Der Gandolfo-Anschlag - Robert Ludlum - E-Book

Der Gandolfo-Anschlag E-Book

Robert Ludlum

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Beschreibung

MacKenzie Hawks, einst der höchstdekorierte Offizier der Armee, wird unehrenhaft entlassen. Er holt zum Gegenschlag aus und gründet zusammen mit einigen der berüchtigtsten Gangstern eine Tarnfirma, die Verbrechen in größtem Maßstab organisiert.

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Inhaltsverzeichnis

WidmungVorwortTEIL I
Prolog1.2.3.4.5.6.
TEIL II
7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.
TEIL III
17.18.19.20.21.22.23.
TEIL IV
24.
EpilogCopyright

Für John Patrick

Einen hervorragenden Schriftsteller und einen geachteten Mann, von dem die Idee zu diesem Roman stammt.

EIN GROSSER TEIL DER EREIGNISSE IN DIESEM ROMAN FAND VOR EINIGER ZEIT STATT. UND EINE GANZE MENGE SPIELT MORGEN. DIES IST DIE DICHTERISCHE FREIHEIT DES LITURGISCHEN DRAMAS.

Vorwort

Der Gandolfo-Anschlag ist einer jener seltenen, um nicht zu sagen verrückten Zufälle, wie sie einem Schriftsteller vielleicht nur ein- oder zweimal im Leben widerfahren. Infolge göttlicher oder dämonischer Vorsehung wird ihm ein Konzept vorgelegt, das die Flamme seiner Fantasie entfacht. Er ist überzeugt, es wahrhaft mit einer überwältigenden Idee zu tun zu haben, die ihm als Rückgrat einer wahrhaft überwältigenden Geschichte dienen wird. Auf dem Bildschirm seines Bewußtseins wechseln sich Visionen von kraftvollen Szenen ab, jede voll Dramatik und Bedeutung und ... Nun, verdammt, sie sind einfach überwältigend!

Stapel von Papier werden bereitgelegt. Die Schreibmaschine wird abgestaubt, Bleistifte werden gespitzt, Türen geschlossen. Berückende Musik erklingt, um die Geräusche von Menschen und Natur außerhalb der Zelle des überwältigenden Schaffensdrangs zu übertönen. Schöpferischer Zorn greift ein. Die Idee – gleichsam ein Donnerschlag, der eine unglaubliche Szenenfolge auslöst – beginnt Substanz anzunehmen, während Charaktere mit Gesichtern und Körpern hervortreten, mit individuellen Persönlichkeiten und Konflikten. Die Handlung beginnt zu strömen, komplizierte Zahnräder greifen ineinander und machen eine Menge Lärm – übertönen das Werk wahrer Meister, wie dieses Mozarts und — wie hieß er doch gleich? – Händels.

Aber plötzlich stimmt etwas nicht. Ich meine, es stimmt wirklich nicht!

Der Autor fängt zu kichern an. Er kann nicht mehr aufhören zu kichern.

Schrecklich! Überwältigende Ideen haben Anspruch auf ehrfürchtigen Respekt, weiß der Himmel! Über so etwas darf man nicht lachen!

Aber so sehr er sich auch bemüht – der arme Teufel, der die Geschichte erzählt, steckt in der Falle, wird von einer Fuge förmlich bombardiert, die immer wieder einen Satz wiederholt: Das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein.

Der arme Teufel sieht seine Musen an. Warum blinzeln sie eigentlich? Ist das der Messias, den er hört, oder was sonst? Was ist aus dem überwältigenden Donnerschlag geworden? Warum gerät er plötzlich am klaren blauen Himmel aus dem Takt, als hätte er einen Schluckauf, als ginge er langsam in ein leiser werdendes Kichern über?

Der arme Teufel ist verwirrt, gibt auf. Oder besser gesagt, gibt nach, weil er inzwischen eine Menge Spaß daran hat. Schließlich geschah das alles zum Zeitpunkt von Watergate, und niemand könnte sich ein solches Drama ausdenken! Ich meine, kein Theater würde es aufführen. Zu jener Zeit, meine ich.

Also läßt sich der arme Teufel weitertreiben, hat einen Riesenspaß daran und fragt sich leicht benommen, wer wohl die Papiere unterzeichnen wird, wenn man ihn in die Anstalt einweist. Und er denkt sich, daß seine Frau die Leute wohl daran hindern wird, weil der Tölpel immerhin hier und da das Geschirr spült und einen verdammt guten Martini mixt.

Schließlich wird das Œuvre präsentiert, und man hört zur Befriedigung des armen Teufels hinter den Türen Gelächter, gefolgt von Protestgeschrei und Urteile wie >nicht zu retten< oder >schrecklich voreingenommen<.

»Aber nicht unter Ihrem Namen!«

Die Zeit erlaubt den Wandel, und Wandel säubert.

Jetzt steht mein Name darüber, und ich hoffe, Sie haben Spaß darin. Mir hat es eine Menge Spaß gemacht.

Connecticut Shore, 1982

Robert Ludlum

TEIL I

Hinter jedem Unternehmen muß eine einmaligeKraft oder ein Motiv stehen, das sie von jederanderen Firmenstruktur abhebt und ihr eine ganzeigene Identität verleiht.

Shepherd’s Laws of Economics Buch XXXII, Kapitel 12

Prolog

Die Menschenmassen sammelten sich auf dem Petersplatz. Tausende und aber Tausende von Gläubigen warteten in ehrfürchtiger Vorfreude darauf, daß der Papst auf den Balkon hinaustreten und seine Hände zum Segen erheben würde. Die Zeit des Fastens und der Gebete war vorbei. Im Zwielicht würde das Angelus durch den Vatikan hallen und das Fest des San Genarro einläuten. In ganz Rom würde man die Glocken hören, und sie würden Fröhlichkeit und Lebenslust ankündigen. Der Segen von Papst Franziskus dem Ersten würde das Zeichen zum Beginn der Lustbarkeiten geben.

Man würde in den Straßen tanzen, im Licht von Fackeln und Kerzen, berauscht von Musik und Wein. Auf der Piazza Navonna, dem Trevi und selbst auf Teilen des Palatinhügels standen lange Tische, die mit Pasta und Obst und allen möglichen Backwerken überladen waren. Denn war es nicht dieser Papst, der geliebte Franziskus, der das alles gelehrt hatte? Öffnet eure Herzen und eure Schränke für euren Nächsten, und er möge euch die seinen überlassen. Alle Menschen, hoch und niedrig, sollen begreifen, daß wir eine Familie sind. In diesen Zeiten der Mühsal und des Chaos und der hohen Preise — gibt es da einen besseren Weg, als sich den Geist des Herrn zu eigen zu machen und wahrhafte Liebe zum Nächsten zu zeigen?

Für ein paar Tage mögen Groll und Mißgunst beiseite treten. Trennendes soll vereint werden. Möge das Wort hinausgehen in die Welt, daß alle Männer Brüder sind, alle Frauen Schwestern, alle zusammen Geschwister — und in hohem Maße jeder der Hüter seines Nächsten. Auf nur ein paar Tage möge Barmherzigkeit und Mitgefühl und Dankbarkeit die Seele eines jeden beherrschen und das Süße und das Traurige teilen, denn es gibt kein Übel, das der Macht Gottes widerstehen könnte.

Umarmt euch, hebt euer Glas, lacht und weint und nehmt einander auf in Liebe. Die Welt soll sehen, daß man sich nicht zu schämen braucht, wenn der Geist der Menschlichkeit frohlockt. Und sobald euch dieser Geist berührt hat, sobald ihr die Stimmen von Bruder und Schwester gehört habt, sollt ihr die süßen Erinnerungen über das Fest von San Genarro hinaustragen und euer Leben von den Prinzipien des christlichen Wohlwollens leiten lassen. Es ist möglich, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Den Lebenden obliegt es, dies zu bewirken.

Das war die Lehre von Franziskus dem Ersten.

Atemlose Stille legte sich über die Zehntausende auf dem Petersplatz. Jede Sekunde würde jetzt die Gestalt des geliebten Il Papa mit Kraft und Würde und großer Liebe auf den Balkon hinaustreten und die Hände zum Segen erheben. Und dann würde das Angelus beginnen.

Im Inneren der hohen Vatikanräume sprachen Kardinäle, Monsignori und Priester in Gruppen miteinander, und immer wieder wanderten ihre Blicke zu der Gestalt des Papstes hinüber, der in der Ecke saß. Der Raum war von lebhaften Farben erfüllt, von Scharlachrot, Violett und makellosem Weiß. Roben und Kutten und Hüte — Symbole der höchsten Kirchenämter — schwankten und drehten sich und vermittelten die Illusion eines ständig bewegten Freskos.

Und in der Ecke, auf dem Stuhl aus Elfenbein und blauem Samt, saß der Statthalter Christi, Papst Franziskus der Erste. Er war ein einfacher Mann, wohlbeleibt, mit den kräftigen und doch sanften Zügen eines Campagnuolo, eines erdverbundenen Mannes. Dicht hinter ihm stand sein persönlicher Sekretär, ein junger schwarzer Priester aus Amerika, aus der Erzdiözese New York. Es war typisch für Franziskus, einen solchen päpstlichen Adjutanten zu haben.

Die beiden unterhielten sich mit leiser Stimme, und der Papst wandte seinen mächtigen Schädel. Seine großen, weichen, braunen Augen blickten ruhig zu dem jungen Priester auf.

