Luna - Die Kraft des Mondes - Stephanie Moll - E-Book
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Luna - Die Kraft des Mondes E-Book

Stephanie Moll

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Beschreibung

Wenn der Ozean Sehnsucht und Tod bedeutet. Wenn seine Dunkelheit nach dir ruft. Dann ist es bereits zu spät. Man sagt, der Maurianengraben sei ein dunkles Loch, das jeden verschlingt und aus dessen Untiefen gefährliche Kreaturen steigen, bereit uns auszulöschen. Doch ich habe ihn durchquert und bin auf die Phantominsel Bermeja gestoßen, deren Seele nur durch die Kraft des Mondes gerettet werden kann. Und ich soll die Kriegerin sein, die alle befreit.

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Seitenzahl: 558

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Copyright 2025 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Dieses Werk darf weder im Gesamten noch in Auszügen zum Training künstlicher Intelligenzen, Programmen oder Systemen genutzt werden.

Lektorat: Lektorat Mitternachtsfunke

Korrektorat: Sarah Räbel

Cover: Juliana Fabula

Satz: Bleeding Colours Coverdesign

ISBN: 978-3-98947-046-0

Alle Rechte vorbehalten

Ungekürzte Taschenbuchausgabe

Für mich.

Inhalt

Teil 1Von sternenlosenNächten

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Teil 2Von

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Teil 3Vonverlorenen Kriegernundunerfüllten Träumen

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Teil 4VonfalschenGötternundfallendenSternen

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Nachwort

Danksagung

Teil 1

Von

Sternenlosen

Nächten

Kapitel 1

Blinde Menschen sehen nicht die Farbe Schwarz, sie sehen das reine Nichts. So, als würde man das eine Auge schließen, während das andere geöffnet ist. Dieses Nichts ist undefinierbar und fern unserer Vorstellungskraft. Fühlte es sich so auch an, zu sterben?

Der Tod beeindruckte mich nicht. Ich fragte mich eher, welches Gefühl es in mir auslösen würde, wenn ich ihm gegenüberstand. Ihm in seine Augen starrte, wenn er denn einen materiellen Körper besaß. Oder bestand er lediglich aus jenem Nichts, wie es Blinde sahen?

Entsprach es der Wahrheit, dass sich das eigene Leben im Geiste abspielte, wenn man um seine letzten Atemzüge rang? Und welche Erinnerung würde die Letzte sein? Eine Gute? Eine Schlechte? Eine aus der Kindheit oder doch der Moment, in dem man begriff, dass man gleich sterben würde? Gab es dieses mysteriöse Licht am Ende des Tunnels wirklich? Oder war es das Zeichen der Wiederauferstehung? Vielleicht sahen wir nicht unsere Erlösung, sondern das grelle Licht der Geburtsstation, auf der wir als neues Lebewesen zur Welt kamen? Würde ich jemals dem Tod die Hand reichen und ihm danken, dass er mich endlich in sein Reich führte?

»Hey, Elys!«

Jemand packte mich an den Schultern und ich kreischte erschrocken. Beinahe ließ ich das Buch fallen, doch umschloss es im letzten Moment, um es an meine Brust zu pressen.

»Scheiße, Thy. Spinnst du? Ich wäre beinahe runtergefallen«, schimpfte ich und starrte den blonden, frech grinsenden Jungen neben mir an. Er lehnte sich weit über das Geländer, auf dem ich saß. Meine Beine baumelten über einem tiefen Schlund. Unter mir erstreckten sich unzählige blau leuchtende Strömungen, in denen winzig kleine Punkte zu sehen waren.

»Du wärst lediglich auf die Windschutzscheibe eines Flowers gepurzelt, mehr nicht.«

»Sehr witzig, diese Dinger sind verdammt schnell und hätten mich vermutlich auf der Stelle zerfetzt.« Ungläubig schüttelte ich den Kopf.

»Ich möchte dich nur daran erinnern, dass du auf dieser Brücke ungesichert sitzt. Du solltest wissen, wie gefährlich das ist.«

»Pf«, prustete ich, dachte jedoch nicht daran, mich vom Geländer wegzubewegen. Thy hatte recht. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit hätte aus mir einen roten Fleischhaufen gemacht, der zudem einfach in den elektrischen Strömungen, in denen die Flower fuhren, verbrannt wäre. Keine schöne Art zu sterben.

»Was machst du hier?«, fragte Thy und lehnte sich lässig mit dem Rücken an das Stahlgeländer der Brücke, die den westlichen Teil der Stadt mit dem östlichen verband.

»Nichts.«

»Nichts?« Er hob auffordernd eine Augenbraue. »Komm schon. Elys Caster macht nicht einfach nichts.« Er stupste mich leicht mit dem Ellenbogen an und nickte in Richtung Buch, das ich noch immer an mich presste.

»Vergräbst deine hübsche Nase wieder in diesen alten, verstaubten Schinken, was? Ich werde wohl nie verstehen, wieso du auf die Relikte der alten Zeit stehst.«

»Soll ich dir was verraten?«, flüsterte ich geheimnisvoll in sein Ohr. Dafür musste ich mich zu ihm hinunterbeugen, was viel Geschicklichkeit benötigte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Erwartungsvoll spitzte er seine Ohren und lehnte sich zu mir.

»Das musst du auch nicht.«

Ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht, dessen eine Hälfte mit zarten Brandnarben übersäht war. Thy hatte Schlimmes erleben müssen und doch stand er hier. Mit kaum mehr als ein paar leichten Blessuren, die an das große Feuer der Academy of Lunation Soldiers erinnerten. Ich war damals noch nicht an der Akademie gewesen, denn er war zwei Jahre älter als ich und mein Mentor. Zumindest war er das bis vor drei Wochen. Bevor ich die Ausbildung zur Lunar-Soldatin abgeschlossen hatte.

»Lass mich raten«, führte Thy die Unterhaltung fort. Er hasste es, wenn ich ihn aus meinen Gedanken ausschloss. »Du bist aufgeregt wegen des Festes heute Abend.«

»Sollte man da aufgeregt sein? Noch fühle ich mich eher … dezent in meiner Ruhe gestört.« Ich zwinkerte ihm neckisch zu und stupste ihn mit meinem Oberschenkel an, woraufhin er nur lachend den Kopf schüttelte. Dabei fielen ihm seine schulterlangen blonden Haare ins Gesicht.

»Ich habe echt noch niemanden gesehen, der so entspannt an die Sache rangeht. Kannst du überhaupt irgendetwas fühlen? Nur den leisesten Hauch von Nervosität?«

»Warum sollte ich nervös sein?« Ich streckte meinen Rücken durch, sodass er knackte. Puh, wie lange saß ich schon hier oben? »Es ist nur ein Abschlussfest, auf dem viel getrunken, gesungen, gelacht und vermutlich auch hemmungslos rungeknutscht wird.«

»Warum siehst du mich dabei an?«, protestierte Thy, als ich ihm einen Blick von der Seite zuwarf. Die Geschichten über ihn waren allen bekannt. Er machte vor keiner potenziellen Liebelei Halt und flirtete hemmungslos bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot. Und, was sollte ich sagen, auch ich blieb von seinem charmanten Lächeln und dem frechen Schimmer in seinen Augen nicht verschont. Doch weder störte es mich, dass er seine Erfüllung darin fand, anderen Frauen schöne Augen zu machen, noch, dass er es auch bei mir versuchte. Er wusste, dass er nie eine Chance bei mir haben würde, da er für mich einfach ein verdammt guter Freund war. Außerdem würde ich niemals mit meinem Mentor ausgehen. Auch, wenn wir nicht mehr in diesem Verhältnis zueinander standen.

So nahm ich seine kleinen Komplimente kaum noch wahr, wenn er mit mir sprach. So war er eben, ein weltoffener und sehr nähebezogener Mensch. Jeder hatte seinen eigenen Charakter.

»Ich weiß nicht, aber unter meinen Mitschülern gab es jede Menge hübsche Frauen. Ich dachte, das sei dir nicht entgangen.«

»Und wie mir das nicht entgangen ist.« Ein breites, teuflisches Lächeln prangte in seinem Gesicht, woraufhin ich in Lachen ausbrach.

»Du bist echt…«

»Liebenswert, ich weiß«, beendete Thy meinen Satz.

»Natürlich. Liebenswert. Genau das wollte ich sagen«, scherzte ich. »Aber nein. Ich bin weder aufgeregt, noch nervös. Ich bin einfach verdammt glücklich, endlich diese geilen Klamotten auch außerhalb der Akademie tragen zu dürfen.« Ich fuhr mir mit der freien Hand über den Körper. »Allein, wie die Leute mich ansehen. Es ist der Wahnsinn.«

»Ich weiß, was du meinst. Als ich damals fertig war, habe ich diese Sachen zwei Wochen nicht ausgezogen.«

»Was? Das hast du mir nie erzählt. Zwei Wochen? Ohne Duschen? Hast du in ihnen geschlafen?«

Thy zuckte nur mit den Schultern und drehte sich um, sodass er seine Unterarme auf dem Geländer platzieren konnte.

»Oh wow! Du bist noch kurioser, als ich dachte.« Ich lachte und schwang meine Beine auf die andere Seite, um mich neben ihn zu stellen.

