Der Fluch des Baja-Tapar - Sigrid Uhlig - E-Book

Der Fluch des Baja-Tapar E-Book

Sigrid Uhlig

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Beschreibung

Das Warten auf eine Neuauflage der Teneriffa-Märchen ist zu Ende. Baja-Tapar ist wieder da mit seinen Freunden der Sonne, dem Mond, dem Wind und dem Teide, aber auch mit seinen Feinden, den Menschen. Betrachten wir die Natur unserer Erde. Sie allein ist ein Märchen. Stattdessen bekämpfen wir Menschen sie und uns gegenseitig. Da war es nur gerecht, uns aus dem Paradies zu vertreiben. Die Helden in meinen Geschichten kämpfen mit der einzigen Waffe, die nicht erst erfunden werden muss, sondern jeder griffbereit zur Verfügung hat, mit dem Verstand für ihre bessere Welt.

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Seitenzahl: 240

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Sigrid Uhlig

DerFluch desBaja-Tapar

Engelsdorfer Verlag Leipzig 2024

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Copyright (2024) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei der Autorin

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Titelbild © yakusavkoyomn [Adobe Stock]

Bild Rückseite © Neissl [Adobe Stock]

Vom Wind gebogener Wacholderbaum auf El Hierro, Kanarische Inseln.

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Teneriffa

El Drago

Ziehet eure Bahn

Froschkonzerte

Wasserballspiele

Weihnachtsüberraschungen

Minis große Reise

Margherita

Baja-Tapar

Kitzelkiefern

Madeira

Wohin?

Der Baumsessel

Wie gruselig?

Märchenland Lorbeerwald

Der Tausendfüßler

Erzähl uns was!

Wahre Freunde

Teneriffa

Der Fluch Baja-Tapars

Wunder werden wahr

Weitere Märchen

Prinzessin Hortensia

Das Geschenk der Götter

Salzwedel

Der große Bär

Das zernagte Weihnachtsmannkostüm

Ein fairer Wettstreit?

Der weiße Osterhase

Zauberhaftes Lächeln

Geschwister

Das Brüllen der Unhörbaren

Tanz der Schlangen

Püppi und Leo

Siebenblau

Teneriffa

ElDrago

Vor langer, langer Zeit lebte auf Teneriffa ein Pflänzchen. Als es alt genug war fragte es: „Wie heiße ich?”

Niemand wusste es. Die Bäume und Pflanzen ringsherum hatten alle einen Namen.

„Ich brauche auch einen”, dachte es und fragte die große arrogante Palme, ob es sich auch Palme nennen dürfe. Aber diese beachtete den Winzling gar nicht und raschelte geringschätzig mit ihren Wedeln. Wo das Pflänzchen auch hinkam und wen es auch fragte, niemand wollte ihm einen Namen geben.

Da steckten die Blumen ihre wunderschönen Blütenkelche zusammen und sprachen: „Kleines, du brauchst einen eigenen Namen. Unseren können wir dir nicht geben, sonst verwechselt man uns.”

Das Pflänzchen überlegte und überlegte, und die Ränder seiner Blätter waren vor Aufregung schon ganz rot, aber alle Namen, die ihm einfielen, waren schon vergeben.

Zur gleichen Zeit saß auf dem Teide ein neunköpfiger Drache. Alle sprachen ehrfurchtsvoll vom „El Drago”. Es traute sich niemand in seine Nähe. Der Drache langweilte sich ganz schrecklich. Immer wenn er das Maul einer seiner Köpfe aufriss und gähnte, kamen Rauch und Feuer heraus. So war um ihn herum alles verbrannt.

Unser Pflänzchen dachte: „El Drago sitzt so weit oben. Er sieht und hört alles und hat viel Zeit zum Nachdenken. Ihn werde ich fragen.” Die Blumen steckten wieder ihre Köpfe zusammen und sprachen: „Du Dummerchen, noch nie hat jemand den Drachen um etwas gebeten. Entweder du erstickst im Rauch, oder von dir bleiben nur noch ein paar Krümel Asche übrig, die der Wind verweht.” Die großen Palmen bogen sich vor Lachen, so dass ihre Wedel fast den Boden berührten.

