Der Gepard des Duke - Barbara Cartland - E-Book

Der Gepard des Duke E-Book

Barbara Cartland

0,0

Beschreibung

Ilesa, die junge und bildhübsche Tochter des Vikars von Littlestone und jüngster Sohn des Earl of Harlestone lebt seit dem Tod ihrer Mutter allein mit ihrem Vater und tritt in deren Fußstapfen, um Kranken und Armen zu helfen. Seit ihre Halbschwester Doreen einen Adeligen geheiratet hat und in die Londoner Gesellschaft eingeführt wurde ist diese selten zu Hause bei ihrer Familie, da sie sich für deren Armut schämt. Nach dem Tode ihres Mannes kommt sie jedoch kurzfristig nach Hause und hat den Duke of Mountheron eingeladen, um ihm zwei Bilder des Malers Stubbs zu zeigen, die ihr Vater besitzt - da der Duke dessen Bilder sammelt. Doreen will den Duke, der sehr gutaussehend und wohlhabend ist, für sich gewinnen und heiraten. Der Duke lädt den Vikar, Ilesa und Doreen zu seinem stattlichen Wohnsitz Heron ein, um ihnen seine Bildersammlung und seine berühmten Rennpferde vorzuführen. Während eines Spaziergangs entdeckt Ilesa die Menagerie des Dukes. Wird Ilesa Rajah, den Tiger des Dukes und Tschi-Tschi seinen Gepard für sich gewinnen können? Und für welche der sehr unterschiedlichen Schwestern wird sich der Duke entscheiden?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 166

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anmerkung der Autorin

George Stubbs (1724-1806) war einer der bedeutendsten englischen Maler. Geraume Zeit wurde er unterschätzt und als ‘Mr. Stubbs, der Pferdemaler’ abgestempelt. Allmählich jedoch erkannten die Menschen seine Bedeutung, und er erlangte dasselbe Maß an Anerkennung wie seine Zeitgenossen Reynolds und Gainsborough.

Niemand hat Tiere so originalgetreu wie Stubbs dargestellt. Seine Porträts von Menschen waren ebenfalls genial. Sportler haben Stubbs-Gemälde gesammelt, seit er damit begann, Pferde zu malen. Auch die Königin und andere Mitglieder der königlichen Familie besitzen Gemälde von ihm.

Der Gepard, den Stubbs ebenfalls auf seine brillante Art in einem Gemälde festhielt, ist das weltweit schnellste Säugetier über kurze Strecken. Der Name „Tschita” stammt aus dem Indischen und bedeutet „Der Gefleckte”. Bei den alten Ägyptern zierte der Gepard Reliefs und Friese und galt als Verkörperung von Mut.

Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass sich Dschingis Khan und Karl der Große Geparden als Haustiere hielten.

Indische Prinzen pflegten über viele Jahre hinweg Geparden zur Jagd einzusetzen. Sie richteten sie so ab, dass sie das Wild hetzten. Seit 1930 gibt es keine Aufzeichnungen mehr über wild lebende Geparden in Indien. Heute kommen sie nur noch in Afrika vor.

Der Gepard schnurrt wie eine Katze, wenn er zufrieden und glücklich ist. Dabei bebt sein ganzer Körper wie eine Maschine. Jedem, den sie mögen, lecken Geparden das Gesicht. Wenn sie jedoch am Ohr knabbern, so ist dies ein Zeichen größter Zuneigung.

Eine kürzliche Untersuchung hat gezeigt, dass man in bestimmten Teilen Afrikas zwar immer noch Geparden antrifft, dass sie aber nur überleben können, wenn sie geschützt werden.

1 ~ 1878

Ilesa hatte die Kirche mit Blumen geschmückt und fand, dass sie sehr hübsch aussah. Es war eine Freude gewesen, jetzt im Mai endlich wieder so viele Blüten zur Verfügung zu haben. Es gab nicht nur Frühlingsblumen, sondern auch schon den ersten Sommerflor.

Sie warf einen letzten Blick auf die kleine Kirche, in der sie von ihrem Vater getauft und konfirmiert worden war. Dann ging sie zur Tür, wo sie noch einmal stehenblieb und sich umdrehte, um den Altar mit den Lilien aus ihrem Garten zu bewundern. Auch ein paar goldgelbe Azaleen standen dazwischen.