»Sagt diejenige, die ein altes, stinkendes Buch im Arm hält.«

»Hey, das ist wertvoll«, protestierte ich. »Du weißt gar nicht, wie berauschend das Gefühl ist, mit den Fingern über die Seiten zu fahren und jeden Buchstaben zu fühlen.«

»Weißt du, was noch berauschend ist?«

»Bitte, verschone mich«, stöhnte ich, da ich wusste, was er erwidern würde.

»Sex.«

»Thyron Elevator.« Ich knurrte vor Verzweiflung, woraufhin er lachte.

»Als ob du mir widersprechen könntest.«

»Das habe ich nie behauptet«, verteidigte ich mich. »Sag mir jetzt nicht, dass du auch in diesen Klamotten Sex hattest.«

»Vielleicht?«

Ich prustete amüsiert, sodass sich einige Passanten zu uns umdrehten. Der Umstand, dass zwei Lunar-Soldaten hier auf dieser Brücke standen und sich gelassen unterhielten, schien verschiedene Gefühle in ihnen auszulösen. Manche senkten ihre Blicke, andere wiederum bestaunten uns mit großer Neugier. Die schwarze Kluft, die wir trugen, stach aus der Masse heraus. Die Menschen sollten uns sofort als diejenigen erkennen, die jeden Monat ihre Leben riskierten um ihre zu schützen. Zur Vollmondnacht, wenn die Lunkari aus dem tiefen Schlund des Marianengrabens krochen und die Stadt bedrohten.

»Hast du noch etwas vor, bevor du zum Fest gehst?«, fragte Thy nach einer kurzen Weile, sodass ich meinen Blick von den Spazierenden abwandte.

»Ich denke, ich werde die Zeit mit meinen Eltern verbringen.«

»Die sind sicherlich schon ziemlich traurig, oder?«

»Mh«, murmelte ich zustimmend. Aus seinem Mund diese Frage zu hören, wunderte mich nicht. Jeder andere wäre davon ausgegangen, dass meine Eltern große Angst um mich hatten, doch er hatte nie richtige Eltern gehabt. Er war ein Waisenkind und quasi an der Akademie aufgewachsen und von den Dozenten großgezogen worden. Jeder kannte Thyron Elevator, den besten Absolventen seit Jahrzehnten. Deshalb machte es mich umso stolzer, dass ausgerechnet er mich damals ausgewählt hatte, um mein Mentor zu sein. Was mir zwar nicht immer Freunde eingebracht hatte, aber ich hatte jede Sekunde genossen, in der ich meinem Ziel nähergekommen war.

»Sie werden deine Entscheidung verstehen, wenn sie dich das erste Mal kämpfen sehen.«

»Also morgen.«

»Also morgen«, wiederholte er, während wir beide in die Ferne starrten. Dorthin, wo sich das dunkelblaue, weite Wasser des Pazifischen Ozeans erstreckte. In dessen finsteren Tiefen die Gefahr lauerte. Ein Graben, den zuvor nur ein Mensch lebend durchquert hatte und nach dem diese Stadt benannt war. Eloise Insua.

»Ob es jemals wieder jemand schaffen wird?«

»Mh?«

»Den Marianengraben zu durchqueren.«

»Die Frage ist, ob das jemand will.«

»Wie können wir sicher sein, dass diese Kreaturen von dieser Phantom-Insel stammen, wenn derjenige, der sie gesehen hat, ein seltsamer Wissenschaftler war und längst tot ist.«

»Ein seltsamer Wissenschaftler, der uns vor all dem beschützt hat«, gab Thy zu bedenken.

»Da hast du recht«, stimmte ich zu, denn hätte Eloise Insua damals nicht entdeckt, welche Gefahr der Menschheit drohte, wären wir nicht hier. Dann würden Thy und ich nicht die Kampfausrüstung der Lunar-Soldaten tragen. Und dann würde diese Stadt nicht in dem Glanz erstrahlen, wie sie es heute tat. Vermutlich würden wir genauso leben, wie die wandernden Vagabunden, die mitten in der Wüste, weit ab von Insua, ihre Lager aufschlugen. Ohne jeglichen technischen Fortschritt, ohne fließendes Wasser.

»Ich würde ihn durchqueren wollen«, sagte ich entschlossen und drückte das alte Buch fester an meine Brust. Es war eine alte Kindergeschichte, über Meermenschen, die sich an Land verwandeln konnten. Sie erinnerten mich ein wenig an die Lunkari, auch wenn diese einfach nur schwimmende, dunkle Monster waren. Aber sie reizten mich. Das Geheimnis, das ihre ganze Existenz umhüllte.

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Thy mir einen prüfenden Blick zuwarf. Eine seichte Brise ließ meine weißen Haare flattern und ich schmeckte die salzige Note des Meeres, die in der Feuchtigkeit der Luft lag. In den Höhen von Insua erlangte man die beste Gelegenheit, in diesen Genuss der Freiheit zu kommen. Deshalb verbrachte ich auch so gerne meine Zeit auf den gigantischen Brücken, die die verschiedenen Bereiche der Stadt miteinander verbanden. Auch wenn mich ein Fehltritt mein Leben kosten könnte.

»Ich glaube daran.«

»Was?« Überrascht wandte ich mich ihm zu und er lächelte mich liebevoll und bewundernd an. Sofort erfüllte mich eine Wärme, die mein Herz umarmte. Er war einer der herzlichsten und ehrlichsten Menschen, die ich kannte.

»Ich glaube daran, dass du es irgendwann schaffen wirst. Du bist verdammt gut. Wenn nicht sogar die Beste in den letzten zehn Jahren. Das wird sich heute noch herausstellen. Aber egal, ob du oder jemand anderes, heute dieses Zertifikat bekommt, du wirst es sein, die diesen Graben durchquert.«

»Thy«, hauchte ich völlig überrumpelt. Er war zwar ehrlich, aber so gefühlvoll hatte ich ihn noch nie gesehen. Seine freche Art, mit der er durch den Tag ging, versteckte sein Inneres, das, wie ich vermutete, noch so einige Wunden aufwies.

»Nein, bitte. Widersprich mir nicht. Nimm das Kompliment einfach an, okay? Ich habe dich nicht umsonst damals ausgewählt. Ich wollte dich trainieren und unter meine Fittiche nehmen, weil ich sehr viel Potenzial in dir gesehen haben und es immer noch sehe. Du musst nur etwas daraus machen. Und morgen bietet sich die erste Gelegenheit zu zeigen, dass du eine verdammte Kriegerin bist.«

Mir fehlten die Worte. Das Einzige, was ich tun konnte, war, ihm stürmisch um den Hals zu fallen und ihn fest an mich zudrücken. Um eine aufkommende Träne zu verstecken, vergrub ich mein Gesicht an seiner Halsbeuge.

Ein leichtes Beben erschütterte seinen Oberkörper, als er glücklich lachte. »Wow, wofür ist das denn?«

»Einfach so«, murmelte ich mit belegter Stimme. Seine Worte bedeuteten mir so unendlich viel. Auch wenn er oft mit Komplimenten um sich warf, waren diese Worte anders. Bedeutungsvoller. Sie glichen nicht seinen sonst so flapsigen Schmeicheleien bei anderen Frauen.

»Bevorstehendes Ereignis«, ertönte eine Stimme in meinem Kopf und ich tippte auf das Plättchen an meiner rechten Schläfe, um die Nachricht zu bestätigen.

Thy hatte dieselbe erhalten, sodass wir uns voneinander lösten.

»Wenn Knowing uns schon erinnert, sollten wir uns beeilen.«

»Da hast du recht.« Meine Hände ruhten noch eine Weile auf seinen Schultern, als ich die kleinen Lachfältchen um seine Augen ansah. Andere betrachteten ihn ehrfürchtig und neugierig. Ich jedoch fand ihn auf eine ganz besondere Art und Weise attraktiv, wenn auch nicht auf romantischer oder sexueller Ebene. Thy war eben Thy. Auf so viele verschiedene Arten.

»Treffen wir uns nachher vor dem Eingang?«, fragte er und fuhr sich durch seine blonden Haare.

»Wow, das klingt voll nach einer Einladung zu einem Date.« Ich machte gekünstelte Würgegeräusche, woraufhin er mich gegen den Oberarm boxte.

»Schon gut, schon gut. Natürlich treffen wir uns dort.« Ergeben hob ich die Arme. »Wenn du so weitermachst, dann kann ich den Einsatz morgen vergessen. Mit einem gebrochenen Oberarmknochen kämpft es sich schlecht.«

»Hör auf zu übertreiben, Elys.« Wir umarmten uns noch einmal zum Abschied und schon trennten sich unsere Wege. Ich ging in den östlichen Teil von Insua, Thy schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Ich schaute mich noch einmal kurz um, als er schon fast verschwunden war.

War ich wirklich die Kriegerin, für die er mich hielt? Konnte ich seine Erwartungen erfüllen?

Kapitel 2

Lass mich das machen.«

»Mom, ich bin 25 Jahre alt. Nicht fünf«, protestierte ich, doch im nächsten Augenblick hatte sie mir bereits die Bürste aus der Hand genommen, um mein langes Haar zu bearbeiten. Sofort schloss ich meine Augen, als eine Gänsehaut über meinen Rücken kroch, sobald die ersten Bürstenstriche getan wurden.

