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Die alles entscheidende Schlacht steht kurz bevor. Die freien Völker müssen ihre letzten Kräfte aufbringen, um das Unheil aus der jenseitigen Welt abzuwenden. Aber kann dieser Sturm wirklich aufgehalten werden? Während Mathir sein Heer am Ostwall aufstellt, um die Druule abzuwehren, klammern sich Elrikh und seine Gefährten an eine Legende aus den alten Schriften. Gibt es einen Weg, den Dunkelgott zu bezwingen? Oder wird der Kontinent Obaru unter die Herrschaft des Einen fallen?
Dies ist das Finale der vierteiligen Berrá Chroniken.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Der Dunkelgott
René Pöplow
Gewidmet
Horst Nadolski
Meinem Freund, meinem Trainer, meinem Mentor, meinem zweiten Vater. Du warst immer ein Kämpfer. Niemals hast du aufgegeben. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht an dich denke. Ich kann nur hoffen, dass du weißt was du mir bedeutet hast. Als viele mich aufgegeben haben hast du zu mir gehalten. An unsere gemeinsame Zeit werde ich immer mit einem Lächeln zurückdenken. Bis wir uns in den goldenen Hallen wiedersehen.
René Pöplow, geboren 1980 in Hannover.
„Der Dunkelgott“ ist mein viertes großformatiges Buch, welches den Berrá Chroniken zugehörig ist.
Als Musiker war ich Mitbegründer der Gothic Rock Band Herbstschmerz welche sich Ende 2011 auflöste. Zwischenzeitlich schwang ich auch bei der Heavy Metal Gruppe Storykeeper die Drumsticks. Nach dem Ende von Herbstschmerz wechselte ich von den Drums zur akustischen Gitarre und zum Gesang um meine Berrá Chroniken auch in musikalischer Form umzusetzen. Unter dem Namen Die Mogeltrolle habe ich bereits zwei Tonträger veröffentlicht und auch als Straßenmusiker und in kleineren Lokalen bringe ich meine Lieder unter das Volk.
1. eBook Auflage 2015
© René Pöplow
Sämtliche Rechte liegen beim Autor.
Illustrationen: Sarah Bergmann
Ähnlichkeiten mit toten oder noch lebenden Personen, sowie geschichtlichen Ereignissen sind Zufall und vom Autor nicht beabsichtigt.
Unerlaubte Vervielfältigung, Verletzungen gegen das Urheberrecht oder das Verwenden von Buchinhalten zu unautorisierten Zwecken werden vom Rechteinhaber zur Anzeige gebracht.
Informationen über die Berrá Chroniken und andere Buchprojekte des Autors finden Sie unter www.elrikh.de
Beinahe sieben Jahre sind vergangen. Vor sieben Jahren schrieb ich die ersten Zeilen für „Blutlinie der Götter“, nicht ahnend, dass ich damit den Grundstein einer ganzen Reihe legte. Mein Anspruch, eine rundum vollständige und in sich schlüssige Geschichte zu erzählen, wuchs mit jedem Band. Und meine Leser bestätigten mich in meinem Gefühl, dass die Berrá Chroniken mit jedem weiteren Werk wuchsen. Nicht nur an Umfang und Inhalt. Sondern auch an Anspruch und Qualität. „Der Dunkelgott“ hat große Erwartungen zu erfüllen. Und auch wenn sich einiges vielleicht anders entwickelt hat, als ihr es euch gedacht habt, wird dieses Buch euch hoffentlich bis zum Ende fesseln. Doch wer weiß schon was das Ende ist?
Schmerzen. Schmerzen hatte sie in ihrem Leben erfahren. Schmerzen hatte sie anderen zugefügt. Schmerzen waren Teil ihrer Seele geworden. In den Jahrtausenden, die sie nun schon auf Berrá gewandelt war, hatte sie mehr Leben genommen als sie sich jemals erinnern könnte. Das Leid ihrer Opfer war ihr gleich. Sie tat was sie tun musste. Töten, Verletzten, Foltern. Sie kannte keine Grenzen. Von den besten und ältesten Lehrmeistern des Tränengebirges wurde sie unterrichtet. Die Schattenelfen des hohen Geschlechts hatten sie in eine Waffe verwandelt. In eine unbezwingbare Naturgewalt. In eine Gewalt welche entfesselt wurde um Blut zu vergießen. Ausgeschickt einen Menschenjungen zu töten, damit dieser nicht vom Dämon der jenseitigen Welt verführt werden konnte, war es das erste Mal in ihrem Leben als Schattenkriegerin, dass sie ihre Mission nicht erfüllen konnte. Sie hatte versagt. Alkeer stürzte in den Abgrund und entzog sich der Welt der Lebenden. Sie fürchtete um den Tag, an welchem er zurückkehren würde. Besessen von dem schwarzen Zauber der Unterwelt und bereit dem Dunkelgott neues Leben zu verleihen indem er seinen Samen in ein Wesen des Lichtes pflanzt. Sie sollte dieses Wesen sein. Jemand wollte sie in die Fänge der menschlichen Verräter treiben um Ozanuhl auferstehen zu lassen. Doch die Verräter fanden ein jähes Ende als sie selbst nach der göttlichen Macht griffen. Das Schattenkind versuchte den Pfad des Todes zu verlassen. Sie wollte mit aller Macht an das Gute in den Menschen glauben und gemeinsam mit ihren neuen Gefährten die Welt Berrá vor der Dunkelheit bewahren. Und dann kam er. Ein Sohn der Wüste. Verblendet vom falschen Glauben und gierig nach dem Thron der Menschen, schenkte er der Kriegerin diese eine Sache. Jene Sache, welche schon immer ihr Leben bestimmt hatte. Schmerzen. Unendliche Schmerzen. Scharfe Klingen, spitze Nadeln, glühende Eisen, ätzende Säuren. Sie liebkosten ihr Fleisch und brandmarkten sie auf ewig. Doch der Wüstensohn tat mehr, als nur den Körper seines Opfers zu schänden. Er brach ihre Seele. Mit jedem Schnitt und jedem Stich, lobpreiste er den Göttervater Zinakyl. Jenen Gott, für welchen sie ihr ganzes Leben gekämpft hatte. In seinem Namen hatte sie getötet und gefoltert. Und in seinem Namen, hatte nun auch sie ihre Läuterung erfahren müssen.
Seit jener Nacht, umfing Dunkelheit ihren Geist. Unfähig zu sprechen oder sich zu bewegen, lag sie blind, taub und stumm in der Finsternis und fragte sich ob dies ihr Leben nach dem Tod sein sollte. Erst als sie den Geschmack ihres eigenen Blutes auf der Zunge spürte, wusste sie, dass es noch nicht vorbei war.
Die Maske des Dunkelgottes ist das Bindeglied zwischen der Unterwelt und der Welt der Lebenden. Sie ist Ozanuhls Anker auf Berrá. Er spricht durch die Maske zu all jenen, die sich leicht verführen lassen. Er bietet ihnen Macht, Reichtum, Unsterblichkeit. Wer ihm einmal verfällt, wird sich nie mehr der Ketten dieses Martyriums erwehren können. So ist auch der Auserwählte in den Bann des Dunkelgottes gefallen. Der Menschenjunge mit Namen Alkeer, wird vom Dämon gelenkt, welcher in der Maske ruht und die Wiedergeburt Ozanuhls herbeiführen soll. Der Dämon ist gebunden an die Maske und ist nicht imstande feste Gestalt anzunehmen. Deswegen muss Alkeer für ihn handeln. Beseelt mit der dunklen Macht, ist er darauf aus die Welt der freien Völker zu unterwerfen, damit er ein Wesen der reinen Lichtmagie schänden, und so dem Dämon zu einem neuen Körper verhelfen kann. Isamaria ist der einzige Ort, welcher einem Außenstehenden den Weg nach Vinosal eröffnen kann. Der verborgene Kontinent der Elfen ist das, was der Dämon begehrt. Dort kann er seine Widergeburt herbeiführen.
Den Menschenjungen Alkeer zu töten, wird Ozanuhls Schatten nicht für ewig vertreiben können. Nur wenn die Maske zerstört und damit seine Verbindung zur irdischen Welt abgeschnitten wird, kann man das Übel an der Wurzel packen und es für immer ausrotten. Doch dazu bedarf es einer Gemeinschaft, welche es so, noch nie gegeben hat.
