die Menschen machten aus dem neuen Stück Land des Kontinents einen noch schöneren Ort und nannten das Land Alaeen, was so viel wie Land der Strahlenden bedeutete.

Prunkvolle Roben, Gold, wohin das Auge blickte und Reichtum, in dessen Licht makellose Menschen mit Haut wie Alabaster durch die Straßen flanierten. Sobald meine Dienste am Dreikönigshof nicht mehr gebraucht wurden, wollte ich mir ein Leben in Alaeen aufbauen. Zumindest bestand dieser Wunsch, denn meine Zeit in Fia würde niemals enden. Erst, wenn mein Leben mit dem Tod bestraft wurde. Keine guten Aussichten.

Von meinem Aussichtspunkt hoch oben auf der Spitze des maroden Hauses, auf dessen Ziegeln sich das dunkle Moos absetzte, hatte ich einen wunderbaren Blick über ganz Fia. Eine Tréana rauschte gemächlich durch die weiten, besetzten Felder, auf denen sich bald das Getreide dankbar der Sonne entgegenstrecken würde. Der schwarze Rauch des kohlebetriebenen Schienenwagens zog sich wie eine dicke, quellende Wolke über den Himmel. Im Norden befand sich das Land Enyan, aus dessen Erde der Fluss Enya entsprang. Beinahe konnte ich das Rauschen des klaren, fließenden Wassers der unzähligen Bäche und Seen vernehmen, die das ganze Land durchzogen und den Enya versorgten. Der wiederum beschenkte die anderen Länder von Lyria mit sauberem Wasser. Im Süden ragten schwach die Spitzen der grauen Berge von Brent in den Himmel und ich musste meine Augen zusammenkneifen, um sie besser fokussieren zu können. Lyria war riesig, aber Fia lag so gut, dass man von einigen Punkten aus fast den ganzen Kontinent überblicken konnte.

Doch auch wenn die Sonne jeden Fleck von Fia in herrliches Licht tauchte und der feuchte Tau auf den ersten Blumen des Frühlings glitzerte, zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich.

Der Dreikönigshof.

In einiger Entfernung konnte ich das prunkvolle Schloss erkennen, das einem Monument gleich auf einem grünen Hügel thronte. An diesem Tag wirkte der ganze Hof mit seinen dicken Mauern und den spitzen Türmen noch imposanter. Die Sonne sandte einen separaten Strahl genau dorthin aus, wo mein heutiger Auftrag enden sollte. So wie jedes Mal, wenn ich von den drei Königinnen hinausgeschickt wurde, um zu töten.

Nur an diesem Tag war etwas anders, das spürte ich. Nicht nur das besondere Wetter ließ mich länger auf dem Dach des Hauses verweilen, sondern auch die böse Vorahnung, dass sich irgendetwas in meinem Leben ändern sollte. Was, das konnte ich nicht klar definieren, es war mehr ein Bauchgrummeln als ein klarer, vollständiger Gedanke.

Der lauwarme Wind ließ die Kapuze von meinem Kopf rutschen, sodass meine schwarzen langen Haare wie ein Schleier in meinen Nacken fielen. Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus. Der Frühling war wahrlich meine liebste Zeit innerhalb eines Sonnenjahres, denn er leitete immer wieder ein neues Kapitel ein, auf das die meisten Menschen sich freuten. Unten auf den Straßen und in den Gassen spielte Musik, die mit dem Wind davongetragen wurde. Selbst wenn ich mich hinter den Mauern des Dreikönigshofes aufgehalten hätte, hätte ich die lachenden Kinderstimmen gehört, die die Musik wie eine perfekte Komposition begleiteten.

Ich hatte mich damals für das Leben einer Auftragskillerin entschieden und war zufrieden damit. Ich konnte mich nicht beklagen, denn meine Wohnung in eben dieser Stadt, in der ich vor einer Stunde dem Mann mein Schwert in den Bauch gerammt hatte, war mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet, den unsere Zeit besaß.

Eine Badewanne, die immer, wenn es mir beliebte, mit warmem, schaumigem Wasser gefüllt war. Ein Bett, dessen Kissen mit fluffigen Federn gefüttert waren und eine Küche, die nicht drohte, jeden Moment in Flammen aufzugehen. Trotz meines Bundes mit dem Dreikönigshof wurde mir gewährt, außerhalb des Schlosses zu wohnen. In meinen eigenen vier Wänden. Ich brauchte den Abstand zwischen meinem privaten Leben und meiner Arbeit. Obwohl ich nicht viel Privatsphäre besaß, denn die meiste Zeit verbrachte ich damit, meine nächsten Opfer ausfindig zu machen, zu jagen und auf die eine Art und Weise zu töten, wie es die drei Königinnen des Hofes befahlen.