»Du bist viel zu angespannt. Ich mache das gerne. Egal, wie alt du bist.« Sie hatte recht. Mein Nacken tat seit Tagen weh, was ich dem täglichen Training in die Schuhe schob, dem ich mich selbst seit drei Wochen aussetzte. Mein Einstieg als vollwertige Lunar-Soldatin würde erst nach dem heutigen Fest des Mondes abgeschlossen sein. Erst dann war ich ein Teil dieser neuen Welt. Erst dann trainierte ich in der Basis des Lunation Military, die mein täglicher Arbeitsplatz werden würde.

»Ich brauche eher eine professionelle Ganzkörpermassage«, antwortete ich ächzend und kreiste mit den Schultern.

»Du verbringst zu viel Zeit mit dem Training.«

»Mom, nicht schon wieder diese Diskussion. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass mich nichts von meinem Plan abbringt.«

»Ich weiß, ich weiß«, murmelte meine Mutter traurig, während sie meine Haare seidig glatt bürstete. Die feinen Borsten glitten durch meine Haare wie durch Butter und ich fühlte mich sofort in die Vergangenheit zurückversetzt. Mom war immer so stolz auf meine Haare gewesen, dass sie ständig neue Frisuren ausprobieren wollte. Was mir ziemlich viel Aufmerksamkeit in der Schule beschert hatte. Doch heute war ich eine andere Person. Eine, die die Aufmerksamkeit anderer Menschen nicht mehr an sich heranließ. Ich war froh, dass ich zumindest einen Zopf binden konnte. Heute dachte ich praktisch. Nichts durfte mich beim Training oder während eines Einsatzes stören.

»Wird Dad es heute Abend zum Fest schaffen?«, fragte ich und schaute meine Mutter über die verspiegelte Wand an, vor der ich saß.

»Ich hoffe es. Er versucht alles, versprechen kann er es aber nicht.«

»Ist in Ordnung. Ich weiß ja, dass er viel zu tun hat. Und er kann sich die Abschlusszeremonie ja in den Nachrichten anschauen. Sie wird sicherlich wieder auf allen Kanälen übertragen.« Wie jedes Jahr, wenn neue Absolventen der Academy of Lunation Soldiers ihren Abschluss feierten. Dann gab es kein anderes Thema als das Fest des Mondes. Das Verrückte an der ganzen Sache war, dass die Menschen an diesem Abend ausgelassen feierten, als gäbe es die dunkle Bedrohung nicht, die ganz in der Nähe im Ozean lauerte. Schon am nächsten Tag würde die Welt stillstehen und Insua einer Geisterstadt gleichen. Ich hatte es jedes Jahr selbst miterlebt, gespannt das Fest beobachtet. All die lachenden Gesichter betrachtet und in ihnen die Angst gesehen, die sie ständig begleitete. Auch, wenn das Fest uns zeigen sollte, dass diese Stadt gegen alles gewappnet war, so erkannte ich jedes Jahr aufs Neue die Unsicherheit, die über allem thronte. Und die Frage, ob Insua die Vollmondnacht überleben würde.

»Kann sich Dad meinen Knowing noch einmal anschauen? Ich glaube, ein Knistern zu hören, wenn eine Nachricht eingeht«, wechselte ich ungeschickt das Thema, als ich sah, wie gedankenverloren Mom auf mein silbern schimmerndes Haar starrte und immer noch nicht dazu übergegangen war eine Frisur daraus zu machen.

»Aber sicher doch. Ein Knistern sagst du? Ich erinnere mich, dass Phillis in letzter Zeit öfter mit diesen Problemen zu tun hat.«

»Vielleicht ist wieder mal ein Update nötig«, riet ich. »Dad wird das sicherlich hinbekommen. Arbeitet er nicht gerade an einer neuen Version des ID-Chips?«

»Mh«, bestätigte Mom und fing an mein Haar seitlich an der Kopfhaut zu flechten.

»Er sagt, es wird eine neue Generation der Künstlichen Intelligenz und Knowing weit übertreffen. Ein Plättchen, das sich direkt mit dem Sehnerv verbindet.«

»Wow« Erstaunt hob ich die Augenbrauen. »Das klingt unglaublich.«

Mom lachte. »Auf jeden Fall. Ich habe erste Entwürfe gesehen, als ich ihn heute Morgen in seinem Büro aufgesucht hatte.«

»Und? Wie sah dieses…Ding aus?« Ich tippte auf meinen eigenen Knowing an meiner Schläfe, auf dem alle meine Erinnerungen gespeichert wurden. Was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden gegessen hatte, wo ich mich befunden hatte, welche Blutgruppe oder Sehstärke ich besaß. Alles befand sich auf diesem kleinen Plättchen. Und wurde direkt an Knowing Technicals übertragen, in dessen Institut sämtliche Daten aller Menschen von Insua ausgewertet wurden. Um Verbrechen zu vermeiden, hieß es.

»Es sah nach Nichts aus.« Mom grinste. »Einen Haufen Zahlen, die ich nicht verstehe und gefühlt tausend kleine Fädchen, die umherschwirren.«

»Das klingt ja vielversprechen.« Ich grunzte amüsiert. Mom arbeitete zwar ebenfalls im Institut, jedoch befand sie sich in einer anderen Abteilung, die weniger mit technischen Fortschritten zu tun hat. Ihre Leidenschaft bestand daraus den floralen Bestand der Stadt zu sichern. Als Kind hatte ich sie oft im botanischen Zentrum besucht.

»Ich habe gehört, dass sie die neue Technik als erstes bei den Lunar-Soldaten testen wollen.«

»An uns?« Mit großen Augen starrte ich Mom an, die meine geflochtenen Haare nun mit einem durchsichtigen Gummi zusammenband und den Rest offenließ. Sie legte ihre Hände auf meine Schultern und sah mich in der Spiegelwand an. In ihren Augen schimmerte die Sorge, die sie zwar versuchte zu verstecken, jedoch scheiterte.

»Vielleicht irre ich mich auch.«

»Das wäre doch super cool.«

»Das bedeutet aber auch mehr Kontrolle. Kontrolle über euch. Diese neue Technik hat Zugriff auf die Erinnerungen und soll sie wohl auch beeinflussen können.«

»Beeinflussen, du meinst…?« Ich drehte mich abrupt um.

»Erinnerungen können gelöscht oder hinzugefügt werden. Falsche Erinnerungen, die euer Handeln verändern würden.«

»Das wäre ja…völlig krank.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur sagen, was ich aufgeschnappt habe. Aber abwegig ist es nicht. Knowing Technicals sucht schon lange nach einem Weg, mehr Kontrolle über die Menschen zu haben. Das wäre der nächste Schritt.«

Ob all dieser technische Fortschritt wirklich so gut war? Ich konnte mich bisher nicht beschweren. Der Knowing an meiner Schläfe hatte mich so manches Mal an ein wichtiges Treffen erinnert oder mich viel zu oft an der Akademie geweckt, wenn ich wieder einmal drohte zu verschlafen. Oder mich vor einer Dummheit bewahrt, wenn die heimlichen Partys ausarteten und der Alkoholpegel in meinem Blut gefährlich anstieg. Doch, wollte ich, dass eine künstliche Intelligenz auf all meine Erinnerungen Zugriff hatte? Und diese beeinflussen konnte? Was wurde das mit uns während eines Einsatzes machen? Konnte man unsere Gefühle damit abstellen? Sodass wir zu tödlichen Maschinen wurden?

»Jetzt aber Schluss mit dem Thema. Heute ist so ein besonderer und schöner Tag. Lass uns heute Abend nur daran denken, was für eine wundervolle Tochter ich doch habe.« Ein dicker Schmatzer landete auf meiner rechten Wange, woraufhin ich mich angeekelt, aber auch amüsiert zur Seite drehte.

»Wenn du das heute beim Fest machst, bringe ich dich um. Und das kann ich auf hundertneununddreißig verschiedene Arten.«

Prustend brachen wir in lautes Lachen aus und die Anspannung fiel von mir ab. Das Gute war, dass ich mich nicht einmal um eine ordentliche Garderobe bemühen musste. Wir wurden dazu verpflichtet unsere schwarze Trainingsausrüstung zu tragen. Eine leichte Hose, deren Enden in knöchelhohen Stiefel verschwanden, ein langärmeliger Pullover, an dessen Ellenbogen normalerweise Schutzkappen waren, die wir aber heute Abend nicht brauchten. Und dünne lederne Handschuhe, die die Finger zur Hälfte bedeckten. Am Gürtel der Hose baumelten normalerweise diverse Schuss- und Nahkampfwaffen, doch zum Fest des Mondes legten wir sie ab. Es stand ganz im Zeichen des Friedens von Insua, auch wenn am nächsten Tag niemand mehr daran dachte und jeder sich in seinen Wohnungen verkroch, während die Lunar-Soldaten ins Meer abtauchten.

Ich sprach immer noch von den Lunar-Soldaten, als gehörte ich nicht dazu. So verrückt war der Gedanke, dass ich nun ein Teil dieser riesigen Organisation war. Ich trug maßgeblich dazu bei, dass diese Stadt einen weiteren Monat sicher geschützt war.

»Gehst du mit jemandem bestimmtes hin?«, fragte Mom, als ich mich meinem Zimmer zuwandte. Mit einem hydraulischen Surren öffnete sich die Tür, kaum hatte Knowing registriert, dass ich mich darauf zubewegte.

