Der Fluch von Lenzenfeld - Martin Spirig - E-Book

Der Fluch von Lenzenfeld E-Book

Martin Spirig

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Beschreibung

Einmal war es menschlich: Doch dann verlor Es seine Menschlichkeit, und es blieb die Inkarnation des Bösen. Über das seltsame parapsychologische Phänomen der Psychokinese, der Beeinflussung physischer Gegenstände durch Gedanken. Ein Netz unheilvoller Ereignisse spinnt sich immer dichter, immer bedrohlicher um eine Journalistin, die auf Lenzenfeld die Schlossherrin besucht.

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Inhaltsverzeichnis

Die erste Nacht

Der nächste Tag

Der zweite Tag

Die folgende Nacht

Der dritte Tag

Die letzte Nacht

Der Tag danach

DIE ERSTE NACHT

Diese Nacht ist eine böse Nacht. Diese Nacht ist eine Nacht des baren Grauens.

Diese Nacht ist eine Nacht des schrecklichen Entsetzens. In dieser ersten Nacht erstarrt das Blut vor Grauen in den Adern.

Ja, in dieser ersten Nacht geht das wahre Böse um. Es ist, als ob >Es< dem tiefsten Höllenschlund entsteigt, um seinen abgrundtiefen Haß und seine wilde Bosheit zu verbreiten, um arme Menschenseelen unbarmherzig zu vernichten. Kein Kruzifix kann in dieser Horrornacht vor dieser dämonisch-bösen Macht Schutz verleihen. Es ist, als ob das Untier losgelassen - und losgelassen ist das Schreckliche in der heutigen Nacht tatsächlich! Weit geöffnet ist das Höllentor, und ganz real ist das Böse herausgekommen. Nicht der dunklen Phantasie entsprungen. Nicht von finsteren Archetypen im Geist geboren, nein! >Es< ist existent! Schauerlich! Entsetzlich! Tödlich! -

Riesige Wolkentürme brauen sich zusammen. Nur da und dort dringt der Vollmond durch die schweren Gewitterwolken. Noch sind sie fern. Ein ständiges Wetterleuchten zuckt durch die mächtige Regenwand. Fernes Donnergrollen rollt über die einsame Waldlandschaft. Der Regen hat noch nicht eingesetzt. Die Luft ist von der Feuchtigkeit gesättigt. Wie ein Dämon fibriert die Elektrizität, man glaubt ihn knisternd zu verspüren.

Geisterhaft ragt das finstere Gemäuer in die Höhe. Vielstimmiges Grillenkonzert erfüllt die Nacht. O wie wahr: hier, an diesem unheimlichen Ort, nimmt jetzt das wahre Böse seinen Anfang!

Die zur Klosterruine gehörende Kirche ist ein restaurierter, stattlicher Gotikbau. Als Wallfahrtsort wird sie nicht mehr benützt. Er ist zu weit von der Stadt abgelegen, zu fern vom nächsten Dorf, um zu Fuß erreichbar zu sein, und so ist er wieder dem Zerfall preisgegeben. Efeupflanzen ranken sich an den alten, ehrwürdigen Backsteinmauern zwischen den hohen, schlanken Kirchenfenstern empor. Sie drohen den Bau an einigen Stellen wie ein Kokon einzuhüllen.

Der Stundenzeiger der Turmuhr steht auf römisch Zwölf; lang ist’s her, seit er aufgehört hat, sich zu bewegen. Der Minutenzeiger ist abgefallen, und die Holzverschalungen der Turmfenster sind von vielen Stürmen schwer beschädigt; ein paar Glocken hängen verloren im Glockenstuhl. Der Geist Gottes ist längst gewichen; nur der Wind pfeift durchs Gebälk. Fledermäuse flattern, hausen an dem Ort.

Eine Windbö weht altes Laub über den Vorplatz zum Kirchenportal. Es wird von einer Doppelflügeltür verschlossen. Ein schweres Schloß und Eisenketten verwehren dem Gläubigen den Zutritt in die Kirche. Oder hindern sie eine böse Macht, das Gebäude zu verlassen? - >The Lenzenfield Abbey< ist kunstvoll in den Türfries eingemeißelt, vom Zahn der Zeit zernagt.

Das Dach des Kreuzgangs ist eingefallen, der Trümmerschutt ist weggeräumt. Wie Finger drohend ragen Säulen in die Höh’; stumm steht das rohe Gemäuer da, von verwinkelten Korridoren, Klausen, Speicherräumen übriggeblieben. Gotische Torbogen verbinden alte Dachstützpfeiler. Kein Nachtgebet von frommen Klosterfrauen, kein Nonnenchor wird in diesen Mauern mehr ertönen. Nur Schlangen, Mäuse, Marder, Füchse und wilde Katzen hausen in den Winkeln und den Löchern. Überall wuchern Gras und Busch und Unkraut; Gewürm zerfrißt die Erde, und Spinnen jagen über das Gestein nach Beute.

Der Friedhof neben der klösterlichen Ruine macht einen trostlosen, verwahrlosten Eindruck: Umgestürzte Grabsteine. Schief stehende Kreuze. Brusthohes Gras. Rauschend schwankt es in der gewitterträchtigen Luft hin und her.

Unter das ferne Donnergrollen und das Zirpen der Grillen mischt sich plötzlich leises Kettenrasseln. Grobe Kettenglieder ziehen eine Spur durchs Gras, vorbei an verlotterten Grabdenkmälern.

Verloren steht eine weibliche Sandsteinfigur auf dem Sockel. >Rest in peace, Sister Mary - 1832-1860< steht darauf geschrieben. Ein rostiges Metallkreuz ragt schief empor. Der Heiland hängt an einem Arm daran. Es trägt den Namen >Sister Antonia - 1932-1960<. Und da steht ein kleines Mausoleum, aus dem der Dornbusch wuchert. Die Türe ist vermauert. Eine unbekannte Hand hat ein großes Loch in die Ziegelwand und die dahinterliegende Tür geschlagen. Nicht von außen; allem Anschein nach von innen, denn zerbrochene Ziegelsteine liegen vor der geheimnisvollen Öffnung auf der Erde. Jemand hat ein kopfstehendes Kreuz hingemalt, mit roter, nasser Farbe - oder mit frischem Blut?

Das Symbol >bbb< beschwört den bösen Dämon. Wohl gar ein Größerer der Hölle? - >Roderick of Lenzenfield - 1985-....< steht da in Stein gehauen; es ist kein Todesjahr angegeben. Die geschwungenen Lettern wurden mit Feuer ausgebrannt. Hat ein magisches Ritual stattgefunden? Um das Böse zu bannen?

Leise und schwer atmend, halb Tier halb Mensch, steht >Es< vor dem Grabdenkmal. In seltsamer, verzerrter Wahrnehmung betrachtet >Es< die Teufelszeichen. Der Atem steigert sich zum Keuchen. Es ist, als ob das Höllenwesen sich in den Wahnsinn steigert. Plötzlich: ein Wutschrei durchdringt die Nacht - satanisch! - der den Herzschlag stocken und das Blut gefrieren läßt!

Zwei gekettete Hände, zwei grausige, deformierte Greifer, Greifer wie aus dem finstersten und dunkelsten Jenseits, zwei Greifer vom Höllenfeuer angesengt, zwei überdimensionale Greifer zwischen Klaue, Hauer und Menschenhand packen einen schweren Grabstein. Mit dämonischer Gewalt reißen die Greifer ihn aus der Verankerung heraus. Blindwütig traktiert >Es< die gemeißelte Inschrift bis zur Unleserlichkeit, brüllend wie das der Unterwelt entsprungene Urtier, bis der Grabstein in Stücke zerspringt.