Aufzeichnung aus Isamaria
Unbekannte Zeit
Unbekannter Verfasser
Der Meldereiter hatte Boemborg gerade noch rechtzeitig erreicht. Mit großen Signalfeuern konnte er den Nordmann vor der westlichen Küste Obarus abfangen und ihm von dem Waffenstillstand mit den Nomaden berichten. Boemborg wollte zuerst nicht glauben was er hörte. Aber nachdem ihm seine Späher die Aussage des Boten bestätigen konnten, akzeptierte er die Wahrheit schließlich. Almereth war gefallen und seine Soldaten suchten nun ihr Heil in der Flucht. Boemborg interessierte sich nicht für weitere Einzelheiten. Ihm ging es nur noch darum seine Männer wieder in heimische Gefilde zu bringen. Seine Flotte war nicht in der Lage auf direktem Wege in den Norden zurückzukehren. Dazu war die Strömung zu stark. Bei ihrem Ausweichmanöver in Richtung des offenen Meeres verloren sie zwar einen ganzen Tag aber alles war dem Nordmann lieber als sich den Wüstenhunden noch weiter zu nähern. Boemborg wusste wozu fliehende Soldaten in der Lage waren. Und diese sollte man keinesfalls unterschätzen. Nach allem was der Bote und seine Späher ihm berichten konnten, lagerten immer noch über zwanzigtausend Nomaden an der Westküste. Und ohne eine Führung konnte nun alles passieren. Sie konnten Obaru verlassen und nach Talamarima zurückkehren. Aber genauso gut wäre es möglich, dass sich größere Splittergruppen vom Hauptheer entsagten und mit Gewalt nahmen was ihnen ihrer Meinung nach weiterhin zustand. Der blonde Nordmann hatte schon früher gegen die Nomaden gekämpft. Damals waren sie gierige Wilde, die raubend und plündernd in seine Siedlungen eingefallen waren. Sie versuchten die abgelegenen Dörfer seines Volkes zu versklaven und zu läutern. Doch die Menschen des Nordens waren stark. Sie vertrieben die Wüstensöhne und gingen ein Bündnis mit Isamaria ein. Diese Allianz hatte die Nomaden für viele Jahre abgeschreckt. Doch die Machtgier des Fürsten Almereth war größer als die Angst vor dem Bündnis der freien Völker. Wenn der Stammesführer wirklich den Tod gefunden hätte, könnte dies eine einmalige Gelegenheit darstellen. Man könnte die Wüstenhunde ein für alle Mal vernichten. Doch Boemborg konnte dies nicht alleine vollbringen. Es galt den hohen Rat der Wolkenstadt zu überzeugen.
Am Morgen des zweiten Tages ihrer Rückreise, traf die Flotte auf ein einzelnes Schiff welches weder den Nomaden noch den Valantariern zugehörig schien. Boemborg schaute angestrengt durch den Fernblick und suchte nach Hoheitszeichen. Der ungepflegte Zustand der Schiffswand ließ den Nordmann schnell vermuten, dass es sich hierbei um ein Söldnerschiff handeln musste. Dies wiederum, weckte seine Neugier.
Jeder Söldner und jeder Pirat sollte inzwischen vom Krieg auf Obaru wissen. Keiner der bei Verstand ist, würde sich so nah an die westlichen Gewässer wagen, wenn er nicht einen verdammt guten Grund dafür hätte.
„Steuermann, dreh bei! Rafft die Segel! Ich will sehen ob diese Verrückten abdrehen oder ihren Kurs in unsere Richtung halten.“
Die Verrückten drehten nicht ab. Doch das war nicht die einzige Überraschung, welche Boemborg erwartete. Der Kapitän des Schiffes war ihm nicht unbekannt. Brook dá Cal hatte in der Vergangenheit regen Handel mit einigen Siedlungen der Nordmänner betrieben. Niemand zweifelte daran, dass es sich stets um unrechtmäßig erworbene Waren handelte die der Freibeuter ihnen brachte. Aber seine niedrigen Preise ließen diesen Umstand schnell vergessen. Doch es war keinesfalls Brook selbst, der den Nordmann so in Erstaunen versetzt hatte, sondern einer seiner Passagiere. Noch während Boemborg die Hand zum Gruß erhob schritt ein gewaltiger Schatten hinter den Segeln der Wellenschneider hervor. Ein Troll von beeindruckender Größe kam auf dem Deck der Piraten zum Vorschein und verlangte den Nordmännern ein ehrfürchtiges Getuschel ab. Die bärtigen Krieger hatten schon öfters mit den Riesen aus dem Dunkelfelsgebirge zu tun. Nicht immer gingen diese Aufeinandertreffen freundlich aus. Oftmals gab es Streitigkeiten wegen der guten Jagdgründe im hohen Norden. Anfangs beschränkte sich das Volk der Nordmannen auf den Fischfang und die Jagd auf kleineren Inseln vor der Küste. Doch mit der Zeit mussten sie immer weiter auf das Festland und schließlich ins Gebirge ausweichen um ihre Siedlungen ernähren zu können. Oft drangen sie dabei in das Reich der Trolle ein. Die Dickhäuter reagierten sehr ungehalten auf die Grenzverletzungen, ließen es aber nie zum Äußersten kommen. Boemborg gehörte nicht zu denjenigen die einen Groll gegen die Trolle hegten. Aber ebenso wenig wollte er seine Leute dem Hunger aussetzen nur weil ein paar führerlose Riesen ihre dicken Bäuche nicht voll genug kriegen konnten.
„Seid gegrüßt“, rief Brook so laut, dass Boemborg aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Wie ich sehe segelt ihr Richtung Norden. Ein weiser Entschluss. Wir kommen aus den Hoheitsgewässern von Elamehr und wollen ins Ostgebirge. Wisst ihr ob die Seeroute sicher ist?“
Der Nordmann nickte nur und gab Brook ein Zeichen, dass er gerne auf dessen Schiff kommen würde. Der Freibeuter war einverstanden und reihte sich in die Flotte der Nordmänner ein.
Was sind das nur für Zeiten? Ein Troll an Bord eines Piratenschiffes. Dieser Tage scheint wirklich nichts unmöglich zu sein.
Die Wellenschneider sollte noch mehr Überraschungen für Boemborg bereithalten. Zu seiner Verwunderung, schien ein Großteil der Schiffsbesatzung aus Frauen zu bestehen. Der erfahrene Seefahrer erkannte sofort, dass es sich hierbei nicht um typische Frauenzimmer handelte, die ihr Leben auf einem Schiff verbrachten.
Ein Auge immer noch auf den mächtigen Troll gerichtet, reichte Boemborg seinem Gastgeber die Hand und wurde sogleich mit einem Becher Wein begrüßt.
„Ich hätte nicht mit einer Flotte soweit westlich gerechnet. Was treibt euch in das Kriegsgebiet der Nomaden und Valantarier?“
Der Nordmann stieß mit Brook an und nahm einen kräftigen Zug.
„Es ist nicht länger ein Krieg zwischen Valantar und den Sandfressern. Die freien Völker Isamarias sind ausgezogen um den Kontinent zurück zu erobern. Jedenfalls war dies unsere Absicht.“
„War?“, wiederholte Brook verwirrt.
„Ja. Ich gehöre zu den Kommandanten dieses Feldzuges. Unsere Fußtruppen haben das Heer aus Talamarima in der Ebene gestellt und sie das Fürchten gelehrt. Meine Flotte sollte über den Seeweg in Almereths Rücken fallen und ihm den Rest geben. Doch es kam anders.“
Brook ließ kurz den Kopf sinken und blickte dann verzweifelt zu Mart. Der Troll setzte eine ernste Miene auf.
„Euer Heer wurde vernichtet?“, kam es zögerlich von dem Troll.
„Nein. Im Gegenteil. Ein Bote unseres Heerführers hat berichtet, dass die Zentauren und ein großer Trupp der Valantarier unsere Armee unterstützt haben. Sie hielten der Übermacht aus der Wüste stand und verteidigten sich so gut sie konnten. Dann berichteten Späher, dass Almereth mit zwanzigtausend weiteren Soldaten anrückte. Unsere Leute dachten bereits sie wären verloren. Doch anstatt die Ebene zu überrennen, boten die Nomaden einen Waffenstillstand an.“
„Einen Waffenstillstand? Wozu das?“
Boemborg leerte seinen Becher.
„Angeblich haben sie einen neuen Anführer. Und dieser hat die Kampfhandlungen beendet und gesagt, dass er und seine Leute, Obaru so schnell es geht verlassen werden.“
„Seid ihr euch da sicher“, hakte Brook nach. „Warum sollten die Wüstenhunde den Kampf einfach aufgeben?“
Boemborg bemerkte wie einige der Frauen sich näherten. Sie hatten die Worte des Nordmanns vernommen, schienen ihm jedoch nicht zu glauben. Eine junge Frau stellte sich neben Brook und bedachte den Nordmann mit einem durchdringenden Blick.
„Er hat euch belogen. Der Nomade hat euch belogen. Diese Hunde kennen keine Gnade. Sie haben kein Gewissen. Alles was sie wollen ist Zerstörung. Sie wollen die Menschen versklaven und ….“
„Es ist gut“, unterbrach Brook die junge Frau, welche sich immer mehr in Rage redete. Erst als ein paar der anderen Frauen sie wegzerrten, schien sie sich zu beruhigen. Der Pirat schüttelte den Kopf. „Ihr müsst sie verstehen. Die Nomaden haben ihr Dorf überfallen und unvorstellbar gebrandschatzt. Diejenigen, die nicht sofort den Tod fanden, wurden verschleppt und als Sklaven gehalten.“
„Dann gehören diese Frauen gar nicht zu euch?“
„Eigentlich schon. Einer unserer Gefährten kommt aus dem Dorf dieser Frauen. Er hat sie befreit und zu mir aufs Schiff gebracht. Während wir über den Seeweg nach Isamaria segeln reist er durch das Bockental und warnt die anderen Überlebenden des Massakers.“
„Die anderen Überlebenden?“
„Ja. Als die Dorfbewohner verschleppt wurden, trennte man die Männer von den Frauen. Die Männer kehrten ins Dorf zurück um dort auf uns zu warten. Doch nachdem wir die Frauen an Bord nahmen wurden wir gezwungen einen anderen Kurs einzuschlagen.“
Der Nordmann stellte seinen Becher beiseite und schirmte mit seiner Hand den Blick gen Osten ab.