»Ich treffe mich mit Thy am Eingang der Akademie«, rief ich, als ich vor meinem Schrank stand und den Bereich öffnete, in dem die Farbe Schwarz dominierte. Ein und dieselbe Kleidung hing in mehrfacher Ausführung auf den Stangen. Meine Kampf- sowie Trainingsausrüstungen, die ich vor drei Wochen mit nach Hause nehmen durfte. Während der Ausbildung hatte ich an der Akademie gelebt, doch nun durfte ich mir aussuchen, wo ich wohnen wollte. Ich hatte mich vorerst dazu entschieden, zu meinen Eltern zu gehen, um mir in Ruhe eine eigene Wohnung zu suchen. Vielleicht entschied ich mich auch dazu, mit Yun zusammen zu ziehen, mit der ich auch ein Zimmer an der Akademie geteilt hatte.

»Thyron Elevator, also.« Der bedeutungsschwere Unterton in Moms Stimme entging mir nicht. »Jetzt, wo er nicht mehr dein Mentor ist, könntet ihr-«

»Nein, Mom«, fuhr ich dazwischen und streckte meinen Kopf nach hinten, um ihr einen finsteren Blick zuzuwerfen.

»Ich meine ja nur. Er ist anständig, hat eine erstrebenswerte Ausbildung gemacht, ist der beste Absolvent der Akademie und macht auf mich einen sehr vernünftigen Eindruck.«

»Ach so? Und nur, weil er deinen Ansprüchen eines perfekten Schwiegersohnes entspricht, muss ich ihn sofort heiraten?«

»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte sie und verschränkte bockig die Arme vor der Brust.

»Er ist mein Freund und Mentor und wird es immer bleiben. Mehr nicht. Ich suche mir meine Partnerschaften schon allein aus.«

»Entschuldige, so war das nicht gemeint. Ich finde ihn einfach nur sehr…«

»Schwiegersohn-geeignet?« scherzte ich und zog mir den dünnen Pullover über den Kopf, darauf bedacht, Moms Kunstwerk auf meinem Kopf nicht zu zerstören.

»Wer sagt, dass es ein Schwiegersohn sein muss? Warum nicht eine Schwiegertochter?«, gab ich zu bedenken.

»Das ist doch völlig egal. Das weißt du, und das haben dein Dad und ich dir immer gesagt.«

»Natürlich weiß ich das. Aber dann hör bitte auf, mir ständig potenzielle Partner vorzuschlagen. Ich bin alt genug, um selbst zu entscheiden, ob und mit wem ich Beziehungen eingehe.« Ich schloss die Tür des Schrankes mit meinem Fingerabdruck und setzte mich auf mein Bett, um mir die Schuhe anzuziehen.

»Thyron ist trotzdem toll«, murmelte Mom. Sie musste auch immer das letzte Wort haben, aber ich war ihr nicht böse. Ich wusste, dass sie nur versuchte, mir das bestmögliche Leben zu verschaffen, dabei vergaß sie manchmal, dass ich kein kleines Mädchen mehr war, das man in die richtige Richtung schubsen konnte.

»Und das…«, presste ich hervor, als ich in den zweiten Schuh schlüpfte, »kann ich nicht einmal bestreiten.«

Fertig angezogen stand ich in meinem Zimmer, schaute meine liebevoll dreinblickende Mutter an, die mich in meinem Outfit ansah, als wäre ich das schönste Wesen auf Erden. Tatsächlich fühlte ich mich auch so. Ein Blick in die verspiegelte Wand neben der Tür ließ mir kurz den Atem stocken.

Das war ich? Ich sah verdammt Badass aus. In diesem Moment fühlte ich mich, als könnte ich jeden Lunkari alleine töten. Als könnte mir keine Bedrohung und keine tödliche Gefahr etwas anhaben.

Ja, in diesem Augenblick sah ich die Kriegerin, für die Thy mich hielt.

Unberechenbar.

Unbesiegbar.

Elys Caster, die Lunar-Soldatin.

Kapitel 3

Überall glitzerte und schimmerte es. An jeder Straßenecke flatterten schwarze Fahnen mit einem silbernen Mond, in den die Initialen AOLS gedruckt waren. Das Wappen der Akademie. Heute Nachmittag hatte Insua noch keineswegs danach ausgesehen, als würde abends ein gigantisches Fest zum Abschluss der neuen Lunar-Soldaten stattfinden, doch jetzt strahlte die Stadt in einem silbernen Glanz, der mich jedes Jahr aufs Neue faszinierte. Und nun war ich ein Teil davon.

Für meine ehemaligen Mitschüler und mich wurde all dieser Aufwand betrieben. Weil man uns für unsere Arbeit, unseren Mut und unsere Opferbereitschaft danken wollte.

Dass schon am morgigen Tag vielleicht nur noch die Hälfte aller Absolventen leben würde, verdrängten die meisten Leute.

Und nicht nur das. Niemand wusste, mit welcher Macht die Lunkari aus dem Meer auftauchen würden. Jeden Monat aufs Neue zur Vollmondnacht krallte sich die tödliche Ungewissheit darüber, ob sie diese Nacht überleben würden, in jede einzelne Seele der Küstenstadt.

Doch bisher hatten die Lunar-Soldaten hervorragende Arbeit geleistet und jeden Angriff abwehren können. Dass nun ausgerecht am Tag vor dem neuen Vollmond die Abschlusszeremonie der Akademie stattfand, war ein reiner und doch unglücklicher Zufall.

Konnte ich mich überhaupt fallen lassen? War ich in der Lage dazu, all das harte Training der letzten fünf Jahre zu vergessen? Für einen Abend? Wenn ich doch morgen schon in den Anzug schlüpfen würde, der mich unter Wasser schützen sollte.

Ich war schon vorausgegangen und hatte Mom bei einer ihrer Kolleginnen gelassen, die ebenfalls dem Fest beiwohnte, weil einer ihrer Söhne mit mir den Abschluss gemacht hatte. Ich hatte mit Malik zwar nicht viel zu tun gehabt, wusste aber, dass er ein wirklich guter Kämpfer war, der seinem Gegner immer einen Schritt voraus war.

Mit einem breiten Grinsen erreichte ich das imposante Eingangstor der Akademie, an dem Thy mich schon erwartete. Seine grauen Augen leuchteten im Schein der unzähligen Lichter, doch das Feuer in ihnen loderte heller als jedes Licht.

»Scheiße, wie gut kann man bitte aussehen?« Er biss sich in seine geballte Faust, als er mich einmal von oben bis unten betrachtete.

»Halt die Klappe. So habe ich die letzten fünf Jahre ausgesehen.«

»Aber heute…« Er machte eine ausladende Bewegung, die meinen ganzen Körper einschloss. »Umwerfend.«

»Liegt vermutlich nur daran, dass meine Haare einmal nicht aussehen wie ein gerupftes Huhn«, scherzte ich und umarmte meinen Mentor herzlich.

»Das könnte sein. Deine Mom?«, fragte er, woraufhin ich nickte.

»Sie konnte es sich nicht nehmen lassen.«

»Es sieht fantastisch aus. Solltest du öfter tragen, ehrlich.«

»Schluss jetzt. Lass uns feiern«, wich ich seinem Kompliment erneut aus. Ich mochte es nicht, dass man mich auf mein Äußeres reduzierte. Auch wenn es von ihm nicht so gemeint war.

»Du kannst echt nicht mit Komplimenten umgehen, oder?«

»Wenn sie von dir kommen, nicht.«

»Au.« Gespielt legte er eine Hand auf sein Herz und tat so, als wären meine Worte ein scharfes Messer gewesen, dass ich ihm in die Brust gerammt hatte. Ich lachte bei seinem lächerlichen Anblick und schüttelte nur den Kopf. Dabei fiel mein Blick auf einen großgewachsenen Mann, der hinter dem geöffneten Eingangstor stand und uns beobachtete. Nein, er beobachtete mich. In jeder anderen Situation hätte ich es unheimlich gefunden, doch ich kannte den Lockenkopf. Es war der Direktor der Akademie. Professor Allister. Niemals verriet er seinen vollständigen Namen, um seine Privatsphäre zu schützen, wie er sagte. Aber ich wusste, dass er in sehr enger Verbindung zu Thy stand, daher wunderten mich die prüfenden Blicke nicht, mit denen er mich musterte, während mein Freund immer noch so tat, als hätte ich ihn schwer verwundet.

»Wieso musst du immer so kaltherzig sein.« Er grinste und rückte seinen schwarzen Pullover zurecht, der ein wenig hochgerutscht war und die kleine, dünne Linie aus Haaren an seinem Bauch freigab.

Ich hatte jedoch nur Augen für Professor Allister, der mir kurz zunickte und sich dann einem Gespräch zuwandte. Was sollte das denn eben?

Es kam mir so vor, als wollte er mich warnen, keine Dummheit zu begehen oder mir zeigen, dass er mich stets im Auge behielt. Keine Sorge, Professor, ich würde ihrem Schützling schon nicht den Kopf verdrehen, wenn es darum ging, ihnen näher zu kommen.

»Das frage ich mich auch immer. Schlimm, oder? Sie ist wie ein altes Toastbrot …ungenießbar«, erklang eine weibliche Stimme hinter mir, die ich sofort erkannte.