»Mannaggi !« flüsterte Franziskus. Seine breite Bauernpranke bedeckte seine Lippen. »Das ist verrrückt! Die ganze Stadt wird eine Woche lang betrunken sein. Sie werden sich auf den Straßen lieben. Sind Sie sicher, daß das stimmt?«

»Ich habe es zweimal geprüft«, erwiderte der Neger und beugte sich in ruhiger Beflissenheit vor. »Wollen Sie mit ihm streiten?«

»Mein Gott, nein! Er war immer der Schlaueste in den Dörfern! «

Ein Kardinal schritt auf den Stuhl des Papstes zu und neigte sich vor. »Heiliger Vater, es ist Zeit«, sagte er leise. »Die Menge erwartet Sie.«

»Wer? Ja, natürlich. Gleich, mein guter Freund.«

Der Kardinal lächelte unter seinem riesigen Hut. Seine Augen waren von Bewunderung erfüllt. Franziskus nannte ihn immer seinen guten Freund. »Danke, Eure Heiligkeit.« Der Kardinal entfernte sich rückwärts gehend.

Der Statthalter Christi begann zu summen. Jetzt konnte man die Worte verstehen. »Che gelida ... manina ... a rigio esanime ... ah, la, la-laa-tra-la, la, la-laa ... «

»Was tun Sie?« Der junge päpstliche Adjutant aus der Erzdiözese New York, Distrikt Harlem, war sichtlich erregt.

»Die Arie des Rodolfo. Ah, dieser Puccini! Wenn ich nervös bin, hilft es mir, wenn ich singe.«

»Lassen Sie das, Mann! Oder wählen Sie einen Gregorianischen Gesang, zumindest eine Litanei.«

»Ich kenne keine. Ihr Italienisch wird immer besser, aber es ist immer noch nicht gut.«

»Ich gebe mir ja Mühe, Bruder. Ist nicht ganz leicht, mit Ihnen zu lernen. Kommen Sie jetzt, gehen wir auf den Balkon hinaus.«

»Drängen Sie mich nicht! Ich gehe ja schon. Mal sehen. Ich hebe die Hand. Und dann hinauf und hinunter und von rechts nach links ...«

»Von links nach rechts«, flüsterte der Priester heiser. »Hören Sie nicht zu? Wenn wir schon diese Komödie spielen, dann lernen Sie um Gottes willen wenigstens das Allernötigste !«

»Ich dachte, wenn ich etwas gebe — und nichts nehme — , sollte ich es umgekehrt machen.«

»Treiben Sie bloß keinen Unsinn! Versuchen Sie möglichst natürlich zu wirken.«

»Dann sollte ich vielleicht singen.«

»So natürlich nun auch wieder nicht! Kommen Sie schon!«

»Schon gut, schon gut.« Der Papst erhob sich aus seinem Stuhl und lächelte allen Anwesenden wohlwollend zu. Dann wandte er sich noch einmal an seinen Adjutanten und sprach so leise, daß keiner es hören konnte. »Falls jemand fragen sollte, welcher ist denn San Genarro?«

»Keiner wird fragen. Und wenn doch, dann benutzen Sie die Standardantwort.«

»Ah ja. >Studiere die Schriften, mein Sohn.< Wissen Sie, das ist alles so verrückt!«

»Gehen Sie langsam, und halten Sie sich gerade. Und lächeln Sie, um Gottes willen, lächeln Sie! Sie sind glücklich. «

»Ich fühle mich scheußlich, Sie Afrikaner!«

Papst Franziskus der Erste, Statthalter Christi, trat durch die mächtigen Türen auf den Balkon hinaus, um von einem gewaltigen Lärm begrüßt zu werden, der die Grundfesten von Sankt Peter erschütterte. Tausende und aber Tausende hoben im Frohlocken des Geistes ihre Stimmen.

»Il Papa, il Papa, il Papa!«

Und während der Heilige Vater in den myriadenfachen Widerschein der orangeroten Sonne hinausging, die im Westen sank, hörten viele in seinem Gefolge die halblauten Klänge des Liedes, das die heiligen Lippen summten. Jeder glaubte, es müsse sich um irgendein obskures frühes Musikwerk handeln, das nur denen bekannt war, die höchste wissenschaftliche Weihen genossen hatten. Denn so umfassend war das Wissen des erudito Papst Franziskus.

»Che ... gelida ... manina ... a rigido esanimeee ... ah, la, la-laaa ... tra-la, la, la ... la-la-laaa ... «

1.

»Dieser Hurensohn!« Brigadegeneral Arnold Symington ließ den Briefbeschwerer auf die dicke Glasplatte fallen, die seinen Schreibtisch im Pentagon bedeckte. Das Glas zerbrach, und die Splitter flogen in allen Richtungen davon. »Das kann er doch nicht machen!«

»Er hat es aber getan«, erwiderte der verängstigte Leutnant, der die Augen mit einer Hand vor dem Büroschrapnell geschützt hatte. »Die Chinesen sind äußerst erregt. Der Premierminister selbst hat den Beschwerdebrief an die diplomatische Mission diktiert. Der Leitartikel im Roten Stern befaßt sich damit, und Radio Peking verbreitet ihn ebenfalls.«

»Wie, zum Teufel, können sie das denn?« Symington zog sich einen Glassplitter aus der Kuppe seines kleinen Fingers. »Was, zum Teufel, sagen sie? >Wir unterbrechen dieses Programm für eine wichtige Mitteilung: der amerikanische Militärvertreter, General MacKenzie Hawkins, hat auf dem Son-Tai-Platz einer zehn Fuß hohen Jadestatue die Eier abgeschossen? < — Unsinn! Das würde Peking nie zulassen — es ist zu vulgär. «

»Sie haben es etwas anders formuliert, Sir. Sie sagen, er hätte in der Verbotenen Stadt ein historisches Denkmal aus wertvollem Stein zerstört. Sie formulieren das so, als ob jemand das Lincoln-Denkmal in die Luft gejagt hätte.«

»Das ist doch eine andere Statue! Lincoln hat Kleider an. Man sieht seine Eier nicht! Das ist nicht dasselbe!«

»Dennoch hält das Weiße Haus die Parallele für angemessen, Sir. Der Präsident möchte, daß Hawkins entfernt wird. Genauer gesagt, mehr als entfernt — er möchte, daß er kassiert wird. Mit Kriegsgericht und allem Drum und Dran. Öffentlich.«

»Ach, du liebe Güte! Das kommt doch nicht in Frage.« Symington lehnte sich in seinem Sessel zurück, atmete tief durch und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dann griff er nach dem Bericht auf seinem Schreibtisch. »Wir werden ihn versetzen und ihm eine Rüge erteilen. Wir werden eine Abschrift des — Verweises nach Peking schicken. Ja, wir werden es einen Verweis nennen.«

»Das genügt nicht, Sir. Das hat das Außenministerium eindeutig erklärt. Der Präsident schließt sich dieser Ansicht an. Wir befinden uns in Verhandlungen über ein Wirtschaftsabkommen ...«

»Herrgott noch mal, Leutnant!« unterbrach ihn der Brigadegeneral. »Man müßte diesem Wahnsinnsknaben im Weißen Haus endlich klarmachen, daß er sich nicht in alle Himmelsrichtungen ausbreiten kann. Mac Hawkins ist gewählt worden. Aus siebenundzwanzig Kandidaten. Ich erinnere mich noch genau daran, was der Präsident gesagt hat. Ganz genau. >Dieser Schweinehund ist perfekt!‹«

»Das ist jetzt irrelevant, Sir. Er ist der Ansicht, daß die Wirtschaftsverhandlungen Vorrang gegenüber bisherigen Erwägungen haben.« Der Leutnant begann zu transpirieren.

»Ihr bringt mich noch um«, entgegnete Symington und senkte dabei drohend die Stimme. »Wie soll man das denn machen? Kann schon sein, daß Hawkins im Augenblick eure Diplomatenärsche ein wenig flattern läßt, aber damit kann man ja nicht einfach wegwischen, was einmal relevant war. Er war bei der Ardennenschlacht ein verdammter Teenagerheld und auf West Point beim Football. Und wenn es für das, was er in Südostasien geleistet hat, Orden gäbe, dann wäre nicht einmal Mac Hawkins kräftig genug, um den ganzen Klempnerladen zu tragen. Neben ihm sieht John Wayne wie ein Schwuler aus. Er ist echt, und deshalb hat dieser Clown im Weißen Haus ihn ausgesucht.«

»Ich finde wirklich, daß das Amt des Präsidenten — gleichgültig, was Sie von dem Mann halten — ich meine, als Oberkommandierender ...«

»Pferdescheiße!« brüllte der General und verlieh dem ordinären Fluch den Klang eines militärischen Befehls. »Ich erkläre Ihnen lediglich — und zwar mit den kräftigsten Worten, die mir zur Verfügung stehen — daß man einen MacKenzie Hawkins nicht öffentlich vor ein Kriegsgericht stellt, um eine Klage aus Peking zu befriedigen, ganz gleich, wie viele verdammte Handelsverträge auf dem Spiel stehen. Wissen Sie, warum Leutnant?«

Der junge Offizier antwortete leise: »Weil er einen Skandal entfachen würde. In aller Öffentlichkeit.«

»Genau«, bestätigte Symington tonlos. »Die Hawkinses dieses Landes haben eine Anhängerschaft, Leutnant. Das ist auch genau der Grund, weshalb unser Oberkommandierender ihn ausgewählt hat. Er ist ein politisches Beruhigungsmittel. Und wenn Sie glauben, daß Mac Hawkins das nicht weiß, nun — Sie mußten ihn ja nicht überreden, das war mein Job.«

»Auf diese Reaktion sind wir vorbereitet, General.« Die Worte des Leutnants waren kaum zu vernehmen.