„Der Wind steht günstig und der Himmel ist klar. Wenn ihr euch uns anschließen wollt seid ihr herzlich willkommen. Unser Weg führt direkt zur Küste des Ostgebirges. Auch wenn die Nomaden ihren Rückzug erklärt haben, kann es nichts schaden zusammen zu bleiben.“
Brook blickte erneut zu Mart, welcher ihm ein kurzes Nicken schenkte. Der Seemann seufzte, leerte seinen Becher in einem Zug und suchte anschließend den Blick des Nordmannes.
„Nicht die Nomaden sollten uns Sorge machen. Ein neuer Feind ist im Anmarsch. Und dieser wird nicht so einfach wieder verschwinden.“
Der bärtige Krieger trat näher an Brook heran und sprach mit flüsternder Stimme.
„Was habt ihr gesehen?“
Was Brook dem Nordmann daraufhin erzählte, bestätigte diesen in seiner Annahme. Dieser Tage schien nichts unmöglich zu sein.
Die Ratshalle war so voll wie schon lange nicht mehr. Seit dem Verschwinden von Levithar und seinen Artgenossen waren die Bauten der Wolkenstadt nicht mehr das was sie früher einst waren. Der Marmor wirkte glanzlos und kalt. Nichts ließ die Besucher ahnen welche Macht einst von diesem Ort ausging und wer schon alles über den steinernen Boden dieser Halle schritt. Rahbock hätte den Versammelten gerne die ganze Pracht dieses Ortes gezeigt. Doch die Sorgen in ihrer aller Herzen schienen sich auf dem Marmor widerzuspiegeln.
Ehe der Weise auf das Rednerpodest schritt, besah er sich seine Zuhörer. Die Ratsherren aus der valantarischen Königsstadt saßen zu seiner Rechten. Lukamas, Vartik und die anderen Lords, bemühten sich ihren Stolz und ihre Würde aufrecht zu erhalten. Niemand wollte wie ein Flüchtling auf den Rat wirken. Viele von ihnen kannten Isamaria nur aus Erzählungen. Trotz der allgemein trüben Stimmung konnte man Ehrfurcht in den Augen der Gäste sehen während sie die Bauten bewunderten. Mathir, Brunal, Trimalia, Adehrmus und der Zentaurenhäuptling Moran zu seiner Linken, hatten Rahbock in den vergangenen Tagen über den Verlauf des Krieges unterrichtet. Sie erzählten von der Schlacht gegen die Nomaden in der Ebene und auch von dem Meldereiter aus Alchor welcher vom Fall der Hafenstadt durch einen neuen Feind berichtete. Über eben diesen Feind wollte Rahbock die heutige Versammlung aufklären. Obgleich sie in der Vergangenheit ihre Unterstützung verweigert hatten, waren auch die Trolle und Sahlets wieder vertreten. Niemand wollte im Unklaren über die neuesten Ereignisse bleiben. Auch aus der Südregion der Wehrmauer waren einige Besucher gekommen. Es handelte sich dabei um allerlei Flüchtlinge aus den verschiedensten Gebieten Obarus. Als Sprecherin hatten sie eine energische junge Frau namens Malda auserkoren. Sie war eine der wenigen Überlebenden aus Elamehr und hatte sich den Respekt ihrer Leute offenbar mehr als einmal verdient.
Rahbock wusste, dass er seine Ansprache nicht länger hinauszögern konnte. Langsam schritt er auf das Rednerpodest zu und ordnete dabei ein letztes Mal seine Gedanken. Das allgemeine Gemurmel erstarb als die Anwesenden seine unsichere Miene erblickten.
„Meine Freunde. Es ist mir kaum möglich euch all das zu sagen was mir in den letzten Tagen zugetragen wurde. Ein Sturm hat unsere Heimat heimgesucht. Und er wütet immer noch. Auf dem ganzen Kontinent geschehen Dinge welche sich unserem Einfluss entziehen und doch unser aller Leben bestimmen werden. So lasst mich damit beginnen euch von der Schlacht in den Ebenen zu berichten.“ Der Weise nahm einen Schluck Wasser zu sich und fuhr fort. „Entgegen all unseren Befürchtungen war es keine Schlacht bis zum letzten Mann. Die Nomaden haben einen Waffenstillstand ausgerufen welchen wir selbstverständlich angenommen haben. Doch bevor es soweit war, fanden tausende von tapferen Kriegern den Tod. Obgleich wir mit den Zentauren und Kommandant Adehrmus unerwartete Verbündete gewannen, mussten wir viel Blut in den Ebenen lassen. Jene Soldaten, welche nicht im Kampf gefallen sind, lagern nun hinter den Wehrmauern. Kommandant Verius hat den Befehl über die Truppen übernommen während Heerführer Mathir in Isamaria verweilt. Wir konnten…“ Rahbock geriet ins Stocken und musste um Fassung ringen. „Wir konnten unsere Gefallenen nicht vom Schlachtfeld bergen. Eine neue Gefahr hat sich im Süden aufgetan, weswegen wir unsere Überlebenden schnellstmöglich in das Ostgebirge zurückziehen mussten. Soweit uns bekannt ist haben die Nomaden ihre Toten ebenfalls auf dem Schlachtfeld hinterlassen.“ Bei dem Gedanken daran, dass die Landschaft Obarus mit tausenden toter Soldaten übersät war, ließen viele der Anwesenden einen mitleidsvollen Seufzer hören. Einige neigten sogar ihr Haupt und gaben sich einem stillen Gebet für die Gefallenen hin. Doch Rahbock konnte ihnen keine Zeit mehr zum Trauern geben. Stattdessen musste er die nächste Unheilsbotschaft verkünden. „Die valantarische Hafenstadt Alchor wurde überrannt. Doch es waren nicht die Nomaden welche diese Schandtat begingen.“ Der Weise holte tief Luft. „Die Diener des Einen haben Obaru erreicht.“
Aufschreie, Flüche und allgemeiner Tumult setzten ein. Rahbock konnte gegen den Lärm nicht anreden und wandte sich hilfesuchend an Heerführer Mathir. Dieser schritt zum Weisen auf das Rednerpodest und rief die Versammlung zur Ordnung.
„Diese Nachricht ist natürlich ein Schock für uns alle. Aber vergessen wir nicht, dass wir mit einem Angriff der Druule bereits gerechnet haben. Obgleich sie in großer Zahl unsere Heimat erreicht haben, sind wir vorbereitet.“ Der Blick des Heerführers fiel auf Adehrmus. Der Kommandant aus Alchor war immer noch von einem feigen Anschlag auf sein Leben gezeichnet. Dass seine Heimatstadt dem Erdboden gleich gemacht wurde, schien seinen Zustand noch zu verschlechtern. „Wir haben Boten in alle Teile Obarus geschickt. Jede Stadt, jedes Dorf, jede Siedlung wurde gewarnt. Jene Menschen, welche nicht bereits zu uns geflohen sind um den Nomaden zu entgehen, werden nun den Schutz des Ostgebirges suchen. So haben wir auch einen Boten nach Valantar entsendet. Lord Dukarus ist tot. Und die wahrscheinlich letzten noch lebenden Ratsherren der Königsstadt, sind hier bei uns. Die Chancen stehen gut, dass wir mit den Valantariern ein starkes Bündnis eingehen können.“ Mathirs Blick schweifte hinüber zu den Trollen und Sahlets. „Häuptling Moran hat uns in der vergangenen Schlacht beigestanden. Sind die Völker der Trolle und Sahlets ebenfalls zu diesem Schritt fähig?“
Bonka, der Rudelführer aller Trolle des Dunkelfelsgebirges, erhob sich und blickte auf den Heerführer hinab.
„Eure Worte zeugen von Stärke und Entschlossenheit. Obwohl die Nomaden einen hohen Blutzoll gefordert haben, haltet ihr weiter stand. Sogar die Zentauren sind, trotz aller vorigen Ablehnungen, eurem Heer beigetreten. Es ist beeindruckend zu sehen wie sich die Völker dieses Kontinentes gegen einen gemeinsamen Feind verbünden können. Ich muss es wissen. Denn mein Volk hat einst gegen euch alle gekämpft. Und der Göttervater allein weiß, was aus meinen Leuten geworden wäre, wenn es keinen Frieden gegeben hätte.“ Mathir schöpfte innerlich Hoffnung als er die Worte des Hünen vernahm. „Dennoch hat sich für uns nichts geändert“, fuhr Bonka fort. „Das Volk der Trolle wird nicht an eurer Seite stehen wenn ihr gegen die Druule in den Kampf zieht.“
Wieder erfüllten Rufe und Flüche die Ratshalle. Doch dieses Mal richteten sie sich nicht gegen die neuen Feinde sondern gegen die Verweigerer des letzten Bündnisses. Bonka ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und nahm gelassen wieder Platz. Auch die Verunglimpfungen vom Zentaurenfürst Moran, prallten an dem Troll ab. Mit größter Mühe konnte Mathir die Anwesenden zum Schweigen bringen, damit Meister Rahbock das Wort ergreifen konnte.