Sie wusste, dass niemand diesen Anblick mehr geliebt haben würde als ihre Mutter. Ilesa konnte sich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem nicht jedes Zimmer im Pfarrhaus mit Blumen geschmückt war. Die Leute im Dorf hatten ihre Mutter geliebt und ihr immer die ersten Blumen gebracht, die in ihren kleinen Gärten blühten.

Ilesa schloss die Kirchentür und ging an den alten Grabsteinen vorbei. Dahinter lag das Tor, das in den Park führte. In weiter Ferne konnte sie noch schwach Harlestone Hall erkennen, wo ihr Vater geboren und aufgewachsen war. Im Hinblick auf seine drei Söhne hatte sich der sechste Earl of Harlestone streng an die Tradition gehalten.

Robert, sein ältester Sohn, der auch den Titel geerbt hatte, war dem Familienregiment beigetreten.

Henry, der Zweitälteste, war als Leutnant zur See in die Königliche Marine eingetreten und hatte sich zum Kommandeur eines Zerstörers emporgedient.

Mark, der dritte Sohn, hielt sich ebenfalls an die Tradition und wurde Pfarrer. Er durfte sich eine der Pfarreien auf dem Harlestone-Besitz aussuchen.

Der Ehrenwerte Mark Harle hatte dies hingenommen, weil er aufgrund seiner Erziehung wusste, was er zu erwarten hatte. Unglücklicherweise hatte er sich jedoch auch der Entscheidung seines Vaters gefügt, als er heiraten sollte.

Für seinen ältesten Sohn hatte der Earl die Tochter eines einflussreichen Peers ausgewählt, die über eigenes Geld verfügte.

Sein zweiter Sohn hatte sich geweigert, in eine Ehe getrieben zu werden, und es war ihm gelungen, Junggeselle zu bleiben. Er war jedoch bei einer Seeschlacht ums Leben gekommen, als sein Zerstörer versenkt wurde.

Mark hatte geheiratet, als er gerade erst zweiundzwanzig gewesen war. Seine Braut war die Tochter eines Mannes, der von Harlestone Hall und dem Earl selbst äußerst beeindruckt war. Das junge Paar hatte nichts gemein und war vom ersten Augenblick an unglücklich miteinander.

Obwohl niemand es offen aussprach, war es doch eine Erleichterung gewesen, als die junge Frau nach sechs mit Streit und Meinungsverschiedenheiten angefüllten Jahren in einem außergewöhnlich kalten Winter eine Lungenentzündung bekommen hatte, von der sie sich nicht mehr erholte. Sie hinterließ eine fünfjährige Tochter, die ihrer Mutter sehr ähnlich war.

Nachdem Mark frei und das vorgeschriebene Trauerjahr abgelaufen war verlor er keine Zeit. Er war inzwischen Vikar in Littlestone und heiratete das Mädchen, das er immer schon geliebt hatte. Nur war er bislang zu schüchtern gewesen, ihr einen Antrag zu machen.

Sie war die Tochter eines benachbarten Landadeligen, und sie hatten sich auf Gesellschaften getroffen, die von ihren jeweiligen Eltern gegeben worden waren. Elizabeth war so schön, dass er überzeugt war, sie würde ihn niemals eines Blickes würdigen.

In Wirklichkeit jedoch hatte sie ihn schon geliebt, als sie beide noch Kinder waren, und es war ihr gelungen, unverheiratet zu bleiben. Ihre Eltern hatten sie zu sehr geliebt, um sie gegen ihren Willen zu einer Ehe zu zwingen.

Elizabeth und Mark hatten ganz im Stillen geheiratet. Im Anschluss an ekstatische Flitterwochen hatten sie sich dann in Littlestone niedergelassen und aus dem Dorf einen glücklichen, zufriedenen Ort gemacht. Ihre Tochter Ilesa kam ein Jahr nach der Hochzeit zur Welt.

Das Einzige, was ihnen Kummer machte, war, dass Elizabeth keine weiteren Kinder mehr bekommen konnte. Von Ilesa jedoch waren sie entzückt.

Ilesa konnte sich nicht erinnern, das Pfarrhaus jemals anders als von Liebe und Glück erfüllt erlebt zu haben. Dies änderte sich erst, als ihre Halbschwester Doreen älter wurde.

Doreen war wie ihre Mutter und wollte immer Dinge, die sie nicht haben konnte. Deshalb war es eine Erleichterung, als ihr Großvater, der Earl, darauf bestand, sie auf eine elegante Schule für junge Damen in London zu schicken. Anschließend besuchte sie eine Schule in Florenz.

Diese beiden Schulen veränderten Doreens Leben. Sie hatte sich im Pfarrhaus immer eingesperrt gefühlt.

