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Der Freiburger Hauptkriminalkommissar Oskar Bein muss in einem Todesfall mit Leichenschändung ermitteln. Kriminalistisch ist der Fall überraschend schnell gelöst. Doch Bein sieht sich durch den Täter sozusagen mit Gott und der Welt konfrontiert. Fünfzehn Jahre später fühlt sich der inzwischen pensionierte Kriminalist erneut herausgefordert. "Es gibt keine verbindlichen Standards der Rationalität und damit auch keine Gültigkeit schlechthin;..." Leszek Kolakowski: Der metaphysische Horror
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Seitenzahl: 69
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Der Autor veröffentlichte bisher „Tango Tenebrista. Ein Schmöker zum dramatischen Helldunkel von Tango Argentino, Sex & Crime“; den Roman „Tango up & down“; „Tödliches Tangotreiben. Die wahre Geschichte der 'Freiburger Vampirmorde'“; „Neapel leben und sterben. Prosa und Posse“; „Böse Blicke. Kriminalkurzroman und zwei Nachkriegsgeschichten“; „Janes Affenkind. Eine tierische Geschichte“; „Dustergrund“. Ein Schwarzwaldkrimi; „Verdammter Tango. Roman zur argentinischen Militärdiktatur“; „Casandras Familienbande. Krimi-Erzählungen“ sowie „Milonga Sentimental. Geschichte einer Liebelei“.
„Nur das, was menschlich ist, kann wahrhaft fremd sein.“
Wisława Szymborska
Im November 2008 stand auf der Lokalseite einer Freiburger Zeitung diese Meldung:
Die Polizei hat den 39-jährigen A. M. (Name von der Redaktion geändert) festgenommen. Er wird verdächtigt, schuld am Tod des 74-jährigen Karl Heller aus Freiburg zu sein. Auch soll M. den Toten geschändet haben. Der mutmaßliche Täter wurde dem Haftrichter vorgeführt.
Erster Teil
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Zweiter Teil
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Als Kriminalhauptkommissar Oskar Bein von der Freiburger Mordkommission am Tatort eintraf, konnte er nicht ahnen, dass ihn ein Fall erwartete, in dem es am Ende sozusagen auch um Gott und die Welt ging. Völlig abwegig hätte Bein den Gedanken gehalten, die Beschäftigung mit dem Täter könne sich für ihn über 15 Jahre hinziehen, über das Ende seiner aktiven Polizeiarbeit hinaus. Zunächst schien alles kriminalistische Routinearbeit.
Das Team der Freiburger Mordkommission war an diesem Morgen am Tatort im Stadtteil Zähringen erschienen. Uniformierte Kollegen hielten vor dem Haus und im Haus Neugierige zurück.
„Können wir hereinkommen?“, fragte Bein die Kollegen der Spurensicherung. Er und Kriminalkommissarin Angela Botta traten in die Küche der Wohnung im dritten Stock. Dort sahen sie auf dem Boden die Leiche eines älteren Mannes, sahen die bis zu den Knien heruntergezogene Hose und das verstümmelte Geschlechtsteil. Ein Kollege der Spurensicherung wies wortlos auf den daneben liegenden Penis und sagte:
„Hier haben wir auch die wahrscheinliche Tatwaffe gefunden, ein Brotmesser. Mit Fingerabdrücken darauf. Ob sie vom Opfer stammen oder vom Täter, müssen wir noch klären.“
„Oder von der Täterin“, warf Botta ein. „Ein entmannter Mann könnte ja auch Opfer eines weiblichen Racheakts sein.“
„Nun mal langsam, Angela“, sagte ihr Chef. „Bevor wir spekulieren, brauchen wir mehr Fakten. Theoretisch ist das natürlich nicht auszuschließen.“
Sich an den Kollegen der Spurensicherung wendend fragte Bein, ob das Opfer der an der Wohnungstür angezeigte Karl Heller sei.
„Ja, Karl Heller. Rentner, 74 Jahre alt.“
„Sonstige Spuren?“
„Nichts Besonderes. Aber offensichtlich hat der Täter oder die Täterin nicht versucht, Spuren zu verwischen. Dafür gibt es keine Anzeichen.“
„Gut, danke. Wo ist die Haushaltshilfe, die die Polizei alarmiert hat?“
„Nebenan im Wohnzimmer.“
„Ah, da ist ja auch unser Gerichtsmediziner Dr. Sommer. Können Sie uns einen ungefähren Zeitpunkt des Todes geben?“
„Wie immer vorbehaltlich der Obduktion, gestern Abend zwischen neunzehn und einundzwanzig Uhr.
Was diesen abgesäbelten Penis betrifft, muss ich noch klären, ob das vor oder nach dem Tod des Mannes geschah. Kann die Leiche jetzt in die Gerichtsmedizin überführt werden?“
„Ja. Wir warten gespannt auf Ihre Untersuchung“, sagte Bein und wandte sich an seine Kollegin:
„Erkundige dich mal bei den Hausbewohnern und Nachbarn, ob ihnen am gestrigen Abend etwas aufgefallen war. Ich spreche inzwischen mit der Haushaltshilfe. Wir sehen uns dann später im Präsidium.“
Die Haushaltshilfe, eine Frau Meier, saß niedergedrückt auf dem Sofa im Wohnzimmer. Bein stellte sich vor und setzte sich neben sie. Meier erklärte, dass sie einen Schlüssel zur Wohnung habe, und wie immer dienstags um acht Uhr zu Herrn Heller gekommen sei. Da habe sie den Toten in der Küche entdeckt und sofort die Polizei verständigt.