In diesem Augenblick braust ein Mercedes heran. Die Reifen quietschen. Grelle Scheinwerfer fallen auf das Kirchenportal, die klösterliche Ruine, die angrenzende Friedhofsmauer und das prunkvolle, schmiedeiserne Eingangstor.

Das unheimliche, gekettete Wesen prescht aufgescheucht durchs hohe Gras, an verwahrlosten Grabstätten vorbei. Gleißendes Halogenlicht fällt durch den Torbogen, blendet kurz. Irritiert verschwindet >Es< im dornigen Buschwerk.

Der Mercedes fährt in rasanter Geschwindigkeit im Kreis. Die Hinterreifen rutschen über das Kopfsteinpflaster. Es ist beschädigt, und Erdbewegungen haben es im Lauf der Jahre zu Wellen aufgeworfen. Ungeachtet dessen, der Wagen fährt wie wild im Kreis. Eine Mädchenstimme kreischt zwischen Begeisterung und Angst. Vorsichtig blickt >Es< durch die mutwillig in die Friedhofsmauer geschlagene Bresche. Leises Kettenrasseln.

Phyllis ist ein äußerst attraktives Mädchen, für einmal nicht in Jeans gekleidet, wie es Teenager ihres Alters meistens tun. Es trägt ein sexy Minikleid in frohen Farben und Plusterärmeln. Das lange, schwarze Haar hat Phyllis mit poppigen Plastikspangen hochgesteckt, und kecke Fransen auf der Stirn und seichte, sorgfältig gedrehte und gezogene Zapfenlocken an den Schläfen geben ihr einen eleganten, reifen Gesichtsausdruck. Phyllis ist eine gepflegte Tochter der höheren Gesellschaft, Studentin im ersten Semester der Jurisprudenz.

Freund Bobby ist ihr Studienkollege, ein nett aussehender Bursche aus dem Mittelstand. Bobby besitzt eine sympathische Ausstrahlung, eine perfekte, sportliche Figur; er ist in der Tat ein Baseballstar, kurz der Typ, auf den junge Mädchen fliegen. So sieht sich Phyllis manchmal veranlaßt, sich gegen die Bewerberinnen zu wehren und das nicht zimperlich! Das gilt auch im umgekehrten Fall für Bobby, denn auch Phyllis wirkt ganz ungemein mit ihrem Sexappeal auf junge Machos.

Bobby hält das Steuer fest im Anschlag, den Fuß aufs Gaspedal gedrückt. Phyllis sitzt angegurtet auf dem Beifahrersitz. Sie kreischt vor Aufregung und Angst zugleich, krallt sich am Fenstergriff und dem Armaturenbrett fest:

»Ist ja gut, Schatz! - Ist ja gut! - Du bist verrückt, Bobby! - Hör’ auf! - Bitte! - Du bist ja total ausgeflippt...!«

Sie jauchzt.

»Natürlich bin ich ausgeflippt«, lacht Bobby sie an. »Was glaubst du denn? Paß’ auf, Phyllis!«

Er drückt hart das Bremspedal.

Der hintere Wagenteil schleudert herum, Laub und Staub aufwirbelnd. Mit einem Ruck bleibt der Mercedes in umgekehrter Fahrtrichtung stehen. Bobby legt den Rückwärtsgang ein. Gaspedal. Die Luxuskarosse prescht Heck voran im Kreis über den Klosterplatz.

»Du bist verrückt!« schreit Phyllis, sich noch fester auf dem Sitz festklammernd.

»Halt an, Bobby! - Halt sofort an! Du bringst uns ja noch um!«

»Keine Angst, Schatz! Ich hab alles fest im Griff!....«

Ein Ruck schüttelt das Mädchen durch. Bobby hat ein Bäumchen umgefahren. Rauhes Buschwerk kratzt an der Karosserie entlang. Dann kommt der Wagen endlich zum Stehen. Bleich geworden, verzieht Phyllis verärgert das Gesicht:

»Alles fest im Griff, was? Idiot! - Müßt ihr blöden Machos immer so angeben? Du kannst mir mit deinem Getue überhaupt nicht imponieren!«

Sie boxt ihn, den Schreck abreagierend. Bobby schaltet den Motor ab und setzt das Licht auf Stand. Begeistert:

»Die Karre deines alten Herrn ist wirklich Klasse! - Na, wie war ich?«

Das Mädchen atmet ungehalten aus. Sarkastisch:

»Einfach toll, Bobby, einfach toll: Arschloch! - Kannst du mir vielleicht sagen, wie ich jetzt meinem Vater die Scheißkratzer auf dem Auto erkläre?! - Und die verbeulte Scheiß-Stoßstange?! Er wird mir den Kopf abreißen, obwohl du so hirnverbrannt gefahren bist!....«

Bobby läßt seinen ganzen Charme sprühen, geht gar nicht auf Phyllis’ Worte ein. Sanft und zärtlich nimmt er ihre schöne Hand, küßt die Fingerbeeren und die Innenfläche. Er beginnt die Finger heiß zu lutschen, so daß es sie erregt.

Phyllis’ aufgebrachter Gesichtsausdruck entspannt sich; schon ist sie besiegt. »Oooo Bobby, Bobby, Bobby!..... « sagt sie’s, flüstert sie’s, haucht sie’s.

Er wendet sich ihr zu, liebkost ihr Ohrläppchen mit der Zungenspitze. Ein herziger, goldener Papagei sitzt in der Mitte des Ohrreifens drin; ein kleines Geschenk des Allerliebsten.

Ja, Bobby weiß mit Mädchen umzugehen, und er weiß um Phyllis’ Schwächen. Er weiß, wie wahnsinnig sie in ihn verliebt ist, hoffnungslos verknallt! Aber schließlich fliegt er auch auf sie, und das nicht wenig!

Das Mädchen schenkt ihm leidenschaftliche Küsse. Fast unmerklich drückt er sie auf den Sitz.

»Du bist wunderschön, Phyllis«, haucht er, mit der Zunge ihre Zunge umspielend. »Und so schmiegsam. Und so weich. Und so zart. Und so sanft..... «

Das Mädchen schmilzt wie Butter an der Sonne unter den Küssen dahin.

»War ich denn so schlecht am Steuer?« setzt er nach einer Weile ausgetauschter Zärtlichkeiten ganz warm hinzu.

»Du warst super!« raspelt sie glühend ergeben. »Einfach toll! - Nicht aufhören, Bobby!....«

Er streichelt ihre schlanken Beine, tastet sich langsam unter dem Rock hoch. Die Haut ist kühl. Die Sehnen, Muskeln sind trainiert und weiblich.

Phyllis fährt unter den Liebkosungen richtig ab. Sie spreizt die Knie, preßt sie aber plötzlich zusammen.

»Nein, nicht!« sagt sie blockiert, sich ihm entziehend. »Ich hab Angst!«

»Hey!« entfährt es ihm. Er ist überrascht. »Du warst doch früher nicht so prüde. Du brauchst doch keine Angst zu haben. Niemand kann uns sehen. Wir sind ganz allein hier. Nur du und ich.... «

Phyllis schreit erschrocken auf. Die Sitzlehne saust hinunter: Liegesitz!

