Der Duft von wildem Hibiskus - Zwei Romane in einem eBook - Paula Wall - E-Book
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Der Duft von wildem Hibiskus - Zwei Romane in einem eBook E-Book

Paula Wall

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Beschreibung

Ein Hauch von Nostalgie, Sinnlichkeit und dem Charme der Südstaaten: »Der Duft von wildem Hibiskus« von Paula Wall jetzt als eBook bei dotbooks. In diesem Sammelband verströmen vier hinreißende Frauen ihren ganz besonderen Zauber … Tennessee in den 30er Jahren: Während die schöne Angela Belle sich vor Verehrern kaum retten kann, geht ihre Tante jeder Romantik aus dem Weg, um ihren tadellosen Ruf zu bewahren. Doch dann begegnet sie dem charmanten neuen Pfarrer und wird schwach – mit ungeahnten Folgen für die kleine Gemeinde … Auch die Schwestern Pearl und Kat Wilde gehören zu den Frauen, die jedem Mann mit einem Lächeln den Kopf verdrehen können. Und doch liegt ein dunkler Schatten über den beiden, seit ein schicksalhaftes Ereignis sie vor vielen Jahren entzweit hat … Werden Sie es schaffen, die Vergangenheit zu überwinden und lernen, einander wieder zu vertrauen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Sammelband »Der Duft von wildem Hibiskus« von Paula Wall enthält die hinreißenden Liebesromane »Die Frauen der Familie Belle« und »Die Geheimnisse der Schwestern Wilde«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 849

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Über dieses Buch:

In diesem Sammelband verströmen vier hinreißende Frauen ihren ganz besonderen Zauber … Tennessee in den 30er Jahren: Während die schöne Angela Belle sich vor Verehrern kaum retten kann, geht ihre Tante jeder Romantik aus dem Weg, um ihren tadellosen Ruf zu bewahren. Doch dann begegnet sie dem charmanten neuen Pfarrer und wird schwach – mit ungeahnten Folgen für die kleine Gemeinde … Auch die Schwestern Pearl und Kat Wilde gehören zu den Frauen, die jedem Mann mit einem Lächeln den Kopf verdrehen können. Und doch liegt ein dunkler Schatten über den beiden, seit ein schicksalhaftes Ereignis sie vor vielen Jahren entzweit hat … Werden Sie es schaffen, die Vergangenheit zu überwinden und lernen, einander wieder zu vertrauen?

Über die Autorin:

Paula Wall wurde in Tennessee geboren und ist in Alaska aufgewachsen. Sie hat in den USA zwei viel beachtete Sammlungen von Essays veröffentlicht und wurde für ihre amüsanten Kolumnen zur »Humor Columnist of the Year« gekürt. Heute lebt sie in der Nähe von Nashville, Tennessee. Mit ihren Romanen feierte sie international große Erfolge.

Die Autorin im Internet: www.paulawall.com

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Sammelband-Originalausgabe Juni 2021

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / FrimusFilms / Sue Ashe / ESOlex / t_korop | FTiare / Stephen Helstowski

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-350-6

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Paula Wall

Der Duft von wildem Hibiskus

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Die Frauen der Familie Belle

Aus dem Amerikanischen von Gabriela Schönberger

Ein ganz besonderer Zauber geht von den Frauen der Familie Belle aus: Die schöne Angela bringt die Männer reihenweise um den Verstand, denn mit ihrer Gabe, den Menschen bis auf den Grund der Seele zu schauen, weckt sie tiefe Sehnsüchte … Ihre Tante Charlotte sieht das gar nicht gern, denn schließlich muss der gute Ruf der Familie gewahrt bleiben! Doch als auch ihr eines Tages die Liebe begegnet – ausgerechnet in Gestalt des neuen Pfarrers des kleinen Städtchens –, da zögert sie selbst nicht und verführt ihn auf höchst ungewöhnliche Weise …

Für Sheila,

meine Freundin,

Schwester und Muse.

Vorwort

Nur weil eine Frau etwas besonders gut kann, heißt das noch lange nicht, dass sie damit auch ihren Lebensunterhalt verdienen sollte. Wenn dem so wäre, dann müssten die weiblichen Mitglieder der Familie Belle allesamt als Freudenmädchen arbeiten. Es ist allgemein bekannt, dass die Damen harte Männer wie Butter in der heißen Bratpfanne schmelzen lassen können – und dass sie ebenso begabt sind, diesen Prozess wieder umzukehren.

Die Belles leben auf einem Felsvorsprung in einem Haus, das den Fluss überblickt, und es kommt einem so vor, als seien seine Besitzer ihres Geldes schon lange überdrüssig. Geißblatt rankt sich um die Säulen der Veranda wie Fäden um eine Spule, und wild wie Unkraut wuchernde Rosen bohren sich in den Verputz wie Ungezieferlarven. Es wird für immer ein Geheimnis bleiben, wo der Rasen des Anwesens endet und der angrenzende Friedhof beginnt. Menschen wie die Belles haben kein Problem, in enger Nachbarschaft mit den Toten zu leben.

Es ist schon einige Jahre her, da hat die Historische Gesellschaft große Anstrengungen unternommen, unsere langweilige kleine Stadt in eine Touristenattraktion zu verwandeln. Man hat eine Messingplakette am Tor zum Anwesen der Belles anbringen lassen und das alte Haus zu einer historischen Sehenswürdigkeit deklariert.

»Bellereve«, steht auf der Plakette zu lesen, »wurde im Jahr 1851 von Colonel Bedford Braxton Belle für seine Braut Musette erbaut. Während des Bürgerkriegs war darin ein Lazarett für Soldaten beider Armeen untergebracht, die in der Schlacht um Fort Donelson verwundet worden waren.«

Geschichte sollte man niemals wörtlich nehmen. Entweder glorifizieren die Leute sie, oder sie reden sie schlecht. Zumindest verleihen sie ihr eine gewisse Färbung. Was die Plakette verschweigt, ist die Tatsache, dass auf den Ziegelsteinen die Fingerabdrücke unzähliger Sklaven eingebrannt sind und dass das Blut der verwundeten Soldaten durch die Zimmerdecke sickert und wässrig rote Tropfen wie Tränen von den Kronleuchtern fallen, wenn es zu regnen beginnt – ganz gleich, wie oft das Haus verputzt und neu gestrichen wird.

Die Plakette klärt den Besucher auch nicht darüber auf, dass Musette franko-kanadischer Abstammung und die zweite Frau von Bedford Braxton Belle war. Seine erste Frau war zwar weder tot noch von ihm geschieden, aber Musette hatte eine Art an sich, die jeden Mann um den Verstand brachte und ihn vergessen ließ, dass zu Hause bereits eine Frau auf ihn wartete.

Musette hatte schwarzes Haar und schwarze Augen und konnte die Zukunft besser lesen als die meisten Männer die Zeitung. Und wenn ihr nicht gefiel, was sie sah, setzte sie alles daran, es zu ändern.

»L'avenir n'est pas taillé dans la pierre«, pflegte sie zu sagen, während sie langsam die Karten umdrehte, »seulement votre épitaphe.«

Was nichts anderes heißt, als: »Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt, nur unsere Grabinschrift.«

Man sagt, Musette konnte ihre Hand in den Fluss stecken und den exakten Tag vorhersagen, an dem er gefrieren würde. Sie konnte einem Neugeborenen die Hand auf das Herz legen und sah sein ganzes Leben vor sich. Musette sagte Feuersbrünste, Überschwemmungen und Wirbelstürme voraus, und einen Monat, bevor die Yankee-Soldaten die Grenze des Staates Tennessee überschritten, wies sie die Dienstboten an, jedes Bettlaken, jeden Unterrock und jeden Kopfkissenbezug im Haus in Streifen zu zerreißen und zu Verbandszeug aufzurollen.

Trotz ihrer hundertprozentigen Trefferquote wollte Bedford Braxton Belle jedoch nicht auf sie hören, als sie ihm vorhersagte, dass Alkohol sein Ende bedeuten würde. Ein Pferd lässt sich brav an die Tränke führen, aber ein sturer Esel braucht seinen Whiskey unverdünnt. Musette verlor ihren Mann in der Schlacht von Franklin durch den Schuss eines Soldaten der Unionsarmee. Er war gerade dabei, sich an einem Persimonenbaum zu erleichtern. Wie tröstlich, zu wissen, dass er von alledem nichts mitbekam.

Braxton Belle hauchte sein Leben mehr oder weniger sang- und klanglos aus. Aber die wenigsten Männer sind zum Helden geboren. Die meisten hinterlassen als Zeichen ihrer irdischen Existenz nur einen Stein an der Stelle, an der ihre Knochen verscharrt sind.

Musette trug für den Rest ihres Lebens Schwarz, aber das stand ihr ohnehin am besten. Und es verging nicht ein Tag, an dem sie nicht die welken Blätter von Braxtons Grab fegte und seinen granitenen Grabstein küsste. Die Geschichte mag einen gewöhnlichen Mann vergessen, aber Frauen haben ein Gedächtnis wie Fliegenpapier.

Wenn Frauen lieben, dann ohne Sinn und Verstand. Musette sollte niemals mehr einen anderen Mann lieben, wenn sie auch nichts dagegen hatte, die Liebe anderer Männer zu erhören. Man sagt, sie hieß mehr Männer bei sich willkommen als die Freiheitsstatue im Hafen von New York. Ungeachtet der Tatsache, dass jede Ehefrau, Witwe und ledige Jungfer in der Stadt um ihr frühes Ableben betete, wurde Musette steinalt und starb friedlich im Schlaf. Man begrub ihren Körper auf dem Friedhof neben dem Haus, das den Fluss überblickt, aber ihr Geist schwebt weiter in der Luft wie das Parfüm einer heimlichen Geliebten.