„Das haben Sie gut gemacht, Frau Meier. Wann haben Sie Herrn Heller zuletzt lebend gesehen?“
„Vor einer Woche, als ich wie üblich hier putzte und Wäsche bügelte.“
„War etwas anders als sonst mit Herrn Heller.“
„Nein.“
„Gut. Hier im Wohnzimmer. Fällt Ihnen da etwas Ungewöhnliches auf? Fehlt etwas?“
Die Frau sah sich um, und schüttelte den Kopf.
„Alles wie sonst.“
„Dann gehen wir ins Schlafzimmer. Bitte prüfen Sie das auch!“
Aber auch hier fiel der Haushaltshilfe nichts auf.
Ebenso nichts Auffälliges in dem kleinen Bad. Da inzwischen die Leiche weggebracht worden war und die Spurensicherung ihre Arbeit gemacht hatte, ging Bein mit der Haushaltshilfe noch in die Küche. Die Haushaltshilfe starrte entsetzt auf die Blutflecken am Boden.
„Schauen Sie sich bitte auch hier um, wenn es Ihnen auch schwerfällt. Gibt es etwas Ungewöhnliches?
Fehlt etwas?“
Meier ging zögernd durch die Küche und passte dabei auf, dass sie nicht in einen der Blutflecken trat.
„Das Brotmesser fehlt“, sagte sie. „Es lag immer im Brotkörbchen.“
„Sonst nichts?“
„Nein. Wer hat so etwas nur getan?“
„Das versuchen wir herauszufinden. Wie verhielt sich denn Herr Heller Ihnen gegenüber?“
„Brummig, aber korrekt war der Herr Heller.“
„Ich danke Ihnen, Frau Meier. Hier ist meine Visitenkarte. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich bitte an. Auf Wiedersehen.“
Bein war jetzt allein in der Wohnung. Er schaute sich nochmals um. Im Wohnzimmer fiel ihm ein, dass er noch nicht den Balkon aufgesucht hatte. Er öffnete die Tür und trat hinaus. Der Balkon bot genug Platz für einen Stuhl und einen kleinen Tisch, auf dem ein Aschenbecher voll mit Zigarettenstummeln stand.
Bein setzte sich kurz und blickte sich um. Da sah er im Haus gegenüber auf dem Balkon des ebenfalls dritten Stocks eine Frau stehen und rauchen.
Bein verließ Wohnung und Haus und überquerte die schmale Straße. Dort stand die Haustür offen. Der Kommissar trat ein, stieg in den dritten Stock und klingelte an der Tür, die in die gesuchte Wohnung führen musste. 'Florence Weiß' stand auf dem Schild neben der Klingel. Kurz danach öffnete die Frau, die Bein gesehen hatte, die Tür. Er wies sich aus.
„Können wir auf meinen Balkon gehen, ich bin gerade am Rauchen.“
„Genau da wollte ich mit Ihnen hin“, sagte Bein. „Ich hatte Sie von gegenüber gesehen.“
Sie traten auf den Balkon, der etwas größer war als der gegenüber und Platz für einen Tisch und drei Stühle bot.
„Bitte setzen Sie sich, Herr Kommissar. Rauchen Sie?
Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?“
Bein rauchte eine Zigarette mit, obwohl er das Rauchen vor Jahren aufgegeben hatte. Aber er wusste, dass gemeinsames Paffen vielen die Zunge lockert.
Also setzte er sich und rauchte eine mit. Die zwei saßen sich gegenüber und taxierten einander.
„Der ihnen gegenüber wohnende Herr Heller ist tot aufgefunden worden. Wir gehen von Fremdeinwirkung aus.“
„Der Kerl wurde ermordet?“
„Ich darf Ihnen nichts über die laufende Ermittlung mitteilen. Wie gesagt, wir gehen von Fremdeinwirkung aus. Kannten Sie Herrn Heller? Das ‚Kerl‘ klingt nicht gerade positiv.“
„Er war ein unausstehlicher Typ. Die ganze Straße versuchte ihm aus dem Weg zu gehen.“
„War etwas Besonderes passiert?“
„Nicht, dass ich wüsste. Er war nur unhöflich, übel-launisch. Vor allem Frauen gegenüber.“
„Hatten Sie selbst negative Erfahrungen mit ihm gemacht, Frau Weiß?“
„Nein, von dem abgesehen, was ich gerade erwähnt habe.“
„Waren Sie gestern Abend so zwischen 19 und 21 Uhr hier auf dem Balkon?“
„Ja, so etwa. Ich habe geraucht. Ich halte das Rauchen für eine friedliche Aktion. Die alten Rothäute in Amerika wussten davon. Nicht umsonst pflegten sie die Friedenspfeife. Finden Sie nicht auch?“
„Das ist eine Überlegung wert. Allerdings soll Rauchen nicht gerade gesundheitsfördernd sein.“
„Ach wissen Sie, ich war als Ärztin tätig, bevor ich in den Ruhestand trat. Sicherlich gibt es bei Rauchern mehr Lungenkrebstote. Aber wie viel Tote gibt es wohl, weil nicht öfter zusammen eine Friedenspfeife geraucht wird?“
„Wer weiß, Frau Weiß. Vielleicht sprechen wir ein anderes Mal darüber. Meine Frage: Als Sie gestern hier saßen, ist Ihnen da vor dem Haus gegenüber etwas aufgefallen? Sahen Sie jemanden, der da nicht zugehörte. Auf der Straße, vielleicht auch auf dem Balkon?“
Sie überlegte kurz und sagte:
„Auf dem Balkon hat der Kerl, ich meine Herr Heller, geraucht. Wann das genau war, kann ich nicht sagen.
Wohl am frühen Abend, also eher gegen neunzehn Uhr als zwanzig Uhr.“
„Sonst fiel Ihnen nichts auf?“