„Bonka. Warum verweigert ihr euch einem Bündnis? Habt ihr immer noch nicht begriffen was unserer Welt bevorsteht? Was glaubt ihr wird passieren wenn die Kreaturen der jenseitigen Welt die Reiche der Menschen, Zentauren, Sahlets und der anderen freien Völker, überrannt haben? Glaubt ihr allen Ernstes, sie würden vorm Dunkelfelsgebirge Halt machen?“
Bonka erhob sich noch nicht einmal für seine Antwort. Mit einem süffisanten Blick strafte er den Weisen einen Narren.
„Wir fürchten die Druule nicht, alter Mann. Mein Volk ist stärker als alle Missgeburten dieser Welt zusammen. Der Dunkelfels ist unser Reich. Nichts und niemand wird jemals einen Fuß auf unseren Stein setzen um ihn zu erobern. Wenn ihr nicht fähig seid eure Heimat zu verteidigen, so ist es vielleicht an der Zeit Platz zu machen für diejenigen die dies vollbringen können. Mir ist es einerlei ob ihr über das Ostgebirge herrscht oder die Druule.“
Rahbock tat einen Schritt vor und bedachte den Troll mit einem hasserfüllten Blick.
„Verlasst diese Halle. Ihr seid in Isamaria nicht länger willkommen.“
Bonka und sein Gefolge erhoben sich und schritten gemächlich an der Versammlung vorbei. Bevor er die Halle verließ drehte der Hüne sich für ein paar letzte Worte zu den Anwesenden um.
„Wenn die Druule ihr Werk vollbracht haben, werden wir sie aus dem Gebirge verjagen und es uns zu Eigen machen. Ich freue mich schon auf den Tag an dem ich als Herrscher über diese Stadt zurückkehren werde.“
Die langsam abklingenden Schritte der Riesen wirkten wie ein Sinnbild des sterbenden Ostgebirges. Wie ein verstummender Herzschlag, würde auch Isamaria im Nichts verschwinden.
Es war jene heißblütige junge Frau aus Elamehr, welche Rahbock schon bei anderen Unterredungen überrascht hatte, die die unerträgliche Stille der Ratshalle brach. Sie erhob sich von ihrem Platz und blickte zum Rednerpodest.
„Mein Name ist Malda und ich bin die gewählte Sprecherin jener Flüchtlinge, welche im Süden der Wehrmauer angesiedelt wurden. Die Männer und Frauen, die mir unterstellt sind, mögen keine erfahrenen Soldaten sein aber sie sind bereit den Wall mit all ihrer Kraft zu verteidigen. Wir haben die Befestigungsanlagen weiter ausgebaut, Unterkünfte geschaffen und sogar Ackerbau betrieben, um die Menschen auch weiterhin mit Nahrung versorgen zu können. Beinahe täglich erreichen uns mehr Menschen. Sie kommen aus den Städten, den Tälern und Ebenen. Sie haben Angst. Aber sie sind bereit für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie waren es als die Nomaden angriffen und sie werden es auch sein wenn die gottlosen Druule gegen unsere Mauern rennen.“
Der erschöpfte Rahbock schenkte der jungen Frau ein dankbares Lächeln. Die Anwesenden bedachten sie mit zustimmendem Nicken. Dass eine einfache, unbekannte Frau derart viel Hoffnung auf einen Sieg zeigte gab allen ein Gefühl der Zuversicht. Schließlich war es der Sahlet-Älteste welche sich als erstes bei Malda bedankte. Auch er erhob sich und blickte zu Rahbock und Mathir.
„Die Worte dieser jungen Frau sollten uns allen in Erinnerung bleiben. Auch mein Volk wird von dem Schatten der Druule bedroht. Es wird uns nicht möglich sein unsere Höhlen zu verlassen um gegen die Kreaturen des Dunkelgottes auf euren Wehrmauern zu kämpfen. Meine Leute könnten im Gebirge nicht überleben. Und die Magiebegabten abzuziehen hieße, tausende von Sahlets schutzlos zurück zu lassen. Aber lasst mich euch eines versichern. Hier und heute schwöre ich, dass wir euch nicht im Stich lassen werden, wenn die Zeit des Kampfes gekommen ist. Die Sahlets werden sich nicht in den Sümpfen verstecken und auf ein Ende des Sturmes warten. Wenn es soweit ist werden wir euch beistehen.“
Moran, der Zentaurenfürst, erhob sich und sah den Sahlet-Ältesten abschätzend an.
„Ich habe nie daran geglaubt euer Volk mit dem Schwert in der Hand kämpfen zu sehen. Und dies habt ihr mir wieder einmal bestätigt.“ Leise Unruhe setzte ein und Rahbock glaubte bereits einen erneuten Streit des Zentauren und der Sahlets schlichten zu müssen. „Aber wenn ihr Wort haltet und den freien Völkern zur Seite steht, dann habt ihr euch meine Achtung verdient.“
Nach allem was gesagt wurde war es Zeit für eine Unterbrechung der Versammlung. Das Gehörte musste verarbeitet werden und überall im Tempel bildeten sich kleinere Grüppchen welche über Taktik, Verhandlungen und die neuesten Erkenntnisse diskutierten. Rahbock hatte sich in sein Amtszimmer zurückgezogen und verweilte dort in der Gesellschaft von Bremax. Der weise Ratgeber räusperte sich als Rahbock einzuschlafen drohte und reichte ihm etwas Wasser.
„Ihr solltet die Versammlung für heute nicht mehr einberufen. Es wurde genug geredet für einen Tag. Ruht euch aus, mein Freund.“
„Wie stellt ihr euch das vor, Bremax?“ Rahbock griff mit müden Händen nach dem Wasser und nahm einige kleine Schlucke zu sich. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Es muss entschieden werden was aus Valantar werden soll. Lord Vartik und die anderen Ratsherren der Königsstadt, müssen Gelegenheit bekommen sich zu äußern. Es bleibt die Frage wie wir uns ihnen gegenüber verhalten. Überlassen wir das Königreich seinem Schicksal? Oder sollen wir ihnen beistehen?“
„Ich dachte das versteht sich von selbst“, sprach Bremax gelassen. „Haben uns die letzten Jahre nicht deutlich vor Augen geführt, dass wir auf ein Bündnis mit dem valantarischen Reich angewiesen sind? Fällt der Süden, wird das Ostgebirge in Kürze folgen. Wir brauchen die Valantarier. Und sie brauchen unsere Mauern.“
Rahbock nickte und wischte sich Wassertropfen aus seinem Bart.
„Ihr seht, es gibt einiges zu besprechen. Doch während die Versammlung sich erneut zusammenfindet muss ich euch um einen Gefallen ersuchen.“
„Alles was ihr wünscht, mein Freund.“
Der Ratsweise nahm einen versiegelten Umschlag hervor und reichte ihm seinem Berater.
„Ihr müsst für mich nach Osten gehen. Wenn unsere Mauern fallen müssen wir einen anderen Weg finden um zu überleben.“
Lord Vartik hatte Schwierigkeiten sich auf seine Rede zu konzentrieren. Das letzte Mal als er vor einer großen Versammlung sprach, war Dukarus dabei die Führung über Valantar zu übernehmen. Damals hatte Vartik versagt. Er konnte die Machtübernahme nicht mehr verhindern. Zu gut waren ihm die feurigen Reden seines politischen Gegners in Erinnerung geblieben, als dass er sie einfach fortwünschen könnte. Seit diesen Tagen war ihm wieder bewusst geworden wie folgenschwer Worte sein konnten. Sei es um Gutes zu bewirken oder Böses. Bemüht darum sich seine Nervosität von den Anwesenden nicht anmerken zu lassen nahm er Rahbocks Platz auf dem Rednerpodest ein. Er trug ein schlichtes hellblaues Gewand ohne jedweden Schmuck. Vartik wollte nicht, dass seine Worte von denselben Hoheitszeichen begleitet wurden mit denen schon Lord Dukarus sich Respekt verschafft hatte.
„Bevor ich mich an euch alle richte möchte ich die Gelegenheit nutzen und Meister Rahbock meinen Dank aussprechen. Allen voran Schwertmeister Befay, welcher dieser Tage nicht unter uns weilen kann, ist es zu verdanken, dass meine valantarischen Mitstreiter und ich noch am Leben sind.“ Vartik verbeugte sich in Richtung von Rahbock. Dieser hatte Befays Verrat geheim gehalten und rang sich nun ein erzwungenes Lächeln ab. „Das Königreich Valantar steht kurz vor der Vernichtung. Elamehr wurde von den Nomaden ausgelöscht. Alchor ist von den Drullen der jenseitigen Welt überrannt worden. Kommandant Adehrmus hat Kuriere in all unsere westlichen Siedlungen gesandt. Keiner von ihnen kam zurück. Wie es um die Königsstadt und die östlichen Ländereien steht können wir nur vermuten. Die Nomaden haben schwer gewüstet und die Menschen aus ihren Städten und Dörfern getrieben. Und kaum, dass die Wüstensöhne abgerückt sind, reiht sich schon der nächste Feind ein und strebt nach der Vernichtung aller freien Völker. Wir alle wissen zu was diese Kreaturen fähig sind. Und umso mehr wissen wir was unsere Völker bereits erdulden mussten. Der Krieg gegen die Nomaden hat das Königreich Valantar geschwächt. Es ist führerlos, verängstigt und allein.“ Vartik holte tief Luft. Es schmerzte ihn sehr, so von seiner Heimat sprechen zu müssen. „Meister Rahbock und ich haben in der vergangenen Nacht beisammen gesessen. Er hat mir… er hat ALLEN valantarischen Bürgern Zuflucht angeboten.“ Vartik blickte zu Lord Lukamas. Dieser war ehemaliger Stadthalter von Alchor und hätte Vartik im valantarischen Rat beerben sollen. Lukamas hatte gehofft, dass das Königreich wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden und unabhängig von allen Bündnissen bleiben würde. Doch Vartiks Blick verriet ihm, dass dieser anderes vorhatte. Der alte Ratsherr atmete schwer. „Ich habe beschlossen, dass es das Beste für das valantarische Volk ist wenn es sich in das Ostgebirge flüchtet.“
Ein Raunen ging durch die Versammlung. Man sah es Lukamas nicht an aber der Stadthalter zerbrach innerlich. Für ihn war Valantar stets das leuchtende Beispiel von Gerechtigkeit, Stärke und Ehre. Niemand musste Hunger leiden. Jedem wurde Obdach gewährt. Schriftgelehrte hatten über Jahrtausende hinweg die Geschichte der Welt festgehalten und ihre Weisheiten in den Bibliotheken des Reiches verewigt. Das alles sollte nun vergangen sein.