An Musettes Grab ist eine weiße Marmorstatue zu bewundern, die so real wirkt, dass man schwören möchte, ihre Augen sehen einen an und ihre steinernen Brüste heben und senken sich im Rhythmus unirdischer Atemzüge. Nackt, wie Gott sie schuf, blickt die marmorne Musette dem männlichen Betrachter herausfordernd in die Augen, ohne fromm den Blick zu senken. Ihr gegenüber stehen zwei Engel, voll bekleidet, die Hände zum Gebet gefaltet, und schicken einen flehenden Blick gen Himmel, als wollten sie sagen: »O Herr, wir können nichts dafür.«

Was der eine als Kunst betrachtet, ist für den anderen eine Zumutung. Und so ist auch die tote Musette – nicht viel anders als zu ihren Lebzeiten – den meisten ein Dorn im Auge. Über hundert Jahre lang fühlten diejenigen, die in der Statue eine Beleidigung ihres ästhetischen Empfindens sahen, sich bemüßigt, einen verbissenen Kampf darum zu führen, dass die steinerne Musette entfernt, zumindest aber ihre Blößen bedeckt werden sollten.

Aber Geld schlägt Moral immer. Als ein Kunstprofessor aus Nashville den Moosbelag vom Sockel der Statue gekratzt hatte und den Namen »Rodin« in den Stein gemeißelt fand, geriet das Gleichgewicht der Kräfte ins Wanken. Die historische Gesellschaft ließ flugs eine Messingplakette anbringen und deklarierte Musette ebenfalls zur Historischen Sehenswürdigkeit. Jetzt eilen Experten von nah und fern herbei, um darüber zu debattieren, ob die steinerne Musette tatsächlich ein echter Rodin aus Paris oder ein echter Bodin aus Memphis ist, dessen Familie seit Menschengedenken für die Herstellung exklusiver Grabsteine bekannt ist.

Wo immer die Wahrheit auch liegen mag – und in unserer Gegend ist sie bekanntlich sehr flexibel –, viele junge Männer haben ihr Wissen über die weibliche Anatomie der Betrachtung von Musette Belles Statue zu verdanken, so wie nicht wenige ihrer Vorfahren diese am lebenden Modell studieren konnten. Selbst im Tod gelingt es Musette noch, die braven Bürger von Leaper's Fork zu schockieren, und ihre weiblichen Nachkommen bemühen sich nach Kräften, ihrem Erbe gerecht zu werden.

Musette gebar Solange, die wiederum Charlotte und Odette das Leben schenkte. Und Odette gebar Angela und die Dixie. Wenn es etwas gibt, das die Belle-Damen lieben, dann, sich fortzupflanzen.

Manche Frauen verkaufen ihren Körper wie Huren ihre Eheringe. Manche benutzen Sex als Waffe. Aber es gibt Frauen, die, wie Jesus, einen Mann durch die bloße Kraft ihrer Berührung heilen können. Jeder Mann, der vom Bett eines weiblichen Mitglieds der Familie Belle aus den Sonnenaufgang sieht, wird schwören, in dem Moment von den Toten auferstanden zu sein.

Kapitel 1

Im Jahr 1920 wurde Odette Belles Heißluftballon von einem Blitz getroffen und fiel vom Himmel wie eine angeschossene Taube. Niemand war überrascht. Gott hatte sie seit Jahren im Visier. Welche Gefühle Odette für den Herrn gehegt haben mochte, auf dem sie gerade rittlings hockte, darüber kann man nur spekulieren.

Einige Zuschauer behaupten, Odette den ganzen Weg nach unten lachen gehört zu haben. Eigentlich mehr ein kehliges Meckern, das einem Mann zu verstehen gibt, dass er gerade eben den Sex seines Lebens verpasst hat.

Die Anwälte, die sich um Odettes Nachlass kümmerten, losten feierlich mittels gezogener Streichhölzer aus, wer ihren persönlichen Besitz ihrer nächsten Familienangehörigen überbringen sollte. Gestärkt mit einem Gläschen illegal gebranntem Whiskey, machte sich der Anwalt, der verloren hatte, auf den Weg und händigte Odettes uneheliches Balg Charlotte Belle auf einem Kissen aus, ehe er um sein Leben rannte.

»Welcher Mensch, der noch alle Sinne beisammen hat, würde mir schon ein Kind anvertrauen?«, fragte Charlotte ungläubig.

Charlotte Belle hatte seit dreiundzwanzig Jahren für allgemeines Kopfschütteln und Raunen gesorgt. Man hielt sie für einen kaltherzigen Vamp, der sich nichts dabei dachte, anderen Frauen die Ehemänner wegzunehmen. In Wahrheit konnte sie mit domestizierten Männern nichts anfangen – es sei denn, sie hatte keine andere Wahl. Und selbst dann stahl sie keine fremden Männer, sondern lieh sie sich nur mal kurz für eine Spritztour aus.

»Es ist doch immer das Gleiche: Die einen hinterlassen den Saustall, den die anderen dann wieder wegräumen dürfen«, seufzte Charlotte und blies langsam den Rauch ihrer Zigarre über den Kopf des Kindes.

Charlotte hatte keine Zeit für schwache Männer oder törichte Frauen. Vor allem aber verabscheute sie langweilige Menschen. Da sie die Erfahrung gemacht hatte, dass die meisten Menschen langweilig waren, konnte sie nur mit wenigen etwas anfangen. Und Odette hatte zur Kategorie der törichten Frauen gehört.

Charlotte hatte von ihrer Halbschwester seit acht Jahren weder etwas gehört noch gesehen, nur hin und wieder war ihr ein stornierter Scheck aus ihrem gemeinsamen Treuhandvermögen unter die Augen gekommen. Selbst nach Belle-Maßstäben war Odette wirklich wild gewesen. Wie sie es geschafft hatte, lange genug in der Missionarsstellung auszuharren, um schwanger zu werden, war allen ein Rätsel.

»Wenn dieses Baby genauso töricht ist wie seine Mutter«, sagte Charlotte, »sollten wir der Welt einen Gefallen tun und es wie einen jungen Hund im nächsten Teich ersäufen.«

Den Kopf leicht geneigt, die Hände vor der Schürze gefaltet, betrachtete Charlottes Haushälterin kritisch das Kind. Der Säugling, der mit sich und der Welt vollkommen zufrieden schien, nuckelte genüsslich an einem Zipfel des Kopfkissens, als wäre der in Karamell getaucht. Lettie zweifelte nicht daran, dass die Vorliebe des Kindes für Bettwäsche ein Vorbote kommender Ereignisse war.

»Eine echte Belle. Die hat bei ihrer Geburt bestimmt schon mit dem Arzt geflirtet.«

»Gewöhn dich besser nicht an sie«, befahl Charlotte streng, als ob Lüsternheit eine bei Kindern allgemein geschätzte Eigenschaft wäre. »Sie ist hier nur auf der Durchreise.«

Charlotte verbrachte ihre Abende im Poor Man's Country Club und ihre Tage schlafend im Bett, wo sie sich von ihren Nächten erholte. Sie liebte ihren Whiskey pur und sah es am liebsten, wenn ihre Liebhaber früh am Morgen wieder aus dem Haus verschwanden. Das Letzte, was sie wollte, war ein Kind, weder ein eigenes noch ein fremdes.

Es dauerte fast einen Monat, bis sie eine Verwandte fanden, die sich bereit erklärte, ihre Nichte bei sich aufzunehmen.

»Du willst sie Maude Meeks ausliefern?«, schnaufte Lettie ungläubig. »Ich würde diesem Aasgeier nicht einmal einen Stein zur Pflege überlassen.«

Charlotte tat den Einwand der alten Frau mit einer Handbewegung ab, reckte entschlossen das Kinn vor und setzte ihre Unterschrift unter den Scheck. Nichts schmerzte Charlotte jedoch mehr, als sich von ihrem ererbten Vermögen zu trennen.

Lettie drückte das Baby an ihre Schulter und betrachtete missbilligend den Scheck.

»Schon erstaunlich, was Herzensgüte heutzutage für einen Preis hat. Da käme es billiger, sie zu behalten.«

»Alte Frau, damit wollen wir gar nicht erst anfangen«, drohte Charlotte, schob den Scheck in einen Umschlag und fuhr mit der Zunge über den gummierten Rand. »Wir werden doch nicht jeden streunenden Hund bei uns aufnehmen, den man uns auf die Veranda legt.«

»Na, dann kannst du sie wenigstens noch einen Moment halten, während ich ihre Sachen hole«, sagte Lettie und legte Charlotte das Baby in den Arm, noch ehe diese protestieren konnte.

»Herr im Himmel!« Charlotte hielt das rosa Flanellbündel auf Armeslänge von sich gestreckt, als versuchte ihr Körper, es abzustoßen.

Lettie blieb an der Tür stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die beiden. Man hätte sie für Mutter und Tochter halten können, aber Charlotte hätte ihr Junges bestimmt schon gleich nach der Geburt aufgefressen.