„Besser mutig sterben, als den Hochmut der Palmen ertragen”, sagte Pflänzchen Namenlos und machte sich auf den beschwerlichen Weg. Es dauerte lange, sehr lange, bis es den Rand der verbrannten Erde erreichte. Doch wer fragte damals schon nach der Zeit? Nun wurde es besonders schwer, denn die neun Köpfe des Drachen schliefen zu unterschiedlichen Zeiten. Pflänzchen Namenlos verbarg sich in einer Felsspalte und beobachtete ihn. Schließlich schlich es von einer zur anderen bis zu einem Vorsprung, in den der Drache Halt gefunden hatte. Bevor er wieder gähnte, kitzelte ihn das Pflänzchen am Fuß. Der Drache war sehr, sehr kitzlig. Erst lachte ein Kopf und schließlich lachten alle neun. Er lachte und lachte, bis er ganz erschöpft war und nach Luft schnappte. Da sprach er: „Wer auch immer du bist, komm hervor, ich tue dir nichts. In den letzten tausend Jahren hat mich niemand so zum Lachen gebracht wie du. Deshalb darfst du dir etwas von mir wünschen.” Der Drache setzte das Pflänzchen in das Ohr, mit dem er am besten hören konnte. Nachdem ihm Namenlos sein Leid geklagt hatte, nahm er es vorsichtig in die Hand und betrachtete es lange. Dann sprach er: „Du bist sehr klein, aber klug und mutig. Wenn du mir versprichst, dass du dir noch mehr Köpfe wachsen lassen wirst, als ich habe, dann sollst du El Drago heißen.”

Überglücklich verließ ihn Klein El Drago und nahm seinen Wohnsitz in Icod, weil der neunköpfige Drache ihn dort am besten sehen konnte. Aus dem kleinen Winzling wurde eine viel bewunderte, uralte stattliche Pflanze. Inzwischen lebt der neunköpfige Drache im Märchenland. Die hochnäsigen Palmen sind schon längst gestorben.

Nur die Wissenschaftler streiten immer noch über das Alter des Drachenbaumes. Könnten sie zuhören, wüssten sie es, denn er erzählt gern seine Lebensgeschichte. Mir wollte er sein wahres Alter auch verraten. Doch genau in diesem Augenblick knatterte ein Motorrad vorbei. Die Erzählung hat den Altehrwürdigen sehr angestrengt und ich wagte nicht, ihn nochmals danach zu fragen. Aber was wäre unsere Welt ohne Rätsel?

Ziehet eureBahn

Vor unendlich langer Zeit gebar die Frau des Sonnengottes nacheinander drei Kinder. Das Älteste ist der Wind, ein lustiger, teilweise recht übermütiger Geselle. Das zweite ein wunderschönes Mädchen, die Sonne und zuletzt kam der blasse Mond. Sie wuchsen heran. Der Vater lehrte sie, dass keines unnütz sei und jedes seine Arbeit gewissenhaft zu verrichten habe.

Der Wind umweht die Welt. Er treibt die Wolken zusammen, lässt sie regnen oder schneien und die Wellen in den Gewässern tanzen. Die Sonne bringt Licht und Wärme. Damit es nachts nicht zu dunkel ist, scheint der Mond. Außerdem hilft er seinem älteren Bruder, das Wasser in den Meeren und Ozeanen in Bewegung zu halten, indem er es steigen oder sinken lässt. So sorgten die drei Geschwister dafür, dass das Leben auf der Erde entstehen konnte.

Seit einiger Zeit verweilte die Sonne besonders lange an einem Berg, der Teide heißt und auf der Insel Teneriffa steht. Die Sonne kennt alle Berge auf der Welt. Einige sind so hoch, dass sie Mühe hat, die Nebel und Schatten an einem Tag zu vertreiben. Doch der Teide ist ihr der Liebste. Auch er beobachtete dieses strahlende Geschöpf schon eine ganze Weile und sein Herz begann zu rasen, wenn sie ihn morgens begrüßte und ihre Strahlen ihn wie einen Mantel umfingen. So hätte er in alle Ewigkeit ausharren können.

Wie es nun so ist, wenn man sich mag, Fräulein Sonne und Herr Teide hatten sich unendlich viel zu erzählen, zu necken und zu lachen. Darüber vergaßen beide Zeit und Raum. Der Wind und der Mond liebten ihre schöne Schwester sehr und wollten ihr helfen. Aber zu ihrem Leidwesen waren sie so ausgestattet, dass sie sich gegenseitig nicht vertreten konnten.

Der Sonnengott wusste, seine Kinder hatten eine schwere Arbeit zu verrichten. Daher gestand er ihnen eine große Selbständigkeit und viel Freiheit zu. Als die Sonne jedoch überhaupt nicht mehr von der Seite des Berges wich, es in einigen Teilen der Erde nicht mehr Tag wurde und das Leben zu sterben begann, griff er ein. Er ließ die Kinder vor seinem Thron erscheinen. Ein Donnerwetter prasselte auf sie nieder. Der Sonnengott schrie so laut, dass es sogar der Teide auf der Erde hörte. Damit die Sonne und der Mond nicht noch einmal pflichtvergessen handeln konnten, verbannte er sie für immer und ewig auf eine Himmelsautobahn, von der es keine Abfahrten gibt.