»Yun! Endlich jemand, der mich aus den Fängen, dieser emotionslosen Hexe erlöst.« Dankend umarmte Thy meine beste Freundin seit Kindheitstagen und klammerte sich an sie, als wäre sie sein rettender Anker. Ich hatte für dieses Schauspiel nur rollende Augen übrig.

»Hör auf zu übertreiben.« Ich riss ihn von ihr los, um sie selbst zu umarmen. »Schön, dass du es geschafft hast.«

»Hallo? Das ist meine eigene Abschlussfeier, die verpasse ich doch nicht.«

»Ich dachte nur, weil…«

»Meinem Onkel geht es gut. Ich habe ihn vorhin noch im Hospital besucht. Ich soll dich von ihm grüßen. Er wünscht uns ganz viel Spaß.«

»Schade, dass er nicht dabei sein kann. Ist deine Mutter wenigstens hier?«, fragte ich vorsichtig nach, da ich wusste, wie das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mom war. Angespannt war kein Ausdruck dafür.

»Ja, aber ich vermute, dass sie die ganze Sache mit einem guten Drink über sich ergehen lässt.«

»Und das sollten wir auch«, entschied Thy, der seinen Kopf Richtung Akademie streckte, wo poppige Musik erklang.

»Der Kommentar war echt unpassend«, zischte ich und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. Manchmal fragte ich mich, wer der Ältere von uns beiden war.

»Schon gut, Elys. Jeder weiß, dass meine Mom eine Alkoholikerin ist und sich keine Gelegenheit entgehen lässt, in aller Öffentlichkeit zu saufen.«

Ihre saloppe Wortwahl überraschte mich, denn Yun war stets bemüht, sich vom Ruf ihrer Mutter abzuheben und nicht als die ungehobelte Tochter einer versoffenen Frau zu gelten. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie diese ganze Angelegenheit so locker nahm. Gerade, weil sie im Moment auf sich allein gestellt war.

»Dann grüß Jeremias zurück, wenn du ihn das nächste Mal besuchst. Ich hoffe, er kommt schnell wieder auf die Beine. Die Verletzung, sah ja wirklich übel aus.«

»Mache ich.« Sie drückte mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und hakte sich bei mir unter.

»Wann beginnt die Rede vom Direktor?«

»In einer halben Stunde«, antwortete ich.

»Bleibt noch Zeit, die anderen zu suchen.«

»Ich muss mich von euch verabschieden.«

»Was? Ich dachte, wir bleiben zusammen.« Überrascht betrachtete ich Thy, der anscheinend jemanden in der feiernden Masse entdeckt hatte.

»Das werden wir auch. Aber ich muss da noch etwas klären, okay? Bin spätestens zur Rede wieder bei dir, Schätzchen.« Er drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Oder hältst du es nicht so lange ohne deinen wunderbaren und verdammt gutaussehenden Mentor aus?«

»Verschwinde!« Ich schubste ihn, woraufhin er sich lachend umdrehte und verschwand.

»Er steht total auf dich.«

»Bitte?« Entgeistert starrte ich Yun an, die abwehrend ihre Hände hob.

»Ich sag nur, was alle anderen denken. Und, was offensichtlich ist.«

»Nicht du auch noch«, stöhnte ich und schlug die Hände über meinen Kopf zusammen.

»Hab ich etwas Falsches gesagt?«, rief sie mir hinterher, als ich ohne Weiteres durch das Eingangstor ging.

»Ich brauche jetzt was zu Trinken!«, sagte ich so laut, dass sich einige der Besucher zu mir umdrehten. Sofort steckten sie ihre Köpfe zusammen, als sie Yun und mich in unserer schwarzen Kleidung sahen. Respektvoll lächelte man uns zu, auch wenn sie sofort anfingen zu tuscheln.

***

»Eröffnungsrede auf dem Hauptplatz der Academy of Lunation Soldiers startet in fünf Minuten«, erklang die weibliche Stimme von Knowing in meinem Kopf. Ich bestätigte den Eingang der Nachricht mit einem Tippen gegen das kleine Plättchen und schaute mich, den Kopf reckend, um. Alle Absolventen hatten sich bereits versammelt und standen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, in einer Reihe auf dem beleuchteten Podest. Ich spürte die Nervosität und die Aufregung der anderen, doch ich hielt Ausschau nach Thy, der eigentlich auf der anderen Seite des noch leeren Rednerpultes bei den Mentoren stehen sollte.

Doch ich entdeckte ihn nicht. Wo war er? Und mit wem hatte er noch etwas klären wollen? Ein ungutes Bauchgrummeln erklang. Vermutlich hatte ich nur Hunger und der Duft nach frittiertem Essen und exotischen Küchlein benebelte meinen Verstand. Er würde schon rechtzeitig auftauchen, er war sonst immer zuverlässig und pünktlich.

»Mann, ist das aufregend«, murmelte Yun neben mir. Wir standen in der ersten Reihe und hatten den perfekten Blick auf die Menschenmasse, die immer weiter wuchs. Gefühlt war ganz Insua anwesend, um das Fest des Mondes auf dem Hauptplatz der Akademie zu feiern. Doch in der gesamten Stadt fanden heute Abend zahlreiche Veranstaltungen statt. Überall wurde gegessen, getrunken, gelacht und getanzt.

Melodische und dramatische Musik erklang, als die Lichter gedimmt wurden und nur ein einziger Strahl das Podest beleuchtete, auf dem wir standen. Er blendete mich so sehr, dass ich kurz meine Augen zusammenkniff und kaum ein Gesicht in der Menschenmasse ausmachen konnte. Doch ich wusste, dass Mom dort unten stand und vor Stolz zu platzen drohte.

»Der Direktor der Academy of Lunation Soldiers. Professor John Allister.« Tosender Applaus hallte von den Wänden der Akademie wider. John, also. Wieso entschied der Professor sich ausgerechnet jetzt dazu, seinen Vornamen preiszugeben? Immerhin war es ein stinknormaler Name.

Der Mann, der mich noch vor einer halben Stunde misstrauisch betrachtet hatte, trat an das Rednerpult. Mein Blick wanderte suchend auf die andere Seite und fanden endlich Thys blondes Haar. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, doch er lächelte mich nur überglücklich an, als hätte er schon die ganze Zeit dort gestanden.

»Wehrte Bewohner von Insua«, donnerte die tiefe und warme Stimme des Professors über den ganzen Platz. Seine Rede wurde auf allen Kanälen übertragen, sogar auf den riesigen Leinwänden und Bildschirmen in der Stadt. Ganz Insua wurde vom Klang seiner Stimme erfüllt. Alle wurden ganz still und lauschten nur noch den Worten des Direktors.

Ein Kribbeln machte sich in mir breit, mein Herz pochte aufgeregt, denn nun wurde mir bewusst, dass es absolut kein Zurück mehr gab. Sobald diese Nacht vorbei war, war ich eine Soldatin.

»Wieder einmal hatte ich die Ehre, so talentierte, junge Menschen in meiner Akademie ausbilden zu dürfen.«

Was im Grunde gelogen war, denn die Idee zu der Akademie stammte nicht von ihm.

»Dank unseres ehrenwerten Gründers, Eloise Insua, stehen wir nun hier. Er hat uns vor einer dunklen Bedrohung geschützt und dafür sind wir ihm ewig dankbar.«

Zustimmendes Gemurmel erklang aus den Reihen der Zuschauer. Ich scannte jeden Zentimeter, zumindest soweit, wie es das blendende Licht ermöglichte. Aber ich erkannte mit welcher Neugier die Absolventen betrachtet wurden. Und doch schimmerte in jedem Augenpaar die Trauer und auch die Angst vor dem morgigen Tag.

»Seit mehr als fünfzig Jahren bringt die Akademie starke und mutige Menschen hervor, die ihre Leben für die der ganzen Stadt riskieren. Um uns alle zu beschützen. Um den Frieden zu wahren.« Professor Allister schaute von den Zuschauern auf den Bildschirm auf dem Rednerpult. Es schien, als würde er über seine nächsten Worte nachdenken, überlegen, ob er sie aussprechen sollte. Die Rede war nichts Neues. Seitdem Allister Direktor der Akademie war, trug er sie Jahr für Jahr vor. Doch nun wirkte es, als stockte er bei dem, was er vorlesen wollte. Oder musste.

Ich schielte zu ihm hinüber. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, was entweder von der Wärme der unzähligen Lampen kam, oder von Nervosität zeugte.

»Ich…« Der Professor räusperte sich und tippte unsicher auf dem Bildschirm herum. Was war los?

Getuschel breitete sich unter den Zuschauern aus, es wurde geflüstert, einzelne Worte gerufen, die ich nicht verstehen konnte. Allister jedoch machte den Eindruck, als hätte er völlig vergessen, wo er war.

»Professor?« Meine Augen huschten zu Thy herüber, der sich mit besorgtem Gesichtsausdruck dem Direktor zuwandte, ohne seinen Platz zu verlassen.

»Bitte?« Allister sah auf. Seine Augen suchten die Umgebung ab, als wäre er auf der Flucht vor einer Gefahr. Verdammt, was ging hier ab? Der sonst so reservierte Mann kam völlig aus dem Konzept. Wieder betasteten seine Hände den Bildschirm, auf dem normalerweise die Rede abgebildet war, doch dieses Mal wischte er fahrig darauf herum.