»Ihr zwei seid aus demselben Holz geschnitzt«, bemerkte sie schließlich. »Nichts als Ärger, von der Wiege bis ins Grab.«

»Teufel aber auch«, sagte Charlotte und schielte auf das Kind hinunter. »Damit sehe ich ja aus wie eine Heilige.«

»Ich schätze, dein frommer Cousin von der Kirche Jesu wird ihr eine Höllenangst einjagen«, meinte Lettie auf dem Weg aus dem Zimmer und rümpfte die Nase.

Lettie war Baptistin. Charlotte hatte die Beobachtung gemacht, dass Baptisten und Anhänger der Church of Christ sich zwar einig waren, wenn es darum ging, was man als guter Gläubiger zu tun oder zu lassen hatte, sonst aber kein gutes Haar aneinander ließen.

Sobald Lettie außer Sichtweite war, zog Charlotte die oberste Schublade ihres Schreibtisches heraus, räumte sie aus und legte den Säugling hinein. Das Kind, das sich seine kleine Faust in den Mund gesteckt hatte, blickte Charlotte aus brennenden, schwarzen Augen an.

»Nimm es nicht persönlich«, sagte Charlotte und nahm eine lange, dünne Zigarre aus ihrem Humidor. »Es geht hier rein ums Geschäft.«

Die Frauen der Familie Belle besaßen nicht nur Talent für die Liebe, sondern auch fürs Geschäft. An einem guten Tag gelang es ihnen sogar, beides zu vereinen. Dunkle Samtvorhänge verhüllten die Fenster von Charlottes Arbeitszimmer, und seidene Fransentücher dämpften den Schein der Tiffanylampen. Charlottes Mahagonischreibtisch war so groß wie ein Doppelbett, und es war nichts Außergewöhnliches, dass sie geschäftliche Besprechungen in ihrem Seidenpyjama abhielt. Wenn ein Mann Charlottes Arbeitszimmer betrat, verspürte er den sofortigen Drang, seine Krawatte zu lockern.

Für Männer ist Geschäft gleich Krieg, für Charlotte war es wie Sex. Am Ende einer jeden Verhandlung sollten die Beteiligten befriedigt auseinander gehen.

Charlotte entfachte ein Streichholz an der Unterseite der Armlehne, hielt die Zigarre in die Flamme und drehte sie. Dann schüttelte sie die Flamme aus, lehnte sich zurück und betrachtete das Baby in der Schublade. Das Kind lag vollkommen reglos da, als spürte es, dass die Waagschale seines Schicksals auf der Kippe stand.

Charlotte hatte nicht einen mütterlichen Zug an sich. Sie empfand nicht das Geringste beim Anblick eines Säuglings. Und sie verspürte keinerlei sentimentalen Drang, Hilflosen zu helfen. Charlotte war in erster Linie Geschäftsfrau. Sie blickte auf das Kind hinunter und sah ein enormes Startkapital mit einer hohen Verlustwahrscheinlichkeit und einer nur schwer berechenbaren Rendite.

Aber es stellte sich die Frage, wer eines Tages ihr Vermögen übernehmen sollte, wenn sie einmal das Zeitliche segnete. Charlotte hatte ihr sattes Erbe nicht in ein unanständig hohes Vermögen verwandelt, um es dann irgendwelchen schmarotzenden Verwandten zum Verschleudern in den Rachen zu werfen.

»Ach, Scheiße!«, knurrte Charlotte.

»Ssch!«, spuckte das Baby als Erwiderung.

Mit gerunzelter Stirn beugte sich Charlotte über die Schublade.

»Was hast du gesagt?«

Höchstwahrscheinlich war es nur ein Niesen oder sonst ein Geräusch gewesen, das Säuglinge so von sich geben, aber Charlotte sah darin ein Zeichen. Wenn überhaupt jemals ein Kind in ihre Fußstapfen treten sollte, dann eines, dessen erste Kommunikationsversuche aus einem unanständigen Wort bestanden.

»Lettie!« Charlottes Stimme hallte durch das alte Haus, während sie den Scheck zerriss. »Das verdammte Ding bleibt!«

Lettie konnte sie nicht hören. Sie war oben auf dem Speicher und staubte gerade die Wiege ab.

Kapitel 2

Falls das Kind bereits einen Namen gehabt haben sollte, so hatte der Anwalt, der es brachte, vergessen, diesen zu erwähnen, als er hinaus zu seinem Studebaker um sein Leben rannte. Windeln mitzubringen, hatte er ebenfalls vergessen, was zu diesem Zeitpunkt ein größeres Versäumnis war.

»Wie gefällt dir der Name ›Hope‹?«, fragte Lettie, während sie dem Baby die Flasche gab.

Charlotte bemühte sich nach Kräften, Lettie zu ignorieren. Jeden Nachmittag von eins bis drei verbrachte Charlotte auf ihrer Chaiselongue. Aber sie hielt kein Nickerchen, wie sie immer wieder betonte. Nur weil eine Frau auf dem Rücken liegt und die Augen geschlossen hält, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht arbeitet.

»Charity ist auch ein guter Name«, plapperte Lettie weiter. »Aber eigentlich hatte ich immer schon eine Vorliebe für Faith.« Nach jahrzehntelangem Zusammenleben mit Charlotte war Lettie daran gewöhnt, die gesamte Konversation allein zu bestreiten. »Aber da wäre natürlich auch noch Patience.«

Charlotte runzelte kurz die Stirn auf ihrer Chaiselongue. Der Name brachte eine Saite bei ihr zum Klingen. Geduld, Hartnäckigkeit – das waren Charakterzüge in einem Menschen, die ihr am meisten imponierten.

»Nein, das klingt mir zu sehr nach Quäkern«, verwarf Charlotte den Vorschlag.

»Chastity«, konterte Lettie.

Glaube, Liebe, Hoffnung – und jetzt auch noch Keuschheit. Charlotte wusste, dass es höchste Zeit war, sich einzumischen, bevor das Kind als Plattitüde durchs Leben lief.

»Wir werden sie Angela nennen«, verkündete sie kurz entschlossen. »Angela Belle.«

»Die Schwester deiner Urgroßmutter hieß Angela.« Lettie hob das Kind an ihre Schulter und klopfte ihm auf den Rücken. »Sie trug eine Hühnerkralle um den Hals, und wenn Vollmond war, tanzte sie nackt auf dem Friedhof.«

»Man ist keine echte, blaublütige Belle, wenn man nicht vollkommen verrückt ist«, sagte Charlotte mit einem Anflug von Stolz.

Lettie blickte auf die kindliche Sirene hinunter, die sie auf dem Arm trug. Angela. Dieses Wesen hatte absolut nichts Engelhaftes an sich. Im Gegenteil, dunkel verhangene Schlafzimmeraugen und ein schwellender Kussmund verhießen nichts Gutes.

Lettie stand jetzt seit drei Generationen im Dienst der Belles. Sie war fest entschlossen, wenigstens aus einer Angehörigen dieser Familie eine respektable Dame zu machen, bevor sie starb.

»Gut, dann bleibt es bei Angela«, erklärte Lettie, und damit war die Sache erledigt.

Kapitel 3

Charlotte entschied sich für einen antiautoritären Erziehungsstil, zog ihre Nichte mit Grapefruitsaft groß und ließ sie halb nackt mit den Jungen ihres Handwerkers herumtoben.

»Angela Belle!«, ertönte Letties Ruf von der Veranda. »Du kommst augenblicklich herein und ziehst dir ein Hemd an!«

»Boone Dickson hat auch keines an!«, brüllte Angela zurück.

»Sie tanzt dir auf der Nase herum«, brummte Charlotte hinter ihrer Zeitung.

Tag für Tag las Charlotte ihrer Nichte den Wirtschaftsteil der Zeitung vor, und Angela hörte so gebannt zu, als verstünde sie jedes Wort. Kirchgänger, die am Sonntag am Haus vorbeikamen, sahen die beiden auf der vorderen Veranda sitzen und schüttelten die Köpfe. »Sie sollte das Kind lieber in die Kirche schicken«, mokierten sie sich und wiederholten ihren Kommentar, wenn sie nach dem sonntäglichen Abendgottesdienst ein zweites Mal vorbeigingen.

An Angelas erstem Schultag sollte es mit ihrer Freiheit fürs Erste vorbei sein. Lettie schrubbte ihre schwarzen Füße mit Bimsstein und Bürste und brachte es irgendwie fertig, dem Kind Spitzensöckchen und Lackschuhe an die Füße zu zwängen. Heftig um sich tretend, fluchte Angela wie ein Leichtmatrose, während Lettie mit einem Kamm ihr Haar zu bändigen suchte.

»Scheiße!« Angela wich mit zusammengebissenen Zähnen zurück, Tränen liefen über ihre Wangen.

Als Lettie endlich mit ihr fertig war, war die Verwandlung perfekt.

»Du siehst aus wie eine kleine Dame«, strahlte Lettie und klatschte in die Hände. »Und jetzt bemüh dich und benimm dich auch so.«

Den ganzen Tag sahen Charlotte und Lettie auf die Uhr. Als Angela schließlich den Gehsteig entlanggeschlendert kam, standen sie bereits am Tor.

»Wo sind deine neuen Schuhe?«, fragte Lettie und starrte auf die schmutzigen, nackten Füße.

»Ich habe die verdammten Dinger verschenkt«, erwiderte Angela, fasste sich unter den Rock und zerrte an der kratzigen Spitzenunterwäsche.

»Wem hast du sie gegeben?«, wollte Charlotte wissen.