Die Tréana verschwand hinter einem kleinen Tannenwäldchen, bevor sie wieder mit gleicher Kraft hervorschoss und in Richtung der Hauptstadt fuhr. Vermutlich hatte sie Güter aus den anderen Ländern geladen und versorgte nun unser Land. Kohlebetriebene Schienenwagen wie diese gab es in der Tat einige, die durch den ganzen Kontinent reisten, um Handel zu betreiben. Die Länder führten keine Kriege untereinander, was das Zusammenleben erleichterte. Wir profitierten voneinander. Es war ein Geben und Nehmen, das die Herrscher der letzten Jahrhunderte mit Mühe aufgebaut hatten. Niemand wollte diesen stillen Frieden stören, denn alle wussten, was es für jeden Einzelnen bedeutete, in einem Krieg gefangen zu sein. Mehr Tote, die es ohnehin schon aufgrund hohen Alters, Krankheiten oder meiner Wenigkeit gab.

Ich ließ meinen Blick über die Felder schweifen, bevor ich der Sonne entgegensah, die sich langsam dem Horizont näherte. Die Abenddämmerung würde bald einsetzen und ich sollte mich auf den Weg ins Schloss machen, um meinen Auftrag abzuschließen, sonst würde auch ich für meine Regelverstöße bestraft werden. Da half es auch nicht, die bekannteste Auftragskillerin des Kontinents zu sein.

Ich zog die Kapuze wieder über meine Haare und stopfte sie darunter, ehe ich meine Maske wieder auf meinem Gesicht platzierte und von Dach zu Dach sprang. Dem Königshof entgegen. Ich hätte wie jeder gewöhnliche Mensch durch die Straßen und Felder schlendern können, doch wozu hatte ich eine exzellente Ausbildung genossen, wenn ich meine Fähigkeiten nicht ausnutzte.

Als ich zu einem erneuten Sprung ansetzte, hielt ich plötzlich in meiner Bewegung inne. Ein Kribbeln in meinem Nacken spannte meine Muskeln an, sodass ich, kurz bevor meine Schuhe die Kante des Daches verließen, abrupt stehen blieb. Dieses Kribbeln hatte ich schon einmal gespürt, in meinem vergangenen Leben, an das ich nie wieder denken wollte. Nein, nie wieder denken durfte, doch soeben schossen mir die Bilder meines Elternhauses in den Kopf. Ich sah keine Menschen, ich erinnerte mich nicht mehr an ihre Gesichter. Meine Eltern waren schon lange fort. Begraben unter der Erde auf einem abgelegenen Hügel von Fia, doch dieses Kribbeln hatte ich nur bei einer Person meines früheren Lebens gespürt. Es war so vertraut, dass ich für einen kurzen Augenblick meine Konzentration verlor und beinahe nach vorne gekippt wäre, wenn ich nicht zurück zu meinem jetzigen Ich gefunden hätte.

Ich sah mich um, doch da waren nur die unzähligen schiefen Häuserdächer und der aufsteigende Rauch der Schornsteine.

Wenn mich nicht alles täuschte, dann wurde ich beobachtet. Bewusst beobachtet. Nicht auf diese Art, wie es die Menschen von Fia taten, wenn sie mich in ihren Gassen oder auf dem Markt sahen. Jemand wusste ganz genau wer ich war und was ich hier tat. Dieser jemand kannte nicht Vika, sondern die versteckte alte Seele, die ich einst gewesen war.

Und genau das machte mir nicht unbedingt Angst, so etwas wie Angst kannte ich nicht mehr, aber es ließ mich misstrauisch erschaudern. Niemand konnte wissen, welches Leben ich vor diesem geführt hatte. Außer ...

Ich atmete einmal tief durch und verwarf den Gedanken sogleich, der sich langsam in mein Gedächtnis schlich, sodass ich mich wieder allein auf meine Aufgabe konzentrieren konnte, die vor mir lag: der Abschluss meines Auftrages. Und die dazugehörige Belohnung fand ich nicht auf diesem Dach, sondern hinter den Mauern des Schlosses, das nur noch wenige Katzensprünge entfernt auf seinem Hügel thronte.

Ich konnte mir ein anderes Mal Gedanken darüber machen, was soeben geschehen war. Wenn ich mir überhaupt jemals wieder den Kopf darüber zerbrechen wollte und sprang auf das nächste Dach, um von dort aus an der Häuserwand hinunterzuklettern.

Mal sehen, in welcher Verfassung die drei Grazien waren, in deren Pflichten ich stand.

Kapitel 3

An das höfliche Verbeugen der Wachen am Tor des Hofes würde ich mich wohl nie gewöhnen. Die gesenkten Blicke, wenn ich eintraf oder die Tatsache, dass sich das Tor bereits öffnete, auch wenn ich noch in weiter Ferne den breiten, gepflasterten Weg den Hügel hinauflief, wirkten auch nach fünf Jahren noch völlig absurd.

So lange war es her, dass ich die Ausbildung zur Auftragskillerin an der Akademie abgeschlossen hatte. Ein Tag, der mein Leben für immer veränderte. Mein ganzes Dasein veränderte. Auch wenn ich die Tage an der Akademie gezählt hatte, war es doch etwas ganz anderes, keine Schülerin mehr zu sein, sondern ein vollwertiges Mitglied des Königshofs. Oder Angestellte. Man konnte es nennen, wie man wollte. Die Zeit meiner Ausbildung hatte ich trotz der Brutalität, der Strafen und des harten Trainings genossen. Hinter den schützenden Mauern der Akademie schien ich sicher zu sein. Meine Euphorie und der Drang danach so sauber und effizient zu töten wie nur möglich, ließen mich jeden Morgen aufs Neue voller Eifer aufstehen. Aber als der Tag des Abschieds näher rückte, hatte ich mich mehr und mehr einsam gefühlt.