»Du bist aber ein ganz Schlimmer!« kichert sie in den Gefühlen hin und her gerissen. Sie schmiegt sich eng an ihn. Hat die unheimliche Lenzenfelder Abtei das Mädchen irritiert?

Der Mercedes steht mit eingeschaltetem Standlicht auf dem Kirchenplatz. Das Heck steht im wuchernden Buschwerk drin, dicht an der Bresche der Friedhofsmauer.

Schweren Atems beobachtet >Es< alles ganz genau. Das Licht am Auto schaltet aus. Das Beifahrerfenster ist offen; Phyllis legt den Unterschenkel in die Öffnung. Die grobgliedrige Kette verschwindet lautlos hinter dem üppigen Dornbusch.

Das Gewitter zieht sich zusammen, nähert sich bedrohlich. Wird es über der Klosterruine losschlagen? Um das Böse hinter dem Mercedes zu verscheuchen?

Helle Lichtkegel streifen plötzlich Phyllis’ Bein. Die Nacht spuckt vier Motorradfahrer aus. Jesebel, Janet, Nick und Toni brausen mit gleißenden Lichtern heran - lachend, lärmend, in Riesenstimmung.

Phyllis und Bobby richten sich im Auto auf. Rasch bringt sie das Kleid, das Haar in Ordnung. Schon sind sie entdeckt. Zehn Meter fährt er vorwärts, dann muß er stoppen; die Motocrossfahrer haben ihn eingekreist. Mit heulenden Motoren und quietschenden Reifen fahren sie um den Mercedes herum. Lauthals ist die Konversation:

»Hey, seht, Freunde: Phyllis und Bobby in der Karosse ihres alten Herrn!«

»Und was die eben drin gemacht haben: wow!«

»Ha, du bist bloß eifersüchtig, weil Phyllis dich nie ’rangelassen hat, du Blödmann!« schreit eine tiefere Frauenstimme.

»Ach, halt die Klappe, Jesebel! So ein richtiger Reinraus würde auch dir mal gut tun!«

»Soll ich’s dir zeigen, Jessie?«

»Angeber!«

Jesebels Hand am Gashebel läßt den Motor aufheulen. Ihre Maschine schießt vorwärts, schleudert mit dem Hinterreifen Kieselsteine durch die Luft. Jauchzend fährt sie über die Treppe zum Kirchenportal hoch, zieht einen stiebenden Powerslide dort. Sie nimmt den Helm ab; das lange Haar wirbelt in den Nacken. Ein schreiend grün-rosa gepunktetes Tuch hat sie ums Haupt gewikkelt; was für ein beißender Kontrast zu den feuerroten Locken!

Jesebel ist ein ausgekochter Hippie. Sie hat ein Auge auf die Backe tätowiert und eine alte Zündholzschachtel zum Ohrenring umfunktioniert. Mit vierzig Jahren hat sie das Studium der Medizin noch immer nicht abgeschlossen; da tingelt sie doch lieber gleich als freier Mensch auf der rassigen Maschine durchs Land, als in sterilen Sälen ihre Zeit zu vertrödeln.

Jesebel ist natürlich mit Abstand die älteste ihrer Kameraden und die Anführerin der gewitzten Gang. Trotz manchmal reichlichem Bierkonsum ist sie erstaunlich gut erhalten, etwas verraucht, eine herbe Schönheit in der Tat wie Pallas Athene, aber perfekt durchtrainiert. Ein quellendes Muskelforum kommt zum Vorschein, als sie die Lederjacke auszieht und jene jauchzend durch die Luft schleudert. Nacktarmig kutschiert sie weiter durch die Gegend. Ein flammender Teufel prangt auf dem Rücken ihres T-Shirts in blutgezeichnetem Pentagramm; er streckt dem Betrachter die zweigeteilte, schwarze Zunge heraus.

Janet ist ein ganz anderer Typ von Mädchen. Rund fünfzehn Jahre jünger als Jesebel, besitzt sie ein charmanteres, ansprechenderes Wesen. Ihre zierliche Gestalt paßt ganz und gar nicht auf die schwere Maschine. Janet muß sich jedesmal überwinden, will sie sich in der Gruppe Gehör verschaffen oder am Tresen Bier trinken oder einfach eine große Klappe führen, um brave Bürger zu schockieren. Aber schließlich will sie zur Gang gehören, trotz ihres eher leisen, zurückhaltenden Charakters und ihrer besseren Manieren. Den Helm hat sie auf der Gepäcktasche festgezurrt, und ihre blonde Haarpracht ist zerzaust vom Wind.

Janet fährt an Bobbies Fenster vor.

»Hay!« Ein breites Grinsen zeichnet ihr hübsches Gesicht. »Stören wir? - Einfach von der Disco abhauen! Mit Freundin und Klassewagen!«

Losbrausend:

»Wow! Die haben’s tatsächlich gemacht, Freunde!«

Bobby zieht verlegen den Reißverschluß an den Jeans hoch.

Nick bremst brüsk vor dem Beifahrerfenster. Drei Sekunden mustert er das Mädchen; dann ist er informiert.

»Na, Phyllis: Was ist denn mit den Knöpfen los und deinem Haar?«

»Was soll schon mit meinen Knöpfen und dem Haar los sein? - Idiot!« schnarrt sie, bis über beide Ohren vor Verlegenheit errötend.

Nick bläst bezeichnend Luft durch die Vorderzähne, so daß es leise pfeift. Er hat den Slip an Phyllis’ Fuß entdeckt; bestimmt konnte sie nicht mehr rechtzeitig hineinschlüpfen und ihn hochziehen.

»Wußte gar nicht, daß du Reizwäsche trägst, Phyllis.... «

Das Mädchen fährt herum. Das geöffnete Haar fliegt über die Schulter.

»Halt’ die verdammte Klappe! - Verpiß’ dich endlich, los!«

Nick läßt sich nicht beeindrucken.

»Soll ich deinem Vater mal erzählen, was das brave Töchterchen so treibt?«

»Untersteh dich! - Arschloch!«

Nicks breiter Mund grinst anzüglich bis zu beiden Ohren.

»Mann, das wär’ ein Ding!«

»Mensch, hau ab, du Wichser!« schreit sie ihn verärgert an. Er entzieht die Hand ihrem Schlag, der auf der Fensterkante landet.

»Aua! - Mistkerl!«

Nick läßt den Motor aufheulen und braust los.

»Hey, Leute: Wußtet ihr, daß Phyllis Reizwäsche trägt?!« brüllt er in Riesenstimmung. »Das ist ja megasuperaffengeil!!«

Er reißt die Maschine hoch und rast auf dem Hinterrad quer über den Kirchenplatz. In halsbrecherischer Geschwindigkeit zielt er durch die schmale Öffnung der angelehnten schmiedeeisernen Tore und braust in den Friedhof hinein.

Toni stoppt neben Jesebel:

»Reizwäsche! Was für dich, Jessie, damit du mal ’nen Kerl kriegst! - Du bist doch kein Kerl, oder?«

»Nein! - Und du?« pariert sie die verbale Attacke.