»KyAnn Merriweather.«

»Was hat KyAnn Merriweather getan, um deine Schuhe zu verdienen?«

»Ihre Füße haben geblutet.«

»Wieso haben sie geblutet?«

»Weil sie barfuß auf eine zerbrochene Bierflasche getreten ist.«

»Tja, so ist es eben, wenn man in Stringtown wohnt«, höhnte Charlotte.

Ein Bettler, der an Charlottes Tür klopfte und um ein Almosen bat, bekam einen Besen in die Hand gedrückt. Charlotte war reich geboren und würde noch reicher sterben. Für eine Frau, die in ihrem ganzen Leben noch nicht einen Tag wirklich hart gearbeitet hatte, war sie kompromisslos, was die Arbeitsmoral anderer Leute betraf.

»Es gibt einen Grund, weshalb die Reichen reich und die Armen arm sind«, pflegte Charlotte zu sagen. »Und Geld hat damit absolut nichts zu tun.«

Das Einzige, das Charlotte noch mehr als ein um Almosen bettelnder Mensch irritierte, war ein Mensch, der auf diese Bitte auch noch einging. Wohltäter begingen in ihren Augen Hochverrat an der Menschheit. Schließlich hatten die Gründerväter der amerikanischen Geschichte nicht ihre Abhängigkeit, sondern ihre Unabhängigkeit erklärt.

Im Kapitalismus gilt – wie in der Natur – das Recht des Stärkeren. Wohltäter haben im Gegensatz dazu nur das Überleben des Schwächeren im Sinn. Ginge es nach diesen Weltverbesserern, würde – und das war Charlottes feste Überzeugung – der amerikanische Adler bald zu einer gurrenden, um Brosamen bettelnden Taube mutieren. Unnötig, hinzuzufügen, dass Charlotte im New Deal auch nur einen Riesenbeschiss für die Reichen sah.

»Besteuere, und du bekommst weniger, subventioniere, und du bekommst mehr«, predigte Charlotte ihrer Nichte.

Aber nichts, was Charlotte sagte oder tat, konnte ihre Nichte von ihrer ökonomischen Evolutionstheorie überzeugen. Jeden Tag kehrte Angela mit weniger aus der Schule zurück, als sie dort hingetragen hatte. Sie verschenkte ihr Pausenbrot, ihre Büchertasche und ihre Haarschleifen. Als sie anfing, auch noch ihre Kleider zu verschenken, schob Lettie dem rasch einen Riegel vor.

»Keine hübschen Kleider mehr für dich«, erklärte Lettie und stopfte den Lumpen, mit dem Angela nach Hause gekommen war, in den Lumpensack.

Das war kein Problem für Angela.

Merkwürdigerweise stellte auch die Schule für Angela nicht das geringste Problem dar, im Gegenteil, ihr flog alles nur so zu. Ihre Hausaufgaben hatte sie bereits gelöst, noch ehe der Lehrer sie vollständig aufgegeben hatte, und sie las doppelt so viele Bücher, wie eigentlich verlangt waren. Ihr Geschichtsverständnis war so ausgeprägt, als hätte sie alles selbst miterlebt. Am überraschendsten war jedoch, dass sie sich vor die Klasse hinstellen und mit einer Leidenschaft und Klarheit deklamieren konnte, als wollte sie einer Sarah Bernhardt Konkurrenz machen.

»Auf dem Kirchhof von Cambridge«, las Angela vor, mit kerzengeradem Rücken, das Buch in der Hand. »Von Henry Wadsworth Longfellow.«

»Im Dorf, auf dem Kirchhof, da liegt sie,Staub in den sterngleichen Augen.Leer, ohne Atem, Gefühl oder Regung ...

War einst eine Dame von Rang sie,verblendet von Ruhm,Pomp und Tand dieser Welt? ...

Und im Jenseits? Was nützt euch ein Blickauf die schrecklichen Seiten des Buches,um ihr Versagen und ihre Fehler zu richten?

Ah, dann werdet anderen Kummer ihr haben,mit eurer eigenen Not und Verzweiflung,euren eigenen geheimen Sünden und Ängsten!«

»Jawohl«, seufzte Lehrer Hobbs, die Hand aufs Herz gelegt. »Das war einfach schön. Was kannst du uns denn nun über dieses Gedicht sagen, Angela?«

Angela drückte das Buch fest an ihre Brust und richtete ihre dunklen, gefühlvollen Augen auf einen Ort in weiter Ferne, den außer ihr niemand sehen konnte.

»Diese tote Frau hat geglaubt, dass ausgerechnet ihre Scheiße nicht stinkt«, sagte Angela feierlich. »Aber wir dürfen sie nicht verurteilen, da wir alle geboren sind, um zu sterben.«

Obwohl Angela von allen Schülern im County am besten vorlesen konnte, schickte man doch lieber Sue Ellen Parker zum Lesewettbewerb des Staates Tennessee.

»Angela ist ein außergewöhnlich kluges und gutherziges Mädchen«, erklärte Lehrer Hobbs vorsichtig, »aber ihre ... wie soll ich sagen ... kecke Art bereitet uns doch manchmal große Sorgen.«

»Ich weiß, ich weiß«, musste Charlotte zugeben und zog an ihrer Zigarre. »Wir haben keine Ahnung, woher sie das hat.«

Keiner hatte die Nerven, es ihr ins Gesicht zu sagen, aber die meisten Leute machten Angelas Umgang mit anderen Kindern für ihre Probleme verantwortlich. »Wenn man sich dauernd mit weißem und schwarzem Pack herumtreibt, dann färbt das irgendwann mal ab«, hieß es.

Mit schwarzem Pack war KyAnn Merriweather gemeint.

Nach dem Tod von KyAnns Mutter wollte die neue Frau ihres Vaters keine Erinnerung an ihre Vorgängerin im Haus haben. Aber KyAnn war nun mal der offensichtlichste Nachlass der Verstorbenen. Die Folge war, dass KyAnn mehr Zeit bei den Belles als in ihrem eigenen Zuhause verbrachte.

»Die Kinder vermehren sich hier ja wie Karnickel«, knurrte Charlotte.

Wer nun auf wen abfärbte, darüber konnte man geteilter Meinung sein. Beide Mädchen hatten den Teufel im Leib, und in Letties Augen gab es nur eines, das sie retten konnte – die Kunst des Backens. Lettie war überzeugt, dass eine Frau, die einen Biskuitkuchen nicht ohne Kochbuch backen konnte, sogar in der Hölle keinen Fuß auf den Boden bekam.

»Wir beginnen mit Maisbrot«, beschloss Lettie und hob die zwei Mädchen auf Milchkästen. »Man muss klein anfangen.«

Lettie band den beiden Geschirrtücher um die Hüften und drückte jeder einen Holzlöffel in die Hand. Die reinste Verschwendung, dachte KyAnn, da die Geschirrtücher um vieles sauberer waren als die Kleider, die sie und Angela trugen.

»Der Teig muss glatt und das Fett heiß sein«, erklärte Lettie, während sie ein Ei in die Schüssel schlug. »Das ist das Geheimnis eines guten Maisbrots.«

Anschließend schloss Lettie KyAnns kleine, braune Finger um den Holzlöffel und bewegte ihre Hand kreisförmig in der Schüssel.

»Und jetzt rühr«, sagte sie.

KyAnn begriff nicht ganz, wozu das gut sein sollte. »Wozu soll ich kochen können?«, wollte sie wissen. »Frauen kochen«, entgegnete Lettie bestimmt. »Männer essen.«

Lettie hatte leider unterschätzt, welche Koordination von Hand und Auge vonnöten war, um eine Schüssel voller Teig umzurühren. Einmal kräftig gerührt, und schon tropfte der Maisbrotteig vom Küchentisch, und KyAnns Schüssel sauste wie ein Kreisel auf den Fußboden.

»Du musst die Schüssel mit einer Hand festhalten, während du mit der anderen rührst!«, herrschte Lettie sie an.

Drei Stunden später war das Haus voller Rauch. Fett tropfte von den Wänden, und auf dem Hof hinter der Küche stapelte sich verbranntes Maisbrot. Die beiden Mädchen sprangen wie zwei Tennisspieler hin und her und schlugen mit Holzspachteln nach dem heißen, spritzenden Fett, als würden sie Bienen vertreiben.

»Scheiße!«, zischte Angela bei jedem Knall.

Als endlich jedes Mädchen erfolgreich seinen ersten Maiskuchen gewendet hatte, standen Lettie die Tränen in den Augen. Was hier geschehen war, war ebenso ein Wunder wie Helen Kellers erstes geschriebenes Wort.

Kapitel 4

Es war die Rede davon, Angela in der Stadt zur Schule zu schicken, aber irgendwie kam Charlotte nie dazu, dies in die Wege zu leiten. Während die anderen kleinen Mädchen vom Hügel lernten, welche Gabel man wann benutzt und wie man Walzer tanzt, verbrachte Angela ihre Nachmittage beim Schwimmen im Lick Creek und die Abende auf der Veranda, wo sie sich anhörte, wie Lettie in ihrem Schaukelstuhl schnarchte und Charlotte laut mit der Abendzeitung haderte.

»New Deal, du meine Fresse!«, schnaubte Charlotte beim Überfliegen der Schlagzeilen.

Angela und KyAnn saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, kratzten ausgiebig ihre Flohstiche und starrten auf die Karten, die zwischen ihnen ausgebreitet lagen. KyAnn warf den Gummiball in die Luft und vertauschte die Karten so schnell, dass Angela kaum die Bewegungen ihrer Finger sehen konnte, bevor der Ball wieder aufsprang.