Der General beugte sich vor, wobei er sorgfältig darauf achtete, die Ellbogen nicht auf das zersplitterte Glas zu stützen. »Das habe ich nicht verstanden.«

»Das Außenministerium hat einen harten Gegenschlag erwartet. Deshalb müssen wir eine aggressive Reaktion darauf einleiten. Das Weiße Haus bedauert diese Notwendigkeit, erkennt aber zur gegenwärtigen Stunde den Krisenquotienten an.«

»Damit habe ich so ungefähr gerechnet.« Symingtons Worte waren noch leiser als die des Leutnants. »Und jetzt werden Sie bitte deutlich. Wie wollen Sie ihn fertigmachen ?«

Der Leutnant zögerte. »Ich bitte um Nachsicht, Sir, aber unser Ziel ist es nicht, äh — General Hawkins fertigzumachen. Wir befinden uns in einer hochgradig delikaten Lage. Die Volksrepublik verlangt Genugtuung. Und mit Recht! Was General Hawkins getan hat, war vulgär und primitiv. Dennoch lehnt er es ab, sich öffentlich zu entschuldigen. «

Symington blickte auf den Bericht, den er immer noch in der Hand hielt. »Steht hier, weshalb er sich weigert?«

»General Hawkins behauptet, es sei eine Falle gewesen. Seine Aussage steht auf Seite drei.«

Der Brigadegeneral blätterte um und las. Der Leutnant zog ein Taschentuch hervor und betupfte sich das Kinn. Symington legte den Bericht vorsichtig auf das zersplitterte Glas und blickte auf. »Wenn das, was Mac hier sagt, stimmt — dann war es wirklich eine Falle. Veröffentlichen Sie doch seine Version der Geschichte!«

»Er hat keine Version, General. Er war betrunken.«

»Mac sagt, er habe unter Drogeneinfluß gestanden — nicht unter Alkoholeinwirkung, Leutnant.«

»Er hat aber getrunken, Sir.«

»Und er stand unter Drogeneinfluß. Ich würde meinen, daß Mac den Unterschied kennt. Ich habe ihn schon Bourbon Whiskey schwitzen sehen.«

»Er leugnet aber gar nicht ab, daß er jenen Frevel begangen hat.«

»Er leugnet die Verantwortung für seine Handlungen. Hawkins war der beste Abwehrstratege in Indochina. Er hat selbst Kuriere und Vermittler in Kambodscha, Laos, den beiden Vietnams und wahrscheinlich auch jenseits der mandschurischen Grenze unter Drogen gesetzt. Er kennt den Unterschied verdammt genau.«

»Ich fürchte, sein Wissen macht hier keinerlei Unterschied, Sir. Der Krisenquotient erfordert, daß wir Pekings Wünsche erfüllen. Die Handelsverträge sind von eminenter Wichtigkeit. Offen gestanden, Sir, wir haben noch knapp zehn Tage Zeit, um alles ins Gleichgewicht zu bringen, um unseren Input zu leisten und zu positivem Druck zu kommen. «

Symington starrte den jungen Offizier entgeistert an. »Was soll das bedeuten?«

»Es ist sehr hart, so etwas auszusprechen. Aber General Hawkins hat seine eigenen Interessen über jene seiner dienstlichen Obliegenheiten gestellt. Wir werden ein Exempel statuieren müssen. Zum größeren Nutzen aller.«

»Ein Exempel? Weil jemand die Wahrheit ans Licht bringen will?«

»Es gibt eine höhere Pflicht, General.«

»Ich weiß«, sagte der Brigadier müde. »Eine Pflicht gegenüber den — Handelsverträgen.«

»Ganz offen gesagt, ja. Es gibt Zeiten, wo man Symbole über pragmatische Zielsetzungen stellen muß.«

»Okay. Aber Mac wird nicht stillhalten und für Sie ein abgeknicktes Symbol spielen. Worin besteht also Ihr — Input?«

»Es handelt sich um den Generalinspekteur«, erklärte der Leutnant etwa im Tonfall eines widerspenstigen Studenten, der im Biologieseminar einen abgeschnittenen Bandwurm anfaßt. »Wir nehmen an ihm eine gründliche Datenüberwachung vor. Wir wissen, daß er in Indochina in fragwürdige Aktivitäten verwickelt war. Wir haben Grund zu der Annahme, daß er internationale Verhaltensusancen verletzt hat.«

»Und ob er das hat! Er war einer der Besten!«

»Bezüglich dieser Usancen gibt es keine genauen Vorschriften. Die Spezialisten des Generalinspekteurs haben Aufzeichnungen, die viel weiter zurückreichen als die Aktivitäten von General Hawkins, die er ex officio betrieben hat.« Der Leutnant lächelte. Es war ein echtes Lächeln, und er war offenbar in bester Stimmung.

»Sie werden ihn also mit Untergrundoperationen zur Strecke bringen, von denen die Hälfte der Vereinigten Stabschefs und der größte Teil des CIA wissen, daß sie ihm eine ganze Ladung Belobigungen eintragen würden — wenn sie darüber sprechen könnten. Ihr Bastarde, ihr bringt mich um!« Symington nickte langsam, als wollte er sich selbst beipflichten.

»Vielleicht könnten Sie uns Zeit sparen, General. Würden Sie uns Einzelheiten liefern?«

»O nein! Wenn ihr diesen Hurensohn ans Kreuz schlagen wollt, dann müßt ihr euch schon selbst eins hinstellen!«

»Sie verstehen die Situation doch, oder, Sir?«

Der Brigadegeneral schob seinen Stuhl zurück und trat mit der Fußspitze ein paar Glassplitter beiseite. »Ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe seit 1945 überhaupt nichts mehr verstanden.« Mit schmalen Augen blickte er den jungen Offizier an. »Ich weiß, daß Sie für Sechzehn-Hundert tätig sind, aber gehören Sie zur regulären Armee?«

»Nein, Sir. Reserve, Sonderauftrag. Ich bin von Y, J und B beurlaubt. Sozusagen zum Feuerlöschen, ehe die Fahnenstangen verbrennen.«

» Y, J und B ... Diese Abteilung kenne ich gar nicht.«

»Das ist keine Abteilung, Sir, sondern Youngblood, Jakel und Bowe in Los Angeles. Wir sind die führende Werbeagentur an der Küste.«

General Arnold Symingtons Gesicht nahm den Ausdruck eines verzweifelten Basset an. »Die Uniform sieht wirklich nett aus, Leutnant.« Er machte eine Pause und schüttelte dann in ungläubigem Staunen den Kopf.

Major Sam Devereaux, Beauftragter des Generalinspekteurbüros, blickte auf den Wandkalender. Er stand auf, trat hinter seinem Schreibtisch hervor, ging auf den Kalender zu und strich das Tagesdatum aus. Noch einen Monat und drei Tage, und er würde wieder Zivilist sein.

Nicht daß er je ein Soldat gewesen wäre. Nicht wirklich — nicht im Geiste. Sam war ein militärischer Unfall. Ein Unfall, kombiniert mit einem riesigen Fehler, der zu einer Verlängerung seiner Dienstzeit geführt hatte. Es war auf die Wahl zwischen zwei Alternativen hinausgelaufen — eine Verlängerung seiner Dienstzeit oder eine in Leavenworth zu verbüßende Strafe.

Sam war Rechtsanwalt, ein verdammt guter Anwalt, der sich auf Strafrecht spezialisiert hatte. Vor Jahren hatten ihm das Harvard College und dessen juristische Fakultät mehrmals dazu verholfen, den Militärdienst aufzuschieben. Zwei Jahre nach dem Examen hatte er in verschiedenen Anwaltsfirmen und schließlich vierzehn Monate in der bekannten Bostoner Anwaltskanzlei Aaron Pinkus Associates gearbeitet. Auf diese Weise war der Militärdienst zu einem lästigen Schatten verblaßt, der sein Leben kaum berührte. Er hatte die vielen Aufschübe vergessen.

Aber die Armee der Vereinigten Staaten vergaß so etwas nicht.

Während einer jener periodisch auftretenden Getriebeschäden der Militärbürokratie entdeckte das Pentagon, daß ihm zu wenig Anwälte zur Verfügung standen. Die Militärgerichtsbarkeit lag brach. Hunderte von Kriegsgerichtsverfahren auf Stützpunkten in der ganzen Welt konnten aus Mangel an Militärrichtern und Verteidigern nicht abgewickelt werden. Die Militärgefängnisse waren überfüllt. So fing das Pentagon an, die lang vergessenen Akten über Dienstaufschub durchzukämmen. Dutzende junger, alleinstehender, kinderloser Anwälte — verfügbares Fleisch — erhielten unabweisbare Einladungen, in denen die Bedeutung des Wortes >Aufschub< im Gegensatz zu dem Wort >Verzicht< erklärt wurde.

Das war der Unfall. Devereaux’ Fehler kam viel später hinzu. Siebentausend Meilen entfernt, an den sich berührenden Grenzen von Laos, Burma und Thailand. Im Goldenen Dreieck.

Devereaux sah — aus Gründen, die nur Gott und die militärische Logistik kannten — niemals ein Kriegsgericht und trat noch weniger in einem solchen auf. Er wurde der juristischen Untersuchungsabteilung des Büros des Generalinspekteurs zugeteilt und nach Saigon geschickt, um dort zu überprüfen, welche Gesetze eigentlich verletzt wurden.

Es gab so viele, daß man sie nicht zählen konnte. Und da das Thema Drogenmißbrauch den Vorrang vor dem Schwarzen Markt erhielt — es gab einfach in letzterem zu viele Vertreter amerikanischen Unternehmertums — führten ihn seine Dienstpflichten ins Goldene Dreieck, wo im Auftrag mächtiger Männer in Saigon, Washington, Vientiane und Hongkong ein Fünftel des Narkotikaaufkommens der Welt verteilt wurde.

Sam war gewissenhaft. Er mochte Rauschgifthändler nicht, und er setzte die ganze Kraft seines Amtes gegen sie ein, sorgfältig darauf bedacht, daß seine Berichte nach Saigon innerhalb der wirren Befehlsketten korrekt übermittelt wurden.

Keine Unterschriften. Nur Namen und Vergehen. Schließlich könnte ihm seine Tätigkeit eine Kugel oder einen Messerstich in den Rücken eintragen — zumindest aber ein Scherbengericht. Es war eine Lektion in Geheimdienstaktivitäten.