»Geht es Ihnen gut, Professor?«, fragte Thy erneut. Die Absolventen auf meiner Seite steckten bereits die Köpfe zusammen. Sätze wie „alter Mann“, „sollte lieber abtreten“ oder „ich wusste schon immer, dass er seltsam ist“, fielen, doch ich glaubte nicht daran, dass Allisters Aussetzer etwas mit seinem Alter zu tun hatte. Zumal er nicht älter als fünfzig war.

»Mir geht es gut. Danke der Nachfrage. Wo war ich stehengeblieben? Ah ja, bei unseren wunderbaren Absolventen, wegen denen wir überhaupt hier sind.« Ein gekünsteltes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, erreichte jedoch nicht seine Augen. Was mich nicht verwunderte. Selten sah man den Direktor überhaupt eine Regung zeigen.

Kaum ging Allister wieder zur normalen Tagesform über, entspannte sich auch die Menschenmasse auf dem Vorplatz der Akademie. Was immer gerade passiert war, das war eindeutig nicht normal. Was hatte den Direktor so aus dem Konzept gebracht?

Die Rede wurde fortgeführt, doch ich hörte nicht mehr hin. Meine Augen hefteten sich an meinen besten Freund, der zwar stolz und stramm stand wie ein Soldat, sein Kinn leicht erhoben, jedoch die Sorge in seinen Augen nicht verbergen konnte. Immer wieder huschte sein Blick zum Direktor. Ich konnte seine Besorgnis nachvollziehen, der Professor war im Moment das, was einem nahen Angehörigen gleichkam. Wenn mein Vater so ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legen würde, würde ich mir ebenfalls den Kopf darüber zerbrechen.

Tosender Applaus ertönte, als Allister seine Rede beendete. Niemand schien sich mehr für den kleinen Aussetzer zu interessieren.

Der Professor wurde von einer Frau in einem dunkelblauen, engen Anzug abgelöst, deren schwarze Haare so streng nach hinten gebunden waren, dass man glauben konnte, sie liftete damit ihr Gesicht. Mit monotoner Stimme las sie die Namen der Absolventen vor, die nacheinander nach vorne traten, um sich ihr Zertifikat abzuholen. Ein Anstecker in Form eines Mondes mit den Initialen der Akademie. Gleichzeitig wurde der Knowing an ihrer Schläfe geupgradet, sodass jeder den Status eines Lunar-Soldaten erhielt.

Als Yun an der Reihe war, quietschte sie euphorisch, riss sich aber zusammen, nicht in Ekstase auszubrechen, als ihr der Anstecker an ihr Oberteil geheftet wurde. Mit einem breiten Grinsen, das vermutlich noch über den Pazifisches Ozean zu sehen war, reckte sie stolz ihr Kinn. Unseren Mentoren wurde die Ehre zuteil, die Anstecker zu übergeben, denn durch sie hatten wir an der Akademie überhaupt so weit kommen können.

»Elys Caster«, erklang die ziemlich gelangweilte Stimme der streng dreinblickenden Anzugträgerin. Ich realisierte erst, dass ich an der Reihe war, als ich Thy aus der Reihe der Mentoren treten sah. In diesem Moment wünschte ich mir, die Zeit würde stehen bleiben.

Meine Güte, sah er schon immer so…attraktiv aus? Er betrachtete mich mit einem leichten Lächeln, das er nur wenigen Menschen schenkte. Verschwunden war die Überheblichkeit, der Schalk, der ihm ziemlich tief im Nacken saß. Seine Augen schimmerten vor Stolz, Zuneigung und Liebe.

Ich schluckte. Egal, wie oft er schon versucht hatte, mit seinem Charme bei mir zu landen, der Augenblick, als ich mich in Bewegung setzte und nach vorne trat, veränderte etwas zwischen uns. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen.

»Da wären wir«, murmelte Thy etwas schüchtern, als er vor mir aufragte wie ein Riese. Plötzlich fühlte ich mich wie am ersten Tag an der Akademie, als er mich als seine Schülerin erwählt hatte. Damals wusste ich noch nicht, welche großartigen, aber auch kräftezehrenden Erfahrungen ich sammeln würde.

»Ja«, hauchte ich nervös. Mein Herz pochte so stark, dass man es sicherlich an meiner Halsschlagader sehen konnte. Was Thy sichtlich zu amüsieren schien.

»Ich fühle mich geehrt, dass du so nervös in meiner Anwesenheit bist.« Schmunzelnd nahm er den silbernen Anstecker von dem schwarzen Samtkissen und nestelte am Stoff meines Oberteils herum.

»Halt die Klappe«, erwiderte ich nur noch nervöser, als die Wärme seiner Hände meine Haut erreichte. Fuck, was war das denn bitte? Er und ich waren uns in den letzten fünf Jahren oft verdammt nahegekommen, jedoch nur beim Training. Und kaum war er nicht mehr mein Mentor, gerieten meine Gefühle durcheinander?

Ich wusste, dass meine Mom in diesem Moment vermutlich vor Stolz und Euphorie platzte. In Gedanken läuteten bei ihr schon die Hochzeitsglocken.

Ein warmes Lachen drang aus Thys Kehle, das mir eine angenehme Gänsehaut über den Körper schickte.

»Damit ernenne ich dich zur vollwertigen Lunar-Soldatin von Insua.« Ein Standartsatz, den jeder Mentor zu seinem Schützling sagte, doch Thy konnte es sich nicht nehmen lassen, es wie eine Verführung klingen zu lassen. Wieder stolperte mein Herz, als seine grauen Augen erst meine suchten und dann kurz über meine Lippen huschten. Schnell und doch lange genug, um die Begierde in seinen Augen nicht verstecken zu können.

»Danke«, hauchte ich. »Für alles.«

Seine Lippen zuckten und er nickte mir zu, als er sich einen Schritt von mir entfernte. Mein Körper schrie nach seiner Nähe.

Kapitel 4

Ich brauche noch so Einen.« Mit angewidert verzerrtem Gesicht knallte ich das Shotglas auf den Tresen der Bar. Davor breitete sich eine riesige Tanzfläche aus, auf der gefühlt ganz Insua die wildesten Bewegungen vollführte.

»Sicher? Das wäre dein Sechster.«

»Quatsch nicht, mach das Glas einfach voll, okay?« Ich hielt dem Barkeeper meine Schläfe hin, damit er meinen ID-Chip registrieren konnte und Knowing die Information bekam, dass ich mich soeben nach allen Regeln der Kunst abschoss.

Die Situation mit Thy, … ich wollte sie auf meine Art und Weise vergessen und wenn das bedeutete, dass ich wahllos Alkohol in mich kippen musste, dann entschuldigte ich mich nicht dafür.

Auch wenn ich wusste, dass dieses Verhalten niemals von den Ausbildern der Academy of Lunation Soldiers geduldet worden wäre, aber ich war keine angehende Lunar-Soldatin mehr. Ich war eine!

Dieser Gedanke ließ mich erneut das kühle Glas an meine Lippen setzen und die blaue, glitzernde Flüssigkeit in meinen Rachen kippen. Teufelszeug, aber es tat, was es sollte. Nämlich die Stimmen in meinem Kopf ausschalten, die mich daran erinnerten, dass ich morgen meinem Tod entgegenblicken würde.

Das aller erste Mal. Und niemand wusste, ob ich die Vollmondnacht überleben würde.

»Pfui, wer hat das nur erfunden?«, fragte ich mich selbst, was der schwarzhaarige Barkeeper zum Anlass nahm, mir zu antworten.

»Der Direktor höchstpersönlich.«

Ich prustete. »Bitte was? Du willst mich verarschen? Der Professor kann nicht einmal seine Miene zu einem Lächeln zwingen und du willst mir weis machen, dass er der Erfinder eines alkoholischen Getränks ist?«

Daraufhin zuckte er nur mit den Schultern und wandte sich einem neuen Gast zu.

»Ich glaub´s ja nicht«, stöhnte ich und rieb mir über die müden Augen.

In diesem Moment erklang ein herzhaftes Lachen von der Tanzfläche, das sofort Wärme durch meinen Körper schießen ließ. Das lag am Alkohol, ganz sicher.

Meine Augen fokussierten den Ursprung der Stimme, die keinem Geringeren als Thyron Elevator gehörte.

Meinem Mentor.

Ehemaligen Mentor, erinnerte mich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf, wobei sich mein Herz etwas zusammenzog. War ich nicht gerade dabei, seinen sehnsuchtsvollen Blick von vorhin zu vergessen? Doch nun kribbelte es in meinen Fingern.

Ich wollte diejenige sein, die mit schwingenden Hüften und wippenden Haaren an seiner Seite tanzte als gäbe es kein Morgen. Ich wollte diese rothaarige Schönheit sein, die ihm verheißungsvolle Blicke zuwarf, während er mit den Gedanken woanders zu sein schien.

Auch wenn er herzhaft lachte, so erreichte es nicht seine Augen. Ich hatte viele Jahre mit ihm verbracht. War wochenlang nur mit ihm zusammen gewesen. Ich wusste, wann er ehrlich war und wann sein Gesicht nur den Schein wahren wollte.