»Gut, Jessie, gut«, nickt Toni anerkennend, weil übertölpelt. »Wenn du so gut fickst, wie du quasseln kannst, dann sag’s mir! Ich werd’s dir zeigen, obwohl ich ganz und gar nicht auf Weibermuskeln stehe!«

»Ha, große Klappe - kleiner Schwanz!« grinst die Hippiefrau überlegen. »Keine Muskeln und tote Hose noch dazu! Verzichte!«

Sie gibt Gas. Die Maschine prescht vorwärts. Sie folgt Nick in den Friedhof nach, die vier gleißenden Halogenlampen an der Lenkstange auf Scheinwerfer geschaltet.

Beide kurven um verwilderte Gräber durchs hohe Gras, einen schrecklichen Radau vollführend. Die Motoren knattern fürchterlich, stören die Totenruhe.

Nick stoppt vor dem geheimnisvollen Mausoleum. Eine seltsame, magisch-böse Macht erfaßt ihn plötzlich, läßt das Blut in seinen Adern stocken. Er starrt gebannt auf die Höllenzeichen, erschauert bei dem Anblick.

Jesebel fährt links heran.

»Hey, was ist?!« ruft sie ihm zu. »Siehst du einen Geist im Grab?«

Nick kann nicht antworten. Die Zunge liegt wie ein ausgetrockneter Lappen in seinem Hals. Er dreht die Maschine in die andere Richtung. Mit Vollgas rast er los, braust auf die Friedhofsmauer zu. Behend springt er durch die ausgeschlagene Bresche auf den Platz hinaus, landet gekonnt, bremst voll; die Reifen ziehen eine Gummispur übers Kopfsteinpflaster. Quer zum Vorderrad von Janets Maschine kommt das Motorrad zum Stehen. Er hätte das Mädchen fast gerammt.

»Hey, du hast sie wohl nicht alle!« schimpft es los. »Laß gefälligst den verdammten Quatsch, du Angeber! Ich weiß ja, daß du im letzten Jahr Landesmeister warst; du brauchst mir nichts zu beweisen, Arschloch!«

Er zeigt ihr den Mittelfinger: selber Arschloch! - Grinst.

»Mensch, schieb ab! Du gehst mir auf den Geist!« fährt sie ihn gehörig an.

»Aus dir spricht der pure Neid, Schwester«, meint er, sie bemitleidend. Er läßt sich die eigene Angst nicht anmerken; die beiden unerklärlichen Teufelszeichen auf dem Mausoleum sind ihm zünftig ins Mark gefahren. In der Tat: er mußte mit dem verrückten Sprung durch die Mauerbresche das grausige Gefühl abreagieren, das ihn gepackt und schleunigst aus dem Friedhof getrieben hat. Janet streckt ihm die Zunge heraus:

»Bäh!«

Nick braust wieder los, kämpft den Horror in sich nieder.

Jesebel wagt nicht, den halsbrecherischen Sprung durch die Maueröffnung nachzumachen. Sie kurvt zum Friedhofsportal zurück. Was ist das plötzlich? Die hart gesottene Bodybuilderin spürt es ganz deutlich: Eine böse, drohende Gefahr lauert ihr im Nacken. Nicht die Angst erfaßt sie; es ist ein schauriges Entzücken!

Jesebel liebt das Okkulte-Spiritistische, das Höllische und Dämonische, vielleicht sogar den Teufel!

Die Hippiefrau bremst und schaut sich um. Seltsam. Nichts ist zu sehen! Ganz nah meint sie das Böse zu verspüren. Ein kühler, sanfter Windhauch fährt mystisch ihr durchs Haar. Kündigt das Gewitter seine Nähe an?

Die Motorradgang umkreist den Mercedes. Man ergötzt sich, Phyllis und Bobby beim Liebesspiel erwischt zu haben. Das gibt auf Wochen deftigen Gesprächsstoff ab.

Wie Phyllis’ reizendes Unterhöschen!

Gelangweilt lassen die beiden die Neckereien über sich ergehen:

»Von mir aus können die sich verpissen!« stellt Phyllis verärgert fest.

»Es ist nicht mehr lustig.«

Freund Bobby winkt ab:

»Ach, laß sie doch! Die treiben bloß ihren Spaß mit uns!«

Jesebel erhebt die Stimme draußen:

»Los, Leute, schauen wir uns die Kirche an! Ich finde es gemein, zwei beim Schmusen zu stören!«

»Siehst du?« ergänzt Bobby seine Worte. »Nur nicht reagieren; und die hören schon von selber auf!«

»Ach, Bobby!« seufzt das Mädchen und kann’s nicht ändern; es ist ungehalten, irritiert. »Weshalb sind wir hier rausgefahren! Die alte Lenzenfelder Abtei ist doch kein schöner Ort zum Schmusen. Er sei verhext, verflucht, sagt man!.... «

»Erzähl doch keinen Scheiß!« fällt Bobby ihr ins Wort. »Du glaubst doch nicht das abergläubische Gesülze?«

Phyllis schweigt und sinkt verängstigt in sich zusammen. Natürlich glaubt sie es!

»Schatz«, er wendet sich ihr zu. »Wir sind von der Disco abgehauen, weil du hier rausfahren wolltest. Es war dein Vorschlag, und wir waren uns doch einig. Spielt doch keine Rolle, wo wir’s machen. Du warst doch sehr erpicht darauf, es einmal im Auto zu tun! Also, weshalb nicht hier? Dieser Ort ist so gut wie jeder andere. Es ist doch bloß eine alte Ruine!«

Jesebel, Janet, Nick und Toni stellen die Maschinen vor der Eingangstreppe ab.

Eine Kette verbindet die Verriegelungssparren; sie sind lose im morschen Holz der Kirchentür verankert.

»Hilf mir; die reißen wir glatt raus«, fordert Jesebel Toni auf, der wie sie Medizin studiert, jedoch im unteren Semester.

Toni ist schlank und sehr sportlich, über eins achtzig groß. Sein dunkles Haar ist perfekt geschnitten; die Gesichtszüge sind schön und ebenmäßig. Er verdient einen großen Anteil des Studiengeldes als Dressman. Scharenweise laufen ihm die Mannequins nach - und die Studentinnen.

Ganz anders ist Nick, der ein Kopf kleiner ist als er und unrasiert ist. Er hat das lange, braune Haar am Hinterkopf geknotet, wie es einst die besten Gladiatoren im alten Rom tun durften. Wie ein Gladiator das Schwert, so beherrscht Nick den heißen Stuhl unter seinem Hintern. Etliche lokale und nationale Siege haben Nick wertvolle Scheine aufs Bankkonto geweht; nicht schlecht für den aufgestellten Burschen, der übrigens von Haus aus die Moneten nicht im geringsten nötig hätte. Er ist ein Aussteiger wie Jesebel, ihr Herzblatt in der Tat, obwohl er über ein Dutzend Jahre jünger ist als sie.

Die Verankerungen der Eisensparren geben schon beim ersten Versuch nach. Haben die Zimmerleute die Torflügel falsch eingesetzt? - Jesebel und Toni ziehen das Portal nach außen auf. Es knarrt fürchterlich in den rostigen Angeln.

Janet wagt als erste, einen Blick ins Innere der Kirche zu werfen. Ängstlich weicht sie zurück:

»Da drin ist’s aber ganz schön dunkel!«

Nick schiebt sich lässig einen Kaugummi zwischen die Zähne.

»Was hast du denn erwartet?« stellt er überheblich fest; man glaubt, er stehe meilenweit über der Sache. Daß es Theater ist und er sich selber fürchtet, das merkt natürlich keiner.

Jesebel knipst das Feuerzeug an:

»Hat noch jemand eins dabei?«

Nick und Toni knipsen die ihrigen an.