„Ziehet eure Bahn”, befahl er.

Der Teide war über diesen Urteilsspruch sehr empört und wollte nicht von der Sonne lassen. Blind vor Wut schleuderte er Lava, Feuer und Rauch gegen den Himmel, ohne ihn zu treffen. Dafür hatte der Sonnengott nur ein lässiges Schulterzucken übrig. Der Berg nebelte sich so ein, dass die Sonnenstrahlen nicht mehr zu ihm durchdringen konnten. Traurig bat die Sonne den Wind, ihr zu helfen. „Wird erledigt kleine Schwester”, antwortete er, trieb ihr liebevoll ein paar Regenwolken ins Gesicht, damit niemand ihre Tränen sah und verschwand. Er wehte über den Teide, konnte aber die Rauchwolken nicht vertreiben. Sein Rufen blieb ungehört.

So ein Dickkopf”, schimpfte er. Da fiel ihm ein, dass der Berg gern Musik hört. Zum Orkan aufgeplustert brauste er heran und sang:

„Hojahee, hojahee, hojahee,

ich komme vom Himmelszelt,

umwehe die ganze Welt,

bringe Regen und Schnee.

Hojahee, hojahee, hojahee.”

„Hojaho, hojaho, hojaho,

das wird immer so bleiben,

Berg Teide, mein Freund,

man soll nicht übertreiben,

hojaho, hojaho, hojaho.”

Eine Lücke im Rauch entstand. Misstrauisch sah der Berg den Wind an. „Du hast mich deinen Freund genannt, was willst du von mir?”

„Ich will nichts von dir. Meine Schwester kann dich nicht erreichen, weil du so wütest.”

„Aber sie darf es doch gar nicht. Euer Vater hat es verboten.”

„Teide, sicher hast du etwas falsch verstanden. Warum nimmst du nicht die vielen Stunden, die ihr gemeinsam verbringen dürft, als Geschenk an?”

Der Berg zog seine Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. „Um die Glut im inneren meines Körpers zu löschen, brauche ich viele Tage. Hilfst du mir dabei?”

„Gut”, meinte der Wind, „auch auf die Gefahr, den Zorn meines Vaters auf mich zu lenken, helfe ich dir und damit meiner Schwester. Ich kann ihr einfach nichts abschlagen.” Flink bog der Wind nach Norden ab, trieb die Schneewolken vor sich her und ließ sie wie ein Pfropfen in den Schlund des Berges klatschen. Vom letzten Rauch musste der Teide tüchtig husten. Danach wollte er sich beim Wind bedanken. Aber dieser war schon wieder unterwegs und aus der Ferne klang seine Melodie:

„Hojahee, hojahee, hojahee,

dem Teide brachte ich Schnee.

Meine Schwester braucht nicht mehr weinen,

kann wieder mit Wonne scheinen.

Deshalb bin ich froh, so froh, so froh,

hojaho, hojaho, hojaho.“

Ungezählte Jahre sind seitdem vergangen. Aber der Teide ist immer noch der Sonne liebster Berg. Um allein zu sein, lassen sich die beiden oft von den Passatwolken einhüllen. Wer jedoch den Weg auf das Teideplateau nicht scheut, wird mit dem schönsten Anblick des stolzen Berges belohnt, den die Sonnenstrahlen ummanteln.

Froschkonzerte

Niemand weiß, wie die Frösche nach Teneriffa gekommen sind. Jedenfalls waren sie auf der Insel, freuten sich ihres Lebens und glaubten im Paradies zu sein. Damit es immer so bliebe, fanden sie sich abends zu Konzerten zusammen und sangen ihr „quak, quak, quakquakquakquak.”

Ende des 14. Jahrhunderts wurde Teneriffa von den Spaniern erobert. Unsere pfiffigen Frösche hörten, dass das Wasser „Agua” heißt. „Agua” klingt auch viel schöner als „quak, quak, quakquakquak”, und so waren sie sich einig und sangen nur noch „agua-gua, agua-gua, agua-gua-guaaah.” Eines Nachts sangen sie besonders laut. Der Sonnengott erwachte von dem Lärm. Erstaunt stellte er fest, dass sie immer nur das Wasser besangen, niemals ihn selbst oder seine Kinder. Er befahl ihnen neue Lieder zu erfinden. Doch die Kehlen der Frösche gaben nichts anderes her. Die Miene des Sonnengottes verfinsterte sich zusehends. Doch die Frösche kümmerten sich nicht darum und sangen weiter ihr „agua-gua, agua-gua, aguaguaaah.”