Die Dorfbewohner interessierten sie ebenso wenig wie der Beruf ihres Vaters. Solange der alte Earl noch lebte, verbrachte sie die meiste Zeit in Harlestone Hall. Sie liebte die großen Räume und hohen Decken, und wann immer es möglich war, schlief sie in einem der Prunkgemächer mit den riesigen Himmelbetten.

„Ich liebe diese Pracht!” erklärte sie ihrer kleinen Halbschwester, die überhaupt nicht verstand, was sie damit meinte.

Als Doreen siebzehn Jahre alt war, wurde sie schließlich in London als Debütantin in die Gesellschaft eingeführt. Eine der Schwestern des Earls, die keine eigenen Töchter hatte, stellte sie im Buckingham Palace vor. Am Ende ihrer ersten Saison heiratete Doreen dann Lord Barker. Sie galten als ideales Paar, obgleich er so viel älter war als sie.

Von diesem Augenblick an sahen ihr Vater, ihre Stiefmutter und ihre Halbschwester sie nur noch sehr selten. Sie vermissten sie jedoch nicht sonderlich, denn sie war von jeher im Pfarrhaus etwas fehl am Platze gewesen.

Elizabeth Harle hatte alles versucht, ihrer Stieftochter die Mutter zu ersetzen, aber insgeheim hatte sie immer gewusst, dass sie in diesem einen wichtigen Punkt ihres Lebens versagt hatte. Als sie vor zwei Jahren starb, erschien Doreen nicht einmal zu ihrer Beerdigung. Sie hatte jedoch einen riesigen, etwas übertrieben prahlerischen Kranz geschickt, der inmitten der kleineren, aber von Liebe kündenden Aufmerksamkeiten der Dorfbewohner völlig unpassend schien.

Überall lagen die kleinen Blumensträuße der Dorfkinder, die Ilesa einfach rührend fand und weil alle wussten, wie sehr Elizabeth Harle Blumen geliebt hatte, hatten alle Nachbarn dazu beigetragen. Sie hatten jedes Blatt und jede Blüte aus ihrem Garten gepflückt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.

Für Mark Harle bedeutete Elizabeths Tod einen schweren Schlag, der ihn wie betäubt zurückließ. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass er den Menschen verloren hatte, den er so innig liebte.

Ilesa begriff, dass es kaum etwas gab, womit sie ihn trösten konnte. So versuchte sie nur, in jeder erdenklichen Hinsicht den Platz ihrer Mutter einzunehmen. Sie ordnete die Blumen in der Kirche, besuchte die Kranken im Dorf und tröstete die Hinterbliebenen und sie versuchte, für die jungen Schulabgänger Arbeit zu finden.

Im Jahr zuvor war es für das ganze Dorf ein schwerer Schlag gewesen, als der neue Earl of Harlestone das Große Haus geschlossen hatte. Das war nicht unvernünftig, denn Robert war zum Gouverneur der Nordwestlichen Grenzprovinz ernannt worden. Und das hieß, dass er in den nächsten fünf Jahren in Indien leben würde.

„Es hat keinen Sinn, Mark”, erklärte er seinem Bruder. „Ich kann das Haus hier nicht unterhalten und gleichzeitig meine Ausgaben in Indien bestreiten, die sehr hoch sein werden.”

„Aber was wird aus den Leuten, die immer hier gearbeitet haben?” wollte Mark Harle wissen. „Einige sind seit über dreißig Jahren hier.”

„Ich weiß, ich weiß”, erwiderte sein Bruder gereizt, „aber ich habe einfach nicht genug Geld.”

Die beiden Brüder saßen die ganze Nacht zusammen und redeten. Schließlich willigte der Earl auf das Drängen des Vikars hin ein, vier der ältesten Diener als Aufseher zu behalten. Außerdem sollten Watkins, der erste Gärtner, und Oakes, der oberste Wildhüter, ihre Hütten behalten.

„Ich bin sicher, dass ich im Ort Arbeit für sie finden kann”, meinte der Vikar, „und ich werde ihre Rente aufbessern, damit sie wenigstens nicht hungern.”

„Das kannst du dir nicht leisten, und du weißt es!” protestierte Robert. „Am besten wäre es, wenn wir etwas verkaufen würden.”

Sein Bruder blickte ihn empört an. „Verkaufen?” fragte er. „Aber alles im Haus gehört doch zum Vermächtnis!”