Seine Trophäen schlossen sieben ARVN-Generäle, einunddreißig Abgeordnete im Kongreß Thieus, zwölf Colonels der US-Army, drei Brigadegeneräle und achtundfünfzig sortierte Majore, Hauptmänner, Leutnants und Oberfeldwebel ein. Hinzu kamen noch fünf Kongreßabgeordnete, vier Senatoren, ein Kabinettsmitglied, elf leitende Angestellte amerikanischer Überseegesellschaften — von denen sechs bereits im Bereich von Wahlspenden genügend Ärger hatten — und ein Baptistenpriester mit kantigem Kinn mit umfangreicher Anhängerschaft.

Nach bestem Wissen Sams wurden ein Leutnant und zwei Oberfeldwebel unter Anklage gestellt, die übrigen Fälle waren >in Schwebe<.

So beging Sam Devereaux seinen Fehler. Seine Erkenntnis, daß die Mühlen der südostasiatischen Gerechtigkeit beim ersten Anzeichen äußerer Einflußnahme aus dem Takt zu geraten schienen, machte ihn so wütend, daß er beschloß, einen sehr großen Fisch im Netz der Korruption in die Falle zu locken und an ihm ein Exempel zu statuieren. Er wählte sich dafür einen Generalmajor in Bangkok. Einen Mann namens Heseltine Brokemichael. Generalmajor Heseltine Brokemichael, Examensjahrgang 1943 von West Point.

Sam besaß Beweise, sogar haufenweise. Durch eine Folge komplizierter Manöver, in denen er selbst als >Kontaktmann< auftrat, als Beteiligter also, der unter Eid das Fehlverhalten des Generalmajors beschwören konnte, baute er seinen Fall gründlich auf. Es konnte unmöglich zwei Generäle Brokemichael geben, und Sam war ein Racheengel von einem Ankläger, der sein Opfer einkreiste.

Aber es gab zwei Generalmajore namens Brokemichael — einer hieß Heseltine, einer Ethelred. Offensichtlich Vettern. Und der eine in Bangkok — Heseltine — war nicht der in Vientiane — Ethelred. Der Vientiane-Brokemichael war der Missetäter, nicht sein Vetter. Ferner war der Brokemichael in Bangkok in noch größerem Maße ein Racheengel als Sam. Er glaubte, er würde Beweismaterial über einen korrupten Mitarbeiter des Generalinspekteurs sammeln. Und das tat er. Devereaux hatte die meisten internationalen Schmuggelgesetze verletzt und alle, die das Weiße Haus je erlassen hatte.

Sam wurde von der Militärpolizei verhaftet, in eine Sicherheitszelle gebracht und darüber informiert, daß er damit rechnen könnte, den größten Teil seines Lebens in Leavenworth zu verbringen.

Glücklicherweise kam ihm ein höherer Offizier im Stab des Generalinspekteurs zu Hilfe, der zwar nicht ganz den Gerechtigkeitssinn begriff, der Sam dazu veranlaßt hatte, so viele Verbrechen zu begehen, aber der immerhin Sams juristische und ermittlerische Beiträge im Dienste des Generalinspekteurs anerkannte. Devereaux hatte tatsächlich mehr Beweismaterial als jeder andere Justizoffizier in Südostasien beigebracht. Seine Arbeit im Außendienst glich die Inaktivität in Washington aus.

So ließ dieser höhere Offizier zu, daß im Falle Sams ein kleiner inoffizieller Handel getrieben wurde. Wenn Sam eine vom wütenden Generalmajor Heseltine Brokemichael in Bangkok verhängte Disziplinarstrafe auf sich nahm, die in sechs Monaten Gehaltsabzug bestand, würde auf eine offizielle Anklage verzichtet werden. Und da war noch eine weitere Bedingung. Er mußte seine Arbeit für das Büro des Generalinspekteurs weitere zwei Jahre über seine eigentliche Dienstzeit hinaus fortsetzen. Bis dahin, so nahm der höhere Offizier an, würde das Chaos in Indochina denjenigen übergeben werden, die für eben dieses Chaos verantwortlich waren. Und damit würde die Belastung des Generalinspektorats wieder reduziert werden oder sogar ganz aufhören.

Es gab also zwei Möglichkeiten — Dienstzeitverlängerung oder Leavenworth.

Und so beschloß Major Sam Devereaux, patriotischer Bürgersoldat, seine Dienstzeit zu verlängern. Und das Chaos in Indochina reduzierte sich keineswegs, wurde jedoch den Verantwortlichen übertragen, und Devereaux wurde nach Washington D. C. zurückversetzt.

Noch ein Monat und drei Tage, sinnierte er, während er aus seinem Bürofenster blickte und die Militärpolizisten am Eingang beobachtete, die alle hinausfahrenden Fahrzeuge überprüften. Es war nach fünf. In zwei Stunden mußte er auf dem Dulles-Flughafen eine Maschine erreichen. Er hatte schon am Morgen seine Sachen gepackt und den Koffer mit ins Büro gebracht. Die vier Jahre näherten sich ihrem Ende. Zwei plus zwei. Vielleicht, überlegte er, würde er einmal diese Zeit bedauern, aber vergeudet war sie nicht gewesen. Der Abgrund der Korruption in Südostasien reichte auch in die hierarchischen Korridore Washingtons hinein. Die Bewohner dieser Korridore wußten, wer er war. Er hatte mehr Angebote von renommierten Anwaltsfirmen bekommen, als er beantworten, geschweige denn in Betracht ziehen konnte. Und er wollte sie nicht in Betracht ziehen — er mißbilligte sie. Ebenso, wie er den Vorgang mißbilligte, der augenblicklich auf seinem Schreibtisch lag.

Die Manipulatoren waren wieder am Werk. Diesmal sollte ein Laufbahnoffizier namens Hawkins gründlich diskreditiert werden. Generalleutnant MacKenzie Hawkins.

Im ersten Augenblick war Sam erschrocken. MacKenzie Hawkins war ein Original, eine Legende. Der Stoff, aus dem man einen Heldenkult machte — einen Heldenkult, der politisch rechts von Attila, dem Hunnenkönig, angesiedelt war.

Hawkins’ Platz am militärischen Firmament war gesichert. Die Bantam Books hatten seine Biographie veröffentlicht — und noch ehe ein Wort auf dem Papier stand, waren auch die Rechte für den Vorabdruck und den Abdruck in Reader’s Digest verkauft worden. Hollywood zahlte geradezu obszöne Beträge dafür, seine Lebensgeschichte zu verfilmen. Und die Antimilitaristen machten aus ihm einen Gegenstand des Faschistenhasses.

Seine Biographie wurde nicht gerade zum Bestseller, weil ihr Held nicht übermäßig kooperativ war. Offenbar gab es da gewisse persönliche Eigenheiten, die sein Bild in der Öffentlichkeit nicht gerade förderten, darunter auch vier Ehefrauen. Der Film erzielte keinen triumphalen Erfolg, da er endlose Schlachtszenen enthielt, wo der Mann höchstens andeutungsweise erschien, sah man von einem Schauspieler ab, der durch den Schlachtenstaub spähte und mit leicht lispelnder Stimme seinen Männern zubrüllte, sie sollten )diese Gottlosen (Kanonendonner) fertigmachen, die es wagten, die ruhmreiche Flagge herunterzureißen! Packt sie, Jungs!<

Hollywood hatte auch die vier Ehefrauen und gewisse andere Eigenheiten des >technischen Beraters im Studio< entdeckt. MacKenzie Hawkins verbrauchte Starlets in rauhen Mengen und trieb es mit der Frau des Produzenten im Swimming-pool, während der Produzent wütend vom Wohnzimmerfenster aus zusah.

Aber den Film startete er dennoch. Herrgott, schließlich hatte er fast sechs Millionen gekostet!

Jene fehlgeleiteten Bemühungen hätten vielleicht einen anderen Mann dazu gebracht, in der Versenkung zu verschwinden, und wäre es nur aus Verlegenheit. Nicht aber Mac Hawkins. Im Kreis seiner Freunde machte er sich über die Verantwortlichen lustig und erheiterte seine Gäste mit Anekdoten über Manhattan und Hollywood.

Man schickte ihn mit einer neuen Spezialaufgabe auf die Kriegsakademie — Abwehr, Geheimdienstaktivitäten. Seine Vorgesetzten fühlten sich ein wenig sicherer, wenn der charismatische Hawkins im Geheimdienst eingesetzt wurde. Und aus dem Oberst wurde ein Brigadegeneral, und er eignete sich alles an, was es über seine neue Spezialität zu lernen gab. Er verbrachte zwei Jahre mit harter Arbeit und studierte jede Phase der Abwehrtätigkeit, bis seine Instruktoren nicht mehr wußten, worin sie ihn noch instruieren konnten.

So sandte man ihn nach Saigon, wo die eskalierenden Feindseligkeiten inzwischen zu einem ausgewachsenen Krieg aufgeblüht waren. Und in Vietnam, in den beiden Vietnam, in Laos und Kambodscha und Thailand und Burma korrumpierte Hawkins jene Leute, die andere korrumpierten, und die Ideologen auch. Berichte seiner Aktivitäten hinter den Linien und jenseits der neutralen Grenzen ließen >Schutzreaktionen< als einzig logische Strategie erscheinen. So unorthodox, so offenkundig kriminell, waren seine Methoden, daß G-2 Saigon sich plötzlich dabei ertappte, wie es seine schiere Existenz ableugnete. Es gab immerhin Grenzen. Selbst für Geheimdienstaktivitäten.

Wenn Amerika über alles eine Maxime war, und das war es, dann sah Hawkins keinen Grund, warum diese Maxime nicht auch für die schmutzige Welt der Untergrundtätigkeit gelten sollte.

Und für Hawkins stand Amerika an erster Stelle — komme, was da wolle!