Denn genau das zeichnete das Leben eines Auftragskillers aus. Wir hatten keine Freunde, eher flüchtige Bekannte. Auch meine Mitschüler zogen über den ganzen Kontinent, um sich einem anderen Land und Königshof anzuschließen. Dass ausgerechnet ich von den drei Königinnen Fias auserwählt wurde, hatte man mir zwar schon in den ersten Monaten der Ausbildung prophezeit, doch Glauben schenken konnte ich dem bis zuletzt nicht.

Ich wusste nicht, was die anderen Männer und Frauen taten, um zu überleben. Wohin es sie verschlagen hatte, ob sie ebenfalls in Reichtum badeten, wie ich, oder ob sie überhaupt noch am Leben waren.

Sobald die Tore der Akademie sich hinter uns geschlossen hatten, wurden wir zu Fremden. Ausnahmslos. Wenn ich ehrlich war, verspürte ich auch nicht das Bedürfnis, Kontakt mit einem meiner ehemaligen Mitschüler aufzunehmen. Ich war schon immer ein Eigenbrötler, eine Einzelgängerin gewesen, die sich auch in ihrem alten Leben immer gerne zurückgezogen hatte.

Das Einzige, an das ich mich noch erinnern konnte, und das, obwohl meine Lehrmeister ganze Arbeit geleistet hatten, jede Erinnerung an mein altes Ich auszulöschen, waren die traurigen Blicke meiner Eltern, die sie mir immer wieder zugeworfen hatten. Wenn ich nicht mit den anderen Kindern auf der Straße spielen wollte. Sie einfach ignorierte. Leider war es die einzige klare Erinnerung, die ich besaß. Es gab wenige gute, die schlechten überwiegten. Aber genau diese schlummerten tief in meinem Herzen und hatten sich dort festgekrallt wie die Klauen einer gefährlichen Kreatur.

Je näher ich dem Tor des Dreikönigshofs kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Es war immer wieder ein unheimliches Gefühl, wie eine der Königinnen selbst durch dieses Tor zu schreiten, ohne dass man mir wie den anderen Bewohnern den Zugang verwehrte. Niemand, wirklich niemand durfte den Hof betreten, außer die Königinnen luden zu einer Feierlichkeit ein. Wenn dem so war, dann erstrahlte das sonst so düster wirkende Schloss in einem Glanz, der den Städten von Alaeen gleichkam. Prunkvoll und beeindruckend war der Herrschersitz auch an den restlichen Tagen im Jahr, aber zu den Festlichkeiten schien die Sonne direkt aus dem Boden des Hügels zu strahlen, auf dem das imposante Gebäude thronte.

Der dunkle Stein der Mauern wirkte auch heute an diesem schönen Frühlingstag merkwürdig unpassend. Als wäre das Schloss aus einer anderen Zeit entsprungen. Wie ein Fleck in einem Gemälde, der aus Versehen dorthin gekommen war und den niemand mehr rückgängig machen konnte.

Ich richtete meine Kleidung. Zog das lederne Korsett um meinen Brustkorb zurecht und kontrollierte, ob meine Kapuze und Maske angemessen saßen, bevor ich mit stolzem Schritt an den Wachen vorbeiging, die mit gesenkten Köpfen ein »Euer Ehren« murmelten.

Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Euer Ehren, als wäre ich eine der Königinnen selbst, die sicherlich schon sehnlichst im Thronsaal auf mich warteten. Ich musste mich tatsächlich beeilen, denn die Sonne war nur noch ein orange-roter Feuerball am Horizont, der sogleich seinen Schatten über Kayleigh warf. Das Schloss dagegen erhaschte noch die letzten wärmenden Sonnenstrahlen.

Ich nickte den Wachen ebenfalls zu und runzelte die Stirn, als mich einer der beiden merkwürdig musterte. Er sah mir direkt in die Augen und wieder fing mein Nacken an zu kribbeln. Nein, das konnte nicht sein. Ich bildete mir das nur ein. Wie war es möglich, dass ich innerhalb weniger Stunden ein und dasselbe Gefühl verspürte, obwohl es seit Jahren aus meinem Gedächtnis verbannt worden war?

Ich konnte die Augenfarbe des Wachmannes nicht ausmachen, da sein Visier zu weit heruntergeklappt war, aber es schien, als wüsste er etwas, von dem ich noch nichts ahnte. Da beschlich mich auch wieder dieses Bauchgefühl, das ich zuvor auf dem Dach gespürt hatte. Dieses Grummeln im Magen, das mir sagte, dass dieser Tag nicht enden sollte, wie die Tage zuvor, wenn ich einen Auftrag abgeschlossen hatte.