Für einen kurzen Moment war ich nüchtern, die Welt um mich herum blendete ich aus und sah nur den Mann dort auf der beleuchteten Tanzfläche. Die blauen und weißen Lichter, die abwechselnd aufblitzten, ließen seine grauen Augen immer wieder funkeln.

Ich sah nur ihn.

Ich sah nur Thyron, dem ich zu verdanken hatte, dass ich eine Lunar-Soldatin war. Als würde er meinen Blick spüren, wandte er seinen Kopf zu mir um, während er immer noch mit der Rothaarigen tanzte.

Die Zeit blieb stehen.

Mein Herz setzte aus und es gab nur mich und ihn in diesem Moment. Auch wenn uns mehrere Meter trennten, so fühlte sich diese Nähe enger an als je zuvor.

Nicht schon wieder dieser Blick, dachte ich, als seine Augen meine fanden. Er musste gewusst haben, dass ich dort an der Bar stand.

Gut, ich war mit meiner Größe und den weißblonden Haaren, von denen andere immer behaupteten sie leuchteten, wenn das Mondlicht darauf fiel, nicht zu übersehen.

Es kribbelte überall in meinem Körper, auf meiner Haut. Ich versteifte mich, als Thy mir zulächelte. Denn in diesem Lächeln lag so viel Trauer, so viel Leid, dass es mich schockierte.

Dachte er gerade daran, dass ich in wenigen Stunden in das dunkle Wasser des tiefen Ozeans tauchen und vielleicht nie wieder an Land kommen würde? Er hatte es geschafft, jedes Mal aufs Neue. Er hatte mir immer wieder gesagt, dass ich stärker und cleverer war als andere Absolventen. Dass ich Geschichte schreiben könnte. Wie auch immer er das meinte.

Natürlich steckte auch in mir die Angst, gleich bei meinem ersten Einsatz ums Leben zu kommen. Jeder spürte diese Angst.

Als ich zu einem Lächeln ansetzen wollte, beschloss die Rothaarige zum Angriff überzugehen und warf sich Thyron an den Hals. Ihre Arme schmiegten sich an seinen Nacken.

Ich schaute sofort weg, um mir den Anblick zu ersparen, doch ich spürte, dass er seinen Blick nicht von mir abwenden konnte. Selbst dann nicht, als ich aus dem Augenwinkel erkannte, wie er von der Fremden geküsst wurde.

Ich beschloss aus der Situation zu fliehen und mich auf die Suche nach Yun zu machen, die sich nur etwas zu Essen besorgen hatte wollen.

Das Problem dabei war, dass Yun niemals nur etwas holen konnte, ohne auf zwanzig Personen zu treffen, von denen sie sich in ein Gespräch verwickeln ließ. Diese Frau kannte einfach zu viele Leute.

Mein Bauchgefühl hatte Recht und ich fand meine beste Freundin in einer der Lounges. Weiße, sterile Sitzmöglichkeiten waren zu Halbkreisen aufgestellt. Zahlreiche LEDs beleuchteten den Boden und warfen ein gemütliches Licht auf die Personen, die sich dort zusammenfanden, um zu erzählen, zu trinken und den Abend zu genießen.

Der Vorplatz zur Akademie war riesig und mit vielen kleinen Grünflächen bestückt, in deren Bäumen nun Lichterketten hingen, die sich über den gesamten Platz ausbreiteten.

Als ich mich von der großen Tanzfläche fortbewegte, folgten mir unendlich viele heimliche Blicke. Nicht nur Absolventen der AOLS schauten mich an, sondern ganz besonders Gäste der Abschlusszeremonie. Als Schützling des besten Soldaten der Akademie war ich von Anfang an ein Blickfang und gefundenes Fressen gewesen. Und nun erwartete man von mir, dass ich in die Fußstapfen von Thyron Elevator, wenn nicht sogar in die des Gründers von Insua trat.

»Warum wundert es mich nicht, dich hier zu finden?«, rief ich zu Yun hinüber, die sich mit einem Jungen aus dem Jahrgang unter uns unterhielt.

»Elys!« Sie sprang auf, um zu mir zu kommen, doch ich hatte sie bereits erreicht.

»Meine Güte, wieviel hast du getrunken? Du stinkst wie ein Spirituosenladen.«

»So viel nun auch wieder nicht, du übertreibst«, wehrte ich ihre Anschuldigungen ab.

Daraufhin warf sie mir nur einen bedeutenden Blick zu und hob ihre linke Augenbraue.

»Ja okay, vielleicht habe ich den ein oder anderen Shot zu viel getrunken. Was tut das zur Sache?«

»Es könnte dein Leben bedeuten.«

Ich starrte sie an. Diese Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme, ohne jeden Scherz, ohne diese Leichtigkeit, die sie sonst ausstrahlte, machte mir bewusst, in welcher Situation wir steckten.

Wir feierten unseren Abschluss, aber auch unseren bevorstehenden Tod.

»Das ist übrigens Hayden. Wir hatten die gleiche Mentorin«, überging sie ihren eigenen Kommentar und stellte mich dem Kerl vor, der sich von der Lounge erhob.

»Ich bin-«

»Elys Caster. Ich weiß. Du hast so ein Glück, dass Thyron Elevator dein Mentor ist.«

»War«, korrigierte ich. »Und ja, ich bin auch ziemlich froh, dass er mich damals als seinen Schützling erwählt hat.« Ich kicherte. Ich kicherte! Verdammte Scheiße!

Selbst Yun schien von meiner Reaktion überrascht zu sein. Ich war keine Frau, die kicherte. Vielleicht hätte ich mir den letzten Shot nicht bestellen sollen. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Oder Frau…was auch immer.

Sie hob nur ihre Augenbraue, da ich ihr soeben bewiesen hatte, dass sie mit ihrem Kommentar sowas von Recht hatte. Aber warum zum Henker musste ausgerechnet Professor Allister so ein Getränk erfinden.

»Hayden hat mich gerade gefragt, ob ich schon aufgeregt sei wegen morgen«, quatschte Yun munter darauf los, natürlich nicht ohne mir noch einen vielsagenden und strafenden Blick zu zuwerfen.

Ja ja, ich weiß ja schon. Wollte ich ihr am liebsten sagen, doch verkniff mir meine Worte. Die Situation war schon unangenehm genug für mich.

Verdammt, ich war Elys Caster. Hayden hatte es soeben gesagt, als wäre ich eine Sensation. Jemand, den man kennen musste. So vieles stand auf dem Spiel.

Mein Leben stand auf dem Spiel, wenn ich mich noch weiter gehen ließ.

»Und? Bist du es?«, fragte ich sie stattdessen.

Yuns Mund verzog sich zu einem verschmitzten Grinsen. Sie lehnte sich zu Hayden hinüber und murmelte so laut, dass ich es hören konnte: »Ich verrate dir mal was. Alle sind so aufgeregt, dass sie sich in die Anzüge pinkeln. Nur sieht es keiner, sobald wir im Wasser sind.« Da ich sie kannte und wusste, dass sie sich ebenfalls den ein oder anderen Cocktail gegönnt hatte, überraschte es mich nicht, dass sie ebenfalls anfing zu kichern. Vielen Dank auch. Mir Vorwürfe machen, dass ich meinen vielleicht letzten Abend auf dieser Erde mit einem guten Getränk ausklingen ließ, aber selbst nicht besser sein.

Ich ignorierte diese Tatsache und stimmte in ihr Gelächter mit ein.

Hayden schaute uns etwas verdutzt an, entschied sich jedoch dazu, sich ein Lächeln abzuringen.

»Und das Beste ist, die Pisse kann nicht einmal herausfließen, weil die Anzüge wasserdicht sind!«, prustete ich und hielt mir den Bauch vor Lachen.

Die Situation war absolut nicht lustig, das war sowohl Yun als auch mir klar. Wir übertrieben maßlos und verherrlichten die Sachlage.

Ich bemerkte, dass Hayden nicht mehr grinste und uns nur noch ausdruckslos ansah. Ich warf meiner besten Freundin einen warnenden Blick zu.

»Wir haben vielleicht etwas übertrieben«, versuchte ich die Situation zu retten. Nie wieder Alkohol, ich schwor es mir. Der Druck lastete so schwer auf meinen Schultern, dass ich es versuchte ihn mit Humor zu übertünchen.

Was leider weniger gut gelang.

Yun räusperte sich.

»Das war natürlich nur ein Scherz. Niemand pisst sich ein. Aber ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass uns der Arsch auf Grundeis geht.«

Plötzlich veränderte sich die Stimmung zwischen uns. Ich hatte das Gefühl, dass das Licht um uns herum sich verdunkelte. Dass die Luft stickiger und dünner wurde. Dass sich mein Hals zusammenzog.

Mir ging nicht nur der Arsch auf Grundeis. Ich hatte eine scheiß Angst. Ich hatte eine scheiß Angst zu sterben. Auch wenn ich all die Jahre so sehr dafür gekämpft hatte, ein Teil des Lunation Military zu sein.

»Ja, da hast du vollkommen Recht. Einem wird erst bewusst, in welch tödlicher Lage man sich befindet, wenn man dieses Teil an der Brust trägt.« Ich zeigte auf den Anstecker an meinem schwarzen Oberteil.