So fand Sam Devereaux es ein wenig traurig, daß ein solcher Mann von den Manipulatoren fertiggemacht werden sollte, von jenen Manipulatoren, die ihre Positionen nur deshalb bekleideten, weil sie sich selbst so ruhmreich in die Fahne gehüllt hatten. Hawkins war jetzt ein lästiger Löwe in der diplomatischen Arena, und man mußte ihn um des zweideutigen Denkens willen eliminieren. Die Männer, die seine Ehre hätten schützen müssen, taten jetzt ihr Bestes, um ihn möglichst schnell auszuschalten — in zehn Tagen, um genau zu sein.

Normalerweise hätte es Sam Vergnügen bereitet, einen Fall gegen einen messianischen Esel wie Hawkins aufzubauen. Und das würde er auch trotz seiner gegenteiligen Gefühle tun. Das war der letzte Vorgang, den er für das Büro des Generalinspekteurs erledigen würde, und er würde es nicht riskieren, daß man ihn noch einmal für zwei Jahre festhielt. Trotzdem war er traurig. Der Hawk, wie man ihn nannte — mochte er auch tausendmal ein fehlgeleiteter Fanatiker sein — verdiente etwas Besseres als das, was ihm bevorstand.

Vielleicht, dachte Sam, beruhten seine Depressionen auf den letzten >Operativ<-Instruktionen vom Weißen Haus: >Finden Sie etwas im moralischen Bereich, was Hawkins nicht ableugnen kann. Überprüfen Sie, ob er sich jemals in die Obhut eines Psychiaters begeben hat.<

Ein Psychiater! Jesus! Die lernten es nie.

Unterdessen hatte Sam ein Team von Ermittlungsbeamten nach Saigon geschickt, die versuchen sollten, ein paar negative Einzelheiten auszugraben. Und er mußte zum Dulles-Flughafen fahren, um dort eine Maschine nach Los Angeles zu nehmen.

Sämtliche Exfrauen von Hawkins lebten in einem Radius von dreißig Meilen von Malibu bis Beverly Hills. Die würden mehr bringen als jeder Psychiater. Gott! Ein Psychiater!

Auf der Pennsylvania Avenue 1600, Washington, D. C., waren die alle oberhalb der Schultern örtlich betäubt.

2.

»Mein Name ist Lin Shoo«, sagte der uniformierte Kommunist mit weicher Stimme und musterte mit seinen Schlitzaugen den großen, unordentlich wirkenden amerikanischen Soldaten, der in einem Ledersessel saß und in der einen Hand ein Glas Whiskey und in der anderen eine zerkaute Zigarre hielt. »Ich bin Kommandeur der Volkspartei Peking. Und Sie befinden sich in diesem Augenblick unter Hausarrest. Es bringt Ihnen keinen Nutzen, unhöflich zu sein. Dies sind lediglich Formalitäten.«

»Formalitäten wofür?« schrie MacKenzie Hawkins von seinem Lehnstuhl aus — dem einzigen westlichen Möbelstück in diesem orientalischen Haus. Er stellte seinen schweren Stiefel auf einen schwarzen Lacktisch und ließ die Hand über die lederbezogene Sessellehne hängen, so daß die brennende Zigarre gefährlich nahe an einen Seidenparavent geriet. »Es gibt keine verdammten Formalitäten außerhalb der diplomatischen Mission. Gehen Sie dorthin, und bringen Sie Ihre Klagen vor! Wahrscheinlich müssen Sie Schlange stehen.« Hawkins lachte glucksend und trank einen Schluck Whiskey.

»Sie haben sich dafür entschieden, außerhalb der Mission zu residieren«, fuhr der Chinese namens Lin Shoo fort, während seine Augen unruhig zwischen der Zigarre und dem Paravent hin und her wanderten. »Deshalb befinden Sie sich formell nicht auf dem Territorium der Vereinigten Staaten. Sie unterstehen also den Disziplinarmaßnahmen der Volkspolizei. Aber wir wissen, daß Sie nirgendwohin gehen werden, General. Deshalb habe ich gesagt, daß es sich um eine Formalität handelt.«

»Was haben Sie dort draußen?« Hawkins deutete mit seiner Zigarre auf die dünnen, rechteckigen Fenster.

»Auf jeder Seite Ihrer Residenz stehen zwei Streifenwagen. Insgesamt acht.«

»Das ist aber eine beschissen große Wachabteilung für jemanden, der nirgendwohin geht.«

»Kleine Freiheiten. Fotografisch sind zwei wünschenswerter als einer, und drei wirken drohend.«

»Sie nehmen sich Freiheiten heraus?« Hawkins zog an seiner Zigarre und ließ dann die Hand wieder über die Sessellehne hängen. Die Glut der Zigarre war nicht einmal einen Zoll von dem Seidengewebe entfernt.

»Ja, das hat das Erziehungsministerium getan. Sie werden zugeben, General, daß Ihr Isolationsort höchst angenehm ist, nicht wahr? Dies ist ein liebliches Haus auf einem lieblichen Hügel. So friedlich und mit einer schönen Aussicht! « Lin Shoo ging um den Sessel herum und schob den Paravent unauffällig von Hawkins Zigarre weg. Es war zu spät — die Glut hatte bereits einen kreisförmigen Brandfleck in dem Gewebe erzeugt.

»Ein teures Viertel«, erwiderte Hawkins. »Irgend jemand in diesem Volksparadies, wo niemand etwas besitzt und jeder alles besitzt, verdient sich hier ein paar schnelle Kröten. Vierhundert jeden Monat!«

»Sie können von Glück reden, daß Sie hier wohnen. Eigentum kann von Kollektiven gekauft werden. Ein Kollektiv ist keine private Eigentümerschaft.« Der Polizeibeamte ging zu der schmalen Öffnung, die zu dem einzigen Schlafzimmer des Hauses führte. Es war dunkel. Wo eigentlich Sonnenlicht durch das breite Fenster hätte strömen sollen, befand sich eine Decke, die über den Fensterrahmen an die dünne Wand genagelt war. Auf dem Boden lagen übereinandergehäufte Matten. Überall war Einwickelpapier von amerikanischen Schokoladestangen verstreut, und der Geruch von Whiskey hing deutlich in der Luft.

»Weshalb die Fotografien?«

Der Chinese wandte sich von dem unangenehmen Anblick ab. »Um der Welt zu zeigen, daß wir Sie besser behandeln, als Sie uns behandelt haben. Dieses Haus ist kein Tigerkäfig in Saigon und auch kein Verlies in den von Haien wimmelnden Gewässern von Holcotaz.«

»Alcatraz. Das gehört jetzt den Indianern.«

»Wie, bitte?«

»Ach, nichts ... Sie machen mit diesem Ding tolle Schlagzeilen, wie?«

Lin Shoo schwieg einen Augenblick lang. Es war eine Pause, wie sie tiefschürfenden Äußerungen voranzugehen pflegt. »Wenn jemand, der jahrelang die tiefempfundenen Ziele Ihres geliebten Mutterlandes öffentlich in den Schmutz gezogen hat, Ihr Lin-Kolon-Denkmal auf Ihrem Washington Platz in Ihrem Staat Columbia mit Dynamit in die Luft sprengen würde — dann würden die in Roben gekleideten Barbaren Ihres Obersten Gerichtshofs ihn ohne Zweifel inzwischen bereits exekutiert haben.« Der Chinese lächelte und glättete das Jackett seiner Mao-Uniform. »Wir verhalten uns nicht so primitiv. Jegliches Leben ist wertvoll. Selbst das einen kranken Hundes — wie das Ihre.«

»Und Ihr Knilche habt nie jemanden in den Dreck gezogen, was?«

»Unsere Anführer verkünden nur die Wahrheit. Das ist in der ganzen Welt allgemein bekannt — die Lektionen des unfehlbaren Vorsitzenden. Wahrheit bedeutet nicht, daß irgend etwas in den Dreck gezogen wird, General. Sie ist nichts weiter als Wahrheit — allwissende Wahrheit.«

»Wie mein Staat Columbia«, murmelte Hawkins und nahm den Fuß von dem Lacktisch. »Warum, zum Teufel, haben Sie gerade mich herausgepickt? Eine Menge Leute haben Unfreundlichkeiten über Sie gesagt. Warum bin ich so besonders?«

»Weil diese Leute nicht so berühmt sind. Oder berüchtigt, wenn Sie wollen — obwohl mir der Film Ihres Lebens gefallen hat. Sehr künstlerisch, ein Gedicht der Gewalt.«

»Den haben Sie gesehen, hm?«

»Für mich allein. Gewisse Teile waren herausgeschnitten. Diejenigen, die zeigen, wie der Schauspieler, der Sie darstellt, unsere heroische Jugend hinmordet. Sehr unzivilisiert und wild, General.« Der Kommunist ging um den schwarzen Lacktisch herum und lächelte wieder. »Ja, Sie sind ein berüchtigter Mann. Und jetzt haben Sie uns beleidigt, indem Sie ein hochgeschätztes Denkmal zerstört ...«

»Hören Sie schon auf! Ich weiß nicht einmal, was passiert ist. Ich stand unter Drogeneinfluß, und das wissen Sie verdammt gut. Ich war mit Ihrem General Lu Sin zusammen. Mit seinen Weibern, in seinem Haus.«

»Sie müssen uns unsere Ehre wieder zurückgeben, General Hawkins. Sehen Sie das nicht ein?« Lin Shoo sprach mit leiser Stimme weiter, als hätte Hawkins ihn nicht unterbrochen. »Es wäre eine einfache Angelegenheit für Sie, eine Entschuldigung auszusprechen. Eine Zeremonie ist dafür geplant worden. In Anwesenheit einer kleinen Zahl von Pressevertretern. Wir haben Ihnen die Worte aufgeschrieben. «

»O Mann!« Hawkins sprang auf und überragte den Polizeibeamten um mehr als einen Kopf. »Jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben! Wie oft muß ich das euch Bastarden noch klarmachen? Amerikaner kriechen nicht im Dreck! In keiner gottverdammten Zeremonie, mit oder ohne die gottverdammte Presse! Kapieren Sie das doch endlich, Sie Brechmittel!«