„Es muss doch ein paar Dinge geben, die nicht dazu gehören. Außerdem gibt es ein paar abgelegene Landparzellen, die wir abstoßen können, auch wenn wir nicht viel dafür bekommen.”

Irgendwie gelang es dem Earl schließlich, so viel Geld zusammenzubringen, dass Watkins und Oakes davon leben konnten. Der Vikar ermutigte den Gärtner, Obst und Gemüse anzubauen, das er auf dem Dorfmarkt verkaufen konnte.

Oakes sollte dafür sorgen, dass die Schädlinge nicht überhandnahmen, und sollte Kaninchen, Tauben und Enten verkaufen, die er schoss oder in seinen Fallen fing.

„Das wird nicht viel einbringen”, meinte Mark zu seinem Bruder, „aber vielleicht wenigstens genug, damit die beiden einen Jungen zu ihrer Hilfe einstellen können. Auf jeden Fall sind sie beschäftigt.”

Nach einem tiefen Seufzer fügte er hinzu: „Ich weiß nicht, was aus dem Dorf werden soll! Du weißt ja selbst, Robert, dass der Ehrgeiz aller jungen Leute immer darin bestand, im Großen Haus beschäftigt zu werden.”

„Ich weiß, ich weiß”, stimmte Robert zu. „Aber ich kann mich ja wohl kaum weigern, Gouverneur der Nordwestlichen Grenzprovinz zu werden, nur weil man im Dorf möchte, dass ich in England bleibe. Schließlich ist das eine große Ehre!”

Das sollte ein Witz sein, aber in seiner Stimme schwang doch auch Verbitterung mit.

„Das eigentliche Problem ist doch”, meinte Mark besänftigend, „dass die Harles nie sehr reich gewesen sind, und Papa war extravagant, vor allem, was die Pferde anging.”

„Das ist wohl wahr. Ich schlage vor, du suchst dir die beiden Pferde aus, die du am liebsten haben möchtest. Den Rest werde ich dann verkaufen.”

„Muss das wirklich sein? Das ist ein Jammer, gerade jetzt, wo sich eine so prächtige Gruppe im Stall befindet.”

„Ich weiß, aber ich kann sie nicht mit nach Indien nehmen, und wenn ich wiederkomme, sind sie schon ein bisschen alt!”

Am Ende nahm der Vikar vier Pferde, und die restlichen wurden verkauft. Ilesa weinte, als sie sah, wie sie fortgebracht wurden. Sie hatte immer jedes der Pferde im Stall ihres Großvaters reiten dürfen, das sie wollte. Sie hatte die Tiere geliebt, und es gab nichts, was sie nicht mit ihnen tun konnte.

„Miss Ilesa hat ‘ne Hand für Pferde”, hatten die Stallburschen immer erklärt. Sie ging mit den widerspenstigsten Pferden um, ja, sogar mit denjenigen, die noch nicht voll eingeritten waren. Und sie wusste, sie hatte eine Hand für die Tiere, wie sie es ausdrückten. Die Pferde gehorchten ihr sogar dann, wenn die Stallburschen zu nervös waren, um auch nur aufzusteigen.

Das einzig Gute an der Entscheidung, Harlestone Hall zu schließen, war die Tatsache, dass es zumindest keinem Fremden überlassen wurde.

„Wenn ich nicht mehr im Park reiten, im See schwimmen und die Bücher aus der Bibliothek lesen könnte, würde ich mir die Augen ausweinen”, erklärte Ilesa ihrem Vater.

„Das weiß ich, mein Liebes”, antwortete dieser, „und deshalb müssen wir auch sehr dankbar dafür sein, dass es zwar für alle anderen geschlossen ist, dass wir es aber betreten dürfen.”

Es ließ sich jedoch nicht übersehen, dass das Haus im Laufe der Jahre langsam verfiel. Die Holztüren und Fensterrahmen mussten gestrichen werden.

Der Garten, der von niemandem mehr gepflegt wurde, sah aus wie eine wilde Wiese. Die Blumenbeete verschwanden unter dem Unkraut. Ilesa musste sich durch die Brennnesseln zu den wenigen Blumen hindurchkämpfen, die dort trotz allem noch wuchsen.

Zwei der Gewächshäuser drohten einzustürzen, aber es schien keinen Grund zu geben, sie reparieren zu lassen. „Dein Onkel wird noch mindestens zwei Jahre in Indien bleiben”, hatte ihr Vater nur erklärt.