Waren die Königinnen etwa schon so sehr erzürnt über mein spätes Kommen, dass es sich bis zu den Wachen am Tor herumgesprochen hatte? Mir war sonst keine weitere Veränderung aufgefallen. Man öffnete mir das Tor, ließ mich hindurch, begrüßte mich mit gesenktem Blick. Alles wie immer. Aber als der Wachmann mir direkt in die Augen sah und versuchte, mir offenbar in Gedanken eine Nachricht zu übermitteln, wurde auch ich misstrauisch.

Irgendetwas wollte mir mein Schicksal sagen. Irgendetwas kam auf mich zu. Nein, rollte auf mich zu wie ein gigantischer Felsbrocken, der mich erdrücken wollte.

Schnell schaute ich nach vorn, bevor der Blickkontakt zwischen dem Wachmann und mir zu viel Aufmerksamkeit erregte und man Gerüchte in die Welt setzte, dass die Auftragskillerin des Königshofs eine heimliche Liebelei unterhielt. Aufmerksamkeit, die ich mir nicht leisten durfte und gerade wahrlich nicht gebrauchen konnte. Es zählte für mich nur eine gute Arbeit zu leisten, meine Aufträge zu erfüllen und ein Leben führen, von dem ganz Fia träumte.

Das Tor wurde sofort geschlossen, nachdem ich hindurchgetreten war. Ich wandte mich ab und blickte zum Schloss hinauf, das wie ein zweites Zuhause für mich war. Nicht, weil ich viele Stunden hinter seinen Mauern verbrachte, sondern weil dank des Bundes zwischen den Königinnen und mir eine besondere Verbindung bestand, die nur mit meinem Tod aufgelöst werden konnte. Er sollte mich immer wieder hierherführen, ich durfte keinem anderen Land von Lyria dienen. Das war ebenfalls eine Grundvoraussetzung meines Lebens. Wenn man sich einmal einem Land versprochen hatte, dann gab es kein Zurück mehr. Andere Auftragskiller hatten sich bewusst für eines der anderen Länder entschieden, denn sie sahen in ihnen ihre Bestimmung. Fia war schon immer meine Heimat, also hatte ich nicht lange darüber nachgedacht und war geblieben. Auch wenn mein Wunsch, ein Leben in Alaeen, dem Land der Strahlenden zu führen, groß war, wollte ich es nicht auf diese Art und Weise führen, sondern als freier Mensch.

Die Straßen und Gassen, die Felder und Sümpfe von Fia kannte ich wie meine eigene Westentasche. Wie die Schwerter, die auf meinem Rücken hin und her schaukelten, als ich im Laufschritt den Weg zum Schloss entlang eilte. Diejenigen, die in Fia lebten, führten freiwillig ein einfaches Leben ohne großen Reichtum, denn sie benötigten nicht viel mehr. Dafür bewunderte ich die Menschen, dass sie hier in der Hauptstadt oder auf den Dörfern glücklich waren und nie einen Gedanken daran verschwendeten, eines der anderen schönen Länder wie Alaeen und Enyan zu bereisen. Dass niemand freiwillig nach Brent, Moirath oder Faeeri pilgerte, erschien mir nur logisch.

Obwohl dieser Tag bisher nicht besonders gut gewesen war, abgesehen von einem abgeschlossenen Auftrag, ging ich geradewegs durch die imposante Tür, die mir ebenfalls ohne dass ich Anklopfen musste, geöffnet wurde. Ich fragte mich immer wieder, wie viele Augen dieses Schloss besaß, um mich schon von Weitem kommen sehen zu können.

In der Eingangshalle war es totenstill, aber ich wusste auch so, welchen Weg ich einschlagen musste. Die Kerzen waren bereits angezündet worden. Die Deckenbeleuchtung, eine der neuesten technischen Errungenschaften unserer Zeit, die mittels Generatoren, die das Sonnenlicht speicherten, betrieben wurden, warf Schatten an die Wände des breiten Ganges zum Thronsaal.

Ein Weg, den ich beinah täglich beschritt und nie wusste, mit welcher Laune mich die drei Königinnen empfingen. Zumindest zwei der Majestäten, denn die dritte und ruhigere der Schwestern hatte stets ein freundliches Lächeln für mich übrig, egal, in welcher Verfassung sie sich gerade befand.

Die Königinnen durften mein volles Antlitz sehen, wenngleich es den anderen Menschen von Fia nicht erlaubt war. Deswegen musste ich immer genau darauf achten, wo ich mich gerade befand, wenn ich wie auf dem Dach des Hauses einmal für mich allein sein wollte. Zudem war es eine reine Höflichkeit den Königinnen gegenüber, dass ich mich nicht verhüllen durfte. Schließlich hatte ich nichts vor ihnen zu verbergen. Geheimnisse waren mir fremd.

Mein Kommen wurde von einem Mann mit blonden Haaren und Lederkluft angekündigt, dessen einzige Aufgabe es war, den ganzen Tag vor der Tür zum Thronsaal zu stehen und darauf zu warten, dass man ihn brauchte. Und da niemand, außer mir an einem der restlichen Tage im Jahr dieses Schloss betrat, kam mir sein Leben wahrlich trostlos vor.