»Erregen Sie sich bitte nicht! Sie messen einer bloßen zeremoniellen Funktion viel zuviel Bedeutung bei. Sie bringen alle — uns alle —in eine höchst schwierige Lage. Eine kleine Zeremonie, so einfach, so geringfügig ...«

»Für mich ist sie das nicht! Ich vertrete die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, und für uns ist sie nicht klein oder geringfügig! Wir stolpern nicht so leicht, Kumpel. Wir marschieren im Takt!«

»Wie, bitte?«

Hawkins zuckte mit den Schultern, seine eigenen Worte verwirrten ihn ein wenig. »Schon gut. Jedenfalls lautet die Antwort nein. Mag sein, daß Sie den betreßten Boys drunten in der Mission Angst machen, aber mich erschüttert ihr nicht.«

»Die haben doch an Sie appelliert, weil man sie dazu instruiert hat. Das ist Ihnen doch sicher klargeworden.«

»Doppelte Scheiße!« Hawkins ging an den offenen Kamin, trank aus seinem Glas und stellte es neben einer bunten Kassette auf den Sims. »Diese schwulen Säcke haben mit der Bande von Homos im Außenministerium etwas ausgekocht. Warten Sie nur, bis das Weiße Haus meinen Bericht gelesen hat. O Mann! Dann werdet ihr krummbeinigen Knirpse in die Berge rennen, und dann jagen wir die in die Luft!« Hawkins grinste, und seine Augen funkelten.

»Sie sind so vulgär«, sagte Lin Shoo leise und schüttelte betrübt den Kopf. Er griff nach der bunten Schachtel, die neben dem Glas des Generals stand. »Tsing-Taow-Knallfrösche. Die besten, die es auf der Welt gibt. So laut und so leuchtend hell, wenn sie bäng. bäng, bäng machen. Sehr nett anzusehen und zu hören.«

»Ja«, murmelte Hawkins, den der Themawechsel etwas verwirrte. »Lu Sin hat sie mir gegeben. Wir haben letzte Nacht eine ganze Menge davon hochgehen lassen, ehe der Scheißkerl mir das Betäubungsmittel verpaßt hat.«

»Sehr schön, General Hawkins. Ein schönes Geschenk.«

»Er war mir weiß Gott, wenigstens etwas schuldig.«

»Aber begreifen Sie denn nicht?« fuhr der Polizeibeamte fort. »Sie klingen wie — Explosivkörper. Und sehen aus wie — detonierende Munition, aber sie sind weder das eine noch das andere. Äußerlichkeiten — der Anschein von etwas anderem ... In sich wirklich, aber nur eine Illusion einer anderen Realität. Völlig ungefährlich.«

»Und?«

»Das ist genau das, worum Sie gebeten werden. Der Anschein, nicht die Wirklichkeit. Sie brauchen nur so zu tun, als ob. In einer kurzen, einfachen Zeremonie mit nur wenigen Worten, von denen Sie wissen, daß sie nur eine Illusion sind. Völlig ungefährlich — und sehr höflich.«

»Nein!« brüllte Hawkins. »Jeder weiß, was ein Knallfrosch ist. Und niemand wird wissen, daß ich nur so tue als ob.«

»Da muß ich Ihnen widersprechen. Es ist nichts anderes als ein diplomatisches Ritual. Jeder wird es verstehen, das dürfen Sie mir glauben.«

»So? Woher, zum Teufel, wissen Sie das denn? Sie sind ein Pekinger Bulle, kein Arschkriecher.«

Der Kommunist drehte die Schachtel mit den Feuerwerkskörpern zwischen den Fingern und seufzte dann hörbar. »Ich muß mich für die kleine Täuschung entschuldigen, General. Ich gehöre nicht der Volkspolizei an. Ich bin der zweite Vizepräfekt des Erziehungsministeriums. Ich bin hier, um an Sie zu appellieren — um an Ihre Vernunft zu appellieren. Aber das übrige entspricht der Wahrheit. Sie stehen unter Hausarrest, und die Leute draußen sind Polizisten. «

»Ich will verdammt sein! Einen Sesselwärmer haben die mir geschickt.« Wieder grinste Hawkins. »Ihr macht euch wirklich Sorgen, was?«

Wieder seufzte der Kommunist. »Ja. Die Idioten, die diese Geschichte angefangen haben, sind in Bergwerkskollektive in der äußeren Mongolei geschickt worden. Es war Wahnsinn, obwohl ich ihnen zugestehen muß, daß Sie eine Versuchung dargestellt haben, General Hawkins. Wissen Sie denn überhaupt, wie viele bissige Angriffe Sie gegen jeden Marxisten, Sozialisten und, verzeihen Sie mir, jede auch nur annähernd demokratisch orientierte Nation auf dieser Welt unternommen haben? Die schlimmsten Beispiele — ich sollte vielleicht sagen, die besten Beispiele von Demagogie!«

»Eine Menge von der Scheiße ist von den Leuten geschrieben worden, die mich dafür bezahlt haben, daß ich den Mund aufmache«, erwiderte Hawkins ein wenig nachdenklich. Und dann fügte er schnell hinzu. »Nicht, daß ich es nicht geglaubt hätte! Verdammt noch mal, ich glaube daran! «

»Sie sind unmöglich!« Lin Shoo stapfte mit dem Fuß auf wie ein eigensinniges Kind. »Sie sind ebenso von Sinnen wie Loo Sin und seine Bande knurrender Papierlöwen! Mögen Sie viele Steine zerschlagen und mit den mongolischen Schafen Unzucht treiben! Sie sind einfach unmöglich!«

Hawkins starrte auf das wütende Gesicht des Kommunisten und dann auf die buntfarbige Schachtel mit Feuerwerkskörpern, die er in der Hand hielt. Er hatte eine Entscheidung getroffen, und das wußten sie beide.

»Ich bin auch noch etwas anderes, Schlitzauge.« Der Generalleutnant ging auf Lin Shoo zu.

»Nein! Nein! Keine Gewalt, Sie Idiot ...« Aber der Protestschrei des Kommunisten kam zu spät. Hawkins hatte ihn am Uniformrock gepackt und blitzschnell hochgezogen, und nun versetzte er Lin Shoo einen Handkantenschlag gegen den Hals.

Der Vizepräfekt des Erziehungsministeriums sackte sofort bewußtlos zusammen.

Hawkins riß Lin Shoo die Schachtel mit den Feuerwerkskörpern aus der Hand und rannte um den Lacktisch herum ins Schlafzimmer. Er griff nach der über das Fenster genagelten Decke, zog sie ein wenig zur Seite und blickte hinaus auf den Hinterhof. Dort unterhielten sich die zwei Polizisten in aller Seelenruhe, die Gewehre locker auf den Boden gestützt. Hinter ihnen fiel der Hügel leicht zum Dorf hin ab.

Hawkins ließ die Decke wieder los und rannte ins Wohnzimmer zurück, kroch auf allen vieren zur Haustür. Dort richtete er sich auf und öffnete sie lautlos, einen Spaltbreit. Die zwei Polizisten waren etwa zehn Meter entfernt und wirkten ebenso gelassen wie die Männer hinter dem Haus, und was noch wichtiger war — sie blickten die Straße hinunter. Ihre Aufmerksamkeit galt nicht dem Haus.

MacKenzie riß die bunte Schachtel auf und schüttelte die durch Schnüre miteinander verbundenen Zylinder heraus. Er wand zwei Schnüre ineinander, drehte sie zu einer einzigen Zündschnur zusammen und holte sein Zippo-Feuerzeug aus der Tasche.

Jetzt zögerte er, hielt über sich selbst verärgert den Atem an. Dann ging er, die Feuerwerkskörper in der Hand, an den Fenstern vorbei ins Schlafzimmer und nahm dort seine Pistolentasche und den Patronengurt von einem Nagel an der dünnen Wand. Er schnallte sich die Waffe um, zog den .45er Colt heraus und überprüfte das Magazin. Befriedigt schob er die Waffe dann wieder in das Lederfutteral zurück und verließ das Schlafzimmer. Er ging um den Lehnsessel vor dem Han-Shu-Kamin herum, stieg über den reglosen Lin Shoo hinweg und kehrte zur Haustür zurück. Dort knipste er das Feuerzeug an und hielt die Flamme über die Zündschnur. Dann öffnete er die Tür und warf die Schnur mit den Knallfröschen ins Gras.

Jetzt zog Hawkins die Tür leise und schnell zu, verriegelte sie, zerrte ein kleines rotes Lackkästchen aus dem Vorraum und stemmte es gegend das dicke, mit Schnitzereien verzierte Türblatt. Dann rannte er ins Schlafzimmer zurück, zog die Decke vor dem Fenster zur Seite und wartete.

Die Explosionen waren sogar noch lauter, als er sie in Erinnerung hatte. Das kam wahrscheinlich daher, weil die zwei Bündel gegeneinander explodierten.

Die Wachen am hinteren Hausende wurden aus ihrer Lethargie gerissen. Ihre Waffen kollidierten mitten in der Luft, als jeder die seine vom Boden hochriß. Die Karabiner in die Hüfte gestützt, rannten die zwei Männer auf die Vorderseite des Hauses zu.

In dem Augenblick, als sie um die Hausecke verschwunden waren, riß Hawkins die Decke herunter, trat gegen das dünne Holz und die noch dünneren Glasscheiben und zerschmetterte damit das ganze Fenster. Er sprang ins Gras hinaus und lief auf die Felder und den leichten Abhang zu.

3.

Am Fuß des Hügels erreichte er eine Sandstraße, die das ganze Dorf umrundete. Zahlreiche Wege führten wie die Speichen eines Rades direkt zu dem kleinen Marktplatz in der Mitte der Ansiedlung. Eine teilweise gepflasterte Straße zweigte tangential von der kreisförmigen Straße ab und stellte die Verbindung mit einer Asphaltstraße her, die etwa vier Meilen östlich lag. Die amerikanische diplomatische Mission lag zwölf Meilen weiter unten an jener Straße, bereits innerhalb der Stadtgrenzen von Peking.