Da schickte der Sonnengott den Menschen und Tieren obendrein auch noch die immer durstige Bananenpflanze auf die Insel. Die Frösche wissen, dass die Menschen zuhören können. Deshalb bitten und mahnen sie in ihren abendlichen Konzerten: „Menschen, geht sparsam um mit agua-gua, agua-gua, agua-guaaah.”

Wasserballspiele

Für Kathrin war der Mai der schönste Monat im Jahr, weil sie da ihren Geburtstag feierte. In diesem Jahr schien es der Monat besonders gut zu meinen. Die Bäder öffneten ihre Pforten und die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel. Kathrin bekam zum Geburtstag einen kunterbunten Wasserball. Die beiden hatten beim Spielen und Baden großen Spaß miteinander. Aber noch ein anderes wichtiges Ereignis gab es für das Mädchen, eine Urlaubsreise mit den Großeltern nach Teneriffa. Der Tag der Abreise rückte immer näher. Kathrin half ihrer Mutter beim Kofferpacken. Traurig schaute sie auf den kunterbunten Wasserball. „Es tut mir wirklich leid”, sagte sie zu ihm, „aber so groß wie du bist kannst du nicht in den Flieger.” Sie öffnete den Nippel. „Pffft”, machte die Luft und entwich aus dem dicken Bauch des Balles. Doch damit war es noch nicht genug. Kathrin strich jedes Luftbläschen aus seinem Körper bis nur noch die flache, zusammenfaltbare Hülle übrigblieb, die sie weich in ihre Strickjacke bettete. Als der Kofferdeckel zufiel, schrie der Ball verzweifelt: „Kathrin, halt ein! Was habe ich dir getan, dass du so böse zu mir bist?”

Kathrin öffnete den Koffer und strich liebevoll über die Hülle. „Willst du nun mit an das riesengroße Wasser oder nicht?”, fragte sie.

„Natürlich will ich mit. Denkst du, ich will hier in der Zwischenzeit vor Langeweile sterben?”

„Dann musst du das aushalten. Wenn wir im Hotel sind hole ich dich sofort wieder heraus und Opa bläst dich auf.“

„Na gut”, meinte der Ball versöhnlich. Eingesperrt in dem dunklen Koffer gefiel ihm die Reise gar nicht. Nur gut, dass ihn Kathrin so weich gebettet hatte, sonst hätte er öfter ganz laut „au, au”, geschrien. Er war heilfroh, als er aus dem Koffer herauskonnte und sein Bauch wieder voller Luft war. Oma hatte für ihn ein Netz gehäkelt und so wurde er überall mitgenommen. Im Martianez-Bad in Puerto de la Cruz legte ihn Kathrin auf die weiße Mauer, die das Bad unmittelbar vom Ozean trennt. „Schau”, sagte sie, „das ist der Ozean, mächtig gewaltig, was?”

„Warum baden wir nicht im Ozean?”, wollte der Ball wissen.

„Sei nicht so ungeduldig. Das machen wir noch. Hier ist es sicherer”, belehrte ihn das Mädchen.

Plötzlich begannen die Wellen des Atlantiks gegen die Mauern anzustürmen, über sie hinwegzuspringen und sich über die Zuschauer zu ergießen. Den Gegensatz von der warmen Sonne zu den Wellen empfand Kathrin als kalt und erschrak. Dabei ließ sie den Ball los, der in den Ozean plumpste und mit den zurückflutenden Wellen weit hinausgetragen wurde. Das Mädchen schrie und streckte die Arme nach ihrem Spielzeug aus. Die Großeltern trösteten es und versprachen ihr einen neuen. Aber Kathrin wollte keinen neuen. Sie wollte nur ihren kunterbunten Wasserball zurück. Am Abend weinte sie sich in den Schlaf.

Der Ball wurde von den Wellen mal in Richtung auf das Ufer und mal auf das offene Meer ständig hin und her getrieben. Er war schon ganz atemlos. Als es zu dunkeln begann, erfasste ihn eine besonders hohe Welle und schleuderte ihn auf den Strand. Ganz erschöpft lag er da und rang nach Luft. Doch der Schrecken sollte noch nicht zu Ende sein. An seinem Körper klebte sofort der Lavasand. Schwarzer Sand? So etwas sah er wirklich zum ersten Mal. Nun begannen auch noch die Krebse auf ihm herumzuklettern. Ihre Beine waren behaart und piekten in seinen Körper. Igitt, igitt, war das eklig. Jetzt fiel ihm Kathrin wieder ein, und dicke Tränen rollten über sein Gesicht.