Ilesa holte sich immer noch die Bücher aus der Bibliothek, die sie lesen wollte. Dabei betrachtete sie jedes Mal die Gemälde an den Wänden und sagte sich, wie wunderschön sie wären, wenn man sie nur einmal abstauben würde. Die Möbel hätten ebenso wie der Kamin und das Funkengitter poliert werden müssen, so, wie es vor dem Tod ihres Großvaters immer geschehen war.

Doch etwas entzückte Ilesa: ihr Großvater hatte ihrem Vater in seinem Testament zwei Gemälde vermacht. Sie gehörten nicht zu dem unveräußerlichen Familienerbe, denn er hatte sie von seinem Patenonkel erhalten. Beide Gemälde waren von Stubbs. Der Vikar wies sie darauf hin, dass sie sehr geschickt gerahmt worden waren, so dass ihre Schönheit noch mehr hervorgehoben wurde.

„Sie sind wunderbar, Papa”, rief Ilesa immer wieder aus. „Ich bin sicher, Großpapa wusste, dass du sie mehr als irgendjemand sonst zu schätzen weißt.”

„Ich freue mich, dass ich sie habe”, hatte der Vikar geantwortet, „und ich bin meinem Vater auch außerordentlich dankbar, dass er mir ein wenig Geld hinterlassen hat, das ich jenen geben kann, die es wirklich brauchen.”

Ilesa unterdrückte den Impuls zu sagen, dass sie wirklich ein neues Kleid benötigte. Sie wusste, dass ihr Vater an diejenigen dachte, die jetzt, wo das Große Haus geschlossen war, im Ort keine Arbeit mehr fanden.

Außerdem waren da noch die alten Leute. Sie konnten sich nicht mehr an Seine Lordschaft wenden, wenn ihre Hütten repariert werden mussten oder wenn sie selbst dringend Hilfe benötigten.

Da der Vikar niemals nein sagen konnte, hatte er schon einen zusätzlichen Mann eingestellt, der sich um die Pferde kümmerte. Und ein Junge, den er eigentlich nicht brauchte, arbeitete im Garten. Mrs. Briggs, die im Pfarrhaus gewesen war, seit Ilesa denken konnte, half in der Küche. Und Nanny, die nach Elizabeth Harles Tod den Haushalt führte und dabei sehr tüchtig war, wurde ein junges Mädchen aufgenötigt. Dieses machte mehr Probleme, als dass es half.

Aber wenn der Herr Vikar es so wollte, dann machten alle gute Miene zum bösen Spiel.

Als Ilesa jetzt aus der Kirche kam und ins Pfarrhaus zurückging, dachte sie an die Sorge ihres Vaters um zwei Dorfbewohner, die ernstlich erkrankt waren.

Außerdem plante sie eine Überraschung für seinen Geburtstag in der kommenden Woche. Sie hatte gehört, dass kürzlich in London ein Buch erschienen war, das Gemälde von Stubbs zeigte. Sie wusste, dass ihr Vater sich über dieses Buch freuen würde. Er würde gern mehr über den Künstler erfahren, dessen Gemälde jetzt die Wände seines Arbeitszimmers schmückten.

Sie beschloss, einen Brief zu schreiben und sich das Buch schicken zu lassen. Sie wollte es ihm an seinem Geburtstag zusammen mit einer Reihe kleinerer Geschenke übergeben. Und sie würde sie alle einwickeln und mit rosa Geschenkband verzieren. Diese Sitte hatte ihre Mutter eingeführt, nicht nur zu Weihnachten, sondern auch zu Geburtstagen.

„Jeder Mensch liebt Geschenke, je mehr, desto besser!” hatte sie erklärt. Sie hatte sich immer bemüht, an Ilesas Geburtstag mindestens sechs Geschenkpäckchen für sie zu haben.

Und dieselbe Anzahl - oder sogar mehr - für ihren Ehemann. Sie reichten von einem großen, ziemlich teuren Geschenk, bis zu etwas Kleinem, Lustigem. Ein Glas mit dem von ihm bevorzugten Senf, eine Honigwabe oder auch ein Taschentuch, in das seine Initialen eingestickt waren.

Jedes Geschenk war eine Überraschung, und es machte Spaß, die Päckchen zu öffnen. Ilesa war entschlossen, ihrem Vater in diesem Jahr die größtmögliche Anzahl von Geschenken zu machen.

Als sie in die Auffahrt zum Pfarrhaus einbog, sah sie zu ihrem Erstaunen davor eine elegante Kutsche, vor die zwei wunderschöne Pferde gespannt waren. Je näher sie kam, desto sicherer wurde sie, dass der Wagen keinem ihrer Nachbarn gehörte.