»Das Anbringen des Steckers schmerzt zwar nicht, aber die Last unter der man dann lebt, erdrückt einen umso mehr.«

Ich sah, wie jegliche Freude und Neugier auf Haydens Gesicht verschwand. Ich konnte einem angehenden Absolventen dabei zu sehen, wie sein Leben vor seinen Augen ablief. Erst dann wurde mir bewusst, welche Tragweite meine Worte hatten.

Eine unangenehme Stille breitete sich aus.

»Aber, was tut man nicht alles, um die Heimatstadt vor gefährlichen und tödlichen Kreaturen zu schützen.« Yun setzte ein freundliches Lächeln auf, doch es erreichte ihre Augen nicht. »Ohne uns würde Insua schon lange nicht mehr existieren.«

»Richtig«, stimmte ich ihr zu.

Im selben Moment ertönte ein Knall und wir zuckten alle drei erschrocken zusammen.

Mein Kopf ruckte nach oben, doch ich spürte Haydens Blick immer noch auf mir. Waren wir zu gemein? Nein, wir waren nur ehrlich gewesen, als wir von der Last sprachen, die uns alle zu erdrücken drohte. Von der Gefahr, die von allen Seiten ausging. Von der Tatsache, was eigentlich hinter der Ausbildung an der AOLS steckte. Wir waren geschaffen, um zu töten.

»Das Feuerwerk«, quiekte Yun erfreut und packte meinen Arm. »Komm, lass uns schnell auf die oberste Plattform gehen. Von dort haben wir die beste Sicht auf das Spektakel.«

Ich warf Hayden noch einen prüfenden Blick zu, doch er beachtete mich nicht. Er schaute nicht einmal zu den bunten Lichteffekten am Himmel, die lautstark von den Gästen der Feier bejubelt wurden.

Er starrte nur auf seine Hände in seinem Schoß, als könnte er dort die Erlösung von allem finden. Als läge dort die Antwort auf all die Probleme, die noch auf ihn zukommen würden.

Ich wollte mich von Hayden verabschieden und ihm sagen, dass er sich nicht den Kopf über alles zerbrechen und die Party genießen sollte, doch Yun zerrte an meinem Arm und drängelte sich bereits durch die Menschenmenge. Wie konnte eine so kleine Person nur so viel Kraft besitzen?

Sie war exzellent im Krafttraining und im Nahkampf. Sie wusste, wie sie ihren kleinen, zarten Körper richtig einsetzen musste, um ihren Gegner innerhalb weniger Sekunden außer Gefecht zu setzen. Dafür hatte ich sie immer bewundert und war auch oft neidisch gewesen.

Nun hoffte ich, dass sie niemals den Lunkari so nahekommen musste, dass es von Nöten wäre, diese Fähigkeiten einzusetzen. Denn wir bekämpften die Kreaturen zunächst mit elektromagnetischen Partikelschusswaffen unter Wasser, die bisher immer Erfolg gezeigt hatten.

»Nun komm schon. Ich will das Finale nicht verpassen«, drängte meine beste Freundin und zog mich geradewegs über die Tanzfläche. Auf der wir natürlich Thy und seiner rothaarigen Verehrerin über den Weg liefen.

»Hey, ihr wollt doch nicht etwa ohne mich verschwinden?«, protestierte er. Ungewollt vermied ich es ihn anzusehen. Ich hatte Angst, ein weiterer Blick von ihm könnte etwas in mir auslösen, das ich niemals zulassen wollte.

»Als ob! Jetzt fängt die Party doch erst richtig an. Wir wollen auf die oberste Plattform. Kommst du mit?«

Ich hätte Yun für diese Frage schlagen können, beherrschte mich jedoch und schaffte es tatsächlich zu lächeln, als mein Blick auf Thys traf, der mich natürlich anschaute.

»Wenn ihr mich dabeihaben wollt. Natürlich gerne.« Ich wusste sofort, dass diese Frage nicht uns galt, sondern einzig und allein mir. Seine grauen Augen schimmerten im Mondlicht, dass beinahe heller war, als die künstliche Beleuchtung der Stadt.

»Sehr gerne sogar«, rutschte es mir heraus, bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte. Yun bemerkte sofort, dass hier etwas nicht stimmte und räusperte sich.

»Ja gut«, sagte sie gedehnt. Im Augenwinkel sah ich, wie sie zwischen Thy und mir hin und her sah.

»Und du?«, richtete sie sich an die Rothaarige, die etwas verdattert neben uns stand und nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte.

»Bist du eine Schülerin? Denn nur Schüler dürfen die heiligen Hallen der AOLS betreten. Und ganz besonders die oberste Plattform. Die ist echt richtig besonders, weißt du?«, schnatterte meine beste Freundin drauf los, während mein Herz beinahe zersprang und Thy mich immer noch ansah, als wäre ich ein nach ewiger Suche gefundener Schatz.

Ich hörte nur, wie die Fremde Yuns Frage verneinte.

»Dann hat sich das ja geklärt. Können wir dann bitte gehen? Flirten könnt ihr später noch. Ich will oben sein, bevor die Lichter aus sind.« Sie zupfte drängend an meinem Ärmel.

»Bitte?«, stotterte ich verdutzt. »Ach so ja, auf geht’s. Das Feuerwerk wartet nicht auf uns.«

»Das sage ich doch schon die ganze Zeit«, murrte sie und rollte mit den Augen, als ich mich von Thy losriss und ihr folgte.

Mein ehemaliger Mentor verabschiedete sich nur knapp von seiner neuen Bekanntschaft und folgte uns in die Akademie.

Dieser Abend war so anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Es passierten Dinge, die ich all die Jahre der Ausbildung erfolgreich von mir ferngehalten hatte. Und nun stürzte alles auf mich ein.

Hoffentlich hielt ich dem stand. Hoffentlich endete diese Nacht nicht in einer unerwarteten Katastrophe.

Kapitel 5

Über unseren Köpfen erstreckte sich die gigantische Brücke. Die Brücke, auf der ich am Mittag noch meine Beine über dem Geländer hatte baumeln lassen.

Die blauen, elektrischen Lichtströme surrten neben den hohen Mauern der Akademie, die auf einer Erhöhung stand. Von der obersten Plattform aus, konnte man über die ganze Stadt blicken und sogar weit über ihre Grenzen hinaus.

Der Wind peitschte meine Haare nach hinten, die wie ein weißer Schleier in meinem Nacken wirbelten. Hier oben war die Luft klarer und reiner als unten. Obwohl in der ganzen Stadt Unmengen an CO2-armen Plätzen geschaffen worden waren, deren Vegetation tagsüber wie helle Flecken leuchteten, fiel das Atmen hoch oben über der Stadt leichter.

Vielleicht lag es auch daran, dass ich mich hier freier fühlte und nicht mehr das Gefühl hatte, dass die Enge der Stadt mich erdrückte. Je tiefer man Richtung Erdboden kam, umso dichter standen die Häuser.

Warf man einen Blick hinunter, erkannte man entfernt die Lichter der Kraftstofffahrzeuge, die auf asphaltierten Straßen fuhren.

Dort unten, kaum erreichbar für das menschliche Auge, lebten die Menschen noch wie vor fünfzig Jahren. Es gab dort keine Flower, nur stinkende Abgase. Selten traute sich einer der Bewohner nach oben zu uns, da sie das Leben, wie wir es führten, verabscheuten.

Ich richtete meinen Blick vom Ozean hinaus aufs weite Land, das von Trockenheit gezeichnet war. Das Mondlicht war bereits so hell, dass es ein Leichtes war, die wenigen, halb zerfallenen Häuser zu erkennen, die fehl am Platz wirkten. Dunkle, geisterhafte Gebäude, in denen tatsächlich Menschen wohnten.

Meine Eltern waren damals vor meiner Geburt aus den trockenen Landen nach Insua gekommen, um mir ein besseres und sicheres Leben zu schenken. Ob sie damit gerechnet hatten, dass ich dieses Leben irgendwann aufs Spiel setzen würde? Vermutlich nicht. Dennoch zeigten sie mir jeden Tag, wie stolz sie auf mich und meine Leistung waren.

»Das große Finale beginnt gleich und du hast nur Augen für die Dunkelheit?«, hauchte eine männliche Stimme in mein Ohr. Wir waren nicht die Einzigen mit der Idee, auf die oberste Plattform zu steigen, um uns das große Feuerwerk und die Lichtshow anzusehen.

So gut wie jeder Absolvent und Schüler der Akademie tummelte sich auf der breiten, weiß beleuchteten Fläche.

Ich spürte Thyrons Atem in meinem Nacken. Yun stand zu meiner Linken und wippte bereits aufgeregt auf ihren Fußballen auf und ab. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Wieso tat er das? Wieso schaffte er es innerhalb weniger Stunden meine Gefühle auf den Kopf zu stellen? Was hatte der Anstecker an meiner Brust in seinen Augen mit mir gemacht?

»Ich habe mich nur gefragt, ob die Menschen dort unten wissen, was wir für sie tun, auch wenn sie nicht den Idealen unserer Regierung folgen«, antwortete ich ihm und drehte meinen Kopf wieder Richtung Ozean, wo der Mond hoch am Himmel stand und sein Licht sich in den Wellen des Wassers brach.

»Das sind ganz schön tiefsinnige Gedanken für einen so spaßigen Abend.«