Der Wind hatte die Regenwolken zusammengetrieben und strich ziemlich lustlos über die Insel, als er auf den weinenden Wasserball traf. „Heh, heh, du schöner kunterbunter Wasserball, warum weinst du?“

Der Ball erzählte, was passiert war.

„Tja”, meinte der Wind”, da müssen wir wohl dir und der kleinen Kathrin helfen. Zum Trost sollst du aber heute Nacht etwas erleben, was noch kein Ball erlebt hat. Warte einen Moment, ich will nur meinen kleinen Bruder, den Mond wecken, damit wir besser sehen können.” Erst blies er die Regenwolken weg und dann dem Mond eine kalte Brise ins Gesicht.

„Bruderherz, du bist ein richtiges Scheusal”, knurrte der Mond missmutig. „Tut mir echt leid”, sagte der Wind, „ich habe dir versprochen, du kannst heute einmal richtig ausschlafen. Aber wir beide müssen mal wieder erste Hilfe leisten. Also, sei so lieb, erhelle die Erde mit deinen Silberstrahlen.”

Verschlafen rieb sich der Mond die Augen. Dann nahm er sein, aus dem Flaum der Himmelsschäfchen gewebtes Tuch und putzte damit sein Gesicht blitzblank. Da wurde es auf der Erde hell. Neugierig sah er dem Treiben seines großen Bruders zu. Der Wind nahm vorsichtig den Ball auf und trug ihn über die Westseite der Insel zum Ozean. Dort ließ er ihn auf die inzwischen sanft säuselnden Wellen nieder. Es dauerte nicht lange bis erst ein Delphin und dann immer mehr kamen. Anfangs hatte Kathrins Wasserball riesige Angst vor den unbekannten großen Tieren. Aber sie spielten so behutsam mit ihm, dass er bald seinen Spaß daran hatte. Die Delphine balancierten ihn auf ihrem Kopf oder dem Schwanz. Der Ball staunte, wie beweglich sie waren. Im Mondlicht glänzten die Wassertropfen auf ihren Leibern wie Diamanten. Wenn sich die Delphine den Ball zuwarfen, pustete manchmal der Wind übermütig dazwischen, so dass er eine andere Richtung erhielt. Hei, war das ein lustiges Spiel, das immer hätte so weitergehen können. Doch der Mond durfte an dieser Stelle nicht länger verweilen. Zum Abschied klatschten die Delphine mit den Flossen, bedankten sich mit einem lieblichen Gesang und waren im Nu in den dunklen Tiefen des Ozeans verschwunden. Der Wind nahm den müden Wasserball in seine Arme und trug ihn auf die Terrasse vor dem Hotelzimmer, in dem Kathrin mit ihren Großeltern schlief. Dort begann er zu singen:

„Hojahaus, hojahaus, hojahaus,

kleine Kathrin komm heraus, komm heraus.

Dein kunterbunter Wasserball ist wieder da, ist wieder da.

Hojaha, hojaha, hojaha.”

Kathrin erwachte von dem Gesang, sprang aus dem Bett, schob mit aller Kraft die große Glastür auf und schloss glückselig ihren kunterbunten Wasserball in die Arme. Die Großeltern waren ebenfalls erwacht. Sie sahen erstaunt auf das Mädchen mit dem Ball. Man muss eben an Wunder glauben, dann geschehen sie auch.

Der Wind zerzauste Kathrins Haare, bevor er verschwand. Der Rest seines Gesanges klang noch ganz leise an ihr Ohr: „Kathrin ist wieder froh, so froh, so froh, hojaho, hojaho, hojaho.”

Weihnachtsüberraschungen

Kathrins Großeltern hatte es auf der Insel so gut gefallen, dass sie sich ein Grundstück kauften. In der kalten Jahreszeit lebten sie auf Teneriffa, während sie in den Sommermonaten in Deutschland weilten. Vor dem Haus stand eine kleine Fächerpalme.

Wenige Tage vor Weihnachten kam Kathrin mit ihren Eltern. Sie brachten aus Deutschland eine Edeltanne mit, die im Haus unmittelbar neben dem Fenster aufgestellt und liebevoll geschmückt wurde. Wegen der Wärme stand das Fenster oft auf und die kleine Palme bewunderte die Tanne in ihrem unbeschreiblichen Glanz. „Ooh, bist du schön”, flüsterte sie hingebungsvoll.