»Die Herren der Schöpfung gehen zuerst rein, natürlich«, vermerkt es Janet schelmisch. Sie stellt sich neben Toni mit den männlich breiten Schultern und den eins achtzig - geschehe denn was wolle!

Jesebel, die Kraftathletin, schnalzt mitleidig mit der Zunge:

»Steck die Angst in deinen Hintern, Süße, und pfeif auf die gespielte Männlichkeit!«

Mit angeknipsten Feuerzeugen folgen Janet, Nick und Toni Jesebel ins unbekannte Dunkel der alten Kirche. Die Gebetsbänke sind verlottert. Von den Wänden fällt der Putz, von der Decke Ziegelsteine. Überall liegt Staub und Schmutz. Die Fresken sind verblaßt, vom Pilz befallen. Ein Heiliger blickt aus tiefen, finsteren Augenhöhlen von einer Konsole herab auf die Eindringlinge. Die Beichtstühle sind dem Verfall preisgegeben; die schweren Plüschvorhänge ersticken im Staub; sie sind ganz grau geworden.

Janet kichert, um die Angst zu kompensieren. Sie hält sich dicht an Toni. Gespannt tastet sich die Gang zum Altarraum vor. Es herrscht eine unheimliche, mystische Stimmung.

»O sole mio...!« singt Nick plötzlich los. Alle erschrecken; sogar Jesebel, die normalerweise über gute Nerven verfügt und sich vor nichts und niemandem fürchtet. Die Stimme bricht sich gespenstisch im hohen Gewölbe.

»Hör auf damit, verdammt!« quietscht Janet vor Grausen und Entsetzen. Sie boxt Nick an die Schulter.

»Hey, was soll der Scheiß, Janet?!«

»Mußt du immer kleine Mädchen erschrecken?!« maßregelt ihn Toni.

»Hey, Mann?!« zuckt jener die Schultern, sich keiner Schuld bewußt. »Hat die Kirche eine gute Akustik oder nicht?! - Ihr seid Hosenscheißer!«

Jesebel wischt ihm eins über:

»Na, komm schon, bevor du selber noch in die Hosen machst!«

Vor dem Marienaltar befindet sich eine Unmenge halb abgebrannter Kerzen. Die nächtlichen Besucher zünden sie mit den Feuerzeugen an. Im Kerzenschein tritt der Zerfall der Lenzenfelder Abtei deutlicher hervor. Zwischen Neugier und befangener Angst besichtigen sie den verlassenen Wallfahrtsort.

»Die Kirche ist für eine schwarze Messe wie geschaffen«, sagt Jesebel plötzlich in die Stille. »Das gäb’ ’nen Horrorspaß!«

Der alte Gotikbau ist in der Tat ein Ort zum Fürchten. Die Furien, Geister und Dämonen scheinen bloß darauf zu warten, loszubrausen.

Nick reißt einen Weihwasserbecher von der lottrigen Gebetsbank ab:

»Und da haben wir schon einen Kelch, Leute!«

Die ausgeflippte Hippiefrau entzündet die Kerzen am Hochaltar, und Toni kommt mit einem kunstvoll geschmiedeten Kruzifix von der Kanzel herunter. Jesebel lehnt es an den Tabernakel - der Kopf des Heilands weist nach unten!

Nick erscheint unter der Tür zur Sakristei. Er hält ein völlig verstaubtes Messgewand vor sich hin.

»Seht mal, Kumpels, was ich gefunden habe!« tönt es aufgestellt, wie ein Jauchzer.

Janet steht etwas abseits. Ein eigenartiges Schauergefühl hält sie umfangen; sie ist doch ein sehr sensibles, junges Mädchen.

»Wißt ihr überhaupt, was ihr da vorhabt?« bricht es voller Entsetzen aus ihr heraus. »Ihr sollt das nicht tun, Freunde! Das ist ja - Gotteslästerung! Jawohl, Blasphemie ist das, eine schwarze Messe zu feiern!....«

»Ach, halt die Klappe, Janet!« unterbricht Jesebel sie grob. »Wir wollen uns bloß ein bißchen amüsieren.«

»Geh nach Hause, wenn du nicht mitmachen willst!« ergänzt Toni.

»Klar: schieb ab, wenn du Angst hast, Feigling!« setzt Nick prompt hinzu.

»Was glaubst du, weshalb wir hier rausgefahren sind?!«

»Laß sie zufrieden!« stellt Jesebel ihn ab. »Gib mir lieber das Meßgewand.«

Behend schlüpft sie in die Priesterrobe. Freund Nick hilft ihr dabei.

»Na, wie seh’ ich aus?«

Sie dreht sich tänzerisch im Kreise.

»Wow!« entfährt es Nick und spuckt den Kaugummi aus. »Ganz einfach affengeil!«

Jesebel ergreift die Initiative:

»Los, Leute: stellt euch in einer Reihe auf! Gib mir den Weihwasserbecher, Nick. Und du, Toni, das Messer.«

»Was?!«

»Na, macht schon!« besteht Jesebel darauf.

Flugs tun die Burschen wie geheißen. Janet verharrt ängstlich neben der vordersten Gebetsbank. Nick dreht sich um:

»Hey, Janet, was ist denn?!« mahnt er ungeduldig. »Sei kein Spielverderber!«

Ganz im Geiste Gottes erzogen, widerstreben dem Mädchen solche Spiele. Eine vage, religiöse Scheu läßt es erschauern.

»Seid ihr denn komplett verrückt? - Was ihr vorhabt, soll man nicht tun, hört ihr? Das ist kein Spiel, Jessie! Laß die Spötterei! Wollt ihr etwa den Teufel anbeten?.... «

»Komm schon, Janet! Was ist dabei?« kommt Toni Jesebel zuvor. »Du glaubst doch nicht an solchen Blödsinn, wie den Leibhaftigen! Geister! Dämonen! Ist doch alles finsteres Mittelalter! Reiner Aberglauben! - Na, komm schon!«

Er legt lächelnd den Arm um ihre Schultern, versprüht den ganzen Charme, um sie zu überreden.

»Du gehörst zu unserer Gang; und wer zu unserer Gang gehört, der kneift nicht. Oder willst du wirklich kneifen?«

Natürlich will Janet zur Gang gehören und nicht kneifen. Widerwillig gibt sie nach. Nick und Toni nehmen sie in die Mitte. Ob Gott die Feier der schwarzen Messe bestrafen wird?

»Dachte wirklich, du würdest kneifen«, lacht Nick sie aus. »Bist doch ein mutiges Mädchen und kein Feigling!«

Jesebel drängt vorwärts.

»Okay, das reicht!« bringt sie das Thema auf den Punkt zurück.

»Klar, Schatz, fang an! Beten wir den Teufel an!« witzelt Nick dazwischen, die eigene Furcht vor dem Höllischen verdrängend.

»Laßt jetzt die dummen Sprüche und konzentriert euch!«

Die ausgeflippte Hippiefrau mit dem tätowierten Auge auf der Wange wartet, bis Ruhe ist. Dann sagt sie:

»Zieht jetzt die Kleider aus! Ich will, daß ihr mit bloßem Oberkörper vor dem Altar niederknieht!«

Nick verdrückt sich ein hämisches Grinsen:

»Ein Groupie in der Gesellschaft Satans? Wie die alten Hexen in der Walpurgisnacht? Wow!«

»Halt jetzt endlich den verdammten Rand!« schimpft die Priesterin ihn gehörig aus. »Ich verlange Ruhe! Absolute Ruhe! Keinen Pieps will ich mehr hören, kapiert? - Los jetzt!«

Die Burschen entledigen sich der Jacken, ziehen Hemd und T-Shirt aus. Das alles geht Janet viel zu weit.