»Eure Hoheiten. Vika ist soeben eingetroffen und bittet um Einlass.« Was für eine Lüge, ich brauchte meinen Mund nicht einmal öffnen, um mir Zugang zum Thronsaal zu verschaffen. Es war reine Höflichkeit, dass er diesen Satz sagte.

Ich hörte nicht einmal eine Antwort, als sich schon die breite, doppelflügelige Tür aus dunklem Eichenholz öffnete und den Blick in den prunkvollen Saal dahinter freigab.

Kapitel 4

Auch heute verschlug mir der Anblick der mächtigen Throne, auf denen die drei Königinnen saßen, den Atem. Nach fünf Jahren meiner Dienste bestaunte ich immer noch von Weitem die besondere Arbeit, die geleistet worden war, als man die Königsstühle anfertigen ließ. Alle drei waren schwarz wie die dunkelste Nacht und mit vielen filigranen, goldenen Mustern verziert. Die Maske, die ich trug, besaß ebenfalls die gleichen Verzierungen. Die Farben von Fia. Schwarz und Gold. Sie standen für die Bedeutung unseres Landes: der dunkle Frieden.

Man hatte keine Kosten und Mühen gescheut, den drei Königinnen die aufwendigsten Throne zu gestalten, die es auf diesem Kontinent gab. Vielleicht zeigte das den Hochmut der drei in langen Gewändern gekleideten Frauen, die mich soeben eintreten sahen. Und wie ich bereits vorausgesagt hatte, löste mein spätes Kommen nicht gerade Glücksgefühle aus.

Vielleicht hatte man sich so viel Mühe gegeben, weil es in all der Zeit noch nie der Fall gewesen war, dass drei Königinnen zugleich ein Land regierten. Es war eine Besonderheit, für die Fia geachtet wurde, denn die drei Frauen vor mir, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, waren in der Tat Geschwister. Drillinge.

Diese Seltenheit gab es seit Tausenden von Jahren nicht mehr. Kein anderer Königshof hatte jemals so viele Kinder auf einmal geboren. Daher blieb auch die Frage, wer den Thron besteigen würde, nachdem der alte König gestorben war, aus. Denn alle drei Schwestern waren gleichberechtigt. Und so entstand der Dreikönigshof, dessen Namen jeder auf dem Kontinent kannte.

Ebenso wie die Namen der Königinnen, die niemals dieses Schloss verließen. Warum fragte ich mich schon, aber beschloss der Tatsache nicht länger meine Aufmerksamkeit zu schenken. Menschen wie sie hatten ihre Gründe und ich erlaubte es mir nicht, sie zu hinterfragen.

»Du kommst spät«, stellte Rheva unnötigerweise fest, denn die Sonne wurde soeben vom Mond am Himmel abgelöst und die ersten Sterne erstrahlten am klaren, dunklen Firmament. Würde ich nicht im Thronsaal des Königshofs stehen, dann hätte ich mich auf eines der Dächer geschwungen und hinaus in die unendliche Weite der Nacht geschaut. Hätte jeden Stern einzeln betrachtet und mich gefragt, ob es auf ihnen Leben gab. Irgendwo dort draußen. Vielleicht nicht in der Form, in der die Menschen existierten, aber in einer ähnlichen.

Manchmal spielte meine Fantasie mir Streiche, die ich nicht aufhalten konnte. Vermutlich lag es an der Gehirnwäsche, die mir während meiner Ausbildung an der Akademie zuteilwurde. Ich war immer der Überzeugung gewesen, dass diese Methoden des Vergessens mehr mit unseren Köpfen anrichteten als beabsichtigt.

Rheva musterte mich mit einem abschätzigen Blick. Sie war mir wahrlich die unsympathischste der drei Schwestern und wie ich vermutete, hielt sie im Geheimen die Fäden in der Hand. Sie saß nicht umsonst auf dem mittleren Thron, der in meinen Augen ein klein wenig imposanter wirkte als die anderen beiden.

»Ich bitte um Verzeihung, Eure Hoheit. Mir ist etwas dazwischengekommen«, entschuldigte ich mein Vergehen und senkte reuevoll den Kopf. Jedem in diesem Raum war es egal, ob meine Geste der Wahrheit entsprach, oder eine reine Lüge war.

»Etwas dazwischengekommen? Du hast dich doch nicht etwa von dem herrlichen Wetter dort draußen beeindrucken lassen.« Amüsiert spitzte Rheva ihre Lippen und zog eine ihrer schwarzen, perfekt geformten Augenbrauen hoch. Wenn sie auch nur einen Schritt vor die Mauern ihres Schlosses tätigen würde, dann könnte sie durchaus verstehen, welches prickelnde Gefühl es war, die wärmende Frühlingssonne auf der Haut zu spüren.

Aber bevor mein vorlauter Mund wieder schneller als mein Verstand war, verkniff ich mir die Bemerkung.

»Entschuldigt, das wird nie wieder geschehen. Das nächste Mal werde ich sofort nach Beenden eines Auftrages zu Euch kommen.«

Ich hob meinen Kopf und sah zu den Königinnen auf.

»Das weiß ich und will es auch weiterhin hoffen. Du bist kein Mensch, der sich Fehltritte leistet und das schätzen wir, Vika.« Wie ehrenvoll. Vermutlich erwartete sie, dass ich mich dankbar auf die Knie warf und sie anbetete wie eine Gottheit.