„Wer kann das wohl sein?” überlegte sie.

Sie versuchte sich zu erinnern, ob ihr Vater daheim sei, aber ihr fiel ein, dass er schon früh am Morgen fortgefahren war. Er besuchte einen Bauern am Rande des Harlestone Besitzes, dessen Frau in zwei Monaten ein Baby erwartete.

„Ich hoffe, ich bin zum Mittagessen wieder zurück”, hatte er zu Ilesa gesagt, ehe er aufbrach. „Aber wenn ich mich verspäte, warte bitte nicht auf mich. Du weißt ja, wie langatmig Bauer Johnson ist.”

Ilesa hatte lachen müssen. Sie wusste, dass die Leute gern viel zu lange mit ihrem Vater redeten, weil er so mitfühlend und verständnisvoll war.

Der Vikar wusste, dass es oft eine große Hilfe für die Menschen war, wenn sie es sich einmal von der Seele reden konnten, wie er das nannte. Deshalb war er geduldig und blieb meist viel länger als geplant, wenn er jemanden besuchte.

„Ich frage mich, wer da etwas von ihm will?” rätselte Ilesa. Sie hatte inzwischen die Haustür erreicht und warf noch einen schnellen Blick auf die Pferde. Es waren zweifellos auffallend edle Tiere. Die Livree des Kutschers, der auf dem Kutschbock saß, kannte sie ebenfalls nicht.

Die Haustür stand offen, und sie ging hinein. Sie betrat den Salon, der sich auf der anderen Seite des Hauses befand und einen schönen Blick auf den Garten bot. Neben dem Fenster stand eine schlanke Gestalt.

Es musste eine vornehme Dame sein, denn sie trug einen Hut mit Federn und ein elegantes Kleid mit Tournüre. Als Ilesa noch zögernd in der Tür stehenblieb, wandte sich die Frau um.

Ilesa stieß einen Freudenschrei aus: „Doreen! Dich hätte ich nun wirklich nicht erwartet! Woher kommst du?”

Sie lief durchs Zimmer, um ihre Halbschwester zu umarmen und zu küssen. Doreen ließ die Umarmung über sich ergehen, machte aber keinerlei Anstalten, sie zu erwidern.

„Das Haus war leer, als ich kam”, sagte sie nur. „Wo bist du gewesen?”

„Ich habe die Kirche geschmückt. Du weißt doch, es ist Samstag.”

Doreen stieß ein leises, freudloses Lachen aus. „Ach ja, darauf wäre ich nie gekommen; aber du siehst in der Tat ein wenig zerrupft aus.”

Ilesa nahm den Hut ab. „Ich weiß. Ich war oben in The Hall, um ein paar Blumen zu pflücken, aber dort ist alles so überwuchert, dass es schon fast unmöglich ist, nicht von den Dornen zerrissen zu werden.”

„Ich finde es einfach schändlich, es so verfallen zu lassen!” erklärte Doreen scharf.

Ilesa wusste, wie sinnlos der Versuch gewesen wäre, ihr zu erklären, dass ihr Onkel sich nichts anderes leisten konnte. Deshalb sagte sie nur: „Es ist schön, dich zu sehen! Möchtest du Kaffee? Bleibst du zum Essen?”

„Ich nehme es an, wenn es überhaupt etwas zu essen gibt!”

„Natürlich gibt es das. Und Mrs. Briggs gibt bestimmt ihr Bestes, wenn sie hört, dass Du hier bist.”

„Du lieber Himmel! Ist die alte Frau noch immer bei Euch?” rief Doreen aus.

„Sie sieht älter aus, als sie eigentlich ist, und wir könnten ohne sie nicht leben. Sie war schließlich immer bei uns, schon als wir noch Kinder waren”, erinnerte Ilesa sie hastig.

Aber Doreen war in Gedanken offensichtlich ganz woanders. Nach einer Weile sagte sie: „Also gut, dann geh und sag Mrs. Briggs, dass ich zum Mittagessen hier bin. Danach möchte ich mit dir sprechen.”

„Was ist mit deinem Kutscher?” erkundigte sieh Ilesa. Doreen zögerte kurz, ehe sie antwortete: „Er kann hier essen, wenn ihr ihn füttern könnt. Wenn nicht, muss er ins Wirtshaus gehen.”

„Aber natürlich isst er hier!” Ilesa rannte aus dem Zimmer.