»Ach Mädchen, zier dich nicht!« sagt Jesebel ungehalten. »Oder willst du mit den Klamotten die Aura stören?«

Janet wagt nicht zu widersprechen. Zögernd fügt sie sich.

»Auch den BH und das Höschen, Süße!« lautet der Befehl zwingend. »Und dann legst du dich auf den Altar!«

»Ist das wirklich nötig, Jessie?«

»Ist das wirklich nötig, Jessie?« äfft Nick die kleinlaute Frage in Riesenstimmung nach; eigentlich müßte er vor Angst das Wasser lassen.

Die Priesterin versetzt dem Blödmann einen Tritt, der ihn zu Boden schleudert.

»Es ist nötig, Janet«, beharrt sie auf ihrer Forderung. »Und ihr Idioten gafft nicht!«

Keiner denkt an Bobby und Phyllis draußen im Mercedes. Ungestüm schmusen sich die beiden ab. Heiß sind die Küsse. Glühend ist die Leidenschaft. Herrlich die Ekstase der Begierde.

Janet hat sich widerstreubend vor den Tabernakel auf den Hochaltar gelegt, splitternackt, vor Angst und Grauen den Tränen nah. Jesebel hat an den vier Tischecken Kerzen angezündet. Die Priesterin versetzt sich jetzt in Trance, in eine andere Ekstase der Begierde. Sie legt das Haupt in den Nacken. Sie schließt die Augen. Sie breitet die Arme aus, hält den Weihwasserbecher in der linken, das Klappmesser in der rechten Hand. Sie öffnet Herz und Seele, bereit, das Böse zu empfangen.

Nick und Toni verharren auf Knien in der gleichen Pose, hin und her gerissen zwischen Spiel und Furcht. Nein: eine schwarze Messe haben sie bis heut’ noch nie gefeiert!

»Satan! - Satan! - Herr der Finsternis! - Herr der Hölle!« ruft die Priesterin beschwörend aus. »Fürst der Dunkelheit! König der Lüste und der Sünde! - Ich, Jesebel, rufe dich! - Ich, Jesebel, rufe dich, als deine Dienerin! - Ich, Jesebel, rufe dich, als deine Buhlin an! - O Majestät der Hölle: Höre mich! - Erhöre mich! Hier sind wir versammelt: Jesebel - Janet - Nick - und Toni! - Hier sind wir versammelt, um dich, Teufel! anzubeten und um dir, o Meister! im Blutopfer zu verherrlichen. - O Satana! Luzifer! Leviathan! Astaroth! Someillon: Höret uns! - Erscheinet uns! - Hecate! Persephone! Astarte! Hel! Königinnen der Unterwelt: Wir beten euch an. Ihr Höllengeister, Furien werdet frei! Stehet auf! Entfesselt euch! - Wir wollen euch Blut in diesem Opferkelch darbringen!«

Jesebel schneidet Janet mit dem Messer eine kleine Wunde in die Brustrundung.

Blutstropfen quellen leis’ heraus. Die Priesterin fängt sie im Kultgefäß auf.

Das Mädchen auf dem Altar muß sich gehörig die Angsttränen verbeißen, als Jesebel das restliche Blut über den Brüsten verschmiert und mit dem Finger das Teufelszeichen auf den Nabel malt. Den Machos ist das Grinsen vergangen; sie sind ganz ernst geworden. Woher Jesebel die Satansrituale kennt?

Phyllis schreit im grausigen Entsetzen auf:

Wie aus dem Jenseits greift der grausige Hauer vom Autodach durchs Fenster. Übermenschlich groß ist der Greifer. Er packt Bobby am Hinterkopf, droht ihn beinah’ zu zerquetschen. Der Bursche zappelt, brüllt wild, versucht, sich zu befreien, am Lenkrad festzuhalten. Vergeblich! Die deformierte Hand zerrt ihn durchs Fenster und aufs Dach hinauf. Höllisch ist die Kraft. Nicht menschlich die Gewalt!

Knochen brechen. Das Todesgeschrei bricht jäh ab. Stille.

Phyllis bleibt vor Grauen der Schrei in der Kehle stecken. Was ist passiert? Ist’s ein Albtraum? War das der Leibhaftige?

Mit aufgerissenen Augen sitzt das Mädchen wie versteinert da. Noch vor wenigen Augenblicken hat sie Bobby ganz lieb in sich gespürt. Jetzt starrt sie entsetzt auf den Fahrersitz und aufs Fenster, durch das ihr Freund so unheilvoll gerissen worden ist.

Plötzlich: Ein Ruck erschüttert den Mercedes. Furchtbares Rutschen auf dem Dach.

Phyllis’ Schreckensstarre löst sich mit einem zweiten Schrei. Sie realisiert sofort die tödliche Gefahr über ihr auf dem Autodach. Sie hält sich mit beiden Händen den Mund zu, damit sie ja nicht nochmals schreit. Die Tränen laufen ihr über die Wangen und das Kinn.

Wird das schreckliche Wesen nach ihr greifen? Wenn sie fünf Sekunden mäuschenstill auf dem Sitz verharrt? Um dann schlag­artig die Türe aufzustoßen und in die Kirche zu den anderen zu rennen?

Phyllis sitzt wie Lots Weib erstarrt; sie kann sich unmöglich bewegen. Ist der Mercedes eine Falle, aus der es kein Entrinnen gibt?

Der Zündschlüssel steckt im Anlasser. Das ist vielleicht die Rettung!

Äußerst langsam und noch viel vorsichtiger wechselt Phyllis auf den Fahrersitz hinüber.

Behutsam drückt ihr Fuß das Bremspedal.

Stille.

Noch behutsamer stellt Phyllis den Ganghebel von >Park< auf >Drive<.

Nichts rührt sich. Ist das grauenhafte Wesen endlich vom Dach verschwunden?

Oder existiert es bloß in ihrer Phantasie? - Nein: sonst säße Bobby an ihrer Seite; und sie würden heiß miteinander schmusen!

Das Mädchen tastet nach dem Zündschlüssel. Die Hand zittert.

Bobbies Kopf kracht ans Seitenfenster. Das Gesicht ist malträtiert, zerfleischt, und die Augen fehlen. Blut spritzt auf Phyllis.

Das bare Grauen packt das Mädchen; es kreischt entsetzt. Es versucht in Panik, den Wagen zu starten: einmal - zweimal - dreimal.....

>Es< läßt Bobbies Leiche los. Sie fällt draußen schlapp zu Boden, blockiert die Autotüre. Der Motor dreht und dreht und dreht und startet nicht. Hindert ihn eine böse Macht beim Anspringen?

Phyllis fleht herzzerreißend:

»Komm schon! Komm schon! Komm schon! - Bitte! - Bitte! - Scheißkarre!«

Verzweifelt schlägt sie die Handballen aufs Steuerrad, vollständig in Angst und Tränen aufgelöst.