„Ja, ich weiß, ich bin schön”, antwortete die Tanne, „sonst hätte ich kein Weihnachtsbaum werden können. Schau, ich bin ganz kerzengerade gewachsen mit einer langen Spitze”, dabei bewegte sie ganz vorsichtig ihre Zweige und die Glöckchen daran spielten leise eine liebliche Melodie.

„Oh, bist du schön und diese herrliche Melodie dazu”, hauchte die kleine Palme. „Ich wäre auch so gern ein Weihnachtsbaum.”

Die Tanne dachte angestrengt nach. Dann schüttelte sie ihre Spitze. „Dass Palmen Weihnachtsbäume sein können, habe ich noch nie gehört.”

„Können nur Tannen Weihnachtsbäume werden?”

„Nein, man nimmt auch Fichten und Kiefern. Aber selbst unter den Tannen ist die Edeltanne, also auch ich, etwas besonders Wertvolles.”

Am Heiligabend waren die Übergardinen zugezogen, und so konnte die kleine Palme bei der Bescherung nicht zusehen. Sie ließ sich bei der nächsten Gelegenheit jede Kleinigkeit erzählen.

Die Feiertage waren vorüber und Kathrin flog mit ihren Eltern nach Deutschland. „Der Weihnachtsbaum nadelt schon mächtig”, sagte Opa zur Oma. „Ich werde ihn abschmücken und schreddern.” Die kleine Palme ahnte, dass es etwas Schreckliches sein musste. „Was geschieht mit dir?”, fragte sie bang. „Schau zu, dann wirst du es sehen.”

Beim Abnehmen des Weihnachtsschmuckes fielen noch mehr Nadeln zu Boden. Entsetzt sah die Palme auf dieses kahle Etwas.

„Sei nicht traurig, kleine Palme. Wir wissen, wir müssen sterben, werden wir als Weihnachtsbäume ausgesucht, um den Menschen damit Freude zu bereiten. Der Opa macht mit einer Maschine lauter kleine Holzstückchen aus mir. Die streut er dann im Garten als Dünger aus. Daraus kannst du neue Kraft schöpfen. Du siehst, ich lebe in einer anderen Form weiter.”

„Macht der Opa aus mir auch Dünger?”, wollte die Palme wissen.

Die Frage klang so komisch, dass die Tanne unwillkürlich schmunzeln musste. In diesem Augenblick ergriff der Opa sie und trug sie aus dem Haus. Dabei geriet er zu dicht an die Palme. Die Tanne küsste sie genau an der Stelle, an der sich gerade ein neuer Fächer bildete. „Lebe wohl kleine Palme. Deine Fragen beantwortet dir der Wind. Es war nett, mit dir zu plaudern.”

An der Tanne hing noch ein Lamettafaden. Der Wind ergriff ihn und schmückte damit die Palme. Nachdem der Opa die Holzstückchen verteilt hatte, suchte sich die Palme das größte aus und vergrub es an einer Stelle in ihrem Wurzelgeflecht. Dort war es vor Feuchtigkeit und vermodern geschützt, und sie hatte ein ewiges Andenken an ihre wunderschöne Freundin. Sie dachte lange über die Gespräche nach. Der Wind konnte ihr die Frage, warum die Menschen Palmen nicht als Weihnachtsbäume nehmen, nicht beantworten.

Beim nächsten Urlaub staunte Kathrin. Sie trat neben die kleine Palme und sagte: „Schau mal Mutti, sie ist schon größer als ich.” Die Mutter wollte den Lamettafaden entfernen. Aber Kathrin bettelte: „Mutti, bitte, bitte, lass ihn hängen. Eine Palme mit Weihnachtsschmuck ist eben mal ganz was anderes.” Und wenn der Wind ihn nicht weggeweht hat, dann hängt er dort noch heute.

Minis großeReise

Mit dem Bus war ich von Puerto de la Cruz nach La Orotava hinaufgefahren. Die Heiligenbilder auf dem Marktplatz, das Ethnografische Museum, das Haus der Balkone und das Touristenzentrum standen auf meinem Plan. Als ich das Touristenzentrum verließ, sah ich einen Pfad, der über den Hof ins Tal führte. Pflastermüde folgte ich ihm und suchte mir ein gemütliches Plätzchen zum Sitzen. An diesem Tag reichte die Fernsicht über das immergrüne Orotavatal bis nach Puerto de la Cruz. Sogar die weißen Schaumkämme auf dem Atlantik waren noch zu sehen. Der Trubel von La Orotava klang nur noch als monotones Geräusch an meine Ohren. Einige Schritte weiter stand eine kanarische Tanne. Hier ließ sich ein Papageienpärchen nieder.