Was er brauchte, war ein Fahrzeug, vorzugsweise ein Auto, aber Autos existierten außerhalb der obersten amtlichen Kreise nicht. Die Volkspolizei war natürlich motorisiert. Er hatte überlegt, ob er um den Hügel herumlaufen und den Wagen Lin Shoos suchen sollte, aber das war zu riskant. Selbst wenn er ihn fand und stahl, würde es ein markiertes Fahrzeug sein.

Hawkins umkreiste die Ortschaft und hielt sich oberhalb der Straße. Natürlich würden sie ihn verfolgen. Er konnte ewig in den Hügeln bleiben — das störte ihn nicht. Er hatte manchmal monatelang in den Bergen von Cong-Sol und Lai Tai in Kambodscha in unterirdischen Verstecken gehaust, und er verstand sich besser als die meisten Tiere auf das Leben in den Wäldern. Verdammt, schließlich war er ein Profi. Aber das hatte natürlich keinen Sinn. Er mußte die Mission erreichen und dafür sorgen, daß die freie Welt erfuhr, vor welchen Feinden sie im Staub kroch. Jetzt war das Maß voll, hol’s der Teufel.

Die Mission konnte Radionachrichten aussenden, den ganzen Komplex verbarrikadieren und sich so lange halten, bis vor der Küste patrouillierende Flugzeugträger Maschinen schickten, die Bomben werfen konnten. Und selbst wenn das bedeutete, daß halb Peking in die Luft gejagt wurde, konnten die Hubschrauber hereinkommen und sie herausschlagen.

Natürlich würden sich die Zivilisten in die Hosen scheißen, aber er würde sie unter Kontrolle halten und diesen Schreibtischstrategen endlich einmal beibringen, wie man kämpfte. Kämpfte! Nicht redete!

MacKenzie unterbrach seinen fantasievollen Gedankenfluß. Unten rechts, etwa eine Viertelmeile entfernt, kam ein einzelnes Motorrad um die Straßenbiegung. Darauf saß ein Shee-san-Polizeibeamter, ein chinesischer Verkehrspolizist. Sein Gebet war erhört worden ...

Hawkins richtete sich im hohen Gras auf und robbte den Hügel hinunter. In weniger als einer Minute hatte er den Straßenrand erreicht. Das Motorrad war noch nicht zu sehen, hatte die Kurven noch nicht erreicht, aber er hörte, wie es näherkam. Er warf sich mitten auf der Straße in den Staub, zog die Beine an, um kleiner zu erscheinen, und hielt sich ganz still.

Der Motor heulte auf, als der Fahrer um die Kurve kam, und fing dann zu stottern an, als das Rad ruckartig abgebremst wurde. Der Shee-san stieg aus dem Sattel und trat den Seitenständer heraus. Hawkins konnte die schnellen Schritte hören und fühlen, als der Beamte näherkam.

Jetzt beugte sich der Shee-san über ihn und berührte ihn an den Schultern, fuhr zurück, als er die amerikanische Uniform erkannte. Mac bewegte sich. Der Shee-san kreischte schrill.

Fünf Minuten später hatte Hawkins den Uniformrock und die Hosen des Shee-san über seine hochgerollten Hosenbeine und sein Hemd gezwängt. Er schob sich die Schutzbrille des Beamten über die Augen, setzte sich die lächerlich kleine Schildmütze auf den Kopf und benutzte den Kinnriemen dazu, die Mütze festzuhalten. Eine Warze aus Stoff, die auf seinem kurzgeschorenen grauschwarzen Haar saß. Zum Glück für sein Wohlbefinden hatte er eine Zigarre. Er zerkaute das eine Ende, bis es ihm saftig genug erschien, und zündete sie dann an.

Jetzt war er bereit zum Aufbruch.

Der diplomatische Attache rannte in das Büro des Direktors, ohne ein Wort zu der Sekretärin zu sagen oder auch nur an die Tür zu klopfen. Der Direktor war gerade damit beschäftigt, mit einem Zahnstocher zwischen seinen Zähnen herumzubohren.

»Entschuldigen Sie, Sir. Ich habe gerade Anweisungen aus Washington erhalten! Ich wußte, Sie würden sie gleich lesen wollen!«

Der Direktor der diplomatischen Mission Peking griff nach dem Telegramm. Seine Augen weiteten sich, und dann riß er erstaunt den Mund auf. Der Zahnstocher fiel auf den Schreibtisch.

Er sah die Straßensperre, die ihm den Zugang zur Hauptstraße nach Peking verbarrikadierte. Sie befand sich etwa eine Dreiviertelmeile weiter unten an der Durchgangsstraße. Ein einzelner Shee-san-Streifenwagen und eine Reihe von Uniformierten, die nebeneinander auf der Straße standen, waren alles, was er durch die etwas angelaufenen Gläser seiner Schutzbrille erkennen konnte.

Als er näherkam, stellte er fest, daß die Posten einander etwas zuriefen. Ein Uniformierter trat vor und begann mit seinem Karabiner hysterisch in der Luft herumzufuchteln, um dem näherkommenden Motorradfahrer zu bedeuten, daß er anhalten sollte.

Da gab es nur eine Wahl, dachte Hawkins. Wenn du dir schon ein gottverdammtes Grab kaufst, dann mit allem Drum und Dran! Wenn du abtrittst, dann mit allen Waffen auf Repetierfeuer, mit flammenden Läufen, mit Donner und Blitz, tritt ab mit den Schreien dieser Kommunistenschweine in deinen Ohren!

Verdammt! Der Scheißstaub versperrte ihm die Sicht. Und sein verdammter Fuß glitt immer wieder von dem winzigen, beschissenen Gaspedal.

Er griff zu seiner Halfter und zog die .45er heraus.

Er konnte nicht besonders gut zielen. Aber, Herrgott, abdrücken konnte er! Und das tat er ein paarmal.

Zu seinem Erstaunen erwiderten die Shee-san das Feuer nicht. Statt dessen warfen sie sich in den Sand und schrien wie hysterische Ferkel, rutschten auf den Sandbergen herum und versuchten, der Feuerkraft seiner .45er dadurch zu entgehen, daß sie versuchten, geradezu in den Boden hineinzukriechen.

Verdammt! Ekelhaft war das!

Wenn ihn seine Schutzbrille im Verein mit dem Staub und dem Rauch seiner Zigarre nicht täuschte, dann hatte selbst der Kommandant der Truppe — ein Offizier, Herrgott, er mußte schließlich einer sein — hatte selbst der nicht den Mumm, sich zu wehren.

Ein Offizier!

MacKenzie fuhr mit Vollgas weiter und leerte das Magazin seiner .45er. Er flog über einen Sandhügel hinweg und landete an der anderen Seite auf einem leicht geneigten Grasberg. Während sein Motorrad durch die Luft schnellte, sah er unter sich die Köpfe der wild schreienden Chinesen und wünschte sich, er hätte mehr Munition. Er riß die Lenkstange wild herum, um die Straße wieder zu erreichen.

Verdammt! Jetzt war er wieder auf festem Boden! Er hatte die Barrikade durchbrochen! Mit Höchstgeschwindigkeit raste er auf der Hauptstraße nach Peking dahin.

Der glatte Beton war eine reine Freude. Die kreisenden Räder des Motorrads summten, der Wind blies ihm ins Gesicht — klare, berauschende, saubere, staublose Luft, die ihm den Rauch seiner Zigarre in Wolken um die Ohren trieb. Selbst die Schutzbrille war jetzt klar.

Die nächsten neun Meilen sauste er wie ein Meteor mit dem Sternenbanner hinter sich durch eine Chinesenstadt, die nicht ahnte, wie ihr geschah. Noch eine Meile, und er würde in die nördlichen Nebenstraßen von Peking einbiegen. Verdammt! Er würde es schaffen! Und dann, hol’s der Teufel, würden diese Kommunistenschweine herausfinden, was ein amerikanischer Gegenschlag war!

Er preschte durch die überfüllten Straßen und schlitterte am Rand des Platzes der Glorreichen Blumen vom Bordstein. Hinter dem Platz stand das Missionsgebäude und überstrahlte mit seinen Alabasterwänden seine armselige Umgebung. Davor drängten sich die üblichen Scharen von Chinesen aus Peking und dem umliegenden Land und warteten darauf, einen Blick auf die eigenartigen, riesigen rosahäutigen Leute zu erhaschen, die durch die breiten Stahltüren innerhalb des mittelgroßen Komplexes ein und aus gingen.

Eigentlich war es kein besonders ansehnlicher Komplex. Es gab nicht einmal eine Ziegelwand oder einen stählernen Zaun, der die Mission geschützt hätte. Nur ein dünnes Gitterwerk aus Holz, das man zum Schutz gegen die Elemente lackiert hatte, umschloß den kurzgeschorenen Rasen, der vorne an die Stufe grenzte.

Nur vor den Fenstern und Türen waren eiserne Schutzgitter angebracht.

MacKenzie brachte die Maschine des Motorrads auf Hochtouren, in der Annahme, der Lärm würde dafür sorgen, daß die Zuschauer ihm Platz machten.

Das taten sie. Die Chinesen stoben auseinander, als er die Straße hinunterraste.

Und Hawkins wäre beinahe aus dem Sattel gestürzt, als er sah, worauf er mit fünfzig Stundenmeilen zuraste.

Da waren drei Gruppen hölzerner Barrikaden vor dem verschlossenen Gittertor. Und jede horizontale Planke war einen guten Fuß über der anderen angeordnet und formte so eine nach hinten zurückweichende Stufenmauer aus dicken Brettern, die sich an den zierlichen Zaun anlehnten.