Mein Blick schweifte zu den anderen beiden Königinnen. Rechts von der schwarzhaarigen Rheva, mit der blassen, fast durchscheinenden Haut und den blutroten Lippen saß Cyrille. Eine weißhaarige Schönheit, die jeden verschneiten Wintertag in den Schatten stellte. Ihre Haare glitzerten wie Schnee, wenn die Sonne ihre Strahlen ausbreitete und ihre Kleider waren ebenfalls unschuldig weiß. Sie wirkte immer etwas kühl, doch sympathischer und freundlicher als ihre missgelaunte Schwester. Cyrille hatte ich in der Zeit meiner Dienstjahre als ruhig und ausgeglichen empfunden, eine Person, die nur erzürnt war, wenn das Wohl ihrer geliebten Pferde auf dem Spiel stand. Weiße Schimmel, die ich bisher nur einmal zu Gesicht bekommen hatte. Doch der Anblick der weißhaarigen jungen Frau in Einklang mit ihren Rössern ließ mich an eine Mutter denken, die ihre Kinder hütete, wie ihren eigenen Augapfel.

Cyrille sah mich mit ausdrucksloser Miene an, wie sie es so oft tat. Aber ich erkannte ein kleines Funkeln in ihren grauen Augen, als würde sie mir trotz der tadelnden Worte ihrer Schwester Zuspruch geben. Ohne Worte.

Auf dem linken Thron saß die dritte der Schwestern. Und die mir sympathischste der Königinnen. Astraea wirkte noch wie ein kleines Kind, dabei waren die Schwestern nicht viel älter als ich. Ein wenig über zwanzig Jahre mussten sie bereits auf diesem Kontinent leben. Astraea lächelte mir zu, als mein Blick den ihren traf. Ihre fuchsroten Haare, die in welligen Locken über ihre Schultern bis hinab in ihren Schoß flossen, schimmerten im Schein der Fackel neben ihrem Thron. Das Feuer erleuchtete sie wie einen Heiligenschein, doch ihre Gesichtszüge glichen nie den ausdruckslosen und verhärteten Mienen ihrer Schwestern. Sie war das absolute Gegenteil zu Rheva, die sich nun majestätisch erhob und mit geschmeidigen Bewegungen auf mich zukam.

Dabei bauschte sich ihr rotes Kleid, das die gleiche Farbe wie ihre Lippen hatte, über den Boden. Mit ihren Händen, deren Fingernägel schwarz lackiert waren, hielt sie einen dunklen Sack umklammert.

Mein Lohn. Und dieses Mal schien der Inhalt meine Vorstellungen zu übertreffen. Ich erkannte schon von Weitem, wie sich die vielen Goldmünzen eng aneinanderschmiegten und gegen den dunklen Stoff des Beutels drückten.

»Trotz deines späten Kommens wollen wir dir natürlich nicht deine Bezahlung verwehren. Du hast sie dir verdient, erneut. Und wie ich gehört habe, hat der gute Mann sehnlichst um sein Leben gebettelt.« Offenbar gab es nicht nur im Schloss zahlreiche Augen, die alles und jeden beobachteten, der das Anwesen betrat, sondern auch in der Stadt. Ob man mir Spitzel hinterherschickte, um mich im Auge zu behalten? Das war mir egal, sollten sie tun, was sie für richtig erachteten. Solange ich meinen Auftrag erfüllte und meine gerechte Bezahlung erhielt, konnten die Spitzel auch direkt in meinem Schlafzimmer auf mich warten.

Ich hatte nichts zu verbergen, wenn es den Königinnen darum ging. Wieso Rheva überhaupt nachgefragt hatte, wieso ich zu spät eintraf, wenn sie den Grund doch bereits kannte, war mir allerdings ein Rätsel.

Ich ließ mich von der schwarzhaarigen Königin nicht beeindrucken und straffte weiterhin meine Schultern, als sie nun direkt vor mir zum Stehen kam. Streckte wie immer meine Hand aus, in die Rheva den Beutel mit den Goldmünzen legte. So behutsam, dass ich die Berührung kaum wahrnahm.

»Ich danke Euch«, sagte ich und nickte kurz. »Es ist mir eine Ehre, in Euren Diensten zu stehen«, fügte ich noch schnell hinzu, woraufhin Rheva verzückt den Mund zu einem Lächeln verzog.

»Für uns ist es ebenfalls eine Ehre, deine Dienste in Anspruch zu nehmen, Vika. Wir könnten uns keine Bessere als dich vorstellen«, erwiderte Rheva, während sie mir bereits den Rücken kehrte und zurück zu ihrem Thron stolzierte. Wieder huschte mein Blick zu Astraea, deren waldgrünes Kleid ein paar Falten und kaum sichtbare dunkle Flecken aufwies. Ob sie sich hinausgeschlichen hatte, um in den Wäldern spazieren zu gehen, die hinter dem Schloss am Ende des Hügels lagen?