Jesebel, die Priesterin, weiht das Blut der Kameradin vor kopfstehendem Kreuz dem Bösen:

»Luzifer! - Satan! - Suche heim diesen verfluchten Ort!« schnarrt sie beschwörend. »Mit diesem Blut schließen wir einen Pakt mit dir auf ewig. Erwache, großer Luzifer! Offenbar dich uns! Öffne das schreckliche Höllentor! Komm heraus! Steig hervor! Zeig dich uns, damit wir dir folgen und Gott verfluchen!«

Mit einem Knall springt die Kühlerhaube auf. Rauch steigt aus dem Motor. Phyllis sitzt wie angefroren.

Leises Rasseln. Die Kette saust auf die Windschutzscheibe nieder. Sie zerplatzt in tausend blinde Stücke.

Jetzt rastet Phyllis völlig aus. Schreiend, brüllend, in Graus und Panik, will sie nur noch flüchten. Bobbies gräßlich entstellte Leiche versperrt den Weg; die Türe läßt sich nur einen Spalt weit öffnen.

Das Mädchen stößt mit den Füßen die Autotüre auf der Beifahrerseite auf. Zu spät!

Die scheußliche Hand greift abermals vom Dach her zu. Blindlings packt sie Phyllis und zieht den Kopf durchs Fenster.

Eine magische Macht drückt die Tasten >Up<; die Motoren summen, lassen die Scheiben simultan hochfahren. Das Opfer quietscht in Panik wie verrückt, strampelt, zappelt - es nützt nichts!

Die Kante der Fensterscheibe fährt in den zarten Hals. Das fürchterliche Geschrei erstickt zum grausigen Geröchel. Blut läuft am Glas hinunter. Mühsam arbeiten die Motoren; sie sind viel zu stark!

Ein jäher Ruck: der Greifer reißt Phyllis’ Haupt vom Körper. Leblos fällt er auf den Sitz zurück. Eine riesenhafte, schwarze Gestalt kauert auf dem Mercedes, kaum erkennbar gegen den dunklen Hintergrund. Sie hält den abgetrennten Kopf triumphierend in die Höhe, einen satanischen Laut ausstoßend.

Blitz und Donnerschlag. Das Gewitter bricht wie auf Kommando los. Ein böses Omen? Der Regen prasselt aus geöffneten Himmelsschleusen.

Janet fährt erschrocken vom Altartisch hoch:

»Was war das?«

»Das war Phyllis, die so geschrieen hat.«

»Dieser verdammte Bobby geht aber ran!« setzt Nick Tonis Feststellung cool hinzu.

Janet schüttelt den Kopf und steht auf. Behend schlüpft sie in den Slip.

»Nein, nicht Phyllis; da war ein Laut. Ein ganz fürchterlicher Laut!..... «

»Klar, der Teufel kommt, der Leibhaftige - buuuuhhhhh!«

Nick breitet wie ein Alien die Arme aus, um Janet zu erschrekken.

»Geh lieber und schau mal nach, was los ist, als hier die große Klappe zu führen!« heißt Jesebel ihn mit forscher Stimme.

»Ich? - Wieso ich?«

»Na, geh’ schon! Oder hast du Angst?«

Janet hält ihn am Arm zurück:

»Nein, bleib da, Nick!« es tönt flehentlich als Bitte. »Geh nicht raus! Da stimmt 'was nicht. Es ist etwas ganz Schauriges da draußen passiert! Ich weiß es! Ich fühle es ganz deutlich!.... «

Nick schneidet ein Gesicht, als stünde er kilometerweit über der Sache. Es ist, als sagte er, keine Bange, Schätzchen, wenn dort draußen einer ist, den schaff’ ich mit links! Nick schnappt sich das Messer und bewaffnet sich mit einem Kerzenständer. Befangen schleicht er zum Ausgang. Vorsichtig blickt Nick ins Freie, wo der Regen gießt, die Blitze zucken, die Donner krachen. Die Angeln knarren fürchterlich, als er den Türflügel aufschiebt.

Kettenrasseln. Nick hat nicht die Zeit zu realisieren, was ihm geschieht. Der Greifer fährt ihm an die Gurgel, zerrt ihn in die Gewitternacht hinaus. Klappmesser und Kerzenständer fallen scheppernd auf den Boden. Der losgerissene Verriegelungssparren dringt Nick in den Rücken ein und fährt aus der Brust wieder heraus. Aufgespießt hängt er am Eisen fest. Sekundenlang zappeln seine Füße nach festem Halt. Dann ertrinkt er im eigenen Blut. Grausig quietscht der Portalflügel, als er sich unter dem Körpergewicht des Toten ganz nach außen öffnet.

Jesebel, Janet und Toni können keinen Gedanken fassen. Das Böse, das leibhaftige Böse! attackiert sie jetzt. Die fürchterliche Greifhand packt Toni, hebt ihn wie eine Feder hoch, mit ungeheurer Kraft. Er kann nicht schreien, nicht einmal stöhnen. Sie schmettert seinen Körper von fünfundachtzig Kilo auf den Altartisch nieder und bricht ihm rücklings über die Marmorkante das Genick.

Das ist so schnell passiert, Jesebel und Janet stehen wie angewurzelt. Welch mörderische Gewalt! Das ist kein menschliches Wesen dort! Da muß ein wahrlich Großer der Höll’ entsprungen sein!

Die Attackierten stieben schreiend auseinander: Janet links zur Kirchturmtüre, Jesebel rechts auf die Kanzel hinauf. >Es< ergreift jetzt das kopfstehende Kreuz vor dem Tabernakel. Zeigt das Symbol der Heiligkeit keine Wirkung auf das Böse? Wie es das unfehlbar bei Vampiren tut?

Die Angsttränen laufen der hart gesottenen Hippiefrau nur so runter; wer hätte das gedacht? Zusammengekauert, wie ein Baby im Bauch der Mutter, preßt sich Jesebel an die Kanzelumwandung, beißt sich in den Knöchel des Zeigefingers, um ja nicht loszuschreien. Lähmende Stille. Stockender Atem. Das Herz dröhnt wie ein Schmiedehammer, und das Blut rauscht in den Ohren - tosender als ein Wasserfall.

Es knirscht. Es kracht. Das Holz splittert. Die Teufelshand reißt die Kanzelwand herunter. Schreiend flüchtet Jesebel zur Mauer hinüber. Keine Chance! Der Greifer packt den Fuß. Jesebel strampelt. Vergebens! Sie wehrt sich mit ganzer Muskelkraft. Umsonst! Wahrlich: die Gewalt ist übermenschlich, die sie jetzt von der Kanzel schleift.

Das Meßgewand hängt an einem Sprießen fest, zerreißt. Jesebel quietscht im Grauen und Entsetzen, vor Todesangst. Unbarmherzig zerrt >Es< sie von der Predigerplattform herunter. Das schmiedeeiserne Kreuz hebt sich wie ein Hammer gegen das finstere Gewölbe - saust kraftvoll auf die Schreiende nieder. Ein dumpfes Geräusch ertönt. Das Geschrei erstirbt wie abgeschnitten. Der Schaft des Kreuzes ist Jesebel mitten durch die Brust ins Holz gedrungen. Aufgepfählt hängt sie an der herabgerissenen Kanzelumwandung fest - ist tot in den nächsten paar Sekunden.

Fliegender Atem. Janet hastet über steile Stufen zum Glockenstuhl hinauf. Die Seile hängen schwindelerregend tief auf die Läutplattform hinunter.