Sie ahmten das schrille, wütende Gekläff eines Pinschers nach, mal Solo und mal im Duett. Diese Ruhestörung war nicht nach meinem Geschmack. Mit „schscht” und „husch” versuchte ich sie wegzujagen. Aber die beiden wussten wohl, dass sie für mich so weit oben unerreichbar waren. Schließlich wurde mir die Sache zu bunt. Ungehalten rief ich: „Gag, gag, gag!”

Welch ein Wunder. Es herrschte eine himmlische Ruhe. Doch die Papageien mussten das letzte Wort behalten. „Quak, quak”, antworteten sie und flogen davon.

Neben mir hörte ich ein leises Kichern. „Endlich sind die Radaubrüder weg”, piepste es. Ich sah nach unten. Vor meinen Füßen saß eine Miniausgabe von Maus. „Wie ich hörte, suchst du Märchen und Geschichten über Teneriffa“, sagte sie.

Woher weißt du das?”, fragte ich erstaunt.

„Der Wind hat es erzählt. Willst du nun wissen, wie wir Mäuse nach Teneriffa gekommen sind oder nicht? Dann nimm mich in deine Hand, damit ich nicht so schreien muss.” Meinen linken Arm stützte ich auf den Knien ab. Das Mäuschen machte es sich in meiner Hand bequem und begann zu erzählen: „Es ist mindestens dreihundert Jahre her oder vielleicht noch länger, da lebten meine Vorfahren im Hafen einer großen englischen Stadt. Hier gab es oft Nebel. Der war so dicht, dass man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Die Menschen nannten ihn Erbsensuppennebel.”

Das Mäuschen kicherte. „Stell dir mal vor, wenn der Nebel aus lauter Erbsen gewesen wäre, dann hätte man ein Wettschnipsen veranstalten können. Für uns und auch für die Menschen wäre es natürlich besser gewesen, man hätte die Nebelerbsen essen können. Alle litten zu der Zeit großen Hunger. Unsere Familie bestand damals aus Vater, Mutter, den Söhnen Bobbi und Willi und einer Tochter. Weil das Mädchen besonders klein geraten war hieß sie Mini. Dann gab es noch Onkel, Tanten und jede Menge Vettern und Basen. In unserer Geschichte spielt aber nur Vetter Richie eine Rolle. Mit ihm spielten die drei Geschwister am liebsten, und meistens gingen sie auch gemeinsam auf Futtersuche. Wie gesagt, der Nebel wollte und wollte nicht weichen. In so einer Situation war besondere Vorsicht geboten. Die Katzen wurden erst sichtbar, wenn man fast über sie stolperte. An diesem Tag ging aber auch alles schief. Die ganze Familie, einschließlich Richie, wurde von Katzen und diese wiederum von Hunden durch die Hafenanlagen gejagt. In allerletzter Not sahen die Mäuse eine offene Speichertür und schlüpften rein. Die Arbeiter hatten die Mäuse nicht gesehen. Als nun die Katzen und Hunde ebenfalls hineinwollten, wurden sie von ihnen vertrieben. Im Speicher lagerte Getreide. Das war eine Freude für die Mäuse. Sie fraßen so lange, bis ihre kleinen Bäuche dick und rund waren. Plötzlich begannen die Körner zu rutschen. So sehr sich die Tierchen auch dagegen stemmten, es half nicht, sie wurden einfach mitgerissen. Dann wurde es dunkel. Die Arbeiter hatten das Getreide über eine Abfüllanlage in Säcke rutschen lassen. Dabei war jeder in einen anderen geraten. Ängstlich saßen sie nun zwischen den Körnern und wagten nicht, sich zu rühren. Die Säcke wurden in den dicken Bauch eines Segelschiffes verladen. Als es lange ruhig blieb, knabberten sie sich durch. Zuerst fanden sich die drei Jungen wieder und nach und nach auch Vater und Mutter. Nur Mini fehlte noch. Sie riefen im Chor und lauschten dann. Aber alles blieb ruhig. So beschlossen sie, den riesigen Schiffsbauch zu erkunden und sich zu bestimmten Zeiten an dem Platz zu treffen, an dem sie gerade saßen. Doch da begann über ihnen ein mächtiges Stampfen und Kettenrasseln. Die Mäuse zitterten am ganzen Leibe und die Zähne schlugen ihnen vor Angst aufeinander. Auf einmal schrie der Vater: „Ruhe!”

Doch sie klapperten weiter mit den Zähnen. Da sagte er: „Seid doch endlich mal still, ihr seid richtige Angstmäuse.”