Ich hatte sie einmal beobachten können, wie sie hinausschlich, während ihre Schwestern ihren eigenen königlichen Tätigkeiten nachgingen. Damals verließ ich das Schloss nach einem Auftrag an einem ähnlichen sonnigen Tag wie diesen. Doch als ich mich umschaute, erkannte ich eine verhüllte Person, deren fuchsrote Haare unverwechselbar waren und unter der waldgrünen Kapuze ihres Umhanges hervorlugten. In diesem Augenblick hatte ich beschlossen, ihr zu folgen und war, kaum schloss sich das Tor hinter mir, um die Ecke gebogen und in Richtung der angrenzenden Wälder gelaufen.

Der Forst von Fia war wahrlich einladender als der von Moirath, dessen dunkle Tannen sich dicht an dicht drängten. Auch wenn es nicht viele Waldflächen in Fia gab, so waren diese umso schöner. Saftiges Gras schlängelte sich um die kräftigen Stämme der Bäume, deren Blätter ebenfalls in einem schönen Grün erstrahlten. Das Moos unterhalb der Stämme sah nicht bedrückend oder unheimlich aus, es lud dazu ein, sich auf ihm niederzulassen und die vollkommene Stille zu genießen, die nur durch das Zwitschern der Vögel unterbrochen wurde.

Ich fragte mich, wieso nicht viel mehr Menschen dieses Idyll aufsuchten und lieber in den dreckigen Gassen der Hauptstadt und der Dörfer verweilten. Aber vielleicht kannten sie nur die Geschichten über Moirath und fürchteten, dass die Wälder in Fia ebenfalls verflucht waren. Verflucht dahingehend, dass Menschen dazu verdammt wurden, in der drückenden Feuchtigkeit zu sterben.

Als ich sicher sein konnte, dass mich niemand beobachtete oder verfolgte, war ich zwischen die Büsche geschlüpft, die den Weg in den Wald hinter dem Schloss verbargen. Astraea war flink, das musste ich ihr lassen. Wie ein Reh sprang sie zwischen den Bäumen hin und her, wobei sich ihr grüner, wallender Umhang perfekt an die Umgebung anpasste. Sie hatte mich anfangs nicht bemerkt, da ich lautlos durch das Unterholz schlich. Nicht einmal die Äste unter meinen Schuhen knackten. Als Auftragskillerin wusste man, wie man sich geräuschlos an seine Opfer anschlich. Nicht, dass ich Astraea als ein Opfer sah, aber um zu beobachten, was die rothaarige Königin heimlich tat, war ich für jedes Training der Akademie dankbar.

Doch auch eine Auftragskillerin blieb nicht unentdeckt. Zumindest nicht, wenn sie es zuließ. So wie ich, als ich nah an Astraea herantrat, die eine einzelne violette Blume betrachtete, die aus dem Boden wuchs.

»Es wäre schön, wenn du meinen Schwestern hiervon nichts erzählst«, hatte sie nur gesagt, als sie meine Anwesenheit in ihrem Rücken spürte und weiterhin die Blumen am Boden mit ihren Fingern erkundete. Ich hatte meinen Blick von der Königin nicht abwenden können, wie magisch zog sie mich an. Ihre Fingerspitzen hatten die Blüten der Blume behutsam gestreichelt, als spürte Astraea das Leben in ihr.

Ich hatte ihr versprechen müssen, nie ein Wort über diesen Tag zu verlieren. Nicht einmal mehr daran zu denken, doch als ich ihr grünes Kleid und die Erde an seinem Saum sah, schossen die Bilder wieder in meinen Kopf, sodass ich Astraea vielleicht einen kurzen Moment zu lange anblickte. Ein leichtes Kopfschütteln, das nur mir galt und nur von mir wahrgenommen werden konnte, wies mich zurecht.

Die drei Königinnen waren unberechenbar, nicht einmal ich, die seit fünf Jahren fast täglich das Schloss aufsuchte, wusste, in welcher Gemütslage die Frauen sich befanden, sobald ich den Thronsaal betrat.

»Deshalb …«, riss mich Rheva aus meinen Gedanken, »… gönnen wir dir ein paar Tage Ruhe, bevor ein nächster wichtiger Auftrag auf dich wartet. Du solltest deine Kräfte sammeln. Wir wissen, welche grandiose Arbeit du leistest und du hast dir eine Pause verdient.« Überrascht riss ich meine Augen auf.

»Eine Pause? Ihr habt also keinen neuen Auftrag für mich?«, fragte ich ungläubig. Das war noch nie vorgekommen. Auf einen Auftrag folgte sogleich der nächste und Rhevas Worte, ich sollte meine Kräfte sammeln, ließen alle Alarmglocken in meinem Kopf läuten.

Da steckte doch mehr dahinter als nur eine nette Geste oder ein Entgegenkommen aufgrund meiner fabelhaften Leistung.

Doch ich sprach meine Zweifel nicht aus, sondern schluckte sie hinunter.

»Vorerst nicht. Aber es wird eine neue Aufgabe auf dich zukommen, über die wir uns noch ein paar Gedanken machen müssen. Deshalb solltest du die freie Zeit genießen.«

Langsam nickte ich, denn mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Rhevas Aussage schrie förmlich danach, dass der nächste Auftrag mich mehr beschäftigen sollte als jeder andere zuvor.