Der Hauch des Bösen geht durch das hohe Kirchenschiff; >Es< will jetzt die Kirchturmtüre öffnen. Janet hat sie fest verriegelt. Ein satanischer Wutschrei ertönt.

Dem Mädchen setzt vor Grauen der Herzschlag aus. Gelähmt verharrt es auf der Stiege. Lauscht. Hat der tiefste Höllenschlund den Schrei herausgebrüllt?

Eine gewaltige Explosion schleudert die Kirchturmtüre aus den Angeln. Janet zuckt zusammen, als hätte sie ein Peitschenhieb getroffen. Sie glaubt, sie würde gleich vom Angstdämon verschluckt. Sie kann sich nicht bewegen. Sie kann nur zittern. Zittern? Nein, die Angst schüttelt sie wie ein Frost. Ist’s ein grauenvoller Albtraum nur?

Schwere Schritte tönen auf den Treppenstufen unten. Eine dämonische Macht schnürt Janets Brust zusammen.

»Oooo Gooott!« fährt das Stoßgebet zum Himmel hoch. Ob er es hört?

Der Fluchttrieb überwindet jetzt den Totstellreflex. Das Mädchen rast die schmale Turmstiege hinauf. Mit beiden Händen zieht es sich am Geländer hoch. Die Höllenangst sitzt ihm im Nacken, vom Verfolger eingeholt und wie Jesebel, Nick und Toni grausig ermordet zu werden.

Die morsche Stufe bricht. Das Holz stürzt unter Janets Fuß in die Tiefe, zerschellt weit unten auf der Läutplattform in Stücke. Es ist ein Reflex, der ihren Fall verhindert. Janet klammert sich in Todesangst am Geländerpfosten fest. Sie braucht eine halbe Minute, um den maßlosen Schrecken zu überwinden. Die Tränen laufen ihr in Bächen über die Wangen und das Kinn. Gefährlich lose wackelt der Haltepfosten in der Verankerung.

Kettenrasseln. Dumpfe Schritte. Dämonisches Keuchen. Janet glaubt, sie verliere den Verstand. Das ist unmöglich ein Mensch da unten! Was denn? Kennt der Himmel kein Mitleid mit der Gehetzten?

Janets Bein sitzt in der eingebrochenen Öffnung fest. Die grobgliedrige Kette schlägt aufs Stiegenholz - schleift über Treppenstufen. In Panik stemmt sich Janet hoch. Ein vorstehender Holzsprießen zieht eine blutige Wunde in den Oberschenkel, streift den Stiefel ab. Janet spürt keinen Schmerz. Zu groß ist die Angst und das Entsetzen. Sie reißt das Bein aus der Öffnung heraus. Der Schuh fällt in die Tiefe.

Stille. Kein Kettenrasseln? Kein dumpfer Schritt? Kein dämonisches Keuchen?

Der grausige Verfolger lauscht, schaut auf den herabgefallenen Motorradstiefel.

Das Mädchen wagt nicht, in die Tiefe zu blicken, um ja nicht entdeckt zu werden.

Wie vom Blitz getroffen hastet Janet plötzlich weiter. Erreicht den Glockenstuhl. Klettert die Leitern hoch. Erklimmt das verwitterte Gebälk in halsbrecherischer Weise.

Kettenrasseln. Der schaurige Verfolger blickt jetzt zu den Glocken hoch. Seine Wahrnehmung ist verzerrt, röhrenartig, unbeschreiblich, nicht menschlich jedenfalls!

Die Flüchtende hat die oberste Glocke fast erreicht. Es ist die Totenglocke.

Die Leiter ist am Balken der Wartungsplattform bloß angelehnt. Und der Stand auf der unteren ist keinesfalls der beste. Janet verheddert sich im Läutseil.

Oder hat das Läutseil sich mit Janet verheddert?

>Es< geht nicht weiter die Treppe hoch, weil das Holz der Stufen viel zu morsch ist, um das Gewicht zu tragen! Das Wesen konzentriert jetzt seine ganze Kraft, seine ganze Macht, seine ganze Gewalt - und richtet sie auf Janet.

Janet kämpft mit dem Glockenseil. Immer verzweifelter. Die Leiter beginnt unter den unkontrollierten Bewegungen zu rutschen. Das Mädchen versucht, das Gleichgewicht zu halten. Strampelt wie verrückt. Eine Sprosse bricht. Angstschrei. Janet klammert sich instinktiv fest, ertastet behutsam die untere Sprosse. Aber der Fuß tritt ins Seil, findet auf unerklärbare Weise Halt darin. Der Glockenstrang schlingt sich um die Fessel, wie von Geisterhand bewegt.

Janet schwindelt auf der hohen Warte im Turm. Die unterste Plattform liegt über vierzig Meter tief. Längst sind die Zwischenplattformen eingestürzt; einzelne, rohe Balken, Bretter ragen aus dem Gemäuer heraus. Man hat sich nicht die Müh’ gemacht, sie neu einzuziehen; nur die Stiege wurde instand gehalten.

Das Mädchen zappelt. Die Leiter schwankt, gleitet vom Balken. Janet stürzt, das Läutseil um den Fuß gewickelt. Gellender Todesschrei. Freier Fall durch den Glockenstuhl. Bei der untersten Glocke fängt der Strang am Fuß den Sturz elastisch auf. Kopfüber prallt Janet an den Glockenrand. Ein dumpfer Klang ertönt. Das Totenglöcklein schwingt durch das Gewicht am Läutseilende. Es schlägt ein paarmal an, im Gegenklang mit Janets Kopf auf der tonnenschweren Basisglocke.

Halbnackt, mit blutig verschmierten Brüsten und aufgemaltem Teufelszeichen auf dem Nabel, hängt das Mädchen an einem Bein am Strang. Tot. In schwindelnder Höhe.

Der grausige Verfolger grinst satanisch. Blut tropft auf ihn herunter. Der fürchterliche Greifer nimmt die Kette auf. >Es< verlässt den Ort des Grauens.

Donnernd entlädt sich das Gewitter über der Abtei.

Motorengeräusch. Scheinwerferlicht. Blitze Irrlichtern sekundenlang über den lottrigen Lastwagen. Die Bremsen quietschen, als er vor dem Kirchenportal stoppt.

Was bedeutet der massive Eisenkäfig auf der Ladefläche?

Der Fahrer steigt aus, kümmert sich nicht um den Wolkenbruch. Er hat ein Gewehr in der Hand - einen wahren Bärentöter! Man sieht’s ganz deutlich im Wetterleuchten: die schwarze Gestalt zieht ein Bein nach, humpelt. Ein zweiter unheimlicher, nächtlicher Besucher?

Er lädt eine spezielle Patrone in den Lauf der Waffe; will er >Es< mit einem Betäubungsschuß bannen? —

DER NÄCHSTE TAG

Das fürchterliche Gewitter hat sich in seiner ganzen Vehemenz entladen. Die gewaltigen Wolkenbänke haben sich zu harmlosen Kumuli aufgelöst, und erste Sonnenstrahlen durchdringen die grauen Nebelfetzen über dem dunklen Mischwald. Alles trieft und tropft vor Nässe. Das Regenwasser hat knöcheltiefe Abflußrinnen in Schmutz und Erde hinterlassen. Das finstere Gemäuer der alten Lenzenfelder Abtei zeichnet sich silhouettenhaft gegen den Himmel ab. Das Licht des neuen Tages ist grell und blendet, wie so oft nach einem ergiebigen Regenguß.