„Das heißt nicht Angstmäuse, sondern Angsthasen”, verteidigte sich Bobbi.

„Ob ihr wohl nun endlich mal zuhören könnt”, forderte der Vater. „Den Gesang kennen wir doch. Es ist ein Shanty. Die Seemänner singen, damit sie leichter im Takt arbeiten können. Das Schiff fährt bald los. Gegen eine Seereise hätte ich nichts einzuwenden, wüsste ich nur, ob es unserer Mini gut geht.”

Bei diesen Worten weinte die Mutter. Sie wurde von allen getröstet und die Suche begann erneut. Aber es dauerte weitere drei Tage und Nächte, bis sie endlich von Richie gefunden wurde. Während die anderen in alten Säcken ziemlich dicht beieinander gelagert worden waren, war Mini in einem nagelneuen am entgegengesetzten Ende des Laderaumes gelandet. Vor Freude, dass nun alle wieder zusammen waren, umarmten sie sich und tanzten.

Anfangs verlief die Reise sehr ruhig. Die Mäusekinder hatten ihren Spaß daran, wenn das Schiff ein wenig schaukelte. Das Singen und Stampfen der Seeleute, das Kettenrasseln und das Knattern der Segel im Wind erschreckte sie nicht mehr. Doch dann zog ein gewaltiger Sturm auf. Die sorgfältig aufeinander gestapelten Säcke rutschten durcheinander, und die Mäuse mussten aufpassen, von ihnen nicht erdrückt oder erschlagen zu werden. Gewaltig schlugen die Wellen über dem Schiff zusammen. Das Wasser ergoss sich auch in den Laderaum. Auf dem stark schwankenden Schiff endeten die Versuche der Tiere, das Gleichgewicht zu halten, mit Purzelbäumen und blauen Flecken. Sie bildeten einen Kreis um Mini. Völlig erschöpft lagen sie da, die Füße krampfhaft in eine Treppe gekrallt. Ihnen war speiübel. Jetzt hätten sie gern ihre Situation mit dem unwirtlichen Nebel von England vertauscht. Aber jede Qual, sogar die allerschlimmste, geht irgendwann einmal zu Ende. Die Mäuse waren in einen tiefen Schlaf gesunken. Als sie erwachten, wehte eine frische Brise um ihre Nasen. Tageslicht drang bis zu ihnen. Die Seemänner hatten die Ladeluken geöffnet. Stetig darauf bedacht, nicht von den Menschen gesehen zu werden, kletterten sie vorsichtig hinauf. Die Sonne trocknete ihr Fell. Der Wind kämmte es. Bald fühlten sie sich wieder wohl. Vater und Mutter mussten für den Rest der Fahrt die Kinder öfter ermahnen, damit sie nicht zu übermütig wurden. Die Schiffsmasten waren für sie das begehrteste Objekt. Selbst Mini kletterte mit den Jungen um die Wette. Eines Tages verkündete der Mann im Ausguck: „Land in Sicht.” Das Schiff lief in einen Hafen ein. Die Mäuse krochen diesmal alle in einen Sack und ließen sich so an Land bringen. Hier war für sie das Paradies auf Erden, denn sie mussten nie mehr an Hunger und Kälte leiden. Richie und Mini haben geheiratet. Aus dieser Linie stamme ich ab.”

Erschrocken sah sich das Mäuschen um, machte „piep, piep”, und war schwuppdiwupp verschwunden. Des Rätsels Lösung ließ nicht lange auf sich warten. Eine schwarz-weiße Katze kam im majestätischen Gang und mit hochgestelltem Schwanz auf mich zu. „Na, Mieze, willst du mir auch eine Geschichte erzählen?”, fragte ich sie. Aber sie strich nur schnurrend und Streicheleinheiten erhaschend um meine Beine. Ich erhob mich. Es war an der Zeit, zur nächsten Bushaltestelle nach La Orotava zu gehen. Ich war mir ganz sicher, dass mich das Mäuschen aus seinem Versteck heraus beobachtete. „Danke, Mäuschen, für deine schöne Geschichte”, rief ich. „Wenn ich in meinem Hotel bin, werde ich sie gleich aufschreiben.”

Margherita

Im Norden Teneriffas gab es einmal drei Königreiche. Fernando, der König des Mittelreiches hatte die Königshäuser des Ost- und des Westreiches zu einer Feier geladen. Gleichzeitig wollte er sich bei dieser Gelegenheit die Prinzen ansehen, denn er hatte eine wunderschöne Tochter im heiratsfähigen Alter.