So wie Mathir zuvor Rahbock beigestanden hatte erhielt Vartik nun Beistand durch Kommandant Adehrmus. Der angeschlagene Krieger trat auf das Rednerpodest und beruhigte die laut gewordene Menge.
„Lord Vartik und ich haben bereits über diese Entscheidung gesprochen. Obgleich sie einigen vielleicht übereilt oder unverständlich erscheinen mag ist es doch das einzig richtige. Wir haben in der Vergangenheit gezögert weil wir uns für unangreifbar hielten. Elamehr ist gefallen weil Heerführer Gezehm keine Bedrohung in den Nomaden sah. Die Bewohner von Alchor haben den Tod gefunden weil ich sie nicht ihrer Heimat berauben wollte. Die Königsstadt darf nicht dasselbe Schicksal ereilen. Ihre Mauern mögen hoch und ihre Gräben tief sein. Aber diese Bedrohung übersteigt all unsere Vorstellungen. Es gibt nur einen Weg. Wir müssen die freien Völker hinter dem Wall des Ostgebirges einen und die Druule dort zum Kampf zwingen. Bleiben wir uneins werden wir alle den Tod finden.“
Seit seinem Abschied auf den Rankhara-Inseln hatten Mathir und Trimalia ihren Ordensbruder Saba nicht mehr gesehen. Die Freude war trotz der jüngsten Ereignisse groß und der dunkelhäutige Hüne schaffte es tatsächlich ein Lächeln auf Mathirs Gesicht zu zaubern. Saba war zum Ende der großen Versammlung in Isamaria eingetroffen und hatte keine Zeit verloren seine Kameraden in deren Quartier zu besuchen. Mathir stellte einen Weinkrug und drei Becher auf den Tisch und bedeutete seinen Freunden Platz zu nehmen.
„Dass ich dich noch einmal wiedersehe… ich hätte es nicht mehr geglaubt. Seitdem du mit Malek, Bolmar, Lemok und Nissina dem Jungen gefolgt bist wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Noch nicht einmal unser Ordenshaus blieb von dem Verräter Dukarus verschont.“
Saba nickte und nahm den Wein dankend an.
„Ich weiß. Nachdem ich von eurer Verurteilung hörte habe ich Eurekos angeraten die Stadt zu verlassen. Meine Verbündeten innerhalb Valantars wussten von Dukarus Plänen den gesamten Orden zu vernichten. Eurekos hat das einzig richtige getan und viele unserer Brüder und Schwestern gerettet.“
Mathir und Trimalia tauschten vielsagende Blicke aus. Der ergraute Heerführer schob seinen Becher beiseite und seufzte.
„Ich habe Eurekos lange für seine Flucht verurteilt. Ich dachte er… für mich sah es so aus als würde er Valantar verraten. Aber heute weiß ich es besser.“
Trimalia ergriff die Hand ihres Kameraden und versuchte ihn zu trösten.
„Eurekos hat Mathir zu seinem Nachfolger ernannt. Er ist nun der Tempelvorsteher unseres Ordens.“
Saba blickte seinen Freund mit großen Augen an. Doch dieser wich ihm aus und schritt unruhig im Zimmer auf und ab.
„Es ist nicht die Zeit um die Blutschwerter in einen neuen Tempel zu führen. Meine Kraft wird woanders gebraucht.“
„Dasselbe hast du auch gesagt als du den Posten als Heerführer übernehmen solltest. Und doch war es richtig dies zu tun“, widersprach Trimalia. „Unser Orden braucht jetzt einen Anführer. Sonst werden die Lehren der Blutschwerter für immer aus dieser Welt verschwinden.“
„Wenn wir diesen Krieg verlieren werden wir alle aus dieser Welt verschwinden.“
Die anfangs so freudige Stimmung hatte sich unbemerkt in eine düstere Stunde verwandelt. Unfähig am heutigen Abend eine Entscheidung zu fällen, setzten sich die drei Kameraden wieder zusammen und hoben ihre Becher zum Gruß an alle Gefallenen ihres Ordens. Saba sah Mathir abschätzend an.
„Wusstest du von Vartiks Plan alle Valantarier ins Gebirge zu holen?“
Der neue Tempelvorsteher nickte zögerlich.
„Wir haben einmal kurz darüber gesprochen. Er wollte meine Meinung dazu hören. Ich hatte ihm damals abgeraten. Das Reich ist groß und in der alten Tradition seiner Könige verwurzelt. Die Menschen aus ihren Städten zu holen und ins Ostgebirge zu bringen grenzt an eine unmögliche Aufgabe. Sie werden erwarten, dass ihre Führer sie vor der Bedrohung aus Teberoth beschützen. Wie willst du ihnen begreiflich machen, dass jener Ort, der noch vor wenigen Monaten des Verrats am Reich beschuldigt wurde, nun ihr Überleben sichern soll? Wenn Dukarus eines erreicht hat mit seiner Herrschaft, dann war es, Zwietracht zwischen den Valantariern und Isamaria zu säen.“
„Zeiten ändern sich“, warf Trimalia ein. „Dukarus ist tot. Die Riesenadler haben die Wolkenstadt verlassen. Valantar ist schwer vom Krieg gezeichnet. Die Menschen haben niemanden mehr auf den sie sich verlassen können. Sie brauchen diesen Ort. Und wir brauchen die Menschen. Jeden Soldaten und jeden Bauern.“
Mathir leerte seinen Becher und ging hinaus.
„Morgen wird es ein Treffen mit Rahbock, Vartik, Adehrmus und mir geben. Es soll besprochen werden wie wir Valantar am sichersten räumen können. Ich denke es wäre das Beste wenn die Blutschwerter als Eskorte dienen. Die Bürger kennen den Orden und vertrauen ihm.“
„Dann wirst du die Führung über den Orden übernehmen?“, setzte Saba fragend nach.
Doch Mathir blieb ihm eine Antwort schuldig und schloss die Tür hinter sich.
Ich schreibe diese Zeilen um unsere Taten für die Nachwelt festzuhalten. Nachdem ich Almereth im Zweikampf tötete und auch seinem neuen Heerführer Eccolor das Leben nahm, habe ich einen Waffenstillstand mit den Völkern Isamarias geschlossen. Die Männer sind uneins über meine Taten und ich glaube nicht, dass sie mich geschlossen als ihren neuen Führer anerkennen. Mein Kampf gegen Almereth hat viele ihren Glauben verlieren lassen. Als ich verkündete, dass wir einem falschen Weg gefolgt sind und künftig keinen Krieg mehr mit der Bevölkerung von Obaru suchen würden, konnte ich Unverständnis, Ratlosigkeit und sogar Hass in den Augen der Männer erkennen. Einige verfluchen mich für die Ermordung ihres Stammesführers. War er doch ein Tyrann und verblendeter Foltermeister, so gab er seinen Leuten ein Ziel. Er gab ihnen Hoffnung und die Aussicht auf ein Leben in gottesgläubiger Erfüllung. Ich habe ihnen das nun genommen. Obgleich wir geschlossen zur Westküste gezogen sind, haben sich bereits die ersten größeren Gruppen zusammengefunden und damit begonnen Schiffe für die Rückkehr nach Talamarima zu bauen. Ich werde nicht versuchen sie aufzuhalten. Sie haben lange genug unter der Knute ihres Herrn gelitten. Nun sollen sie selbst über ihr Schicksal entscheiden. Ich hoffe nur, dass sie davon absehen weiterhin auf Obaru zu brandschatzen. Dies würde den Frieden mit Isamaria zunichtemachen.
Diejenigen, welche bereit sind mir auch weiterhin zu folgen, sind gering an Zahl. Geringer als ich es erwartet hätte. Sobald die anderen uns verlassen werden, um in ihre Heimat zurückzukehren, werde ich erneut einen Boten nach Isamaria entsenden. Er soll dem Anführer der freien Völker mein Angebot unterbreiten, Wiedergutmachung zu leisten. Auch wenn ich nicht weiß wie wir die Überfälle, die Entführungen und nicht zuletzt den Krieg, jemals vergelten können. Sollten die Führer des Ostgebirges uns jedoch nicht länger auf Obaru dulden, werde auch ich nach Talamarima zurückkehren um dort ein Leben im Exil zu führen. Es gibt nichts was meine Taten unvergessen machen könnte. Keine Worte können ausdrücken wie groß das Bedauern ist welches ich empfinde. Und sollte mich noch in dieser Nacht der Tod ereilen werde ich die Hexe nicht noch einmal um Wiederauferstehung bitten. Dieses Mal soll meine Seele auf ewig mit den Qualen der Unterwelt bestraft werden.