»Du solltest die Madison-Farm kaufen«, sagte Angela eines Tages aus heiterem Himmel.

»Und wieso sollte ich das tun?«, fragte Charlotte hinter ihrer Zeitung.

»Miss Madison sagt, dass Judge Lester von der Bank sie sonst nimmt.«

»Es ist nicht meine Aufgabe, die Leute zu retten, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht«, erwiderte Charlotte trocken.

Charlotte gehörte bereits die Hälfte des Countys. Sie brauchte keinen weiteren Grundbesitz.

»Außerdem kann man mit dem Land nichts anfangen.«

Charlotte blätterte die Zeitung um und faltete sie in der Mitte.

»Liegt zu weit draußen und ist zu hügelig für Farmland.«

Der Ball prallte leise auf den Boden der Veranda. Das Kinn auf die Brust gepresst, murmelte Lettie leise im Schlaf. Nach ein paar Minuten senkte sich die Zeitung auf Charlottes Schoß.

»Andererseits liegt die Farm am Fluss und auf dem Weg nach Nashville.«

Charlotte starrte in die Ferne und zog an ihrer Zigarre.

»Wenn da eine gute Straße durchginge ...«

»Wenn die Farm dir gehören würde«, unterbrach Angela Charlottes Überlegungen, »könnten die Madisons dort wohnen bleiben.«

Charlotte betrachtete ihre Nichte verblüfft, deren Instinkt zum Geldverdienen komplett zunichte gemacht wurde von ihrem unerklärlichen Drang, das Geld wieder auszugeben. Vielleicht war sie als Kind doch auf den Kopf gefallen.

Angela schüttelte die Karten in ihren gefalteten Händen und ließ sie auf den Boden fallen. Und Charlotte ging in ihr Arbeitszimmer, um den Madisons ein Angebot für ihren Grund und Boden zu machen.

***

In dem Sommer, in dem Angela vierzehn Jahre alt wurde, begann sie mit der Massenproduktion von Konserven. Sie und KyAnn kauften körbeweise Gemüse und Obst auf dem Bauernmarkt am Stadtplatz, schleppten alles in die Küche und machten sich ans Schälen, Schnipseln und Bohnenbrechen.

Charlotte, die nicht einmal Wasser in einem Teekessel erhitzen konnte, verstand die Welt nicht mehr.

»Woher, um Himmels willen, hat sie das nur?«, fragte sie, während sie und Lettie Angela dabei zusahen, wie sie mit einem Kochlöffel in einem Topf voller blubbernder, dicker Brombeermarmelade rührte.

»Muss ein väterliches Erbe sein«, mutmaßte Lettie, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Odette war nie sehr anspruchsvoll gewesen«, erwiderte Charlotte kopfschüttelnd.

Gegen Ende des Sommers war der hintere Teil der Veranda nicht mehr zu betreten, so viele Dosen mit Tomaten, Mais und grünen Bohnen stapelten sich dort. Auf den Fensterbrettern reihten sich Steinguttöpfe mit eingemachten Gurken und Gläser voller Gelees, Marmeladen und anderem eingemachten Obst aneinander wie Motive auf einem Buntglasfenster. Charlotte konnte nachmittags kein Auge mehr zutun, so viele Gummidichtungen platzten.

»Dieses Kind wird einmal eine prachtvolle Ehefrau abgeben«, bemerkte Lettie zufrieden.

»Darauf würde ich nicht wetten«, meinte Charlotte und schnupperte anerkennend an einem Glas mit Marmelade. »Gib mir doch mal die Kekse.«

Als Charlotte irgendwann im Winter in der Speisekammer nach einem Glas Marmelade suchte, fand sie keines mehr. Schließlich erfuhr sie, dass ihre Nichte und KyAnn Merriweather sich ihren Wagen »ausgeliehen« und an die Armen in Stringtown Lebensmittel verteilt hatten.

Charlotte schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Es gibt kein Heilmittel für ein blutendes Herz«, stöhnte sie.

Kapitel 5

Die Leute, die Dr. Adam Montgomery das alte Lester-Haus verkauften, warnten ihn erst dann vor den Nachbarn, als das Geschäft abgeschlossen war. Mittlerweile hatte er Angela Belle jedoch auf dem umlaufenden Balkon des Hauses gesehen und war ihr rettungslos verfallen.

»Die Belles gehören zu den ältesten und reichsten Familien im County«, erklärte Ann Lester, als sie bei Dr. Montgomery auf der Veranda saß und an ihrem Eistee nippte.

»Ihr Geld setzt schon langsam Moos an, so alt ist es«, fügte ihr Mann nickend hinzu.

»Aber meinen Sie, es würde ihnen einfallen, auch nur einen Groschen an die Kirche oder für karitative Zwecke zu spenden?«

»Nein, eher schneiden die sich die Pulsadern auf, als dass sie auch nur einmal ihre Brieftasche zücken würden.«

»Und ich muss schon sagen, auch ihre übrige Moral« – Ann Lester zwirbelte ihre Perlenkette – »lässt allerhand zu wünschen übrig.«

»Mit einem Wort: weißes Pack mit Geld«, verkündete Judge Lester.

Mit Urteilen über andere war Judge Lester immer schnell bei der Hand. Und das, obwohl er in einer Bank arbeitete. Schon erstaunlich, wie viel Weitsicht seine Eltern bewiesen hatten, als sie ihn Judge – Richter – nannten.

»Geld allein ist eben immer noch keine Garantie für Klasse«, fasste Ann Lester zusammen.

Dr. Adam Montgomery, dessen Geld so neu war, dass die Tinte auf den Banknoten noch nicht trocken war, wusste genau, was sie meinte.

Das von ihm erworbene Haus hatte einem alten, unverheirateten Onkel von Judge Lester gehört, der im Schlaf und mit einem Lächeln auf dem Gesicht verstorben war, neben sich im Bett seine Haushälterin und auf dem Nachttisch eine Dreiviertelliterflasche Jack Daniel's. Zum Glück hatte Judge die Flasche gefunden, bevor der Sheriff kam, sodass der Name Lester unbefleckt geblieben war. Als Nachkomme einer langen Reihe moralisch zweifelhafter Männer legte Judge großen Wert auf Diskretion.

Die Lesters verkauften das alte Haus an den jungen Arzt samt allem Inventar und allen Alkoholvorräten. Das Dach leckte, die Dielenbretter knarrten, und die muffigen Räume waren dunkel wie ein Grab, aber von der Ferne sah das alte Haus prachtvoll aus. Für Adam Montgomery war eine hübsche Fassade ohnehin wichtiger als das, was eventuell dahinter steckte.

Adam Montgomery hatte blondes Haar und dunkelblaue Augen, die man als nachdenklich hätte bezeichnen können. Er hatte einen perfekten Körper und trug seinen maßgeschneiderten Anzug mit unnachahmlicher Eleganz. Mit seinem Gardemaß brauchte er nur leicht das Kinn zu heben und konnte auf alle herabsehen.

Er zog in das alte Lester-Haus, ohne die geringsten Änderungen vorzunehmen. Bis auf den Buchstaben »L« an dem Türklopfer aus Messing ließ er alles beim Alten, und selbst dazu benötigte er noch beinahe ein Jahr.

Wenn die Leute an dem alten Haus vorbeispazierten und Dr. Montgomery zufrieden auf der vorderen Veranda sitzen sahen, eine Zigarre zwischen den Fingern, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, dann schüttelten sie nur den Kopf. Alle hielten es für ein schlechtes Omen, dass ein junger, lediger Mann das Haus eines alten Hagestolzes gekauft hatte. Aber wann immer die Freude über sein Junggesellendasein ihn zu überwältigen drohte, ließ Adam seine Taschenuhr aufschnappen und betrachtete so lange das Bild seiner feinsinnigen Verlobten, bis die Euphorie verebbte.

Die Zukunft des jungen Paares war bereits bis ins Kleinste geplant. Adam sollte sich ein Haus suchen, es einrichten, die lukrative Arztpraxis des alten Doktors, der in den Ruhestand ging, übernehmen und dann seine zukünftige Braut nachholen. Und Dr. Montgomery war nicht gewillt, von diesem Plan auch nur ein Jota abzuweichen. Die Route, die sein Lebensschiff einschlagen sollte, stand schon lange fest. Umwege waren keine vorgesehen.

Als er nun Angela Belle – flach auf dem Rücken liegend, die Knie angezogen und japsend wie ein Jagdhund – in seinem Blumenbeet vorfand, war er vollkommen hilflos.

»Mein Gott«, stöhnte Dr. Montgomery und fiel auf die Knie, »Sie bekommen ja ein Kind!«

Mit siebzehn musste Angela feststellen, dass sie schwanger war. Charlotte machte dafür voll und ganz ihre philanthropische Natur verantwortlich.

Wäre gerade irgendwo ein Krieg im Gange gewesen, hätte Lettie Angela einen Ring an den Finger gesteckt und jedem erklärt, dass der Vater des Kindes Dienst am Vaterland leistete. Und zur rechten Zeit hätte sie ihn dann sterben lassen und ihm vielleicht sogar noch einen Orden verliehen. Aber es herrschte kein Krieg, zumindest keiner, der in Leaper's Fork wichtig gewesen wäre. Und so wussten alle, dass Angela Belle Mutter wurde, aber keinen Vater für das Balg hatte.