Und davor standen in einer Reihe ein gutes Dutzend Soldaten in Präsentierhaltung, flankiert von zwei Offizieren, die alle nach vorn starrten — ihn anstarrten.

Das ist es, dachte MacKenzie. Jetzt bleibt nur noch die Geste, die Bewegung — der Akt selbst.

Totale Herausforderung!

Verdammt! Wenn er nur noch Munition gehabt hätte!

Er duckte sich und jagte sein Motorrad geradewegs auf das Zentrum der Barrikade zu, drehte den Gasgriff auf maximale Leistung und drückte den mit dem Fuß zu betätigenden Choke ganz hinunter.

Die Nadel des Tachometers fing zu zittern an und schoß zum Skalenrand. Mann und Maschine jagten wie eine fremdartige riesige Kugel aus Fleisch und Stahl durch den Luftkorridor.

Unter den Schreien der hysterischen Menge, und während die Soldaten in panischer Angst flüchteten, riß Hawkins die Lenkstange wütend herum und warf sich mit seinem ganzen Gewicht im Sattel nach hinten. Das Vorderrad hob sich wie ein abstrakter Phoenix vom Boden — gefolgt von einem wirren Gebilde, das aus der hinteren Motorradhälfte und dem Fahrer bestand — und prallte krachend gegen die obere Barrikade.

Holz und Gitterwerk zersplitterten dröhnend, während MacKenzie Hawkins in die Höhe schoß, durch die Schichten von Zerstörung, eine menschliche Kanone, die den Rest der Waffe hinter sich herzerrte und eine wahnwitzige Wirkung ausübte.

Das Motorrad preschte den Kiesweg hinunter, der zu den Stufen der Mission führte. Dabei wurde MacKenzie nach vorn geschleudert, vollführte einen Salto über die Lenkstange hinweg und rollte über die winzigen Steine, bis er gegen die erste Stufe der kurzen weißen Treppe stieß, die zu der weißen Stahltür hinaufführte. Die ganze Zeit hielt er die Zigarre zwischen den Zähnen, ohne sie ein einziges Mal loszulassen.

Jeden Augenblick würden sich diese Kommunistenschweine neu gruppieren, und dann würde ihr Feuer einsetzen, scharfe Stiche eisigen Schmerzes würden ihn durchbohren und ihm vielleicht nur noch ein paar Sekunden Zeit lassen, ehe das große Vergessen kam.

Aber er wartete vergeblich auf das Krachen der Schüsse. Nur immer lauteres Geschrei war zu vernehmen, ausgestoßen von der Menschenmenge und den Soldaten. Orientalische Köpfe spähten über den Rand des völlig zerdrückten hölzernen Bauwerks, über die zerfetzten Planken vor dem Gitterwerk. Die meisten der Soldaten, die sich zu Boden geworfen hatten, lagen jetzt auf Händen und Knien.

Und doch gab keiner einen Schuß ab. Dann begriff MacKenzie — im technischen Sinne befand er sich auf amerikanischem Territorium. Wenn er innerhalb der Anlage erschossen wurde, so könnte man daraufhin leicht behaupten, daß es sich um eine Exekution auf amerikanischem Boden gehandelt hätte. Daraus konnte ein internationaler Zwischenfall werden! Er verdankte es also diplomatischen Nettigkeiten, daß er noch am Leben war!

Er rappelte sich auf, rannte die Stufen zu der weißen Stahltür hinauf, drückte auf den Klingelknopf, hämmerte gleichzeitig mit der anderen Hand gegen die Türfüllung aus Metall. Keine Antwort.

Er pochte lauter und nahm die freie Hand nicht von der Glocke. Jetzt begann er auch zu schreien, und endlich — nach einer scheinbaren Ewigkeit — öffnete sich der kleine rechteckige Schlitz in der Tür.

Ein verängstigtes Augenpaar spähte hinaus.

»Um Himmels willen, ich bin Hawkins!« brüllte MacKenzie, wobei sein schreiender Mund nur wenige Zoll von den verstörten Augen entfernt war. »Machen Sie schon die verdammte Tür auf, Sie Hurensohn! Was, zum Teufel, tun Sie denn?«

Die Augen blinzelten, aber die Tür öffnete sich nicht.

Wieder brüllte Hawkins, wieder blinzelten die Augen. Nach einigen Sekunden war statt der Augen ein zitterndes Lippenpaar zu erkennen.

»Niemand — zu Hause, Sir«, lautete die gestammelte, unglaubliche Antwort.

»Was?!«

»Tut mir leid, General.«

Anstatt der zitternden Lippen war jetzt das Krachen von Metall auf Metall wahrzunehmen. Der Schlitz wurde geschlossen.

MacKenzie stand wie vom Blitz gerührt da. Dann fing er wieder an, gegen die Tür zu schlagen und zu brüllen und den Klingelknopf so kräftig zu drücken, daß das Bakelit zersprang.

Nichts.

Er blickte auf die Menschenmenge und die Soldaten und bemerkte, wie sie kicherten und schrien und grinsten.

Hawkins rannte die Treppen hinunter und hetzte quer über den Rasen. Sämtliche Fenster waren nicht nur geschlossen, auch die eisernen Innenjalousien hinter dem Gitterwerk waren heruntergelassen. Die ganze gottverdammte Mission war fest verrammelt, eine riesige, weiße, rechteckige Muschel, die zugeklappt war.

Er rannte an dem Gebäude entlang. Überall das gleiche — verschlossene Fenster, eiserne Jalousien, Gitterwerk.

Er stürmte über den Rasen an der Rückfront des Hauses zu dem breiten Hintereingang, trommelte gegen die Tür und schrie lauter als je zuvor in seinem Leben.

Schließlich öffnete sich der Schlitz, und ein anderes Augenpaar erschien — weniger verängstigt als die Augen am Vordereingang, aber dennoch weit aufgerissen und bestürzt.

»Machen Sie diese Scheißtür auf!«

Wieder erschienen Lippen, und jetzt konnte MacKenzie einen grauen Schnurrbart sehen. Es war der Botschafter. »Verschwinden Sie, Hawkins!« befahl die tiefe, britisch wirkende Stimme, die im Establishment des Ostens ausgebildet worden war. »Sie sind völlig unwichtig.«

Und der Schlitz wurde wieder geschlossen.

MacKenzie stand reglos da. Raum und Zeit schienen in einem Nichts zu verschmelzen. Auf unbestimmte Art wurde ihm bewußt, daß die Menschenmenge und die Soldaten jetzt um das Gitterwerk an den Seiten und am hinteren Teil der Mission herumgekommen waren.

Ohne richtig zu denken, zog er sich vom Eingang zurück und blickte an der Außenwand des Gebäudes nach oben, zum Dach.

Er konnte es schaffen, wenn er die Fenstergitter benutzte. Er sprang ans erste Fenster und kletterte an dem Gitterwerk nach oben, bis er die nächste Gitterstange erreicht hatte, die aus der Wand ragte.

In wenigen Minuten hatte er die Gebäudewand erklettert und zog sich jetzt an dem schrägen Dach nach oben.

Er arbeitete sich bis zum Giebel hinauf und sah sich um.

Die Fahnenstange stand mitten im Gras, links vom Kiesweg. Die Sterne und Streifen bewegten sich schwach in der Brise.

Generalleutnant MacKenzie Hawkins vergewisserte sich, aus welcher Richtung der Wind kam, und zog dann den Reißverschluß seiner Hose auf.

4.

Devereaux lächelte dem Portier im Beverly Hills Hotel zu, ging dann um das riesige Automobil herum auf die Fahrerseite, gab dem Garagenwächter ein Trinkgeld und setzte sich hinter das Steuer. Die grelle Sonne spiegelte sich in der Motorhaube. Alles war so typisch Kalifornien. Portiers, Garagenwächter, stumme Trinkgelder, übergroße Wagen und blendende Sonne.

Ebenso wie das Telefongespräch, das er vor zwei Stunden mit der ersten Mrs. MacKenzie Hawkins geführt hatte.

Er hatte sich dafür entschieden, logisch anzufangen, die fortschreitende Vernichtung des Mannes schrittweise zu betreiben. Ganz sicher würde sich dabei ein Schema entwickeln. Es würde einfacher sein, seinen Auftrag zu erledigen, wenn er zunächst eruierte, wie seine Zielperson mit der wirklich korrupten Welt in Berührung gekommen war. Weiche Seide und Geld, im Gegensatz zu Tod, Folter und der Arroganz von West Point ...

Regina Sommerville Hawkins war es, die diese erste Verbindung hergestellt hatte. Den Datenbänken zufolge stammte Regina aus dem Virginia Hunt Country, war reich und verwöhnt, ein Zögling von Foxcroft and Finch. 1947 hatte sie Jagd auf die Trophäe namens Hawkins gemacht – als der gefeierte jugendliche Kämpfer der Ardennenschlacht die Nation mit ähnlich atemberaubenden Leistungen auf dem Sportplatz beeindruckt hatte. Da Daddy Sommerville der größte Teil von Virginia Beach gehörte und Ginny eine echte Südstaatenschönheit war – Geld und Magnolien, nicht nur der Duft - ließ sich das leicht bewerkstelligen. Der heroische, durch die Ränge aufgestiegene Mann aus West Point wurde ihr vorgestellt, sofort von der gedehnten Sprechweise, dem großen Busen und den sonstigen Annehmlichkeiten dieser weichen, aber hartnäckigen Tochter der Föderation überwältigt und vorübergehend besiegt.

Daddy kannte eine Menge Leute in Washington, und so erwartete Regina im Verein mit Hawkins’ eigenen Talenten und bisherigen Leistungen, daß sie binnen sechs Monaten die Frau eines Generals sein würde. Spätestens in einem Jahr.

In Washington. Oder Newport News. Oder New York. Oder vielleicht auf dem lieblichen Hawaii. Mit Bediensteten und Uniformen und Tanzveranstaltungen und noch mehr Bediensteten und ...