Trotz des Gewichtes von Draihn und Elrikh auf seinem Rücken galoppierte Rethika wie ein junger, ungestümer Hengst durch das Tal. Der Zentaur keuchte schwer und seine Flanken glänzten vom Schweiß. Aber eher hätte er sich seinen rechten Arm auch noch amputieren lassen, als dass er sich eine Schwäche eingestanden würde. Elrikh dachte immer noch an Limar und die anderen Frauen. Er war es Leid von seiner Familie und Freunden getrennt zu sein. Er wollte endlich wieder ein Leben unter seinesgleichen führen. Fern ab von Krieg und Zerstörung. Er wollte ins Bockental um dort die alte Mühle auf dem Südhügel zu reparieren. Er wollte sehen wie sich ihre Arme im Wind drehten und den Bauern das Korn mahlten. Und abends würde er wieder mit Limar im oberen Stockwerk sitzen und in die Ferne blicken. Doch dann würde er nicht mehr an romantische Abenteuer in fernen Landen denken. Nicht mehr an schöne Städte und mystische Wälder. Er würde an das denken, was sich wirklich hinter dem Horizont verbarg. Krieg, Neid, Hass, Gier, Verfolgung und Tod. Die Ereignisse der letzten Jahre hatten ihm seine unschuldige Fantasie genommen. Doch das würde er Limar niemals offenbaren.
„Wir müssen rasten“, rief Draihn in den Wind hinein. Der Ordensritter spürte, dass Rethika langsam am Ende seiner Kräfte war. „Du musst dich ausruhen. Wenn du weiter so rennst, wirst du gleich tot umfallen und uns unter dir begraben.“
Doch der Zentaur schüttelte schnaubend sein Haupt.
„Sag du mir nicht wann ich Ruhe brauche. Sitz lieber still oder ich binde dich fest.“
Die Sturheit des Pferdemannes ließ Draihn zornig werden. Ohne Zweifel wollte Rethika beweisen, dass er immer noch von Wert für die Gemeinschaft war. Seitdem er beim Kampf gegen eine Nomadenhorde seinen linken Arm eingebüßt hatte, änderte sich sein Gemütszustand andauernd von überschwänglich freundlich, zu aggressiv und abweisend. Draihn wollte erneut etwas sagen aber Elrikh hielt ihn fest und schüttelte den Kopf. Der Zimmermann wusste, dass es keinen Sinn hatte noch länger mit Rethika zu streiten.
Als das Dreiergespann die letzte Hügelkette vor Elrikhs Dorf erreichte, verlangsamte der Zentaur seinen Schritt bis er schließlich ganz stehen blieb. Seine Gefährten sprangen von seinem breiten Rücken und streckten alle Glieder von sich. Elrikh rieb sich sein Hinterteil und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht.
„Ich wünschte Sinal wäre hier. Nichts gegen dich, Rethika. Aber mein Hengst reitet sich weicher.“
Rethikas Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er es nicht schätzte mit einem Pferd verglichen zu werden. Schnaubend wandte er sich um und deutete in Richtung Osten.
„Wenn wir die Männer aus dem Dorf geholt haben, sollten wir diesen Weg einschlagen. Er führt uns weit genug in den Wald um vor den Augen der Nomaden verborgen zu bleiben.“
Draihn nickte zustimmend.
„Du hast Recht. Aber heute können wir diesen Weg nicht mehr antreten. Bis wir im Dorf sind wird die Sonne bereits untergegangen sein. Es ist besser wenn wir bis morgen früh warten. So haben die Dorfbewohner Zeit ein paar Sachen zusammenzusuchen.“
Elrikh blickte nach Norden und seufzte. Da stand sie. Seine Mühle. Sie hatte die Brandschatzung der Wüstensöhne überstanden und erhob sich wie ein einsamer Wächter über die Ausläufer des Tals.
„Lasst uns gehen“, sprach der Bockentaler müde. „Es ist nur noch ein kurzer Fußmarsch bis zum Dorf. Wir sollten hier keine Zeit mehr vertrödeln.“
Elrikh zwang sich dazu, die Mühle nicht mehr anzusehen. Erst wenn er wieder ins Tal zurückkehrte um ein Leben in Frieden zu führen, würde er sich an ihrem Anblick erfreuen.
Die Freunde wurden mit allerlei Jubelrufen im Dorf empfangen. Besonders Rethika, welcher bei der Befreiung der Dörfler seinen Arm verloren hatte, wurde mit Glückwünschen mit anerkennenden Verbeugungen begrüßt. Obgleich es dem Zentaur beinahe ein wenig peinlich zu sein schien, genoss er den Zuspruch der Bockentaler. Doch Elrikh wollte keine Zeit mehr verschwenden und vergewisserte sich, dass jeder ihn hören konnte.
„Hört mir bitte alle zu. Wir bringen schlechte Nachrichten mit uns. Eine Bedrohung zieht über Obaru herein, derer wir uns nicht entziehen können.“
„Was redest du da?“, rief einer der Bockentaler. „Die Nomaden sind doch abgezogen. Wir haben unsere Heimat zurück.“
„Wovon spricht der Mann?“, fragte Elrikh seine Kameraden.
Einer der anderen Männer trat an das Dreiergespann heran. Er wirkte angespannt und konnte nicht verstehen, warum Elrikh die Dörfler beunruhigen wollte.
„Vor einigen Tagen kam ein Bote hier vorbei. Er sagte uns, dass die Nomaden den Waffenstillstand ausgerufen hätten. Sie sollen sich alle an die westliche Küste zurückgezogen haben. Der Bote war auf dem Weg zur großen Bucht im Norden. Er sagte, dass er Boemborg den Nordmann finden müsste. Warum, hat er uns nicht erzählt.“
Elrikh, Draihn und Rethika sahen sich verblüfft an. Von dem Waffenstillstand wussten sie nichts. Aber warum der Bote so dringend mit den Nordmännern sprechen wollte, war ihnen dafür umso klarer. Der junge Zimmermann bat erneut um Gehör und verlieh seinen Worten dieses Mal besonders viel Nachdruck.
„Bitte hört mir zu. Von dem vermeintlichen Frieden mit den Nomaden wissen wir nichts. Wir kommen direkt von dem Schiff, welches in diesem Moment die Frauen unseres Dorfes auf sicheren Pfaden in das Ostgebirge bringt.“ Einzelne Männer wurden unruhig und wollten wissen wie es ihren Frauen und Töchtern ging, Doch Rethika verschaffte seinem Kameraden wieder Gehör. „Macht euch keine Sorgen um sie. Sie sind in guten Händen. Aber obwohl die Nomaden aus unerfindlichen Gründen den Frieden zu suchen scheinen, zieht eine neue Bedrohung im Westen herauf. Eine Flotte, größer als die der Wüstenbewohner, hält Kurs auf Obaru. Wahrscheinlich sind sie sogar schon vor Tagen an Land gegangen. Sie segelten sehr weit südlich und werden vermutlich das valantarische Reich angreifen.“
Wieder wurden Rufe unter den Männern laut.
„Sind es die Rogharer? Will das Eiserne Imperium die Herrschaft über Valantar erlangen?“
Jetzt war es Draihn, der das Wort ergriff.
„Nein. Es sind die Diener des Dunkelgottes. Druule aus der jenseitigen Welt sind dabei die Königreiche der Menschheit anzugreifen. Diese Monster interessieren sich nicht für Reichtum und Macht. Ihnen geht es nur darum die Menschen und alle anderen freien Völker zu vernichten. Deswegen müssen wir fort von hier. Sucht alles zusammen was ihr an Waffen und Vorräten finden könnt. Beladet die Karren und dann auf nach Isamaria. Die Mauern des Ostens, sind unsere einzige Hoffnung.“
Die Männer hätten vermutlich bei jedem anderen gezögert. Aber Elrikh hatte in der Vergangenheit bewiesen, dass er wusste was er tat. Abgesehen davon, befanden sich die Frauen des Dorfes ebenfalls im Ostgebirge. Es gab also keinen Grund sich zu verweigern. Eilig strömten sie auseinander um zu tun was der Zimmermann und sein Kamerad ihnen aufgetragen hatten. Elrikh blickte seinen Freunden und Nachbarn nachdenklich hinterher. Draihn ging ein paar Schritte und sah seinen Kameraden dann auffordernd an.
„Elrikh. Willst du nicht die Gelegenheit nutzen und das Haus deiner Eltern aufsuchen. Vielleicht sind dort Dinge…“
„Nein“, fiel der Bockentaler seinem Freund ins Wort. „Ich werde das Haus meiner Eltern erst wieder betreten, wenn das Tal seinen Frieden gefunden hat. Bis es soweit ist, soll mich nichts an den Glanz der Vergangenheit erinnern.“
Elrikh ließ Draihn und Rethika alleine, um einem Dörfler beim Beladen des Karrens zur Hand zur gehen. Der Zentaur schnaubte und nickte dem Ordensritter zu.