Wie sie in diesen Schlamassel geraten war, war kein Geheimnis. Angela war wild wie eine streunende Katze. Wer derjenige war, welcher, das hätten alle gerne gewusst. Nur eines war sicher – Angela hatte jede Möglichkeit auf ein ehrbares Dasein von Anfang an im Keim erstickt, auch wenn Ehrbarkeit nicht unbedingt einen sonderlich hohen Stellenwert bei den Belles besaß.

Wenn in diesen Zeiten ein junges Mädchen in Schwierigkeiten war, ging sie fort, um das Kind in einer anderen Stadt oder – wenn die Familie wirklich viel Geld hatte – auch auf einem anderen Kontinent zur Welt zu bringen. Es kam gar nicht so selten vor, dass das junge Mädchen und seine Mutter nach einer Weile wieder zurückkehrten und allen den Säugling als neuen Bruder oder neue Schwester vorstellten. Vielleicht aber auch nicht. Doch eine Familie, die etwas auf sich hielt, brachte ihre Bastarde nicht zu Hause zur Welt, vor allem nicht in einem Blumenbeet.

Der Schmerz raubte Angela den Atem. Sie grub ihre Finger wie Wurzeln in die schmutzige Erde, warf den Kopf zurück und lachte wie eine Irre. Neben ihrer lockeren Moral hatte Angela auch das heisere Lachen der Belles geerbt. Hätte der Satan eine Geliebte mit Humor, würde sie bestimmt lachen wie eine Belle. Dr. Montgomery starrte Angela mit offenem Mund an. Da man in Harvard den Umgang mit von Dämonen besessenen Frauen nicht gelehrt hatte, war er mit seinem Latein am Ende.

»Jetzt tun Sie doch was!«, fauchte sie ihn an.

Er zog seine Jacke aus und breitete sie ordentlich über ihre nackten Knie. Angela sah Adam an, als hätte er den Verstand verloren. Zugegeben, es war ihre erste Geburt, aber sie hegte doch den Verdacht, dass unter diesen Umständen mehr als diese Geste gefordert war.

Adam hatte bisher immer nur einen flüchtigen Blick auf sie erhascht, doch selbst aus der Ferne hatte sie ihn hart auf die Probe gestellt mit ihrem dunklen Haar, den schwarzbraunen Augen und Lippen, an denen man sich nicht satt sehen konnte. Adam war ein glühender Anhänger der modernen Dreifaltigkeit aus Kirche, Vaterland und Klasse. Aber wie er jetzt so im Dreck kniete, schwand sein Glaube in Windeseile dahin. Seine Augen wanderten über Angelas Körper, und er spürte, wie eine große Hitze in ihm hochstieg. Er wollte diese Frau mit Haut und Haaren besitzen. Sie sollte ihm allein gehören.

»Ich dachte, Sie sind Arzt«, keuchte sie und riss ihn aus seinen nebulösen Gedanken.

Das hatte er allen Ernstes vergessen.

»Ich werde rasch meine Tasche holen«, murmelte er und wollte aufstehen.

»Was ist denn in dieser verdammten Tasche Wichtiges drin?«

Sein Mut, hätte die ehrliche Antwort gelautet. Doch jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt für peinliche Enthüllungen.

Adam war alles andere als ein begnadeter Arzt. Er besaß einfach kein Gespür für den Umgang mit Kranken. Er war jetzt schon seit über einem Monat in Leaper's Fork, hatte aber noch immer keinen Patienten ohne den alten Doktor an seiner Seite behandelt. Der Geruch nach Jod verursachte ihm Übelkeit, der Anblick von Blut ließ seine Knie schlottern, und bei Notfällen erstarrte er vollends. Mit einem Wort – Kranke machten ihn krank.

Adam war aus demselben Grund Arzt geworden, aus dem er alles im Leben tat – wegen des sozialen Aufstiegs. Die Tatsache, dass er nicht in die Oberschicht hineingeboren worden war, betrübte ihn zutiefst. Sein Stiefvater war begüterter Abstammung, seine Mutter nicht. Seinen leiblichen Vater hatte er nie kennen gelernt, und so empfand er auch keine Schuldgefühle, als er erfuhr, dass er früh verstorben war. Wäre sein Vater noch am Leben gewesen, hätte Adam Montgomery an ebendem Tag, an dem Angela Belles Fruchtwasser in seinem Blumenbeet versickerte, am Wurstkessel gestanden.

Als Sohn eines Metzgers gibt es nur drei Möglichkeiten, dem Schlachthaus zu entkommen – Wirtschaft, Jura oder Medizin. Für Jura fehlte Adam der Biss, für eine Karriere als Geschäftsmann das Rückgrat. So blieb nur noch Medizin. Adam hatte kein Problem, menschliches Leid als Erfolgsleiter zu benutzen. Er wünschte sich nur, das Geschäft wäre nicht so blutig.

Aber Angela Belle hatte nicht viel Verständnis für Menschen, die als Beobachter durchs Leben gingen. Auch dann nicht, wenn sie nicht gerade einen Zeppelin zur Welt brachte. So packte sie Adam mit ihren schmutzstarrenden Fingern an seiner gestärkten weißen Hemdbrust und zog ihn zu sich herab.

»Sie schaffen das!«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich weiß, dass Sie das schaffen!«

Erfüllt vom Glauben einer Frau, krempelte Adam seine Ärmel hoch und tat so, als sei er ein Mann.

»Pressen!«, befahl er ihr, als die Zeit gekommen war.

»Ich kann nicht!«, schrie sie und warf den Kopf in seinem Lilienbeet hin und her.

»Natürlich können Sie das!«, brüllte er.

Adam Montgomery hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Angela Belle den Mond aus seiner Umlaufbahn katapultieren könnte, wenn sie es sich in den Kopf setzte. Keine Frau, die er jemals getroffen hatte, konnte so viel aus sich – und anderen – herausholen.

Kapitel 6

Angelas Tochter kam mit schokoladenbraunen Augen und weichen, schwarzen Locken zur Welt. Ihre Haut hatte die Farbe gerösteter Mandeln, und sie roch süß wie ein Marzipanriegel. Als Angela ihr Kind schließlich in den Armen hielt, verschmolzen die beiden zu einer untrennbaren Einheit. Die junge Mutter konnte sich gerade noch bremsen, das Neugeborene nicht wie eine Katze abzuschlecken.

Trotz der Bedenken ihrer nächsten Umgebung schlüpfte Angela in die Mutterrolle, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie schleppte das Baby überall mit sich herum und dachte sich nichts dabei, selbst auf den Stufen des Gerichtsgebäudes ihre Brust zu entblößen und ihr Kind zu stillen.

Der Anblick der stillenden Angela führte bei den meisten Männern der kleinen Stadt zu quasi religiöser Verzückung, nur die Frauen waren nicht so leicht zu bekehren. Ann Lester berief eine Krisensitzung des Wohltätigkeitsvereins Christlicher Frauen ein, um bei Gurkensandwich und Früchtetee dieser Blasphemie ein Ende zu setzen.

»Die Katzen versammeln sich miauend vor den Mülltonnen«, höhnte Charlotte, die mit Lettie auf der vorderen Veranda saß und die Wagenkolonne vorfahren sah.

Sobald zwei oder mehrere Mitglieder des WCF zusammenkamen, lief Charlotte Gefahr, vollends zur Heidin zu werden.

»Ohne Christen wäre es besser bestellt um das Christentum«, murmelte sie in ihre Zeitung.

»Schütte doch das Kind nicht immer gleich mit dem Bad aus«, schimpfte Lettie.

Dann verdrehte sie die Augen gen Himmel und sprach ein stummes Gebet für Charlottes heidnische Seele, mit der Bitte, der Herr möge doch in Bälde einen Blitz herabsenden.

Obwohl die Frauen des Wohltätigkeitsvereins alles daransetzten, dass es verboten wurde, einem Kind in der Öffentlichkeit die Brust zu geben, brachte es nicht ein Stadtrat über sich, das Wort »Brust« in der öffentlichen Anhörung auszusprechen. Da man das Füttern von Säuglingen jedoch kaum verbieten konnte, wurde der Antrag fallen lassen.

Kapitel 7

An dem Tag, an dem Adam endgültig die Nachfolge des alten Doktors antrat, erbte er auch dessen efeuumrankte Praxis aus rotem Backstein, seine Patienten, seine Krankenschwester und die Usambaraveilchen seiner Krankenschwester. Adam hatte ein Problem mit Veilchen.

Es gab kein Fensterbrett in den sonst recht spartanisch eingerichteten Praxisräumen, auf denen nicht diese niedrigen, kleinen Blumen wucherten. Weiße Veilchen zierten das Fenster im Behandlungszimmer, und lilafarbene Blüten starrten Adam an, wenn er vor der Toilettenschüssel stand.

Adam sah sich nun mal als Arzt, dessen Räume eine geschmackvolle Palme oder ein feinblättriger Philodendron zierten. Usambaraveilchen waren einfach nicht mit seinem Selbstbild zu vereinbaren. Sie passten einfach nicht zu ihm.

»Und außerdem schmutzen sie«, bemerkte er missbilligend und mit Blick auf die abgestorbenen Blüten auf dem Fußboden und auf die Wasserränder auf den Fensterbrettern.

»Alles, was lebt, macht Dreck«, erwiderte Schwester Marshal tadelnd.

Schwester Marshal war lange Zeit Schulkrankenschwester gewesen, aber diese Arbeit hatte sie zu wenig gefordert. Sie war für die Front geboren. Ein Tag ohne Blut war eine Vergeudung ihrer Talente.