»Ich danke Euch, Eure Hoheit.« Ich verbeugte mich kurz.

»Du kannst gehen. Es wird dich in den nächsten Tagen eine der Wachen aufsuchen, um dich zu uns zu bringen. Also würde ich dir raten, nicht allzu weit zu reisen.« Als würde sie mich anfüttern und im nächsten Augenblick mit der Peitsche ausholen. Du bist für ein paar Tage frei, aber glaube ja nicht, dass du dieses Land verlassen kannst. Die Königinnen hatten mich bis zu meinem Tod in ihrer Hand, das war mir äußerst bewusst, aber der drohende Unterton in Rhevas Stimme ließ auch mich aufhorchen. Selbst wenn ich ihre Art mit Menschen umzugehen kannte, so schlich sich das unwohle Grummeln in meinen Bauch zurück.

Ohne ein weiteres Wort setzte ich mir meine Maske wieder auf und versteckte meine schwarzen Haare unter der Kapuze meiner Jacke. Der Beutel mit den Goldmünzen lag schwer in meiner Hand, als ich den Thronsaal und das Schloss mit seinen dicken Mauern hinter mir ließ. Dieses Mal musterte mich auch keine der Wachen, sodass ich das Kribbeln von vorhin tief in die letzte Ecke meines Verstandes verbannte.

Immer noch spürte ich den Blick von Astraea auf mir, als ich den Hügel zur Hauptstadt hinunterging.

Irgendetwas hatte sie mir sagen wollen, oder täuschte ich mich?

Vermutlich brauchte ich wirklich eine Pause. Mein Kopf spielte mir entschieden zu viele Streiche.

Kapitel 5

Diese Nacht war in der Tat besonders schön, denn aufgrund des lauen Frühlingstages in den Stunden zuvor war auch der dunkle Nachthimmel klar und freundlich. Der weiße Mond strahlte beinahe heller als die Sonne selbst und die vielen kleinen Sterne, die das Schwarz der Nacht durchbrachen, schimmerten wie Diamanten auf dunkler Seide.

Aber nicht nur der Anblick des Nachthimmels zog mich zurück auf die Straßen von Kayleigh sondern auch der Trubel auf dem Markt und vor den Plätzen der Gasthäuser, die sich kaum vor Kundschaft retten konnten. Die wenigen Sonnenstrahlen hatten die Leute wahrlich mit neuer Fröhlichkeit erfüllt, sodass das rege Treiben von niemanden unbemerkt blieb.

Bier wurde ausgeschenkt und über die Theken geschoben, als wäre es Massenware einer stetig arbeitenden Handwerkskammer. Kerzen, Lampen und Fackeln erhellten jedes Fenster und luden dazu ein, das Innere der Gasthäuser zu erkunden. Auf dem Markt spielte Musik und es wurde ausgelassen getanzt. Es schien, als lebten die Menschen in diesem Moment in einer anderen Welt, als vergaßen sie all ihre Sorgen und Nöte, die sie mit der Musik hinaus in die weite Ferne sangen.

Selbst Kinder spielten zu dieser späten Stunde ausgelassen um die Tanzenden herum. Gegenseitig versuchten sie Tücher, die sie sich hinten in die Hosen steckten, zu fangen. Ich kannte das Spiel. Fuchs und Henne nannte man es, viele Male hatte ich es schon beobachtet, während ich auf einem der Dächer hockte und die Umgebung sichtete.

So auch jetzt. Nachdem ich den Hügel zum Schloss hinuntergegangen war, wollte ich meine Wohnung aufsuchen und ein heißes Bad nehmen, um die heutigen Ereignisse zu verdauen und mit dem Dreck und Schweiß auf meiner Haut in die Verdammung zu schicken. Doch die lauten Stimmen und die flackernden Lichter hatten mich magisch angezogen, wie eine Motte durch das Licht.

Wie konnten die drei Königinnen nur in ihrem Schloss sitzen und vereinsamen, während sie all diesen Spaß hier verpassten? Zugegeben, ich begab mich selbst auch nicht unter die Menschen, doch das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sobald einer der Feiernden mich entdeckte, würden sie fliehen, wie vor einem wütenden Sturm, der durch die Straßen sein Unwesen trieb. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen, nur um den Rausch am eigenen Leib zu spüren, den die Tanzenden gerade erlebten, als sie sich kreisend um die eigene Achse drehten und schallend lachten. Der Alkohol floss währenddessen in Strömen und heizte die Stimmung immer weiter auf.

Auch wenn ich den Drang danach tief in mir verspürte, so verschwand dieses Gefühl auch schnell wieder, als ich mir in Erinnerung rief, dass dies nicht meine Welt war. Nicht das Leben, das ich führen sollte. Ich hatte mich dazu entschieden, im Schatten zu leben. So gut es denn möglich war, ungesehen zu bleiben. Meine Taten, das Blut, die Toten und die Gespräche über mich auf den Straßen hielten mich am Leben. Machten mich zu einer Legende. Deren Ruhm ich natürlich durchaus nicht missen wollte. Aber ab und zu …