„Ich weiß nicht wie es dir geht. Aber ich bin der Reisen müde. Wir jagen den Schatten des Todes jetzt schon seit Jahren hinterher. Von Ort zu Ort. Über Land und über Wasser. Alle Pläne, alle Strategien die wir verfolgt haben, sind im Nichts verschwunden. Das kann so nicht weitergehen, Draihn. Sieh dir nur die Männer dieses Dorfes an. Ihre Heimat wurde verwüstet. Sie wurden entführt, kehren zurück und nun müssen sie erneut fliehen. Zum ersten Mal in meinem Leben, komme ich mir hilflos vor. Wie Fliegen in einem Sturm, werden wir von den Schicksalswinden umhergetrieben. Es ist egal welches Ziel wir verfolgen. Am Ende sind wir jedes Mal woanders. Möge der Göttervater mir meine Worte verzeihen. Aber ich hoffe, dass die Druule es an den Wehrmauern zu Ende bringen. Sollen sie alle vor dem Fels den Tod finden oder uns den selbigen bringen. Aber es muss endlich enden.“
Obgleich er lieber etwas gesagt hätte um Rethika aufzubauen, konnte Draihn seinem Waffenbruder nur stumm zustimmen. Es musste zu Ende gebracht werden. So oder so.
Obwohl die Sonne noch nicht vollends aufgegangen war, machten sich die Flüchtlinge unter dem ständigen Drängen von Elrikh, Draihn und Rethika auf den Weg. Es war den Bockentalern nur möglich drei Hornbullen zu finden, welche nun die Karren für sie zogen. Das andere Vieh war von den Nomaden verschleppt, abgeschlachtet oder verscheucht worden. So hatten sie die Karren bis obenhin mit Vorräten und einer verschwindend geringen Zahl von Waffen beladen. Einige Werkzeuge waren auch dabei. Immer wieder kamen einzelne Dörfler auf Elrikh zu und stellten ihm Fragen über ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern. Doch der Zimmermann konnte nicht mehr tun, als ihnen allen zu versichern, dass die Frauen wohlauf waren. Erst als Draihn die Dörfler mit verschiedenen Aufgaben bedachte, ließen diese von Elrikh ab. Der Ordensritter winkte ihn zu sich und deutete auf einen nahen Hügel.
„Wir sollten uns von dort einen Überblick verschaffen. Wenn wir den falschen Weg nehmen, werden wir die Karren irgendwann aufgeben müssen. Die Gegend weiter nördlich wird zu steinig, als dass die Räder diesen Weg nehmen könnten. Aber weiter südlich zu gehen hieße, einen Umweg in Kauf zu nehmen.“
Elrikh nickte.
„Du hast Recht. Wir brauchen die Vorräte. Aber die Zeit für einen längeren Marsch haben wir nicht. Lass uns auf den Hügel steigen.“
Der Ordensritter war angenehm überrascht von Elrikhs Einsicht. Er hatte schon damit gerechnet, dass die Gleichgültigkeit vom Bockentaler Besitz ergriffen hätte. Doch diesem schien eine gewisse Entfernung zu den anderen Dörflern sehr willkommen zu sein.
Im Laufschritt erklommen sie die Anhöhe und ließen ihre Blicke über die weite Ebene im Osten schweifen. Draihn deutete auf einen Tannenhain, welcher einen ganzen Tagesmarsch entfernt zu sein schien.
„Siehst du die Tannen im Südosten? Das sind die Ausläufer vom Steinwald. Von dort aus sind es noch gut vier Tage bis zum Wall. Wenn wir auf der Ebene bleiben, könnten wir es in drei Tagen schaffen. Aber nur wenn wir tagsüber keine Rast einlegen.“
Elrikh begann zu grübeln. Er kannte den Steinwald. Dort hatte er vor vielen Jahren Kabuji kennengelernt. Die Federfee hatte ihnen bei der Flucht vor den Nomaden geholfen und die Wüstensöhne auf eine falsche Spur gelockt.
„Wir sollten den Weg durch den Wald nehmen“, sagte Elrikh voller Überzeugung.
„Aber das macht keinen Sinn. Es dauert länger. Außerdem können die Karren nicht durch das Dickicht gezogen werden. Wenn wir auf dem Weg bleiben sind wir zu lange unterwegs.“
Doch der Bockentaler ließ sich nicht beirren.
„Vertrau mir. Der Steinwald ist ein magischer Ort. Er beschützt die Bewohner dieses Landes vor Feinden und spendet ihnen Trost. Es ist der richtige Weg für uns.“
Draihn wollte widersprechen, aber Elrikh schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
„Nun gut. Aber dann sollten wir den Weg vorher erkunden. Ich kann mit Rethika…“
„Nein. Ich werde gehen. Du bleibst bei den Männern aus meinem Dorf. Rethika und ich werden die Nacht über marschieren und euch morgen bei Sonnenuntergang im Wald treffen.“
„Im Wald? Wie sollen wir euch finden?“
Zum ersten Mal seit Tagen, konnte Draihn so etwas wie ein Lächeln auf Elrikhs Gesicht erkennen.
„Ihr findet uns. Dafür wird gesorgt sein.“
Wie Elrikh es erwartet hatte bestand Rethika darauf ihn auf seinem Rücken zum Steinwald zu tragen. Doch dieses Mal war der Ritt angenehmer. Der Zentaur verspürte offenbar nicht mehr den Drang jemandem etwas beweisen zu wollen. Als sie den Rand des Waldes erreichten hielt der Pferdemann inne und beäugte misstrauisch das undurchschaubare Dickicht welches im morgendlichen Dämmerlicht erwachte.
„Mir sind Geschichten zu Ohren gekommen die besagen, dass es in diesen Wäldern finstere Stimmen geben soll die einen in Sümpfe und andere Fallen locken. Warum wolltest du unbedingt hierher?“
Elrikh schmunzelte und hob einen ausgetrockneten Tannenzapfen auf.
„Du verwechselst diesen Ort mit dem Kleewald im Süden. Dort sind es tatsächlich die Bäume und Tiere welche des Nachts Wanderer in den Tod führen. Doch dieser Wald ist anders. Er wird von den Federfeen gehütet und beschützt. Ich durchquerte ihn vor vielen Jahren als ich auf meine erste Reise außerhalb des Bockentals ging. Ein schöner Ort um zu verweilen. Hier finden sich viele Ruinen und Gedenktafeln aus längst vergessenen Zeiten. Die Feen erhalten sie und sorgen dafür, dass ihre Mahnungen nicht vom Wandel der Zeit verschluckt werden.“ Elrikh holte aus und warf den Tannenzapfen in eine Baumgruppe zu seiner Rechten. „Doch wir sind nicht hier um zu verweilen. Vielmehr suche ich den Rat einer Freundin.“
Der Zentaur stutzte.
„Einer Freundin? Hier im dichten Wald? Merkwürdige Freunde hast du.“
Elrikh schenkte Rethika einen neckischen Blick.
„Da auch du zu meinen Freunden zählst will ich dir nicht widersprechen.“
Die Gefährten setzten ihren Weg durch den schattigen Tannenhain fort und ließen die Stille auf sich wirken. Keiner von beiden konnte sich entsinnen wann er das letzte Mal die Ruhe eines Ortes genießen konnte. Obgleich sie nicht hier waren um sich auszuruhen hatte der Steinwald eine entspannte und zugleich belebende Wirkung auf die erschöpften Freunde. Rethika sog die kühle Morgenluft ein und musste unvermittelt an sein Gehöft in der Steppe denken. Der Zentaurenfürst Moran hatte ihm das Land für seine Dienste am Stamm geschenkt. Rethika sollte darauf seinen Lebensabend verbringen und wurde dafür zum Verlassen der Kriegerkaste gezwungen. Solche Vorkommnisse gehörten zu den typischen Machtspielchen des Zentaurenfürsten. Obwohl Rethika nicht sehr viel Zeit auf dem Gehöft verbracht hatte, da ihn kurz darauf die Singula zu sich holten, sehnte er sich unerwarteter Weise nach diesem Ort. Ein Leben als Gutsherr kam für ihn nicht in Frage. Dazu verlangte es den Zentauren zu sehr nach dem Kampf. Aber die Ereignisse der letzten Jahre hatten ihn mehr Kraft gekostet als er zugeben würde. Der Verstoß aus der Kriegerkaste, die schwere Verletzung durch den unheimlichen Krowotk in Rogharo und nicht zuletzt der Verlust seines linken Armes, schienen langsam ihren Tribut von Rethika zu fordern. Der Steinwald hatte ihm vermutlich die notwendige Ruhe gegeben um diesen Umstand zu erkennen. Doch er war noch nicht bereit um sein Leben auf einem Landsitz zu verbringen. Zornig über sich selbst schüttelte der Zentaur diese Gedanken ab und wandte sich an Elrikh.
„Und wie finden wir nun deine Freundin?“
Der Bockentaler zuckte mit den Schultern.