Schwester Marshal führte die Praxis wie ein Feldlazarett. Im Wartezimmer standen vier unbequeme Stühle und ein Spucknapf aus Messing. An den rau verputzten Wänden hing nicht ein Bild, und als einzige Zeitschrift lag der Farmer-Almanach aus. Ihr Wartezimmer war nicht dafür gedacht, dass es sich die wartenden Patienten hier gemütlich machten.

Schwester Marshals einzige Leidenschaft neben der Medizin galt ihren Usambaraveilchen, die sie mit überraschender Zärtlichkeit pflegte, jeden Wildwuchs sofort entfernte und sie regelmäßig wie ein Uhrwerk düngte.

In Adams Augen waren Veilchen ein Ausbund an Spießbürgerlichkeit. Jedes Mittelklassehaus in Leaper's Fork hatte einen solchen Blumentopf auf dem Küchenfenster. Adam konnte sich nicht überwinden, sich an die Pflanzen zu gewöhnen, andererseits fehlte ihm der Mut, Schwester Marshal anzuweisen, die Veilchen aus dem Haus zu entfernen.

So blieb ihm keine andere Wahl, als die verhassten Gewächse umzubringen.

Jeden Freitagnachmittag füllte Schwester Marshal zwei große Einmachgläser mit Leitungswasser und Pflanzendünger und stellte sie auf die Küchentheke, damit sich der Inhalt über das Wochenende setzte. Jeden Freitagabend, kaum dass Schwester Marshal gegangen war, schüttete Dr. Montgomery Gift in das Wasser.

Das allmähliche Verkümmern der Usambaraveilchen bereitete bald allen Bürgern von Leaper's Fork die größten Sorgen. Jeder Patient, der durch die Tür trat, hob ein welkes Blatt hoch, steckte den Finger in die Erde und verkündete seine Diagnose. »Zu viel Sonne. Zu wenig Sonne. Zu viel Wasser. Zu wenig Wasser. Zu viel Dünger. Zu wenig Dünger.« Manche Patienten gewöhnten es sich an, gleich draußen auf der Veranda zu warten, aus Angst, sie könnten sich an der Krankheit anstecken, die Schwester Marshals Veilchen dahinraffte.

Ihre Unfähigkeit, die geliebten Veilchen zu heilen, traf Schwester Marshal hart. Sie behandelte sie gegen Milben und Mehltau. Sie wechselte den Dünger und überprüfte mit einem Thermometer die nähere Umgebung auf schädlichen Zugwind. Sie redete leise auf die Pflanzen ein, wenn sie die Töpfe auf dem Fensterbrett drehte. Aber ganz gleich, wie viel Herzblut sie in deren Genesung auch stecken mochte, die Veilchen verkümmerten.

Als Schwester Marshal mit ansehen musste, wie alles Leben aus ihren Blumen wich, starb auch ein Teil von ihr. Sie hatte ihre Arbeit als Krankenschwester immer mehr als Berufung denn als Beruf empfunden und glaubte fest daran, dass sie für die Genesung ihrer Patienten ebenso wichtig war wie irgendein Medikament oder ein bestimmtes Verfahren. Aber jetzt begann sie, an sich selbst zu zweifeln. Wenn sie schon ihre geliebten Pflanzen nicht retten konnte, welche Hoffnung blieb ihr dann noch gegen das Leid dieser Welt?

»Angela«, rief die Empfangsdame aus dem Fenster, »Dr. Montgomery hat jetzt Zeit für dich.«

Mit dem Baby auf der Hüfte tappte Angela barfuß hinter Schwester Marshal den Gang hinunter ins Behandlungszimmer. Als sie an seinem Büro vorbeikamen, stand Adam mit nachdenklich gerunzelter Stirn vor seinem Schreibtisch, über ein mehrere Kilo schweres, medizinisches Nachschlagewerk gebeugt, das rein zufällig bei dem Stichwort »Krätze« aufgeschlagen war.

Dann trat er vor den Spiegel, kämmte hingebungsvoll sein blondes Haar und betrachtete sich geschlagene fünf Minuten lang, ehe er schließlich den Flur hinunterging. Als er die Tür öffnete, saß Angela Belle auf dem dreibeinigen Hocker, barfuß, die Beine weit gespreizt wie ein Nussknacker.

»Zeit für die Halbjahresuntersuchung«, sagte sie und händigte ihm ihr Kind aus. »Die ist quietschfidel.«

»Na, das überlassen Sie mal mir«, wies er sie streng zurecht.

»Der fehlt nichts«, wiederholte Angela.

Und sie sagte das auf eine Weise, dass Adam sich fühlte, als müsste er zurechtgewiesen werden.

Während er das Herz des Babys abhörte, spielte Angela mit seinen Instrumenten. Mit dem hölzernen Spatel presste sie ihre Zunge herunter und betrachtete ihren Hals in der glänzenden Metalloberfläche eines Wattestäbchenbehälters. Dann schüttelte sie ein Thermometer und maß ihre Temperatur. Schließlich griff sie nach seinem Gummihammer und klopfte damit gegen ihr Knie.

»Sie sehen aus, als hätten Sie Fieber«, bemerkte sie, während ihr langes, nacktes Bein in die Luft schnellte.

»Das ist nur die Hitze«, erwiderte er, während er mit dem Stethoskop die Brust des Babys abhörte.

Adam spürte Angelas schwarze Augen langsam über seine Weste und die Krawatte unter seinem Arztkittel wandern.

»Ihnen wäre bestimmt kühler, wenn Sie was ausziehen würden«, fuhr sie gedehnt fort.

Adam öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus.

Angela griff nach seiner Stimmgabel, schlug sie gegen den Tisch und strich langsam mit dem vibrierenden Metall über Lippen und Hals. Als die Stimmgabel an dem fehlenden Knopf an ihrem Kleid vorbei in ihren Ausschnitt glitt, zuckte sie zusammen.

»Ah, da wird einem gleich ganz anders«, hauchte sie, während sich die feinen Härchen an ihren Armen aufrichteten und ihre Brustwarzen hart wie Diamanten wurden.

Adam drehte sich rasch um, beugte sich über die Patientenakte des Kindes, kniff die Augen zusammen und hechelte wie ein Hund.

Nachdem er fast eine Stunde lang Angelas Baby untersucht hatte und es ihm nur unter Aufbietung aller Kräfte gelungen war, nicht auch noch die junge Mutter mit einzubeziehen, gab Adam schließlich klein bei.

»Sie ist tatsächlich vollkommen gesund«, sagte er spröde, während er sich die Hände am Waschbecken schrubbte.

»Habe ich Ihnen ja gesagt«, meinte Angela und schwang sich vom Hocker. Dann lehnte sie sich über den Untersuchungstisch und küsste den nackten Bauch des Babys.

»Was bist du doch für ein braves Mädchen«, gurrte sie zärtlich und ließ ihre langen, weichen Haare auf das Kind fallen. »Und was bekommen brave Mädchen? Brave Mädchen bekommen einen Kuss für jeden Tag der Woche.«

Das Baby strampelte und quietschte vor Vergnügen, als Angela es mit Küssen bedeckte. Der Anblick der beiden ging Adam so nahe, dass es ihn schmerzte. In dem Moment sah er nur noch die Frau in Angela, die er mehr denn je begehrte. Er wollte sie gegen die Wand pressen und sein Gesicht an das ihre drücken. Er wollte ihr das Kleid vom Leib reißen und ihre schwellenden Brüste kneten ...

»Bekommen wir beide heute keinen Lutscher?«, riss Angela ihn aus seinen Gedanken.

Ergeben griff Adam in die Tasche seines Kittels und holte zwei Lutscher heraus.

Angela riss ihm die Süßigkeiten aus der Hand und ließ ihn mit hängenden Armen stehen. Sie war schon fast wieder aus dem Wartezimmer draußen, als Schwester Marshal sie zurückrief.

»Es ist ganz plötzlich passiert«, sagte die Schwester und blickte traurig auf ihre sterbenden Veilchen.

Angela drückte der Schwester ihr Kind in die Hand, zog den Kirschlutscher aus dem Mund und legte ihn auf den Farmer-Almanach auf dem Beistelltisch. Während Adam sie durch das kleine Fenster vom Empfang aus beobachtete, hob Angela einen Blumentopf hoch, schloss die Augen und drückte die welken Blätter an ihre Wange, als wollten sie ihr etwas ins Ohr flüstern.

Als sie wieder aufblickte, trafen Angelas schwarze Augen die von Dr. Montgomery.

Adam hielt den Atem an.

»Nehmen Sie die Veilchen mit nach Hause«, riet Angela der unglücklichen Schwester und nahm ihr das Kind ab. »Wechseln Sie die Erde und gießen Sie mit Regenwasser. In ungefähr einem Monat haben sich die Pflanzen wieder erholt.«

»Ich habe jetzt seit fünfzehn Jahren Usambaraveilchen in der Praxis.« Schwester Marshal schüttelte den Kopf. »Sie haben diese Umgebung immer so geliebt.«

»Was wir lieben, muss nicht immer auf Gegenliebe stoßen«, gab Angela zur Antwort.

Langsam zog Angela ihren klebrigen Lutscher von der Zeitschrift, steckte ihn wieder in den Mund und tappte auf bloßen Füßen zur Tür hinaus, das Baby auf der Hüfte.

***

Adam hatte an dem Tag noch drei Patienten nach Angela – eine Halsentzündung, einen Bluthochdruck und einen entzündeten Arm. Unter normalen Umständen hätte er die drei in einer Stunde durchgeschleust und sich kaum die Zeit genommen, einen Blick auf die Namen in der Patientenkartei, geschweige denn auf ihre Gesichter zu werfen. Sein Job war es, Kaputtes wieder zu reparieren. Arzt wäre der perfekte Beruf für ihn gewesen, dachte Adam, wenn der Patient seine Krankheit zur Heilung sozusagen außer Haus hätte geben können wie in eine Werkstatt.

Doch an diesem Tag hing Angelas Einfluss unheilvoll in der Luft. Zweimal glaubte Adam aus den Augenwinkeln heraus wahrzunehmen, dass sie ihn von dem dreibeinigen Hocker neben dem Untersuchungstisch aus beobachtete. Das Bild von ihr, die Beine gespreizt, den Lutscher im Mund, hatte eine nachhaltige Wirkung auf den Umgang mit seinen Patienten.

Er machte einen Abstrich von Booker Earharts entzündetem Hals, um sicherzugehen, dass es sich nicht um Streptokokken handelte. Er hielt Hattie Taylors Hand, als er ihr erklärte, dass ihr Blutdruck ein wenig zu hoch sei und sie auf ihren geliebten Frühstücksschinken würde verzichten müssen. Und er überschlug sich fast bei Leroy Stinsons entzündetem Arm, denn Leroy hatte es irgendwie fertig gebracht, sich beim nächtlichen Angeln unter der Brücke selbst an den Haken zu nehmen, und er war sich nicht sicher, ob der Haken oder das rostige Fischmesser, mit dem er ihn herausgeschnitten hatte, die Ursache dafür war, dass sein geschwollener Arm aussah wie der von Popeye.

»Falls Sie weiter Beschwerden haben«, erklärte Adam Leroy, als er ihn zur Tür begleitete, »dann rufen Sie mich an. Auch zu Hause.«

Schwester Marshal und die Empfangsdame sahen einander mit hochgezogenen Augenbrauen an.

An diesem Nachmittag schlief Adam an seinem Schreibtisch ein. Sein Kopf lag auf seinem Arm und drohte, auf Booker Earharts Krankenblatt zu rutschen. All das Mitgefühl hatte ihn ausgesaugt wie einen Schwamm. Das Schlagen der Uhr am Gerichtsgebäude weckte ihn wieder auf. Rasch fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und verfluchte Angela Belle. Auch wenn sie nicht im Raum war, spürte er, wie sie ihn in eine Richtung schob, in die er keinesfalls gehen wollte.

Kapitel 8

Als Dr. Montgomerys Verlobte am Bahnhof von Leaper's Fork aus dem Zugfenster schaute, wäre sie beinahe nicht ausgestiegen.

»Kopf hoch«, tröstete Mrs. Jackson sie und nahm tapfer die Hand ihrer Tochter. »Wir wussten ja, dass es nicht Boston ist.«

Lydia Jackson war eine Fleisch gewordene Kamee. Ihre Haut war wie Porzellan, ihr Haar wie gesponnenes Platin. Männer starrten sie an, als sei sie ein Kunstwerk. Ihre gelassene Miene lieferte keinen Hinweis darauf, was hinter ihrer Stirn vor sich ging, und sie vermied jede hektische Bewegung, als könnten dadurch potenzielle Bewunderer abgeschreckt werden.

»Was ist das für ein grässlicher Gestank?«, fragte Mrs. Jackson.

Der Mann, der ihnen gegenübersaß, hob die Nase und schnüffelte.

»Das könnte vielleicht der Schlachthof sein«, mutmaßte er.

Mrs. Jackson konnte unmöglich die Plantagen meinen, wo die Pflanzen, aus denen man Kautabak und Schnupftabak herstellte, angebaut wurden – für seine Nase der reinste Wohlgeruch.

»Das ist ja widerlich«, murmelte Mrs. Jackson, zog ein parfümiertes Taschentuch aus der Handtasche und hielt es sich vor die Nase.

»Na, dann warten Sie mal bis zum Sommer.« Der Mann nickte wissend. »Wenn Sie mal die Schweineköpfe gerochen haben, die im August den Red River hinuntertreiben, dann können Sie erahnen, was wirklicher Gestank ist.«

Fassungslos starrte Mrs. Jackson den Mann an.

»Aber andererseits gibt es kein besseres Futter für Welse als Schweinefleisch«, fügte er hinzu und zog zischend die Luft durch seine Zahnlücke.

Mrs. Jackson hatte Lydia während der Zugfahrt bereits vorgewarnt. Sie müsse darauf gefasst sein, dass die neue Umgebung einen gewissen negativen Einfluss auf Adam haben könnte.

»Männer kommen immer vom Weg ab, wenn man sie allein lässt«, erklärte sie mit wissender Miene.

Adam bildete da keine Ausnahme, aber er hatte nicht einfach nur einen kleinen Umweg gemacht, sondern gleich eine ausgewachsene Expedition unternommen. Lydia musste zweimal hinschauen, ehe sie in dem ungepflegten Mann, der mit dem Hut in der Hand auf dem Bahnsteig stand, ihren Verlobten wiedererkannte. Sein Hemd war zerknittert, seine Schuhe ungeputzt, und sein Haar sah aus, als hätte er es mit einem Rechen gekämmt.

Adam entging ihre Missbilligung nicht.

»Verzeih«, stammelte er entschuldigend und fuhr sich verlegen mit den Fingern durch sein Haar. »Aber ich war die ganze Nacht auf und habe das Wallace-Baby entbunden.«

Lydia starrte ihn verständnislos an. Irgendwie hatte sie einen Arzt auf derselben gesellschaftlichen Ebene wie einen Grafen oder Herzog angesiedelt. Ihr wäre niemals der Gedanke gekommen, dass Adam tatsächlich arbeiten musste.

Es wäre eine Untertreibung gewesen, hätte man gesagt, dass Lydia und Mrs. Jackson einen etwas förmlicheren Empfang erwartet hatten. Aber sie bemerkten durchaus, dass die Leute sie grinsend angafften und hinter vorgehaltener Hand miteinander flüsterten. Und so sagten sie lieber nichts.

»Es stand Spitz auf Knopf«, fuhr Adam fort und nahm ihre Reisetaschen. »Eine Steißgeburt. Aber Louise Wallace ist eine Kämpfernatur.«

Ohne weitere Begrüßung breitete Adam Details der vergangenen Nacht vor ihnen aus. Die Hälfte davon war für Lydia und ihre Mutter unverständliches Kauderwelsch. Die andere Hälfte war so abstoßend plastisch, dass er ebenso gut ein primitives heidnisches Ritual hätte beschreiben können. Die beiden Frauen konnten nicht glauben, dass er ihnen solche Dinge erzählte.

»Als sie starke Blutungen bekam, hielten wir den Atem.an«, fuhr Adam fort, ohne zu bemerken, dass alle Farbe aus Lydias porzellanweißem Gesicht gewichen war und dass ihre Lippen einen schmalen Strich bildeten.

Die Qualitäten, die Lydia an ihrem Verlobten bisher am meisten bewundert hatte – sein schmuckes Äußeres, sein reserviertes Auftreten, seine kühle Distanz –, waren wie ausgelöscht und durch eine lodernde Leidenschaft für seinen Beruf ersetzt worden.

»Arzt zu sein bedeutet so viel mehr, als ich jemals gedacht hätte«, beteuerte er mit glänzenden Augen. »Mir fehlen die Worte.«

Lydia ebenfalls. Es war fast ein Jahr her, dass sie Adam das letzte Mal gesehen hatte. Nun war sie eine endlose lange Zeit in einem Zug fast zu Tode gerüttelt worden und stand jetzt auf einem lauten Bahnhof in einem stinkenden, kleinen Ort, und der Mann, den sie heiraten sollte, sah aus wie jemand in der Schlange vor einer Suppenküche.

Doch nichts von alledem war die Ursache für den düsteren Schatten, der sich auf Lydias Gesicht legte. Lydia gehörte schlicht und einfach zu den Frauen, die es nicht ausstehen konnten, wenn es zwei Sonnen im Universum ihres Mannes gab. Dass Dr. Montgomery seine Arbeit liebte, mochte noch angehen, aber dass diese ihre eigene Sonne überlagern sollte, war nicht zu tolerieren.

»Lydia freut sich ja so für dich«, beeilte Mrs. Jackson sich zu sagen und packte ihre Tochter so fest am Arm, dass es ihr das Blut abschnürte. »Nicht wahr, mein Schatz?«

Lydia lächelte verhalten. Sie war eine Frau, die warten konnte. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Adam fiel auf, dass sie aussah wie ein Baby, das eine Kolik hatte.

***

Eine Stadt ist wie eine Frau – entweder sie kennt ihren Wert oder nicht. Da die Belles immer schon die Hälfte des County besessen hatten, verkaufte Leaper's Fork sich teuer.

Musette Belle, in deren Haus sowohl Yankee-Offiziere als auch Südstaatenrebellen ein- und ausgegangen waren, hatte die Beobachtung gemacht, dass in guten wie in schlechten Zeiten Männer nur ungern auf ihre Zigarre verzichteten. Die Folge davon war, dass Leaper's Fork – um im Bild zu bleiben – zur verwöhnten Geliebten des Tabakanbaus avancierte, statt wie alle umliegenden Städte jede stinkende Fabrik oder Eisengießerei hofieren zu müssen, die mit ein paar Scheinen winkte. Zugegeben, sie wuchs nicht mit derselben Geschwindigkeit wie ihre emsigen Schwesternstädte, aber sie alterte auch nicht wie sie.