„Sie wird uns finden. Unweit von hier steht die Ruine eines alten Waldschlösschens. Dort können wir rasten und auf sie warten.“
„Und die anderen? Wie sollen sie uns in diesem Dickicht finden?“
„Draihn wird wissen welchem Weg er zu folgen hat. Wart nur ab.“
Es dauerte nicht mehr lange und sie kamen zur angekündigten Ruine. Wobei Rethika diese Bezeichnung noch als schmeichelnd empfand. Lediglich ein paar kleine Steinhaufen ließen erahnen, dass ihr vor sehr langer Zeit einmal ein Haus gestanden hatte. An ein Schlösschen hätte der Zentaur dabei jedoch nicht gedacht. Die Sonne mochte bereits zur Gänze am Himmel stehen aber durch die dichten Baumkronen kamen nur sehr wenige ihrer wärmenden Strahlen am Boden an. Elrikh setzte sich auf einen der Steinhaufen und griff in einen kleinen Beutel welchen er am Gürtel befestigt hatte.
„Draihn hat mir dies mitgegeben. Wir sollten die Zeit nutzen und uns etwas stärken.“
Der Zimmermann reichte seinem Kameraden etwas von dem Proviant. Der Zentaur nahm ihn zögerlich an und verzog dabei den Mund.
„Trockenfisch. Ausgerechnet. Ich mochte das Zeug schon auf der Wellenschneider nicht.“
Elrikh grinste und nahm ebenfalls einen kleinen Bissen des salzigen Herings zu sich. Doch die abwechslungsreiche Stille hatte auch in dem Bockentaler einige verdrängte Gedanken geweckt.
„Was mag wohl aus Tymae geworden sein?“, kam es unvermittelt von ihm hervor.
„Du solltest nicht daran denken.“
„Nicht daran denken? Wir haben ihr unser Leben zu verdanken. Wie könnte ich so etwas je vergessen?“
Rethika tat ein paar Schritte durch die Ruine und befühlte den alten Stein.
„Sie ist einen ehrenvollen Tod gestorben. Nach all den Jahren als Schattenkriegerin hat sie schlussendlich ihr Leben gelassen um dafür das von hundert anderen zu retten. Solch eine Gnade ist nicht jedem von uns vergönnt. Erinnere dich an sie in Ehrfurcht. Aber zum Trauern haben wir dennoch keine Zeit. Du weißt das.“
Elrikh dachte an die Kampflektionen welche Tymae ihn gelehrt hatte. Die Schattenelfe war eine Meisterin des Kampfes und schien dasselbe von ihrem menschlichen Schüler zu erwarten. Sowohl ihr als auch Elrikh war natürlich klar, dass er niemals so schnell und gewandt wie ein Elf kämpfen könnte. Dennoch hatte sie ihn immer bis zum Äußersten getrieben. Er erinnerte sich an ihre gemeinsamen Gespräche in Rogharo. Damals hatte sie ihm ein Lächeln geschenkt, welches er nie wieder von ihr gesehen hatte. Für einen kurzen Augenblick schien sie keine Meuchlerin zu sein sondern eine ganz normale Frau die nur mit jemanden reden wollte.
Ein leises Summen drang an Elrikhs Ohr welches ihm die Ankunft einer Freundin ankündigte. Eine hohe Fistelstimme erklang über den Köpfen der Gefährten.
„Zuerst lässt du dich jahrelang nicht blicken und nun tauchst du in jedem Wald zwischen Valantar und dem Ostgebirge auf. Solltest du dich etwa verlaufen haben?“
Die Freunde blickten nach oben und erkannten eine kleine, leuchtende Federfee welche beständig hin und her schwirrte ehe sie sich schließlich auf einem niedrig hängenden Ast niederließ.
„Rethika. Das ist Kabuji. Meine Freundin. Sie hat uns bei der Flucht vor den Nomaden geholfen.“
Der Zentaur schnaubte und bedachte die Federfee mit einem geringschätzenden Blick.
„Dieser Winzling soll uns helfen? Was kommt als nächstes? Willst du eine Schar Waschzwerge gegen die Druule in den Kampf führen?“
Die Fee sprang auf, surrte um den Kopf des Zentauren und setzte sich anschließend wieder auf ihren Zweig.
„Dein Gestank sollte ausreichen um jeden Angreifer in die Flucht zu schlagen. Und der Rest flüchtet sicherlich vor deinem sauren Mundgeruch.“
„Du kleines Mistvieh. Komm von deinem Baum und ich werde sehen ob ich mit einer zerkauten Federfee im Mund besser rieche.“
„Genug jetzt!“, ging Elrikh dazwischen. „Kabuji. Du wirkst nicht gerade überrascht von den Druulen zu hören.“
Die Federfee streckte Rethika ihre Zunge raus bevor sie Elrikh antwortete.
„Glaubst du uns würde so etwas entgehen? Nicht was in der Nähe eines Waldes passiert entzieht sich unserer Kenntnis.“
„Das passt zu eurem Ruf kleine Spione zu sein“, zischte der Zentaur sie an.
Ein Blick von Elrikh genügte jedoch um keinen erneuten Streit aufkommen zu lassen.
„Dann weißt du auch, dass sich die Menschen aus dem Bockental in großer Gefahr befinden. Wir wollen sie nach Isamaria bringen ehe die Druule uns einholen. Deswegen sind wir hier. Wir müssen den schnellsten Weg durch den Wald nehmen und sicherstellen, dass die Monster unseren Spuren nicht folgen können.“
Die Federfee schien plötzlich ernster zu werden.
„Ich will nicht sagen ihr solltet euch nicht beeilen. Aber die Druule sind glücklicherweise noch nicht soweit vorgedrungen. Sie scheinen es auf Valantar abgesehen zu haben.“
„Die Hauptstadt des Königreiches?“, hakte Rethika nach. „Gegen diese Mauern können sie nicht anlaufen. Sie sind hoch wie ihre Gräben tief sind. Und die valantarische Armee weiß sich in ihren eigenen Mauern sehr gut zu verteidigen.“
Kabuji flatterte von ihrem Zweig und setzte sich auf einen Steinhaufen vor Elrikh und den Zentauren.
„Ihr habt keine Ahnung welche Macht sich auf Obaru eingeschlichen hat. Die Druule haben Alchor in nur einer einzigen Nacht überrannt. In diesem Augenblick durchqueren sie die Steppe Richtung Osten und bewegen sich dabei unentwegt auf die Königsstadt zu.“
„Alchor ist gefallen?“
„Vernichtet. So als hätte es die Hafenstadt niemals gegeben.“
Der Zentaur konnte immer noch nicht fassen was er da hörte.
„Was ist mit der Armee? Alchor hatte immer eine große Zahl an Kampfverbänden die sowohl die Hafenstadt als auch das Festland überwacht haben.“
„Zwei Tage bevor die Druule angriffen haben wir eine große Reiterei in der Steppe gesehen. Es waren Valantarier die in der Ebene gegen die Nomaden gekämpft haben. Vermutlich war Alchor ohne nennenswerte Gegenwehr als die Diener des Dunkelgottes eintrafen.“ Rethika musste an die Steppe östlich von der Hafenstadt denken. Dort war sein Stamm beheimatet. Es war der Ort an dem sein Gehöft stand. Er kannte Moran. Der Zentaurenhäuptling würde mit Sicherheit gegen die Druule vorgehen um sein Volk zu schützen. Kabuji schien die Gedanken des Zentauren lesen zu können. „Deine Leute werden in Sicherheit sein, Pferdemann.“
Rethika sah über die beleidigende Bezeichnung der Federfee hinweg.
„Was? Woher weißt du…?“
„Wie ich schon sagte. Hier geschieht nichts von dem wir nicht wissen. Die Krieger deines Volkes haben sich ebenfalls an der Schlacht in der Ebene beteiligt. Und nachdem die Nomaden abgezogen sind hat Isamaria all seine Verbündeten in das Ostgebirge in Sicherheit gebracht. Auch die Stämme der Zentauren verweilen derzeit hinter den Mauern aus alter Zeit.“
„Dann ist es also wahr“, murmelte Elrikh. „Die Wüstensöhne sind tatsächlich abgezogen.“
„Ihr solltet euch ein wenig ausruhen“, sprach Kabuji mit versöhnlicher Stimme zum Zentauren. „Morgen werde ich euch den sichersten und schnellsten Weg durch den Wald ins Gebirge zeigen.“
„Da ist noch etwas. Unsere Leute…“
„Ich weiß schon. Der tapfere Ordensritter und die Männer aus deinem Tal. Wir werden dafür sorgen, dass sie euch erreichen. Doch jetzt ruht euch aus. Hier seid ihr sicher.“
Kabuji sprang auf und verschwand ohne ein weiteres Wort in den Baumkronen. Rethika fasste sich wieder und deutete auf den Wald.
„Du solltest Feuer machen. Ich werde in der Zwischenzeit etwas jagen.“
„Das wäre keine gute Idee“, widersprach Elrikh. „Kabuji und die anderen Federfeen beschützen das Leben in diesem Wald. Hier wird kein Zweig gebrochen und kein Zweihörnchen erlegt, ohne dass sie davon erfährt. Du willst ihre Gastfreundschaft doch wohl nicht ausnutzen?“ Maulend lehnte sich der Zentaur an einen dicken Eichenbaum
„Großartig. Und was sollen wir jetzt essen?“
Just in diesem Moment fielen ihm ein paar Beeren und Nüsse auf den Kopf. Ein lachendes Fipsen und das Flattern kleiner Flügel ließ die Spenderin des bescheidenen Mahls erahnen.